Köbler,
Gerhard, Zielwörterbuch integrativer europäischer Rechtsgeschichte, 6. Auflage
2014, 201904010. Fassung
(14300 Absätze, 794500 Wörter, 5741000 Zeichen)
A
A. A. (lat. [M.]) ist die Abkürzung für den
abstrakt Aulus Agerius genannten Kläger des römischen →Formularprozesses.
Lit.: Söllner § 9
Aachen ist der ohne nachweisbare Kontinuität
zu einer römischen Siedlung an den Ausläufern des Hohen Venn 765/766 als fränkische
königliche →Pfalz erscheinende Ort, der nach der Reichsteilung 843/877 in
eine Randlage gerät. Von 936 (Otto I.) bis 1531 (Ferdinand I.) ist es
Krönungsstätte der deutschen Könige (mit Thronsetzung auf einen Marmorthron).
1071 wird A. (lat. [N.]) oppidum genannt, 1087 werden [lat. M. Pl.) cives
erwähnt. In den 1120er Jahren kommt ein Stadtsiegel auf. 1166 erhält A.
besondere Rechte. Die 1192 neben der Gesamtheit der Bürger nachweisbaren
→Schöffen entwickeln sich seit 1134 (?) zu einem bedeutenden →Oberhof
für teilweise bis zu 200 meist aus Reichsgut stammende Gerichte. Bis 1254 wird
A. freie →Reichsstadt (Reichslandstadt) bis zur Besetzung durch
Frankreich (1794). Über Preußen (1815) gelangt es 1946 zu Nordrhein-Westfalen.
Lit.: Loersch, H., Achener Rechtsdenkmäler,
1871; Schwabe, W., Der Aachener Oberhof, 1924; Schwabe, W., Zeitschrift
des Aachener Geschichtsvereins 47 (1925), 48/49 (1926/1927); Herkens, R., Der
Anspruch Aachens auf Krönung der deutschen Könige nach 1531, Diss. jur. Bonn
1959; Regesten der Reichsstadt Aachen, bearb. v. Mummenhoff, W. u. a., 1961ff.;
Falkenstein, L., Der „Lateran“ der karolingischen Pfalz zu Aachen, 1966;
Aachener Urkunden, bearb. v. Meuthen, E., 1979; Kraus, T., Jülich, Aachen und
das Reich, 1988; Die Aachener Stadtrechungen des 15. Jahrhunderts, bearb. v.
Kraus, T., 2004; Herrmann, T., Anfänge kommunaler Schriftlichkeit, 2006;
Tschacher, W., Königtum als lokale Praxis, 2010; Aachen, hg. v. Kraus, T., Bd.
1f. 2011ff.
Aargau ist das um die Aare gelegene Land,
das als A. 763 erstmals erscheint. 1415 erobert die Eidgenossenschaft der
→Schweiz Teile des Gebiets. 1798/1803 wird daraus der Kanton A., der 1831
eine liberale Verfassung erhält.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Merz, W. u. a.,
Die Rechtsquellen des Kantons Aargau, Teil 1ff. 1898ff.; Merz, W.,
Mittelalterliche Burganlagen und Wehrbauten des Kantons Aargau, 1906; Nabholz,
H., Der Aargau nach dem habsburgischen Urbar, Argovia 33 (1909); Dubler, H.,
Der Kanton Aargau und das Bistum Basel, 1921; Merz, W., Die Jahrzeitbücher der
Stadt Aarau, Teil 1f. 1924ff.; Merz, W., Geschichte der Stadt Aarau im
Mittelalter, 1925; Aargauer Urkunden, Teil 1f. 1931ff.; Strebel, K., Die
Verwaltung der freien Ämter im 18. Jahrhundert, 1940; Werder, M., Die
Gerichtsverfassung des aargauischen Eigenamtes, 1941; Handbuch der Quellen und
Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H.,
Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,440; Geissmann, H., Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch
für den Kanton Aargau (1847-1855), 1991
Abandon ist die wohl im
spätmittelalterlichen italienisch-französischen Seerecht entstehende
Möglichkeit der Aufgabe der Rechte an einem Gegenstand, um Haftungsfreiheit
bzw. später Versicherungsleistung zu erlangen. Der A. erscheint erstmals in
einem Statut der Stadt Kampen vom 14. 2. 1372. Im 19. Jh. findet der A. Eingang
in das Recht der juristischen Personen des Gesellschaftsrechts.
Lit.: Hantke, G., Der Abandon, 1912; Rehme, P.,
Geschichte des Handelsrechts, 1913; Helberg, O., Der Abandon in der
Seeversicherung, 1925; Martin, L., L’abandon, 1957; Landwehr, G., Prinzipien
der Risikotragung beim Seefrachtvertrag, (in) Wirkungen europäischer
Rechtskultur, 1997, 595
abdingbar (Adj.) durch Vereinbarung abänderbar
Lit.: Kähler, L., Begriff und Rechtfertigung abdingbaren Rechts, 2012
Abecedarium (bzw. Promptuarium, Remissorium, Vocabularium) ist das auf Grund antiker
Gedankengänge seit dem 13. Jh. entstehende alphabetisch geordnete Sammelwerk
eines Rechtsgebiets (römisches Recht, kirchliches Recht, um 1400 Greifswalder
A. für →Sachsenspiegel und Sachsenspiegelglosse mit 7 Handschriften, 1402
Preetzer A., 1414ff. A. von Achte bis Wunden, vor 1421ff. Schlüssel des
Landrechts, 1. H. 15. Jh. Rechtsabecedarium der 2200 Artikel, E. 15. Jh.
Erlanger Promptuarium mit etwa 1400 Artikeln, 1490-1493 Remissorium Kaspar
Popplaus).
Lit.: Steffenhagen, E., Das Preetzer Abecedarium mit
dem Richtsteig Landrechts, Z. d. Ges. f. Schleswig-Holstein-Lauenburgische
Gesch. 22 (1892), 297; Die Rechtssumme Bruder Bertholds, hg. v. Hamm, M. u. a.,
1980, 143ff.; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990,
77
Abendmahlsprobe ist die an das christliche
Abendmahl anknüpfende Form des →Gottesurteils.
Aberacht ist die seit dem Hochmittelalter
belegte, nach fruchtlosem Verstreichenlassen einer Frist von →Jahr und
Tag eintretende Verstärkung der →Acht.
Lit.: Siuts, H., Bann und Acht, 1959
Aberdeen am Don in Schottland wird um 1130
Sitz eines Bischofs und 1494/1495 Sitz einer Universität.
Lit.: Keith, A., A thousand Years of Aberdeen, 1972;
The Aberdeen Stylebook 1722, hg. v. Meston, M./Forte, A., 2000
Aberglaube (15. Jh. in Glosse zum Sankt Trudperter
Hohenlied) ist der von einem herrschenden Glauben als abwegig verworfene
Glaube (lat. [F.] superstitio).
Lit.: Feine, J., Der Aberglaube, 1857; Schefold, K. u. a., Der
Aberglaube im Rechtsleben, 1912; Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg.
v. Bächtold-Stäubli, H., Bd. 1ff. 1927ff., Neudruck 1987, digitalisierte
Fassung 2006; Freytag, N., Aberglauben im 19. Jahrhundert, 2003; Hersperger,
P., Kirche, Magie und Aberglaube, 2010
Abfall ist der nach Nutzung einer Sache verbleibende,
nicht mehr genutzte oder nutzbare Rest (z. B. Knochen, Verpackung, Altöl). Zum
Wohl der Gesellschaft muss er vor allem in den Städten gesammelt und zunächst
gelagert (deponiert), nach seiner großen Vermehrung seit der zweiten Hälfte des
20. Jh.s aus wirtschaftlichen Überlegungen aber vor allem auch wiederverwertet
werden.
Lit.: Abfall, hg. v. Rusterholz, P./Moser, R., 2004; Evans, D.,
Vershwendung – Wie aus Nahrung Abfall wird, 2017
Abgabe ist die Leistung von Gegenständen
an die Allgemeinheit, an eine besondere Einrichtung oder an besondere
Einzelne. Die rechtliche Grundlage der A. ist verschieden. Meist beruht die A.
auf einer Pflicht zur Unterstützung als Gegenleistung für einen Schutz oder
eine Gebrauchsmöglichkeit. In der Naturalwirtschaft besteht die A. in Sachen,
in der Geldwirtschaft in Geld. 1919 fasst das Deutsche Reich das Recht der
Abgaben in der Reichsabgabenordnung (Enno Becker, u. a. Beginn der Überführung
des Steuerstrafrechts aus dem Verwaltungsstrafrecht in das
Kriminalstrafrecht) zusammen, die 1976 im Sinne eines Mantelgesetzes für die
Abgaben erneuert wird.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Pöhlmann, C., Was ist
Seltertum, ZRG GA 55 (1935), 243; Becker, A., Was ist Seltertum, ZRG GA 56
(1936), 398; Löning, G., Muntepenninge, ZRG GA 59 (1939), 273; Müller, W., Die
Abgaben von Todes wegen in der Abtei St. Gallen, 1961; Henning, F., Dienste und
Abgaben der Bauern im 18. Jahrhundert, 1969; Steuern, Abgaben und Dienste, hg.
v. Schremmer, E., 1994; Giese, F., Abgabenordnung im Dritten Reich, 1998; Gehm,
M., Die steuerstrafrechtlichen Bestimmungen in der Reichsabgabenordnung vom 13.
Dezember 1919, 2010
Abgeordneter ist allgemein der durch eine Anordnung an eine
Stelle Gesetzte, insbesondere der Volksvertreter im Parlament. Er ist nach dem
vorzugswürdigen Grundsatz des freien Mandats nicht an den Willen der ihn
Abordnenden gebunden (so aber DDR 1968), sondern in seiner Entscheidung nur
seinem Gewissen und der Verantwortung für die Gesamtheit unterworfen. In
Österreich führt die Februarverfassung des Jahres 1861 ein von den Landtagen
besetztes Abgeordnetenhaus als zweite Kammer des Reichsrats neben dem
Herrenhaus ein (1873 direkte Wahl, wegen des Nationalitätenkonflikts zeitweise
handlungsunfähig, 12. 11. 1918 letzte Sitzung).
Lit.: Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter
Nationalversammlung, bearb. v. Best, H. u. a., 1996
Abkürzung ist die aus Zweckmäßigkeitsgründen gekürzte
Form einer Gegebenheit (z. B. eines Wortes oder Weges).
Lit.: Kirchner, H., Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. A.
2008; Schuler, P., Abkürzungslexikon, 2007 (vom Verlag zurückgezogen); Frenz,
T., Abkürzungen. Die Abbreviaturen der lateinischen Schrift, 2010;
Froesch, H., Lexikon lateinischer Abkürzungen, 2014
Ablass ist die in Nordspanien und
Südfrankreich im 11. Jh. (u. a. Clermont 1095 Ablass für Teilnahme am Kreuzzug,
1187 für geldliche Förderung eines Kreuzzugs, um 1300 von Verbindung zu Kreuzzügen
gelöst) in der christlichen →Kirche aus der Bitte um Vergebung und
Nachlass einer Folge (Buße) entstehende, auch vor Gott verbindliche Befreiung
von zeitlichen Sündenfolgen. Die ältesten Ablässe begnügen sich mit einem
Erlass von 20 oder 40 Tagen Buße. Die zahlenmäßige und artmäßige Erweiterung
führt bereits im 13. Jh. zu scharf gerügten Missständen. Der Kauf von A. (auch
für Verstorbene) wird ein wichtiger Anlass für die reformatorischen Ziele (John
Wyclifs, Johannes Hus’ und) Martin →Luthers. Nach gegenwärtigem
Verständnis der katholischen Kirche ist A. Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott
für Sünden, deren Schuld bereits getilgt ist (can. 992 CodIurCan 1983).
Lit.: Paulus, N., Geschichte des Ablasses im
Mittelalter, Bd. 1f. 1922f.; Köhler, W., Dokumente zum Ablassstreit von 1517,
2. A. 1934; Poschmann, B., Der Ablass, 1948; Bornkamm, H., Thesen, 1967;
Ehlers, A., Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter, 2007; Hamm,
B., Ablass und Reformation, 2016; Laudage, C., Das Geschäft mit der Sünde, 2016
Ablösungsgesetzgebung ist die Gesetzgebung des 19. Jh.s
zur Beseitigung grundherrschaftlicher Rechte bzw. aufgespalteten Eigentums mit
oder ohne Entschädigung zwecks Förderung wirtschaftlicher Entwicklung und
aufgeklärter Gedanken. Dazu erlässt nach der Aufhebung aller Frondienste,
Zehnten und anderen Feudalrechte durch die Nationalversammlung Frankreichs am
4. 8. 1789 der Staat →Preußen am 9. 10. 1807 das Edikt betreffend den
erleichterten Besitz des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der
Landbewohner, das die persönliche Abhängigkeit der →Bauern von den
→Grundherren entschädigungslos aufhebt. Dem folgen am 14. 9. 1811
zwecks Aufhebung der auf privatrechtlichen Titeln beruhenden dinglichen
Abhängigkeit das Edikt, die Rechte der gutsherrlichen und bäuerlichen
Verhältnisse (Regulierungsedikt) betreffend und das Edikt zur Beförderung der
Landeskultur (Landeskulturedikt), nach denen der Bauer auf Antrag eines
Beteiligten Eigentum an dem von ihm bewirtschafteten Hof erhält, wofür er als
erblicher Besitzer ein Drittel, als nichterblicher Besitzer die Hälfte des
Grundes dem Grundherrn überlassen oder eine dauernde Rente zahlen muss. Dadurch
werden viele Bauern überfordert, so dass sie ihr neues Eigentum aufgeben
müssen. Um dies zu vermeiden, richten Sachsen und Kurhessen (1832) öffentliche
→Rentenbanken ein, die dem Grundherrn den Ablösungsbetrag in
Rentenbriefen entrichten und dadurch den Bauern die Tilgung der Ablöseschuld in
40 bis 60 Jahren ermöglichen. Abgelöst werden auf Grund wirtschaftlicher
Überlegungen auch die Nutzungsrechte der Bauern in staatlichen oder
grundherrschaftlichen Wäldern (Hessen 1814, Preußen 1821).
Lit.: Danckelmann, B., Die Ablösung der
Waldgrundgerechtigkeiten, Bd. 1f. 1880ff.; Knapp, G., Die Bauernbefreiung, 1887
Abmeiern ist das (vorzeitige) Beendigen des
grundherrschaftlichen →Meierrechts durch den Grundherrn in Niedersachsen
und Ostwestfalen seit dem 14. Jh. Seit 1597 (Salzduhmscher Landtagsabschied)
wird das A. vor allem aus fiskalischen Überlegungen verrechtlicht
(Meierordnungen, z. B. Calenberg 1772), mit der →Bauernbefreiung durch
Ersetzung des Meierrechts durch Eigentum beseitigt.
Lit.: Pfeiffer, B., Das deutsche Meierrecht, 1855;
Wittich, W., Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896; Mohr, W., Die
Abmeierung, 1942; Turner, G., Das Calenberger Meierrecht, 1961
Abschichtung ist die (dem römischen Recht
unbekannte) vermögensrechtliche Verselbständigung eines Kindes bei
(tatsächlichem) Ausscheiden aus dem Hausverband. Sie betrifft im Mittelalter
fast nur Söhne. Der Sohn kann A. verlangen, sobald er „zu seinen Jahren kommt“
(d. h. mündig wird). Regelmäßig wird der Sohn abgeschichtet, wenn er bei
Eheschließung einen selbständigen Haushalt gründet. Mit der A. erlischt die
väterliche Herrschafts- und Schutzgewalt. Die Teilungsquote ist
unterschiedlich (z. B. Kopfteil vom Ganzen, Sohneskopfteil von der Hälfte). Die
A. wird in Österreich durch (den Codex Theresianus von 1766 und) das Allgemeine
Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 (vollständig 1919), im deutschen Reich durch
das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896/1900 und im Schweizer Recht durch das
Zivilgesetzbuch von 1907/1911 durch das Erreichen der Vogtbarkeit bzw. der
Großjährigkeit bzw. der Volljährigkeit ersetzt
Lit.: Hübner 702; Adler, S., Eheliches Güterrecht und
Abschichtungsrecht, 1893; Knothe, H., Die Geschäftsfähigkeit der
Minderjährigen, 1980; Schumacher, S., Das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und
Kindern, 1999
Absetzung ist die Entfernung eines Menschen
aus einer Tätigkeit und eines Wertes aus einem Vermögen (z. B. Absetzung für
Abnutzung). Die A. eines Amtsträgers begegnet schon früh (z. B. Vertreibung des
römischen Königs). Sie wird in der Neuzeit verrechtlicht.
Lit.: Bund, K., Thronsturz und Herrscherabsetzung im
Frühmittelalter, 1979; Krah, A., Absetzungsverfahren, 1987; Rexroth, F.,
Tyrannen und Taugenichtse, HZ 278 (2004), 27; Wallner, M., Zwischen
Königsabsetzung und Erbreichsplan, 2004; Schubert, E., Königsabsetzung im
deutschen Mittelalter, 2005
Absicht ist der unmittelbar auf den Erfolg
als Ziel gerichtete Wille des Täters. Das römische Recht kennt den (lat. [M.])
dolus als Bezeichnung eines Verschuldens. Im Mittelalter wird der auf den
Erfolg als Ziel gerichtete Wille oft durch (lat.) animo deliberato, cum
deliberato consilio, contumaciter, dolose und (mhd.) geverlich oder mutwillig
beschrieben. Folgen zieht in erster Linie das im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit
gewollte Unrecht nach sich. Im 20. Jh. wird die für den deliktischen Vorsatz
das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit verlangende Vorsatztheorie (Binding 1877)
im Strafrecht durch die als subjektive Voraussetzung der Rechtswidrigkeit
bereits die Möglichkeit der Einsicht in das Verbotensein der Tat genügen
lassende Schuldtheorie (Kohlrausch 1903, Carl Schmitt 1910) verdrängt.
Lit.: Mayer, M., Die schuldhafte Handlung und ihre
Arten im Strafrecht, 1901; Schmitt, C., Über Schuld und Schuldarten, 1910 His,
R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, Neudruck 1964,
68ff.; Beul, C., Si mensor falsum modum dixerit, 1998
absolut (Adj. bzw. Adv.) vollständig, unbedingt,
uneingeschränkt, gegen jedermann wirkend (Gegensatz relativ)
absolutio (F.) ab instantia →Instanzentbindung
Absolutismus ist die im Einzelnen sehr
vielfältige Herrschaftsform, bei welcher der Inhaber der Herrschaftsgewalt
(Monarch) dem Untertanen gegenüber grundsätzlich unbedingte (absolute,
unbeschränkte) Macht hat. Der frühe A. entwickelt sich in Spanien, Frankreich
und England bis zum Ende des 15. Jh.s. Unterstützt wird der A. durch theoretische
Ansichten, welche die Enttheologisierung der Herrschaft und die Unteilbarkeit
der Staatsgewalt fordern (→Machiavelli, Nicolò [1469-1527], Il principe,
1513, →Bodin, Jean [1529-1596], Les six livres de la République, 1576,
[lat.] maiestas est summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas, die
maiestas ist die [zeitlich unbegrenzt] gegenüber den Bürgern und Untertanen
bestehende höchste und von den Gesetzen [nicht aber von göttlichem Recht,
Naturrecht, Fundamentalgesetzen] losgelöste Gewalt). Begünstigt wird der A.
dadurch, dass die Stände vielfach konfessionell gespalten sind und deswegen den
Frieden in einem Land nicht sichern können. Mittel zur Durchsetzung der
absoluten Herrschaft werden die Aufstellung eines stehenden Heeres, der Aufbau
einer allein vom Herrscher abhängigen Beamtenschaft und die Einführung eines
Staatswirtschaftssystems. Voraussetzung des A. ist die Entmachtung des
→Adels hinsichtlich der Mitwirkung (bzw. formaler Mitspracherechte
[Ersetzung durch informale Verständigung]) bei der →Landesherrschaft (in
der Regel ohne Änderung der förmlichen Rechtsgrundlage der Herrschaft, z. B.
Habsburg bzw. Österreich seit 1620). Der Höhepunkt des A. wird unter Ludwig
XIV. (1643-1715) in →Frankreich erreicht. Im Heiligen römischen Reich eifern
dem viele Landesfürsten nach (z. B. Friedrich Wilhelm [1620-1688] von
Brandenburg bzw. Preußen, August der Starke [1670-1733] von Sachsen bzw. Polen,
Maria Theresia in Österreich). In der Mitte des 18. Jh.s (Friedrich II. in
Preußen, Joseph II. in Österreich, Anna Amalia und Carl August in
Sachsen-Weimar, Peter Leopold in Toskana, Gustav III. in Schweden, Katharina
II. in Russland) setzt im aufgeklärten A. (Reformabsolutismus) der Fürst als
erster Diener des Staates wohlfahrtsstaatliche Änderungen in Gang
(Bildungspolitik, Bauernbefreiung, Gerichtsorganisation). In Frankreich
beendet die Revolution des Jahres 1789 den als Anspruch bedeutsamen, als
Wirklichkeit kaum tatsächlich durchgesetzten A.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Bodin, J., Les six livres
de la république, 1576, http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BodinJeanLesSixLivresDeLaRepublique1576.pdf;
Hobbes, T., Leviathan 1651; Feine, H., Einwirkungen des absoluten Staatsgedankens
auf das deutsche Kaisertum, ZRG GA 42 (1921), 474; Fehr, H., Der Absolutismus
in der Schweiz, ZRG GA 69 (1952), 182; Sturmberger, H., Kaiser Ferdinand II.
und das Problem des Absolutismus, 1957; Carsten, F., Princes and parliament in
Germany, 1959; Conrad, H., Rechtsstaatliche Bestrebungen, 1961; Schnur, R.,
Individualismus und Absolutismus, 1962; Oestreich, G., Geist und Gestalt des
frühmodernen Staates, 1969; Conrad, H., Staatsgedanke und Staatspraxis, 1971;
Dreitzel, H., Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat, 1970;
Absolutismus, hg. v. Hubatsch, E., 1973, 2. A. 1988; Der aufgeklärte
Absolutismus, hg. v. Aretin, K. Frhr. v., 1974; Anderson, P., Lineages of the
Absolutist State, 1974; Aufklärung, hg. v. Hinrichs, E., 1985; Hubatsch, W.,
Das Zeitalter des Absolutismus 1600-1789, 4. A. 1975; Anderson, P., Die
Entstehung des absolutistischen Staates, 1979; Aspekte des europäischen
Absolutismus, hg. v. Patze, H., 1979; Reinalter, H., Aufgeklärter Absolutismus
und Revolution, 1979; Mousnier, R., La monarchie absolue en Europe, 1982; Meyer,
J., Frankreich im Zeitalter des Absolutismus, 1990; Henshall, N., The Myth of
Absolutism, 1992; Dreitzel, H., Absolutismus und ständische Verfassung in
Deutschland, 1992; Cornette, J., Absolutisme et Lumières, 1993, 2. A. 2000, 3.
A. 2003, 4. A. 2005, 5. A. 2008; Der Absolutismus – ein Mythos?, hg. v.
Duchhardt, H., 1996; Vec, M., Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat, 1998;
Reformabsolutismus und ständige Gesellschaft, hg. v. Birtsch, G. u. a., 1998;
Duchhardt, H., Das Zeitalter des Absolutismus, 3. A. 1998 (mit rund 1400
Literaturnachweisen); Hinrichs, E., Fürsten und Mächte, 2000; Der aufgeklärte
Absolutismus im europäischen Vergleich, hg. v. Reinalter, H. u. a., 2002; Seif,
U., Recht und Justizhoheit, 2003, (Müßig, U., Recht und Justizhoheit,) 2. A.
2009; Reinalter, H., Lexikon zum aufgeklärten Absolutismus, 2005; Absolutismus,
ein unersetzliches Forschungskonzept?, hg. v. Schilling, L., 2008; Feist, D.,
Absolutismus, 2008; Blänkner, R., „Absolutismus“, 2011 (= Dissertation von
1990)
Abstimmung ist das durch Abgabe einzelner
Entscheidungen (Zustimmung, Ablehnung, Enthaltung) erfolgende Verfahren zur
Ermittlung des Willens (Gemeinwillens) einer Gesamtheit von zu einer
Entscheidung zugelassenen Menschen oder Personen hinsichtlich einer bestimmten
Frage. Als eine besondere Form der A. ist bereits im antiken Athen der
Ostrazismus bekannt, bei dem der Angehörige des Volkes mittels je eines
Tonscherbens (griech. ostrakon) darüber abstimmen kann, ob ein Bürger, der die
politische Ordnung gefährdet, für 10 Jahre ohne Verlust des Vermögens und
seiner sonstigen Rechtsstellung verbannt werden soll. Im Einzelnen erfolgen
dann Abstimmungen nach ziemlich unterschiedlichen Regeln (z. B. Stimmzählung
und Mehrheitsentscheidung in der Goldenen Bulle 1356, Willensbildung nach
Kurien im Reichstag des Heiligen römischen Reiches), bis in der Mitte des 19.
Jh.s sich die Einheitlichkeit des Abstimmungskörpers mit grundsätzlich gleichem
Stimmrecht (Verfassung des deutschen Reiches von 1848) durchzusetzen beginnt.
Im 20. Jh. ist die A. des Volkes über eine politische Frage ein Entscheidungsverfahren
unmittelbarer Demokratie. Eine Sonderform der A. stellt die →Wahl dar.
Lit.: Stutz, U., Die Abstimmungsordnung der Goldenen
Bulle, ZRG GA 43 (1922), 217; Stutz, U., Der Jüngste stimmt zuerst, ZRG GA 49
(1929), 435; Schubert, F., Die deutschen Reichstage, 1966; Scheuner, U., Das
Mehrheitsprinzip, 1973; Heun, W., Das Mehrheitsprinzip, 1983; Bleicken, J., Die
Verfassung der römischen Republik, 2000
Abstraktion (1571) ist
die Lösung eines allgemeine Merkmale enthaltenden Umstands von einzelnen
Erscheinungsformen. Im 19. Jh. setzt die →Pandektistik auf der Grundlage
einer Entscheidung des römischen Juristen Julian/Iulianus (Hadrumetum um 100-um
170) die Trennung des →Verfügungsgeschäfts (→Übereignung,
→Abtretung) von dem ihm als Grund (lat. [F.] causa) zugehörigen
→Verpflichtungsgeschäft und die Trennung des Innenverhältnisses (Auftrag)
vom Außenverhältnis (Vollmacht) mit Hilfe des Prinzips der A. durch (Abstraktionsprinzip).
Lit.: Buchholz, S., Abstraktionsprinzip und
Immobiliarrecht, 1978; Landwehr, G., Abstrakte Rechtsgeschäfte, (in)
Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 173; Eisenhardt, U., Die Entwicklung
des Abstraktionsprinzips, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997;
Ferrari, F., Vom Abstraktionsprinzip und Konsensualprinzip zum
Traditionsprinzip, ZEuP 1993, 52; Rodríguez-Rosado, B., Abstraktionsprinzip und
redlicher Erwerb als Mittel zum Schutze des Rechtsverkehrs, 2010; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Abt (Lehnwort lat. abbas, abbatem [Akk.] 4. Jh., „Abt,
Vater“, Lehnwort gr. ábba, aram. abba, „Vater“, Lallwort) ist seit dem 4. Jh.
der Leiter einer rechtlich selbständigen Niederlassung eines christlichen
→Ordens des weströmischen Gebiets. Er wird als geistlicher Vater (lat.
pater [M.] spiritualis) verstanden. Die auf den Kirchenvater Augustinus
(354-430) zurückgehende Ordensregel Benedikts von Nursia (480-547) legt
Einzelheiten der Stellung genauer fest. Demnach erfordert die Weihe zum anfangs
vom Bischof eingesetzten, nach den Novellen Justinians von sämtlichen Mönchen
gewählten A. vorbildliche Lebensführung und Weisheit. Der A. hat gegenüber den
Mönchen Rechte wie ein Vater gegenüber Kindern. Deshalb schulden die Mönche
Gehorsam und Ehrerbietung. Im fränkischen Reich tritt neben das freie Wahlrecht
der Mönche das Einsetzungsrecht eines jeweiligen Herrn (einer Gründerfamilie).
Seit karolingischer Zeit wird der A. auch mit weltlichen Aufgaben betraut.
Synoden von Rom (826) und Poitiers (1078) sowie das Konzil von Vienne (1311/2)
legen die Voraussetzung der Weihe zum Priester für den A. fest. Im 11. und 12.
Jh. dringt der Grundsatz der freien Wahl für kurze Zeit wieder vor.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Hegglin, B., Der
benediktinische Abt, 1961; Salmon, P., L’abbé dans la tradition monastique,
1963; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Seibert, H.,
Abtserhebungen, 1995; Wiech, M., Das Amt des Abtes im Konflikt, 1999
Abtei (lat. [F.] abbatia) ist seit der
frühen Neuzeit die von der Stellung und Tätigkeit eines Abtes übernommene
Bezeichnung für die von einem →Abt geleitete, rechtlich selbständige
Niederlassung eines christlichen Ordens. Die A. kann →Reichsabtei,
landsässige A. oder der römischen Kirche unterstellte freie A. sein.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Blume, K., Abbatia, 1919;
Wehlt, H., Reichsabtei und König, 1970; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte,
1950, 5. A. 1972; Brandstetter, A., Die Abtei, 1999
Äbtissin ist die Leiterin einer rechtlich selbständigen
Niederlassung eines christlichen Frauenordens (des weströmischen Gebiets).
→Abt
Lit.: Klapp, S., Das Äbtissinnenamt in den
unterelsässischen Frauenstiften, 2012; Schröder-Stapper, T., Fürstäbtissinnen,
2015
Abtreibung ist der künstlich herbeigeführte
vorzeitige Abgang der (beseelten) menschlichen Leibesfrucht aus dem
Mutterleib. Die A. ist nach römischem Recht zeitweise zulässig. Die
→Kirche wertet sie zunächst in jedem Fall als →Mord, Gratian (um
1140) beurteilt aber die A. vor dem 40. Tag der Schwangerschaft auf Grund von
Exodus 21,22-23 milder. Die Aufklärung lehnt die kirchliche Lehre ab. Seit etwa
1970 (z. B. Österreich 1974) wird die kirchliche Auffassung im weltlichen Recht
zunehmend eingeschränkt und der medizinisch einfach gewordene Schwangerschaftsabbruch
in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft als (nach einer Beratung in
Deutschland seit 1995 zwar rechtswidrig, aber) straffrei zugelassen.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Lewin, L., Die
Fruchtabtreibung, 4. A. 1925; Huser, R., The Crime of Abortion, Diss.
Washington 1942; Noonan, J., The Morality of Abortion, 1970; Jerouschek, G.,
Lebensschutz und Lebensbeginn. Kulturgeschichte des Abtreibungsverbots, 1988;
Gante, M., § 218 in der Diskussion, 1991; Geschichte der Abtreibung, hg. v. Jütte,
R., 1993; Onstein, H., Die Entwicklung der Straftatbestände der Abtreibung,
Diss. jur. Münster 1996; Müller, P., Die Abtreibung, 2000 (2012 englisch);
Jerouschek, G., Lebensschutz und Lebensbeginn, 2002; Bett, J., Die Beurteilung
der embryopathischen Indikation zum Schwangerschaftsabbruch, Diss. jur.
Tübingen 2003; Putzke, S., Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit,
2003; Koch, C., Schwangerschaftsabbruch, 2004; Behren, D. v., Die Geschichte
des § 218 StGB, 2004; Usborne, C., Cultures of Abortion in Weimar Germany,
2007; Müller, W., The Criminalization of Abortion in the West, 2012
Abtretung (lat. [F.] cessio) (1360) ist
die Übertragung einer Forderung von einem bisherigen →Gläubiger
(Zedenten) auf einen anderen (Zessionar), der damit neuer Gläubiger wird. Sie
ist im römischen Recht ausgeschlossen, weil die Verbindlichkeit als
höchstpersönliches Band zwischen Gläubiger und Schuldner betrachtet wird. Erst
spät lässt das römische Recht mit Hilfe der Einrichtung des Prozessmandats
(Geltendmachung der Forderung des Gläubigers durch einen Beauftragten) und der
Novation in Form einer Stipulation zwischen Schuldner und Neugläubiger
wenigstens die Übertragung eines selbständigen Rechtes zu, eine fremde
Forderung auszuüben. Im Gegensatz hierzu entwickelt sich wohl in den
mittelalterlichen Städten die rechtsgeschäftliche Übertragung von Forderungen,
die zunächst grundsätzlich der Mitwirkung des Schuldners durch Einwilligung
gegenüber dem bisherigen Gläubiger oder durch Gelöbnis gegenüber dem neuen Gläubiger
bedarf (ausgenommen gerichtlich festgestellte Forderungen). Vereinzelt
bestehen auch Verbote von Abtretungen. Das Zustimmungserfordernis entfällt
seit dem Spätmittelalter (letztlich) unter dem Einfluss des gemeinen
Rechtes, in dem das deutschrechtliche Gedankengut die Übertragung der
Forderung auch der Substanz nach eröffnet, so dass bereits der →Codex
Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756 (II 3 § 8) die A. aufnimmt (ALR I 11
§§ 376ff., Code civil Art. 1689ff., ABGB §§ 1392ff.). Im 19. Jh. unterliegt die
einschränkende Lehre Christian Mühlenbruchs (1817) der durch Windscheid und
Bähr geprägten Vorstellung von der Abtretung als einem abstrakten
Verfügungsgeschäft (§§ 398ff. BGB, Art. 183ff. bzw. 164ff. Obligationenrecht
der Schweiz). In England gilt die Forderung als solche bis 1873 als nicht
übertragbar.
Lit.: Kaser § 55; Köbler, DRG 127, 165, 214;
Mühlenbruch, C., Die Lehre von der Zession, 1817; Buch, G., Die Übertragbarkeit
von Forderungen im deutschen mittelalterlichen Recht, 1912; Schumann, H., Die
Forderungsabtretung im deutschen, französischen und englischen Recht, 1924;
Luig, K., Zur Geschichte der Zessionslehre, 1966; Huwiler, B., Der Begriff der
Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht, 1975; Coing, H.,
Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Hoop, G., Kodifikationsgeschichtliche
Zusammenhänge des Abtretungsverbotes, 1992; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Scheffzek, S., Der
Einfluss der Mühlenbruch’schen Zessionslehre auf ausgewählte Gerichte, 2011;
Ebinger, B., Die Forderungsübertragung nach Code civil und badischem Landrecht,
Diss. jur. Mannheim 2011
Abtriebsrecht ist das Recht der Angehörigen einer
Siedlungsgemeinschaft, den Zuzug eines Fremden zu verhindern. Es ist im Titel
XLV (De migrantibus) des fränkischen Volksrechts (lst. [M.] Pactus legis
Salicae, 507-511) bezeugt und besteht bis in das 19. Jh. Allerdings kann
ein Herr einem Fremden ein Niederlassungsprivileg gewähren.
Lit.: Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte
des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff.
Abzahlung (1530) ist die planmäßig in kleineren Raten
oder Teilbeträgen erfolgende Zahlung einer Schuld.
Lit.: Köbler,
U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Abzahlungsgesetz ist das deutsche Gesetz vom 16. 5.
1894, das außerhalb des 1896/1900 geschaffenenen Bürgerlichen Gesetzbuchs die
nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika seit etwa 1835 vom Handel
umworbenen mittellosen Käufer beweglicher Sachen, die aus wirtschaftlichen
Gründen etwa Nähmaschinen, Möbel oder Kleidung nur gegen Zahlung des Preises
in Raten kaufen können, vor Benachteiligung (z. B. durch Verfall d. h.
Rücknahme der Kaufsache bei Zahlungsversäumnis und Fortbestehen der Zahlungspflicht)
schützen will. Es wird mit Wirkung vom 1. 1. 1991 durch das Verbraucherkreditgesetz
abgelöst, das zum 1. 1. 2002 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingearbeitet wird.
In Österreich wird 1896 ein Ratengesetz, 1979 ein Konsumentenschutzgesetz
erlassen.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Benöhr, H., Konsumentenschutz
vor 80 Jahren, ZHR 138 (1974), 492; Schubert, W., Das Abzahlungsgesetz von
1894, ZRG GA 102 (1985), 130; Fendel, R., Der Berliner Möbelleihvertrag, 1991
Abzahlungskauf →Abzahlungsgesetz
Abzugsrecht ist das Recht zum Abzug des Einzelnen aus
seinen bisherigen unfreien Rechtsverhältnissen, gegebenenfalls unter einer
Geldleistung. Der Abzug findet sich in vielen spätmittelalterlichen Weistümern mit
unterschiedlichen Regelungen. Mit der Bauernbefreiung des 19. Jh.s wird das A.
überflüssig.
L.: Möhlenbruch, R., Freier Zug, ius emigrandi, Auswanderungsfreiheit,
Diss. jur. Bonn 1977
acceptatio (lat. [F.]) Annahme
acceptilatio (lat. [F.]) Empfangnahme
→stipulatio
accessio (lat. [F.]) Hinzutreten, Zuwachs
accessio cedit principali (lat) - Zuwachs folgt rechtlich der
Hauptsache. →Verbindung
Accursius (Bagnolo [Certaldo] bei Florenz
1182 oder 1185-Bologna 1260 oder 1263) wird in einer bäuerlichen Familie
geboren und lehrt nach dem Studium des römischen Rechtes in Bologna (Azo,
Jacobus Balduinus) und der Promotion seit etwa 1215. Bis kurz nach 1230 legt er
(in Bearbeitung eines unvollendeten Werkes Azos?) fünfbändige, durch etwa 1200
Handschriften überlieferte Erklärungen (Kommentare) zu allen Teilen der
justinianischen Kompilation in Form von Glossenapparaten (lat. glossa [F.]
ordinaria) mit insgesamt 96940 Einzelglossen (22365 zum Digestum vetus, 17969
zum Infortiatum, 22243 zum Digestum novum 17814 zum Codex, 4737 zu den
Institutionen, 7013 zum Authenticum und 680 zu den libri feudorum, Summe dieser
Zahlen 92811) vor, in denen er Problemlösungen unter umfangreicher Verwertung
der vorangehenden Literatur bietet. Außerdem sind 8 seiner Gutachten (Konsilien)
erhalten, während eine bezeugte Summe nicht überliefert ist. Zu seinen Schülern
zählen Odofredus und Papst Innozenz IV.
Lit.: Söllner § 25; Köbler, DRG 106; Genzmer, E., Zur
Lebensgeschichte des Accursius, FS L. Wenger, Bd. 2 1945, 223; Atti del
convegno internazionale di studi accursiani, ed. Rossi, G., Bd. 1ff. 1968;
Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997, 335; Jakobs, H., Magna
Glossa, 2006
Achilleisches Hausgesetz →Dispositio Achillea
Achramire (lat.-afrk.), adchramire, ist die
frühmittelalterliche Bezeichnung für das Versprechen (Geloben), einen
Gerichtstag wahrzunehmen, einen Eid zu leisten oder einen Bürgen oder Zeugen
zu stellen (Lex Salica [507-511] 62 u. ö.). Das a. erfolgt unter Übergeben oder
Zuwerfen eines (gekerbten) Stäbchens (lat. [F.] →festuca, vielleicht
ursprünglich mit der [lat., F.] framea, Lanze).
Lit.: Köbler, LAW; Daberkow, M., Adhramire und die
germanische framea, Z. f. d. P. 49 (1923), 229
Acht ist im mittelalterlichen deutschen Recht die als
Unrechtsfolge (Strafmittel oder Verfahrensmittel) mögliche allgemeine
Verfolgung. Die A. folgt auf verschiedene Taten, die eine niedrige Gesinnung
widerspiegeln (z. B. Mord, Treubruch). Wird der Täter in der Tat ergriffen, so
kann er folgenlos getötet werden. Im Übrigen bedarf es eines besonderen
Verfahrens, in dem die A. erklärt wird. Der Geächtete steht außerhalb des
Rechtes, ist Feind aller und kann von jedem folgenlos getötet werden. Das bewegliche
Vermögen des Geächteten wird verteilt, die Liegenschaft verwüstet. Mindere
Formen der A. sind zeitlich (z. B. auf ein Jahr) befristet. Bei fruchtlosem
Ablauf einer damit verbundenen Gestellungsfrist (Ungehorsamsacht) verfällt der
Betreffende in →Aberacht. Die vom König oder seinem Gericht verhängte A.
gilt als →Reichsacht im gesamten Reich. Lösung aus der A. ist möglich.
Im Laufe des Mittelalters entwickelt sich die A. zu einer differenzierten
Rechtsfigur, die mit Erstarkung der staatlichen Gerichtsherrschaft
verschwindet (wegen der Vollstreckungsschwäche des Reiches vom
Reichskammergericht zuletzt noch 1698, vom Reichshofrat zuletzt noch 1709
ausgesprochen).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Eichmann, E., Acht und
Bann, 1909; Künßberg, E. Frhr. v., Acht, 1910; Heusler, A., Das Strafrecht der
Isländersagas, 1911; Poetsch, J., Die Reichsacht, 1911; Ruf, F., Acht und
Ortsverweis im alten Land- und Stadtgericht Nürnberg, Mitteilungen des Vereins
für Geschichte der Stadt Nürnberg 46 (1955), 1; Siuts, H., Bann und Acht, 1959;
Landes, D., Das Achtverfahren, Diss. jur. Frankfurt am Main 1964; Jacoby, M.,
Wargus, 1974; Kampmann, C., Reichsrebellion und kaiserliche Acht, 1992; Weber,
M., Zur Bedeutung der Reichsacht in der frühen Neuzeit, ZHF Beiheft 19 (1997),
55
Achtbuch ist das über die von einem Gericht
ausgesprochene →Acht (und dadurch die Geächteten) geführte Buch
(Register), wie es anscheinend erstmals der Reichslandfriede des Jahres 1235
vorsieht (z. B. Lübeck 1243, Iglau 1249, Rostock 1258, Rothenburg ob der Tauber
1274, Nürnberg 1285, Achtbuch der Reichshofgerichtsschreiber Petrus Wacker und
Johann Geisler zwischen 1417 und 1445 mit fast 600 Einträgen u. a.).
Lit.: Schultheiß, W., Nürnberger Rechtsquellen, Bd.
1f. 1960, 16; Battenberg, F., Das Achtbuch der Könige Sigmund und Friedrich
III., 1986
Achtklausel ist die in mittelalterlichen Verträgen
enthaltene Vereinbarung, sich für den Fall der Vertragsverletzung der →Acht zu unterwerfen.
Lit.: Battenberg, F., Reichsacht und Anleite im Spätmittelalter,
1987´6, 288
acta (lat. [N.Pl.]) →Akten
acta municipalia (lat. [N.Pl.]) Gemeindeakten
Actio (lat. [F.]) ist im römischen
Recht die Möglichkeit, vor Gericht zu verlangen, was einem zusteht
(Klaganspruch). Im →Formularprozess trägt der Kläger in Gegenwart des
Beklagten das Begehren vor dem Gerichtsmagistrat vor und beantragt die Erteilung
einer bestimmten a. Ergibt sich, dass der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt
keine bereits anerkannte a. rechtfertigt, entfällt der Antrag. Allerdings kann
der Gerichtsmagistrat, wenn er das Begehren des Klägers gleichwohl als
rechtsschutzbedürftig erachtet, eine a. in factum in Aussicht stellen. Die
zugelassenen actiones, von denen jede ihre eigene Formel hat, werden vor allem
im 4. Buch der Institutionen Justinians im Titel (lat.) De actionibus (Von den
Klagansprüchen) zusammengestellt. Im Hochmittelalter anerkennt beispielsweise
Johannes Bassianus 169 verschiedene actiones. Im 19. Jh. (Windscheid 1856) wird
aus der römischrechtlichen a. der materiellrechtliche →Anspruch.
Lit.: Kaser § 82; Söllner § 9; Köbler, LAW; Windscheid,
B., Die actio des römischen Civilrechts, 1856; Bethmann Hollweg, C. v., Der
Civilprozess des gemeinen Rechts, Bd. 6 1874, 16; Peter, H., Actio und writ,
1957; Kriechbaum, M., Actio, ius und dominium in den Rechtslehren des 13. und
14. Jahrhunderts, 1996; Kollmann, A., Begriffs- und Problemgeschichte des
Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, 1996; Gröschler, P.,
Actiones in factum, 2002; Artner, M., Agere praescriptis verbis, 2002
Actio (F.) ad exhibendum (lat.), Klaganspruch auf Vorlegung,
Vorweisung (vor dem Prätor), Herausgabe, Exhibitionsklage (vgl. § 809 BGB,
Klage auf Besichtigung) ist eine (lat.) actio in personam, durch die der bei
einer (lat.) actio in rem fehlende Einlassungszwang umgangen werden kann.
Lit.: Kaser §§ 26 III 3, 27 I 5, 34 II 3
actio (F.) adiecticiae qualitatis (lat.) Klaganspruch aus Haftung
für Gewaltunterworfene
Lit.: Kaser §§ 11, 15, 49, 60, 83; Wacke, A., Die
adjektizischen Klagen, ZRG RA 111 (1994), 280
actio (F.) aestimatoria (lat.) Klaganspruch zur Schätzung
(aus Trödelvertrag)
Lit.: Köbler, DRG 48
actio (F.) arbitraria (lat.) Klaganspruch zur Schätzung
bzw. zum Ermessen
Lit.: Kaser §§ 8 IV, 83 II, 87 II
Actio (F.) auctoritatis (lat.), Klaganspruch wegen
Eviktion (Entwerung) gegen den Verkäufer, Gewährschaftsklage, ist im römischen
Recht der in den Digesten getilgte Klaganspruch eines wegen einer durch
Manzipation erworbenen Sache von einem Dritten angegriffenenen und vom
Veräußerer nicht geschützten oder unterliegenden Käufers auf den doppelten
Kaufpreis.
Lit.: Kaser §§ 7, 27, 32, 51; Söllner § 8; Brägger,
R., Actio auctoritatis, 2012
Actio (F.) certae creditae pecuniae (lat.) ist im römischen
Recht der Klaganspruch auf eine bestimmte Gelddarlehensschuld.
Lit.: Kaser §§ 39, 83
actio (F.) civilis (lat.) Klaganspruch nach dem
Zivilrecht
actio (F.) commodati (lat.) Klaganspruch aus
Leihvertrag
Lit.: Kaser § 39 II
Actio (F.) communi dividundo (lat.) ist im römischen Recht der
wohl im 3./2. Jh. v. Chr. durch eine (lat.) lex (F.) Licinia geschaffene
Teilungsklaganspruch mindestens eines Angehörigen einer Vermögensgemeinschaft.
Lit.: Kaser §§ 23 IV 83
actio (F.) conducti (lat.) Klaganspruch des
Mieters u. s. w.
Lit.: Kaser §§ 42, 83
actio (F.) confessoria (lat.) Servitutenklaganspruch,
Nießbrauchsklaganspruch
Lit.: Kaser §§ 28, 29
actio (F.) contraria (lat.) Gegenklaganspruch (bei
unvollkommen zweiseitig verpflichtenden Verträgen z. B. Aufwandsersatzklageanspruch
des Entleihers, Verwahrers, Beauftragten oder Pfandgläubigers)
Lit.: Kaser § 38 IV 2
Actio (F.) de deiectis vel effusis (lat.), Klaganspruch wegen
hinausgeworfener oder ausgeschütteter (Sachen), ist im römischen Recht der
gegen den Inhaber von Räumen wegen eines durch Hinauswerfen oder Ausgießen von
Sachen aus den Räumen entstandenen Schadens gerichtete, verschuldensunabhängige
Schadensersatzanspruch eines Verletzten auf das Doppelte des Schadens
(Quasidelikt, Erfolgshaftung?).
Actio (F.) de dolo (lat.), Klaganspruch wegen
Arglist, ist im römischen Recht der auf Anregung des C. Aquilius Gallus im 1.
Jh. v. Chr. vom Prätor bei Fehlen einer anderweitigen actio gewährte, binnen
Jahresfrist geltend zu machende Klaganspruch des durch einen Betrug Geschädigten
gegen den Täter auf Ersatz des Schadens, der durch Wiedergutmachung abgewendet
werden kann, andernfalls Infamie nach sich zieht.
Lit.: Kaser §§ 8, 83; Söllner § 9
Actio (F.) de in rem verso (lat.), Klage wegen des auf eine
Sache Verwendeten, Klaganspruch wegen eingetretener Bereicherung, ist im
römischen Recht der Klaganspruch gegen einen Gewalthaber auf Herausgabe des
Wertes, den ein Gewaltunterworfener aus einem Verpflichtungsgeschäft
erlangt und zu einer Bereicherung des Vermögens des Gewalthabers verwendet.
Das nachklassische römische Recht erweitert den Anwendungsbereich auf
Geschäftsführung durch Freie, das gemeine Recht entwickelt die a. zu einem
allgemeinen Bereicherungsanspruch wegen nützlicher Verwendung.
Lit.: Kaser § 49; Söllner § 12; Chiusi, T., Die actio
de in rem verso, 2001