5421 | Privaturkunde ist für das Mittelalter die nicht von Kaiser, König oder Papst ausgestellte Urkunde, im heutigen Verständnis die von einer nicht hoheitlich tätigen Person ausgestellte Urkunde. Nach Brunner ist im Frühmittelalter (lat. [F.]) notitia die schlichte, objektiv gehaltene Beweisurkunde, (lat. [F.]) carta die dispositive, subjektiv gehaltene Konsti-tutivurkunde. Prägend ist die Herkunft aus dem spätrömischen Schriftwesen, charakteristisch für die karolingische Zeit die Verwendung der karolingischen Minuskel. Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 4; Brunner, H., Carta und notitia, FS T. Mommsen 1877, 570; Posse, O., Die Lehre von den Privaturkunden, 1887, Neudruck 1974; Redlich, O., Die Privaturkunden des Mittelalters, 1911, Neudruck 1969; Steinacker, H., Die antiken Grundlagen der frühmittelalterlichen Privaturkunde, 1967; Recht und Schrift im Mittelalter, hg. v. Classen, P., 1977; Die Privaturkunden der Karolingerzeit, hg. v. Erhart, P. u. a., 2009; Härtel, R., Notarielle und kirchliche Urkunden im frühen und hohen Mittelalter, 2010 |
5422 | Privileg ist das einem oder mehreren Einzelnen von einem Zuständigen im Gegensatz zur Allgemeinheit eingeräumte Vorrecht. Im altrömischen Recht ist (lat. [N.]) privilegium das Sondergesetz für den einzelnen dadurch nicht benachteiligten Menschen, später das Sonderrecht zugunsten bestimmter Menschengruppen. Im Mittelalter ist P. die begünstigende, als ausschließlich behauptete Herrschaftsrechte gewissermaßen weiterreichende Herrschaftshandlung zugunsten eines Einzelnen, die meist in einer Urkunde festgehalten wird (z. B. etwa 900 Königsurkunden zur Immunität, 1400 Königsurkunden zur Gerichtsbarkeit). Die Gewährung eines Privilegs verändert Recht zugunsten des Empfängers. Seit dem 12. Jh. führt man die Befugnis zur Privilegierung auf die Gesetzgebungszuständigkeit zurück. In der französischen Revolution (1789) werden in Frankreich alle Privilegien beseitigt. Im Übrigen wird das P. im 19. Jh. durch den →Gleichheitsgrundsatz eingeschränkt. Diese Entwicklung verstärkt sich im 20. Jh. noch. An die Stelle des Privilegs tritt die gesetzlich geregelte Konzession. Lit.: Kaser § 3 VI; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 101, 102, 104, 114, 153, 167; Lindner, D., Die Lehre vom Privileg, 1917; Ebel, W., Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 1956, 2. A. 1958, Neudruck 1988, 39; Mohnhaupt, H., Untersuchungen zum Verhältnis Privileg und Kodifikation, Ius commune 5 (1975), 71; Krause, H., Der Widerruf von Privilegien im frühen Mittelalter, Archival. Z. 75 (1979), 118; Eisenhardt, U., Die kaiserlichen privilegia de non appellando, 1980; Schulze, R., Geschichte der neueren vorkonstitutionellen Gesetzgebung, ZRG GA 98 (1981), 185; Österreichische Fabriksprivilegien, hg. v. Otruba, G. 1981; Diestelkamp, B., Einige Beobachtungen zur Geschichte des Gesetzes, ZHF 1983, 396; Dölemeyer, B., Vom Privileg zum Gesetz, Ius commune 15 (1988), 57; Lucha, G., Kanzleischriftgut, 1993; Gieseke, L., Vom Privileg zum Urheberrecht, 1995; Das Privileg im europäischen Vergleich, hg. v. Dölemeyer, B. u. a., Bd. 1f. 1997ff.; Lieb, T., Privileg und Verwaltungsakt, 2004; Koppitz, H., Die kaiserlichen Druckprivilegien, 2007; Wadle, E., Privilegien für Autoren oder für Verleger?, ZRG GA 124 (2007), 144; Gergen, T., Die Nachdruckprivilegienpraxis Württembergs im 19. Jahrhundert, 2007 |
5423 | privilegium (N.) de non appellando (lat.) Privileg des Ausschlusses der →Appellation an die Reichsgerichtsbarkeit (bis zur Mitte des 15. Jh.s im weitem Umfang erteilt) Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3 |
5424 | privilegium (N.) de non evocando (lat.) Privileg des Ausschlusses der Ansichziehung (Evokation) eines Rechtsstreits seitens des Königs (bis 1487 bedeutsam) |
5425 | privilegium (N.) dotis (lat.) Vorrecht der Mitgift nach römisch-gemeinem Recht Lit.: Kaser § 31 III 3; Hübner 413, 689 |
5426 | privilegium (N.) impressorium (lat.) Druckprivileg |
5427 | Privilegium (N.) maius (lat.) sind die im Winter 1358/1359 unter Herzog Rudolf IV. von →Österreich in seiner Kanzlei unter Verwendung des echten Siegels des privilegium minus hergestellten fünf falschen Urkunden, in denen zwecks Gleichstellung mit den Kurfürsten und Benachteiligung der Brüder Rudolfs IV. vom Fälscher Österreich bzw. seinem Herrscher zahlreiche Rechte gewährt werden (Erhebung zum Pfalzerzherzog, Berechtigung zum Tragen einer Bügelkrone, Unteilbarkeit, Ältestenerbrecht [des Sohnes und hilfsweise der Tochter], Bestimmungsrecht bei Erbenlosigkeit, Belehnung in Österreich, Ausschließung des königlichen Hofgerichts, Beschränkung der Heerfolge auf eine symbolische Handlung, Beseitigung der Hoffahrtpflicht). Das auch für die zukünftig beherrschten Länder Österreichs gelten wollende (gefälschte) p. m. wird trotz des dem privilegium minus entnommenen (echten) Siegels von Kaiser Karl IV. 1360 unter dem Einfluss Francesco Petrarcas wegen eingefügter angeblicher Urkunden Caesars und Neros nicht anerkannt. Die Anerkennung erfolgt aber unter den Habsburgern Friedrich III. (1442, 6. 1. 1453, Zustimmung der Kurfürsten), Karl V. (1530) und Karl VI. (1729). Danach gilt das p. m. bis 1806 als Recht des Heiligen römischen Reiches. Im 19. Jh. wird die plumpe Fälschung entlarvt und als p. m. (1852) bezeichnet. Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 95, 111; Baltl/Kocher; Erben, W., Das Privilegium Friedrichs I. für das Herzogtum Österreich, 1902; Lhotsky, A., Privilegium maius, 1957; Appelt, H., Privilegium minus, 1973, 2. A. 1977; Fälschungen im Mittelalter, hg. v. Fuhrmann, H., Bd. 3 1988, 201; Moraw, P., Das privilegium maius und die Reichsverfassung, 1988 |
5428 | Privilegium (N.) minus (lat.) ist das am 17. 9. 1156 von →Friedrich I. Barbarossa dem Babenberger Heinrich (II.) Jasomirgott erteilte, seit 1852 als p. m. bezeichnete Privileg über den am 8. 9. 1156 unter Fürstenspruch erfolgten Vorgang der Verselbständigung Österreichs von Bayern. Es beruht darauf, dass der nach dem Tod des aus Sachsen kommenden Kaisers Lothar von Süpplingenburg 1138 als Enkel Kaiser Heinrichs IV. zum König gewählte →Staufer Konrad III. dem unterlegenen, mit einer Tochter Lothars verheirateten Mitbewerber Heinrich dem Stolzen aus der Familie der →Welfen aus machtpolitischen Überlegungen das Herzogtum Bayern mit der Begründung entzieht, dass niemand gleichzeitig Herzog in zwei Herzogtümern sein könne, und es 1139 seinem Stiefbruder Leopold IV. aus der Familie der →Babenberger als dem Markgrafen der Markgrafschaft →Österreich zuteilt, Friedrich I. aber als Nachfolger Konrads III. den als Nachfolger seines Vaters Heinrichs des Stolzen gegen den Entzug aufbegehrenden, inzwischen mündig gewordenen welfischen Vetter →Heinrich den Löwen zufriedenstellen will. Zu diesem Zweck gewährt er trotz Widerspruchs des Babenbergers Heinrich Jasomirgott 1154 Bayern den Welfen zurück, löst hieraus aber am 8. 9. 1156 Österreich als selbständiges, territorial (nicht völlig klar) gekennzeichnetes →Herzogtum heraus. Der neue Herzog und seine Gattin werden gemeinsam belehnt. Es wird ihnen und ihren Nachfolgern die Erblichkeit im männlichen und im weiblichen Stamm (Weiberlehen) zugesichert. Bei Kinderlosigkeit sollen der belehnte Herzog und seine Gattin das (persönliche) Recht (lat. [N.] ius) haben, den Nachfolger frei zu bestimmen (lat. [Gen. Sg.] affectandi, Designationsrecht). Ohne Zustimmung des Herzogs soll niemand eine Gerichtsbarkeit im neuen Herzogtum ausüben. Die Pflicht des Herzogs, zu Hoftagen zu erscheinen, wird auf Hoftage in Bayern und die Pflicht zur Heerfolge auf Kriegszüge in benachbarten Ländern des Herzogtums beschränkt. Die notwendigen lehnrechtlichen Handlungen werden feierlich vollzogen (Rückgabe von sieben Fahnen für Bayern und Österreich durch Heinrich Jasomirgott an Friedrich I., Hingabe dieser sieben Fahnen durch Friedrich I. an Heinrich den Löwen, Rückgabe von zwei Fahnen durch Heinrich den Löwen an Friedrich I., Erhebung Österreichs zum Herzogtum, Überreichung zweier dies vesinnbildlichender Fahnen durch Friedrich I. an Heinrich Jasomirgott). Das Original des p. m. ist nicht erhalten, da es vermutlich 1358/1359 bei der Erstellung des gefälschten privilegium maius durch Herzog Rudolf IV. vernichtet wird. Erhalten ist eine Abschrift aus der Mitte des 13. Jh.s aus Klosterneuburg. Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 94; Baltl/Kocher; Tangl, M., Die Echtheit des österreichischenj Privilegium minus, ZRG 25 (1904), 258; Schrader, E., Zur Gerichtsbestimmung des Privilegium minus, ZRG GA 69 (1952), 371; Fichtenau, H., Von der Mark zum Herzogtum. 1958; Appelt, H., Privilegium minus, 1973, 2. A. 1977, Neudruck 2006; Die Geburt Österreichs, hg. v. Schmid, P. u. a., 2007 |
5429 | Privilegium (N.) Ottonianum (lat.) ist das in einer gleichzeitigen Prunkausfertigung erhaltene, die Rechte des Papstes einschließlich der karolingischen Gaben (Schenkungen) und der Vereinbarungen über die Papstwahl bestätigende Privileg Kaiser Ottos I. für Papst Johannes XII. Lit.: Sickel, T., Das Privilegium Ottos I., 1983; Zimmermann, H., Das dunkle Jahrhundert, 1971, 134 |
5430 | Pro viribus hereditatis (lat.) (für die Mittel der Erbschaft) ist die Beschränkung der Haftung des Erben auf den Wert des Nachlasses. Lit.: Köbler, DRG 162 |
5431 | probatio (lat. [F.]) Beweis |
5432 | proceres (lat. [M.Pl.]) Vornehme, Große |
5433 | Proculus (20/10 v. Chr.-50/70 n. Chr.) ist der römische Rechtskundige, der seit 33 n. Chr. Haupt der nach ihm benannten Rechtsschule ist, zu der →Labeo filius und →Nerva pater sowie Neraz und Celsus zählen und der die Rechtsschule des →Sabinus gegenübersteht. Sein wichtigstes Werk sind (lat. [F.Pl.]) epistulae (Briefe) in wohl 12 Büchern. Daneben wird er von vielen bekannten Rechtskundigen zitiert. Lit.: Söllner § 16; Köbler, DRG 30; Kunkel, W., Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. A. 1967, 123; Krampe, C., Proculi Epistulae, 1970 |
5434 | Procurator (lat. [M.]) ist im römischen Recht der Prozessvertreter oder Verwalter (z. B. der Geschäfte des Freilassers [lat. patronus]) auf Grund Befehls oder Geschäftsführung ohne Auftrag oder schließlich auch Auftrags. Der p. kann über das Vermögen verfügen, später den patronus auch durch Geschäfte verpflichten. Lit.: Kaser §§ 11 II 1b, 20 I 1, 44 II 1, 49 II 4, 82 IV; Köbler, DRG 33, 44, 47, 57; Köbler, LAW; Klinck, F., Zur Bedeutung des Wortes procurator in den Quellen des klassischen Rechts, ZRG RA 124 (2007), 25 |
5435 | Prodigus (lat. [M.]) ist bereits im altrömischen Recht der vom Magistrat durch Interdiktion entmündigte Verschwender, für den ein (lat. [M.]) curator (Pfleger) treuhänderisch handelt. Lit.: Kaser §§ 14 V, 64 IV; Köbler, DRG 22 |
5436 | Produkthaftung ist die in Deutschland ab 1. 1. 1990 geltende, durch eine Richtlinie der →Europäischen Gemeinschaft veranlasste →Gefährdungshaftung des Herstellers eines Produkts. Sie steht neben der von der Rechtsprechung entwickelten Produzentenhaftung (Verschuldenshaftung), ohne sie verdrängen zu können. Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 271; Bartl, H., Produkthaftung nach neuen EG-Recht, 1989; Honsell, H., Produkthaftungsgesetz und allgemeine Deliktshaftung, JuS 1995, 211 |
5437 | Produktionsmittel (N.) das zur Herstellung eines Erzeugnisses erforderliche Mittel (z. B. Werkzeug, Maschine, Gebäude) |
5438 | Produzentenhaftung ist die in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s von der Rechtsprechung nach amerikanischem sowie französischem Vorbild entwickelte deliktische Haftung (Verschuldenshaftung) des Produzenten für von seinen Erzeugnissen verursachten Schaden (vgl. BGHZ 51, 91 Hühnerpest). Für bestimmte Pflichtverletzungen besteht dabei eine Verschuldensvermutung, wo-durch die Bejahung von Schadensersatzansprüchen erleichert wird. Seit 1990 ist die P. durch eine Produkthaftung (Gefährdungshaftung) ergänzt. Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 271 |
5439 | Profess (lat. professio [F.] religiosa) ist die Ablegung des Ordensgelübdes (Armut, Keuschheit, Gehorsam). Bestimmte kirchenrechtliche Wirkungen (z. B. Erwerbsunfähigkeit, Ehehindernis, Erbunfähigkeit) treten seit dem 18./19. Jh. nach weltlichem Recht nicht mehr ein. Lit.: Hübner 57; Martin, A., Die Bedeutung des Ordensgelübdes, 1924; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983 |
5440 | professio (F.) iuris (lat.) Bekenntnis zu einem für den Bekennenden anwendbaren Recht (vor allem zu einem →Volksrecht im Frühmittelalter) Lit.: Calasso, F., Medio evo del diritto, 1954, 117f., 186, 259 |