5681 | Rechtsverweigerung ist die Verweigerung des rechtlich Gebotenen, insbesondere eines rechtlichen Verfahrens durch die zuständige Person. Sie findet sich an unterschiedlichen, vereinzelten Stellen (z. B. sind nach →Lex Salica 57 urteilsverweigernde Rachinburgen bußpflichtig, wird das →Reichskammergericht 1495 für Fälle von R. zuständig (rechtstatsächlich aber nicht allzu häufig) oder kann im Deutschen Bund bei Verweigerung einer gerichtlichen Entscheidung durch die Gerichtsbarkeit die →Bundesversammlung angerufen werden). In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s gewährt die deutsche Verfassung demgegenüber eine Rechtsweggarantie. Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 92, 153, 200; Perels, K., Die Justizverweigerung im alten Reiche, ZRG GA 25 (1904), 1; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege, 1953; Schmitt-Weigand, A., Rechtspflegedelikte in der fränkischen Zeit, 1962; Wollschläger, C., Ungleiche Justizgewähr und Zivilprozesshäufigkeit, FS H. Coing, 1982, 435; Oestmann, P., Rechtsverweigerung im alten Reich, ZRG 127 (2010), 55 |
5682 | Rechtsweisung →Weistum |
5683 | Rechtswidrigkeit (rechtswidrig 1797) ist der Widerspruch zur Rechtsordnung. Die R. erscheint zusammen mit dem Recht. Sie ist besondere Voraussetzung für verschiedene Rechtsfolgen (z. B. Strafe, Schadensersatz). Lit.: Kaser § 36 II 5; Köbler, DRG 204; Wolzendorff, K., Staatsrecht und Naturrecht, 1916; Koch, B., Rechtsbegriff und Widerstand, 1985; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswort-schatzes, 2010 |
5684 | Rechtswissenschaft ist die die rechtliche Sollensordnung betreffende Wissenschaft. R. entsteht als Jurisprudenz (Rechtsklugheit) im klassischen römischen Recht, verliert sich danach aber mit dem Zurücktreten der Rechtskundigen in Rom (3. Jh. n. Chr.) weitgehend. Seit dem Ende des 11. Jh.s wird die R. in Bologna (neu) begründet (→Glossatoren). Von hier breitet sie sich als universitär betriebene Wissenschaft über ganz Europa aus (→Kom-mentatoren, →mos Gallicus, →usus modernus, →Naturrecht, →historische Rechtsschule, →Pandektistik). In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s nimmt die Zahl der rechtswissenschaftlichen Bildungsstätten nochmals sprunghaft zu. Um 1995 gibt es rund 750000 Studierende der R. in Europa. Lit.: Söllner § 11, 16; Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 2, 8, 29, 51, 105, 143, 184, 228, 254; Stintzing, R./Landsberg, E., Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Abt. 1ff. 1880ff., Neudruck 1957, 1978; Jerusalem, F., Kritik der Rechtswissenschaft (1949); Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, hg. v. Wolf, E., 1950; Schmitt, C., Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, 1950; Schulz, F., Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, 1961; Gmür, R., Savigny und die Entwicklung der Rechtswissenschaft, 1962; Rehfeldt, B., Einführung in die Rechtswissenschaft, 1962; Ogris, W., Der Entwicklungsgang der österreichischen Privatrechtswissenschaft, 1968; Coing, H., Die ursprüngliche Einheit der europäischen Rechtswissenschaft, 1968; Philosophie und Rechtswissenschaft, hg. v. Blühdorn, J. u. a., 1969; Stephanitz, O. v., Exakte Wissenschaft und Recht, 1970; Jörgensen, S., Grundzüge der Entwicklung der skandinavischen Rechtswissenschaft, JZ 25 (1970), 529; Kleinheyer, G./Schröder, J., Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. A. 1996, 5. A. 2008; Tarello, G., Storia della cultura giuridica moderna, Bd. 1 1976; Stühler, H., Die Diskussion um die Erneuerung der Rechtswissenschaft von 1780-1815, 1978; Dubischar, R., Theorie und Praxis in der Rechtswissenschaft, 1978; Schröder, J., Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz“ auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, 1979; Köbler, G., Vorstufen der Rechtswissenschaft, ZRG GA 100 (1983), 75; Herberger, M., Rechtswissenschaftsgeschichte, Rechtshistorisches Journal 3 (1984), 150; Gouron, A., La science du droit le Midi, 1984; Historische Soziologie der Rechtswissenschaft, hg. v. Heyen, E., 1986; Juristen in Österreich, hg. v. Brauneder, W., 1987; Rechtswissenschaft in Göttingen, hg. v. Loos, F., 1987; Rechtswissenschaft im NS-Staat. Der Fall Eugen Wohlhaupter, hg. v. Hattenhauer, H., 1987; Radding, C., The Origins of Medieval Jurisprudence, 1988; Bürge, A., Neue Quellen zur Begegnung der deutschen und französischen Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, ZRG GA 110 (1993), 546; Lange, H., Die Anfänge der modernen Rechtswissenschaft, 1993; Rechtswissenschaft in der Bonner Republik, hg. v. Simon, D., 1994; Juristen, hg. v. Stolleis, M., 1995; La science juridique française et la science juridique allemande de 1870 à 1918, hg. v. Beaud, O., 1997; Kiesow, R., Das Naturgesetz des Rechts, 1997; Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste, hg. v. Acham, K. u. a., 1998; Eine deutsch-französische Rechtswissenschaft?, hg. v. Beaud, O. u. a., 1999; Braun, J., Einführung in die Rechtswissenschaft, 3. A. 2007; Sailer, R., Verwissenschaftlichung des Rechts in der Rechtspraxis?, ZRG GA 119 (2002), 106; Der Gestaltungsanspruch der Wissenschaft, hg. v. Acham, K. u. a., 2007; Das Proprium der Rechtswissenschaft, hg. v. Engel, C., 2007; http://www.koeblergerhard.de/werwarwer20020226.htm; Rechtswissenschaft. Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung, Bd. 1ff. 2010ff.; Rechtswissenschaft als juristische Doktrin, 2011; Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft, hg. v. Senn, M., 2012; Winkler, V., Der Kampf gegen die Rechtswissenschaft - Franz Wieackers Privatrehtsgeschichte der Neuzeit, 2013; Wendepunkte der Rechtswissenschaft, hg. v. Heun, W. u. a.,2014 |
5685 | Rechtswohltat →beneficium Lit.: Kaser § 32 III; Wesenberg, G./Wesener, G., Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. A. 1985 |
5686 | Rechtswort →Rechtssprache Lit.: Köbler, DRG 10; Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 1ff. 1914ff.: Freudenthal, K., Arnulfingisch-karolingische Rechtswörter, 1949; Hyldgaard-Jensen, K., Rechtswortgeographische Studien 1, 1964; Schmidt-Wiegand, R., Studien zur historischen Rechtswortgeographie, 1978; Speer, H., Das deutsche Rechtswörterbuch, Historical Lexicography of the German Language 2, hg. v. Goebel, U. u. a., 1991, 675; Köbler, G., Etymologisches Rechtswörterbuch, 1995; Köbler, G., Juristisches Wörterbuch, 13. A. 2004, 14. A. 2007; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
5687 | Rechtszug ist der jeweils einem bestimmten Gericht zugeordnete Verfahrensabschnitt eines Rechtsstreits. Voraussetzung für einen R. ist eine mehrstufige Gerichtsbarkeit. Sie entsteht in Rom seit Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.) und danach wohl neu im Hochmittelalter. Die deutsche ordentliche Gerichtsbarkeit kennt seit 1877/1879 den meist dreistufigen Rechtszug, dem in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s noch die Überprüfung einer Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht und europäische Gerichte nachfolgen kann. Nur in einem weiteren Sinn ist R. auch die Einholung einer Rechtsauskunft bei einer anderen Stelle (z. B →Oberhof). Lit.: Kaser § 87 I 9; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 86; Seelmann, W., Der Rechtszug im älteren deutschen Recht, 1910; Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Jänichen, H., Der Rechtszug im Spätmittelalter am oberen Neckar, Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 15 (1956), 214; Kaufmann, E., Aequitatis iudicium, 1959; Schlosser, H., Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971; Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; Weitzel, J., Der Kampf um die Appellation, 1976; Ebel, F., Statutum und ius fori, ZRG GA 93 (1976), 100; Müller, H., Oberhof und neuzeitlicher Territorialstaat, 1978; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und Recht, 1985 |
5688 | recognitio (lat. F.) Beglaubigung Lit.: Classen, P., Kaiserreskript und Königsurkunde, 1977 |
5689 | Records sind die bis 1731 in lateinischer Sprache geführten Protokolle der Gerichte des →englischen Rechtes (im Gegensatz zu den in Lawfrench gehaltenen reports [der jungen Anwälte] der year books). Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; Baker, J., The Common Law Tradition, 2000 |
5690 | Reconquista (F.) Wiedergewinnung Spaniens durch die Christen gegen die Araber (8.-15. Jh.) Lit.: Lomax, D., Die Reconquista, 1980; Vones, L., Geschichte der iberischen Halbinsel, 1993 |
5691 | Rectitudines (F.Pl.) singularum personarum (lat.) (Rechte einzelner Personen) ist der Name des im →Quadripartitus enthaltenen lateinischen Traktats des frühen englischen Rechtes (Mitte 10. Jh., überarbeitet um 1020?) über die Pflichten der Hintersassen nach Hofrecht. Lit.: Brunner, H., Geschichte der englischen Rechtsquellen, 1909; Loyn, H., Anglo-Saxon England and the Norman Conquest, 1962 |
5692 | rector (lat. M.) Leiter, Richter |
5693 | recuperator (lat. M.) Wiederbeschaffer Lit.: Söllner § 9; Köbler, DRG 19; Schmidlin, B., Das Rekuperatorenverfahren, 1963 |
5694 | recursus (lat. M.) Rücklauf, Rekurs |
5695 | Recursus (M.) ab abusu (lat., Rekurs vom Missbrauch) ist in Frankreich seit dem Spätmittelalter die Beschwerde bei den staatlichen Gerichten gegen den Missbrauch der geistlichen Gewalt. Lit.: Eichmann, E., Der recursus ab abusu, 1903; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983, Kap. 18 |
5696 | Recursus (M.) ad comitia (lat.) (Rekurs zum Reichstag) ist im Heiligen Römischen Reich seit dem Ende des 17. Jh.s die Anfechtung von Urteilen des Reichskammergerichts und des Reichshofrates vor dem Reichstag. Der r. a. c. bleibt meist ohne Auswirkung. Lit.: Sellert, W., Prozessgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat, 1973, 398 |
5697 | Rede ist die Darlegung einer Gedankenfolge gegenüber der Öffent-lichkeit in mündlicher Form. Mit der Kunst der beeindruckenden und möglichst überzeugenden R. befasst sich bereits in der griechischen und römischen Antike die Rhetorik. In England entwickelt sich seit 1688, in den Vereinigten Staaten von Amerika seit 1776 und in Frankreich seit 1789 eine feste Einrichtung der öffentlichen, vor allem im Parlament gehaltenen R. Die ersten modernen politischen Reden in deutscher Sprache finden sich in den nach der französischen Revolution an Frankreich gelangten linksrheinischen Gebieten. Lit.: Politische Reden 1 (1792-1867), 2 (1869-1914), hg. v. Wende, P., 1990 |
5698 | Redefreiheit →Parlament, Meinungsfreiheit |
5699 | reditus, redditus (lat. M.) Rückkehr, Einkunft, Abgabe |
5700 | Redintegranda (zurückzugewährend) ist das Anfangswort eines auf die pseudoisidorischen Dekretalen des 9. Jh.s zurückgehenden canons →Gratians (um 1140), nach dem ein vertriebener Bischof gegen ein Strafverfahren gegen ihn eine Einrede hat, so lange er nicht wieder in sein Amt eingesetzt wird, und jedes Urteil, das vor dieser Wiedereinsetzung ergeht, fehlerhaft ist. Später entwickelt sich über die (lat.) actio (F.) spolii hieraus die Besitzschutzklage. Lit.: Hübner § 29 III 2b; Bruns, C., Die Besitzklagen, 1874 |