4681 | Natürliche Grenze ist die von der Natur durch Wasser, Sümpfe, Wälder, Gebirge oder Wüsten gebildete →Grenze eines Gebiets. Sie verliert im Laufe der menschlichen Geschichte an Bedeutung gegenüber der künstlichen Grenze. Lit.: Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007 |
4682 | Naturrecht ist die Gesamtheit der der Natur innewohnenden, zeitlos gültigen, vernunftnotwendigen und vom Menschen nicht geschaffenen Rechtssätze. Das N. ist bereits der griechischen Philosophie (griech. physei dikaion [N.]) als Gegensatz zum vom Menschen gesetzten Recht (griech. thesei dikaion [N.]) bekannt. Danach ist von Natur aus rechtens, was überall und schon unabhängig von menschlicher Zustimmung gilt. Dieses N. wird von den Römern als von der (lat.) naturalis ratio (F.) beherrschtes ius (N.) naturale übernommen (z. B. Verbindung von Mann und Frau und Aufzucht von Kindern) und dem (lat.) ius (N.) gentium zur Seite gestellt. Nach christlicher Ansicht stammt es (als [lat.] lex [F.] aeterna, vom Menschen erkennbar in der [lat.] lex [F.] naturalis) von Gott. Demgegenüber sehen die Glossatoren das römische Recht als gegeben an und stellen die Frage nach einem übergeordneten Naturrecht nicht. In der frühen Neuzeit betonen spanische Spätscholastiker (z. B. Francisco de Vitoria 1493-1546, Domingo de Soto 1494-1560, Fernando Vasquez 1512-1569, Luis de Molina 1535-1600) und deutsche Reformierte (z. B. Johann Oldendorp 1486-1567, Johannes Althusius 1557-1638) erneut die besondere Bedeutung des Naturrechts. Der in Leiden und Orléans am gemeinen Recht geschulte Niederländer Hugo →Grotius (1583-1645) überführt in (lat.) De iure praedae (1606-1608) und in (lat.) De iure belli ac pacis tres (Drei Bücher Kriegs- und Friedensrecht, 1624) die Naturrechtslehren aus der Moraltheologie in die Rechtswissenschaft. Ihm folgt in Deutschland zunächst Samuel Pufendorf (1632-1694, [lat.] De iure naturae et gentium libri octo, Acht Bücher Natur- und Völkerrecht, 1672), der in Heidelberg im Jahre 1661 (außerhalb der juristischen Fakultät) den ersten Lehrstuhl für N. erhält. Weil das N. jetzt besonders auf die Vernunft abstellt, bezeichnet man es auch als →Vernunftrecht. Klassischer Vertreter des deutschen Vernunftrechts ist der im Wesentlichen mit der Reformuniversität →Halle verbundene Christian →Thomasius (1655-1720, [lat.] Fundamenta [N.Pl.] iuris naturae et gentium, 1705, Grundlagen des Natur- und Völkerrechts), der das Recht endgültig von Theologie und Moral befreit. Sein Schüler Christian →Wolff (1679-1754) schließlich stellt unter starkem Rückgriff auf das im usus modernus pandectarum verwendete gemeine Recht seiner Zeit ([lat.] more geometrico) ein geschlossenes System naturrechtlicher Sätze insgesamt auf ([lat.] Ius [N.] naturae methodo scientifica pertractatum, 1740-1749, Naturrecht wissenschaftlich durchgeführt), mit dem er jedoch, weil er in konstruktiver Überspitzung etwa für einen einzigen einzelnen Folgesatz bis zu 300 Obersätze voraussetzt, zugleich die Ablösung des (in Frankreich und England sowie im positivistisch-historisch bestimmten Kirchenrecht der frühen Neuzeit fremd bleibenden) Naturrechts als in der Rechtswirklichkeit nicht brauchbar einleitet. Unmittelbare Übernahme von behaupteten Naturrechts-sätzen in die Rechtspraxis finden sich kaum. Bei Darjes und Nettelbladt geht das N. bereits in der Dogmatik des geltenden Rechtes auf. Immanuel Kant steht dem N. kritisch gegenüber. Auch Savigny und die von ihm begründete historische Rechtsschule lehnen das N. als ungeschichtlich ab. Nach 1945 werden kurzfristig naturrechtliche Gedanken wieder aufgegriffen. Problematisch ist das N. deswegen, weil es mit bereits vorausgesetzten ethischen Kriterien an die Wirklichkeit herantritt und aus ihr auswählt, was es für maßgeblich hält. Lit.: Kroeschell, DRG 2,3; Köbler, DRG 31, 144, 145; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4 1978, 245; Schubert, A., Augustins Lex-aeterna-Lehre, 1924; Dulckeit, G., Naturrecht und positives Recht bei Kant, 1932, Neudruck 1973; Arnold, F., Zur Frage des Naturrechts bei Martin Luther, 1937; Thieme, H., Die Zeit des späten Naturrechts, ZRG GA 56 (1936), 202; Thieme, H., Das Naturrecht und die europäische Privatrechtsgeschichte, 1947, 2. A. 1954; Krause, O., Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, Diss. jur. Göttingen 1949 (gedruckt 1982); Stratenwerth, G., Die Naturrechtslehre des Johannes Duns Scotus, 1951; Thieme, H., Natürliches Privatrecht und Spätscholastik, ZRG GA 70 (1953), 230; Flückiger, F., Geschichte des Naturrechts, 1954; Thieme, H., Das Naturrecht und die europäische Privatrechtsgeschichte, 1947, 2. A. 1954; Welzel, H., Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1951, 4. A. 1962; Wieacker, F., Vom heutigen Stand der Naturrechtsdiskussion, 1965; Weigand, R., Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten, 1967; Rüping, H., Die Naturrechtslehre des Christian Thomasius, 1968; Wunner, S., Christian Wolff und die Epoche des Naturrechts, 1968; Weinkauff, H., Der Naturrechtsgedanke in der Rechtsprechung, NJW 13 (1969), 1689; Othmer, S., Berlin und die Verbreitung des Naturrechts in Europa, 1970; Röd, W., Geometrischer Geist und Naturrecht, 1970; Rüping, H., Gottlieb Gerhard Titius und die Naturrechtslehre, ZRG GA 87 (1970), 314; Luig, K., Zur Verbreitung des Naturrechts in Europa, TRG 40 (1972), 539; Naturrecht in der Kritik, hg. v. Böckle, F. u. a., 1973; Teubner, W., Kodifikation und Rechtsreform in England, 1974; Nörr, K., Naturrecht und Zivilprozess, 1976; Sprenger, G., Naturrecht und Natur der Sache, 1976; Carpintero-Benitez, F., Del derecho natural medieval al derecho natural moderno, 1977; Wesener, G., Römisches Recht und Naturrecht, 1978; Link, C., Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979; Luig, K., Der Einfluss des Naturrechts auf das positive Privatrecht im 18. Jahrhundert, ZRG GA 96 (1979), 38; Lipp, M., Die Bedeutung des Naturrechts für die Ausbildung der allgemeinen Lehren, 1980; Christian Wolff 1679-1754, hg. v. Schneiders, W., 1983; Klippel, D., Naturrecht als politische Theorie, (in) Aufklärung als Politisierung, hg. v. Bödeker, H. u. a. 1987, 267; Christian Thomasius 1655-1728, hg. v. Schneiders, W., 1989; Bühler, C., Die Naturrechtslehre und Christian Thomasius 1655-1728, 1989; Doe, N., Fundamental Authority in Late Medieval English Law, 1990; Böhme, H., Politische Rechte des Einzelnen in der Naturrechtslehre, 1993; Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution, hg. v. Dann, O., 1995; Voppel, D., Der Einfluss des Naturrechts auf den usus modernus, 1996; Naturrecht im 19. Jahrhundert, hg. v. Klippel, D., 1997; Recht zwischen Natur und Geschichte, hg. v. Kerregan, F. u. a., 1997; Bruch, R., Ethik und Naturrecht, 1997; Seelmann, K., Theologie und Jurisprudenz, 1997; Wie erkennt man Naturrecht, hg. v. Seifert, J., 1998; Landau, P., Methoden des kanonischen Rechtes in der frühen Neuzeit zwischen Humanismus und Naturrecht, ZNR 21 (1999), 7; Hammerstein, N., Die Naturrechtslehre an den deutschen, insbesondere den preußischen Universitäten, (in) Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, 1998, 3; Scattola, M., Das Naturrecht vor dem Naturrecht, 1999; Drescher, A., Naturrecht als utilitaristische Pflichtenethik?, 1999; Die hallesche Schule des Naturrechts, hg. v. Rüping, H., 2002; Streidl, P., Naturrecht, 2003; Ulmschneider, C., Eigentum und Naturrecht, 2003; Otte, G., Die Naturrechtsrechtsprechung der Nachkriegszeit, 2004; Naturrecht und Staat, hg. v. Klippel, D., 2006; Das Naturrecht und Europa, hg. v. Guz, T., 2007; Wittreck, F., Nationalsozialistische Rechts-lehre und Naturrecht, 2008; Natgural Law and Laws of Nature, hg. v. Daston, L./Stolleis, M., 2008; Kullmann, W., Naturgesetz in der Vorstellung der Antike, besonders der Stoa. Eine Begriffsuntersuchung, 2010; Klippel, D., Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert - Eine Bibliographie - Band 1 1780 bis 1850, 2012; The Threads of Natural Law, hg. v. Contreras, F., 2012; Naturrecht und Staat in der Neuzeit, hg. v. Eisfeld, J. u. a., 2013 |
4683 | Naturrechtler ist der Vertreter des →Naturrechts. Lit.: Krause, D., Naturrechtler des sechzehnten Jahrhunderts, 1982 |
4684 | Naturrechtskodifikation ist die auf →Naturrecht gegründete →Kodifikation an der Wende vom 18. zum 19. Jh. (preußisches Allgemeines Landrecht 1794, französischer Code civil 1804, österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch 1811/1812) Lit.: Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967 |
4685 | Naturschutz ist der Schutz der Natur (natürlichen Landschaft) durch den Staat. Der N. entsteht im 20. Jh. und wird in dessen zweiter Hälfte vom allgemeineren Umweltschutz eingeschlossen. Lit.: Lorz, A., Naturschutzrecht, 1985; Wettengel, M., Staat und Naturschutz, HZ 1993, 2, 335; Naturnutzung und Naturschutz in der europäischen Rechts- und Verwaltungsgeschichte, hg. v. Heyen, V., 1999; Naturschutz und Nationalsozialismus, hg. v. Radkau, J. u. a., 2003; Schmoll, F., Erinnerung an die Natur, 2004; Natur- und Umweltschutz nach 1945, hg. v. Brüggemeier, G. u. a., 2005; Nellessen, K., Umweltschutz als kommunale Aufgabe, 2007; Lorenzen, J., Das Bundesnaturschutzgesetz vom 20. Dezember 1976, 2012; Dirscherl, S., Tier- und Naturschutz im Nationalsozialismus, 2012 |
4686 | Naturwissenschaft ist die auf die Natur im Gegensatz zum menschlichen Geist und die menschliche Gesellschaft oder insgesamt den Menschen bezogene Wissenschaft. Sie beginnt bereits bei den Griechen und gewinnt seit dem 19. Jh. überragende Bedeutung. Lit.: Fried, J., Aufstieg aus dem Untergang, 2001 |
4687 | Navarra ist das Gebiet zwischen Pyrenäen und Ebro, das hauptsächlich von Basken besiedelt wird. 905 wird es Königreich, fällt aber 1026 kurzfristig an Kastilien und gerät seit 1234 unter den Einfluss Frankreichs (1234-1274 Grafen der Champagne, 1284/1291-1328 Frankreich, 1329-1425 Grafen von Evreux). Der südliche Teil wird 1512 von Aragonien erobert und zu Kastilien gezogen. Der nördliche Teil kommt 1589 zu Frankreich. Lit.: Schramm, P., Der König von Navarra (1035-1512), ZRG GA 68 (1951), 110; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,251; Segura Urra, F., Fazer justicia, 2005 |
4688 | Naziregime →Nationalsozialismus |
4689 | Neandertaler ist der nach Funden von 1856 in dem durch industriellen Kalkabbau zerstörten Neandertal bei Mettmann, aus der europäischen Variante (homo Heidelbergensis) des Frühmenschen (homo erectus) hervorgegangene, Kleidung und Schmuck kennende, aber vielleicht vor etwa 30000 Jahren von dem in Afrika entstandenen modernen Menschen verdrängte Hominide. Lit.: Schrenk, F./Müller, S., Die Neandertaler, 2005 |
4690 | Neapel beruht auf einer im 8./7. Jh. v. Chr. von Cumae aus eingerichteten Kolonie, neben der im 5. Jh. eine Neustadt (griech. Neapolis) gebaut wird. Über Römer und Oströmer gelangt es 1057 bzw. 1139 an die Normannen (→Sizilien). 1224 wird es durch Kaiser Friedrich II. Sitz einer Universität. Über Anjou (1266/1268), Aragonien (1435), Piemont (1713), Österreich (1720), die Bourbonen (1735) kommt N. 1860 an Sardinien-Piemont und danach 1861 zu Italien. Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Gunn, P., Neapel, 1964; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren, europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,1,97, 3,1,233, 3,2,2359, 3,3,3218; Rovito, P., Respublica dei togati, 1982; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997; Kiesewetter, A., Die Anfänge der Regierung König Karls II. von Anjou (1278-1295), 1999 |
4691 | Nebenabrede ist die auf Grund der allgemeinen Vertragsfreiheit neben dem notwendigen Inhalt eines Vertrags stehende zusätzliche, den gewöhnlichen Inhalt ergänzende oder sonst abändernde Abrede (lat. [N.] pactum adiectum, z. B. im römischen Recht [lat.] lex commissoria, Wiederkaufsabrede, Bessergebotsabrede). |
4692 | Ne bis in idem (lat.) Nicht zweimal in derselben (Sache) Lit.: Schwarplies, Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Grundsatzes „ne bis in idem“, Diss. jur. Zürich 1970 |
4693 | Necessitas non habet legem (lat.). Not kennt kein Gebot. Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007 (Glosse Expedire zu Digesten 1, 10, 1, § 1) |
4694 | Ne eat iudex ultra petita partium (lat.). Der Richter soll nicht über die Anträge der Parteien hinausgehen. Lit.: Liebs, D. Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007 |
4695 | Neglegentia (lat. [F.]) ist die Nachlässigkeit im spätantiken römischen Schuldrecht (Außerachtlassung der pflichtgemäßen Sorgfalt, Gegenteil der lat. [F.] diligentia). Lit.: Köbler, DRG 63; Negligence, hg. v. Schrage, E., 2001 |
4696 | Negotiorum gestio (lat. [F.]) oder negotium gestum ist die bereits dem klassischen römischen Schuldrecht bekannte, vielleicht aus der Verfahrensführung eines (lat. [M.]) procurator und der Geschäftsführung eines (lat. [M.]) curator entstandene →Geschäftsführung ohne Auftrag, die als kontraktähnliches Verhältnis für den Geschäftsherrn einen Herausgabeanspruch und möglicherweise einen Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsführer und umgekehrt möglicherweise einen Aufwendungserstattungsanspruch des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherrn begründet. Lit.: Kaser §§ 8 I 2e, 44 II; Söllner §§ 9, 18; Köbler, DRG 47; Seiler, H., Der Tatbestand der negotiorum gestiorum gestio, 1968; Wollschläger, C., Die Geschäftsführung ohne Auftrag, 1976; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff. |
4697 | negotium (N.) claudicans (lat.) hinkendes Geschäft (z. B. des beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen) |
4698 | negotium (N.) per aes et libram (lat.) Libralgeschäft mit Erz und Waage |
4699 | Nehrman-Ehrenstrale, David (1695-1769), Malmöer Kaufmannssohn, wird nach dem Rechtsstudium in Lund, Rostock, Halle (Thomasius, Gundling) und Leiden 1720 Professor, 1721 ordentlicher Professor für schwedisches und römisches Recht in Lund und hält als erster schwedische Vorlesungen. 1729 veröffentlicht er die erste, vom römischen Recht gelöste wissenschaftliche Darstellung des Privatrechts Schwedens (Inledning til then swenska iurisprudentiam civilem, Einleitung in die schwedische Zivil-jurisprudenz). Seit 1734 folgt er dem neuen schwedischen Gesetzbuch. Lit.: Modéer, K., Einleitung zu: David Nehrman-Ehrenstrale, Inledning., 1979, 26 |
4700 | Neidingswerk ist im mittelalterlichen nordgermanischen Recht die Missetat oder verächtliche Handlung. Voraussetzung und Folgen sind unterschiedlich. Lit.: Amira, K. v., Die germanischen Todesstrafen, 1922; See, K. v., Altnordische Rechtswörter, 1964; Hemmer, R., Die Missetat im altschwedischen Recht, 1965 |