5641 | Rechtshistoriker ist der die Rechtsgeschichte untersuchende Wissen-schaftler. Er ist von der Fachzugehörigkeit an sich Historiker, aus praktischen Gründen grund-sätzlich aber ausgebildeter Jurist. Die deutschsprachigen R. treffen sich seit 1927 zweijährlich auf einem an wechselnden Orten abgehaltenen Rechtshistorikertag zu wissenschaftlichen Aussprachen (Heidelberg 1927, Göttingen 1929, Jena 1932, Köln 1934, Tübingen 1936, Marburg 1947, Heidelberg 1949, Gmunden/Traunsee 1951, Würzburg 1952, Hamburg 1954, Freiburg im Breisgau 1956, München 1958, Saarbrücken 1960, Mainz 1962, Wien 1964, Basel 1966, Münster 1968, Salzburg 1970, Erlangen-Nürnberg 1972, Tübingen 1974, Linz 1976, Berlin 1978, Augsburg 1980, Zürich 1982, Graz 1984, Frankfurt am Main 1986, Bielefeld 1988, Nimwegen 1990, Köln 1992, Bern 1994, Wien 1996, Regensburg 1998, Jena 2000, Würzburg 2002, Bonn 2004, Halle 2006, Passau 2008, Münster 2010, Luzern 2012). |
5642 | Rechtsinformatik ist die das Recht betreffende Informationswissenschaft. Sie entsteht mit dem tatsächlichen Einsatz des Rechners im Recht ab etwa 1960. Sie weist Beziehungen zur Rechtstheorie, zur Kybernetik und zur Lingusitik auf. Lit.: Gräwe, S., Die Entstehung der Rechtsinformatik, 2011 |
5643 | Rechtsirrtum ist der Irrtum über die bestehende Rechtslage (z. B. über ein rechtliches Verbot). Bereits das römische Recht berücksichtigt den R. weniger stark als den Irrtum über eine Tatsache. Dies wird im Hochmittelalter von den Juristen fortgeführt, während die Moraltheologen auf die tatsächliche Kenntnis einer Vorschrift abstellen. Auch die neuzeitlichen Kodifikationen halten insgesamt an der Schlechterstellung des Rechtsirrtums fest. Im deutschen Strafrecht der Gegenwart wird die Einsichtsfähigkeit des Täters berücksichtigt. Lit.: Kaser §§ 8 II 4, 26 II 3; Engelmann, W., Die Schuldlehre der Postglossatoren, 1895, Neudruck 1965, 41; Lichti, J., Der Rechtsirrtum, 1950; Mayer-Maly, T., Error iuris, (in) Ius humanitatis, hg. v. Miehsler, H. u. a., 1980, 147; Winkel, L., Error iuris nocet, 1983 |
5644 | Rechtskraft ist formell die Unanfechtbarkeit einer Entscheidung, materiell die Maßgeblichkeit des Inhalts einer Entscheidung. Bereits das spätere römische Recht kennt mit der Mehrstufigkeit des Verfahrens die formelle R. Wieweit das Mittelalter sich der Vorstellung der R. bewusst ist, ist zweifelhaft. Erst mit der Aufnahme des römischen Rechtes seit dem Spätmittelalter wird die R. deutlich sichtbar. Die materielle R. setzt sich nur allmählich in der Neuzeit durch. Zwischen 1933 und 1945 wird die R. im Deutschen Reich teilweise zu Lasten Angeklagter eingeschränkt. Lit.: Kaser §§ 84 II 3a, 87 II 7b; Köbler, DRG 56; Gál, A., Rechtskraft des fränkischen Urteils?, ZRG GA 33 (1912), 315; Schlosser, H., Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971; Sellert, W., Prozessgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat, 1973, 367; Gaul, H., Die Entwicklung der Rechtskraftlehre seit Savigny, FS W. Flume, Bd. 1 1978, 443; Dickhuth-Harrach, H. v., Gerechtigkeit statt Formalismus, 1986; Hanne, N., Rechtskraftdurchbrechungen von Strafentscheidungen im Wechsel der politischen Systeme, 2005 |
5645 | Rechtsmangel (Wort 1525) ist die Nichterfüllung der Verpflichtung, einen Gegenstand frei von Rechten Dritter zu verschaffen. Bereits im klassischen römischen Recht muss der Verkäufer (bei →Entwerung des Käufers) dafür einstehen, dass die Sache nicht von Dritten auf Grund eines Rechtes herausverlangt werden kann und deswegen gegebenenfalls den dop-pelten Kaufpreis (lat. N. duplum) leisten. Im Hochmittelalter muss der Verkäufer den Käufer gegen Ansprüche Dritter auf die verkaufte Sache schirmen und damit gegen Rechtsmangel Gewähr leisten, andernfalls den Kaufpreis erstatten und teilweise noch eine Buße erbringen. Seit dem Ende des 18. Jh.s wird der Verkäufer verpflichtet, das Eigentum zu verschaffen. Lit.: Kaser § 41 V; Hübner 577; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 46, 64, 127, 165; Partsch, G., Zur Entwicklung der Rechtsmängelhaftung des Veräußerers, ZRG GA 77 (1960), 87; Rabel, E., Die Haftung des Verkäufers für Rechtsmängel, Diss. jur. Hamburg 1969; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
5646 | Rechtsmedizin Lit.: Die unglaublichsten Fälle der Rechtsmedizin, hg. v. Rothschild, M, 2005; Auf Messers Schneide, hg. v. Rothschild, M., 2006 |
5647 | Rechtsmissbrauch ist die unberechtigte Ausübung eines an sich bestehenden Rechtes, der mit unterschiedlichen Mitteln vorsichtig begegnet wird (u. a. Treu und Glauben). Die heutige Rechtsmissbrauchslehre wird als Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens eingeordnet. Lit.: Kaser § 4 IV; Köbler, DRG 24; Kroeschell, 20. Jh.; Haferkamp, H., Die heutige Rechtsmissbrauchslehre, 1995 |
5648 | Rechtsmittel ist das rechtliche Mittel, mit dem eine Partei eine ihr ungünstige Entscheidung vor Rechtskraft im Wege der Nachprüfung durch ein höheres Gericht zu beseitigen sucht (z. B. →Berufung, →Revision, Beschwerde, →Appellation). Als erstes allgemeines R. entsteht unter Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.) die Appellation. Seit dem Spätmittelalter werden R. mit dem gelehrten Prozess aufgenommen. Das gewöhnliche R. ist dabei die Appellation, neben der Oberappellation, Revision, →Supplikation und Restitution stehen können. Die →Nichtigkeit (Nullität) wird mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht, doch werden Appellation und Nichtigkeitsklage in der Verfahrenswirklichkeit einander vielfach angenähert. In der deutschen Zivilprozessordnung von 1877/1879 wird das R., das den Rechtsstreit in vollem Umfang zur Neuverhandlung bringt (→Berufung), von dem R., das nur auf die Verletzung des Rechtes gestützt werden kann (→Revision), unterschieden. Gegen Beschlüsse wird die Beschwerde gewährt. Die außerordentlichen R. des gemeinen Rechtes sind als Wiederaufnahmeklage gestaltet. Lit.: Kaser § 87 I 9; Buchda, G., Die Rechtsmittel im sächsischen Prozess, ZRG GA 75 (1958), 274; Gilles, P., Rechtsmittel im Zivilprozess, 1972; Weitzel, J., Der Kampf um die Appellation, 1976; Oer, R. Freiin v., Der münsterische „Erbmännerstreit“, 1998 |
5649 | Rechtsnorm ist der aus →Tatbestand und Rechtsfolge zusammengesetzte einzelne Satz des Rechtes. Die Bezeichnung erscheint im späteren 19. Jh. Lit.: Schumacher, D., Das rheinische Recht, 1970; Oldenburg, S., Die Öffentlichkeit von Rechtsnormen, 2009 |
5650 | Rechtsordnung ist die in eine Ordnung gebrachte Gesamtheit der Rechtsnormen (Rechtssätze) einer Rechtsgemeinschaft. Diese Vorstellung erscheint erst seit der frühen Neuzeit, wird aber von dort aus auf ältere Rechtsgemeinschaften zurückübertragen. Lit.: Hippel, F. v., Die Perversion von Rechtsordnungen, 1955; Conrad, H., Individuum und Gesellschaft in der Privatrechtsordnung, 1956; Kaufmann, E., Aequitatis iudicium, 1959; Krause, H., Königtum und Rechtsordnung, ZRG GA 82 (1965), 1; Emmerich, W., Gemeinschaftsrecht und nationale Rechte, 1971; Wieacker, F., Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung, 1974; Die schweizerische Rechtsordnung, 1988; Börner, F., Die Bedeutung der Generalklauseln, 1989; Baldus, M., Die Einheit der Rechtsordnung, 1995 |
5651 | Rechtspflege →Gericht, →Prozess Lit.: Tezner, F., Verwaltungsrechtspflege in Österreich, 1897ff.; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege, 1953; Wüllner, W., Zivilrecht und Zivilrechtspflege, 1964; Schmidt, E., Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1947, 3. A. 1965; Luig, K., Zivilrecht und Zivilrechtspflege, (in) Panorama der fridericianischen Zeit, Bd. 1, hg. v. Ziechmann, J., 1985, 381; Langen, T., Zur Geschichte der Zivilrechtspflege in Köln, Diss. jur. Köln 1987; Sellert, W./Rüping, H., Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Bd. 1f. 1989ff.; Cesare Beccaria, hg. v. Deimling, G., 1989 |
5652 | Rechtspfleger ist der Beamte des gehobenen Dienstes in Deutschland, dem zur Entlastung des Richters bzw. zur Verbilligung der Rechtspflege im frühen 20. Jh. bestimmte einfachere Aufgaben der Rechtspflege übertragen werden (1957 Rechtspflegergesetz). Lit.: Dumke, D., Vom Gerichtsschreiber zum Rechtspfleger, 1993; Meyer-Stolte, K. u. a., Rechtspflegergesetz, 4. A. 1994; Walden, K., Für Führer, Volk und Vaterland, 1995 |
5653 | Rechtsphilosophie ist die Lehre von den Grundfragen und Grundwerten des Rechtes. Rechtsphilosophische Fragestellungen finden sich spätestens seit der griechischen Philosophie. Die R. entwickelt sich im 19. Jh. aus dem →Naturrecht. Strömungen im 19. Jh. sind vor allem →Idealismus, →Materialismus und →Positivismus, im 20. Jh. →Neuhegelianismus und →Neukantianismus. Lit.: Kroeschell, DRG 3; Rechtsidee und Staatsgedanke, FG Julius Binder, hg. v. Larenz, K. u. a., 1930; Larenz, K., Deutsche Rechtserneuerung und Rechtsphilosophie, 1934; Cairns, H., Legal Philosophy from Plato to Hegel, 1949; Klein-Bruckschwaiger, F., Die Geschichte der Rechtsphilosophie in der Naturrechtslehre von Karl Anton von Martini, ZRG GA 71 (1954), 374; Friedrich, C., Die Philosophie des Rechts, 1955; Friedrich, C., The philosophy of law, 1958; Henkel, H., Einführung in die Rechtsphilosophie, 1964; Sforza, W., Rechtsphilosophie, 1966; Schefold, C., Die Rechtsphilosophie des jungen Marx, 1970; Rode, K., Geschichte der europäischen Rechtsphilosophie, 1974; Recht, Rechtsphilosophie und Nationalsozialismus, hg. v. Rottleuthner, H., 1983; Hellmuth, E., Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Werthorizont, 1985; Thomann, M., Rechtsphilosophie und Naturrecht bei Gottlieb Konrad Pfeffel, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G., 1987, 536; Kants Rechtsphilosophie, hg. v. Kusters, G., 1988; Coing, H., Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5. A. 1993; Strömholm, S., Kurze Geschichte der abendländischen Rechtsphilosophie, 1991; Decker, C., Katalog der rechtsphilosophischen und strafrechtlichen Literatur vor 1990,1995; Zippelius, R., Das Wesen des Rechts, 5. A. 1997; Kaufmann, A., Rechtsphilosophie, 2. A. 1997; Goller, P., Naturrecht, Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie? 1997; Roca, M., Eine europäische Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, JZ 1997, 881; Changing structures in modern legal systems, hg. v. Bulygin, E., 1998; Texte zur Rechtsphilosophie, hg. v. Seelmann, K., Bd. 1 2000; Seelmann, K., Rechtsphilosophie, 4. A. 2007; Grunert, F., Normbegründung und politische Legitimität, 2000; Hofmann, H., Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, 2000, 2. A. 2003; Schröder, I., Zur Legitimationsfunktion der Rechtsphilosophie im Nationalsozialismus, 2002; Integratives Verstehen, hg. v. Alexy, R., 2005; Ziemann, S., Archiv für Rechts- und Sozialphilososphie, 2010; Hofmann, H., Rechtsphilosophie nach 1945, 2012; Klippel, D., Naturrecht und Rechtsphilosophie im 19. Jahrhundert - Eine Bibliographie - Band 1 1780 bis 1850, 2012; Foljanty, L., Recht oder Gesetz, 2012 |
5654 | Rechtspolitik ist die das Recht betreffende Politik. Lit.: Die Renaissance der Rechtspolitik, hg. v. Brigitte Zypries, 2008 |
5655 | Rechtspositivismus ist die das Recht betreffende positivistische Haltung (z. B. John Austin, Georg Jellinek, Hans Kelsen, Herbert L. A. Hart). Sie bezieht sich auf ein hierarchisches System von rein juristischen, positiven und von der gesellschaftlichen Wirklichkeit und damit auch von der Geschichte gelösten Begriffen, aus denen Lösungen gewonnen werden. Die Geltung des Rechtes ist danach unabhängig von subjektiven Wertvorstellungen wie richtig oder falsch. Der Gesetzespositivismus gründet das Recht auf das den Volkswillen verkörpernde →Gesetz. Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 228; Kelsen, H., Reine Rechtslehre, 2. A. 1960; Rottleuthner, H., Rechtspositivismus und Nationalsozialismus, (in) Recht und Politik 1983, 195; Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, hg. v. Dreier, R., 1990; Seibold, G., Hans Kelsen und der Rechtspositivismus, 2007; Gursky, A., Rechtspositivismus und konspirative Justiz als politische Strafjustiz in der DDR 2011 |
5656 | Rechtsprechung ist die Entscheidung konkreter Rechtsfragen durch die dafür zuständige Stelle. Sie reicht sachlich in die Frühzeit der Rechtsgeschichte zurück. →Gericht Lit.: Kroeschell, DRG 3; Stölzel, A., Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, Bd. 1f. 1901ff.; Haff, K., Der germanische Rechtsprecher, ZRG GA 66 (1948), 364; Hertz, F., Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte, MIÖG 69 (1961), 331; Dreisbach, H., Der Einfluss der Carolina auf die Rechtsprechung, Diss. jur. Marburg, 1969; Volkmann, H., Zur Rechtsprechung im Prinzipat des Augustus, 2. A. 1969; Walter, G., Die französische Rechtsprechung, Diss. jur. Frankfurt am Main 1972; Spendel, G., Rechtsbeugung durch Rechtsprechung, 1984; Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800-1945), hg. v. Ranieri, F., 1992; Repertorium ungedruckter Quellen zur Rechtsprechung, Deutschland 1800-1945, hg. v. Dölemeyer, B., 1995; Maiwald, K., Die Herstellung von Recht, 1997 |
5657 | Rechtsquelle ist der Ursprungsort von Rechtssätzen. →Rechtserkenntnisquelle, →Rechtsgeltungsquelle Lit.: Söllner § 15; Richthofen, K. v., Friesische Rechtsquellen, 1840, Neudruck 1960; Stobbe, O., Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 1f. 1860ff., Neudruck 1965; Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, Bd. 1ff. 1894ff.; Brunner, H., Geschichte der englischen Rechtsquellen, 1909, Neudruck 2013; Planitz, H., Quellenbuch der deutschen, österreichischen und Schweizer Rechtsgeschichte, 1948; Buchner, R., Die Rechtsquellen, 1953, Neudruck 1984; Wenger, L., Die Quellen des römischen Rechtes, 1953; Repertorium fontium historiae medii aevi, Bd. 1ff., 1962ff.; Dießelhorst, M., Die Natur der Sache als außergesetzliche Rechtsquelle, 1968; Wolter, U., Ius canonicum in iure civili, 1975; Bühler, T., Rechtsquellenlehre, Bd. 1f. 1977ff.; Jakobs, H., Wissenschaft und Gesetzgebung, 1983; Wiegand, W., Die privatrechtlichen Rechtsquellen, (in) Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, 1987, 237: Schrage, E., Utrumque ius. Eine Einführung in das Studium der Quellen des mittelalterlichen gelehrten Rechtes, 1992; Schröder, J., Recht als Wissenschaft, 2001, 2. A. 2012 |
5658 | Rechtsrealismus Lit.: Twining, W., Kalr Llewellyn and the Realist Movement, 1973, 2. A. 2012 e-book |
5659 | Rechtsreformation →Reformation |
5660 | Rechtssatz →Rechtsnorm |