Köbler, Gerhard, Zielwörterbuch integrativer europäischer Rechtsgeschichte, 6. Auflage 2014, 201904010. Fassung
(14300 Absätze, 794500 Wörter, 5741000 Zeichen)

 

A

A. A. (lat. [M.]) ist die Abkürzung für den abstrakt Aulus Agerius genannten Kläger des römischen →Formularprozesses.

Lit.: Söllner § 9

Aachen ist der ohne nachweisbare Kon­tinuität zu einer römischen Siedlung an den Ausläufern des Hohen Venn 765/766 als fränkische königliche →Pfalz erscheinende Ort, der nach der Reichsteilung 843/877 in eine Randlage gerät. Von 936 (Otto I.) bis 1531 (Ferdinand I.) ist es Krönungsstätte der deutschen Könige (mit Thronsetzung auf einen Marmorthron). 1071 wird A. (lat. [N.]) oppidum genannt, 1087 werden [lat. M. Pl.) cives erwähnt. In den 1120er Jahren kommt ein Stadtsiegel auf. 1166 erhält A. besondere Rechte. Die 1192 neben der Gesamtheit der Bürger nachweisbaren →Schöffen ent­wickeln sich seit 1134 (?) zu einem bedeutenden →Oberhof für teilweise bis zu 200 meist aus Reichsgut stammende Gerichte. Bis 1254 wird A. freie →Reichsstadt (Reichslandstadt) bis zur Besetzung durch Frankreich (1794). Über Preußen (1815) gelangt es 1946 zu Nordrhein-Westfalen.

Lit.: Loersch, H., Achener Rechtsdenkmäler, 1871; Schwabe, W., Der Aachener Oberhof, 1924; Schwabe, W., Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 47 (1925), 48/49 (1926/1927); Herkens, R., Der Anspruch Aachens auf Krönung der deutschen Könige nach 1531, Diss. jur. Bonn 1959; Regesten der Reichsstadt Aachen, bearb. v. Mummenhoff, W. u. a., 1961ff.; Falkenstein, L., Der „Lateran“ der karolingischen Pfalz zu Aachen, 1966; Aachener Urkunden, bearb. v. Meuthen, E., 1979; Kraus, T., Jülich, Aachen und das Reich, 1988; Die Aachener Stadtrechungen des 15. Jahrhunderts, bearb. v. Kraus, T., 2004; Herrmann, T., Anfänge kommunaler Schriftlichkeit, 2006; Tschacher, W., Königtum als lokale Praxis, 2010; Aachen, hg. v. Kraus, T., Bd. 1f. 2011ff.

Aargau ist das um die Aare gelegene Land, das als A. 763 erstmals erscheint. 1415 erobert die Eidgenossenschaft der →Schweiz Teile des Gebiets. 1798/1803 wird daraus der Kanton A., der 1831 eine liberale Verfassung erhält.

Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Merz, W. u. a., Die Rechtsquellen des Kantons Aargau, Teil 1ff. 1898ff.; Merz, W., Mittelalterliche Burganlagen und Wehrbauten des Kantons Aargau, 1906; Nabholz, H., Der Aargau nach dem habsburgischen Urbar, Argovia 33 (1909); Dubler, H., Der Kanton Aargau und das Bistum Basel, 1921; Merz, W., Die Jahrzeitbücher der Stadt Aarau, Teil 1f. 1924ff.; Merz, W., Geschichte der Stadt Aarau im Mittelalter, 1925; Aargauer Urkunden, Teil 1f. 1931ff.; Strebel, K., Die Verwaltung der freien Ämter im 18. Jahrhundert, 1940; Werder, M., Die Gerichtsverfassung des aargauischen Eigenamtes, 1941; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,440; Geissmann, H., Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für den Kanton Aargau (1847-1855), 1991

Abandon ist die wohl im spätmittelalterlichen italienisch-französischen Seerecht entstehende Möglichkeit der Aufgabe der Rechte an einem Gegenstand, um Haftungsfreiheit bzw. später Versicherungsleistung zu erlangen. Der A. erscheint erstmals in einem Statut der Stadt Kampen vom 14. 2. 1372. Im 19. Jh. findet der A. Eingang in das Recht der juristischen Personen des Gesellschaftsrechts.

Lit.: Hantke, G., Der Abandon, 1912; Rehme, P., Geschichte des Handelsrechts, 1913; Helberg, O., Der Abandon in der Seeversicherung, 1925; Martin, L., L’abandon, 1957; Landwehr, G., Prinzipien der Risikotragung beim Seefrachtvertrag, (in) Wirkungen europäischer Rechtskultur, 1997, 595

abdingbar (Adj.) durch Vereinbarung abänderbar

Lit.: Kähler, L., Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, 2012

Abecedarium (bzw. Promptuarium, Remissorium, Vocabularium) ist das auf Grund antiker Gedankengänge seit dem 13. Jh. entstehen­de alphabetisch geordnete Sammelwerk eines Rechtsgebiets (römisches Recht, kirchliches Recht, um 1400 Greifswalder A. für →Sachsenspiegel und Sachsenspiegelglosse mit 7 Handschriften, 1402 Preetzer A., 1414ff. A. von Achte bis Wunden, vor 1421ff. Schlüssel des Landrechts, 1. H. 15. Jh. Rechtsabecedarium der 2200 Artikel, E. 15. Jh. Erlanger Promptuarium mit etwa 1400 Artikeln, 1490-1493 Remissorium Kaspar Popplaus).

Lit.: Steffenhagen, E., Das Preetzer Abecedarium mit dem Richtsteig Landrechts, Z. d. Ges. f. Schleswig-Holstein-Lauen­burgische Gesch. 22 (1892), 297; Die Rechtssumme Bruder Bertholds, hg. v. Hamm, M. u. a., 1980, 143ff.; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 77

Abendmahlsprobe ist die an das christliche Abendmahl anknüpfende Form des →Gottesurteils.

Aberacht ist die seit dem Hochmittelalter belegte, nach fruchtlosem Verstreichenlassen einer Frist von →Jahr und Tag eintretende Verstärkung der →Acht.

Lit.: Siuts, H., Bann und Acht, 1959

Aberdeen am Don in Schottland wird um 1130 Sitz eines Bischofs und 1494/1495 Sitz einer Universität.

Lit.: Keith, A., A thousand Years of Aberdeen, 1972; The Aberdeen Stylebook 1722, hg. v. Meston, M./Forte, A., 2000

Aberglaube (15. Jh. in Glosse zum Sankt Trudperter Hohenlied) ist der von einem herrschenden Glauben als abwegig verwor­fene Glaube (lat. [F.] superstitio).

Lit.: Feine, J., Der Aberglaube, 1857; Schefold, K. u. a., Der Aberglaube im Rechtsleben, 1912; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v. Bächtold-Stäubli, H., Bd. 1ff. 1927ff., Neudruck 1987, digitalisierte Fassung 2006; Freytag, N., Aberglauben im 19. Jahrhundert, 2003; Hersperger, P., Kirche, Magie und Aberglaube, 2010

Abfall ist der nach Nutzung einer Sache verbleibende, nicht mehr genutzte oder nutz­bare Rest (z. B. Knochen, Verpackung, Altöl). Zum Wohl der Gesellschaft muss er vor allem in den Städten gesammelt und zunächst gelagert (deponiert), nach seiner großen Vermehrung seit der zweiten Hälfte des 20. Jh.s aus wirtschaftlichen Überlegungen aber vor allem auch wiederverwertet werden.

Lit.: Abfall, hg. v. Rusterholz, P./Moser, R., 2004; Evans, D., Vershwendung – Wie aus Nahrung Abfall wird, 2017

Abgabe ist die Leistung von Gegenständen an die Allgemeinheit, an eine besondere Ein­richtung oder an besondere Einzelne. Die rechtliche Grundlage der A. ist verschieden. Meist beruht die A. auf einer Pflicht zur Unterstützung als Gegenleistung für einen Schutz oder eine Gebrauchsmöglichkeit. In der Naturalwirtschaft besteht die A. in Sachen, in der Geldwirtschaft in Geld. 1919 fasst das Deutsche Reich das Recht der Abgaben in der Reichsabgabenordnung (Enno Becker, u. a. Beginn der Überführung des Steuerstrafrechts aus dem Verwaltungs­straf­recht in das Kriminalstrafrecht) zusammen, die 1976 im Sinne eines Mantelgesetzes für die Abgaben erneuert wird.

Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Pöhlmann, C., Was ist Seltertum, ZRG GA 55 (1935), 243; Becker, A., Was ist Seltertum, ZRG GA 56 (1936), 398; Löning, G., Muntepenninge, ZRG GA 59 (1939), 273; Müller, W., Die Abgaben von Todes wegen in der Abtei St. Gallen, 1961; Henning, F., Dienste und Abgaben der Bauern im 18. Jahrhundert, 1969; Steuern, Abgaben und Dienste, hg. v. Schremmer, E., 1994; Giese, F., Abgabenordnung im Dritten Reich, 1998; Gehm, M., Die steuerstrafrechtlichen Bestimmungen in der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919, 2010

Abgeordneter ist allgemein der durch eine Anordnung an eine Stelle Gesetzte, insbeson­dere der Volksvertreter im Parlament. Er ist nach dem vorzugswürdigen Grundsatz des freien Mandats nicht an den Willen der ihn Abordnenden gebunden (so aber DDR 1968), sondern in seiner Entscheidung nur seinem Gewissen und der Verantwortung für die Gesamtheit unterworfen. In Österreich führt die Februarverfassung des Jahres 1861 ein von den Landtagen besetztes Abgeordneten­haus als zweite Kammer des Reichsrats neben dem Herrenhaus ein (1873 direkte Wahl, wegen des Nationalitäten­konflikts zeitweise handlungsunfähig, 12. 11. 1918 letzte Sitzung).

Lit.: Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, bearb. v. Best, H. u. a., 1996

Abkürzung ist die aus Zweckmäßigkeits­gründen gekürzte Form einer Gegebenheit (z. B. eines Wortes oder Weges).

Lit.: Kirchner, H., Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. A. 2008; Schuler, P., Abkürzungs­lexikon, 2007 (vom Verlag zurückgezogen); Frenz, T., Abkürzungen. Die Abbreviaturen der lateinischen Schrift, 2010; Froesch, H., Lexikon lateinischer Abkürzungen, 2014

Ablass ist die in Nordspanien und Südfrankreich im 11. Jh. (u. a. Clermont 1095 Ablass für Teilnahme am Kreuzzug, 1187 für geldliche Förderung eines Kreuzzugs, um 1300 von Verbindung zu Kreuzzügen gelöst) in der christlichen →Kirche aus der Bitte um Vergebung und Nachlass einer Folge (Buße) entstehende, auch vor Gott verbindliche Befreiung von zeitlichen Sündenfolgen. Die ältesten Ablässe begnügen sich mit einem Erlass von 20 oder 40 Tagen Buße. Die zahlenmäßige und artmäßige Erweiterung führt bereits im 13. Jh. zu scharf gerügten Missständen. Der Kauf von A. (auch für Verstorbene) wird ein wichtiger Anlass für die reformatorischen Ziele (John Wyclifs, Johannes Hus’ und) Martin →Luthers. Nach gegenwärtigem Verständnis der katholischen Kirche ist A. Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld bereits getilgt ist (can. 992 CodIurCan 1983).

Lit.: Paulus, N., Geschichte des Ablasses im Mittelalter, Bd. 1f. 1922f.; Köhler, W., Dokumente zum Ablassstreit von 1517, 2. A. 1934; Poschmann, B., Der Ablass, 1948; Bornkamm, H., Thesen, 1967; Ehlers, A., Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter, 2007; Hamm, B., Ablass und Reformation, 2016; Laudage, C., Das Geschäft mit der Sünde, 2016

Ablösungsgesetzgebung ist die Gesetz­gebung des 19. Jh.s zur Beseitigung grund­herrschaftlicher Rechte bzw. aufgespalteten Eigentums mit oder ohne Entschädigung zwecks Förderung wirtschaftlicher Entwick­lung und aufgeklärter Gedanken. Dazu erlässt nach der Aufhebung aller Frondienste, Zehnten und anderen Feudalrechte durch die Nationalversammlung Frankreichs am 4. 8. 1789 der Staat →Preußen am 9. 10. 1807 das Edikt betreffend den erleichterten Besitz des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner, das die persönliche Ab­hängigkeit der →Bauern von den →Grund­herren entschädigungslos auf­hebt. Dem fol­gen am 14. 9. 1811 zwecks Aufhebung der auf privatrechtlichen Titeln beruhenden dinglichen Abhängigkeit das Edikt, die Rechte der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse (Regulierungsedikt) betreffend und das Edikt zur Beförderung der Landeskultur (Landeskulturedikt), nach denen der Bauer auf Antrag eines Beteiligten Eigentum an dem von ihm bewirtschafteten Hof erhält, wofür er als erblicher Besitzer ein Drittel, als nicht­erblicher Besitzer die Hälfte des Grundes dem Grundherrn überlassen oder eine dauernde Rente zahlen muss. Dadurch werden viele Bauern überfordert, so dass sie ihr neues Eigentum aufgeben müssen. Um dies zu vermeiden, richten Sachsen und Kurhessen (1832) öffentliche →Renten­banken ein, die dem Grundherrn den Ablösungsbetrag in Rentenbriefen entrichten und dadurch den Bauern die Tilgung der Ablöseschuld in 40 bis 60 Jahren ermöglichen. Abgelöst werden auf Grund wirtschaftlicher Überlegungen auch die Nutzungsrechte der Bauern in staatlichen oder grundherrschaftlichen Wäldern (Hessen 1814, Preußen 1821).

Lit.: Danckelmann, B., Die Ablösung der Waldgrundgerechtigkeiten, Bd. 1f. 1880ff.; Knapp, G., Die Bauernbefreiung, 1887

Abmeiern ist das (vorzeitige) Beendigen des grundherrschaftlichen →Meierrechts durch den Grundherrn in Niedersachsen und Ost­westfalen seit dem 14. Jh. Seit 1597 (Salzduhmscher Landtagsabschied) wird das A. vor allem aus fiskalischen Überlegungen verrechtlicht (Meierordnungen, z. B. Calen­berg 1772), mit der →Bauernbefreiung durch Ersetzung des Meierrechts durch Eigentum beseitigt.

Lit.: Pfeiffer, B., Das deutsche Meierrecht, 1855; Wittich, W., Die Grundherrschaft in Nordwest­deutsch­land, 1896; Mohr, W., Die Abmeierung, 1942; Turner, G., Das Calenberger Meierrecht, 1961

Abschichtung ist die (dem römischen Recht unbekannte) vermögensrechtliche Verselb­ständigung eines Kindes bei (tatsächlichem) Ausscheiden aus dem Hausverband. Sie betrifft im Mittelalter fast nur Söhne. Der Sohn kann A. verlangen, sobald er „zu seinen Jahren kommt“ (d. h. mündig wird). Regelmäßig wird der Sohn abgeschichtet, wenn er bei Eheschließung einen selb­ständigen Haushalt gründet. Mit der A. erlischt die väterliche Herrschafts- und Schutzgewalt. Die Teilungs­quote ist unterschiedlich (z. B. Kopfteil vom Ganzen, Sohneskopfteil von der Hälfte). Die A. wird in Österreich durch (den Codex Theresianus von 1766 und) das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 (vollständig 1919), im deutschen Reich durch das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896/1900 und im Schweizer Recht durch das Zivilgesetzbuch von 1907/1911 durch das Erreichen der Vogtbarkeit bzw. der Großjährigkeit bzw. der Volljährigkeit ersetzt

Lit.: Hübner 702; Adler, S., Eheliches Güterrecht und Abschichtungsrecht, 1893; Knothe, H., Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen, 1980; Schumacher, S., Das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern, 1999

Absetzung ist die Entfernung eines Menschen aus einer Tätigkeit und eines Wertes aus einem Vermögen (z. B. Absetzung für Abnutzung). Die A. eines Amtsträgers begegnet schon früh (z. B. Vertreibung des römischen Königs). Sie wird in der Neuzeit verrechtlicht.

Lit.: Bund, K., Thronsturz und Herrscherabsetzung im Frühmittelalter, 1979; Krah, A., Absetzungsverfahren, 1987; Rexroth, F., Tyrannen und Taugenichtse, HZ 278 (2004), 27; Wallner, M., Zwischen Königsabsetzung und Erbreichsplan, 2004; Schubert, E., Königsabsetzung im deutschen Mittelalter, 2005

Absicht ist der unmittelbar auf den Erfolg als Ziel gerichtete Wille des Täters. Das römische Recht kennt den (lat. [M.]) dolus als Bezeichnung eines Verschuldens. Im Mittelalter wird der auf den Erfolg als Ziel gerichtete Wille oft durch (lat.) animo deliberato, cum deliberato consilio, contumaciter, dolose und (mhd.) geverlich oder mutwillig beschrieben. Folgen zieht in erster Linie das im Bewusstsein der Rechts­widrigkeit gewollte Unrecht nach sich. Im 20. Jh. wird die für den deliktischen Vorsatz das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit verlangen­de Vorsatztheorie (Binding 1877) im Straf­recht durch die als subjektive Voraussetzung der Rechtswidrigkeit bereits die Möglichkeit der Einsicht in das Verbotensein der Tat ge­nügen lassende Schuldtheorie (Kohlrausch 1903, Carl Schmitt 1910) verdrängt.

Lit.: Mayer, M., Die schuldhafte Handlung und ihre Arten im Strafrecht, 1901; Schmitt, C., Über Schuld und Schuldarten, 1910 His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, Neudruck 1964, 68ff.; Beul, C., Si mensor falsum modum dixerit, 1998

absolut (Adj. bzw. Adv.) vollständig, unbe­dingt, uneinge­schränkt, gegen jedermann wirkend (Ge­gensatz relativ)

absolutio (F.) ab instantia →Instanzentbindung

Absolutismus ist die im Einzelnen sehr vielfältige Herrschaftsform, bei welcher der Inhaber der Herrschaftsgewalt (Monarch) dem Untertanen gegenüber grundsätzlich unbe­dingte (absolute, unbeschränkte) Macht hat. Der frühe A. entwickelt sich in Spanien, Frankreich und England bis zum Ende des 15. Jh.s. Unterstützt wird der A. durch theoretische Ansichten, welche die Ent­theologisierung der Herrschaft und die Unteilbarkeit der Staatsgewalt fordern (→Machiavelli, Nicolò [1469-1527], Il principe, 1513, →Bodin, Jean [1529-1596], Les six livres de la République, 1576, [lat.] maiestas est summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas, die maiestas ist die [zeitlich unbegrenzt] gegenüber den Bürgern und Untertanen bestehende höchste und von den Gesetzen [nicht aber von göttlichem Recht, Naturrecht, Fundamentalgesetzen] losgelöste Gewalt). Begünstigt wird der A. dadurch, dass die Stände vielfach konfessionell gespalten sind und deswegen den Frieden in einem Land nicht sichern können. Mittel zur Durchsetzung der absoluten Herrschaft werden die Aufstellung eines stehenden Heeres, der Aufbau einer allein vom Herrscher abhängigen Beamtenschaft und die Einführung eines Staatswirtschaftssystems. Voraussetzung des A. ist die Entmachtung des →Adels hinsichtlich der Mitwirkung (bzw. formaler Mitspracherechte [Ersetzung durch informale Verständigung]) bei der →Landes­herrschaft (in der Regel ohne Änderung der förmlichen Rechtsgrundlage der Herrschaft, z. B. Habsburg bzw. Österreich seit 1620). Der Höhepunkt des A. wird unter Ludwig XIV. (1643-1715) in →Frankreich erreicht. Im Heiligen römischen Reich eifern dem viele Landesfürsten nach (z. B. Friedrich Wilhelm [1620-1688] von Brandenburg bzw. Preußen, August der Starke [1670-1733] von Sachsen bzw. Polen, Maria Theresia in Österreich). In der Mitte des 18. Jh.s (Friedrich II. in Preußen, Joseph II. in Österreich, Anna Amalia und Carl August in Sachsen-Weimar, Peter Leopold in Toskana, Gustav III. in Schweden, Katharina II. in Russland) setzt im aufgeklärten A. (Reformabsolutismus) der Fürst als erster Diener des Staates wohlfahrtsstaatliche Änderungen in Gang (Bildungspolitik, Bauernbefreiung, Gerichts­organisation). In Frankreich beendet die Revolution des Jahres 1789 den als Anspruch bedeutsamen, als Wirklichkeit kaum tatsächlich durchgesetzten A.

Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Bodin, J., Les six livres de la république, 1576, http://www.koebler­gerhard.de/Fontes/BodinJeanLesSixLivresDeLaRepublique1576.pdf; Hobbes, T., Leviathan 1651; Feine, H., Einwirkungen des absoluten Staats­gedankens auf das deutsche Kaisertum, ZRG GA 42 (1921), 474; Fehr, H., Der Absolutismus in der Schweiz, ZRG GA 69 (1952), 182; Sturmberger, H., Kaiser Ferdinand II. und das Problem des Absolutismus, 1957; Carsten, F., Princes and parliament in Germany, 1959; Conrad, H., Rechtsstaatliche Bestrebungen, 1961; Schnur, R., Individualismus und Absolutismus, 1962; Oestreich, G., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, 1969; Conrad, H., Staatsgedanke und Staatspraxis, 1971; Dreitzel, H., Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat, 1970; Absolutismus, hg. v. Hubatsch, E., 1973, 2. A. 1988; Der aufgeklärte Absolutismus, hg. v. Aretin, K. Frhr. v., 1974; Anderson, P., Lineages of the Absolutist State, 1974; Aufklärung, hg. v. Hinrichs, E., 1985; Hubatsch, W., Das Zeitalter des Absolutismus 1600-1789, 4. A. 1975; Anderson, P., Die Entstehung des absolutistischen Staates, 1979; Aspekte des europäischen Absolutismus, hg. v. Patze, H., 1979; Reinalter, H., Aufgeklärter Absolutismus und Revolution, 1979; Mousnier, R., La monarchie absolue en Europe, 1982; Meyer, J., Frankreich im Zeitalter des Absolutismus, 1990; Henshall, N., The Myth of Absolutism, 1992; Dreitzel, H., Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland, 1992; Cornette, J., Absolutisme et Lumières, 1993, 2. A. 2000, 3. A. 2003, 4. A. 2005, 5. A. 2008; Der Absolutismus – ein Mythos?, hg. v. Duchhardt, H., 1996; Vec, M., Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat, 1998; Reformabsolutismus und ständige Gesellschaft, hg. v. Birtsch, G. u. a., 1998; Duchhardt, H., Das Zeitalter des Absolutismus, 3. A. 1998 (mit rund 1400 Literaturnachweisen); Hinrichs, E., Fürsten und Mächte, 2000; Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich, hg. v. Reinalter, H. u. a., 2002; Seif, U., Recht und Justizhoheit, 2003, (Müßig, U., Recht und Justizhoheit,) 2. A. 2009; Reinalter, H., Lexikon zum aufgeklärten Absolutismus, 2005; Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept?, hg. v. Schilling, L., 2008; Feist, D., Absolutismus, 2008; Blänkner, R., „Absolutismus“, 2011 (= Dissertation von 1990)

Abstimmung ist das durch Abgabe einzelner Entscheidungen (Zustimmung, Ablehnung, Enthaltung) erfolgende Verfahren zur Ermittlung des Willens (Gemeinwillens) einer Gesamtheit von zu einer Entscheidung zugelassenen Menschen oder Personen hinsichtlich einer bestimmten Frage. Als eine besondere Form der A. ist bereits im antiken Athen der Ostrazismus bekannt, bei dem der Angehörige des Volkes mittels je eines Tonscherbens (griech. ostrakon) darüber abstimmen kann, ob ein Bürger, der die politische Ordnung gefährdet, für 10 Jahre ohne Verlust des Vermögens und seiner sonstigen Rechts­stellung verbannt werden soll. Im Einzelnen erfolgen dann Abstimmungen nach ziemlich unterschiedlichen Regeln (z. B. Stimm­zählung und Mehrheitsentscheidung in der Goldenen Bulle 1356, Willensbildung nach Kurien im Reichstag des Heiligen römischen Reiches), bis in der Mitte des 19. Jh.s sich die Einheitlichkeit des Abstimmungskörpers mit grundsätzlich gleichem Stimmrecht (Verfas­sung des deutschen Reiches von 1848) durchzusetzen beginnt. Im 20. Jh. ist die A. des Volkes über eine politische Frage ein Entscheidungs­verfahren unmittelbarer Demo­kratie. Eine Sonderform der A. stellt die →Wahl dar.

Lit.: Stutz, U., Die Abstimmungsordnung der Goldenen Bulle, ZRG GA 43 (1922), 217; Stutz, U., Der Jüngste stimmt zuerst, ZRG GA 49 (1929), 435; Schubert, F., Die deutschen Reichstage, 1966; Scheuner, U., Das Mehrheitsprinzip, 1973; Heun, W., Das Mehrheitsprinzip, 1983; Bleicken, J., Die Verfassung der römischen Republik, 2000

Abstraktion (1571) ist die Lösung eines all­gemeine Merkmale enthaltenden Umstands von einzelnen Erscheinungsformen. Im 19. Jh. setzt die →Pandektistik auf der Grundlage einer Entscheidung des römischen Juristen Julian/Iulianus (Hadrumetum um 100-um 170) die Trennung des →Verfügungsge­schäfts (→Übereignung, →Abtretung) von dem ihm als Grund (lat. [F.] causa) zugehörigen →Verpflichtungsgeschäft und die Trennung des Innenverhältnisses (Auftrag) vom Außenverhältnis (Vollmacht) mit Hilfe des Prinzips der A. durch (Abstraktionsprinzip).

Lit.: Buchholz, S., Abstraktionsprinzip und Immobiliarrecht, 1978; Landwehr, G., Abstrakte Rechtsgeschäfte, (in) Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 173; Eisenhardt, U., Die Entwicklung des Abstraktionsprinzips, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Ferrari, F., Vom Abstraktionsprinzip und Konsensualprinzip zum Traditionsprinzip, ZEuP 1993, 52; Rodríguez-Rosado, B., Abstraktionsprinzip und redlicher Erwerb als Mittel zum Schutze des Rechtsverkehrs, 2010; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privat­rechts­wortschatzes, 2010

Abt (Lehnwort lat. abbas, abbatem [Akk.] 4. Jh., „Abt, Vater“, Lehnwort gr. ábba, aram. abba, „Vater“, Lallwort) ist seit dem 4. Jh. der Leiter einer rechtlich selbständigen Nieder­lassung eines christlichen →Ordens des weströmischen Gebiets. Er wird als geist­licher Vater (lat. pater [M.] spiritualis) verstanden. Die auf den Kirchenvater Augustinus (354-430) zurückgehende Ordensregel Benedikts von Nursia (480-547) legt Einzelheiten der Stellung genauer fest. Demnach erfordert die Weihe zum anfangs vom Bischof eingesetzten, nach den Novellen Justinians von sämtlichen Mönchen gewählten A. vorbild­liche Lebensführung und Weisheit. Der A. hat gegenüber den Mönchen Rechte wie ein Vater gegenüber Kindern. Deshalb schulden die Mönche Gehorsam und Ehrerbietung. Im fränkischen Reich tritt neben das freie Wahlrecht der Mönche das Einsetzungsrecht eines jeweiligen Herrn (einer Gründerfamilie). Seit karolingischer Zeit wird der A. auch mit weltlichen Aufgaben betraut. Synoden von Rom (826) und Poitiers (1078) sowie das Konzil von Vienne (1311/2) legen die Voraussetzung der Weihe zum Priester für den A. fest. Im 11. und 12. Jh. dringt der Grundsatz der freien Wahl für kurze Zeit wieder vor.

Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Hegglin, B., Der benediktinische Abt, 1961; Salmon, P., L’abbé dans la tradition monastique, 1963; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Seibert, H., Abtserhebungen, 1995; Wiech, M., Das Amt des Abtes im Konflikt, 1999

Abtei (lat. [F.] abbatia) ist seit der frühen Neuzeit die von der Stellung und Tätigkeit eines Abtes übernommene Bezeichnung für die von einem →Abt geleitete, rechtlich selbständige Niederlassung eines christlichen Ordens. Die A. kann →Reichsabtei, landsässige A. oder der römischen Kirche unterstellte freie A. sein.

Lit.: Kroeschell, DRG 1; Blume, K., Abbatia, 1919; Wehlt, H., Reichsabtei und König, 1970; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Brandstetter, A., Die Abtei, 1999

Äbtissin ist die Leiterin einer rechtlich selb­ständigen Nieder­lassung eines christlichen Frauenordens (des weströmischen Gebiets). →Abt

Lit.: Klapp, S., Das Äbtissinnenamt in den unterelsässischen Frauenstiften, 2012; Schröder-Stapper, T., Fürstäbtissinnen, 2015

Abtreibung ist der künstlich herbeigeführte vorzeitige Abgang der (beseelten) menschlichen Leibes­frucht aus dem Mutterleib. Die A. ist nach römischem Recht zeitweise zulässig. Die →Kirche wertet sie zunächst in jedem Fall als →Mord, Gratian (um 1140) beurteilt aber die A. vor dem 40. Tag der Schwangerschaft auf Grund von Exodus 21,22-23 milder. Die Aufklärung lehnt die kirchliche Lehre ab. Seit etwa 1970 (z. B. Österreich 1974) wird die kirchliche Auffassung im weltlichen Recht zunehmend eingeschränkt und der medizinisch einfach gewordene Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft als (nach einer Beratung in Deutschland seit 1995 zwar rechtswidrig, aber) straffrei zugelassen.

Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Lewin, L., Die Fruchtabtreibung, 4. A. 1925; Huser, R., The Crime of Abortion, Diss. Washington 1942; Noonan, J., The Morality of Abortion, 1970; Jerouschek, G., Lebensschutz und Lebensbeginn. Kulturgeschichte des Abtreibungsverbots, 1988; Gante, M., § 218 in der Diskussion, 1991; Geschichte der Abtreibung, hg. v. Jütte, R., 1993; Onstein, H., Die Entwicklung der Straftatbestände der Abtreibung, Diss. jur. Münster 1996; Müller, P., Die Abtreibung, 2000 (2012 englisch); Jerouschek, G., Lebensschutz und Lebensbeginn, 2002; Bett, J., Die Beurteilung der embryopathischen Indikation zum Schwangerschaftsabbruch, Diss. jur. Tübingen 2003; Putzke, S., Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit, 2003; Koch, C., Schwangerschaftsabbruch, 2004; Behren, D. v., Die Geschichte des § 218 StGB, 2004; Usborne, C., Cultures of Abortion in Weimar Germany, 2007; Müller, W., The Criminalization of Abortion in the West, 2012

Abtretung (lat. [F.] cessio) (1360) ist die Übertragung einer Forderung von einem bisherigen →Gläubiger (Zedenten) auf einen anderen (Zessionar), der damit neuer Gläubiger wird. Sie ist im römischen Recht ausgeschlossen, weil die Verbindlichkeit als höchstpersönliches Band zwischen Gläubiger und Schuldner betrachtet wird. Erst spät lässt das römische Recht mit Hilfe der Einrichtung des Prozessmandats (Geltendmachung der Forderung des Gläubigers durch einen Beauftragten) und der Novation in Form einer Stipulation zwischen Schuldner und Neugläubiger wenigstens die Übertragung eines selbstän­digen Rechtes zu, eine fremde Forderung auszuüben. Im Gegensatz hierzu entwickelt sich wohl in den mittelalterlichen Städten die rechtsgeschäftliche Übertragung von Forderungen, die zunächst grundsätzlich der Mitwirkung des Schuldners durch Einwilligung gegenüber dem bisherigen Gläubiger oder durch Gelöbnis gegenüber dem neuen Gläubiger be­darf (ausgenommen gerichtlich festgestellte Forderungen). Ver­einzelt bestehen auch Verbote von Ab­tretungen. Das Zustim­mungser­fordernis ent­fällt seit dem Spätmittel­alter (letztlich) unter dem Einfluss des ge­mei­nen Rechtes, in dem das deutschrechtliche Ge­dankengut die Übertragung der Forderung auch der Substanz nach eröffnet, so dass be­reits der →Codex Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756 (II 3 § 8) die A. aufnimmt (ALR I 11 §§ 376ff., Code civil Art. 1689ff., ABGB §§ 1392ff.). Im 19. Jh. unterliegt die einschränkende Lehre Christian Mühlen­bruchs (1817) der durch Windscheid und Bähr geprägten Vorstellung von der Abtre­tung als einem abstrakten Verfügungsgeschäft (§§ 398ff. BGB, Art. 183ff. bzw. 164ff. Obligationen­recht der Schweiz). In England gilt die Forderung als solche bis 1873 als nicht übertragbar.

Lit.: Kaser § 55; Köbler, DRG 127, 165, 214; Mühlenbruch, C., Die Lehre von der Zession, 1817; Buch, G., Die Übertragbarkeit von Forderungen im deutschen mittelalterlichen Recht, 1912; Schumann, H., Die Forderungsabtretung im deutschen, fran­zösischen und englischen Recht, 1924; Luig, K., Zur Geschichte der Zessionslehre, 1966; Huwiler, B., Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht, 1975; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Hoop, G., Kodifi­kationsgeschichtliche Zusammenhänge des Ab­tre­tungsverbotes, 1992; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privat­rechts­wortschatzes, 2010; Scheffzek, S., Der Einfluss der Mühlenbruch’schen Zessionslehre auf ausgewählte Gerichte, 2011; Ebinger, B., Die Forderungsübertragung nach Code civil und badischem Landrecht, Diss. jur. Mannheim 2011

Abtriebsrecht ist das Recht der Angehörigen einer Siedlungsgemeinschaft, den Zuzug eines Fremden zu verhindern. Es ist im Titel XLV (De migrantibus) des fränkischen Volks­rechts (lst. [M.] Pactus legis Salicae, 507-511) bezeugt und besteht bis in das 19. Jh. Allerdings kann ein Herr einem Fremden ein Niederlassungsprivileg ge­währen.

Lit.: Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff.

Abzahlung (1530) ist die planmäßig in kleineren Raten oder Teilbeträgen erfolgende Zahlung einer Schuld.

Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privat­rechts­wortschatzes, 2010

Abzahlungsgesetz ist das deutsche Gesetz vom 16. 5. 1894, das außerhalb des 1896/1900 geschaffenenen Bürgerlichen Gesetzbuchs die nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika seit etwa 1835 vom Handel umworbenen mittellosen Käufer beweglicher Sachen, die aus wirtschaftlichen Gründen etwa Nähma­schinen, Möbel oder Kleidung nur gegen Zahlung des Preises in Raten kaufen können, vor Benachteiligung (z. B. durch Verfall d. h. Rücknahme der Kaufsache bei Zahlungs­versäumnis und Fortbestehen der Zahlungs­pflicht) schützen will. Es wird mit Wirkung vom 1. 1. 1991 durch das Ver­braucher­kreditgesetz abgelöst, das zum 1. 1. 2002 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingearbeitet wird. In Österreich wird 1896 ein Raten­gesetz, 1979 ein Konsumentenschutz­ge­setz erlassen.

Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Benöhr, H., Konsumenten­schutz vor 80 Jahren, ZHR 138 (1974), 492; Schubert, W., Das Abzahlungsgesetz von 1894, ZRG GA 102 (1985), 130; Fendel, R., Der Berliner Möbelleihvertrag, 1991

Abzahlungskauf →Abzahlungsgesetz

Abzugsrecht ist das Recht zum Abzug des Einzelnen aus seinen bisherigen unfreien Rechts­verhältnissen, gegebenenfalls unter einer Geldleistung. Der Abzug findet sich in vielen spätmittelalterlichen Weistümern mit unter­schiedlichen Regelungen. Mit der Bauernbefreiung des 19. Jh.s wird das A. überflüssig.

L.: Möhlenbruch, R., Freier Zug, ius emigrandi, Auswanderungsfreiheit, Diss. jur. Bonn 1977

acceptatio (lat. [F.]) Annahme

acceptilatio (lat. [F.]) Empfangnahme →stipulatio

accessio (lat. [F.]) Hinzutreten, Zuwachs

accessio cedit principali (lat) - Zuwachs­ folgt rechtlich der Hauptsache. Verbindung

Accursius (Bagnolo [Certaldo] bei Florenz 1182 oder 1185-Bologna 1260 oder 1263) wird in einer bäuerlichen Familie geboren und lehrt nach dem Studium des römischen Rechtes in Bologna (Azo, Jacobus Balduinus) und der Promotion seit etwa 1215. Bis kurz nach 1230 legt er (in Bearbeitung eines unvollendeten Werkes Azos?) fünfbändige, durch etwa 1200 Handschriften überlieferte Erklärungen (Kommentare) zu allen Teilen der justinianischen Kompilation in Form von Glossenapparaten (lat. glossa [F.] ordinaria) mit insgesamt 96940 Einzelglossen (22365 zum Digestum vetus, 17969 zum Infortiatum, 22243 zum Digestum novum 17814 zum Codex, 4737 zu den Institutionen, 7013 zum Authenticum und 680 zu den libri feudorum, Summe dieser Zahlen 92811) vor, in denen er Problemlösungen unter umfangreicher Verwertung der voran­gehenden Literatur bietet. Außerdem sind 8 seiner Gutachten (Konsilien) erhalten, während eine bezeugte Summe nicht überliefert ist. Zu seinen Schülern zählen Odofredus und Papst Innozenz IV.

Lit.: Söllner § 25; Köbler, DRG 106; Genzmer, E., Zur Lebensgeschichte des Accursius, FS L. Wenger, Bd. 2 1945, 223; Atti del convegno internazionale di studi accursiani, ed. Rossi, G., Bd. 1ff. 1968; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997, 335; Jakobs, H., Magna Glossa, 2006

Achilleisches Hausgesetz →Dispositio Achillea

Achramire (lat.-afrk.), adchramire, ist die frühmittelalterliche Bezeichnung für das Versprechen (Geloben), einen Gerichtstag wahrzuneh­men, einen Eid zu leisten oder einen Bürgen oder Zeugen zu stellen (Lex Salica [507-511] 62 u. ö.). Das a. erfolgt unter Übergeben oder Zuwerfen eines (gekerbten) Stäbchens (lat. [F.] →festuca, vielleicht ursprünglich mit der [lat., F.] framea, Lanze).

Lit.: Köbler, LAW; Daberkow, M., Adhramire und die germanische framea, Z. f. d. P. 49 (1923), 229

Acht ist im mittelalterlichen deutschen Recht die als Unrechtsfolge (Strafmittel oder Verfahrensmittel) mögliche allgemeine Verfolgung. Die A. folgt auf verschiedene Taten, die eine niedrige Gesinnung widerspiegeln (z. B. Mord, Treubruch). Wird der Täter in der Tat ergriffen, so kann er folgenlos getötet werden. Im Übrigen bedarf es eines besonderen Verfahrens, in dem die A. erklärt wird. Der Geächtete steht außerhalb des Rechtes, ist Feind aller und kann von jedem folgenlos getötet werden. Das beweg­liche Vermögen des Geächteten wird verteilt, die Liegenschaft verwüstet. Mindere Formen der A. sind zeitlich (z. B. auf ein Jahr) befristet. Bei fruchtlosem Ablauf einer damit verbundenen Gestellungsfrist (Ungehorsams­acht) verfällt der Betreffende in →Aberacht. Die vom König oder seinem Gericht verhängte A. gilt als →Reichsacht im ge­samten Reich. Lösung aus der A. ist möglich. Im Laufe des Mittelalters entwickelt sich die A. zu einer differenzierten Rechts­figur, die mit Erstarkung der staatlichen Gerichts­herrschaft verschwindet (wegen der Vollstreckungsschwäche des Reiches vom Reichskammergericht zuletzt noch 1698, vom Reichshofrat zuletzt noch 1709 ausgespro­chen).

Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Eichmann, E., Acht und Bann, 1909; Künßberg, E. Frhr. v., Acht, 1910; Heusler, A., Das Strafrecht der Isländersagas, 1911; Poetsch, J., Die Reichsacht, 1911; Ruf, F., Acht und Ortsverweis im alten Land- und Stadtgericht Nürnberg, Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 46 (1955), 1; Siuts, H., Bann und Acht, 1959; Landes, D., Das Achtverfahren, Diss. jur. Frankfurt am Main 1964; Jacoby, M., Wargus, 1974; Kampmann, C., Reichsrebellion und kaiserliche Acht, 1992; Weber, M., Zur Bedeutung der Reichsacht in der frühen Neuzeit, ZHF Beiheft 19 (1997), 55

Achtbuch ist das über die von einem Gericht ausgesprochene →Acht (und dadurch die Geächteten) geführte Buch (Register), wie es anscheinend erstmals der Reichslandfriede des Jahres 1235 vorsieht (z. B. Lübeck 1243, Iglau 1249, Rostock 1258, Rothenburg ob der Tauber 1274, Nürnberg 1285, Achtbuch der Reichshofgerichtsschreiber Petrus Wacker und Johann Geisler zwischen 1417 und 1445 mit fast 600 Einträgen u. a.).

Lit.: Schultheiß, W., Nürnberger Rechtsquellen, Bd. 1f. 1960, 16; Battenberg, F., Das Achtbuch der Könige Sigmund und Friedrich III., 1986

Achtklausel ist die in mittelalterlichen Verträgen enthaltene Vereinbarung, sich für den Fall der Vertragsverletzung der Acht zu unterwerfen.

Lit.: Battenberg, F., Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter, 1987´6, 288

acta (lat. [N.Pl.]) →Akten

acta municipalia (lat. [N.Pl.]) Gemeinde­ak­ten

Actio (lat. [F.]) ist im römischen Recht die Möglichkeit, vor Gericht zu verlangen, was einem zusteht (Klaganspruch). Im →For­mularprozess trägt der Kläger in Gegenwart des Beklagten das Begehren vor dem Gerichtsmagistrat vor und beantragt die Er­teilung einer bestimmten a. Ergibt sich, dass der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt keine bereits anerkannte a. rechtfertigt, ent­fällt der Antrag. Allerdings kann der Gerichts­magistrat, wenn er das Begehren des Klägers gleichwohl als rechtsschutzbedürftig erachtet, eine a. in factum in Aussicht stellen. Die zugelassenen actiones, von denen jede ihre eigene Formel hat, werden vor allem im 4. Buch der Institutionen Justinians im Titel (lat.) De actionibus (Von den Klagan­sprüchen) zusammengestellt. Im Hochmittel­alter anerkennt beispielsweise Johannes Bassianus 169 verschiedene actiones. Im 19. Jh. (Windscheid 1856) wird aus der römischrechtlichen a. der materiellrechtliche →Anspruch.

Lit.: Kaser § 82; Söllner § 9; Köbler, LAW; Windscheid, B., Die actio des römischen Civilrechts, 1856; Bethmann Hollweg, C. v., Der Civilprozess des gemeinen Rechts, Bd. 6 1874, 16; Peter, H., Actio und writ, 1957; Kriechbaum, M., Actio, ius und dominium in den Rechtslehren des 13. und 14. Jahrhunderts, 1996; Kollmann, A., Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, 1996; Gröschler, P., Actiones in factum, 2002; Artner, M., Agere praescriptis verbis, 2002

Actio (F.) ad exhibendum (lat.), Klaganspruch auf Vorlegung, Vorweisung (vor dem Prätor), Herausgabe, Exhibi­tionsklage (vgl. § 809 BGB, Klage auf Besichtigung) ist eine (lat.) actio in personam, durch die der bei einer (lat.) actio in rem feh­lende Einlassungszwang umgangen werden kann.

Lit.: Kaser §§ 26 III 3, 27 I 5, 34 II 3

actio (F.) adiecticiae qualitatis (lat.) Klag­anspruch aus Haftung für Gewaltunterworfene

Lit.: Kaser §§ 11, 15, 49, 60, 83; Wacke, A., Die adjektizischen Klagen, ZRG RA 111 (1994), 280

actio (F.) aestimatoria (lat.) Klaganspruch zur Schätzung (aus Trödelvertrag)

Lit.: Köbler, DRG 48

actio (F.) arbitraria (lat.) Klaganspruch zur Schätzung bzw. zum Ermessen

Lit.: Kaser §§ 8 IV, 83 II, 87 II

Actio (F.) auctoritatis (lat.), Klaganspruch wegen Eviktion (Entwerung) gegen den Verkäufer, Gewährschaftsklage, ist im rö­mischen Recht der in den Digesten getilgte Klaganspruch eines wegen einer durch Manzipation erworbenen Sache von einem Dritten angegriffenenen und vom Veräußerer nicht geschützten oder unter­liegenden Käufers auf den doppelten Kauf­preis.

Lit.: Kaser §§ 7, 27, 32, 51; Söllner § 8; Brägger, R., Actio auctoritatis, 2012

Actio (F.) certae creditae pecuniae (lat.) ist im römischen Recht der Klaganspruch auf eine bestimmte Gelddarlehensschuld.

Lit.: Kaser §§ 39, 83

actio (F.) civilis (lat.) Klaganspruch nach dem Zivilrecht

actio (F.) commodati (lat.) Klaganspruch aus Leihvertrag

Lit.: Kaser § 39 II

Actio (F.) communi dividundo (lat.) ist im römischen Recht der wohl im 3./2. Jh. v. Chr. durch eine (lat.) lex (F.) Licinia geschaffene Teilungs­klaganspruch mindestens eines Angehörigen einer Vermögensgemeinschaft.

Lit.: Kaser §§ 23 IV 83

actio (F.) conducti (lat.) Klaganspruch des Mieters  u. s. w.

Lit.: Kaser §§ 42, 83

actio (F.) confessoria (lat.) Servitutenklag­anspruch, Nießbrauchsklaganspruch

Lit.: Kaser §§ 28, 29

actio (F.) contraria (lat.) Gegenklaganspruch (bei unvollkommen zweiseitig verpflich­ten­den Verträgen z. B. Aufwandsersatzkla­gean­spruch des Entleihers, Verwahrers, Beauf­trag­ten oder Pfandgläubigers)

Lit.: Kaser § 38 IV 2

Actio (F.) de deiectis vel effusis (lat.), Klaganspruch wegen hinausgeworfener oder ausgeschütteter (Sachen), ist im römischen Recht der gegen den Inhaber von Räumen wegen eines durch Hinauswerfen oder Ausgießen von Sachen aus den Räumen entstandenen Schadens gerichtete, verschul­densunabhängige Scha­dens­ersatzanspruch ei­nes Verletzten auf das Doppelte des Schadens (Quasidelikt, Erfolgshaftung?).

Actio (F.) de dolo (lat.), Klaganspruch wegen Arglist, ist im römischen Recht der auf Anregung des C. Aquilius Gallus im 1. Jh. v. Chr. vom Prätor bei Fehlen einer anderweitigen actio gewährte, binnen Jahresfrist geltend zu machende Klag­anspruch des durch einen Betrug Ge­schädigten gegen den Täter auf Ersatz des Schadens, der durch Wiedergutmachung abgewendet werden kann, andernfalls Infamie nach sich zieht.

Lit.: Kaser §§ 8, 83; Söllner § 9

Actio (F.) de in rem verso (lat.), Klage wegen des auf eine Sache Verwendeten, Klaganspruch wegen eingetretener Bereicherung, ist im römischen Recht der Klaganspruch gegen einen Gewalthaber auf Herausgabe des Wertes, den ein Gewalt­unterworfener aus einem Ver­pflich­tungs­geschäft erlangt und zu einer Bereicherung des Vermögens des Gewalt­habers verwendet. Das nachklassische römi­sche Recht erweitert den Anwen­dungsbereich auf Geschäftsfüh­rung durch Freie, das gemeine Recht entwickelt die a. zu einem allgemeinen Bereiche­rungs­anspruch wegen nützlicher Verwendung.

Lit.: Kaser § 49; Söllner § 12; Chiusi, T., Die actio de in rem verso, 2001