4801 | Noterbe (Noterbenrecht 1831) ist der Erbe, der wegen Enterbung nur den Pflichtteilsanspruch erhält. Der N. entwickelt sich im römischen Recht, in dem die formelle Nichterwähnung der (lat.) sui heredes (M.Pl.) das Testament ungültig werden (formelles Noterbrecht) oder den Über-gangenen am Erbe teilhaben lässt, bzw. etwa seit der Zeitenwende die materielle Nichtberücksichtigung die (lat.) querela (F.) inofficiosi testamenti (Beschwerde des pflichtwidrigen Testaments) gewährt (materielles Noterbrecht). Die nachklassische Praxis lässt bei teilweiser Zuwendung (nur) die Klage auf Pflichtteilsergänzung zu. Justinian verbindet formelles Noterbrecht und materielles Noterbrecht 542 miteinander. Seit dem Spätmittelalter wird das römische Recht im Heiligen Römischen Reich aufgenommen. Der Kreis der Pflichtteilsberechtigten (Noterben) und der Umfang des Pflichtteils (Noterbrechts) schwankt. Lit.: Kaser § 69 I; Hübner 776, 795; Wesener, G., Geschichte des Erbrechts in Österreich, 1957, 170; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechts-wortschatzes, 2010 |
4802 | Notgeld ist das bei Mangel an Zahlungsmitteln in Krisenzeiten behelfsmäßig ausgegebene →Geld. Es findet sich bereits im 15. Jh. Bedeutung erlangt es vor allem nach dem ersten Weltkrieg. Lit.: Deutsches Notgeld 12, 2011 |
4803 | Nötigung ist das Zwingen eines anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer nicht gewollten Handlung, Duldung oder Unterlassung. Gegenüber verschiedenen Einzelfällen wird die N. als allgemeiner Straftatbestand erst spät erfasst. Lit.: His, R., Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina 1928, Neudruck 1967, 138; Balthasar, S., Die Tatbestände der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung, 2001; Offenloch, W., Erinnerung an das Recht – Der Streit um die Nachrüstung, 2005 |
4804 | Notitia (lat. [F.] Nachricht) ist im Frühmittelalter die objektiv gefasste, nach Heinrich Brunner angeblich im Gegensatz zur dispositiven, subjektiv gefassten (lat.) carta (F.) nur beweisbedeutsame Urkunde. Lit.: Köbler, LAW; Brunner, H., Abhandlungen zur Rechtsgeschichte, hg. v. Rauch, K., Bd. 1 1931, 458; Johanek, P., Zur rechtlichen Funktion von Traditionsnotiz, Traditionsbuch und früher Siegelurkunde, (in) Recht und Schrift im Mittelalter, hg. v. Classen, P., 1977, 131 |
4805 | Notker (der Deutsche) von St. Gallen (um 950-Sankt Gallen 29. 6. 1022) ist der bedeutendste Schriftsteller des Althochdeutschen. In deutschlateinischer Mischprosa übersetzt er verschiedene geistliche und weltliche Schriften aus dem Lateinischen. Dabei erfasst er auch rhetorische Grundfiguren (z. B. in der Gerichtsrede) und zeigt damit eine Vorstufe der Rechtswissenschaft in Deutschland auf. Lit.: Köbler, DRG 79, 82; Die Schriften Notkers und seiner Schule, hg. v. Piper, P., Bd. 1ff. 1982ff.; Köbler, G., Stadtrecht und Bürgereinung bei Notker von St. Gallen, 1974; Köbler, G., Vorstufen der Rechtswissenschaft, ZRG GA 100 (1983), 75; Ochsenbein, P./Schmuki, K., Die Notkere im Kloster St. Gallen, 1992; Scherabon Firchow, E., Notker der Deutsche, 2000 |
4806 | Notorietät (F.) Offenkundigkeit |
4807 | Notstand ist der Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, dessen Abwendung nur auf Kosten fremder Interessen möglich ist. Schon im römischen Recht befreit der N. in Einzelfällen von Strafe. Ähnliches gilt im Mittelalter. Danach befasst sich Art. 166 der Constitutio Criminalis Carolina (1532) mit dem Stehlen in Hungersnot. Erst im 20. Jh. wird der N. strafrechtlich schärfer erfasst. Privatrechtlich schließt schon das römische Recht einzelne Handlungen von einer Ersatzpflicht aus. Erst im 19. Jh. wird dies wissenschaftlich verallgemeinert und danach in den §§ 228, 904 in das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (1900) aufgenommen. Der übergesetzliche N. wird 1927 vom Reichsgericht Deutschlands für den medizinisch indizierten Schwanger-schaftsabbruch anerkannt. Staatsrechtlich wird in Deutschland der N. in der Verfassung 1968 gesetzlich geregelt. Seit 1975 enthält das Strafgesetzbuch Deutschlands (aus utilitaristischen Erwägungen) eine Vorschrift über den rechtfertigenden Notstand. Lit.: Kaser § 36 II 5; Kroeschell, DRG 2; Titze, H., Die Notstandsrechte, 1897; Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961, 653, 830; Curschmann, F., Hungersnöte im Mittelalter, 1900, Neudruck 1970; Würzburger, J., Das Recht des strafrechtlichen Notstandes, 1903; Janka, K., Der strafrechtliche Notstand, 1878; Rabe, K., Die Entwicklung des Notstands, Diss. jur. Göttingen 1930; Henkel, H., Der Notstand, 1932; Walter, H., Das Staatsnotrecht, Diss. jur. Göttingen 1937; Benda, E., Die Notstandsverfassung, 10. A. 1968; Ungern-Sternberg von Pürkel, J., Untersuchungen zum spätrepublikanischen Notstandsrecht, 1970; Wacke, A., Notwehr und Notstand, ZRG RA 106 (1989), 469; Blomeyer, P., Der Notstand in den letzten Jahren von Weimar, 1999; Esklony, D., Das Recht des inneren Notstands, 2000; Pawlik, M., Der rechtfertigende Notstand, 2002 |
4808 | Notstandsgesetze ist die Sammelbezeichnung für die Gesamtheit der 1968 in Zusammenhang mit einer Verfassung für den Fall eines Staatsnotstandes geschaffenen einfachen Bundesgesetze der Bundesrepublik Deutschland (z. B. Ernährungssicherstellungsgesetz, Schutzbaugesetz, Abhörgesetz). Lit.: Bender, E., Die Notstandsverfassung, 10. A. 1968 |
4809 | Nottestament ist ein in besonderer Gefahrensituation (z. B. Krieg, Krankheit) in vereinfachter Form zu errichtendes →Testament, das seit 1888 als N. bezeichnet wird. In Österreich wird 2004 das N. vereinheitlicht. Lit.: Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff. |
4810 | Nottingham am Trent erscheint im 6. Jh. (Snotingaham). 1155 wird sein Stadtrecht bestätigt. 1881/1948 erhält es eine Universität. Lit.: Barley, M./Straw, I., Nottingham, 1969 |
4811 | Notverordnung ist die (für Notfälle gedachte, die Gewaltenteilung durchbrechende) →Verordnung mit Gesetzeskraft. Sie findet sich bereits im ausgehenden 18. Jh. (England 1766, Baden 1818, Württemberg 1819, Österreich Kremsierer Entwurf 1849. Märzverfassung 1849, Februarverfassung 1861, Dezemberverfassung 1867 Notverordnungsrecht des Kaisers, 1914/1917 auch der Regierung, 1929 des Bundespräsidenten), danach sehr häufig beispielsweise auf Grund des deutschen Ermächtigungsgesetzes vom 4. 8. 1914 in der Zeit des ersten Weltkriegs und auf Grund des Art. 48 II der Weimarer Reichsverfassung in der Weimarer Republik (1931 41, 1932 60 Notverordnungen). Lit.: Köbler, DRG 174, 231, 243; Kroeschell, 20. Jh.; Spiegel, L., Die kaiserlichen Verordnungen, 1893; Friedmann, A., Geschichte und Struktur der Notstandsverordnungen, 1903; Gather, H., Das Notstandsrecht, Diss. jur. Köln 1963; Hasiba, G., Das Notverordnungsrecht in Österreich, 1985; Maltschew, R., Der Rückerwerb eigener Aktien, 2004 |
4812 | Notweg ist die Verpflichtung eines Eigentümers eines Grundstücks, die Benutzung seines Grundstücks zum Durchgehen, Durchfahren oder Durchreiten durch den Eigentümer eines anderen Grundstücks, dem ohne Verschulden seines Eigentümers die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt, gegen Entschädi-gung zu dulden. Der N. ist als nachbarrechtliche Eigentumsbeschränkung bereits dem römischen Recht bekannt. Er findet sich auch im Mittelalter und in der Neuzeit. Lit.: Kaser § 23 III 3; Hübner § 37; Buch, G., Der Notweg, 1919; Caroni-Rudolf, K., Der Notweg, Diss. jur. Bern 1969; Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 3 1973, 192; Eggensperger, A., Notwegrecht, Diss. jur. Würzburg 2000 |
4813 | Notwehr (Wort um 1150) ist die Vertei-digung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren. Bereits im römischen Recht ist es erlaubt, Gewalt mit Gewalt zurückzuweisen. Im Frühmittelalter erscheint die N. ansatzweise, im Hochmittelalter und Spätmittelalter häufiger (→Schwabenspie-gel um 1275). Seit dem Ende des 18. Jh.s wird die N. von der Verteidigung von Leib und Leben auf jedes Rechtsgut ausgedehnt (Preußen 1794). Lit.: Kaser § 36 II 5; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 87, 119, 158, 208; Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961; His, R., Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, 1928, Neudruck 1967, 34; Hellbling, E., Versuch, Notwehr und Mitschuld, FS H. Eichler, 1977, 241; Koch, B., Rechtsbegriff und Widerstandsrecht, 1985; Wacke, A., Notwehr und Notstand, ZRG RA 106 (1989), 469; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010 |
4814 | Notzivilehe ist die bei Verweigerung der Eheschließung wegen eines kirchenrechtlichen Ehehindernisses mögliche weltliche Eheschließung (z. B. in Österreich 25. 5. 1868 Eherechtsgesetz, 1870 relative N. für keiner anerkannten Kirche angehörende Menschen). Lit.: Floßmann, U., Österreichische Privatrechtsgeschichte, 5. A., 2005; Hoke, R., Österreichische und deutsche Rechtsgeschichte, 2. A. 1996 |
4815 | Notzucht ist eine ältere, in Deutschland 1973, in Österreich 1989 und in der Schweiz 1992 aufgegebene Bezeichnung für die Vergewaltigung einer Frau (lat. oppressio [F.], violentia [F.]), die ihrerseits seit dem 16. Jh. das noch ältere (ahd.) notnumft verdrängt. Lit.: Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961, 664; Wahl, G., Zur Geschichte des Wortes Notzucht, Z. f. d. P. 9 (1907), 7; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 2 1935, 150; Brundage, J., Law, Sex and Christian Society, 1987; Künzel, C., Unzucht – Notzucht – Vergewaltigung, 2003 |
4816 | novale (lat. [N.]) Neubruch |
4817 | Novatio (lat. [F.]) ist im klassischen römischen Recht die →Novation, Schuldneuschaffung oder Schulderneuerung. Lit.: Kaser § 54 I; Tolkmitt, W., Die Theorie der Novation im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts, Diss. jur. Göttingen 1968 |
4818 | Novation (lat. [F.] →novatio) ist bereits im klassischen römischen Recht die Schulderneuerung, bei der infolge einer →Stipulation die alte Schuld (Obligation) mit allen Nebenrechten erlischt und durch eine neue Schuld (Obligation) ersetzt wird (z. B. Auswechslung des Gläubigers oder Schuldners, eine Sonderform ist die [lat.] stipulatio [F.] Aquiliana). Die N. wird seit dem Hochmittelalter wieder belebt. Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) wird sie nicht mehr erwähnt. Lit.: Söllner § 9; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 43, 215; Apathy, P., Animus novandi, 1975; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, 432, 449, 530 |
4819 | Novel disseisin ist im englischen Recht die von König Heinrich II. (1133-1189) eingeführte Klage des widerrechtlich aus seinem Besitz Vertriebenen (disseised). Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; Sutherland, D., The Assize of Novel Disseisin, 1973 |
4820 | Novelle (lat. [F.] novella [lex]) ist das ein Gesetz in Einzelfragen ergänzende oder abändernde neue Gesetz. Insbesondere werden die nach dem →Codex des Jahres 534 von →Justinian erlassenen (neuen), durch drei verschiedene Sammlungen überlieferten Gesetze als Novellen (zitiert z. B. als Nov. 99,2) bezeichnet. Lit.: Söllner §§ 22, 23; Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 43; Köbler, DRG 54; Noailles, P., Les collections de novelles, Bd. 1f. 1912ff.; Wal, N. v. d., Manuale novellarum, 1964; Dilcher, H., Die sizilianische Gesetzgebung, 1975; Dölemeyer, B., Die Revision des ABGB durch die drei Teilnovellen, Ius commune 6 (1977), 274; Novella Constitutio, hg. v. Loken, J. u. a., 1990; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997 |