(14) Beilage 1.
Vorschlag, daß eine allgemeine Gerichtsordnung und gleiches
Landrecht in allen benachbarten österreichisch-deutschen Erblanden einzuführen
seie.
Erstlich: Es könnte zu gemeinsamen Besten aller
österreichischen Erblanden nichts ersprießlicher und heilsamer sein, als wann
in allen unter einem Landsfürsten stehenden Landen eine gleiche Gerichtsordnung
und gleiches Länderrecht eingeführet wurde, mithin die gesammte Unterthanen zu
allgemeiner Wohlfahrt untern einem Gott, einem Landsfürsten und einerlei Gesetz
vereinbart zu sein sich zu erfreuen hätten.
Die Vollstreckung dieses Vortrages wäre unbeschreiblich
nutzbar, ist annebens allerdings thunlich, folget also, daß solcher Vortrag
verdienete, zu gemeinsamen Besten deren Länder in die Wirklichkeit gesetzet zu
werden. Belangend nun Andertens: Den unvergleichlichen Nutzen, kann selber
nicht mißkennet werden, wann nachfolgende Betrachtung zu Gemüth gezogen werden.
Dann 1. kann der Zeit ein wackerer österreichischer Rath nur in Oesterreich,
ein stattlicher böhmischer Rath nur in böhmischen Ländersachen und so fort mit
Nutzen gebrauchet werden; keinerdings aber kann der österreichische, obschon
ausbündige Rath zu Manipulirung deren böhmischen Länderangelegenheiten; weder
der böhmisch-fürtreffliche Rath zu ersprießlicher Manipulirung in
österreichischen Justiz- und Polizeiaffairen mit guten Nutzen angewendet
werden. Eine gleiche Beschaffenheit hat es mit denen Räthen, Officianten und
Advocaten all übriger Länder, welche für ihr Land stattlich und ausbündig sein
mögen, außer ihres Vaterlandes aber wenigen Nutzen schaffen werden. Der Satz
ist in sich selbst so richtig und unwidersprechlich, daß ein jeder böhmische
und respective österreichische oder tirolerische Rath etc. nach seinen Gewissen
wird gestehen müssen: er getraue sich zwar in böhmischen Justiz- und
Polizeiwesen, auch der böhmischen Landsverfassung in denen ihme auftragenden
Amtirungen seiner allerhöchsten Landesfürstin ein volles Vergnügen zu leisten;
allein in der österreichischen ganz unterschiedenen Gerichtsordnung, Landrecht,
Landsgewohnheiten und Landesverfassung seie ihme der nöthige Unterricht
abgängig, seie also außer Stande, nach dem Landesrecht mitzuwirken und ein
sicheres Urtheil zu fällen, ehe und bevor er sich durch besondere Anwendung und
Beflissenheit die Kenntniß der landsüblichen Gerichtsordnung und
Landessatzungen beigeleget habe.
Eine gleiche Bewandtniß hat es mit dem österreichischen,
steirischen, kärntnerischen oder tirolerischen Rath, wann selber in Böhmen zu
einer Justiz- oder anderen auf besonderer Landserfahrenheit beruhenden
Bedienstung sollte angestellet werden.
Die Ursach des Satzes ist handgreiflich: weilen jedes
Erbland mit unterschiedener Gerichtsordnung, besonderen Landsatzungen und
Gewohnheiten versehen ist, welche ohne mühesamer Erlernung und langwieriger
Uebung nicht können in Erfahrenheit gebracht werden, und um so schwerer zu
untergreifen seind, weilen selbe in keinem compilirten Landrecht, sondern
meistentheils in zerstreuten, nach und nach emanirten Satzungen bestehen.
Dahingegen wann ein gleiche Gerichtsordnung, gleiches Landrecht und
Landesverfassung in allen Erblanden eingeführet wäre, so würde der allerhöchste
Landsfürst den nämlichen Rath, nämlichen Advocaten, nämlichen Officianten in
allen Erbländern zu seinen Dienst gebrauchen, die in diesem oder jenem Land
sich äußernde Gebrechen durch Abschickung eines böhmischen oder
österreichischen Raths aller Orten leichtlich verbessern und die tauglichste
Räthe nach Erforderniß deren Umständen von einem Land in das andere anwenden
können.
(15) Eben diese Gleichförmigkeit würde der obersten
Justizstelle eine ausnehmende Leichtigkeit zur allerförderlichsten
Justizverwaltung verschaffen: anerwogen dieselbe derzeit, um in allen Ländern
die gemessene Remeduren zu verschaffen und die wahre innerliche Beschaffenheit
deren Länderbeschwerden untrüglich einzusehen, auch nothwendig aller Länder
verschiedene Gerichtsordnungen, Landessatzungen und Gewohnheiten vollständig
innen haben muß; in Fall der Gleichförmigkeit aber ganz leicht die Nothdurft
deren Länder mit heller Einsicht übersehen, die einreißende Mißbräuch tilgen
und denen etwa zudringenden Bedrangnussen deren Parteien behender zu steuren in
Stand gesetzet würde.
Durch eben diese Gleichheit des Rechtens würde auch denen
sammentlichen Erblanden selbst gegen einander der größte Nutzen zufließen, auch
Handel und Wandel aller Orten in besseren Flor gebracht werden. Indeme nicht
anzustehen,
daß derzeit die Einwohnern eines Landes von darumen Bedenken
tragen, Verkehrungen mit eines anderen Landes Inwohnern zu machen und Gelder
dahin zu leihen oder sich daselbst Realien anzukaufen, weilen selbe wegen
Unterschiedenheit deren ihnen unbekannten fremden Rechten in Sorgen stehen, in
Rechtsführungen verflochten zu werden oder ihre ausleihende Capitalien
schwerlicher hereinbringen zu können. Dahingegen bei obwaltend – gleichen Recht
und zu erwarten habend – gleicher Justizadministration vorgedachte Besorgung
von selbst hinwegfallen und besseres Zutrauen zwischen denen Einwohnern deren
verschiedenen Ländern eingepflanzt wurde. Deme hinzukommet, daß wann in zwei
Ländern entgegenstehende Rechte beobachtet werden, zum Exempel in einem Land
wird eines Abwesenden Gut nach verstrichenen 32 Jahren denen nächsten
Anverwandten zugetheilet; in dem anderen Land muß eine längere Zeit abgewartet
werden; in einem Land kann ein ausländisch, obschon näherer Anverwandter nicht
erben, falls ein obschon weitschichtigerer Blutverwandter im Land ist; in dem
anderen Land erbet der nächste Anverwandte, er seie aus diesem oder jenem
Erbland gebürtig. Bei solchen in denen Erblanden selbst vorfindig
entgegengesetzten Rechten entstehet das Jus reciproci, retorsionis, seu
repressaliorum, wodurch die Unterthanen von einerlei Landsfürsten, jedoch von
zweierlei Landschaften zu schweren Rechtführungen verleitet werden, welches jus
retorsionis oder Wiederkehrungsrecht durch die Gleichförmigkeit des Rechtens
von selbst aufhöret. Gleichwie nun keinem Zweifel unterworfen zu sein scheinet,
daß die Gleichheit des Rechts und Justizadministration in denen Erbländern
höchst nutzbar; so ist
Drittens: An der Thunlichkeit solch gleichförmigen
Einführung ebenfalls nicht anzustehen. Die Römer haben untern einem Gesetz die
ganze Welt regieret: der Kaiser Justinian hat sein Recht nicht für die Stadt
Constantinopel, sondern für alle seine Ländereien zusammentragen lassen. Warum
sollte also nicht ebenfalls thunlich sein, daß wenigstens die österreichischen
benachbart deutsche Erbländer unter einerlei Gerichtsordnung, unter einerlei
Satzungen sollten können vereiniget werden?
Die Verschiedenheit deren Gerichtsordnungen und
Landsordnungen und Gewohnheiten nimmt ihren Ursprung, weilen vor alten Zeiten
diese Länder ihre eigene Herzoge gehabt. Nachdeme nun diese Landschaften unter
dem glorreichesten Haus Oesterreich (welches der Allerhöchste bis zum Ende der
Welt mit reichesten Segen erfülle und und in immerwährenden Wachsthum erhalte),
mithin unter einem allerdurchlauchtesten Oberhaupt vorlängst mit glücklichsten
Band verknüpfet worden, so ist keine Hinderung, womit auch alle diese Länder
mit einem gleichförmigen Gesetz untereinander auf das genaueste verbunden
werden. Die zu den alten Gewohnheiten vorhangende Privatneigungen müssen der
gemeinsamen Nutzbarkeit jederzeit weichen. Es ware in Land Oesterreich ob der
Enns eine uralte Landsgewohnheit, daß die Verlassenschaften nicht bei Gericht
ordentlich abgehandelt, weder die Gerhabschafts-Raittungen zu Gericht erleget,
weder die denen Gütern
(16) anklebende Eigenschaften eines Fideicommissi, eines
lehenbaren Guts, weder die darauf haftende onera ordnungsmäßig bei denen Gütern
fürgemerket, weder ein ordentliches Vormerkbuch oder Landtafel zur
Sicherstellung deren Hypotheker-Creditore eingeführet worden. Ihrer kaiserl.
königl. Majestät haben aus erleuchtester Einsicht gründlichst erkennet, daß
diese alte Gewohnheiten dem gemeinsamen Ländernutzen entgegenstehen und dahero
mit gerechtester Entschließung die gleichförmige Einführung der in anderen
Ländern bereits mit guten Nutzen in Uebung gebrachten Landtafel nebst denen
künftigen Verlassenschaftsabhandlungen und was deme anhängig, allergnädigst
anbefohlen.
Der Ihrer kaiserl. königl. Majestät angestammte Justizeifer,
die mehr als mütterlich zärtlichste Liebe für allerhöchst dero getreueste
Unterthanen, die zu Unternehmung aller ansonst schwersten Handlungen angeborne
bewunderungswürdige, höchste Gemüthsgaben und die zu werkthätiger derenselben
Ausführung besitzend lebhafteste Standhaftigkeit können unschwer zu Stand
bringen, daß auch in allen übrigen Rechtstheilen eine Gleichförmigkeit in allen
dero Erblanden zu allgemeiner Wohlfahrt zu Stand gebracht werde, wann zu
solchen Erwirkungsende eine autorisirte perpetuirliche Hofcommission
niedergesetzet und derselben das Werk mit Vernehmung deren Länderstellen in die
erforderliche Weg einzuleiten die behörige Gewalt eingeräumt würde.
Es würde ja ex. gr. In Betreffung der Gerichtsordnung denen
Ländern gleichgiltig sein: ob der Execut.-ordin.-Concursproceß etc. Die
Appellations-Revisionsordnung etc. mit diesen oder jenigen Fristen, mit solch
oder anderen Formalitäten, mithin gleichförmig in allen Ländern abgeführet
würde? Wann nur hiebei der Hauptendzweck der fördersamen Justizadministration
erreichet wird. Es würden sich endlich auch die Rechtsmaterien selbst mit
gemeinsamer Vernehmung der Ländern in eine Gleichstimmigkeit zusammen bringen
lassen, allenfalls aber, wann doch ein oder anderen Land einige besondere
Rechten und Gewohnheiten aus triftigen Ursachen müßten beigelassen werden,
würden solche jedoch zum allgemeinen Wissen öffentlich kundgemacht und dem
allgemeinen Länderrecht einverleibet werden müssen.
Beilage 2.
Grundsätze
zur Verfassung des allgemeinen Rechts für gesammte kaiserl.
königl. deutsche Erblande, wie solche bei der zu Brünn niedergesetzt gewesenen
Commission zu gründlicher Ausarbeitung des Codicis Theresiani Universalis allen
anfangs entworfen, einmüthig genehmiget und zeithero unabweichlich beobachtet
worden.
Anmerkung.
Nachdeme durch allerhöchste Entschließungen von 14. Mai und
18. Juni 1753 die vorbesagte Commission dahin angewiesen worden, daß in
Ausarbeitung des Codicis Theresiani die vorhandene heilsamste Ländergesetze
gegen einander gehalten, das natürlichste und billigste ausgewählet, der Abgang
nach der gefunden Vernunft, dann allgemeinen Natur- und Völkerrecht erganzet,
nach Bedürfniß neue Satzungen vorgeschlagen, und so gestaltet die Länderrechte
(ohne allen Vorurtheil für eines oder das andere) in Gleichförmigkeit gebracht
werden
(17) sollten; so hat erdeute Commission in
allerunterthänigster Befolgung sothaner allerweisesten Maßregeln die
allerhöchste Absicht desto gesicherter zu erreichen und die Compilation des
codicis universalis allmöglichst zu beschleunigen der Nothdurft zu sein
erachtet, sich über gewisse Grundsätze vorläufig zu vereinigen, denen in
Auswahl des billigsten, Ergänzung des abgängigen und Vorschlag des allenfalls
nöthigen ganz neuen Rechts zuverläßlich nachgegangen werden könnte.
Die Absicht ware zugleich vorzubiegen, damit in dem Fortgang
deren Commissional-Operationen es nicht auf bloßes Gedünken und Dafürhalten
ankommete, was das Natürlichste und Billigste seie. Vielmehr eine
einverständliche Richtschnur vorhanden wäre, das Natürlichste und Billigste aus
richtigen Grundsätzen abzufolgern, denen man wegen offenbarer Billigkeit und
untrüglichen Vernunftsschluß nicht leicht entfallen könnte. Immaßen ohne
vorgehender Feststellug solch sicherer Grundsätzen zu besorgen gewesen, daß
eben hierüber, was das Natürlichste und Billigste seie, die Meinungen sich am
allermeisten theilen, die Ausarbeitung verzögeren und die Erreichung des
allerhöchsten Endzwecks verspäten dürften.
Folgen die alldaselbst commissionaliter concertirte
Compilationsgrundsätze.
I. Wann ein Unterschied zwischen denen Länderrechten
vorkommet, ist auf dessen Ursprung zu sehen, und damit solcher entdecket werde,
soweit als möglich hinauf zu gehen, bis auf ein Hauptprincipium gelanget werde,
worinnen die zum Augenmerk habende Länderrechte, entweder ausdrücklich
übereinkommen oder wenigstens nichtes enthalten, so diesem Principio entgegen
wäre.
II. Ein solches Hauptprincipium ist unstrittig für den
natürlichsten und billigsten Grundsatz zu halten, und wird entweder offenbar in
dem Natur- und Völkerrecht gegründet sein, oder, da es auch ein principium
juris positivi wäre, wegen Einhelligkeit deren erbländischen Gesetze außer
Anstand zu beruhen haben, weil hieran die abgezweckte Gleichförmigkeit schon
erreichet ist. Es wäre dann, daß ohnerachtet der Einhelligkeit deren bisherigen
erbländischen Gesetzen etwas Billicheres und zu Erreichung dermaligen Endzwecks
Diensameres vorzuschlagen und fürders pro principio zu halten wäre.
III. Von dergleichen unstrittigen Grundsatz seind allemal
die nächste Folgen abzuleiten, und wann in diesen die Länderrechte
übereinkommen, oder nichts Widriges enthalten, ist sofort eine jede sichere
Folge zum weiteren Grundsatz anzuuehmen (= anzunehmen). Wann jedoch gleich in
denen ersteren Folgen sich ein Unterschied hervorthäte, ist fernerweit dessen
Ursprung oder Anlaß zu erforschen.
IV. Ob nämlich der Unterschied selbst von dem Inhalt derer
bisherigen Ländergesetze, oder von hergebrachten landesfürstlich bestätigten,
oder bloß zugelassenen Gewohnheiten, oder nur von Gebrauch und Uebung deren
Gerichten herrühre.
Ob ferner ein solcher Unterschied in die Hauptverfassung
oder Freiheiten deren Länder unmittelbar einschlage oder nicht.
V. Ebenermaßen, wann von einem einhelligen Grundsatz, oder
richtigen Folge sich in diesen oder jenen Länderrecht ein Abfall oder Ausnahme
zeiget, ist zu untersuchen, ob selbst die Ländergesetze derlei Abfall oder
Ausnahme bemerken, oder ob ein hergebrachte landesfürstlich bestätigte, oder
bloß geduldete Gewohnheit den Abfall oder Ausnahme eingeführet habe, oder ob
endlich nur durch Gebrauch und Uebung deren Gerichten von dem Hauptsatz ein
Abfall und von der Regel eine
(18) Ausnahme entstanden seie, nicht minder ob derlei Abfall
oder Ausnahme die Hauptverfassung oder Privilegia eines Erblandes betreffe oder
nicht?
VI. Ist ein Unterschied deren von einem Hauptprinzipio
ableitlichen Folgen, oder ein Abfall und Ausnahme hiervon, in dem Buchstaben
eines oder des andern Landrechts gegründet, so ist förderist auf den wörtlichen
Verstand des Landesgesetzes, dann auf Sinn und Meinung des höchsten
Gesetzgebers und endlich auf den Endzweck und Bewegursache der Gesetzgebung zu
sehen.
VII. Wann der wörtliche Ausdruck unterschieden, doch Sinn
und Meinung einerlei ist, so wird keine Beschwerniß sein, von den Worten
abzugehen und nach Sinn und Meinung des höchsten Gesetzgebers ein
gleichförmiges Gesetz zu entwerfen. Wann aber solch höchster Sinn und Meinung
nicht klar genug abzunehmen wäre, so ist die End- oder Bewegursache des
Gesetzes desto nothwendiger zu ergründen.
VIII. Zielet nun ein und das andere Gesetz zu gleichem
Endzweck, so kann dasjenige gewählet werden, was leichterer und sicherer darzu
führet. Ist aber der Endzweck mehrerlei, so ist die Hauptabsicht denen anderen
vorzuziehen; ist endlich der Hauptendzweck ganz unterschieden (so sich nicht
leicht ergeben wird), so kommet fernerweit zu erwägen:
IX. Ob es um ein bloßes arbitrarisches Gesetz zu thun seie,
so keine andere Ursach für sich hat, als den
besonderen Willen des höchsten Gesetzgebers für dieses oder jene Land.
Solchenfalls (weil dermalen der allerhöchste Willen auf Gleichförmigkeit des
Rechts in allen Erblanden gerichtet ist) kann man jenes von denen bisherigen
Gesetzen wählen, oder ein zur allgemeinen Maßgab neu vorschlagen, welches dem
ungekünstelten Natur- und Völkerrecht am allermeisten beikommet und der
gegenwärtigen politischen Verfassung deren gesammten kaiserlich königlichen
deutschen Erblanden am gemäßesten ist.
X. Ob hingegen es um ein Gesetz zu thun seie, welches tief
in die Länderverfassung einschlaget und welches der Gleichförmigkeit halber in
einen oder dem andern Land abzuändern von darumen Bedenklichkeit hätte, weil
der Hauptendzweck des Gesetzes, von der unterschiedenen Verfassung des Landes
unabtrennlich wäre und zu besorgen stünde, daß bei einzuführender Gleichheit
dies- oder jenes ländige Verfassung gestöret und der gesetzgebige Hauptendzweck
solchländig verfehlet würde.
Solchenfalls ist in keine Auswahl oder Vorschlag eines neuen
Rechts einzugehen, weil dasjenige, was den statum publicum oder die politische
Verfassung ein und des andern Erblandes anbetrifft, von dem objecto des
abzufassenden Codicis Theresiani durch das kaiserliche königliche Hofdecretum
von 14. Mai 1753 besonders ausgeschlossen und sich hierein nicht einzulassen
zur Richtschnur geboten ist.
XI. Es wird solchemnach in derlei Fällen der vorkommende Unterschied
auch in denen nachherigen Folgen beizuhalten, und denen für allgemein
abfassenden Sätzen eine dahin beziehende Ausnahme jedesmal beizufügen sein,
damit allerhöchsten Orts sowohl dasjenige, was in jeden Vorfall überhaupt
billig, als auch dasjenige, was denen sonderheitlichen Verfassungen oder
landesfürstlichen Verleihungen und Freiheiten gemäß und hieraus erfolgreich
seie, zugleich abgenommen werden möge, und wobei es zu bewenden habe,
unterwerflichst anheim verbleibe.
XII. Wann der Unterschied deren von einem einhelligen
Hauptprinzipio ableitlichen Folgen, Abfällen oder Ausnahmen nur von
Gewohnheiten (so entweder landesfürstlich bestätiget, oder unbestätiget seind)
herrühret, so ist vornemlich hierauf zu sehen, ob eine dergleichen Gewohnheit
irgendswo per legem expressam bestätigt seie, oder sich in landesfürstlichen
Satzgebungen, General-Verordnungen, Handvesten, Recessen, Rescripten,
Endbescheiden oder anderen ausdrücklichen allerhöchsten Willensäußerungen
hierauf bezogen werde, oder ob nicht ein solche
(19) Gewohnheit nur in Landesgebrauch und lediglich in
tacito principis consensu bestehe.
XIII. Im ersten Fall, weil ein solche Gewohnheit, wo nicht
bereits in jus scriptum verwandlet worden, doch den ausdrücklichen
landesfürstlichen Willen für sich hat, ist solche anderen Landesgesetzen gleich
zu achten, mithin auf die vorher angezeigte Art, bei sich zwischen denen
Ländern ereignenden Unterschied zu verfahren.
XIV. Im anderten Fall ist zwar in Rechten des juris scripti
et non scripti, mithin des consensus principalis expressi et taciti einerlei
Wirkung. Es höret aber Letzerer (!) (= Letzterer) auf
und kann jus consuetudinarium in solcher Qualität nicht ferner bestehen, wann
(wie in Gegenwart) der allerhöchste landesfürstliche Willen dahin gehet, ein
beschriebenes gewisses und gleichförmiges Recht allenthalben einzuführen.
XV. Es wird dahero eben hierinfalls ankommen, ob consuetudo
circa mere arbitraria versire? Und da wird vorzüglich das Augenmerk und Bedacht
auf die ein- oder mehrländige legem scriptam zu nehmen und solche bei Befund
einer allen Ländern gemeinsamen Andienlich- und Nutzbarkeit auf übrige Erblande
zu extendiren sein.
Es wäre dann, daß ganz andere Ursachen für eines oder übrige
Erblande unterwalten thäten, welche bei vorschlagender extension den
gesetzgebigen Endzweck unsicher machen oder dies- und jenerländige Verfassung
alteriren thäten, oder daß die in ein und andern Ländern eingeführte
Gewohnheiten dem allgemeinen Natur- und Völkerrecht und der natürlichen
Billigkeit näher beikämen, als das etwa anderländig vorfindliche geschriebene
Recht.
XVI. Gestalten eben wie bevor bei unterschiedenen
Ländergesetzen, also auch bei unterschiedenen Gewohnheiten oder Gesetzen und
Gewohnheiten gegen einander es also zu nehmen ist, daß wann solche tief in die
Länderverfassung einschlagen, sich in die Auswahl oder anderweiten Vorschlag
nicht einzulassen, sondern der Unterschied in allen daraus ableitlichen Folgen
beizuhalten und als eine auf dergleichen in die Landesverfassung einschlagende
Gewohnheit sich beziehende Ausnahme zu bemerken seie.
XVII. Es wird aber, wann es um die Frage zu thun, ob ein
besonderes Landesgesetz oder Gewohnheit in die Landesverfassung einschlage,
nicht eine jedwede entfernte connexion zu beirren haben, daß sofort fürzugehen
angestanden und die einzuführende Gleichförmigkeit für unthunlich angesehen
werden sollte. Ansonsten, da bekanntlich alle Gesetze und Gewohnheiten zu
gemeinen Besten abzielen (allwohin auch die Verfassung eines jeglichen Landes
gerichtet ist), in allen Fällen
(20) ein Zusammenhang vorgeschützet werden könnte, um bei
vorigen Gesetzen und Gewohnheiten zu beruhen und einen vielfältigen Unterschied
deren Länderrechten fernerweit zu hegen.
XVIII. Gleichwie nun dieses der allerhöchsten zur
Gleichförmigkeit des Länderrechts abzielenden Intention sehr entgegen wäre, als
wird bei Vorkommen deren sonderheitlichen Ländergesetzen und Gewohnheiten nur
auf unmittelbaren und wesentlichen Einfluß in die Länderverfassung, nicht aber
auf alle entfernte Folgerungen, deren so gestaltige, oder andere Bewandtniß
mehr gleichgiltig als bedenklich sein kann, zu sehen sein.
XIX. Wesentlich und derohalben in der Verabfassung des juris
privati nicht zu berühren ist alles dasjenige, was die landesfürstliche Hoheit,
und Regalien, das aerarium, die jura commercialia, fiscalia, außer wo der
Fiscus sich des juris privatorum gebrauchet, und dergleichen anbetrifft.
Was die Ordnungen, Vorrechte, Privilegia und Freiheiten
deren Stände angehet, ist ebenfalls für wesentlich
anzusehen.
Eben also was die Bestellung deren Gerichte, die Verwaltung
des gemeinen Wesens, Handhabung der Gerechtigkeit, Ordnung der Polizei und
dergleichen anbetrifft.
XX. Was hingegen, ob es also oder anderst gehalten werde,
denen landesfürstlichen juribus unnachtheilig, denen ständischen Privilegiis
unabbrüchlich, der Verwaltung gemeinen Wesens und Handhabung der Gerechtigkeit
unverhinderlich zu sein befunden wird, ist nicht für so wesentlich anzusehen,
daß nicht gestattet wäre in dahin einschlagenden Rechtsfällen auf Gleichförmigkeit
zu trachten, und entweder eines von denen bisherigen, oder ein neues Recht zu
allgemeinen Maßgab vorzuschlagen.
XXI. Wann endlich ein Unterschied deren von einem
einhelligen Principio, oder richtigen Folge weiterhin ableitlichen Sätzen,
Abfallen oder Ausnahmen bloß von Gebrauch und Uebung dies- oder jenländiger
Gerichten herkommet, so ist zu beobachten:
Ob solcher Gebrauch und Uebung durchgängig und universal bei
allen dortländigen Gerichtstellen, oder nur sonderheitlich bei einigen
Gerichten seie?
Ob dieser in denen landesfürstlichen Instructionen deren
Gerichtstellen gegründet, oder nur nebenhin eingeführet seie?
Ob solcher jemalen von allerhöchsten Ort bestätiget, oder
bei höchster Behörde hiernach decidiret worden?
Ob solcher Gebrauch und Uebung lediglich eine Formalität,
oder selbst das materiale causarum anbelange?
XXII. Ist der Gebrauch durchgängig und universal, so ist
solcher für eine Landesgewohnheit und falls derselbe ausdrücklich in einer
landesfürstlichen Instruction gegründet wäre, sogar pro lege zu achten und wie
vorhin von unterschiedenen Gesetzen und Gewohnheiten gemeldet worden, in
operando fürzugehen. Eben also, wann solcher jemalen allerhöchst bestätiget
oder bei höchster Behörde hiernach judiciret worden wäre, und hauptsächlich damalen,
wann der Gebrauch und Uebung in das materiale causarum einschlaget.
XXIII. Ist aber derlei Gebrauch nicht durchgängig und bei
allen Gerichten üblich, auch nicht in instructionibus deren Gerichtstellen
gegründet, sondern nur nebenher eingeführet, per decisa summi principis nicht
bestätiget und (wie mehrentheils) nur auf die Formalität gerichtet; da kommet
hauptsächlich zu beobachten, ob nicht vielmehr ein Mißbrauch oder Ueberfluß
darunter enthalten seie, welchenfalls die
(21) nachdrücklichste Maßgab in vorgedachten kais. köngl.
Hofdecreto von 14. Mai enthalten ist, die eingeschlichenen Mißbräuche und
Verzögerungen zu entdecken und darauf zu reflectiren, wie solche gänzlichen
abzuthun. Besonders ist mit aller Strenge dargegen fürzugehen, wann derlei Mißbräuche
und Aufzüge von denen Advocaten herrühren und mit dem Vorwand einer praxis
judiciariae bemäntlet werden.
XXIV. Aber da auch ein und anderer Gerichtsgebrauch, Praxis,
Stylus und wie immer benamende Formalität an sich selber nicht verwerflich wäre
und in ihren Schranken zu keinen Umtrieb gereichete, ist doch auf dergleichen
versessen zu sein keine genügliche Ursach, alsbald auf andere Art eben sowohl
(um so mehr, wann leichter und geschwinder) zu Recht verholfen werden kann.
Ueberhaupt ist hierinnen der Natürlichkeit nachzugehen, und
seind diejenige Gerichtsübungen vorzuziehen oder allenfalls neu vorzuschlagen,
bei welchen die wenigste Subtilität erforderlich, die mindeste Beirrung
besorglich, der geringste Aufwand nöthig und die größte Beschleunigung zu gewarten
ist.
XXV. Sogestalt ist in Fällen zu verfahren, wo die bisherige
Länderrechte, Gewohnheiten und Gebräuche eines oder mehrere von denen übrigen,
oder alle von einander unterschieden seind, doch den Fall, um welchen es zu
thun, vollständig in sich begreifen.
Wann aber ein oder anderer Fall zwar berühret, jedoch nicht
vollständig entschieden wäre, also daß zu vollständiger Entscheidung sich ein
Abgang deren Länderrechten oder statthabenden Gewohnheiten erzeigete, so ist
dergleichen Abgang aus dem natürlichen und Völkerrecht zu ersetzen.
XXVI. Wann endlich ein Vorfall in denen bisherigen
Länderrechten gar nicht ausgemessen, weder durch löbliche Gewohnheiten eine
sichere Beobachtung eingeführet wäre, vielmehr die Bedürfniß und Billigkeit ein
ganz neues Gesetz erfordern thäte, so ist ein solches ohne Rücksicht auf
bisherige Observanz in Vorschlag zu bringen.
Weil jedoch in diesen und vorigen Fällen das Natur- und
Völkerrecht, dann die Bedürfniß und Billigkeit zur Richtschnur vorgeschrieben
ist, so will eine nähere Anleitung vor sich zu haben nöthig sein, wie dem
Natur- und Völkerrecht verläßlich nachgegangen und nebst der natürlichen
Billigkeit zugleich der Bedürfniß hinlänglich vorgesehen werden könne.
XXVII. Das Natur- und Völkerrecht zwischen Privatpersonen
(maßen es nur um Privatrecht zu thun ist), erstrecket sich so weit, als viel
deren unterschiedenen Handlungen in menschlicher Gesellschaft vorkommen, wovon
der Gebrauch gesitteten Völkern eigen und gemeinlich ist.
Es seind jedoch gewisse Hauptquellen, mittelst welchen die
natürliche Billigkeit in alle Civilhandlungen den Einfluß hat, nicht nur
inwieweit es unmittelbar um Erhaltung der menschlichen Gesellschaft zu thun
ist, sondern auch, was mittelbar zu diesem Endzweck gereichet.
Und es seind nicht allemal strenge Pflichten, deren
Unbeobachtung das Band der menschlichen Gesellschaft auflöset, welche zur
Richtschnur der natürlichen Billigkeit andienen, sondern es seind auch gewisse
Wohlanständigkeiten, bei welchen eine besondere Billigkeit unterwaltet.
XXVIII. Es ist zum Beispiel die natürliche Freiheit eines
von jenen unschätzbaren Gütern, so nicht weiter zu verschränken, als es das
gemeine Wohl erforderet und darumen erheischet die Billigkeit jenes
vorzuziehen, was der natürlichen Freiheit am allerwenigsten entgegen ist.
Also ist billig, einem wahren und unbehinderten Eigenthümer
die Uebertragung seiner Sachen an Andere zuzulassen, die Errichtung eines
letzten Willens nicht
(22) zu behindern, allerlei ehrbare Vergleichungen, Abreden
und Verträge zu gestatten u. s. w.
XXIX. Es erforderet der Wohlstand, damit Niemand an seinen
Nutzen und Gemächlichkeit, so er ohne des Andern Nachtheil suchet, behinderet
werde. Und dahero ist billig und leicht zu gestatten, was Einem nutzet und dem
Andern nicht schadet. Zum Beispiel das Taglicht, die durchstreichende Luft, das
abfallende Regenwasser sich zu Nutzen zu machen, anderer Leute Freigebigkeit zu
genießen, die Aufnahm seines Hauswesens zu beförderen u. s. w.
XXX. Hingegen lasset der Wohlstand nicht zu, sich mit eines Anderen
Schaden zu bereichern. Solchemnach ist billig, daß jedweder sich von deme
enthalte, was dem Andern zu Abbruch gereichet, worunter allerlei Thaten
begriffen seind, die an sich selbst oder aus Umständen Andern zu Nachtheil
fallen. Und erstrecket sich dieses auf alle Vorenthaltung und Unerfüllung
dessen, wessen Rückgabe oder Leistung die gute Treu und Glauben erfordert. Zum
Beispiel, wann etwas gewisser Ursach willen gegeben worden, so nicht erfolget
ist, wann etwas ohne Ursach Jemanden zugekommen, wann die Ursach von Verbrechen
oder Unbild herrühret, wann ein Theil etwas gethan oder gegeben, um damit der
andere gleichfalls thue oder gebe und letzterer sich dessen weigerte, wann
jemand durch Irrthum, Furcht oder List zu etwas bewogen worden, so dem andern
nicht gebühret hat u. s. w.
XXXI. Aus diesen und dergleichen Hauptquellen (wiewohlen in
Ansehen bloßer Civil- und Privathandlungen kaum andere auszufinden seind,
welche nicht von denen Vorstehenden abfließen), ergiebt sich allemal eine
sichere Richtschnur, wornach verläßlich geprüfet werden kann, was in
unterschiedenen oder undeutlichen Vorfällen das Natürlichste und Billigste
seie, all jenes nämlich, was näher und reiner einer solchen Hauptquelle
zugehet, weniger Beschwerniß und Unfänglichkeit auf sich hat und zur Erhaltung
der menschlichen Gesellschaft fürträglicher ist.
XXXII. Es ist aber hierinnen nicht bei moralen oder
universal-gesellschaftlichen Betrachtungen zu beruhen, sondern immaßen auch
allerweisest mitgegeben worden, auf die Bedürfniß zu sehen, so muß zugleich,
was die Nothwendigkeit oder Nutzbarkeit zu gemeinen und sonderheitlichen Besten
erfordere, betrachtet werden.
In welchen Anbetracht vorzüglich jenes für das Nützlichste,
auch gestalter Dingen für nothwendig zu halten ist, was eine gemeinnützliche
Absicht beförderet, jenes als minder nützlich und durchaus unnothwendig
anzusehen, wodurch eine dergleichen Absicht behinderet wird.
XXXIII. Bei solchen Fürgang, und da beides, die natürliche
Billigkeit und zugleich die öffentliche Wohlfahrt, zur Richtschnur gehalten
werden, können nur wenige Fälle, wegen ein- oder anderländig sonderheitlicher
Hauptverfassung, Privilegien und Freiheiten eine Ausnahme von deme, was
durchgängig zu Recht gelten solle, erfordern. In all übrigen aber ist es gar
nicht unmöglich, sondern durch unermüdete Beeiferung endlichen wohl thunlich,
in denen Meinungen zu Auswahl eines oder andern Länderrechts, zu Ergänzung
deren Abgänge und zu allerunterthänigst gutächtlichen Vorschlag benöthigter
neuen Gesetze in einem natürlichen Zusammenhang übereinzukommen.
XXXIV. Zu Behelf hat die Gemüthserleuchtung und ein
ungebundener, von allen Vorurtheil entferneter Vernunftsschluß, nicht minder
die Erwägung des jederfälligen Endzwecks, deren darzu leitenden Mitteln, deren
vorträglich oder hinderlichen Umständen der Personen, der Sachen, des Orts und
der Zeit anzudienen; maßen die Aequität oder natürliche Billigkeit eben in
nichten andern, als in einem hiernach gerichteten arbitrio boni viri bestehet,
damit nichtes über Verdienst oder Unverdienst zu Recht gestattet oder verhänget
werde.
(23) XXXV. Zu Behuf hat auch die Rechtsgelehrheit und
Erfahrenheit anzudienen, nicht zwar die leges positivas, sonderheitlich
arbitrarias des gemeinen römischen Rechts vordringlich zu machen, sondern der
in denen römischen Gesetzen größtentheils vorblickenden natürlichen Billigkeit
Platz zu geben, und die Fälle, welche ein gewisses und gleichförmiges
Länderrecht erfordern, aus dem Vorrath des gemeinen römischen Rechtens desto
bequemer zu entnehmen.
XXXVI. Zu Behuf können endlich auch auswärtige Ländergesetze
gereichen, inwieweit darinnen eine mehrere Natürlichkeit, als etwan in dem
römischen Recht zu erfinden; immaßen nicht ohne Ursach dieses für das
Natürlichste und Billigste bei Gleichheit deren Umständen zu halten ist,
worinnen mehrere von einander unabhängige Völker übereinkommen. Und wann es de
lege condenda zu thun ist, so hat ein wo immer mit Ersprießlichkeit übliches
Gesetz oder Gewohnheit bei einerlei Umständen mehr Eindruck für die Billigkeit
und Nutzbarkeit zu wirken, als immer die Meinung eines noch so berühmten
Autoris.
XXXVII. Ursach dessen seind die rechtlichen Scribenten,
welche besonders Specialmaterien gründlich erschöpfen, zwar gleichfalls zu Hilf
zu nehmen; doch ist nicht sowohl auf die Anzahl deren Gleichstimmenden (wo oft
einer von dem andern die Meinung entlehnet), weder bloß auf die Autorität und
Berufenheit, sondern vielmehr auf die eines oder des andern mehr oder wenigere
Begründung in dem Natur- und Völkerrecht mittelst richtigen Vernunftsschlüssen
zu sehen.
Der röm.
kaiserl. auch zu Hungarn und Böheim königl. Majestät und Erzherzogin zu
Oesterreich Maria Theresia Codex, worin für alle dero königl. böheimische und österreichische Erblande ein jus privatum et universale
statuiret wird.
(27)
Wir Maria Theresia u. s. w. entbieten allen und jeden Unseren nachgesetzten
hohen und niederen Gerichtsstellen, Obrigkeiten, Magistraten, Vasallen,
Landesinwohneren und Unterthanen in Unseren königlichen böheimischen und
österreichischen Erblanden, was Würden, Standes, Amts und Wesens sie sein, auch
sonst jedermänniglichem, wer sich in diesen Unseren Erblanden aufhält, oder
allda Recht zu suchen oder zu nehmen hat, Unsere kaiserliche, königliche und
landesfürstliche Gnade, auch alles Gutes, und geben euch hiemit in Gnaden zu
vernehmen, wasmaßen unter Unseren vielen und schweren Regierungssorgen
jederzeit eine der vorzüglichsten dahin gerichtet gewesen, die bei der
Rechtspflege wahrgenommenen Gebrechen sogleich abzustellen, und denenselben in
Zukunft abhelfliche Maß zu verschaffen.
Wiewohlen nun von Uns in dieser Absicht mehrfältige heilsame
Gesetze und Verordnungen von Zeit zu Zeit nach Erheischung der zu Unserer
Wissenschaft gebrachten verschiedenen Vorfällen erflossen, worinnen allemal
Unser Augenmerk hauptsächlich dahin abzielet, in diesen Unseren Erblanden, so
viel es deren unterschiedene Verfassungen zugelassen, eine Gleichheit
herzustellen und zu erhalten.
So hat zwar diese Unsere landesmütterliche Vorsehung auch
die gedeihliche Wirkung gehabt, daß andurch viele Mißbräuche abgeschafft, die
Dunkelheit der vorigen Gesetzen über verschiedene Gegenstände, welche eine
genauere Bestimmung erfordert, aufgekläret und erläutert, mehrere darinnen
unentschieden gelassene oder doch zweifelhaft gebliebene Fälle entschieden, und
da, wo es nöthig ware, eine maßgebige Richtschnur vorgeschrieben worden, nach
welcher dermalen die Rechtspflege mit minderen Aufzügen und Umtrieben verwaltet
wird.
Das Uebel aber aus dem Grund zu heben, so sehr Wir auch
immer dessen Bewirkung gewunschen haben, ware jedennoch bisher theils wegen
Unzulänglichkeit und Unverläßlichkeit, theils wegen Verschiedenheit der in
diesen Landen beobachteten, in ihrem Inhalt zum öfteren einander ganz
widersprechenden Gesetzen nicht möglich, woraus nothwendig die unliebsamen
Folgen entspringen müssen, daß nicht nur Wir über einzle Vorfälle mit
unzähligen Anfragen, Belehrungsgesuchen und Vorstellungen von Unseren
nachgeordneten Stellen fort und fort behelligt, sondern auch, was Uns zum
meisten am Herzen gelegen, Unsere getreue Landesinwohner und Unterthanen durch
diese Ungewißheit, Dunkelheit und Verschiedenheit des Rechts in ihren
Handlungen selbst nicht selten einem beträchtlichen Schaden und Nachtheil
ausgesetzet worden, zumalen sich zum öfteren Fälle ergeben, daß, was nach denen
Gesetzen des einen Landes recht ware, nach jenen des anderen für unrecht
geachtet und somit bei dieser Gestalt der Sachen der Beförderung des
gemeinsamen Handels und Wandels zwischen diesen Unseren Erblanden keine geringe
Hinderniß in Weg geleget wurde.
Gleichwie aber Wir von Anbeginn Unserer Regierung allstets
dahin getrachtet haben, diese unter Unserem Scepter durch das gemeinsame Band
der Erbbotmäßigkeit so genau verknüpfte Erblande noch enger miteinander zu
verbinden und dieses Band zu deren selbsteigener Sicherheit und Wohlfahrt durch
die nach Möglichkeit in ihren Gesetzen und Verfassungen herzustellende
Gleichförmigkeit immer mehr und mehr zu befestigen.
(28) Also hat Uns auch, um zu diesem vorgesetzten
ersprießlichen Endzweck zu gelangen, ein Unserer landesmütterlichen
Aufmerksamkeit würdiger Gegenstand zu sein geschienen, für alle diese Unsere
Erblande ein allgemeines gewisses und ganz gleichförmiges Recht einzuführen und
zu diesem Ende ein klares, deutliches, verläßliches, immerwährendes und alle
diese Lande gleich verbindendes Gesetzbuch verfassen zu lassen.
Von diesem Vorhaben waren weder die fehlgeschlagene ähnliche
Versuche Unserer Vorfahren, noch auch die bei Anfang des Werks sich geäußerte
mannigfältige Schwierigkeiten Uns abwendig zu machen vermögend.
Im Gegentheil hat weit mehr die andurch erzielende
gemeinwesige Wohlfahrt und der hieraus einem jedweden Unserer getreuen
Unterthanen in diesen Unseren Erblanden für sich insonderheit zugehende Nutzen
alle andere Rücksichten überwogen und Uns zu dem gnädigsten Entschluß gebracht,
die Verfassung und Ausarbeitung dieses Gesetzbuchs einer eigenen, von Uns unter
dem Vorsitz Unsers wirklichen geheimen Raths, Rittern des goldenen Vließes,
Vicepräsidentens bei unserer Obristen Justizstelle und lieben getreuen Michael
Johann Grafen von Althann aufgestellten Commission aufzutragen.
Da nun von dieser Commission, deren ohnausgesetzter Fleiß,
Mühe und Eifer mit unserer Erwartung und dem von Uns in sie gesetzten
gnädigsten Vertrauen vollkommen übereinstimmte, gegenwärtige drei Theile dieses
Gesetzbuchs zu Stand gebracht und Uns zu Unserer höchsten Einsicht und
Begnehmigung gehorsamst vorgeleget worden.
Als haben Wir in Anbetracht, daß der noch zu verfassende
vierte Theil lediglich die Gerichtsordnung betrifft, welche aber bereits in
denen meisten Landen durch Unsere besondere Verordnungen eingerichtet und
festgesetzet ist, folglich die auch hierinnen herzustellende Gleichförmigkeit
noch ganz wohl einen Anstand leiden kann, rathsam zu sein erachtet, um diese
Unsere getreue Erblande des aus Unserer landesmütterlichen Sorgfalt ihnen
zugedachten Nutzens und Vortheils nicht länger
(29) entbehren zu lassen, zur Einführung dieses Unseren neuen Gesetzbuchs ohne weiterem Verschub allsogleich
fürzuschreiten.
Wir haben solchemnach diesem Unseren gleichermelten
Gesetzbuch nach dessen vorläufiger genauester Einsicht und Erwägung mit rechtem
Wissen und gutem, wohlbedachten Rath in seinem ganzen Inhalt aus der bei Uns
allein ruhenden höchsten gesetzgebenden Gewalt die vollkommeneste Kraft,
Wirkung und Bündigkeit eines allgemeinen, beständigen und immerwährenden
Gesetzes für alle Unsere königl. böheimische und österreichische Erblande
gnädigst beigeleget und wollen zugleich, daß zum ewigen und unvergeßlichen Andenken
dieser von Uns anmit Unseren treugehorsamsten Erblanden und Unterthanen
zugewendeten Wohlthat dieses Gesetzbuch jetzt und künftighin nach Unserem
höchsten Namen Codex Theresianus heißen und von jedermänniglich also genennet
werden solle.
Wie zumalen aber bei diesem Codice Theresiano Unsere
gnädigste Absicht eintzig und allein dahin gehet, ein durchgehends
gleichförmiges und allgemeines jus privatum in gesammten diesen Unseren
Erblanden einzuführen; so wollen wir es auch bei denen vorigen Satz- und Ordnungen,
insoweit solche das jus publicum und die besondere dahin einschlagende
Verfassungen eines jedweden Landes betreffen, noch ferners ohnveränderlich
bewenden lassen, dahingegen, so viel es das jus privatum anbelanget, nicht
allein denen gemeinen Rechten, wo dieselbe bisher üblich gewesen, sondern auch
denen vorherigen Landesordnungen, sogenannten Landhandfesten, Land- und
Stadtrechten und allen anderen wie immer Namen habenden Satz- und Ordnungen,
insoferne als in diesem Codice Theresiano ein anderes geordnet wird, hiemit
ausdrücklich derogiret haben.
(30) Damit also dieser Unser Codex auf das Baldigste und zu
gleicher Zeit in gesammten Unseren königlichen böheimischen und
österreichischen Erblanden in seine unverbrüchliche Beobachtung gesetzet werde,
so ist Unser weiterer gnädigster Wille und Meinung, daß solcher binnen Einem
Jahr von dem unten gesetzten Tag dieser Unserer erlassenen Verordnung an zu
rechnen, aller Orten seine vollkommene Bindungskraft ohne Gestattung einiger
wie immer dagegen ersinnen mögenden Ausflüchten, Einreden oder Entschuldigungen
durchgängig haben und erreichen solle.
Zu diesem Ende befehlen und gebieten Wir allen Unseren
Landesstellen, hohen und niederen Gerichten, Obrigkeiten und Magistraten diesen
Unseren Codicem Theresianum unter vorgedachter Jahrszeit gewöhnlichermaßen
überall kund zu machen, und solcher Gestalt zu Jedermanns Wissenschaft zu
bringen, damit sich Niemand mit der Unwissenheit dagegen entschuldigen möge.
Nach Verlauf dieses Jahrs aber wollen, ordnen und setzen Wir,
daß die in demselben enthaltene Gesetze in gesammten Unseren königl.
böheimischen und österreichischen Erblanden von Allen und Jeden unverbrüchlich
beobachtet und solchen in allen sowohl gerichtlichen als außergerichtlichen
Handlungen auf das genaueste nachgelebet, hierob auch von denen Gerichten,
Obrigkeiten und Magistraten stets feste Hand gehalten, und im Sprechen und
Urtheilen in denen nach vorbesagtem Jahrslauf sich zutragenden Fällen lediglich
diesem Unseren Codici Theresiano nachgegangen werden solle.
Dahingegen Wir in Ansehung jener Fällen, die sich vor dem
Tag, an welchem obangeordnetermaßen die Kraft und Bündigkeit dieses neuen
Codicis ihren Anfang nehmen solle, ergeben haben, gnädigst gestatten, daß
solche, insoweit als in diesem Codice wegen einen und anderen vergangenen
Fällen keine absonderliche Vorsehung begriffen ist, nach denen vorigen
Gesetzen, wie dieselbe in einem jedwedem Fall vor Einführung dieses Unseren
Codicis gebräuchlich gewesen, bei Gericht beurtheilet und entschieden werden möge.
Dies ist unser gnädigster und ernstlicher Wille.
Geben etc.
(1-31) Erster Theil.
Von dem Recht der Personen.
(1-32)
(1-33) Caput I.
Von dem Recht insgemein.
Inhalt:
§. I. Von Eintheilung des Rechts. §. II. Von Gesetzen.§. III
Von Gewohnheiten. §. IV. Von Befreiungen. §. V. Von Ausdeutung der Gesetzen und
Befreiungen. §. VI. Von dem dreifachen Gegenstand der Gesetzen und der hienach
verfaßten Eintheilung dieses Gesetzbuchs.
§. I.
[1, 1, § 1] Num. 1. Das Recht, insoferne als es ein Gesetz
bedeutet, ist eine Richtschnur der menschlichen Handlungen. Dessen Endzweck ist
die Gerechtigkeit, welche in deme bestehet, dass einem Jedem das Seinige, was
ihme von Rechtswegen gebühret, zu Theil werde.
(1-34) [1, 1, § 1] 2. Alle Rechte sind entweder von Gott
oder von Menschen geordnet. Gott hat das Recht der Natur und sein offenbartes
alt- und neues Gesetz geordnet.
(1-35) [1, 1, § 1] 3. Das Recht der Natur ist von Gott dem
Menschen eingepflanzet, auf daß er durch seine eigene
Vernunft geleitet werde, das Gute zu thun und das Böse zu meiden. Insoweit sich
aber dessen freie Völker und unabhängige Staaten gegeneinander gebrauchen, wird
dasselbe das Völkerrecht genennet.
[1, 1, § 1] 4. Die menschlichen Rechte kommen entweder von
der geistlichen oder von der weltlichen Gewalt.
Welche von der letzteren herrühren, haben entweder
unmittelbar das allgemeine Beste und die innere Verfassung des ganzen Staats
zum Gegenstand und heißen eigentlich das Staatsrecht.
[1, 1, § 1] 5. Oder dieselben zielen hauptsächlich auf das
sonderheitliche Beste einzler Bürger ab und schreiben die Richtschnur der
Privathandlungen vor, welche im engeren Verstand das bürgerliche oder
Privatrecht genennet werden.
[1, 1, § 1] 6. Dieses ist nichts anderes, als ein Begriff
aller von der höchsten Gewalt des Staats zum sonderheitlichen Besten der eben
derselben höchsten Gewalt unterworfenen Personen ergangenen Geboten, Satz- und
Ordnungen.
[1, 1, § 1] 7. Die bürgerlichen Rechte sind nach
Verschiedenheit der Staaten verschieden, nachdeme solche eines jeden Staats
dabei abgesehene Wohlfahrt und Nutzen erheischet.
Wir wollen aber in Unseren gesammten deutschen Erblanden
kein anderes als gegenwärtiges Recht, welches Wir zum Bestem Unserer getreuen
Unterthanen in diesem Gesetzbuch in Ordnung bringen lassen, hinfüro als ein
beständiges allgemeines Recht von männiglich beobachtet wissen.
[1, 1, § 1] 8. Nur allein rechtmäßig hergebrachte
Gewohnheiten, welche weder diesem Unseren Gesetzbuch, noch anderweiten von Uns
allschon erlassenen oder in Zukunft erlassenden Verordnungen zuwider sind,
sollen noch ferners in derjenigen Maß bestehen können, welche unten in §. III.
von Uns bestimmet wird.
[1, 1, § 1] 9. Hieraus fließt die allen von der Willkür der
höchsten Gewalt geordneten Rechten gemeine Eintheilung in das beschriebene und
unbeschriebene Recht. Ersteres gründet sich in dem ausdrücklichen, letzteres in
dem stillschweigenden Willen des Gesetzgebers, beide aber erlangen ihre
Bindungskraft von der gesetzgebenden höchsten Gewalt allein.
[1, 1, § 1] 10. Das beschriebene Recht besteht aus Satzungen
und Verordnungen. Diese sind entweder allgemein, welche jedermänniglich
verbinden und heißen eigentlich
(1-36) Gesetze. Oder sie enthalten sonderbare Begünstigungen
gewisser Personen oder Sachen und sind Befreiungen.
[1, 1, § 1] 11. Es wird demnach in diesem ersten Capitel
zuerst von denen Gesetzen, sonach von denen Gewohnheiten, weiters von denen
Befreiungen, alsdann aber von der Ausdeutung sowohl der Gesetzen, als der
Befreiungen gehandlet und endlich die Ordnung der Abhandlung, welcher in diesem
ganzen Gesetzbuch nachgegangen wird, nach dem dreifachen Gegenstand alles
Rechts dargezeiget.
§. II.
[1, 1, § 2] 12. Die Gesetze sind allgemeine von der höchsten
Gewalt zur Wohlfahrt der Unterthanen erlassene Verordnungen. Sie mögen aus
eigener Bewegniß, oder auf Anlangen, oder auf was sonst immer für eine Art
ergehen.
[1, 1, § 2] 13. Ihre Wirkung bestehet:
Erstens und vornehmlich in der Verbindungskraft.
Zweitens in Zerrüttung und Entkräftung der gesetzwidrigen
Handlungen.
Drittens in Verwirkung der in dem Gesetz auf die
Uebertretung verhängten Strafe.
[1, 1, § 2] 14. Sie verbinden zur Beobachtung Alle und Jede,
die in dem Gebiete sind, für welches das Gesetz ergangen ist, sowohl
Unterthanen, als Fremde und diese
(1-37) letztere zwar nicht allein währenden ihren
Aufenthalts in diesem Gebiete, sondern auch auswärts befindliche müssen sich
insoweit nach Unseren Gesetzen achten, als sie in diesen Unseren Landen Recht
suchen oder Recht zu nehmen schuldig sind.
[1, 1, § 2] 15. Wann hingegen Unsere Unterthanen aus diesen
Landen sich in fremden Gebieten aufhalten, so wollen Wir wegen ihrer alldort
nach den daselbstigen Gesetzen geschlossenen Handlungen den Beistand rechtens
auch in hiesigen Ländern insoweit angedeihen lassen, als diese Handlungen nur eine
bloße persönliche Verbindung nach sich ziehen und nach Unseren diesländigen
Gesetzen weder an sich selbst ungiltig, noch Unsere Unterthanen sich zu
verbinden unfähig sind.
[1, 1, § 2] 16. Da es sich aber um Veräußerung oder
Behaftung hierländiger liegender Güter, oder dessen, was sonst nach Unseren
Gesetzen für unbeweglich zu halten ist, handlete, solle keinerlei derselben
lebzeitige oder letztwillige Uebertragung, Veräußerung, Verpfändung oder was
sonst immer für andere Bestellung eines Rechts an der Sache giltig sein, es
seie dann eine solche Handlung nach hierländigen Gesetzen vollzogen.
[1, 1, § 2] 17. Uebrigens bleiben Unsere Unterthanen Unseren
Befehlen und denen von Unseren hierländigen Gerichtsbarkeiten für oder gegen
sie ergehenden Rechtssprüchen aller Arten unterworfen, wo sie sich immer
befinden mögen.
[1, 1, § 2] 18. Was wider die Gesetze geschieht, ist in
derjenigen Maß ungiltig, als die widrige Handlung entweder von dem Gesetz
selbst ausdrücklich vernichtet und entkräftet, oder der richterlichen
Erkanntniß solche umzustoßen überlassen wird.
[1, 1, § 2] 19. Wo die widrige Handlung von dem Gesetz
selbst vernichtet, oder die von dem Gesetz vorgeschriebene wesentliche
Feierlichkeit unterlassen wird, entstehet hieraus gar keine Verbindlichkeit und
kann andurch nicht allein kein Eigenthum oder ein anderes Recht an der Sache
erworben oder übertragen, sondern auch das gegebene anwiederum zurückgefordert
werden.
[1, 1, § 2] 20. In anderen Fällen aber haben verschiedene
ihres Orts vorkommende Rechtsmitteln statt, wodurch auf richterliche Erkanntniß
die gesetzwidrige Handlung umgestoßen, oder Schaden und Nachtheil abgewendet
und der Verkürzung abgeholfen wird.
[1, 1, § 2] 21. Endlich wird durch Uebertretung der Gesetzen
die darinnen verhängte Strafe verwirket. Doch ist dabei der Unterschied zu
beobachten, ob das Gesetz die
(1-38) bloße That ohne Bemerkung und Rücksicht auf einige
Umstände bei Strafe gebiete oder verbiete, oder ob das Gesetz nebst der That
annoch gewisse Umstände ausdrücklich anführe und erheische?
[1, 1, § 2] 22. In dem ersten Fall hat der Richter nach dem
Buchstaben des Gesetzes auf die bloße Uebertretung zu sehen. In dem letzteren
Fall hingegen, muß derselbe zugleich untersuchen, ob auch die bei einer
verbotenen That oder Handlung in dem Gesetz ausdrücklich angeführte Umstände
unterwalten.
[1, 1, § 2] 23. In beiden Fällen aber solle der Richter
lediglich nach Maßgebung der Gesetzen mit der darinnen ausgemessenen Strafe
ohne Gnad, Nachsicht oder Milderung fürgehen, als welche bei Uns allein zu
suchen ist, wo nicht von Uns demselben in gewissen Fällen dergleichen Gewalt
namentlich eingeräumet wäre.
[1, 1, § 2] 24. Wann jedoch das Gesetz eine That oder
Handlung für strafbar angesehen, die Strafe aber dabei nicht ausgemessen hätte,
solle dieselbe jedesmal nach Beschaffenheit der mehr oder minder erschwerenden
Umständen durch richterlichen Befund bestimmet werden.
[1, 1, § 2] 25. Diese Wirkungen haben die Gesetze für sich
ohne Rücksicht auf deren Annehmung oder unterbliebene Beobachtung, sondern es
solle an deme genug sein, daß sie behörig kundgemacht worden, welches in jedem
Land durch die gewöhnliche Wege schleunig zu geschehen hat, damit sie allsobald
zu Jedermanns Wissenschaft gelangen können.
[1, 1, § 2] 26. Von was für Zeit nun dieses Unseres neues Gesetzbuch seine Bindungskraft haben solle,
ist allschon von Uns im Eingang geordnet worden.
Für alle in Zukunft von Uns in Rechtssachen erlassende
Gesetze aber, worinnen keine längere oder kürzere Zeit ausdrücklich bestimmet
ist, wollen und ordnen Wir hiemit, daß dieselbe jedesmal nach zweien Monaten
von dem Tag der öffentlichen
(1-39) Kundmachung in der Hauptstadt eines jedweden Landes
durchgehends unnachsichtlich verbinden sollen.
[1, 1, § 2] 27. Nach Verlauf sothaner bestimmten Zeit solle
zwar Niemandem die vorschützende Unwissenheit Unserer Gesetzen, oder ein
vorgeblicher Irrthum in Rechten zu Statten kommen, weder unter diesem Vorwand
eine gesetzwidrige Handlung zu Kräften gelangen, noch Jemand von der verhängten
Strafe deswegen enthoben werden können.
[1, 1, § 2] 28. Wir wollen Uns jedoch vorbehalten haben in
Fällen, wo Jemand besonders von solchen Personen, die von Unseren Gesetzen
begünstiget worden, aus Unwissenheit und Irrthum in Rechten des Seinigen
verlustiget und der Gegentheil ohne Ursach andurch bereicheret würde, demselben
nach Befund der einige Entschuldigung und Nachsicht verdienenden Umständen auf
geziemendes Ansuchen die außerordentliche Rechtshilfe mittelst Herstellung in
vorigen Stand angedeihen zu lassen.
[1, 1, § 2] 29. Die Gesetze betreffen künftige Handlungen,
nicht aber auch vergangene, oder annoch fürwährende, wann dieserwegen in dem
Gesetz keine ausdrückliche Vorsehung enthalten ist.
(1-40) [1, 1, § 2] 30. Hieraus aber folget nicht, daß an
sich böse und lasterhafte Thaten blos von darum, weilen vor deren Ausübung
keine Strafe darauf ausgesetzt gewesen, ungestraft gelassen werden sollen,
sondern, obschon die in einem späteren Gesetz ausgemessene Strafe nicht
verhänget werden kann, so sind solche jegleichwohlen nach Schwere des
Verbrechens mit einer dem gerichtlichen Befund überlassenen Strafe zu belegen.
[1, 1, § 2] 31. Wann hingegen durch ein Gesetz kein neues
Recht eingeführet, sondern nur lediglich das vorherige erläutert wird,
erstrecket sich auch dasselbe auf die vergangene
Fälle.
[1, 1, § 2] 32. Nicht weniger solle in jenen Fällen,
worinnen aus einer vor dem Gesetz vorhergegangenen Handlung von Zeit zu Zeit
eine neue Verbindlichkeit erwachset, als bei laufenden Zinsen oder einhebenden
Nutzungen, das spätere Gesetz nach Maß der Zeit beobachtet und die
Verbindlichkeit jedesmal nach denen von Zeit zu Zeit neu hervorkommenden
Gesetzen abgemessen werden.
[1, 1, § 2] 33. Die Gesetze bleiben immer bei Kräften,
solange sie durch ein späteres Gesetz nicht aufgehoben oder abgeänderet werden.
Wo aber die Beobachtung des Gesetzes etwann allgemein
unnütz, unbillig, schädlich, oder in der Befolgung unmöglich würde, so ist ein
solcher sich zwar nicht leicht ergebender Abfall Uns zur nöthigen Vorsehung
sofort anzuzeigen.
[1, 1, § 2] 34. Zu denen Gesetzen gehören auch die
Satzungen, welche nur auf ein gewisses Land oder Ort gerichtet und von Uns
entweder unmittelbar geordnet oder ausdrücklich bestättiget sind.
(1-41) [1, 1, § 2] 35. Jene Satzungen und Einrichtungen
hingegen, welche weder von Uns herrühren, noch ausdrücklich bestätiget sind,
sondern mit Unserer besonderer Verwilligung von nachgesetzten Obrigkeiten,
Gerichten, Gemeinden, Vorsteheren und Mitteln nach Amtserforderniß und zu
Erhaltung guter Ordnung gemacht werden, sind zwar nicht unter die allgemeine
Verordnungen zu zählen; doch sollen dieselbe, daferne sie nicht wider Unsere
Gesetze laufen, von ihren Mitgliedern und Untergebenen beobachtet werden; Uns
aber bleibt die Einsicht, Aenderung und Aufhebung derselben zu allen Zeiten vorbehalten.
[1, 1, § 2] 36. Umsoweniger können ohne Unserer
ausdrücklichen Verleihung oder Bestätigung einige Satzungen errichtet werden,
sondern die Gemeinschlüsse und Verabredungen, welche aus redlicher und Unseren
Gesetzen nicht widerstrebender Absicht getroffen werden, können nicht anders
als in der Gestalt eines freiwilligen Vertrags, und nur Jene, so von der
Gemeinde sind, verbinden.
[1, 1, § 2] 37. Doch mit dem Unterschied, daß in
Angelegenheiten, welche die ganze Gemeinde betreffen, der mindere Theil durch
den größeren zur Gleichförmigkeit verbunden werde, wiewohlen einem jedem
Mitstimmenden sich wider den aus einem solchen Schluß für die Gemeinde
befahrenden Schaden zu verwahren und aller sich daher zuziehen mögenden
Verfänglichkeit auszuweichen unbenommen ist.
[1, 1, § 2] 38. Wo es aber um Gerechtsamen, Befugnissen oder
Verbindungen einzler Personen von der Gemeinde oder um Behaftung ihres Hab und
Guts zu thun wäre, da wird erforderet, daß, was Alle betrifft, auch von Allen
einstimmig begenehmiget werde.
§. III.
[1, 1, § 3] 39. Das unbeschriebene Recht machen rechtmäßige
Gewohnheiten aus. Eine Gewohnheit ist nichts anderes als ein mit
stillschweigender Einwilligung der
(1-42) höchsten Gewalt durch langwierigen Gebrauch als ein
Recht eingeführtes und immer gleichförmig beobachtetes, für Recht gehaltenes
Herkommen.
[1, 1, § 3] 40. Wir wollen aber keine wider Unsere Gesetze
laufende Gewohnheiten, sie mögen in allen oder auch nur in einem oder anderen
Unserer deutschen Erblanden allgemein oder in einzlen Orten besonders
eingeführet sein, statthaben lassen, sondern hiemit sowohl die vor Einführung
dieses Unseren Gesetzes allschon bestehende gänzlich abgestellet und
aufgehoben, als auch die künftig einschleichen mögende zu allen Zeiten
ernstgemessen verboten und für ein strafbares Beginnen angesehen haben.
[1, 1, § 3] 41. Auch nicht in jenen Fällen solle ein
Gewohnheit zufällig sein, noch minder eine verbindende Kraft haben, wovon in
Unseren Gesetzen nichts verordnet ist, sondern, wo Fälle vorkämen, worinnen es
ersprießlich wäre, etwas Gewisses für allgemein zu ordnen, solle jedesmal die
Beschaffenheit der Sache bei Uns geziemend angebracht und Unsere höchste
Entschließung abgewartet werden.
[1, 1, § 3] 42. Nur allein in solchen Fällen, welche zwar
von Unseren Gesetzen in der Hauptsache entschieden sind, dabei aber die Art und
Weise, Zahl, Maß, Größe,
(1-43) Gestalt oder Beschaffenheit, Zeit oder sonstige
Umstände entweder dem Befund des Richters überlassen oder auf den Landesbrauch,
bisherige Beobachtung, derzeitige Uebung und Verfassung verwiesen werden, solle
gestattet sein, auf eine Gewohnheit nach und gemäß dem Gesetz zu sehen.
[1, 1, § 3] 43. Es solle demnach in diesen Fällen jenes für
Recht gehalten werden, was alle oder die meisten in mehreren oder in einem Land
freiwillig, öffentlich und langwierig auf einerlei Art beobachtet haben, wann
es vernunftmäßig und der gemeinen Wohlfahrt nicht zuwider ist, so lange Wir es
dabei stillschweigend bewenden lassen.
[1, 1, § 3] 44. Desgleichen sollen kleinere Gemeinden und
Ortschaften, insoweit als sie nach obiger Maßgab der Macht Satzungen zu
errichten fähig sind, ihre eingeführte oder weiters einführende löbliche und
Unseren Gesetzen nicht widerstrebende Gebräuche und Gewohnheiten beobachten,
ohne daß jedoch jemals außer dem Bezirk eines solchen Orts hieraus ein
allgemeines Recht erwachsen, oder andere, welche nicht von dieser Gemeinde
sind, andurch verbunden werden mögen.
[1, 1, § 3] 45. Damit aber etwas für eine rechtmäßig
hergebrachte Gewohnheit in derjenigen Maß, als solche von Uns zugelassen wird,
geachtet werden könne,
(1-44) ist zu etwas solchem, so nicht bloßen Beliebens,
sondern auf einigerlei Weise verbindlich sein solle, eine öftere gleiche
Beobachtung, ein geraumer Zeitlauf und die Einwilligung aller oder doch des
größten Theils jener, von welchen die Gewohnheit eingeführet wird,
erforderlich.
[1, 1, § 3] 46. Zu diesem Ende muß die gleichförmige
Beobachtung, wenigstens dreimal freiwillig und wissentlich wiederholet, auch
von Zeit der ersten sogestalteten Ausübung wenigstens zehn Jahre verflossen und
binnen dieser Zeit von Niemandem widersprochen, noch sonst was Widriges
vorgenommen worden sein.
[1, 1, § 3] 47. Welches alles derjenige, der zum Behuf
seiner Gerechtsame eine eingeführte Gewohnheit oder Herkommen vorschützet,
gleichwie im Gegentheil Jener, welcher sich von der Verbindlichkeit einer
Gewohnheit entziehen will, das Widerspiel zu erweisen hat, ohne daß jedoch
hierzu ein vor oder wider die Gewohnheit allbereits ergangener Rechtsspruch
nöthig seie, wiewohlen der Beweis dadurch erleichteret wird.
[1, 1, § 3] 48. Insoweit aber Gewohnheiten in vorstehender
Maß einzuführen zugelassen wird, insoweit können selbe auch durch spätere
Gebräuche und Gewohnheiten anwiederum aufgehoben werden.
Doch hat allemal Jener, welcher die Aenderung vorgibt,
dieselbe zu erproben.
[1, 1, § 3] 49. Uebrigens solle aus gleichförmigen
Rechtssprüchen, da nämlich öfters in gleichen Fällen auf einerlei Art
gesprochen worden, in Ansehung künftiger derlei Vorfallenheiten keine Gewohnheit
erwachsen, wann es nicht Fälle sind,
(1-45) worinnen nach obiger Ausmessung eine Gewohnheit
statthaben mag, und die übrigen Erfordernissen beitreten.
[1, 1, § 3] 50. Noch weniger solle eine Gewohnheit in Sachen
zulässig sein, welche die Verfahrungsart bei Gericht, die Feierlichkeiten und
Gerichtsübungen betreffen, sondern aller Orten und bei allen Gerichten die
Gerechtigkeit jedermänniglich nach Unseren Gesetzen gleichförmig ertheilet, wo
aber zur Beförderung der Rechtspflege und Abstellung der sich etwa
einschleichen mögenden Mißbräuche eine Vorsehung nöthig wäre, deshalben Uns die
geziemende Anzeige zur weiteren Maßgebung gemacht werden.
§. IV.
[1, 1, § 4] 51. Zu denen Gesetzen gehören auch die
Befreiungen oder von Uns ertheilte Verfügungen und Verleihungen besonderer
Gnaden und Freiheiten.
[1, 1, § 4] 52. Diese sind sonderheitliche, zu Gunsten
gewisser Personen, Sachen oder Handlungen ergangene Verordnungen.
Sie wirken ein besonderes Recht für Jene, die anmit
begünstiget werden, enthalten aber zugleich einen allgemeinen Verbot, daß
Niemand dawider handlen, noch den Genuß der verliehenen Freiheit behinderen
solle.
[1, 1, § 4] 53. Die Befreiungen werden entweder Personen in
Ansehung ihrer Verdiensten, Eigenschaften oder aus sonstiger Ursache, oder auch
aus Unserer sonderbaren Gnad und Begünstigung, oder aber gewissen Orten,
Gründen oder anderen Sachen und Handlungen verliehen.
(1-46) [1, 1, § 4] 54. Hierdurch unterscheiden sich
dieselben in persönliche und sächliche Befreiungen.
Wiewohlen aber einige von beiderlei Art etwas an sich zu
haben scheinen, so werden selbe dennoch einer oder der anderen Gattung
beigezählet, welcher sie ihrer Natur nach zunächst beikommen.
[1, 1, § 4] 55. Also sind unter die persönlichen Befreiungen
jene zu zählen, welche einer gewissen Anzahl der Personen oder ganzen Gemeinden
und Mitteln zum Genuß eines jedweden Mitglieds ertheilet werden, obschon es
sich um den Genuß einer Sache handlet.
[1, 1, § 4] 56. Wann hingegen einer Gemeinde oder Mittel zum
gesammten Genuß oder auch gewissen Aemtern, Würden, Künsten und Gewerben
Begnadigungen und Freiheiten verliehen werden, so sind es sächliche
Befreiungen, weilen dabei die Absicht mehr auf die Sache als auf die Personen
gerichtet ist, wenngleich diese in Ansehung des bekleidenden Amts und Würde,
oder der übenden Kunst und treibenden Gewerbs und Genuß davon haben.
[1, 1, § 4] 57. Von dieser Art sind auch jene Befreiungen,
welche gewissen Handlungen und Geschäften oder einer besonders begünstigten
Gattung Personen, als Minderjährigen, Weibsleuten, Soldaten und Anderen zu
Abwendung des sich sonst zuziehenden Nachtheils oder zu sonstiger Entstehung
von dem allgemeinen Recht in Unseren Gesetzen gegeben werden und in dem Inhalte
dieses Unseren Gesetzbuchs an gehörigen Orten begriffen sind.
[1, 1, § 4] 58. Die persönlichen Befreiungen erstrecken sich
nicht über die in der Verleihungsurkunde benannten Personen. Die sächlichen
aber kommen auch einem jedweden Besitzer der Sache, wie nicht weniger denen
Nachfolgern in Gemeinden, Aemtern und Würden, dann auch denen Erben und Bürgen
zu Statten, wie es an seinem Ort bei derlei in diesem Unseren Gesetzbuch
besonders abgehandelten Befreiungen mit mehreren erkläret wird.
[1, 1, § 4] 59. Alle von Uns oder Unseren Vorfahren
ertheilte sowohl persönliche als sächliche Befreiungen und Begnadigungen
enthalten allemal die in einer jedweden
(1-47) Verleihung stillschweigend begriffene Bedingniß in
sich, wann sich die Sache angebrachtermaßen verhält.
[1, 1, § 4] 60. Wann dahero hervorkäme, daß eine Befreiung,
es seie in Gnaden oder Gerechtigkeitssachen, mit unwahrhaften Anbringen,
Verschweigen der Wahrheit oder sonstiger Arglist von Uns etwann erschlichen
worden, so solle ein solcher Fall Uns jedesmal zur anderweiten Entschließung
angezeiget werden.
[1, 1, § 4] 61. Die Befreiungen erlöschen auf mehrerlei Art:
Zeitliche Befreiungen, welche entweder einzlen Personen oder
auf eine bestimmte Zeit oder unter einer beigefügten Bedingniß oder auf
Wohlgefallen oder wegen einer gewissen Eigenschaft verliehen worden, nehmen ihr
Ende mit Absterben der befreiten Personen, mit Ausgang der benannten Zeit, mit
Ermanglung der beigesetzten Bedingniß, mit willkürlicher Widerrufung oder mit
Abänderung der Eigenschaft, welche die Verleihung zum Endzweck gehabt.
[1, 1, § 4] 62. Jene Befreiungen hingegen, welche auf immer
und allzeit gegeben worden, hören auf, wann die Gemeinde oder das Mittel,
welches die Befreiung erworben, gänzlich aufgelöset, oder das Amt oder Würde,
welcher die Befreiung anklebet, nicht mehr ersetzet wird, oder die Sache, mit
der die Befreiung verknüpfet ist, völlig zu Grund gehet, ohne daß zu deren
Wiederherstellung eine Hoffnung übrig seie.
[1, 1, § 4] 63. Zuweilen wird die Wirkung einer Befreiung
oder Begünstigung durch eine andere gehemmet, wann nämlich zwei gleich begünstigte
Personen dergestalten zusammentreffen, daß beide zugleich den Genuß der
Befreiung nicht haben können.
[1, 1, § 4] 64. In solchem Fall gebühret
Demjenigen, welcher bei Entgehung des Genusses an seinem Gut einen wesentlichen
Schaden erleiden würde, der Vorzug vor dem Anderen, deme der Genuß der
Befreiung lediglich einen Gewinn brächte.
[1, 1, § 4] 65. Wann es aber beiden Theilen um Abwendung des
Schadens oder auch beiden um bloßen Gewinn zu thun wäre, so ist von denen in
diesem Unseren Gesetzbuch enthaltenen Begünstigungen jene überwiegender,
welcher in Zusammentreffung mit anderen vor diesen der Vorzug seines Orts
namentlich zugestanden wird.
[1, 1, § 4] 66. Bei allen anderen Begünstigungen und
Verleihungen hingegen, welche von gleichen Kräften sind, ist allemal die ältere
der jüngeren oder späteren vorzuziehen, wann die erstere durch diese nicht
ausdrücklich aufgehoben wird.
[1, 1, § 4] 67. Es können auch die Befreiungen durch
freiwillige Verzicht und Begebung, durch Nichtgebrauch oder widrigen Gebrauch
und Mißbrauch und durch
(1-48) deren nach Erforderniß der Umständen
nöthig befundene Aufhebung in seiner Maß verloren gehen.
[1, 1, § 4] 68. Die freiwillige Verzicht und Begebung wirket
nur damals den Verlust der Befreiung, wann die Begebung nicht zum Nachtheil
einer gesammten Gemeinde oder eines Mehreren gemeinsamen Standes und Würde,
oder auch eines Dritten gereichet, und wann die Befreiung nicht also beschaffen
ist, daß sie vielmehr zu gemeinen Besten, als zu Gunsten der befreiten Person
verliehen seie.
[1, 1, § 4] 69. Der Nichtgebrauch einer Befreiung, welche
nicht in einer bloßen willkürlichen, Niemandem nachtheiligen Ausübung bestehet,
zieht deren Verlustigung ganz oder zum Theil nach sich, insoweit sich derselben
nicht gebrauchet wird, jedoch mit folgenden Unterschied:
[1, 1, § 4] 70. Soferne die Befreiung in einer insgemein
oder Jemandem insonderheit beschwerlichen Befugniß etwas zu thun oder zu
fordern bestehe, so wird dieselbe bei Unterlassung des Gebrauchs, wo solcher
thunlich gewesen, durch die im zweiten Theil, im neunten Capitel, von
Verjährungen zur Verschreibung der Gerechtsamen vorgeschriebene Verjährungszeit
verloren.
[1, 1, § 4] 71. Falls aber die Befreiung in Enthebung von
einer Beschwerde und somit in der Befugniß etwas nicht zu thun besteht, so wird
solche durch dreimalige freiwillige und ohne weiteren Vorbehalt wissentlich
geschehene Unterziehung verloren, ohne daß es einer Verjährung bedürfe.
[1, 1, § 4] 72. Doch ist in allen Fällen, wo sich entweder
durch ausdrückliche Verzicht oder stillschweigend durch Nichtgebrauch der
Befreiung begeben wird, erforderlich, daß in der Gewalt des Befreiten
gestanden, sich der ihme verliehenen Freiheit zu begeben.
[1, 1, § 4] 73. Welche aber diese Macht nicht haben, als
Minderjährige und andere pflegbefohlene Personen, diesen kann auch aus einer solchen Verzicht oder aus dem Nichtgebrauch kein
Nachtheil erwachsen.
[1, 1, § 4] 74. Uebrigens stehet es bei Uns, die Befreiungen
des widrigen Gebrauchs oder Mißbrauchs halber oder da selbe bei veränderten Umständen
unbillig, Anderen unerträglich oder gemeinschädlich zu werden beginneten und
dieses behörig an Uns gebracht würde, nach Befund anwiederum aufzuheben.
(1-49) [1, 1, § 4] 75. Zur Beibehaltung der rechtmäßig
erworbenen Befreiungen trägt deren von Uns auswirkende Erneuerung und
Bestätigung Vieles bei.
Die
Ansuchung dieser Bestätigung ist entweder willkürlich oder nothwendig.
[1, 1, § 4] 76.
Willkürlich ist dieselbe, wann Jemanden daran gelegen ist, damit die ihme
angebührende Befreiung nicht in Vergessenheit gerathe, und er wider alle von
Anderen besorgende Anfechtung oder Hinderniß in Ausübung seiner Freiheit durch
die landesfürstliche Bestätigung desto gesicherter seie.
[1, 1, § 4] 77.
Nothwendig aber wird sie, wann entweder in der Verleihung ausdrücklich
vorgesehen ist, daß die Bestätigung von Zeit zu Zeit oder bei Veränderung deren
Besitzeren solcher Sachen, Aemtern oder Würden, denen die Befreiung zukommt,
angesuchet werden solle, oder wann bei jeweiliger Veränderung der
Landesherrschaft für allgemein geboten wird, um die Erneuerung und Bestätigung
aller verliehenen Gnaden und Freiheiten höchsten Orts einzukommen.
[1, 1, § 4] 78.
Würde nun dieses in der anberaumten Zeit nicht befolget, sondern verabsäumet,
so solle die Befreiung eben darum für erloschen und aufgehoben geachtet werden,
wann solche in dem landesfürstlichen Gebot nicht namentlich von der
Nothwendigkeit der anzusuchen habenden Bestätigung ausgenommen worden.
[1, 1, § 4] 79.
Die Bestätigung aber gibt kein neues Recht, wann die Befreiung schon ehebevor
erloschen ist, noch weniger bringt sie dem Recht eines Dritten einigen
Nachtheil, sondern sie bestärket blos allein das schon habende Recht in
derjenigen Maß, als es angebühret, ohne Beilegung einer mehreren Kraft, und
gehet nicht weiter, als inwieweit der Befreite sich in dem Besitz und Uebung
der Befreiung befindet, und diese weder Unseren noch jemands Anderen Rechten
zuwider ist.
[1, 1, § 4] 80.
Es wäre dann ein Mehreres aus Unserer höchsten Machtsvollkommenheit in der
Bestätigung ausdrücklich enthalten, oder einer schon erloschenen Befreiung
namentlich ihre vorige Kraft und Wirkung von Neuem beigeleget, und somit
vielmehr eine neue Verleihung, als eine Bestätigung der alten ertheilet worden.
§. V.
[1, 1, § 5] 81.
Jedermann ist an die ausdrückliche Worte Unserer Gesetzen
in ihrem wahren und allgemein üblichen Verstand gebunden.
(1-50) Niemandem ist dahero gestattet,
sich einer rechtskräftigen Ausdeutung Unserer Gesetzen anzumaßen, noch unter
dem Vorwand eines Unterschieds zwischen den Worten und dem Sinne des Gesetzes
solche auf einerlei Weise zu erweiteren oder einzuschränken.
[1, 1, § 5] 82.
Wir verbieten auch allen Richteren, unter dem
nichtigen Vorwand einer von der Schärfe der Rechten unterschiedenen Billigkeit
von der klaren Vorschrift Unserer Gesetzen im Mindesten abzugehen.
(1-51) [1, 1, § 5] 83. Nicht weniger solle alle
Ausdeutung und Erweiterung oder Einschränkung Unserer Gesetzen durch
Gewohnheiten außer dem Fall, wo das Gesetz sich auf wohl hergebrachte
Landesverfassungen, Gebräuche und Gewohnheiten ausdrücklich beziehet, je und
allzeit verboten, unkräftig und nichtig sein, und vielmehr die Vorschützung
solcher unstandhafter Gewohnheiten wider die klare und buchstäbliche Vorschrift
der Gesetzen nach richterlichem Ermessen bestrafet werden.
[1, 1, § 5] 84.
Woferne aber dem Richter ein Zweifel vorfiele, ob ein vorkommender Fall in dem
Gesetz begriffen seie oder nicht, oder da ihme das Gesetz selbst dunkel
schiene, oder ganz besondere und sehr erhebliche Bedenken der Beobachtung des
Gesetzes entgegenstünden, so ist die maßgebige Erklärung des Gesetzes allemal
bei Uns anzusuchen.
(1-52)
[1, 1, § 5] 85. Damit wir
jedoch nicht ohne Noth mit Belehrungen über den Verstand Unserer Gesetzen
behelliget werden, so gestatten und wollen Wir gnädigst, daß, wann entweder ein
bei Gericht anhängiger, in dem Gesetz nicht wörtlich ausgedrückter Fall in
allen fürwaltenden Umständen und in der ganzen Beschaffenheit der Sache mit
einem in dem Gesetz ausdrücklich entschiedenen Fall vollkommen übereinstimmte und
somit die Bewandtniß beider Fällen einerlei wäre, oder Unsere höchste
Willensmeinung aus der in dem Gesetz klar ausgedrückten Ursache, daß wir alle
nicht buchstäblich berührte Fälle von der nämlichen Beschaffenheit gleichfalls
unter dem Gesetz begriffen haben wollen, offenbar erhellete, der Richter sodann
ohne fernerer Anfrage oder Anstand fürgehen möge und solle.
[1, 1, § 5] 86.
Dann, wo einerlei der Sache Beschaffenheit ist, da muß auch einerlei Recht
sein.
Außerdeme
aber solle alle gekünstelte Ausdeutung Unserer Gesetzen besonders denen
streitenden Theilen und ihren Rechtsfreunden ernstgemessen untersaget, und
nicht von der mindesten Erheblichkeit sein, sondern vielmehr wo eine Verdrehung
der Worten oder andere Arglist zu der Sachen Verwirrung und Umtrieb mit
unterliefe, derlei Beginnen scharf bestrafet werden.
[1, 1, § 5] 87.
Dem Richter hingegen ist nicht verwehret in jenen Fällen auf die natürliche
Billigkeit nach vernünftigen Ermessen zu sehen, in welchen er durch Unsere
Gesetze dahin angewiesen wird, die Umstände der Person, der Sache, des Orts,
der Zeit, der Ursache, der Zuthat oder Weise, der Absicht und Meinung, der
Gefährde oder Schuld nach der natürlichen Billigkeit zu beurtheilen.
[1, 1, § 5] 88.
Derlei Fälle sind, wobei es auf die Erforschung menschlichen Willens in
lebzeitigen oder letztwilligen Handlungen, auf die Abschätzung einiger Sachen,
Vergütung zugefügter Schäden, verhinderter Nutzungen, Aufwands und
Verbesserungen, Mäßigung der Unkosten, Auswerfung eines Unterhalts oder
Belohnung, Milderung oder Verschärfung der Strafen und mehr dergleichen
Vorfälle nach Erheischung der Umständen ankommt, von welchen an gehörigen Orten
in dem ferneren Inhalt dieses Unseren Gesetzbuchs mit mehreren gehandelt wird.
[1, 1, § 5] 89.
Gleichwie die Gesetze, also sind nicht weniger die Befreiungen und Verleihungen
nach ihrem buchstäblichen Inhalt zu nehmen und nicht anderst zu verstehen.
Da sich
aber über deren eigentlichen Sinn und Verstand erhebliche Anstände äußerten, so
sollen Uns solche von Unseren nachgesetzten Stellen zur Entscheidung
vorgetragen werden.
[1, 1, § 5] 90.
Außer derlei erheblichen Anständen ist überhaupt für eine Richtschnur zu
halten, daß keine Befreiung über den klaren Inhalt der Verleihungsurkunde zu
erweiteren und auszudehnen, sondern auf das Genaueste auszudeuten seie.
[1, 1, § 5] 91.
Hieraus folget, daß bei vorfallenden Zweifel die anderen zur Beschwerniß
gereichende Befreiungen vielmehr für persönlich als sächlich, und mehr für
zeitlich als immerwährend und beharrlich zu achten sind.
[1, 1, § 5] 92.
Endlich sollen sie auch jeder Zeit also verstanden werden, damit von Unseren
Gesetzen so wenig, als es mit einigmäßiger Wirkung der verliehenen
(1-53) Befreiung bestehen kann,
abgegangen und da selbe zum Abbruch eines bereits von Anderen erworbenen Rechts
gereichen, demselben zum wenigsten geschadet werde.
§. VI.
[1, 1, § 6] 93.
Gleichwie das einzige Ziel und Ende aller Gesetze ist, damit einem Jeden das
Seinige zugeeignet werde, also wird auch Alles, womit die Gesetze sich
beschäftigen, unter dreierlei Gegenständen, welche jedoch alle auf den
vorberührten alleinigen Endzweck gerichtet sind, begriffen.
Diese sind
die Personen, denen das ihrige zu geben ist, die Sachen, welche jenen
angebühren und endlich die Rechtsmitteln, wodurch den Personen zu den ihnen
angebührenden Sachen verholfen wird.
[1, 1, § 6] 94.
Was aber denen Personen gebühret, hierauf haben sie entweder aus einem ihrem
Stand anklebenden persönlichen Vorrecht, oder aus dem Eigenthum, oder einem
anderen die Sache selbst behaftenden dinglichen Recht, oder aus der Verbindung
des Anderen einen Anspruch.
[1, 1, § 6] 95.
Hiernach wird also gegenwärtiges Gesetzbuch in vier Haupttheile abgetheilet und
in diesem ersten dem Recht der Personen, in dem zweiten von Sachen und
dinglichen Rechten, in dem dritten von persönlichen Verbindungen und endlich in
dem vierten von Ordnung des gerichtlichen Verfahrens gehandlet.
[1, 1, § 6] 96.
Die Untertheilung der folgenden drei Theilen und die dabei beobachtete Ordnung
der Abhandlung kommt in deren jedem angehörigen Ort
besonders vor.
Hier
erübriget nur die Ordnung dieses ersten Theiles von dem Recht der Personen
voraus zu setzen.
[1, 1, § 6] 97.
Alle persönlichen Vorrechte entspringen aus dem Stand der Menschen, welcher
vornehmlich dreierlei ist, nämlich: der Stand der Freiheit, der bürgerliche
Stand und der Hausstand.
Diese
dreierlei Stände werden im zweiten Capitel erkläret.
[1, 1, § 6] 98.
Der Hausstand bestehet erstens zwischen Mann und Weib,
zweitens zwischen Verwandten, drittens zwischen Vater und Kindern, viertens
zwischen Herrn und Dienstleuten. Es wird dahero in drittem Capitel von
Ehebündnissen, in viertem von der Verwandtschaft und in fünftem von der
väterlichen Gewalt gehandlet.
[1, 1, § 6] 99.
Wie zumalen aber die väterliche Gewalt sich mit dem Tod des Vaters endiget, und
jegleichwohlen der gemeine Wohlstand erforderet, daß jene, welche wegen
unvogtbaren Alters oder anderen Gebrechen halber sich und ihrem Gut selbst
nicht vorzustehen vermögen, nicht unbeschützt und unversorget gelassen werden,
so folget das sechste Capitel von der Vormundschaft.
[1, 1, § 6] 100.
Endlich wird dieser erste Theil in dem siebenten Capitel von Dienstleuten mit
Erklärung der zwischen Herren und Dieneren wechselweise angebührenden Rechte
und Schuldigkeiten beschlossen.
(1-54) Caput II.
Von dem
Stand der Menschen.
Inhalt:
§. I. Von
Verschiedenheit menschlicher Ständen. §. II. Von dem Stand der Freiheit. §.
III. Von dem bürgerlichen Stand. §. IV. Von dem Hausstand.
§. I.
[1, 2, § 1] Num.
1. Der Stand des Menschen ist eine Eigenschaft, kraft welcher
Jemand als ein Mitglied einer von den menschlichen Hauptgesellschaften
betrachtet und all dieser Gesellschaft eigenen Rechten theilhaftig wird.
[1, 2, § 1] 2.
Dieser menschlichen Hauptgesellschaften sind dreierlei Gattungen: Die erste
unter allen freien Menschen, die zweite unter Gliedern eines Staates, die
dritte unter Hausgenossen.
[1, 2, § 1] 3.
Hiernach ist dann auch der dreifache Stand der Menschen unterschieden, nämlich
der Stand der Freiheit, der gemeinsame bürgerliche Stand in einem Staat und
Hausstand.
[1, 2, § 1] 4.
Alle andere theils natürliche, theils beigelegte oder erwählte Eigenschaften,
womit die Menschen verschiedentlich begabet sind, obschon sie in Ansehung
solcher Eigenschaften nach der Verfassung des Staats besondere Vorrechte zu
genießen haben, machen jegleichwohlen in dem Stand der Menschen keinen
Unterschied überhaupt, sondern, wann eine solche Eigenschaft aufhöret,
verlieren sie zwar die derselben anklebende Vorrechte, bleiben aber jedoch
Mitglieder vorbemelter menschlicher Hauptgesellschaften.
(1-55) §. II.
[1, 2, § 2] 5.
Des Standes der Freiheit sind alle Menschen von der Natur selbst theilhaftig.
Die
Freiheit ist dahero eine natürliche Befugniß zu thun, was Jedem beliebet, er werde dann durch Gewalt oder Recht davon
abgehalten.
[1, 2, § 2] 6.
Es wird jedoch die Freiheit weder durch die Gewalt, noch durch das Recht
benommen, sondern durch die Gewalt nur deren Ausübung verhinderet und die
Gesetze steueren dem Mißbrauch der Freiheit, welche sie in den Schranken der
Billigkeit und Ehrbarkeit erhalten.
[1, 2, § 2] 7.
Dem Stand der Freiheit ware ehedessen die knechtliche Dienstbarkeit entgegen
gesetzet, deren vormalige Strenge aber unter Christen vorlängst aufgehoben ist.
[1, 2, § 2] 8.
Nur gegen die im Krieg gefangene Ungläubige wird solche aus dem
Wiedergeltungsrecht noch in gewisser Maß ausgeübt; dann sie gelangen in das
(1-56) Eigen des Ueberwinders, sind
gleich anderen Sachen handelbar, werden zum Dienst und Arbeit angehalten,
erwerben ihren Herren und hangen in Allem von deren Willen ab.
[1, 2, § 2] 9.
Doch erstrecket sich die Willkür ihrer Herren nicht auf Leib und Leben, noch
auf etwas Anderes, was dem natürlichen Recht, denen Geboten Gottes oder Unseren
Gesetzen und Verordnungen zuwider ist.
[1, 2, § 2] 10.
Dahingegen verlieren Unsere von den Ungläubigen gefangene Unterthanen den Stand
der Freiheit nicht; vielmehr sollen ihnen alle ihre Güter und Gerechtigkeiten,
welche ihnen schon angefallen sind, oder währender ihrer Gefangenschaft weiters
anfallen, bis zu ihrer wann immer erfolgender Rückkehr unversehrt erhalten
werden.
[1, 2, § 2] 11.
Wo sie aber hieran durch Verjährung oder in andere Wege verkürzet worden wären,
haben sich dieselben in Herstellung in vorigen Stand, wann sie nicht sonst aus
anderen Ursachen dieser Wohlthat unwürdig sind, zu erfreuen.
[1, 2, § 2] 12.
Wie sie dann auch währender Gefangenschaft mit ihrem Hab und Gut nach eigenem
Gefallen schalten und walten können, wann nur ihr eigentlicher freier und
ungezwungener Willen genugsam erweislich ist.
[1, 2, § 2] 13.
Von der knechtlichen Dienstbarkeit ist die in Unseren deutschen Erblanden
(1-57)verschiedentlich eingeführte
Unterthänigkeit ganz und gar unterschieden, kraft welcher der Stand der
Freiheit nur einigermaßen beschränket wird.
(1-58) [1, 2, § 2] 14. Diese Beschränkung ist größer
oder minder nach dem Unterschied der
(1-59) mannigfältigen Schuldigkeiten,
worzu die Unterthanen ihren Herrschaften in Ansehen der Person oder der Gründen
halber verbunden sind.
(1-60) [1, 2, § 2] 15. Bei diesen wohlhergebrachten
Schuldigkeiten der Unterthanen lassen Wir
(1-61) es dann auch für das Künftige
nach einer jeden Landesverfassung und nach Maßgebung
(1-62) der in jedwedem Land
bestehenden, von Uns und Unseren Vorfahren hierwegen gemachten besonderen Anordnungen
gnädigst bewenden.
(1-63) [1, 2, § 2] 16. Wir wollen Uns aber anbei
vorbehalten haben, da, wo die Nothdurft
(1-64) eine anderweite Vorsehung zu
treffen erheischet, derlei Schuldigkeiten durch
(1-65) besondere Verordnungen für ein
jedwedes Land insonderheit Ziel und Maß zu setzen.
(1-66)
(1-67) §. III.
[1, 2, § 3] 17.
Der bürgerliche Stand in einem Staat ist Allen eigen, welche in demselben Staat
unter einer höchsten Gewalt vereiniget leben, und in
dieser weiten Bedeutung kommt solcher allen Unseren Unterthanen zu.
(1-68) [1, 2, § 3] 18. Dahingegen werden Fremde und
alle Andere von der bürgerlichen Gesellschaft in jenem Staat ausgeschlossen, in
welchem sie weder von Mitgliederen geboren, noch zu Mitgliederen nach jeden
Landes Gewohnheit aufgenommen worden.
[1, 2, § 3] 19.
In engerem Verstand aber werden nur Diejenige Burger genennet, welche in
Städten oder Märkten die Gemeinde ausmachen, darinnen mit einander heben (!)
und legen und zu gemeinem Mitleiden das Ihrige beitragen.
[1, 2, § 3] 20.
Und in diesem Stand werden die bloße Einwohnere und überhaupt alle von dem
Stadtburgerstand ausgeschlossen, welche das Burgerrecht allda weder behörig
erworben, noch dessen durch besondere Landesverfassung oder Freiheiten zu
genießen haben.
[1, 2, § 3] 21.
In Ansehung Unserer Erbländer sind alle Diejenige für Fremde zu achten, welche
einer auswärtigen Botmäßigkeit unterworfen sind; Unsere Unterthanen aber sind
zu einem, oder dem anderem unserer Erbländer gehörig.
[1, 2, § 3] 22.
Die zu einem Unserer Deutschen Erblanden insonderheit gehörige Unterthanen sind
entweder Personen höheren Standes und Landleute, die in demselben Land die
Landmannschaft unter den höheren Ständen ordentlich erworben, oder von Ankunft
auf sich haben und kraft solcher aller landschaftlichen Rechten in diesem
Erbland fähig sind.
[1, 2, § 3] 23.
Oder sie sind Burger in Städten und Märkten, welche daselbst das Burgerrecht
ordentlich erworben, oder da sie von dasigen Burgern geboren sind, diese
Eigenschaft nicht geänderet haben.
[1, 2, § 3] 24.
Oder sie sind, entweder ansässige, oder auch nur bloße Landeseinwohnere, welche
theils der Landes- oder Stadtfähigkeit nach jeder Landesverfassung oder kraft
beseonderer Freiheiten theilhaftig sind, theils aber sich des besonderen
Landesschutzes als Inländer zu erfreuen haben.
[1, 2, § 3] 25.
Da im Gegentheil Fremde bei Durchreisen oder sonstigen Aufenthalt in diesen
Unseren Erblanden nur für dieselbe Zeit, als sie sich darinnen befinden, den
gemeinsamen Landesschutz genießen, nicht aber für Inländer angesehen werden
können.
[1, 2, § 3] 26.
Wer übrigens für einen Inländer zu achten seie, wie die Landmannschaft, oder
das Stadtburgerrecht erworben oder wieder verloren werde, und was für Vorzüge,
Rechten und Freiheiten so dem einem, wie der anderen ankleben, ist nach einer
jeden Landesverfassung aus Unseren allda bestehenden anderweiten Verordnungen
zu entnehmen.
[1, 2, § 3] 27.
Fremde sind in keinem dieser Unserer Erblanden durch Handlungen zwischen
Lebenden auf einigerlei Weise ohne vorher erworbener Landesfähigkeit oder
(1-69) Unserer besonderer Erlaubniß
Vesten, Schlösser, Städte und andere landwirthschaftliche Güter, Gülten,
Herrlichkeiten und dergleichen an sich zu bringen, noch auch sonst an solchen
Gütern haftende dingliche Rechten zu erwerben fähig.
(1-70) [1, 2, § 3] 28. Wovon nur allein das von ihnen
an liegenden Gütern erlangen mögende Recht des Unterpfands in jenen Landen, wo
nach der bisherigen Verfassung es hierzu Unserer besonderen Vergünstigung nicht
bedarf, ausgenommen ist, doch nicht weiter, als bloß allein zur Sicherheit
ihrer rechtmäßigen Forderungen und zur Gewinnung des Vorzugs vor späteren
Gläubigeren, keineswegs aber um andurch den Besitz, noch minder das Eigenthum
eines solchen zum Unterpfand verschriebenen liegenden Guts zu erwerben.
[1, 2, § 3] 29.
Alle andere dahin abzielende Handlungen hingen sind ungiltig und null und
nichtig, und da Jemand dergleichen Güter oder Rechten an einen Fremden
verkaufete, vertauschete, oder wie sonst immer übertragen, oder auch nur pfand-
oder bestandweise in Besitz übergeben hätte, so sollte, falls ein solches
Beginnen zu Unseren und des Landes Nachtheil gereichete, nicht allein das
abgetretene Gut, oder Recht, sondern auch das dafür bezahlte oder bedungene
Kaufgeld, oder was sonst dafür gegeben, oder bedungen worden, soviel davon im
Lande zu erholen ist, wie nicht weniger der Pfandschilling oder Bestandzins
Unserer Kammer verfallen sein.
[1, 2, § 3] 30.
Wäre es aber Uns und dem Lande unnachtheilig, so solle nichtsdestoweniger
dergleichen Veräußerung keinen Fortgang haben, sondern der Fremde, wann er
schon zu dem natürlichen Besitz gelanget wäre, von dem Gut zu weichen
angehalten, der übertragende Inländer hingegen wegen solcher unbefugten
Uebergabe mit einer willkürlichen Strafe belegt werden.
[1, 2, § 3] 31.
Jedoch hat in diesem letzteren Fall der Fremde Fug und Macht, sein etwann
erlegtes Kaufgeld, oder was er sonst dafür gegeben hat, anwiederum
zurückzufordern, obschon ihme wegen Vollziehung des Kaufs oder anderer auf die
Erwerbung des Guts abgesehenen Bedingnissen kein rechtlicher Beistand zu
leisten ist.
[1, 2, § 3] 32.
Unsere Unterthanen hingegen, welchen außer dem Mangel der Landmannschaft sonst
nichts Anderes nach der Länderverfassung im Wege stehet, können zwar in diesen
Erblanden auch ohne vorher in dem betreffenden Erbland erworbenen
Landesfähigkeit landwirthschaftliche Güter, Gülten und Rechten durch Handlungen
unter Lebenden an sich bringen und sind nicht allein die abschließenden
Handlungen giltig, sondern sie auch des natürlichen Besitzes fähig.
Umsomehr
können sie auch bei allen Landtafeln, Stadt- und Grundbüchern das Recht des
Unterpfands an liegenden Gütern ohne darzu nöthig habender
(1-71) besonderer Vergünstigung, jedoch
nur bloß zur Sicherheit und Gewinnung des Vorzugs erwerben.
[1, 2, § 3] 33.
Sie erlangen aber weder das Eigenthum, noch den rechtlichen Besitz mittelst
wirklicher Einverleibung oder Eintragung des an sich gebrachten Guts oder
Rechts in die Landtafel, insolange sie nicht die Landesfähigkeit durch
Erwerbung der Landmannschaft, oder, wo es nach der Landesverfassung üblich ist,
eine besondere Besitzfreiheit von Uns erwirket haben.
[1, 2, § 3] 34.
Worzu Wir denenselben eine Frist von sechs Monaten von Zeit der geschlossenen
Handlung gnädigst eingestehen, also zwar, daß sie binnen dieser Zeit weder in
dem natürlichen Besitz gestöret, noch von jemanden Landesfähigen das
Einstandrecht angemeldet werden könne.
[1, 2, § 3] 35.
Wann sie aber diese Zeit verstreichen ließen, ohne die Landesfähigkeit auf eine
oder die andere Art erworben zu haben, so sind sie verbunden längstens in denen
nächstfolgenden sechs Monaten das Gut an einen Anderen zu übertragen, binnen
welchen jedoch in Kauffällen, ehe und bevor das Gut von dem Inhaber weiter
veräußert worden, einem jedweden daselbstigen Landmann, der sich zuerst meldet
und zahlungsfähig ist, das Einstandrecht gegen Entrichtung des bedungenen oder
schon bezahlten Kaufgelds und gegen Ersatz dessen, was in der Zwischenzeit
erweislich hinein verwendet worden, gebühren solle.
[1, 2, § 3] 36.
Dieses Einstandrecht hat so lang statt, als von dem Inhaber des Guts auch
binnen solchen anderen sechs Monaten die Landesfähigkeit nicht erworben wird.
Fände sich
hingegen zwischen diesen anderen sechs Monaten von dortigen Landleuten Niemand,
welcher sich des gesetzmäßigen Einstandrechts gebrauchen wollte, und der
Unfähige hätte die Landesfähigkeit weder bis dahin erworben, so solle alsdann
das Gut ohne weiteres gerichtlich feilgeboten und mittelst gewöhnlicher
Versteigerung an den Meistbietenden käuflich überlassen werden, ohne daß dabei
das Einstandrecht nach tiefer Zeit ferners Platz habe.
[1, 2, § 3] 37.
Diesemnach ist auch das von dem Inhaber bedungene oder bezahlte Kaufgeld nicht
mehr zu sehen, sondern ihme, oder weme sonst ein Recht hierzu gebühret, so viel
auszufolgen, als für das Gut durch die Versteigerung an Kaufschilling gelöset
worden.
[1, 2, § 3] 38.
Bei derlei gerichtlichen Versteigerungen ist ein Kauflustiger nicht eben darum
auszuschließen, daß er die Landesfähigkeit noch nicht erworben habe, sondern,
wo derselbe Unser Unterthan wäre, und ihme sonst nach der Landesverfassung
nichts im Wege stünde, gegen der Verbindlichkeit der in der obausgemessenen
Zeit zu erwerben habenden Landesfähigkeit allerdings zuzulassen.
[1, 2, § 3] 39.
Einem Fremden aber, wann für Uns und das Land von ihme kein Nachtheil zu
befahren ist, solle nicht anderst, als gegen Bestimmung einer hinlänglichen
Zeit, binnen welcher er sich zum Lande fähig zu machen habe, und gegen
Bedingung eines genüglich zu versicheren habenden Strafgelds, welches auf dem
Fall der Nichtbefolgung unnachsichtlich verwirket sein solle, die Mitanbietung
gestattet werden.
[1, 2, § 3] 40.
So viel es die Erbanfälle anbelanget, genießen die Fremden, welche einer
auswärtigen Botmäßigkeit unterworfen sind, des Rechts der Erwiederung
(1-72) in aller Art der Erbfolge,
insoweit es kundbar ist, oder von ihnen dargethan wird, daß Unsere Unterthanen
desjenigen Landes, worinnen ihnen die Erbschaft zugefallen, in ihrem Vaterland
zu Erbschaften zugelassen werden.
[1, 2, § 3] 41.
Wo aber die erwiederliche Erbfolge Unserer Unterthanen in ihrem Lande nicht
erweislich, oder gegentheils deren Ausschließung von dortländigen Erbschaften
kundbar ist, gegen solche Ausländer ist das Recht der Wiedergeltung in gleicher
Maß zu beobachten.
[1, 2, § 3] 42.
Wann jedoch Fremde in dem ersten Fall aus dem Recht der Erwiederung zu
hierländigen Erbschaften oder Vermächtnissen gelangen, die an liegenden Gütern,
oder darauf haftenden dinglichen Rechten bestehen, sind sie schuldig die
Landmannschaft oder Besitzfreiheit (woferne sie sonst durch die
Landesverfassung von dem Besitz derlei Güter und Rechten nicht ausgeschlossen
sind) in dem Erbland, wo solche Güter gelegen, zu erwerben, oder ihr Recht zu
derlei Erbstücken längstens binnen einem Jahr von Zeit des ihnen kundgemachten
Erbanfalls an jemanden Landesfähigen zu übertragen.
[1, 2, § 3] 43.
Da aber von ihnen keines von beiden befolget werden wollte oder könnte, solle
nach Verlauf dieses Jahres zur Veräußerung dieser Güter und Rechten mittelst
gerichtlicher Feilbietung und Versteigerung geschritten und ihnen das Kaufgeld,
wann sie ihr Erbrecht rechtsgenüglich ausgewiesen und sonst nichts im Wege
steht, ausgefolget, oder bei etwann noch fürwaltenden Anstand die von dem
Käufer abgeführte baarschaft bis zu dessen Behebung in Gerichtshanden
aufbehalten werden.
[1, 2, § 3] 44.
In dem zweiten Fall hingegen sind Fremde, welche durch das Recht der
Wiedergeltung von hierländigen Erbschaften ausgeschlossen werden, für
erbunfähig anzusehen und die Erbschaft, sie möge an liegenden Gütern oder an
dinglichen Rechten oder an was sonst immer bestehen, fallt denen
miteingesetzten oder
(1-73) nachberufenen Erben, oder denen
nächsten Blutsfreunden (wann so eine als die anderen erbsfähig sind) bis auf
den zehenten Grad, in deren Abgang aber Unserer Kammer zu.
Vermächtnissen
aber, welche einem solchem erbsunfähigen Fremden verschaffet worden, bleiben
dem Erben oder weme sie sonst von Rechtswegen gebühren.
[1, 2, § 3] 45.
Unsere Unterthanen sind in allen Unseren deutschen Erblanden ohne Unterschied
erbfähig. Wann jedoch Landgüter oder hierauf haftende dingliche Rechte durch
Erbschaft oder Vermächtniß an sie gelangten, haben sie in jenem Land, wo sich
der Erbanfall ergibt, die Landesfähigkeit oder die Besitzfreiheit, wo solche hergebracht
ist, binnen einer Jahresfrist von Zeit des ihnen kundgemachten Erbanfalls zu
erwerben, oder ihr Recht an einen daselbstigen Landesfähigen zu übertragen.
[1, 2, § 3] 46.
Widrigens solle nach Verlauf dieses Jahres mit gerichtlicher Feilbietung und Versteigerung
obangeordneter Massen verfahren, ihnen aber, wann sonst kein Anstand fürwaltet,
der erlösende Kaufschilling nach Abzug der Unkosten ausgefolget, übrigens aber
auch bei allen sowohl aus Unseren Erblanden, als aus einem Erbland in das
andere hinausziehenden Erbschaften allemal auf das nach Verschiedenheit der
Fällen durch Unsere anderweite Verordnungen ausgemessene Abfahrtgeld, da wo
solches zu entrichten ist, der Bedacht genommen werden.
[1, 2, § 3] 47.
Alles, was bishero von Landgütern und darauf haftenden dinglichen Rechten
geordnet worden, ist seiner Maßen auch von bürgerlichen Gründen und denenselben
anklebenden Rechten (mit alleiniger Ausnahm des Unterpfandrechts) sowohl in
Ansehung der einer fremden Botmäßigkeit unterworfenen Ausländer als Unserer
Unterthanen zu beobachten.
[1, 2, § 3] 48.
Andere unbewegliche Güter, zu deren Besitz die Eigenschaft eines Landmanns oder
Burgers nicht erforderlich ist, sind Fremde sowohl durch Handlungen unter
Lebenden, als durch Erbfolge an sich zu bringen nicht unfähig, wann sie sonst
nach der Länderverfassung oder insonderheit von der Erbfolge durch das
Wiedergeltungsrecht nicht ausgeschlossen sind, und anbei von der behörigen
Grundobrigkeit zu Inhaberen derlei Gründen angenommen werden.
[1, 2, § 3] 49.
Woferne sie aber von der betreffenden Grundobrigkeit nicht angenommen
(1-74) würden, haben die zwischen
Lebenden solcher Gründen halber geschlossenen Handlungen ohnehin keinen
Fortgang, sondern die Obrigkeit hat in diesem Fall mit derlei Gründen nach dem
ihr vermöge eines jeden Landes Verfassung gebührenden Recht zu verfahren.
[1, 2, § 3] 50.
In Erbfällen hingegen, wo Fremde aus dem Erwiederungsrecht zu Erbschaften
zugelassen werden, haben sich dieselben denen Grundrechten gemäß zu verhalten,
widrigens aber ist die Grundobrigkeit berechtiget, zu der Feilbietung des
Grundes mittelst der gewöhnlichen Versteigerung auf gleiche Weise, wie es
bereits oben erwähnet worden, fürzuschreiten.
[1, 2, § 3] 51.
Bewegliche Sachen, Geld oder persönliche Sprüche und Forderungen können Fremde
an sich bringen, insoweit ihnen das Wiedergeltungsrecht nicht im Wege stehet,
oder mit ihnen als Fremden die Gemeinschaft nicht untersaget ist.
(1-75) [1, 2, § 3] 52. Obschon aber Fremde in
Schuldsachen und allen anderen rechtlichen Ansprüchen außer der Besitzfähigkeit
zu liegenden Gütern und außer dem Fall der Wiedergeltung gleiches Recht mit
Unseren Unterthanen zu genießen haben, so können dieselben doch auch durch
diesen Weg zu dem Besitz landschaftlicher oder bürgerlicher Güter nicht gelangen,
sondern sie müssen das an solchen Gütern erworbene Recht des Unterpfands, bevor
es zur gerichtlichen oder außergerichtlichen Besitzeinraumung kommt, ab einen
anderen Fähigen übertragen, oder das Gut muß gerichtlich feilgeboten und der
Fremde aus dem erlösenden Kaufschilling befriediget werden.
[1, 2, § 3] 53.
Die Landmannschaft sowohl als das Burgerrecht muß ordentlich nach eben des
Landes Verfassung erworben und kann durch Ehelichung landes- oder stadtfähiger
Weibspersonen auf keinerlei Art erschlichen werden.
[1, 2, § 3] 54.
So viel es aber die von dergleichen Weibspersonen an ihre landes- oder
stadtunfähige Ehemänner, oder mit diesen erzeugte Kinder lebzeitig oder
letztwillig geschehende Uebertragungen und an diese nach jenen sich ergebende
Erbanfälle anbetrifft, diesfalls solle es bei Unseren in die Verfassung eines
jeden Landes einschlagenden Gesetzen und Verordnungen sein ohnverändertes
Verbleiben haben.
[1, 2, § 3] 55.
Wann Jemandem der bürgerliche Stand in einem Staat oder in einem Ort, nämlich
die Eigenschaft eines Landmanns, städtischen Mitburgers, befreiten oder nicht
befreiten Landeseinwohners angestritten wird, so ist anförderist über den
Besitz dieser Eigenschaft schleunig zu erkennen, und nach Maßgab diesfälliger
Erkanntniß die Vorsehung zu treffen, damit Jemand in den Genuß der bürgerlichen
Rechten gehandhabet oder davon ausgeschlossen werde.
[1, 2, § 3] 56.
Weme aber der Besitz abgesprochen worden, demselben ist nicht verwehret sein
darzu habendes Recht in ordentlichen Weg Rechtens auszuführen und seine
dortländige Abkunft von Landleuten, Burgeren oder sonstigen Landeseinwohneren,
oder die rechtmäßige Erwerbung der Landes- oder Stadtfähigkeit, oder ihm
zukommende besondere Freiheit, oder die häusliche Niederlassung, oder
langjährigen Aufenthalt und was sonsten nach Unseren gemeinwesigen Verordnungen
zu der behaupten wollenden Eigenschaft eines Landeseinwohners erforderlich ist,
rechtsbeständig zu erweisen.
[1, 2, § 3] 57.
Wann hingegen Jemand in dem Besitz erhalten worden, einem Anderen aber entweder
von tragenden Amts wegen oblieget, oder aus seinem erworbenen Recht wesentlich
daran gelegen ist, damit jener sich der bürgerlichen Eigenschaft in dem Staat
oder in einem Orte nicht gebrauche, solchen Falls hat Kläger durch förmliche
Rechtsverfahrung darzuthun, daß Beklagter derlei Eigenschaft
(1-76) niemalen behörig erworben, oder
sich der erworbenen begeben, oder solche nach Ausmessung Unserer Verordnungen
verwirket habe.
[1, 2, § 3] 58.
Allermaßen gleichwie in Erwerbung des bürgerlichen Standes in dem Staat oder in
einem Ort sich nach eines jeden Landes Verfassung und Unseren daselbstigen
besonderen Verordnungen zu achten ist, also hanget auch dessen Verlustigung von
eben diesen Verfassungen und Verordnungen ab. Niemand aber solle zur Bestreitung
einer von dem Anderen angebenden bürgerlichen Eigenschaft zugelassen werden,
als deme es vorbesagter Maßen entweder von amtswegen zukommt oder sonst
erweislich daran gelegen ist.
§. IV.
[1, 2, § 4] 59.
Der Hausstand ist eine Eigenschaft, welche jenen Personen zukommt, die einer
häuslichen Gesellschaft beigethan sind. Dieser begreift in seinem weiten
(1-77) Verstand alle Verwandten, die
von einerlei Hause oder Geschlecht abstammen und andurch der besonderen Rechten
des Geblüts theilhaftig werden, die nur jene, welche von der Verwandtschaft
sind, zu genießen haben.
[1, 2, § 4] 60.
In seiner genauen Bedeutung hingegen, beschränket sich derselbe allein auf jene
Personen, die unter einem Hausvater in einer häuslichen Gesellschaft vereiniget
leben, und in diesem Verstand ist der Hausvater das Haupt der häuslichen
Gesellschaft, durch welchen alle, die von dieser Gesellschaft sind, den
Hausstand erlangen, wofür ein jedweder anzusehen ist, der nicht unter
väterlicher Gewalt stehet, obschon er keine eigene Hausverwaltung führet.
[1, 2, § 4] 61.
Gleichwie aber die Vereinigung in eine häusliche Gesellschaft aus dreierlei Art
geschieht, nämlich durch das Band der Ehe zwischen Mann und Weib, durch die
Geburt zwischen Eltern und Kindern, durch ein Beding zwischen Herren und
Dienstleuten, also gehören auch alle vorbenannten Personen zu dem Hausstand.
[1, 2, § 4] 62.
Aus diesem dreifachen Band der häuslichen Gesellschaft, entspringen die
besonderen Rechten und Verbindlichkeiten, welche sowohl dem Hausvater gegen
seinen Untergebenen, als auch diesen zum Theil gegen ihme und zum Theil gegen
einander gebühren.
[1, 2, § 4] 63.
Hier wird nur von jenen Rechten und Verbindlichkeiten gehandelt, welche
einerseits zwischen dem Hausvater und der Hausmutter als Eheleuten und
andererseits zwischen Eltern und Kindern bestehen.
[1, 2, § 4] 64.
Wohingegen die Rechten der Verwandtschaft in dem vierten und die Rechten
zwischen Herren und Dienstleuten in dem siebenten Capitel besonders erkläret werden.
[1, 2, § 4] 65.
Das Band, welches zwischen Mann und Weib besteht, insoweit es den Ehestand
selbst unmittelbar betrifft, ist geistlichen, dahingegen sind alle desselben
Wirkungen in zeitlichen der weltlichen Obrigkeit unterworfenen Dingen
weltlichen Rechts.
[1, 2, § 4] 66.
Diesemnach steht die Erkanntniß über die Giltigkeit oder Ungiltigkeit der Ehe
und über die Schuldigkeit der ehelichen Beiwohnung, sowie über die Ehescheidung
der geistlichen Gewalt allein zu. Alle Rechten, welche denen Eheleuten
gegeneinander in zeitlichen Sachen gebühren, und deren ein Theil durch den
anderen in der bürgerlichen Gesellschaft theilhaftig wird, gehören einzig und
allein für die weltliche Obrigkeit.
[1, 2, § 4] 67.
Diese Rechten bestehen an Seiten des Manns in einer Art der Gewalt über seine
Ehegattin, welche jedoch nach der Vernunft, Anständigkeit und Billigkeit
gemäßiget und an die göttliche, geistliche und weltliche
Gesetze gebunden sein muß.
[1, 2, § 4] 68.
Dahingegen ist er verbunden, sie seinem Stande gemäß zu ernähren und zu
unterhalten, wie nicht minder dieselbe sowohl gerichtlich als außergerichtlich
zu vertreten und zu beschützen.
[1, 2, § 4] 69.
An Seiten des Weibs, daß die Ehegattin den Namen, und das Wappen ihres Manns
führe, allen Ehren, Würden und dem Mann zustehenden
(1-78) Vorzügen theilhaftig werde und der
Gerichtsbarkeit, welcher der Mann unterworfen ist, folge, dann nach dem Tod des
Manns die wittibliche Vorrechte genieße.
[1, 2, § 4] 70.
Dagegen ist ihre Schuldigkeit, dem Wohnsitz des Manns zu folgen und ihme in
seinem Nahrungsstand und in der Haushaltung alle Hilfe zu leisten, folglich ihn
in Besorgung des Hauswesens nach ihrem Stande, Kräften und Kündigkeit zu
überheben.
[1, 2, § 4] 71.
Beider aber gemeinsame Rechten und Schuldigkeiten sind die häusliche
Beiwohnung, die unter einander gebührende Erbfolge und Heirathssprüche, welche
aus denen Eheberednissen einem und dem anderen Theil zukommen.
[1, 2, § 4] 72.
Allhier wird von der häuslichen Beiwohnung und der Schuldigkeit des Manns zur
Unterhaltung seines Weibs gehandlet. Alle übrigen Rechten und Schuldigkeiten
unter Eheleuten aber kommen allda besonders vor, wo die Gegenstände welche sie
betreffen, als da sind die Ehebindnissen, die Erbfolge, die Gerichtsbarkeit und
dergleichen erkläret werden.
[1, 2, § 4] 73.
Vor allem muß sicher und genüglich dargethan sein, daß zwischen beiden Theilen
eine rechtmäßige und giltige Ehe bestehe, worüber im Zweifelsfall die
Erkanntniß dem geistlichen Gericht gebühret, das
weltliche hingegen jenem die erforderliche Hilfe zu leisten hat.
[1, 2, § 4] 74.
Wird die Ehe für ungiltig erkläret und die Trennung der einander widerrechtlich
beiwohnenden Personen von dem geistlichen Gericht erkennet, so solle der
weltliche Arm Unserer nachgesetzten Stellen auf Erforderen die hilfliche Hand
bieten, damit die häusliche Beiwohnung allsogleich getrennet und in Zukunft
alle verdächtige Gemeinschaft vermieden werde.
[1, 2, § 4] 75.
Da aber die Ehe von dem geistlichen Gericht für giltig erkannt würde und die
Eheleute hätten sich eigenmächtig von einander abgesonderet, so hat
gleichermaßen das weltliche Gericht nöthigenfalls an Hand zu gehen, damit die
eigenwillig getrennte Eheleute zu häuslichen Beiwohnung angehalten werden.
[1, 2, § 4] 76.
In Zwietrachten, so anderer Ursachen halber zwischen Eheleuten
(1-79) entstehen, oder wann ein Theil
sich von dem anderen eigenmächtig abgesonderet hätte oder absonderen wollte,
sollen Unsere nachgesetzte Gerichte und Obrigkeiten zeitliche Vorsehung thun,
und die zwistigen Eheleute allenfalls mit einer dem ungebührlichen Betragen
angemessenen Ahndung zu vereinigen trachten, und zum friedlichen Leben
anhalten.
[1, 2, § 4] 77.
Wo aber der eine oder andere Theil auf die Ehescheidung berufen und die
Scheidung von Tisch und Bett vom geistlichen Richter bewilliget würde, so kann
auch der geschiedene Theil zur häuslichen Beiwohnung mit dem anderen von dem
weltlichen Gericht keinerdings gezwungen werden, obschon ihme nicht verwehret
ist, zur Aussöhnung getrennter Eheleuten alle gütliche Vermittlung anzuwenden.
[1, 2, § 4] 78.
Wann die Ehe für ungiltig erkläret wird, höret die Verbindlichkeit zur
Unterhaltung des vermeintlichen Eheweibs auf, und sind die beiderseitige
Ansprüche des zugebrachten Vermögens halber, so etwann ein Theil dem anderen
vorenthielte, oder wegen des Verlusts, welchen ein Theil oder der andere aus
Anlaß der ungiltigen Ehe erleidet, lediglich bei denen weltlichen Gerichten
auszuführen.
[1, 2, § 4] 79.
Daferne aber die Ehe ungezweiflet giltig ist, und gleichwohlen aus zulänglich
befundener Ursache die Ehescheidung von Tisch und Bett durch die geistliche
Gehörde zugelassen würde, so solle auf die von derselben anerkannte
Schuldtragung des einen des oder anderen Theils, ob nämlich der Mann das Weib
forthin zu unterhalten verbunden oder von weiterer Abreichung des Unterhalts
entledigt bleiben solle, gesehen und dieser Entscheidung in Anmessung des
Unterhalts nachgegangen werden.
[1, 2, § 4] 80.
Dahingegen gehöret die Bestimmung des eigentlichen Betrags des Unterhalts und
dessen Zahlungsart, dann alles Uebrige, was sowohl wegen Erziehung und
Unterhaltung der Kinder, als wegen der einem an dem anderen Theil gebührenden
Sprüchen und Forderungen einer gerichtlichen Vorsehung bedarf, einzig und
allein zu den weltlichen Gerichten.
[1, 2, § 4] 81.
Hierüber solle anförderist nach Thunlichkeit gütliche Handlung gepflogen, da
aber diese fruchtlos abliefe, außerordentlich im Weg des schleunigen Rechts
verfahren, und was billig befunden wird, vorgekehret werden. Es handlete sich
dann um solche Ansprüche, die außer dem ordentlichen Rechtsweg nicht zu
entscheiden wären.
[1, 2, § 4] 82.
Der mehr oder wenigere Betrag des Unterhalts ist mit Rücksicht auf den Stand
und Würde des Manns nach denen Kräften seines Vermögens, nach Maß des
zugebrachten Guts und anderweiter Mitteln des Weibs, bei unbemittelten Leuten
aber nach dessen Besoldung, Verdienst, Gewerb, Nahrungsfähigkeit des Weibs und
anderen zu erwägen billig findenden Umständen abzumessen.
[1, 2, § 4] 83.
Vornehmlich solle dabei das Augenmerk dahin gerichtet werden, damit weder das
Weib durch den allzugroßen Unterhalt in der Gemüthsentfernung gestärket,
indessen aber der Mann an Mitteln erschöpfet, außer Nahrungsstand gesetzet,
oder die geziemende Erziehung der Kinder behinderet, noch auch der Mann durch
den allzugeringen Unterhalt abgehalten werde, der von Zeit zu Zeit zu versuchen
habenden Vereinigung die Hand zu bieten.
(1-80) [1, 2, § 4] 84. Zum Unterhalt gehöret Alles, was
zu Erhaltung des Lebens und Abwendung der Dürftigkeit nach Standesgebühr und
nach Bewandtniß vorberührter Umständen erforderlich ist, nicht aber was zur
Pracht und überflüssigen Gemächlichkeit dienet.
[1, 2, § 4] 85.
Die Unterhaltungsschuldigkeit erstrecket sich auch auf die zu tragen habende
standesgemäße Begräbnißkosten, wann nach dem Verstorbenen keine darzu hinreichende Mitteln nachgeblieben sind.
[1, 2, § 4] 86.
Außer dem Fall der Ehescheidung kommt es zwar wegen Unterhaltung des Eheweibs
nicht leicht zur gerichtlichen Erkanntniß. Wo aber jedoch begründete Ursach zur
Beschwerde vorhanden wäre, so hat das weltliche Gericht wegen Beobachtung des
schuldigen Wohlstands schleunige Vorsehung zu treffen und, da gütliche Besuche
nichts verfingen, auch nöthigen Falls nach vorstehender Maßgabe die
richterliche Hilfe zu ertheilen.
[1, 2, § 4] 87.
Aus dem Band des Geblüts entspringen die Rechten zwischen Eltern und Kindern.
Diese erwerben sowohl Vater als Mutter durch die eheliche Erzeugung wovon hier
gehandlet wird. Jene Rechten aber, welche Unsere Gesetze dem Vater als
Wirkungen der väterlichen Gewalt besonders zueignen, werden unten in fünftem
Capitel von der väterlichen Gewalt eigends erkläret.
[1, 2, § 4] 88.
Der Vater hat ein gewisses Beherrschungsrecht über seine Kinder, woraus deren
Schuldigkeit zu gehorsamen, und die vollkommene Unterwerfung in den väterlichen
Willen fließet, insoweit dessen Befehle nicht wider die gute Sitten und
göttliche und menschliche Gebote laufen.
[1, 2, § 4] 89.
Es steht ihme dahero zu, sie zu allem Guten zu leiten, Gehorsam und
Ehrerbietung von ihnen zu fordern und die Widerspenstigen durch mäßige
Züchtigung anzuhalten, worinnen ihm Niemand hinderlich zu fallen, noch weniger
die Kinder seiner Gewalt zu entziehen oder zu verhehlen befugt ist.
[1, 2, § 4] 90.
Widrigens kann der Vater solche von weme immer abforderen und gebühret ihme die
Rechtsklage zu Darstellung seiner Kinder, worinnen schleunig zu verfahren und
da die Kinder etwann gewaltthätig geraubet worden, wider den Entführer die
Strafe der heimlich oder öffentlich ausgeführten Gewalt und auch nach Umständen
die Strafe des Menschenraubs zu verhängen ist.
[1, 2, § 4] 91.
Wo aber die Kindschaft entweder von einem Kind selbst oder von einem Dritten in
Abrede gestellet würde, solle hierüber mit schleuniger Erkanntniß fürgegangen
und dem Vater zu Behauptung seines behörig zu erweisen habenden Rechts
außerordentliche Rechtshilfe ertheilet werden.
[1, 2, § 4] 92.
Ferners ist der Vater berechtiget, seine Kinder sowohl gerichtlich als
außergerichtlich zu schützen und zu vertreten, ihren Handlungen und
Verbindungen so lange sie unter seiner Gewalt stehen, den Beistand zu geben
oder zu versagen, für die ihnen angethane Unbild in Weg Rechtens Genugthuung zu
suchen, ihr Hab und Gut zu verwalten und durch sie zu erwerben.
[1, 2, § 4] 93.
Diesem Recht des Vaters können sich die Kinder auf keinerlei Weise
(1-81) entziehen noch etwas vornehmen,
wodurch dem Vater geschadet oder dessen Ehre, Leumuth und guter Namen bekränket
werde.
[1, 2, § 4] 94.
Dahingegen lieget auch dem Vater ob, die Kinder als sein Blut zu lieben, sie
für die seinigen zu erkennen, zu ernähren, zu allen Guten zu erziehen, zu einem
dem Staat nützlichen Stand anzuführen und dieses, wie das Wohl, Ehre und Nutzen
seines Hauses nach Möglichkeit zu beförderen.
[1, 2, § 4] 95.
In diesem besteht solchemnach das hauptsächliche Recht der Kinder, damit sie
nämlich von ihrem Vater dafür erkennet und von ihme geziemend ernähret werden,
woraus alle übrige Rechten hergeleitet werden, welche denen Kindern gegen Vater
und zu seinem Vermögen gebühren und unten bei der Abhandlung von der
väterlichen Gewalt mit mehreren vorkommen.
[1, 2, § 4] 96.
Das Recht der Kindschaft steht denen Kindern in gewisser Maß noch eher zu, als
sie das Licht der Welt erblicken.
Dahero ist
der Vater nicht nur die währender Ehe empfangene Kinder, falls die Mutter
keines Ehebruchs überführet worden, für die seinigen zu erkennen, sondern auch,
falls er vor ihrer Geburt versterben sollte, sowohl wegen Ernährung der Mutter
zu Erhaltung der Frucht, als wegen der Erbfolge der nachgeborenen Kinder die
nöthige Vorsehung zu treffen schuldig.
[1, 2, § 4] 97.
Aus dem Recht der Kindschaft folget unmittelbar die Theilnehmung an allen
Vorrechten des Hausstandes, folglich nicht allein an dem väterlichen Namen,
Wappen und Anverwandtschaft, sondern auch an allen Ehren, Würden, Vorzügen und
anderen Rechten des Vaters, die nicht auf dessen Person beschränket sind, wie
(1-82) nicht weniger an dem väterlichen
Gut und der Erbfolge, insoweit der Vater nach Zulassung der Gesetzen
darmit nicht anderst ordnet.
[1, 2, § 4] 98.
Zu Behauptung dieses Rechts solle denen Kindern, falls etwann von dem Vater
oder von jemandem Anderen die Kindschaft widersprochen würde, und sich die
Frage ereignete, ob Jemand wirklich des angegebenen Vaters Kind seie, die
außerordentliche und schleunige Rechtshilfe angedeihen.
[1, 2, § 4] 99.
Und wiezumalen die Entscheidung dieser Frage einzig und allein von der
ehelichen Geburt abhanget, so ist damals die rechtliche Vermuthung für die
eheliche Geburt, wann das Kind wenigstens in dem siebenten Monat nach
angetretener Ehe oder aber längstens im zehenten Monat von des Vaters Tod oder
von seiner Abwesenheit zu rechnen geboren worden.
Dehero (!)
Derjenige, welcher in solchen Fällen die eheliche Geburt strittig machen
wollte, dagegen das Widerspiel zu erweisen hat.
[1, 2, § 4] 100.
Wer aber vor Anfang des siebenten Monats nach Antritt der Ehe, oder nach dem
zehenten Monat von des Vaters Tod oder Abwesenheit zu rechnen geboren worden,
hat die Vermuthung wider sich, und liegt ihme die Beweisführung seiner
rechtmäßigen Geburt ob, wobei so in einem als dem anderen Fall die genaueste Untersuchung
und Bewährung aller Umständen nöthig ist, warum nach dem Befund der
Naturkundigen die Geburt so frühezeitig oder so spät habe erfolgen können.
[1, 2, § 4] 101.
Es hätte dann der Vater einen früher Gebornen für den seinigen erkennet, welche
Erkanntniß zwar wider den Vater den vollen Beweis, wider Andere aber nur die
rechtliche Vermuthung für die Rechtmäßigkeit des Kinds wirket, welche durch
widrigen Beweis entkräftet werden kann. Ein Gleiches hat auch in jenem Fall
statt, wann der Vater ein nach dem zehenten Monat von seiner Abwesenheit zu
rechnen gebornes Kind nachhero für das seinige anerkennet.
[1, 2, § 4] 102.
Ist die Kindschaft außer Anstand, so fließet hieraus die Schuldigkeit des
Vaters sein Kind zu ernähren und zu unterhalten, welche sich auch auf die
Unterhaltung Mutter erstrecket, so lange das Kind noch von ihr getragen wird,
damit die Frucht erhalten werde.
[1, 2, § 4] 103.
Sind die Kinder zur Welt gekommen, so ist der Vater zu allem demjenigen Aufwand
verbunden, welcher zur weiteren Ernährung, Pflegung, Wartung und Erziehung der
Kinder nöthig ist, bis sie sich selbst ernähren können, sie mögen mündig oder
unmündig, in der väterlichen Gewalt oder außer derselben, gut oder übel
gesittet sein und eine Versorgung bereits erhalten oder eigene Mitteln gehabt
haben oder nicht, ohne Unterschied und Ausnahm, wann sie von anderwärts her
sich nicht unterhalten können.
(1-83) [1, 2, § 4] 104. Dieses erstrecket sich auch auf
die Kindskinder, wenn ihre Eltern unvermögend sind und sie sonst keine Mitteln haben, doch also, daß allemal die väterlichen
Großeltern vor denen mütterlichen hierzu verbunden sind.
[1, 2, § 4] 105.
Von dieser Schuldigkeit aber wird der Vater insoweit enthoben, als die Kinder
ein eigenes Vermögen haben, und die davon abfallende Nutzungen, oder die
Einkünften eines bekleidenden Amts und Bedienstung, oder einer treibenden Kunst
oder Gewerbs, oder der sich durch eigenen Fleiß und Arbeit schaffende Verdienst
zur standesmäßigen Ernährung hinreichend sind.
[1, 2, § 4] 106.
Nicht weniger wird der Vater davon entbunden, wann die Mutter die Unterhaltung
der Kinder ganz oder zum Theil über sich genommen, oder wann die Töchter mit
oder ohne väterlichen Willen, mit oder ohne einem Heirathsgut ausgeheirathet
worden, sie wäre dann arm und könnte weder von ihrem Mann, welchen ihre
Ernährung zuerst oblieget, noch von dessen Eltern den benöthigten Unterhalt
ihrer ebenmäßigen Armuth wegen überkommen.
[1, 2, § 4] 107.
Um somehr ist ein Vater von Ernährung seiner Tochterkinder entledigt, immaßen
diese Kinder von ihrem Vater, oder bei dessen Unvermögenheit von ihren
väterlichen Großeltern ernähret werden müssen.
Wann jedoch
weder ihr Vater, noch dessen Eltern selbe zu ernähren im Stande wären, so liegt
erst alsdann dem mütterlichen Großvater ob, seiner Tochter Kindern nicht zwar
nach seinem eigenem Stand und Würde, sondern nur nach Nothdurft den Unterhalt
zu verschaffen.
[1, 2, § 4] 108.
Endlich entbindet auch die Undankbarkeit der Kinder, wann sie also beschaffen
ist, daß selbe nach Unseren Gesetzen zu deren Enterbung hinlänglich seie, den
Vater von der Schuldigkeit ihrer standesmäßigen Unterhaltung. Doch woferne
solche unwürdige Kinder in äußersten Nothfall den Unterhalt von ihrem Vater
ansuchen, so kann ihnen derselbe zur bloßen Lebensfristung und ohne Rücksicht
auf das Vermögen, Stand oder Würde des Vaters nicht verweigeret werden.
[1, 2, § 4] 109.
Von dem Recht des Vaters ist nach der Natur das Recht der Mutter über ihre
Kinder nicht sonderlich unterschieden.
Sie sind
nicht minder derselben nach dem Vater zu gehorsamen, sie zu ehren und auf
keinerlei Art zu verletzen schuldig.
[1, 2, § 4] 110.
Außer deme legen die Gesetze nach andere Rechten sowohl der Mutter gegen die
Kinder, als diesen gegen die Mutter bei, welche theils in der Erbfolge, theils
in dem Recht zur Vormundschaft und dergleichen mehreren bestehen, wovon an
behörigen Orten das mehrere erwähnet werden wird.
[1, 2, § 4] 111.
Dagegen ist die Mutter nicht weniger verbunden auch ihrerseits zur Erziehung,
Pflegung und Wartung ihrer Kinder alle Mühe, Fleiß und Sorgfalt
(1-84) anzuwenden, keineswegs aber
währender Ehe zu deren Ernährung und Unterhaltung aus ihren Mitteln etwas
beizutragen schuldig.
[1, 2, § 4] 112.
Es wäre dann der Vater hierzu unvermöglich oder sie hätte sich darzu entweder
in der Eheberedniß oder auch sonst außer derselben durch ein nachheriges Beding
anheischig gemacht oder sich zu einem Beitrag eingelassen.
[1, 2, § 4] 113.
Nach des Vaters Tod aber ist die Mutter, die ohne allem oder doch mit keinem
hinlänglichen Vermögen hinterlassene Kinder zu ernähren schuldig, insoweit
deren eigene Mitteln nicht zureichen, woferne nicht eine von denen bereits oben
bei dem Vater erwähnten Ursachen unterwaltet, wodurch sie von dieser
Schuldigkeit enthoben würde.
[1, 2, § 4] 114.
In Gegentheil haben auch die Kinder die erwiederliche Schuldigkeit auf sich,
ihre bedürftige Eltern, Großeltern und weitere Aufsteigende zu ernähren, zu
pflegen, zu warten und denenselben in ihrer Noth und Kräften beizustehen, wo
sie es zu thun im Stande sind.
[1, 2, § 4] 115.
Wer die Verbindlichkeit des abzureichen habenden Unterhalts auf sich hat, deme
lieget auch ob die standesgemäße Begräbnißkosten zu bestreiten, insoweit diese
aus dem nachgelassenen Vermögen nicht erschwungen werden können.
[1, 2, § 4] 116.
Was aber aus der erwiederlichen Ernährungsschuldigkeit zwischen Eltern und
Kindern von einem oder dem anderen Theil aufgewendet oder sonst über die
Schuldigkeit aus natürlicher Zuneigung abgereichet worden, kann nicht mehr
zurückgeforderet werden, wann der Ersatz des über die Schuldigkeit
Aufgewendeten nicht ausdrücklich bedungen worden.
[1, 2, § 4] 117.
Was bisher geordnet worden, ist nur von eheleiblichen Kindern zu verstehen,
wofür auch die aus einer vermeintlich giltigen Ehe erzeugte Kinder zu halten
sind. Von denen unehelich erzeugten, nachher aber rechtmäßig gewordenen und von
denen an Kindsstatt angenommen wird unten in fünftem Capitel mit mehreren
Meldung geschehen.
[1, 2, § 4] 118.
Dahingegen haben uneheliche Kinder keinen Antheil an dem Hausstand
(1-85) des Vaters, obschon dieser, wo
er Vater zu sein gestehet oder dessen überführet wird, selbe zu ernähren
schuldig ist.
[1, 2, § 4] 119.
Auf bloßes Angeben einer geschwächten Person aber wird Niemand für den Vater
gehalten, sondern um eine rechtliche Vermuthung wider ihn zu bewirken, ist
seine eigene Geständniß der Schwächung oder dessen Ueberführung und die
Uebereinstimmung der Zeit und Umständen mit der Geburt erforderlich.
[1, 2, § 4] 120.
Diese Vermuthung kann von nicht anderst, als durch klaren Gegenbeweis abgeleinet
werden, welche aber immittelst an sich schon stark genug ist, daß ihme bis
dahin nicht allein die Ernährung des Kinds, sondern auch die Unterhaltung der
unbemittelten Kindsträgerin bis zur Geburtszeit und die Bestreitung der
Kindbettsunkosten auferleget werde.
[1, 2, § 4] 121.
Doch ist der Unterhalt unehelicher Kinder und der Kindsmutter nicht so wie bei
ehelichen Kindern nach dem Vermögen, Stand und Würde des bezüchtigten Vaters,
sondern nach der bloßen alleinigen Nothwendigkeit auszumessen und zugleich auf
das Vermögen der Mutter, auf die Dürftigkeit des angeblichen Vaters und auf
andere Umstände zu sehen, welche den Vater von Ernährung des Kinds oder der
Kindsträgerin ganz oder zum Theil entheben können.
[1, 2, § 4] 122.
Von diesem höchstnöthigen Unterhalt sind keine uneheliche Kinder, aus was immer
für einer verbotenen Vermischung dieselbe gezeuget worden, ausgeschlossen, wann
sie sonst von anderwärts keine Nahrung haben.
[1, 2, § 4] 123.
Insoweit aber dieselbe vorstehender Maßen von dem erweislichen Vater ihren
Unterhalt nicht bekommen, ist die Mutter sie zu ernähren schuldig und nach dem
Tod ihres erweislichen Vaters oder ihrer Mutter gebühret ihnen aus deren
Verlassenschaft anstatt des Unterhalts derjenige Antheil, welcher im zweiten
Theil im zwölften Capitel von Einsetzung der Erben, §. II von num. 23 bis num.
25 für sie eigends ausgemessen ist.
[1, 2, § 4] 124.
Uebrigens folgen sie der Mutter und sind in Ansehung ihrer in allen Rechten und
Schuldigkeiten gegen dieselbe denen ehelich gebornen gleich, insoweit Unsere
Gesetze in Erb- und anderen Fällen zwischen beiden keinen Unterschied
ausdrücklich bestimmen.
(1-86) Caput III.
Von
Ehebindnissen
Inhalt:
§. I. Von
Eheverlobnissen. §. II. Von Heirathsgut. §. III. Von der Widerlag. §. IV. Von
Schankungen zwischen Eheleuten. §. V. Von dem ehegattlichen Vermögen. §. VI.
Von Witums und anderen Rechten nach der Ehe.
§. I.
[1, 3, § 1] 1.
Die Ehe ist der Ursprung aller Rechten des Hausstands, dann aus derselben
entstehen die Rechten zwischen Mann und Weib. Aus der ehelichen Erzeugung jene
zwischen Eltern und Kindern. Und endlich werden durch dieselbe die Rechten des
Geblüts unter denen Verwandten fortgepflanzet.
[1, 3, § 1] 2.
Es wird dahero die Abhandlung von Ehebindnissen in gegenwärtigen Capitel
vorausgesetzet, ehe und bevor die übrigen hieraus erwachsende Vorrechte des
Hausstands erkläret werden.
[1, 3, § 1] 3.
Die Ehebindnissen nehmen insgemein ihren Anfang von der Eheverlobniß oder dem
Versprechen künftiger Ehe, werden durch die wirkliche Ehe vollzogen, und endlich
durch den Tod des einen oder anderen Theils anwiederum aufgelöset.
[1, 3, § 1] 4.
Gleichwie aber aus der Eheverlobniß die Verlobten in Absicht auf die künftige
Ehe gegen einander gewisse Rechten erwerben, sodann aus der wirklichen Ehe die
Rechten zwischen Eheleuten entspringen und nach deren Auflösung durch den Tod
des einen oder anderen Ehegatten dem überlebenden Theil noch gewisse Rechte an
dem hinterlassenen Vermögen des Verstorbenen gebühren, also wird auch hier
erstlich von den rechtlichen Wirkungen der Ehebindnissen vor der Ehe zwischen
Verlobten, sonach von jenen in der Ehe zwischen Vereheligten und schließlichen
von denen nach der Ehe an Seiten des verwitibten Ehegattens gehandlet.
[1, 3, § 1] 5.
Die Eheverlobniß ist ein Versprechen und Gegenversprechen der künftigen
(1-87) Ehe, woraus die beiderseitige
Verbindlichkeit der eheversprochenen Personen erwachset, ihr Versprechen zu
erfüllen und mittelst priesterlicher Zusammengebung die Ehe anzutreten.
(1-88) [1, 3, § 1] 6. Diese Verbindlichkeit kann jedoch
nicht anderst als mit der Fähigkeit der Eheversprochenen sich mittelst eines
solchen Versprechens gegeneinander zu verstricken bestehen, welche nicht allein
nach denen geistlichen, sondern auch nach Unseren weltlichen Gesetzen
abgemessen werden muß.
[1, 3, § 1] 7.
Wiewohlen dahero das Eheversprechen, insoweit es auf die Vollziehung der
versprochenen Ehe abzielet, zur Erkanntniß der geistlichen Gerichten gehöret,
so solle jedoch von denenselben auch auf Unsere Gesetze, welche die
Eheverlobnissen gewisser Personen, wann sie wider deren Ausmessung unternommen
worden, für ungiltig erklären, um so mehr gesehen werden, als im widrigen die
dagegen ergehende Erkanntnissen keine Kraft und Wirkung haben und solchen von
Unseren nachgesetzten Gerichten nicht der mindeste Beistand geleistet werden
solle.
[1, 3, § 1] 8.
Solchemnach ist da Eheversprechen der minderjährigen oder auch schon
großjährigen, allein zur Zeit noch in der Eltern Brod
stehenden Kindern ganz und gar ohne Kraft und Wirkung, wann ein Sohn oder
Tochter heimlich oder vor Zeugen schriftlich oder mündlich solches ohne
angesuchter Einwilligung der Eltern eingegangen.
[1, 3, § 1] 9.
Sie sollen vielmehr, ehe und bevor sie sich in ein Eheversprechen einlassen,
vorhero ihre Eltern, oder wo bereits Vater und Mutter verstorben wäre, den noch
lebenden Elterntheil um die Einwilligung geziemend ersuchen und im
Weigerungsfall dieses Ersuchen nach einiger Zwischenzeit wenigstens noch zu
zweimalen wiederholen oder durch Andere darum anhalten lassen.
[1, 3, § 1] 10.
Würden aber Vater oder Mutter oder auch beide Eltern jegleichwohlen auf ihrer
Weigerung immer beharren, so mögen sich die Kinder an die weltliche
Gerichtsstelle, welcher ihre Eltern untergeben sind, bittlich verwenden,
welches Ansuchen nicht weniger sowohl von denen Befreundten, die sich der
Kinder annehmen wollen, als auch von dem Gegentheil, mit welchem die
Eheverlobniß nicht zugelassen werden will oder dessen Eltern oder Gerhaben und
Vormünderen geschehen kann.
(1-89) [1, 3, § 1] 11. Das Gericht hat hierauf die
Eltern über die Ursache ihrer Weigerung außer dem ordentlichen Weg Rechtens
schleunig zu vernehmen und da die Ursachen
(1-90) der Verweigerung erheblich zu sein befunden würden,
nicht allein das Verwilligungsgesuch abzuschlagen, sondern auch die muthwillige
Behelligung zu verweisen und den Sohn oder Tochter nach Umständen von
dergleichen unzeitigen oder unanständigen Vorhaben nachdrucksam abzuwarnen.
[1, 3, § 1] 12. Wann aber von denen Eltern gar keine Ursach
der Weigerung angegeben oder die vorschützende Ursachen nicht hinlänglich zu
sein erachtet würden, hat das Gericht sich alle Mühe zu geben, die auf der
Weigerung bestehende Eltern durch alle nur thunliche gütliche Vorstellungen zu
Einwilligung zu bewegen, und da sie nichtsdestoweniger sich hierzu nicht
verstehen wollten, ihnen eine mäßige Bedenkzeit zur Ueberlegung und endlichen
Erklärung anzuberaumen.
[1, 3, § 1] 13. Da jedoch auch dieses nichts fruchtete,
solle das Gericht nach Verlauf der bestimmten Bedenkzeit die Einwilligung zu
dem Eheversprechen anstatt der Eltern von amtswegen ertheilen und die sonach
für sich gegangene Heirath den Kindern an deme, was ihnen von ihren Eltern von
Rechts wegen gebühret, zu keinem Nachtheil gereichen.
[1, 3, § 1] 14. In Gegentheil sind die Kinder, welche ohne
vorher angesuchter Einwilligung ihrer Eltern und ohne auf dem Fall ihrer
Weigerung ausgewirkter gerichtlicher Erlaubniß oder wohl gar wider den
ausdrücklichen Willen und Verbot der Eltern oder wider die gerichtliche
Abweisung sich in ein Eheversprechen eingelassen, solches zu erfüllen nicht
befugt, sondern die Eltern vielmehr berechtiget dergleichen Heirathen auf alle
Art und Weis zu hintertreiben und nöthigen Falls eine Abmahnung von der
weltlichen an die geistliche Gehörde auszuwirken, um die priesterliche
Zusammengebung einzustellen.
[1, 3, § 1] 15. Woferne sich aber ein Sohn oder Tochter
jegleichwohlen wider Willen der Eltern und ohne hierzu erhaltener gerichtlicher
Bewilligung vereheliget hätte, so ist der hierdurch beleidigte Vater, oder
Mutter von aller Schuldigkeit entbunden einem solchen ungehorsamen Kind das
standesmäßige Unterkommen, Heirathgut und wie immer Namen habende Versorgung
oder Ausstattung abzureichen, die im Nothfall zu unumgänglichen Lebensfristung
unentbehrliche Nahrungsmitteln allein ausgenommen.
[1, 3, § 1] 16. Ueber das haben die Eltern Fug und Macht
ihre ungehorsame Kinder, die sich wider ihren Willen verheirathet, wann die
Ursach ihrer Weigerung von Gericht erheblich zu sein befunden worden, in ihrem
letzten Willen zu enterben, insoferne von ihnen nach der Hand diese Heirath
nicht begenehmiget und die andurch zugefügte Beleidigung nachgesehen worden.
[1, 3, § 1] 17. Nebst deme solle ein solches Beginnen
beschaffenen Umständen nach mit einer dem richterlichen Ermessen überlassenen
Strafe desto schärfer angesehen werden, je ungleicher die Heirath und je
verkleinerlicher dieselbe ihrem Stand und Geschlecht oder dem Ansehen, guten
Namen und Leumuth ihrer Eltern ist.
[1, 3, § 1] 18. Eine noch empfindlichere Strafe aber ist
wider jene Personen zu verhängen, die sich unterfangen, adeliche oder sonst
ehrbarer Leuten Kinder zu verführen und arglistig zu bereden, um sich mit ihnen
in eine ungleiche Ehe einzulassen.
[1, 3, § 1] 19. Desgleichen solle wieder Diejenige die
Strafe verschärfet werden, welche sich aus Arglist oder schnöder Gewinnsucht
zur Vermittlung solcher Winkelheirathen gebrauchen lassen oder wohl gar selbst
darzu anbieten und hierzu Anlaß, Gelegenheit
(1-91) und Vorschub geben, besonders, da sie der Eltern oder
Kindern Dienstleute wären.
[1, 3, § 1] 20. Großjährige und zugleich außer der Eltern
Brod stehende Kinder aber haben zwar zu ihrer vorhabenden Verehelichung die
Einwilligung ihrer Eltern aus natürlicher Ehrerbietung anzusuchen; doch kann
weder dessen Unterlassung, noch die ohnerachtet der Weigerung ihrer Eltern
vollzogene Heirath gegen sie geahndet, noch weniger dieselbe hierwegen von
ihren Eltern enterbet werden.
[1, 3, § 1] 21. Es seie dann, daß die Eltern wider eine
ungleiche, ihrem Stand und Ansehen verkleinerlich fallende Heirath ihrer auch
zur Zeit schon großjährigen Kinder die Gerichtshilfe angerufen hätten, und die
Ursach ihrer Widersetzung von Gericht aus gebilliget worden wäre.
[1, 3, § 1] 22. Vaterlose Söhne oder Töchter müssen nebst
Einwilligung der Mutter auch die Einwilligung ihres Vormunds (wann sie einen
anderen Vormund haben, oder der Mutter ein Mitvormund zugegeben ist) ansuchen.
Dieser hat sich, da kein Bedenken vorhanden, von der
Gesinnung der Mutter nicht leicht zu entfernen; falls aber ein gegründeter
Anstand unterwaltete, solchen bei der Vormundschaftsgehörde anzuzeigen.
[1, 3, § 1] 23. Welche sodann benöthigten Falls die
Freundschaft hierüber vernehmen und nach reifer Ueberlegung der sowohl für als
wieder die Heirath streitenden Ursachen entweder die
obervormundschaftliche Genehmigung ertheilen oder solche abschlagen solle.
[1, 3, § 1] 24. Wären aber beide Eltern verstorben, so ist
es an der alleinigen Verwilligung des Vormunds nicht genug, obgleich die
Befreundten des Waisens darmit verstanden wären, sonder es muß auch hierzu die
obervormundschaftliche Genehmhaltung des Gerichts erwirket werden.
[1, 3, § 1] 25. Diese hat insgemein der Vormund selbst, wann
er wider die Heirath nichts einzuwenden hat, mit Anführung des unterwaltenden
Wohlstands und Nutzens des Waisen, Gutbefunds der nächsten Freundschaft und
anderer Umständen anzusuchen.
[1, 3, § 1] 26. Wann hingegen der Vormund weder seine
Einwilligung ertheilen, noch auch um die obervormundschaftliche Genehmhaltung
einkommen wollte, so stehet sowohl dem minderjährigen Sohn oder Tochter, als
dem Gegentheil frei, auf gleiche Weise, wie es im Weigerungsfall der Eltern
oben verordnet worden, entweder selbst oder durch Andere um die
obervormundschaftliche Einwilligung zu bitten.
[1, 3, § 1] 27. Worüber das Gericht den Vormund und nöthigen
Falls die nächste Befreundte des Waisen zu vernehmen und da keine erhebliche
Ursach entgegen stünde, zu der Heirath die gerichtliche Verwilligung zu
ertheilen, falls aber gegründete
(1-92) Bedenken fürwalteten, den Waisen mit seinem Gesuch
abzuweisen die Behelligung zu verheben und ihn von dem Vorhaben ernstlich
abzuwarnen hat.
[1, 3, § 1] 28.Würde aber ein minderjähriger Sohn oder
Tochter wider dieses Unser Gebot sich mit Hintansetzung des Vormunds und der
behörigen Gerichtsstelle in ein heimliches oder auch öffentliches
Eheversprechen einlassen, so solle solches ganz und gar kraftlos und nicht von
der mindesten Wirkung und Verbindlichkeit sein, noch weniger von Unseren
nachgesetzten Stellen hierwegen ein Beistand geleistet werden.
[1, 3, § 1] 29. Um so mehr sollen auf den Fall einer solchen
vollzogenen Winkelheirath nicht allein alle dieserwegen eingegangene
Verbindungen, Verheißungen oder Schankungen, wie sie immer Namen haben mögen,
durchaus ungiltig und nichtig sein, sondern auch dieses strafmäßige Beginnen an
ihnen, an dem anderen Theil und an denen Helfern mit gleicher Schärfe geahndet
werden, wie es bereits oben n.17, 18 und 19 wider Söhne und Töchter in dem
ähnlichen Fall ausgemessen ist.
[1, 3, § 1] 30. Desgleichen wo es die Landesverfassung mit
sich bringet, daß einem
(1-93) Unterthan sich ohne Einwilligung seiner Herrschaft zu
vereheligen nicht erlaubet seie, da lassen Wir es noch ferners dabei bewenden,
doch solle sothane Einwilligung denen Unterthanen von der Herrschaft ohne
genugsamer Ursache nicht verweigeret, sondern vielmehr die Heirathen des
gemeinen Volks, wann die zusammen Heirathende anderst sich zu nähren im Stande
sind, und der Herrschaft kein Schaden und Nachtheil hieraus erwachset, nach
Unseren anderweiten Verordnungen in Absicht auf den aus der mehreren
Bevölkerung erzielenden gemeinwesigen Nutzen auf alle thunliche Weise
erleichteret werden.
[1, 3, § 1] 31. Solchemnach gestatten Wir denen Unterthanen,
welchen auf ihr bittliches Anlangen die herrschaftliche Einwilligung zu ihrer
vorhabenden Vereheligung versaget wird, sich darüber bei jener Gehörde, an
welche die Unterthansbeschwerden wider ihre Obrigkeit in jedem Lande
unmittelbar angewiesen sind, selbst oder durch Andere zu beschweren.
[1, 3, § 1] 32.Worüber die Herrschaft über die Ursachen
ihrer Weigerung vernommen und da selbe hinlänglich zu sein befunden würden, der
beschwerführende Unterthan abgewiesen und gestalter Dingen nach,, da er sich
eines unwahren Anbringens, ungeziemenden Betrags oder muthwilliger Behelligung
unterstanden hätte, bestrafet werden solle.
[1, 3, § 1] 33. Wäre aber die Weigerungsursache nicht
erheblich, so ist der Vorfall an die vorgesetzte Landesstelle mit Beifügung des
Gutachtens einzuberichten, welche bei Befund der unstandhaften Weigerung dem
beschwerführenden Unterthan die Verwilligung zu seiner Vereheligung von Amts
wegen zu ertheilen hat, kraft welcher derselbe nachhero weder an seiner
Vereheligung von der Herrschaft weiter behinderet, noch deshalben auf
einigerlei Weise gekränket werden solle.
[1, 3, § 1] 34. Die Ursachen, wegen welcher die
herrschaftliche Einwilligung zur Vereheligung eines Unterthans abgeschlagen
werden kann, sind beiläufig folgende:
Das minderjährige Alter der unterthänigen Person, die
Weigerung der Eltern, welchen Falls aber auch diese darüber zu vernehmen sind
und auf obstehende Art fürzugehen ist.
[1, 3, § 1] 35. Ferners die Freiheit des anderen Theils,
falls dieser die Unterthänigkeit nicht angeloben, oder denen aus dieser Ehe
erzeugenden Kindern die Freiheit vorbehalten wollte. Eben also, wann der andere
Theil ein fremder Unterthan ist, und dieser Anstand durch den nachbarlichen
sogenannten Weglaß nicht behoben werden kann.
[1, 3, § 1] 36. Böser Lebenswandel des einen oder anderen
Theils, woraus von dem künftigen Ehepaar Verführung Anderer, Schaden und
Aergerniß zu befürchten wäre.
[1, 3, § 1] 37. Die offenbare Unvermögenheit der künftigen
Eheleuten sich und ihre Kinder durch Dienstleistung, Handarbeit, Handel, und
Gewerb oder auf sonstige redliche Weise zu ernähren, woraus vorzusehen wäre,
daß sie der Herrschaft, denen Mitunterthanen und selbst dem gemeinen Wesen zu
Last gereichen würden.
[1, 3, § 1] 38. Endlich auch die vorhin schon übersetzte
Anzahl der Eheleuten auf einem Gut, so daß daselbst noch mehrere Haushaltungen
auf keinerlei Weise bestehen könnten und überhaupt alles, wovon sowohl dem
Herrn, als dem Gut und denen dortigen Mitunterthanen oder wohl gar dem gemeinen
Wesen ein Schaden und Nachtheil zugehen könnte.
[1, 3, § 1] 39. Dahingegen solle ein bloßes nicht Wollen der
Herrschaft, eine eigennützige
(1-94) Absicht, eine anmaßliche Bestrafung wegen
fleischlichen oder anderen Verbrechens oder ein sonstiger ungegründeter Vorwand
keineswegs hinreichend sein, die Einwilligung zu versagen, oder solche auf
diese oder jene mit Ausschließung der zur Ehe verlangten Person einzuschränken.
[1, 3, § 1] 40. Obwohlen zuweilen die Einwilligung auf
einige Zeit verschoben werden kann, da auf dem Gut oder Herrschaft ein
erweislicher Abgang diensttauglicher Leuten wäre und hierzu wegen des
landesbrauchlichen geringen Lohns oder anderer Umständen halber ohne Nachstand
des Dienstes nicht füglich verheirathete Leute gebrauchet werden könnten.
[1, 3, § 1] 41. Wegen unterwaltender gemeiner Wohlfahrt muß
die Erfüllung des Eheversprechens bei gewissen Personen, welche wegen einer auf
sich habenden Eigenschaft oder aus Umständen, in denen sie sich zur Zeit
befinden, durch Unsere besondere Verordnungen Heirathen einzugehen untersaget
ist, einsweilig ausgesetzet bleiben, so daß zwar die Verbindung nicht unkräftig
ist und auch nicht aufhöret, dennoch aber so lang nicht in Erfüllung gehen
kann, als vorbesagte Eigenschaft oder Umstände fürdaueren.
[1, 3, § 1] 42. Solchemnach solle deme, was gedachte Unsere
Verordnungen in Ansehung der sowohl wirklich dienenden Kriegsleuten, als der zu
dienen unfähigen und in Verpflegung stehenden unvermöglichen Soldaten, dann
deren den Verdacht eines heimlichen Abzugs erweckenden Heirathen mit
Ausländern, herrnloser Leuten, Landstreichern und anderen unnützigen keines
Nahrungsstandes fähigen Gesinds maßgebig enthalten, auf das Genaueste
nachgelebt werden.
[1, 3, § 1] 43. Wo es sich aber um Vollziehung eines
Eheversprechen zwischen
(1-95) solchen Personen handlete, denen Unsere Gesetze nicht
im Wege stehen, so hat der geistliche Richter allein zu erkennen, ob ein
giltiges Eheversprechen unterwalte und ob mithin ein Theil den anderen zu
eheligen schuldig oder von dem Versprechen entbunden seie.
[1, 3, § 1] 44. Zu diesem Ende solle zu Handhabung der ihme
hierinfalls gebührenden Gerichtbarkeit (!) und Vollstreckung seiner mit
Beobachtung Unserer Gesetzen geschöpften Erkanntnissen
und Urtheilen der Beistand des weltlichen Arms auf jedesmaliges Ansuchen
unweigerlich ertheilet werden.
[1, 3, § 1] 45. Wann hingegen ohne erweislichen
Eheversprechen nur Schwächung oder Schwängerung halber geklaget würde, gehöret
sowohl die Erkanntniß über die Genugthuung, als auch über die Kindbettunkosten
und Unterhaltung des Kinds,
(1-96) wie nicht minder über die Bestrafung derlei Vergehens
bloß allein zu denen weltlichen Gerichten.
[1, 3, § 1] 46. Es seie dann, daß sich von der einen oder
anderen Partei auf ein zwischen ihnen eingegangenes Eheversprechen berufen
würde, welchen Falls selbe sofort an das geistliche Gericht zu verweisen sind,
um daselbst über die Giltigkeit und Verbindlichkeit des Eheversprechens zu
erkennen und sonach weiter in Sachen zu verfahren.
[1, 3, § 1] 47. Daferne jedoch der klagende Theil von der
Person des Beklagten abließe, und nur eine Genugthuung an Geld oder anderen
Sachen verlangete, oder aber von dem geistlichen Richter kein Eheversprechen zu
unterwalten befunden würde, kann die Genugthuung und deren Ausmessung nirgends
anderst als bei dem weltlichen Gericht, deme der Gegentheil unterworfen ist,
angesuchet werden.
[1, 3, § 1] 48. Wie dann überhaupt in Eheverlobnißfällen, wo
von dem geistlichen Richter auf einen Ersatz oder Abfindung erkennet wird, die
Bestimmung des Betrags denen weltlichen Gerichten allein zustehen solle,
obschon denen streitenden Theilen nicht verwehret ist, sich entweder vor dem
geistlichen Gericht oder auch unter sich allein, wann es nur sonst erweislich
ist, frei und ungezwungen zu vergleichen, und auch zu Erfüllung derlei
freiwilliger Vergleichen die Gerichtshilfe nach Ordnung rechtens nicht versaget
werden kann.
[1, 3, § 1] 49. Bei Eheverlobnissen wird gemeiniglich auch
um die zeitliche Versorgung der künftigen Eheleuten gehandlet und geschieht
sehr gut daran, wann dergleichen Heirathsberednissen noch vor der
priesterlichen Trauung geschlossen werden, wovon in denen nachstehenden §§ das
mehrere folgen wird.
[1, 3, § 1] 50. Doch sind die Verehrungen und Schankungen,
welche entweder vor
(1-97) dem Eheversprechen, oder bei, oder nach demselben, es
seie in Absicht auf die künftige Ehe oder zu Bezeigung der Liebe zwischen
Brautleuten, oder von Anderen aus Zuneigung gegen dieselbe zu geschehen
pflegen, in dasjenige, was ein Theil dem anderen aus der Heirathsberedniß
schuldig ist, nicht einzurechnen, wann in derselben ein solches nicht
ausdrücklich bedungen oder vorbehalten worden.
[1, 3, § 1] 51. Vielmehr sollen jene Verehrungen, so vor dem
Eheversprechen ohne dessen ausdrücklicher Bedingung zu bloßer Bezeigung der
Liebe und Zuneigung geschehen, als freiwillige, unbedingte, unwiderrufliche
Schankungen angesehen werden, wann die verehrte und verschenkte Sachen zugleich
übergeben und angenommen worden, auch die Schankung sonst an sich selbst nicht
mangelhaft, noch der schenkende Theil solche zu thun unfähig ist.
[1, 3, § 1] 52. Die Verehrungen aber, welche entweder vor
dem Eheversprechen mit dem ausdrücklichen Beding der künftigen Ehe, oder bei,
oder nach demselben gleichsam zu einer Versicherung und Unterpfand des zu
vollziehen kommenden Ehebindnisses, es sei von denen Brautleuten untereinander,
oder von denen Eltern des einen oder anderen Theils mit wirklicher Uebergabe
gemacht werden, sollen, wann die Heirath mit beiderseitiger Abweichung oder
zufälliger Weise nicht erfolget, (falls nicht etwas Anderes ausdrücklich
bedungen worden) dem verehrenden Theil zurückfallen.
[1, 3, § 1] 53. Wo aber ein Theil wider Willen des anderen
ohne rechtlicher Ursache von dem Eheversprechen abweichen und der andere ihn
zur Erfüllung des Versprechens mit Gerichtszwang nicht anhalten wollte, oder da
ein Theil dem anderen genugsame Ursache von dem Eheversprechen abzuweichen
gegeben hätte, so behält nicht allein der beständig gebliebene oder abzuweichen
veranlaßte Theil das Empfangene, sondern er ist noch über das Jenes, was er dem
anderen gegeben, zurückzuforderen berechtiget.
[1, 3, § 1] 54. Da jedoch der beständig gebliebene Theil auf
den Vollzug des Eheversprechens gleichwohlen andringete, der andere hingegen
sich hierzu durchaus nicht verstehen wollte oder aus seiner Schuld dasselbe
nicht mehr erfüllen könnte, so bleibet dem ersteren bevor, die vollständige
Genugthuung für Alles, woran es ihme wegen nicht erfolgter Ehe gelegen ist,
gerichtlich anzusuchen.
[1, 3, § 1] 55. Dahingegen sollen bloße Zusagen und
Verheißungen ohne Uebergabe zwischen freienden oder eheverlobten Personen keine
Kraft und Wirkung haben, sondern bei Veränderung des Willens widerruflich sein,
wann sie nicht wohlbedächtlich mit darüber errichteten Urkunden oder vor Zeugen
geschehen, insoferne jedoch auch in diesem Fall die Schankung sonst an sich
selbst nach Maßgebung dessen, was deshalben in zweitem Theil von Schankungen
geordnet wird, bestehen kann.
(1-98) [1, 3, § 1] 56. Wann von Anderen, die zur Versorgung
des Ehepaars nicht verbunden sind, denen Brautleuten vor oder nach der Ehe
einige Geschenke geschehen, sollen solche beiden Theilen gemein erworben
werden, wo sie nicht erweislich dem einen oder dem anderen Theil besonders
zugedacht oder nur in Ansehung eines Theils verehret worden, oder nur zu
Gebrauch und Anständigkeit des einen Theils und nicht auch des anderen andienen
können, in welchen Fällen sie jenem allein zu verbleiben haben.
[1, 3, § 1] 57. Da Jemand eine Ehe zu stiften, oder zu
diesem Vorhaben auf erlaubte Art behilflich zu sein ersuchet würde, oder sich
selbst darzu anbietet, so muß dieses unentgeltlich und bloß aus Freundschaft
geschehen.
[1, 3, § 1] 58. Widrigens kann Jenes, was dieserwegen vor
der Heirath gegeben worden, binnen Jahr und Tag vor oder nach der Heirath
anwiederum zurückgeforderet werden, es wäre dann erweislich, daß es auf allen
Fall, die Heirath erfolge oder nicht, freiwillig geschenket und übergeben
worden.
[1, 3, § 1] 59. Wo aber nichts gegeben, sondern nur etwas
dafür versprochen oder verschrieben worden, solle derlei Versprechen oder
Verschreibung ganz ungiltig sein, und unter keinerlei Vorwand einige
Rechtshilfe darzu ertheilet, noch weniger, wann nichts verglichen worden, vor
oder nach erfolgter Heirath etwas dafür geforderet werden können, sondern die
rechtliche Vermuthung vorbringen, daß der Heirath ohne eigennütziger
Nebenabsicht Vorschub gegeben worden seie.
[1, 3, § 1] 60. Doch muß Derjenige, deme vergleichen
Unterhandlungsgeschäft eigends aufgetragen worden, seines Aufwands, Versäumniß
und sonstigen Nachtheils halber gleich einem anderen Bevollmächtigten schadlos
gehalten werden.
[1, 3, § 1] 61. Wie dann auch nicht verboten ist, nach
erfolgter Heirath für die auch ohne Vollmacht auf erlaubte Weise bewirkte
Unterhandlung durch eine freiwillige Erkenntlichkeit sich dankbar zu erzeigen,
wann nur alle Zunöthigung davon entfernet ist.
[1, 3, § 1] 62. Was dahero einem solchen Unterhandler nach
der Hochzeit aus Dankbarkeit verehret, versprochen oder verschrieben worden,
dieses hat in derjenigen Maß, wie es in zweitem Theil von Schankungen geordnet
wird, die Kraft einer zu Recht bestehenden vergeltlichen Schankung.
[1, 3, § 1] 63. Dahingegen solle auch Derjenige, welcher
sich zu Vermittlung oder Unterhandlung einer Heirath gebrauchen läßt, sich
aller Arglist, Gefährde oder sonst ungeziemender Absicht enthalten. Widrigens
ist ein solcher arglistiger Unterhandler nicht allein dem hintergangenen Theile
für Alles, was diesem daran gelegen ist, verfänglich, sondern solle beinebst
nach Befund der hinzustoßenden mehr oder minder erschwerenden Umständen
unnachsichtlich bestrafet werden.
§. II.
[1, 3, § 2] 64. Auf die Eheverlobniß folget die Ehe, und mit
dieser nehmen die Rechten der Eheleuten ihren Anfang, welche, insoweit sie
unmittelbar aus dem Ehestand selbst fließen, bereits oben in zweitem Capitel, §
IV, berühret worden.
(1-99) Insoweit sie aber die zeitliche Versorgung der
Eheleuten und das ehegattliche Vermögen zum Gegenstand haben, in diesem und
denen folgenden §§. eigends beschrieben werden.
[1, 3, § 2] 65. Diese betreffen das Heirathgut, die
Widerlage oder Gegenvermächtniß, die Schankungen zwischen Eheleuten, die
gemeine Erwerbung oder das beiderseitige abgesonderte Eigenthum, die
Nutznießung und Verwaltung des ehegattlichen Vermögens.
[1, 3, § 2] 66. Das Heirathgut, welches auch anderst die
Ehesteuer, Mitgift oder
(1-100) Brautschatz genannt wird, ist dasjenige, was das
Weib oder die Eltern oder auch ein Anderer für das Weib dem Mann zu leichterer
Ertragung der Ehelasten an Geld oder Gut bestellet.
(1-101) [1, 3, § 2] 67. Die Ehe kann zwar allerdings ohne
Heirathgut bestehen; doch ist es nicht nur eine allgemeine Geziemung, sondern
auch in Ansehung gewisser Personen eine Schuldigkeit, ein Heirathgut zu
bestellen, wann solches bei vorfallender anständiger Heirat begehret wird.
[1, 3, § 2] 68. Wann Diejenigen, welche sich in ein Ehebindniß einlassen, ein eigenes Vermögen und die freie
Schalt- und Waltung mit demselben haben, hanget es von ihrer freien Willkür ab,
ein Heirathgut zu bestellen und zu bedingen.
[1, 3, § 2] 69. Wo aber die sich verehelichende Person unter
der Vormundschaft stehet und die obervormundschaftliche Einwilligung in die
Heirath erfolget, hat der Vormund das Heirathgut nach Kräften des Vermögens der
Braut und nach Umständen der Heirath mit Beobachtung der hiernach
vorgeschriebenen Maß und mit jedesmaliger Gutheißung der
obervormundschaftlichen Gehörde zu bestellen.
[1, 3, § 2] 70. Welches auch in jenem Fall statt hat, wann
eine noch unter väterlicher Gewalt stehende Tochter, die ein eigenes von dem
Vater verwaltetes Vermögen hätte, entweder mit seinem Willen oder doch bei
dessen unbilliger Weigerung mit gerichtlicher Verwilligung heirathete, welcher
nicht weniger der Vater auf Begehren von ihrem Vermögen ein anständiges
Heirathgut mit gerichtlicher Genehmhaltung auszumessen hat.
[1, 3, § 2] 71. Wo aber ein Vormund oder Vater aus dem
eigenen Vermögen einer heirathenden Tochter das Heirathgut zu bestellen
weigerte, kann solches sowohl vor der Heirath als auch währender Ehe mit Willen
der Verheiratheten gerichtlich angesuchet werden, welchen Falls schleunig und
außerordentlich zu verfahren ist.
[1, 3, § 2] 72. Wann hingegen die heirathende Person kein
eigenes Vermögen hat, so sind die Eltern und Großeltern nach derjenigen
Ordnung, wie sie zu dem Unterhalt verbunden sind, ihren ausheirathenden
Töchtern und Enklinnen ein geziemendes Heirathgut zu bestellen schuldig.
[1, 3, § 2] 73. Deme zufolge lieget
diese Verbindlichkeit vornehmlich dem Vater, und wo dieser arm wäre, sodann der
Mutter ob, wann sie vermöglich ist. Da aber beide Eltern mittellos wären, so
gehet diese Schuldigkeit erstlich auf die väterliche und hernach auf die mütterliche Großeltern.
[1, 3, § 2] 74. Da sich jedoch Jener, der hierzu verbunden
ist, dessen weigerte, kann von den Brautleuten oder von Anderen, denen sich
ihrer anzunehmen zustehet, die behörige Gerichtsstelle des darzu Verbundenen um
ihre Vermittlung belanget werden, welche denselben hierüber schleunig zu
vernehmen und durch gütliche Wege mit allen diensam ermessenden Vorstellungen
zu einen anständigen Heirathgut zu vermögen hat.
[1, 3, § 2] 75. Bei fruchtloser Vermittlung aber solle das
Gericht vornehmlich darauf sehen, ob der weigerende Theil eine genugsame Ursach
habe, das begehrende Heirathgut abzuschlagen, welchen Falls der anrufende Theil
abzuweisen ist.
[1, 3, § 2] 76. Derlei Ursachen sind die eigene
Mittellosigkeit oder doch so geringes Vermögen, daß ihme selbst der gebührende
Unterhalt kaum verbleiben oder derselbe
(1-102) außer Stand gelangen würde, die übrige noch habende
Kinder oder Enkeln zu versorgen.
[1, 3, § 2] 77. Desgleichen wann die Tochter oder Enklin zu
dieser oder der vorigen Ehe bereits ein Heirathgut oder ihre gänzliche
Abfertigung erhalten hat, obschon sie das Erhaltene auch ohne ihrer Schuld
verloren hätte.
[1, 3, § 2] 78.Nicht minder, wann sie bei großjährigen Alter
sich ausdrücklich des Heirathguts begeben oder auf die Erbschaft dessen,
welcher unmittelbar hierzu verbunden ist, eine Verzicht gethan oder gegen ihme
eine Enterbungsursache begangen, oder, wann auch jener Elterntheil, durch
welchen sie absteigend ist, sich der Erbschaft desjenigen Aufsteigenden, von
deme das Heirathgut begehret wird, gegen erhaltener gänzlicher Abfertigung
verziehen hat.
[1, 3, § 2] 79. Endlich enthebet auch das eigene Vermögen
der heirathenden Tochter oder Enklin von der Verbindlichkeit zur Bestellung des
Heirathguts insoweit, daß es genug seie, nur so Vieles beizutragen, als mit
Zuziehung ihres Vermögens zu einem gebührlichen Heirathgut abgängig ist.
[1, 3, § 2] 80. Dahingegen kann ein bloßer Eigensinn,
Kargheit oder Gehässigkeit den hierzu Verbundenen, wann er genugsam bemittelt
ist, und es ohne merklichen Nachtheil wohl thun kann, von dieser Schuldigkeit
keineswegs befreien.
[1, 3, § 2] 81. Vielmehr solle das angerufene Gericht in
Ermanglung einer billigen Weigerungsursache ein anständiges Heirathgut in der
unten vorgeschriebenen Maß bestimmen, und den weigerenden Theil zu dessen
wirklicher Bestellung binnen einer hierzu anzuberaumen habenden Frist und nach
deren Verlauf durch gerichtliche Zwangsmitteln verhalten.
[1, 3, § 2] 82. Doch stehet einem jedweden durch diese
richterliche Ausmessung sich beschwert zu sein findenden Theil frei, den Zug
dagegen an den oberen Richter in der hierzu ausgesetzten Zeit einzuwenden,
woselbst ebenfalls schleunig zu verfahren ist.
[1, 3, § 2] 83. Außer vorbemelten aufsteigenden Personen ist
sonst Niemand von Befreundten und umsoweniger ein Fremder zur Bestellung des
Heirathguts verbunden, er habe sich dann freiwillig darzu verpflichtet, oder
eine Erbschaft oder Vermächtniß mit solcher Beschwerde angenommen.
[1, 3, § 2] 84. Nur allein bestehet bei höheren
Standespersonen, welche zugleich Landleute sind, in Ansehung der Brüdern und
Bruders-Söhnen für die vor Einführung dieses Unseren Gesetzes sich ergebene
Erbfälle nach einem Vater oder väterlichen Großvater, in welchen ihnen die
ganze väterliche oder großväterliche Erbschaft mit Ausschließung der für
verziehen gehaltenen Töchtern und Enklinnen nach den vorigen Gesetzen allein
zugefallen, die Ausnahme, daß sie noch ferners eben nach Maßgebung der vorigen
Gesetzen zur landesbräuchlichen Ausstattung ihrer verziehenen Schwestern und
Muhmen verbunden bleiben.
[1, 3, § 2] 85. Niemandem aber ist verwehret, er möge ein
Befreundter oder Fremder sein, aus freien Willen und Gutthätigkeit für eine
heirathende Person ein Heirathgut zu bestellen, welches zugleich als eine ihr
geschehene Schankung anzusehen ist, wann der Bestellende sich die Rückgabe nach
ausgelöster Ehe nicht bedungen hat.
Es ist demnach das Heirathgut dreierlei, als:
Ein eigenes, welches aus dem eigenen Vermögen der Braut
entweder von ihr selbst, wo sie darmit die freie Schalt- und Waltung hat, oder
von ihrem Vormund oder Vater mit obervormundschaftlicher Genehmigung bestimmet
wird.
[1, 3, § 2] 87. Ein von denen Eltern oder Großeltern
herrührendes, welches der Vater, die Mutter, der Großvater oder die Großmutter
oder auch ein Anderer in Ansehen der Eltern oder Großeltern bestellet.
[1, 3, § 2] 88. Ein auswärtiges, welches weder aus dem
Vermögen der Baut, noch von ihren Eltern oder Großeltern aus ihren Mitteln,
noch auch von jemanden
(1-103) Anderen in Ansehen des hierzu verbundenen Theils,
sondern bloß aus Freigebigkeit und Gutthätigkeit gegen die sich verehelichende
Person gegeben worden.
[1, 3, § 2] 89. Wo die heirathende Person ein eigenes Vermögen
und darmit die freie Schalt- und Waltung hat, hanget es von ihrer eigenen
Willkür, gleichwie in dem Fall, wo selbe noch minderjährig ist, von dem Befund
der obervormundschaftlichen Gehörde ab, was und wie viel von ihrem Vermögen zum
Heirathgut bestellet werden wolle.
[1, 3, § 2] 90. Wir setzen und ordnen aber, daß ein aus
eigenen mitteln bestellendes Heirathgut den dritten Theil des Vermögens nicht
überschreiten solle, was eine Braut oder Ehegattin zur selben Zeit hat, da sie
das Heirathgut bestellet.
[1, 3, § 2] 91. Solchemnach solle die Uebermaß niemalen in
der Eigenschaft eines Heirathguts bestehen können, sondern als eine aus bloßer
Freigebigkeit herrührende Schankung zwischen Eheleuten nach deme geachtet
werden, was davon in dem folgenen §. IV geordnet wird.
[1, 3, § 2] 92. Wovon Wir nur den alleinigen Fall
ausgenommen haben wollen, da das Vermögen der heirathenden Person so gering
wäre, daß dessen dritter Theil zu einem standesgemäßen Heirathgut nicht
zureichete, welchen Falls zu Beförderung einer anständigen Heirath sich auch
darüber bis auf die Hälfte des Vermögens einzulassen gestattet sein solle.
[1, 3, § 2] 93. Wann ein Heirathgut von einem Aufsteigenden,
welcher hierzu verbunden ist, bestellet wird, ist bloß darauf zu sehen, damit
der Pflichttheil der übrigen Notherben andurch nicht verkürzet werde.
Widrigens, und da nach Ableben eines solchen Aufsteigenden
sich durch Uebermäßigkeit des bestellten Heirathguts in Ansehung des
nachgelassenen Vermögens eine Verkürzung an dem Pflichttheil der übrigen
Notherben ergeben würde, muß ihnen auch der Abgang von dem Heirathgut nach Maß
dessen, um was sie durch dasselbe an dem Pflichttheil verkürzet worden,
vergütet werden.
[1, 3, § 2] 94. Außer deme beruhet die Bestimmung des mehr
oder minderen Betrags bei der Willkür der sich hierwegen Vergleichenden. Wo
sich aber deshalben, weilen entweder gar keines oder doch ein sehr geringes,
mit der Wohlanständigkeit nicht übereinkommendes Heirathgut mitgegeben werden
wollte, unter ihnen nicht geeiniget werden könnte, und es dahero auf die
richterliche Ausmessung ankäme, so hat das Gericht jedes Mal auf den
Landesbrauch, nach den Stand, Würde und Wesen der Personen, und auf die Kräften
des Vermögens des hierzu verbundenen Elterntheils zu sehen.
[1, 3, § 2] 95. Wann jedoch in Ermanglung eines
Landesbrauchs keine verläßliche Richtschnur daher zu erholen wäre, oder der
landesübliche Betrag die Kräften des Vermögens des hierzu verbundenen
Elterntheils überstiege, hat das Gericht auf dessen Vermögens-, Gewerb- und
Nahrungsstand, die mehrere oder mindere Anzahl der noch zu versorgen habenden
Kindern und mehr dergleichen zu erwägen billige Umstände die Rücksicht zu
nehmen, und nach vernünftigen Ermessen das Heirathgut zu bestimmen, oder durch
gütliche Wege die Parten über den Betrag zu vereinigen, dabei aber sich von
aller nachtheiligen Untersuchung des Vermögens zu enthalten.
[1, 3, § 2] 96. Endlich, wo Jemand, welcher zu Mitgebung
eines Heirathguts nicht verbunden ist, dasselbe bestellete, hanget es von
seiner eigenen Willkür ab, was für Ziel und Maß derselbe seiner Freigebigkeit
setzen wolle, wenn die Schankung nur also beschaffen ist, daß solche nach
Inhalt dessen, was davon in zweitem Theil, in siebentem Capitel geordnet wird,
zu Recht bestehen könne.
[1, 3, § 2] 97. Ein Heirathgut kann sowohl vor der Heirath,
als auch während der Ehe bestellet werden. Wo aber dessen Bestellung vor der
Heirath nicht geschehen, ist der Mann
(1-104) nicht mehr befugt, solche darnach anzubegehren, noch
weniger das Weib oder ihre Eltern darum gerichtlich anzusprechen.
[1, 3, § 2] 98. Es seie dann, daß ein minderjähriges Weib
ihr eigenes Vermögen unter der Verwaltung ihres Vormunds oder ihres Vaters
besitzete, und diese vor der Heirath ein Heirathgut zu bestellen verweigeret
hätten, welchen Falls dessen Ausmessung auch nach der Verehelichung mit Willen
des Weibs gerichtlich angesuchet werden mag.
[1, 3, § 2] 99. Wie aber die Bestellung des Heirathguts,
also kann auch dessen Vermehrung währender Ehe aus freier Willkür geschehen,
wann nur dabei mit Einrechnung des schon vorhin zum Heirathgut bestimmten
Betrags die oben vorgeschriebene Maß nicht überschritten wird.
[1, 3, § 2] 100. Ein Heirathgut kann entweder durch
lebzeitige oder letztwillige Handlungen bestellet werden.
Darüber pflegen insgemein schriftliche Eheberednissen,
Heirathsbriefe oder wie sonst immer Namen habende Verträge zwischen denen
Brautleuten selbst oder zugleich zwischen ihren Eltern, Vormünderen,
Befreundten oder auch Fremden, die das Heirathgut hergeben, errichtet zu
werden, wiewohlen eine Eheberedniß oder ordentlich zu Stande gebrachter
Heirathsvertrag auch ohne schriftlicher Urkunde giltig ist, wann solcher durch
Zeugen oder sonst genüglich erwiesen werden mag.
[1, 3, § 2] 101. die Eheberednissen und Heirathsbriefe
bestehen einerseits in dem Versprechen oder Beschreibung des Heirathsguts und
andererseits in dessen Annehmung mit oder ohne Gegenbestellung einer Widerlag,
deme noch verschiedene andere Nebenbedinge nach Willkür deren sich
Vergleichenden beigefüget zu werden pflegen.
[1, 3, § 2] 102. Die Bestellung des Heirathguts hat allemal
die Bedingniß auf sich, wann eine giltige Ehe erfolget
oder die bereits eingegangene giltig ist.
[1, 3, § 2] 103. Wann demnach die Ehe aus was immer für
Ursache mit oder ohne Schuld eines oder des anderen Theils nicht erfolget, oder
die schon angetretene Ehe wegen einer ehetrennlichen Hinderniß für ungiltig
erkläret, und sonach die vermeinte Eheleute geschieden worden, höret alles
Recht des Heirathguts dergestalten auf, daß nicht nur das versprochene nicht
begehret, sondern auch das schon übergebene und empfangene als ein von dem
anderen ohne Ursach vorenthaltenes Gut zurückgeforderet werden könne.
[1, 3, § 2] 104. Doch bleibet in jenem Fall, da aus Schuld
des einen Theils die versprochene Ehe nicht erfolget, oder der eine Theil vor
der Heirath die ehetrennliche Hinderniß, wegen welcher die Ehe nachhero
ungiltig erkläret worden, wohl gewußt und solche dem anderen verhehlet hat, dem
Hintergangenen sein Recht bevor, die Entschädigung und sonstigen Entgang an dem
Schuldigen anzusuchen.
[1, 3, § 2] 105. Außer vorbemelter, einem jeden Heirathgut
nach dessen Natur
(1-105) ohnzertrennlich anklebender Bedingniß der ohnfehlbar
erfolgenden oder wirklich schon bestehenden Ehe kann von Jenen, die ein
Heirathgut zu geben schuldig sind, bei dessen Bestellung ohne Einwilligung des
Bräutigams oder Ehemanns keine andere wie immer Namen habende Bedingniß
beigesetzet werden.
[1, 3, § 2] 106. Was aber auch mit Einwilligung des
Bräutigams oder Ehemanns ausbedungen wird, kann der Braut oder Ehegattin an
ihrem nach dem bestellenden Eltertheil dereinst zu gewarten habenden Erbtheil
zu keinem Schaden gereichen, wann durch derlei Bedinge sie an dem ihr
angebührenden Pflichttheil eine erweisliche Verkürzung oder sonstige
Beschwerung über die Natur des Heirathguts erlitte.
[1, 3, § 2] 107. Sie wäre dann großjährig und hätte dabei
ausdrücklich das unter so beschaffenen Bedingnissen bestellte Heirathgut auf
Abschlag ihres künftigen Erbtheils oder zu ihrer gänzlichen Abfertigung
angenommen.
[1, 3, § 2] 108. Umsoweniger kann in Fällen, wo ein Vater
oder Vormund aus den unter seiner Verwaltung habenden eigenen Mitteln einer
minderjährigen Tochter ein Heirathgut bestellet, auch mit Willen des Bräutigams
oder Ehemanns etwas ausbedungen werden, was derselben über die Natur eines
Heirathguts eine mehrere Beschwerde oder sonstigen Nachtheil zuziehen würde.
[1, 3, § 2] 109. Dahingegen stehet sowohl einer schon
großjährigen Braut oder Eheweib, als einem jedem anderen hierzu nicht
Verbundenen allerdings frei, bei Bestellung des Heirathguts was immer für
mögliche, sonst zulässige und weder denen Gesetzen noch guten Sitten
widerstrebende Bedingnissen und Nebenverträge beizufügen.
[1, 3, § 2] 110. Doch müssen derlei Bedinge gleich Anfangs
bei der Bestellung geschehen; dann widrigens, wo das Heirathgut unbedingt
bestellet worden, erwachset hieraus ein Recht, welches ohne Willen dessen, deme
es gebühret weder geänderet noch mit neuen Beisätzen beschweret werden kann.
[1, 3, § 2] 111. Also ist nach einmal bestellten Heirathgut
weder das Weib ohne Einwilligung des Manns, noch der Mann ohne Einwilligung des
Weibs und um so minder ein Dritter, der das Heirathgut bestellet, ohne
Einwilligung Beider befugt, ein neues Beding beizurucken oder das Anfangs
beigeruckte zum Nachtheil des einen oder anderen Theils abzuänderen.
[1, 3, § 2] 112. Auch die Eheleute für sich können die
Bedinge nicht änderen, welche von einem Dritten, der das Heirathgut hergegeben,
beigefüget worden, außer jenen, welche einzig und allein den selbsteigenen
Vortheil des einen oder anderen Theils zu Absicht haben, dessen sich Jedermann,
der sich sonst zu verbinden oder Verbindungen zu erlassen fähig ist, nach
eigenem Gefallen begeben kann.
[1, 3, § 2] 113. Diejenige Bedinge aber, welche sie selbst gegen
einander eingegangen, oder über ihr eigenes oder nachhero eigenthümlich
angefallenes Vermögen von ihren Vormünderen oder Eltern eingegangen worden,
können sie, wann selbe großjährig sind, mit beiderseitiger Einverständniß nach
Willkür änderen oder auch
(1-106) gar anwiederum einander erlassen, insoweit keines
Anderen hieraus erworbenes Recht andurch geschmäleret wird.
[1, 3, § 2] 114. Insgemein betreffen die dem Heirathgut
beigesetzte Bedinge und Nebenverträge dessen Gewinn oder Rückfall, wann das
Weib vor dem Mann oder der Mann vor dem Weib verstirbt.
[1, 3, § 2] 115. Wo aber nichts Anderes ausdrücklich
ausbedungen worden, solle das Heirathgut jedesmal dem überlebenden Theil
unwiderruflich gehören und verbleiben, also daß auf Vorsterben des Weibs dasselbe
der Mann gewinne, wann er sich nicht namentlich auf diesem Fall zu dessen
Zurückstellung an den Bestellenden oder dessen Erben oder an die Kinder oder
sonstige Erben des Weibs verbunden hat.
[1, 3, § 2] 116. Gleichwie gegentheils auf Vorsterben des
Manns das Heirathgut allemal zu dem Weib zurückzukehren hat, wann nicht etwann
ein Widriges wortdeutlich bedungen worden, daß es auf solchen Fall entweder bei
denen Kindern aus solcher Ehe oder bei anderen Erben des Manns verbleiben, oder
dem Bestellenden oder dessen Erben oder auch einem Dritten zukommen solle.
[1, 3, § 2] 117. Wann ein Heirathgut schriftlich oder
mündlich versprochen worden,
(1-107) ist an dem Versprechen allein nicht genug, sondern
es muß auch in der gebührenden Zeit dessen wirklicher Erlag erfolgen.
[1, 3, § 2] 118. Doch kann vor der Heirath auf dessen
Entrichtung noch nicht geklaget werden. Nach der Heirath aber ist zu
unterscheiden, ob eine Erlagsfrist verglichen worden oder nicht. Ersteren Falls
ist förderist die verglichene Frist abzuwarten.
[1, 3, § 2] 119. Letzteren Falls aber kann solches aus
Wohlanständigkeit vor Gericht nicht ehender gefordert werden, bevor nicht sechs
Wochen von Zeit der priesterlichen Trauung verstrichen sind.
[1, 3, § 2] 120. Nach deren Verlauf hingegen oder nach der
verglichenen Verfallzeit gebühret die Rechtsforderung wider Jenen, der das
Heirathgut bestellet hat, oder dessen Erben zu dessen Erlag, Uebergabe oder
Abtretung mit allen von der verglichenen Erlagszeit oder, da keine bestimmet
worden, von dem Tag der eingegangenen Ehe verfallenen Zinsen oder Früchten und
Nutzungen.
[1, 3, § 2] 121. Und zwar mit landesüblichen Zinsen, wo das
Heirathgut an baarem Geld oder einbringlichen Forderungen versprochen worden,
oder der Werth von zugeschätzten Sachen zu erstatten kommt. Mit Früchten und
Nutzungen aber von denen zum Heirathgut angewiesenen fruchtbringenden
beweglichen oder unbeweglichen Dingen oder nutzbaren Rechten.
[1, 3, § 2] 122. Der Rechtszwang gehet jedoch wider den
Beklagten nicht weiter, als auf das, was derselbe füglich thun kann, ohne sich
selbst dem äußersten Nothstand auszusetzen, also daß dem Beklagten allemal die
Rechtswohlthat der erweislichen Selbstbedürfniß zu Statten komme, und dieses
zwar denen leiblichen Eltern oder Großeltern der Eheleuten ohne Unterschied;
dahingegen Anderen nur damals, wann das Heirathgut aus ihrer bloßen
Freigebigkeit herrühret, und sie nicht schon aus einer vorhin bestandenen
Ursache zu eben denselben Betrag, welchen sie nachhero zum Heirathgut
bestellet, verbunden waren.
[1, 3, § 2] 123. Wo aber ein Heirathgut mit einem bestellten
Unterpfand landtäflich, stadt- oder grundbücherlich verschrieben worden, bedarf
es keiner besonderen Rechtsforderung, sondern dem Ehemann stehet nach Verlauf
der oberwähnten Zeit frei, bei fruchtloser gütlicher Ermahnung die gerichtliche
Einführung in das ihme verschriebene Unterpfand zu nehmen, und sich dessen bis
zu seiner vollständigen Befriedigung zu halten.
[1, 3, § 2] 124. Die Uebergabe des Heirathguts geschieht an
baarem Gelde durch dessen wirkliche Zuzählung und an Fahrnissen durch deren
Ueberantwortung und anderseitige Annehmung, bei liegenden Gütern und hierauf
haftenden Rechten und Forderungen durch deren landtäfliche, stadt- oder
grundbücherliche Verschreibung und Abtretung.
[1, 3, § 2] 125. Und da es sich zuweilen ereignet, daß in
dem Heirathsbrief die Zuzählung und der richtige Empfang des Heirathguts
bekennet und über dessen Empfang in Hoffnung der künftigen Zahlung schon zum
Voraus quittiret werde, obschon es noch nicht wirklich zugezählet und empfangen
worden, so solle jegleichwohlen eine solch voreilige Bekanntniß nicht hinderen,
daß nicht ohnerachtet der in dem Heirathsbrief enthaltenen Quittirung das
Heirathgut annoch geforderet werden könne.
[1, 3, § 2] 126. Doch mit folgendem Unterschied, daß, wann
der Mann binnen Jahr und Tag (das ist binnen einem Jahr und sechs Wochen) von
dem Tag der Verehelichung, obschon binnen dieser Zeit das Weib verstorben wäre,
nach dessen Tod ihme vermöge der Heirathsberedniß das Heirathgut zugefallen, dasselbe
gerichtlich
(1-108) begehret, derjenige, welcher das Heirathgut
bestellet, und hierüber quittiret worden, die wirkliche Zuzählung oder
Uebergabe zu erweisen habe.
[1, 3, § 2] 127. Wann aber das Heirathgut erst nach Jahr und
Tag von angetretener Ehe wider die eigene Quittung als unzugezählter geforderet
würde, so solle der Gegentheil, welcher das Heirathgut bestellet hat, von dem
Beweis der in dem Heirathsbrief bekannten und bescheinigten Zuzählung gänzlich
entbunden, Kläger aber, welcher vorgibt, daß ihme das Heirathgut nicht
zugezählet worden, dieses sein Vorgeben rechtsbeständig darzuthun schuldig
sein.
[1, 3, § 2] 128. Da jedoch der Empfang des Heirathguts nicht
in dem Heirathsbrief bekennet, sondern von dem Ehemann nach der Hand eine
absonderliche Quittung oder sonstige Urkunde zu Bescheinigung des Empfangs
ausgestellet worden, so ist sich in solchem Fall nach deme zu achten, was im
dritten Theil von anderen zum Voraus ausgestellten Quittungen geordnet wird.
[1, 3, § 2] 129. Diese Klage und Forderung wegen noch nicht
zugezählten und übergebenen Heirathguts höret aber auf, wann solches entweder
in denen Rechten für übergeben gehalten, oder von dem Bräutigam oder Ehemann
anwiederum seiner Braut oder Ehegattin zurückgeschenket wird, in welchem letzteren
Fall es in Absicht auf den Schenkenden einerlei ist, ob keine Zuzählung und
Uebergabe vorhergegangen oder erst das schon zugezählte oder übergebene
geschenket worden.
[1, 3, § 2] 130. Doch muß dergleichen Schankung in dem
nämlichen Heirathsbrief oder in einer anderen darnach gefertigten Urkunde
ausdrücklich enthalten, oder in andere Wege rechtsgenüglich erweislich sein,
und ihrer Giltigkeit sonst nicht im Wege stehen.
[1, 3, § 2] 131. An dem übergebenen Heirathgut erwirbt der
Mann das Eigenthum, welches aber nach Unterschied der Dingen, woran des
Heirathgut bestehet, entweder nach aufgelöster Ehe widerruflich oder
unwiderruflich ist.
[1, 3, § 2] 132. An baarem Geld und solchen Dingen, welche
in Handel und Wandel nach dem Gewicht, Zahl und Maß geschätzet werden, wie
nicht minder an abgetretenen Schuldforderungen und an allen in einem
angeschlagenen und bedungenen
(1-109) Werth zugeschätzter gegebenen sowohl beweglichen als
unbeweglichen Dingen, doch in Ansehung dieser letzteren nicht anderst, als mit
der landtäflichen, stadt- oder grundbücherlichen Uebergabe erlanget der Mann
das unwiderrufliche Eigenthum.
[1, 3, § 2] 133. Dieses hat die Wirkung, daß derselbe an
dergleichen Heirathgut allen Aufwand, Gefahr, Schaden und Verunglückung selbst
zu tragen, dahingegen auch die Befugniß habe, darmit nach eigenem Gefallen frei
zu schalten und zu walten, solches wie immer zu beschweren und zu veräußeren,
also daß nach ausgelöster Ehe das Weib oder Jener, an welchen in Kraft der
Eheberedniß das Heirathgut zurückzufallen hat, nicht eben dasselbe, was gegeben
worden, sondern an Geld und Feilschaften nur eben so Vieles von gleicher Güte
und Eigenschaft, als zum Heirathgut gegeben worden, und für andere zugeschätzte
Sachen lediglich den angeschlagenen Werth zurückforderen könne.
[1, 3, § 2] 134. Wir verordnen aber zur Sicherheit des
Handels und Wandels noch weiter, daß in Hinkunft keine Fahrnissen nach ihrer
Gestalt und Stückweise anderst als nach einer beiderseits beliebten
Schätzung zum Heirathgut gegeben werden sollen.
[1, 3, § 2] 135. Widrigens sind zwar solche auf dem Fall der
Zurückstellung des Heirathguts, wann sie noch bei dem Mann oder seinen Erben
vorhanden sind, in demjenigen Stand, in welchem sie vorgefunden werden,
anwiederum zurückzugeben.
[1, 3, § 2] 136. Dahingegen, wo selbe mittlerweil veräußeret
worden, kann dieserwegen kein dritter Besitzer angefochten, sonder nur der
Werth dafür, wie solcher gerichtlich geschätzet oder erwiesen, oder in
Ermanglung eines anderen Beweises mittelst gewissenhaften Anschlags beschworen
und in diesem letzteren Fall nach richterlichen Befund gemäßiget wird, von dem
Mann, oder dessen Erben zurückgeforderet werden, welcher auch damals gebühret,
wo sie außer der Abnützung aus erweislicher Gefährde oder Schuld des Manns oder
seiner Erben zu Schaden gekommen.
[1, 3, § 2] 137. An liegenden Gütern aber und anderen darauf
landtäflich, stadt- oder grundbücherlich haftenden Rechten, wann solche ohne
Zuschätzung oder Bedingung des Werths zum Heirathgut bestellet worden, erwirbt
der Mann durch die landtäfliche, stadt- oder grundbücherliche Uebergabe und
Abtretung nur ein widerrufliches Eigenthum, welches ihme bis zu dem sich
ergebenden bedungenen Rückfall des verschriebenen und übergebenen Heirathguts
hieran zustehet, sodann aber anwiederum ausgelöset wird.
[1, 3, § 2] 138. Dieses wirket so viel, daß dem Mann nicht
allein die Verwaltung des Heirathguts währender Ehe gebühre, sonder auch
derselbe alle von Zeit der eingegangenen Ehe bis zu dem Rückfall davon
abfallende wie immer Namen habende Früchten und Nutzungen, insoweit solche ohne
Schaden und Schmälerung des Guts und ohne Erschöpfung des künftigen gänzlichen
Nutzens behoben werden mögen, mit vollem Recht erwerbe und sein Eigen mache.
[1, 3, § 2] 139. Was aber dem Heirathgut dergestalten
zugehet, daß es mit demselben entweder durch die Natur, durch Zufall oder durch
das Recht unabtrennlich vereiniget werde, alles dieses, es bestehe in
körperlichen oder unkörperlichen Dingen, wächst dem Heirathgut zu und ist mit
demselben bei sich ereignenden Rückfall zurückzustellen, obschon die Nutzung
auch von diesem Zuwachs dem Mann für die Zeit der fortwährenden Ehe gebühret.
[1, 3, § 2] 140. Dagegen lieget dem Mann ob, in Verwaltung
des Heirathguts allen Fleiß, Sorgfalt und Vorsicht eines emsigen Hausvaters anzuwenden,
folglich ist er auch verbunden, für allen aus seiner Gefährde, großen oder
leichten Schuld hieran verursachten Schaden zu haften; für Zufall aber und die
geringste Schuld wird er nicht verfänglich.
[1, 3, § 2] 141. Hieraus fließt dessen weitere Schuldigkeit,
nicht nur das Heirathgut und alle demselben anklebende Rechten und
Gerechtigkeiten wider die Ansprüche
(1-110) Anderer bei Gericht zu vertheidigen und zu
verfechten, sondern auch alle zu Erhaltung des Heirathguts und dessen Rechten
erforderliche Rechtsmitteln gegen Jedermänniglich anzustrengen und auszuführen,
wie nicht minder die darwider laufende Verjährungen auf alle thunliche Weise zu
unterbrechen.
[1, 3, § 2] 142. Keineswegs aber ist derselbe berechtiget,
von einem solchen ungeschätzt empfangenen Heirathgut etwas zu veräußeren oder
solches zu verpfänden, zu beschweren oder was immer zu thun oder zu
unterlassen, woraus die Veräußerung, der Verlust oder einige Schmälerung oder
Beschwerung desselben erfolgete.
[1, 3, § 2] 143. Widrigens ist nicht allein ein dergleichen
Beginnen dem Weib oder demjenigen, welchem das Heirathgut seiner Zeit
zurückzustellen ist, ganz und gar unschädlich, sondern es muß auch der etwann
gleichwohlen an dem Heirathgut hieraus entstandene Schaden, Verminderung oder Abwürdigung
bei dem Fall dessen dereinstiger Zurückstellung von dem Mann oder dessen Erben
ersetzet werden.
[1, 3, § 2] 144. Was jedoch derselbe zu beharrlicher
Erhaltung und künftiger mehrerer Benutzung des Heirathguts erweislich hinein
verwendet, ist er auf dem Fall der Zurückstellung nicht weniger, wie nach
Ausmessung dessen, was davon in zweitem Theil seines Orts geordnet wird, ein
jedweder anderer zeitlicher Besitzer mit gutem Glauben zurückzuforderen befugt.
[1, 3, § 2] 145. Um aber auf den erfolgenden Rückfall der
Zurückstellung des
(1-111) Heirathguts nach Verschiedenheit der Fällen entweder
in dem gleichen Betrag oder an Werth desto gesicherter zu sein, solle dem
Bestellenden freistehen, entweder
(1-112) in dem Heirathsbrief oder sonsten sich hierwegen
eine genugsame Sicherheit mittelst Verschreibung eines sonderheitlichen
Unterpfands an einem liegenden Gut oder hierauf haftenden Recht auszubedingen.
[1, 3, § 2] 146. Doch giebt ihme dieses Beding für sich
allein noch kein dingliches Recht des Unterpfands an dem hierzu bestellten Gut,
sondern zu dem Ende muß der Heirathsbrief, worinnen das Unterpfand verschrieben
worden, oder die Versicherungsurkunde in die Landtafel, Stadt- oder Grundbücher
da, wo das verschriebene Gut innelieget, einverleibet und darauf vorgemerket
werden.
[1, 3, § 2] 147. Andurch erlanget derselbe von dem Tag der
landtäflichen, stadt- oder grundbücherlichen Vormerkung das Pfandrecht an dem
verschriebenen Gut mit dem Vorzug vor allen später darauf vorgemerkten
Gläubigeren.
Vor Jenen aber, die schon früher auf eben diesem Gut
landtäflich, stadt- oder grundbücherlich versicheret waren, hat das Heirathgut
kein Vorrecht.
[1, 3, § 2] 148. Ueberhaupt solle ein zur Versicherung des
Heirathguts bestelltes Unterpfand von denen für allgemein festgesetzten
Maßregeln keine Ausnahme noch einige mehrere Wirkung haben, als welche allen
anderen Pfandsverschreibungen in dem dritten Theil beigeleget wird.
[1, 3, § 2] 149. Umsomehr wollen Wir hiermit das in einigen
Landen nach denen vorigen Gesetzen dem Heirathgut eingeräumt geweste
stillschweigende Pfandrecht in Zukunft gänzlich abgestellet, und in Ansehung
eines dergleichen bei Einführung dieses Unseren Gesetzes allschon bestehenden
stillschweigenden Pfandrechts Jenes beobachtet haben, was deshalben in zweitem
Theil geordnet wird.
[1, 3, § 2] 150. Es kann dahero zur Sicherheit des
Heirathguts kein Pfandrecht anderst, als mittelst der landtäflichen, stadt-
oder grundbücherlichen Vormerkung auf dem verschriebenen Gut erworben werden,
sondern wo diese Vorsicht unterlassen worden, hat das Heirathgut allen
landtäflich, stadt- oder grundbücherlich versicherten Forderungen nachzustehen.
[1, 3, § 2] 151. Gleichwie aber die Versicherung des
Heirathguts bei Braut- oder Eheleuten, welche freie Schalt- und Waltung mit dem
Ihrigen haben, ihrer eigenen Willkühr überlassen wird, also sind hingegen Jene,
unter deren Obsorge minderjährige sich verehelichende Weibspersonen stehen,
schuldig, auf ihre eigene Gefahr die Sicherstellung des Heirathguts zu bewirken
und solches längstens binnen sechs Wochen von Zeit der Verehelichung
landtäflich, stadt- oder grundbücherlich versichern zu lassen, widrigens sie,
falls vor geendigter Vormundschaft dasselbe gefährdet würde, allerdings dafür
zu haften haben.
[1, 3, § 2] 152. Die Versicherung des Heirathguts geschieht
insgemein an dem Vermögen des Manns entweder von ihme selbst, wann er die freie
Schalt- und Waltung hat, oder aber von dem Vater oder Vormund, unter deren
Verwaltung dessen Vermögen stehet, welche auch auf dem Fall, daß die Heirath
mit der väterlichen oder gerichtlichen Einwilligung für sich gegangen, durch
den Zwang Rechtens hierzu verhalten werden können.
[1, 3, § 2] 153. Es kann aber auch der Vater, Mutter,
Großeltern und jeder Fremder, wann er sonst sich zu verbinden fähig ist, aus
eigenen Mitteln das Heirathgut auf vorstehende Weise versicheren.
(1-113) [1, 3, § 2] 154. Wann jedoch der Mann zur
genüglichen Versicherung des Heirathguts kein eigenes hinreichendes Vermögen
hätte, so ist der Vater, die Mutter und die weitere Aufsteigende, wann die
Heirath mit ihrer Beistimmung geschehen, in derjenigen Maß, wie sie nach
Ausmessung des gleich nachfolgenden §. III zur Widerlage verbunden sind, das
Heirathgut, doch nicht weiter, als auf den landesüblichen Betrag zu versicheren
schuldig, wo es ohne ihrem merklichen Nachtheil
geschehen kann.
[1, 3, § 2] 155. Daferne aber zur Versicherung des
Heirathguts kein besonderes Unterpfand, sondern nur überhaupt all gegenwärtiges
und künftiges liegend und fahrendes Vermögen zur allgemeinen Hypothek
verschrieben worden wäre, so kann zwar ein so beschaffener Heirathsbrief oder
Versicherungsurkunde in Ermanglung einer sonderheitlichen Hypothek zur
landtäflichen, stadt- oder grundbücherlichen Einverleibung und Vormerkung nicht
gelangen.
[1, 3, § 2] 156. Doch solle sowohl in diesem Fall, als auch,
da gar kein und also weder ein allgemeines Unterpfand verschrieben worden wäre,
dem Weib oder Jenem, der das Heirathgut für sie bestellet hat, freistehen, nach
der Hand dessen Sicherstellung an des Manns entweder zur Zeit des bestellten
Heirathguts schon gehabten oder nachher erworbenen Vermögen noch allzeit
anzusuchen.
[1, 3, § 2] 157. Welches entweder durch Erwerbung eines
gerichtlichen Pfandrechts an dem zu diesem Ende namentlich anzuzeigen habenden
Gut, wessen sich Kläger zu halten gedenket oder durch Anhaltung des Manns zur
landtäflichen, stadt- oder grundbücherlichen Verschreibung einer
sonderheitlichen Hypothek erwirket werden kann.
In einem so anderem Fall aber
gebühret dem also versicherten Heirathgut der Vorzug nur vor denen später,
nicht aber auch vor denen früher vorgemerkten Forderungen.
[1, 3, § 2] 158.Wann hingegen sich wegen Sicherheit des
Heirathguts mit einer landtäflichen, stadt- oder grundbücherlichen
Verschreibung nicht vorgesehen worden, so hat dasselbe weder eines
ausdrücklichen, noch weniger stillschweigenden Pfandrechts, folglich auch
keines Vorzugs vor denen landtäflich, stadt- oder grundbücherlich vorgemerkten
Forderungen zu genießen, sondern diesen allen als eine bloße briefliche oder sonst
persönliche Forderung nachzugehen.
[1, 3, § 2] 159. Wir wollen jedoch aus besonderer
Begünstigung dem unversicherten Heirathgut an denen nach Abzahlung aller
vorgemerkten Forderungen aus dem unbeweglichen Vermögen erübrigenden
Zahlungsmitteln und an allem noch vorhandenen fahrenden Gut den Vorzug vor
anderen bloßen brieflichen, oder sonst persönlichen Sprüchen und Forderungen in
jener Ordnung, die in viertem Theil in der Gant- oder Cridaordnung für dasselbe
ausgemessen wird, gnädigst verliehen und eingestanden haben.
[1, 3, § 2] 160. Dieser Vorzug aber kann demselben nicht
anderst zu statten kommen, als wann entweder durch untadelhafte Urkunden oder
Zeugen, oder im Fall eines halbständigen Beweises durch eidliche Erhärtung
dargethan wird, daß das Heirathgut dem Mann wirklich zugebracht und übergeben
worden seie.
[1, 3, § 2] 161. Dahingegen ist an der alleinigen Bekanntniß
des Manns zur Wirkung des Vorzugs vor anderen Gläubigeren nicht genug, noch
kann bei Entstehung alles anderen Beweises bloß dieserwegen das Weib zum
Ergänzungseid zugelassen werden, obschon eine solche Bekanntniß wider den Mann
und dessen Erben nichts destoweniger ihre Kraft hat.
[1, 3, § 2] 162. Der Rückfall des Heirathguts, wann
deshalben nichts anderes bedungen worden, ergiebt sich allemal nach aufgelöster
Ehe. Währender Ehe aber
(1-114) kann dasselbe insgemein nicht zurückgeforderet
werden, es hätte dann der Mann durch seine Untreue, durch allzuhartes Verfahren
oder durch boshafte Verlassung zur erfolgten gerichtlichen Sönderung von Tisch
und Bett Ursach gegeben, welchen Falls er auch die Nutzung des Heirathguts
verlieret.
[1, 3, § 2] 163. In dem Fall jedoch, wo das Weib oder Jene,
die sie zu vertreten haben, wegen kundbarer Verschwendung oder sonstiger
Abnahme des Vermögens des Manns eine mit Grund besorgende Gefährde des
unversicherten Heirathguts zu erweisen vermögeten, kann zwar dasselbe nicht
zurückgeforderet, wohl aber dessen hinreichende Sicherstellung oder anderweite
sichere Anlegung, doch allemal mit der dem Mann vorbehaltenen Nutzung
anbegehret werden.
[1, 3, § 2] 164. Desgleichen solle das Heirathgut währender
Ehe in Sicherheit gebracht werden, wann der Mann Verbrechens halber sein
Vermögen verwirket hätte, oder dasselbe zu handen der Glaubigeren in
gerichtlichen Beschlag gediehen wäre, um solches bei sich ergebenden Rückfall
Jenem, deme es gebühret, zurückzustellen, woferne es vorbemelter Maßen schon
vor anderen später angemeldeten Forderungen mit der Landtafel, Stadt- oder
Grundbüchern seine Bedeckung hat oder außer derselben an dem noch nicht
behafteten Vermögen etwas erübriget.
§. III
[1, 3, § 3] 165. Gleichwie das Heirathgut dem Mann von dem
Weib zugebracht wird, also pfleget auch dieses dagegen von dem Mann insgemein
mit einer Widerlage des Heirathguts betrauet zu werden.
(1-115) [1, 3, § 3] 166. Durch diese Widerlage oder
Gegenvermächtniß wird also jenes verstanden, was der Mann oder seine Eltern
oder jemand Anderer anstatt seiner dem Weib insgemein als eine Gegenschankung
für das Heirathgut bestellet.
[1, 3, § 3] 167. Die Eigenschaft der Widerlage ist übrigens
mit jener des Heirathguts einerlei, außer daß das Heirathgut die Erleichterung
der Ehelasten an Seiten des Manns währender Ehe, die Widerlage aber die
Versorgung des Weibs nach aufgelöster Ehe zur Absicht habe.
[1, 3, § 3] 168. Aus dieser verschiedenen Absicht kann
sowohl das Heirathgut ohne Widerlage, als diese ohne einem vorher, zugleich
aber auch darnach bestellten Heirathgut bestehen.
[1, 3, § 3] 169. Doch ist die Bestellung der Widerlage aus
ihrem gemeinnützlichen Endzweck, damit unbemittlete Witwen versorget werden,
nicht weniger als die Bestellung des Heirathguts nicht allein eine allgemeine
Geziemung, sondern auch in Ansehung jener Personen, welche ihren Töchtern und
Enkelinnen ein Heirathgut mitzugeben verbunden sind, eine Schuldigkeit
gleichfalls für ihre heirathende Söhne
(1-116) und Enkeln eine Widerlage zu bestellen, wann solche
bei einer treffenden anständigen Heirath begehret wird.
[1, 3, § 3] 170. Bei jenen Heirathenden, welche ein eigenes
Vermögen und dessen freie Verwaltung haben, beruhet es in ihrer eigenen Willkür
eine Widerlage aus ihren Mitteln zu bestellen und zu bedingen.
[1, 3, § 3] 171. Da aber der heirathende Sohn unter der
Vormundschaft stünde oder ein eigenes Vermögen unter der Verwaltung des Vaters
hätte, und die väterliche oder die gerichtliche Einwilligung in die Heirath
erfolget wäre, hat sowohl der Vormund, als Vater die Widerlage aus dem Vermögen
des Sohns mit Genehmhaltung der obervormundschaftlichen Gehörde zu bestellen,
und, wo sie sich dessen ohne erheblicher Ursache weigereten, können sie auch
bei schon bestehender Ehe mit Willen des Manns darzu gerichtlich verhalten
werden.
[1, 3, § 3] 172. In Ermanglung eigenen Vermögens haben die
Eltern und Großeltern des heirathenden Sohns oder Enkels in derjenigen Ordnung,
wie sie nach Ausmessung des vorigen §. zur Ausstattung ihrer Töchter und
Enklinnen verbunden sind, die Schuldigkeit auf sich,
eine geziemende Widerlage zu bestellen.
[1, 3, § 3] 173. Und wo die Heirath mit ihrer oder des
Gerichts Verwilligung geschieht, sie aber sich zur Bestellung der Widerlage
ohne erheblicher Ursache nicht verstehen wollten, kann eben also wie es oben
von dem Heirathgut geordnet worden, die gerichtliche Vermittlung und Ausmessung
angesuchet werden.
[1, 3, § 3] 174. Von dieser Verbindlichkeit kann keine
andere Weigerungsursache entheben, als welche oben von n. 76 bis n. 79 von
Bestellung des Heirathguts entbindet.
Doch verstehet sich von selbsten, daß die Schuldigkeit zur
Bestellung der Widerlage allemal ein bedungenes Heirathgut voraussetze, dann wo
dieses nicht bestellet wird, kann auch keine Widerlage begehret werden.
[1, 3, § 3] 175. Wo aber eine Heirath ohne Einwilligung
desjenigen Elterntheils, welcher sonst zur Bestellung des Heirathguts oder der
Widerlage verbunden wäre, oder bei dessen unbilliger Weigerung ohne
gerichtlicher Genehmhaltung eingegangen worden, da höret auch die Schuldigkeit
sowohl zu dem Heirathgut als zur Widerlage auf.
[1, 3, § 3] 176. Ueber die aufsteigende Personen erstrecket
sich diese Schuldigkeit nicht auf Befreundte und umsoweniger auf Fremde, wann
sie sich nicht sonst darzu verbindlich gemacht haben.
Doch stehet auch Jenen, die hierzu nicht verbunden sind,
frei, aus Freundschaft und guten Willen eine Widerlage für den Mann zu bestellen,
welche solchen Falls als eine dem Mann und nach dessen Absterben dem Weib
gemachte Schankung anzusehen ist, wann nichts Anderes bedungen wird.
[1, 3, § 3] 177. Wo die Widerlage aus dem eigenen Vermögen
des Manns, es seie von ihme selbst oder, wo er noch minderjährig oder sonst in
der freien Schalt- und Waltung gehemmet wäre, von seinem Vater, Vormund oder
Gerhaben mit gerichtlicher Genehmhaltung bestellet wird, solle solche niemalen
den vierten Theil seines frei vererblichen Vermögens übersteigen.
[1, 3, § 3] 178. Doch also, daß in diesen vierten Theil der
Betrag des auch wirklich zugebrachten und bei dem Mann verbliebenen oder dem
Weib zurückgeschenkten Heirathguts nicht mit eingerechnet werde.
Was aber an der Widerlage den vierten Theil übersteiget, ist
als eine bloße Schankung zwischen Eheleuten nach Ausmessung des davon
handelnden §. IV anzusehen.
[1, 3, § 3] 179. Wann die Widerlage von einem darzu
verbundenen Aufsteigenden bestellet wird, darf der Pflichttheil der übrigen
Notherben andurch nicht verkürzet werden.
(1-117) Widrigens muß ihnen so viel davon ersetzet werden,
als denenselben dadurch an ihrem Pflichttheil erweislich abgehet.
[1, 3, § 3] 180. Ohne Verkürzung des Pflichttheils hingegen
hanget die Bestimmung des mehr oder minderen Betrags der Widerlage von der
freien Willkür der sich hierum Vergleichenden ab.
Wo sie aber sich darüber nicht vergleichen könnten, ist die
Widerlage nach den Betrag des Heirathguts und nach Umständen der Heirathenden,
doch also, daß die Schuldigkeit zur Widerlage sich niemalen über den
landesüblichen Betrag des Heirathguts erstrecke, wann sich auch solches höher
beliefe, auszumessen.
[1, 3, § 3] 181. Wann endlich Jemand, welcher nicht darzu
verbunden ist, eine Widerlage aus guten Willen bestellet, beruhet deren Betrag
bei seiner eigenen Freigebigkeit, woferne andurch niemand Anderer an seinem
Recht verkürzet und dabei jenes beobachtet wird, was in zweitem Theil in
siebentem Kapitel von Schankungen überhaupt geordnet ist.
[1, 3, § 3] 182. Es ist auch nicht nöthig, daß die Widerlage
allemal dem Heirathgut in ihrem Betrag gleich komme, sondern dieselbe kann in
etwas Wenigerem oder Mehrerem bestehen, wann nur jenes, was gleich vorhero
erwähnet worden, dabei beobachtet wird.
[1, 3, § 3] 183. Sie kann sowohl vor der Heirath als auch
währender Ehe bestellet und nach Gefallen beider Eheleuten vermehret oder
verminderet oder auch ganz erlassen werden.
Doch solle die Vermehrung der Widerlage mit Einrechnung des
schon vorhin darzu bestimmten Betrags den oben bemelten vierten Theil nicht
übersteigen.
[1, 3, § 3] 184. Wo aber die Bestellung der Widerlage vor
der Heirath nicht geschehen, kann das Weib solche nicht mehr begehren, außer
dem alleinigen oben n. 171 bemerkten Fall des hierein willigenden noch
minderjährigen Manns.
[1, 3, § 3] 185. Die Bestellung der Widerlage kann auf ganz
gleiche Art, wie jene des Heirathguts nach mehreren Ausweis des vorhergehenden
§. n. 100 und 101 geschehen, und sie enthält nicht weniger die stillschweigende
Bedingniß in sich, wann eine giltige Ehe erfolget oder
die bereits eingegangene giltig ist.
[1, 3, § 3] 186. Wann dahero die Ehe nicht erfolget oder die
eingegangene für ungiltig erkläret wird, kann so wenig die Widerlage, als
obbesagter Maßen das Heirathgut bestehen, sondern die Beschreibung ist null und
nichtig, und was etwann gegeben worden, kann anwiederum zurückgeforderet
werden.
[1, 3, § 3] 187. Uebrigens hat jenes, was von Beisetzung
anderer Bedingen und Nebenverträgen bei dem Heirathgut in vorigem §. von n.105
bis n. 113 geordnet worden, auch bei Bestellung der Widerlage statt.
[1, 3, § 3] 188. Wann aber nichts Anderes ausdrücklich
ausbedungen worden, solle die Widerlage dem überlebenden Theil zufallen, also
daß auf Vorsterben des Weibs selbe dem Mann verbleibe, gleichwie gegentheils
auf Vorsterben des Manns solche das Weib erwerbe.
[1, 3, § 3] 189. Doch muß die Widerlage allemal ausdrücklich
bedungen werden, und ist genug, daß sie versprochen oder verschrieben werde,
ohne daß währender Ehe das Weib deren Uebergabe forderen könne, sondern solche
bleibt für diese Zeit in dem Eigenthum des Manns, welcher auch, so lange er am
Leben ist, deren Verwaltung und Benutzung behält.
[1, 3, § 3] 190. Sie genießt aber so wenig als das
Heirathgut eines stillschweigenden Unterpfands an dem Vermögen des Manns, sondern
wann derselben eine sächliche Sicherheit verschaffet werden will, kann deren
Sicherstellung nicht anderst, als durch die landtäfliche, stadt- oder
grundbücherliche Vormerkung auf ein namentlich zum Unterpfand verschriebenes
oder bestelltes Gut oder deme
(1-118) gleichendes Recht auf die nämliche Art, wie es oben
von Heirathgut geordnet worden, bewirket werden.
[1, 3, § 3] 191. In dessen Ermanglung gebühret der
Widerlage, sowie dem unversicherten Heirathgut nur allein das Vorrecht vor
anderen bloßen brieflichen oder sonst persönlichen Rechten und Forderungen nach
mehrerer Ausmessung der im vierten Theil vorkommenden Gant- oder Cridaordnung.
[1, 3, § 3] 192. Da aber der Mann in Abfall des Vermögens
geriethe, oder dasselbe wegen Verbrechens verwirkete, oder es zu Handen der
Gläubigeren in gerichtlichen Beschlag gediehen wäre, solle die Widerlage auf
Anlangen des Weibs in Sicherheit gebracht werden, wann selbe etwann schon
vorhero hinlänglich bedecket ist, oder sonst an dem noch nicht behafteten
Vermögen etwas übrig bleibt.
Auf die Nutzungen hingegen hat das Weib, so lang der Mann lebet, keinen Anspruch.
§. IV.
[1, 3, § 4] 193. Außer dem Heirathgut und der Widerlage
pflegen auch Eheleute sich einander mit Schankungen zu betreuen.
(1-119) Diese aber mögen zur Vermehrung des Heirathguts oder
der Widerlage oder auch für sich allein, ohne oder mit einem schon vorhero
verschriebenen oder zugebrachten Heirathgut oder Widerlage, durch Zusage und
Verschreibung oder durch Uebergabe, lebzeitig oder auf Todesfall geschehen, so
sollen solche niemalen, sie bestehen in einer oder mehreren einzlen Schankungen
an Seiten des Weibs mit Einrechnung des verschriebenen oder zugebrachten
Heirathguts, den dritten Theil ihres damals habenden Vermögens, an Seiten des
Manns hingegen mit Einbegriff der Widerlage, Leibgedings und witiblichen
Unterhalts den vierten Theil seines zur Zeit der Schankung besitzenden
Vermögens nicht übersteigen.
[1, 3, § 4] 194. Die Uebermasse, welche an Seiten des Weibs
den dritten und an Seiten des Manns den vierten Theil ihres zur Zeit der
Schankung habenden Vermögens übersteiget, bleibt nach Wohlgefallen des
Schenkenden sowohl durch lebzeitige Willensänderung, als durch letztwillige
Anordnung widerruflich.
[1, 3, § 4] 195. Da aber der Schenkende diese Uebermasse
weder auf eine noch die andere Art widerrufen hätte, solle die Schankung auch
mit der Uebermasse durch seinen Tod bestätiget sein und in Ansehung der
Uebermasse jene Wirkung haben,
(1-120) welche denen auf den Todesfall gerichteten
Schankungen und Uebergaben in zweitem Theil, in siebentem Kapitel, zweitem
Artikel zugeeignet wird.
[1, 3, § 4] 196. Dahingegen liegt sowohl dem Widerrufenden,
als dessen Erben, wann diese die Widerrufung ihres Erblassers darzeigen können,
der Beweis der vorgebenden Uebermasse ob, daß nämlich die Schankung den
obausgesetzten Betrag um so viel überstiegen habe.
[1, 3, § 4] 197. Wo nun dieses erweislich ist, hat die
Widerrufung die Wirkung, daß nicht nur die Uebermasse an dem Geschenkgeber
nicht anbegehret, sondern auch das schon Gegebene, was übermäßig ist,
anwiederum zurückgeforderet werden könne.
[1, 3, § 4] 198. Doch bleiben die mittlerweilige Nutzungen
von Zeit der Uebergabe bis zur Widerrufung dem Schanknehmer, und falls etwas
von dem geschenkten Gut von ihme veräusseret oder verzehret worden, hat er zwar
den Werth dafür zu ersetzen; es kommt ihme aber nicht allein die Rechtswohlthat
der Selbstbedürfniß zu statten, sondern er ist auch für Zufall nicht
verfänglich, sondern dieser schadet in Ansehung der Uebermasse dem Schankgeber
allein.
[1, 3, § 4] 199. Umsoweniger kann die Widerrufung einer
Schankung einem Dritten schädlich sein, der dasjenige, was einem Ehegatten von
dem anderen geschenket, und übergeben, oder mittelst gerichtlicher Vormerkung
versicheret worden, rechtmäßig an sich gebracht oder ein Recht daran erworben
hat, sondern es gebühret in solchem Fall dem Schenkenden nur ein persönlicher
Anspruch wider den Schanknehmer oder dessen Erben zu Wiedererstattung des
Werths der widerrufenen Uebermasse.
[1, 3, § 4] 200. Von dieser Widerrufung sollen jedoch
geringe von einem dem anderen Ehegatten gemachte Verehrungen, welche nach
richterlichen Ermessen das Vermögen des Schenkenden nicht schwächen,
ausgenommen sein, und in den obausgesetzten dritten oder vierten Theil des Vermögens
nicht eingerechnet werden können.
[1, 3, § 4] 201. Alle übrige Schankungen zwischen Eheleuten,
welche entweder an liegenden Gütern oder denenselben gleich geachteten Rechten
ohne landtäflicher, stadt- oder grundbücherlicher Uebertragung, Verschreibung
oder Versicherung, oder aber an beweglichen Gut und fahrenden Hab ohne
erweislicher Uebergabe geschehen, geben nur ein persönliches Recht zu der
geschenkten Sache, und obschon sie den obbestimmten Betrag nicht übersteigen,
haben selbe jegleichwohlen keines Vorzugs vor anderen wider den Schankgeber
zustehenden persönlichen Forderungen zu genießen.
[1, 3, § 4] 202. In Gegentheil sollen alle dergleichen
unvorgemerkte oder nicht übergebene, sondern in bloßer Zusage und Versprechen
bestehende Schankungen allen Gläubigeren des Schankgebers nachgesetzet, und
falls der Pflichttheil der Notherben nach Maß des zur Zeit des Absterbens
hinterbleibenden Vermögens andurch verletzet würde, dieser vorerst ergänzet
werden.
[1, 3, § 4] 203. Nur alle jene Schankungen zwischen
Eheleuten, welche namentlich zur Vermehrung des Heirathguts oder der Widerlage
geschehen, wann sie vorerwähnter Maßen den dritten oder vierten Theil des
damaligen ein- oder anderseitigen Vermögens nicht übersteigen, genießen nicht
allein auch ohne vorgeschriebener Hypothek des obeingeraumten Vorzugs vor
anderen unversicherten Gläubigeren, sondern sie können auch bei nachhero minder
ausfallendem Pflichttheil aus Ursach der Unpflichtmäßigkeit nicht angefochten
werden.
§. V.
[1, 3, § 5] 204. Ueber das, was ausdrücklich zum Heirathgut
oder zur Widerlage verschrieben und bestellet, oder freiwillig in der
obbestimmten Maß geschenket
(1-121) wird, hat ein Ehegatt zu dem Vermögen des anderen
währender Ehe keinen Anspruch.
(1-122) [1, 3, § 5] 205. Gegentheils bleibt einem jedwedem
Theil dasjenige, was derselbe bevor gehabt, mit allen davon abfallenden
Früchten und Nutzungen ohne Gemeinschaft
(1-123) mit dem anderen Theil eigen, und was währender Ehe
erworben oder ererbet wird, gehöret lediglich demjenigen Theil, welcher es
erwirbt oder ererbet.
[1, 3, § 5] 206. Es stehet dahero sowohl dem Mann, als dem
Weib, wann sie nicht minderjährigen Alters oder sonst aus anderer Ursache
darinnen beschränket sind, die freie Verwaltung ihres Vermögens zu, und hat
jeder Theil die Macht, mit dem Seinigen durch lebzeitige oder letztwillige
Handlungen zu ordnen.
[1, 3, § 5] 207. Nichtsdestoweniger kann ein Ehegatt sich zu
Gunsten des anderen durch freiwillige Verträge dieser ihme über das Seinige
zustehenden Befugnissen entweder in Ansehung der freien Verwaltung, oder der
Nutznießung, oder auch des Eigenthums und eigenthümlichen Erwerbung insoweit
begeben, als es hiernach geordneter Maßen zugelassen wird.
[1, 3, § 5] 208. Also kann ein Ehegatt dem anderen
ausdrücklich oder stillschweigend, in der Eheberedniß oder nachhero, auf
lebenslang oder auf eine gewisse bestimmte oder unbenannte Zeit, mit dem
Fruchtgenuß oder ohne demselben die Verwaltung seines ganzen Vermögens oder
eines Theils desselben unter Verrechnung oder ohne solcher auftragen, welches
zwar sich an Seiten des Manns, daß er selbe an das Weib übertrage, seltener,
desto gemeiner an Seiten des Weibs ereignet, daß von dieser die Verwaltung
ihres Vermögens an den Mann übertragen werde.
[1, 3, § 5] 209. Es möge jedoch die Verwaltung dem Mann von
dem Weib, oder dem Weib von dem Mann aufgetragen werden, so solle es bei deme
sein festes und unwiderrufliches Bewenden haben, was deswegen unter ihnen
verglichen zu sein durch unlaugbare Urkunden oder durch untadelhafte Zeugen
erweislich ist.
(1-124) [1, 3, § 5] 210. Wann dahero die Verwaltung des
weiblichen Vermögens dem Mann aufgetragen worden, kann ihme solche währender
Ehe oder vor Ausgang der bestimmten Zeit nicht benommen werden, wo nicht dessen
üble Gebarung erwiesen werden mag, welchem Falls dem Weib, wann sie die
wirkliche Schmälerung ihres Vermögens, oder doch die Gefahr derselben genugsam
darzeigen kann, auf ihr Begehren die an den Mann übertragene Verwaltung
anwiederum einzuräumen ist.
[1, 3, § 5] 211. Dahingegen, wo das Weib die Verwaltung
ihres Vermögens nur auf eine Zeit oder ohne Benennung einer Zeit, doch nicht
auf immer an den Mann übertragen hätte, stehet derselben frei, solche ersteren
Falls nach Verlauf der Zeit, letzteren Falls aber wann sie immer will, wieder
zu begehren.
[1, 3, § 5] 212. Ohne vorhergehenden ausdrücklichen Vertrag
ist zwar dem Mann nicht verwehret, sich der Geschäften des Weibs und der
Verwaltung ihres Vermögens, wann sie nicht darwider ist, anzunehmen, und er hat
eine stillschweigende Gewalt und Vollmacht in Vorfällen, die keine besondere
Vollmacht erforderen.
[1, 3, § 5] 213. Dem Weib bleibt aber bevor, der weiteren
Verwaltung des Manns zu allen Zeiten zu widersprechen, und ihr Vermögen selbst
zu verwalten.
Die Verwaltung des weiblichen Vermögens möge jedoch dem Mann
ausdrücklich oder stillschweigend überlassen sein, so ist derselbe nicht
weniger, wie ein jedweder anderer Befehlshaber oder Sachwalter fremder
Geschäften zur getreuen und nützlichen Gebarung verbunden, und für Gefährde und
Schuld in gleicher Maß wie jener verfänglich, worüber in drittem Theil die
Ausmessung folget.
[1, 3, § 5] 214. Umsoweniger ist derselbe befugt, sich die
Früchten und Nutzungen von dem verwaltenden weiblichen Vermögen zuzueignen,
sondern er ist schuldig, solche dem Weib erfolgen zu lassen, und Rechnung
darüber zu legen, wann ihme nicht zugleich nebst der Verwaltung dessen
Nutznießung ganz oder zum Theil auf Lebenszeit des Weibs oder auf eine gewisse
Zeit eingestanden worden.
Ueber jenes aber, was ihme an Nutzungen nicht überlassen worden, ist er jegleichwohlen Rechnung zu legen gehalten.
[1, 3, § 5] 215. Dann die alleinige, obwohlen ausdrückliche
Uebertragung der Verwaltung wirket nicht zugleich die Ueberlassung der
Früchten, so wie gegentheils die Ueberlassung der Nutzungen von dem ganzen oder
einem Theil des Vermögens die Macht, dasselbe zu verwalten, nicht nach sich
ziehet, welche demohngeachtet bei dem Weib verbleibet, wann sie nicht mit
zugleich oder darnach an den Mann übertragen worden.
[1, 3, § 5] 216. Wann aber der Fruchtgenuß an den Mann
überlassen worden, kann solcher so wenig, als die demselben aufgetragene
Verwaltung zuwider dem eingegangenen Beding von dem Weib widerrufen werden,
außer derselbe wäre entweder nur stillschweigend oder auch ausdrücklich, doch
nicht auf immer, sondern auf eine unbenannte Zeit, oder nur zum Theil, oder nur
auf eine gewisse Zeit ihme zugestanden worden, in deren ersterem Fall sie die
Früchten und Nutzungen zu allen Zeiten, in dem zweiten Fall aber von Zeit der
erweislichen Widerrufung, in dem dritten nur jene von dem nicht übertragenen
Theil, und endlich in dem vierten Fall von Verlauf der bestimmten Zeit forderen
kann.
[1, 3, § 5] 217. Damit jedoch in derlei Fällen, wo das Weib
von dem Mann ihr von ihm verwaltetes Vermögen zurückbegehret, über die
Verrechnung der mittlerweil behobenen Nutzungen zwischen Eheleuten, oder ein-
oder ander- oder beiderseitigen Erben keine beschwerliche und weit aussehende
Strittigkeiten entstehen mögen, so setzen und ordnen Wir hiermit, daß, wann der
Mann sich nicht ausdrücklich zur Verrechnung des verwalteten Vermögens
verbunden hat, derselbe oder dessen Erben zu nichts mehreren, als zur
letztjährigen Rechnung von dem Tag des gerichtlichen Belangens zurückzurechnen,
und zur Ausfolgung oder
(1-125) Ausweisung der in diesem letzten Jahr behobenen
Nutzungen verhalten werden solle, und somit auch nur für die letztjährige
Verwaltung, außer eines durch seine Gefährde oder Schuld vorhin an dem
verwalteten Gut selbst zugefügten Schadens verantwortlich seie.
[1, 3, § 5] 218. Was hingegen dem Weib oder ihren Erben über
ein Jahr zurück für die verflossene weitere Jahre der Verwaltung oder der
eingehobenen Nutzungen halber an dem Mann gebühren könnte, dieses Alles soll
für erlassen geachtet werden, und aller dieserwegen an dem Mann oder seiner
Verlassenschaft machen mögender Anspruch gänzlich aufhören.
[1, 3, § 5] 219. Ein Gleiches solle auch in Ansehung des
Weibs und ihrer Erben statthaben, wann der Mann oder dessen Erben die ihme nach
dem Beding überlassene, jedoch von dem Weib eingehobene Früchten und Nutzungen
an ihnen forderet, welchem Falls ihme oder dessen Erben nur die letztjährige
Ertragniß von dem Tag des gerichtlichen Belangens zurückzurechnen gebühret, all
älterer Rückstand aber für nachgelassen zu achten ist.
[1, 3, § 5] 220. Dahingegen bleiben die von Zeit des
gerichtlichen Belangens weiter laufende Früchten und Nutzungen, wie auch alle
andere von dieser Zeit bis zur gänzlichen Befriedigung angebühren mögende
rechtmäßige Forderungen dem klagenden Theil bevor, und hat die richterliche
Hilfe sich zugleich auch auf dieselben zu erstrecken, insoweit der Kläger
solche zu forderen befugt ist.
[1, 3, § 5] 221. Ohnerachtet aber der dem Mann übertragenen
Verwaltung, aber auch dem ohne landtäflicher, stadt- oder grundbücherlicher
Vormerkung ihme überlassenen Fruchtgenuß behält das Weib jegleichwohlen Fug und
Macht, ihre eigenthümliche Sachen zu veräußeren, wann sie sonst in der freien
Schalt- und Waltung nicht beschränket ist.
[1, 3, § 5] 222. Hierdurch wird an Seiten des Manns sowohl
dessen Verwaltung, als der ihme bis dahin zugestandene Fruchtgenuß an dem
veräußerten Gut aufgelöset, und bleiben ihme nur die persönliche Sprüche wegen
des erweislichen Entgangs gegen dem Weib bevor.
[1, 3, § 5] 223. Wäre aber der Fruchtgenuß von liegenden
Gütern mit der Landtafel, Stadt- oder Grundbüchern auf den Mann übertragen
worden, kann auch die Veräußerung dieser behafteten Güter zum Nachtheil des
hierauf dem Mann versicherten Rechts keinen Fortgang haben.
[1, 3, § 5] 224. Dahingegen ist der Mann nicht berechtiget,
etwas von dem seiner Verwaltung mit oder ohne Nutznießung anvertrauten Gut des
Weibs, außer denen ihme überlassenen Nutzungen, ohne oder wider ihren Willen
auf was immer für Art zu veräußeren, zu verpfänden oder zu beschweren.
[1, 3, § 5] 225. Wo aber jegleichwohlen von ihme etwas
dergleichen unternommen würde, ist die Veräußerung liegender Güter und
landtäflicher, stadt- oder grundbücherlicher Rechten null und nichtig, bei
Fahrnissen und beweglichen Dingen hingegen ist sich nach deme zu richten, was
dieserwegen in zweitem Theil nach dem Unterschied der entgeltlichen oder
ohnentgeltlichen Erwerbungsursache, dann des guten oder üblen Glaubens an
Seiten des Dritten, welcher derlei Sachen an sich bringet, geordnet wird.
[1, 3, § 5] 226. Wiewohlen jedoch einem Weib die freie
Schalt- und Waltung mit ihrem Vermögen, insoweit sie sonst derselben fähig ist,
und sich solcher nicht gutwillig begeben hat, zukommt, so stehet
nichtsdestoweniger dem Mann zu, auf ihre gute oder üble Gebarung Obacht zu
haben, damit sie ihr Gut, besonders wann Kinder vorhanden sind, nicht
verschwende und versplittere.
[1, 3, § 5] 227. Wo nun eine schädliche Unwirthschaft an ihr
vermerket wird, ist sowohl dem Mann als denen ein- oder anderseitigen
Blutsfreunden verstattet, bei
(1-126) Gericht um den behörigen Einhalt der Verschwendung
oder üblen Gebarung einzukommen.
[1, 3, § 5] 228. Und da die angegebene Unwirthschaft von
Gericht befunden würde, solle, falls das Weib sich zu einem freiwilligen
Auftrag nicht verstehen wollte, die Verwaltung ihres Vermögens dem Mann, oder
bei fürwaltenden erheblichen Bedenken vorzüglich Jemandem von der Freundschaft,
oder auch in dessen Ermanglung einem Dritten nach vorläufiger
Vermögensbeschreibung und unter Verrechnung, dann anderen bei Anvertrauung
fremden Guts erforderlichen Vorsichten, jedoch mit Vorbehalt der dem Weib davon
gebührenden Nutzungen, wann solche nicht schon vorhin dem Mann von ihr
überlassen worden, gerichtlich aufgetragen werden.
[1, 3, § 5] 229. Diese gerichtlich, es seie mit oder wider
Willen des Weibs geschehene Uebertragung der Verwaltung solle bei Gericht
vorgemerket und gewöhnlicher Maßen öffentlich kundgemacht werden, wodurch das
Weib außer Stand gesetzet wird, ohne Einwilligung ihres Manns oder sonst verordneten
Beistands eine wie immer Namen habende zur Verminderung ihres Vermögens
abzielende Verbindung einzugehen.
[1, 3, § 5] 230. In allen Fällen, wo der Mann das von ihme
verwaltete Vermögen des Weibs ihr oder ihren Erben zurückzustellen hat, ist
derselbe ebenso, wie ein jedweder anderer Sachwalter, die Schadloshaltung für
das, was er aus dem Seinigen auf das Gut des Weibs erweislich verwendet, zu
begehren befugt, insoweit er die Nutzungen ordentlich verrechnet.
Für jene Zeit aber, für welche er die Nutzungen nicht
verrechnet, kann auch keine Schadloshaltung von ihme geforderet werden, außer
insoferne der nothwendige oder nützliche Aufwand sich erweislicher Maßen über
die behobenen Nutzungen beliefe.
[1, 3, § 5] 231. Was ein Ehegatt dem anderen durch was immer
für Bedinge und Verträge von dem Eigenthum seines Vermögens, es seie durch
lebzeitige Uebertragung oder auf Ueberleben unwiderruflich zueignet, dieses
solle an Seiten des Weibs mit Einrechnung des Heirathguts und dem Mann
gemachter Schankungen den dritten Theil ihres damals gehabten Vermögens, an
Seiten des Manns hingegen mit Einbegriff der Widerlage, witiblichen Unterhalts
und anderer dem Weib zugewendeter Schankungen den vierten Theil seines
damaligen Vermögens nicht überschreiten.
[1, 3, § 5] 232. Was aber einerseits den dritten und
andererseits den vierten Theil übersteiget, dieses bleibt sowohl durch
lebzeitige Handlungen, als durch letzten Willen widerruflich, wann es gleich in
der Landtafel, Stadt- oder Grundbüchern vorgemerket wäre.
[1, 3, § 5] 233. Dahingegen, wo der vorsterbende Ehegatt
diese Uebermaße weder auf eine noch die andere Art widerrufen hätte, wird
solche durch seinem Tod insoweit bestätiget, als sie ohne Nachtheil der
Glaubigeren und ohne Verkürzung des Pflichttheils bestehen kann.
[1, 3, § 5] 234. Doch leidet das Heirathgut, die Widerlage
oder Schankungen deswegen keine Verminderung, daß solche zur Zeit des
Absterbens den dritten oder vierten Theil des nachgelassenen Vermögens
übersteigen, wann sie nur zur Zeit, als sie geschehen,
nicht übermäßig waren.
(1-127) [1, 3, § 5] 235. Nur allein denen Handels-, Gewerbs-
und Bauersleuten solle verstattet sein, zu ihrer besseren Versorgung eine
unwiderrufliche Gemeinschaft ihrer beiderseitigen Güter über das ganze Vermögen
oder einen Theil desselben mit
(1-128) oder ohne Einbegriff dessen, was von ihnen währender
Ehe erworben und ererbet wird, zu errichten und einzugehen.
(1-129) [1, 3, § 5] 236. Wo aber dabei nicht namentlich
ausgedrucket ist, daß auch das ererbende unter der Gemeinschaft der Güter
begriffen sein solle, so erstrecket sich solche nicht auf Jenes, was einem oder
dem anderen Theil durch Erbschaften seinem Fleiß und Häuslichkeit erworben,
oder nach der gemeinen Redensart mit Mühe und Arbeit eroberet wird.
[1, 3, § 5] 237. Diese Gemeinschaft hat die Wirkung, daß dem
überlebenden Ehegatten die Halbscheide dessen, was ihme mit dem Verstorbenen an
dessen Vermögen gemein ware, zufalle, die andere aber denen entweder durch
letzten Willen berufenen oder nach Ordnung der rechtlichen Erbfolge zunächst
eintretenden Erben des Verstorbenen zukomme.
[1, 3, § 5] 238. Außerdeme änderet die Gemeinschaft des
Vermögens zwischen Eheleuten nichts an dem Eigenthum des ein- oder
anderseitigen Guts, so lang Beide am Leben sind, und werden auch liegende Güter
und anderes für unbeweglich geachtetes Vermögen des einen oder anderen Theils
mit keinem dinglichen Recht behaftet, wann nicht zugleich die errichtete
Gemeinschaft in der Landtafel, Stadt- oder Grundbüchern eingetragen, auf denen
betreffenden unbeweglichen Habschaften vorgemerket und ein Ehegatt mit dem
anderen an das Eigenthum geschrieben worden.
[1, 3, § 5] 239. Solchemnach kann in diesem Fall ein Ehegatt
mit dem also behafteten unbeweglichen Gut ohne Einwilligung des anderen zum
Nachtheil der mit diesem
(1-130) bestehenden und darauf vorgemerkten Gemeinschaft
nichts ordnen, obschon es ihme für seinen Antheil unbenommen ist, mit solchem
nach Gefallen zu schalten und zu walten.
[1, 3, § 5] 240. Wo aber das unbewegliche Vermögen mit der
darauf vorgemerkten Gemeinschaft landtäflich, stadt- oder
grundbücherlich nicht behaftet ist, so behält ein jeder Theil sowohl mit
diesem, als mit dem beweglichen Vermögen, ohnbehindert der mit dem anderen
bestehenden Gemeinschaft, die freie Schalt- und Waltung und Benutzung desselben,
also daß er es nach Belieben auch ohne Willen des Anderen rechtsbeständig
veräußeren oder beschweren kann, wann er sich sonst nicht durch andere Bedinge
der freien Verwaltung oder der Nutznießung begeben hat.
[1, 3, § 5] 241. Dann diese Gemeinschaft giebt vorbesagter
Maßen kein mehreres Recht, als auf die Hälfte dessen, was nach Vorsterben des
einen Ehegattens von deme, was nach dem eingegangenen Beding zwischen Beiden
gemein ware, übrig bleiben wird.
[1, 3, § 5] 242. Doch mit folgendem Unterschied, daß die
Hälfte von jenem unbeweglichen Vermögen, worauf die Gemeinschaft landtäflich,
stadt- oder grundbücherlich vorgemerket worden, dem Ueberlebenden, welcher mit
an das Eigenthum geschrieben ist, mit vollem und freien Eigenthumsrecht
gebühre.
[1, 3, § 5] 243. Dahingegen erwirbt der Ueberlebende sowohl
an demjenigen unbeweglichen Vermögen, welches mit dieser Vormerkung nicht
behaftet ist, als an dem fahrenden Hab ohne Unterschied kein dingliches,
sondern nur ein persönliches Recht wider die Erben des Verstorbenen, ihme die
Hälfte des mit diesem gemein gehabten Vermögens auszufolgen.
[1, 3, § 5] 244. Welches zwar in jenem Fall keinem Anstand
unterlieget, wann die Gemeinschaft über alles sowohl gegenwärtig habendes, als
künftig erwerbendes oder ererbendes Vermögen eingegangen worden, weilen
solchergestalten Alles, was dem Verstorbenen angehörig ware, und in seiner
Verlassenschaft vorgefunden wird, für ein gemeines Gut mit dem Ueberlebenden zu
achten ist.
[1, 3, § 5] 245. Wo aber sich einer Gemeinschaft lediglich
in Ansehung des gegenwärtigen Vermögens und nicht auch namentlich der künftigen
Erwerbungen, oder nur des künftig erwerbenden und ererbenden und nicht des
gegenwärtigen Hab und Guts, oder endlich zwar des erwerbenden, nicht aber auch
des ererbenden Vermögens verglichen würde, in solchen Fällen ist zu Vorbeugung
aller nach Ableben des einen oder anderen Theils über Jenes, was von denen
nachgelassenen Mitteln unter das gemeinschaftliche Vermögen gehöre oder nicht,
entstehen mögenden Strittigkeiten erforderlich, daß allemal eine ordentliche
und verläßliche Beschreibung der ein- und anderseitigen Habschaften mit beider
Theilen Fertigung getreulich errichtet werde.
[1, 3, § 5] 246. Diese Beschreibung wirket so viel, daß in
dem ersten Fall, wo die Gemeinschaft nur über das gegenwärtige Vermögen
eingegangen worden, bloß allein das beschriebene Vermögen in die Gemeinschaft
und somit in die Theilung mit dem überlebenden Ehegatten gehöre, all Uebriges
aber, was in der Beschreibung nicht einkommt, außer der Gemeinschaft, folgsam
auch außer der Theilung mit dem Ueberlebenden verbleibe, und denen Erben des
Verstorbenen zukomme.
Für eine so beschaffene Gemeinschaft ist eine jede
anzusehen, welche nur überhaupt über das beiderseitige Vermögen errichtet und
darinnen des künftigen nicht gedacht wird.
[1, 3, § 5] 247. In dem zweiten Fall aber, wo die
Gemeinschaft ohne Meldung des gegenwärtigen über alles künftig erwerbendes und
ererbendes Vermögen errichtet worden, gehöret das beschriebene Vermögen nicht
zur Gemeinschaft, das übrige hingegen, was in der Beschreibung nicht enthalten
ist, solle ohne Ausnahme mit dem Ueberlebenden als ein gemeinsames Gut
getheilet werden.
(1-131) [1, 3, § 5] 248. Endlich in dem dritten Fall, wo die
Gemeinschaft sich nur auf das Erwerbende und nicht zugleich auch ausdrücklich
auf das Ererbende erstrecket, ist Alles, was nicht beschrieben, oder dem einem
oder anderem Theil durch Erbschaften oder Schankungen zugekommen zu sein durch
vollständige Proben erweislich ist, ohne fernerem Stritt für ein erworbenes
gemeines Vermögen zu halten.
[1, 3, § 5] 249. Ohne einer dergleichen verläßlichen
Beschreibung hingegen solle keine Gemeinschaft des beiderseitigen Vermögens
oder der künftigen Erwerbungen allein (wann solche nicht ausdrücklich auf das
gegenwärtige und künftige lautet) zu recht bestehen können, noch außer
derselben ein anderer Beweis, was in die Gemeinschaft gehöre oder nicht,
zugelassen sein, sondern die Gemeinschaft für nicht eingegangen gehalten
werden, folglich das nachgelassene Vermögen außer deme, was der Ueberlebende
hieran aus einem anderen Recht zu forderen hat, ohne Ausnahme denen Erben des
Verstorbenen zufallen.
[1, 3, § 5] 250. Wo aber eine ordentliche Gemeinschaft, es
seie des ganzen Vermögens oder eines Theils desselben mit dem Verstorbenen zu
recht bestanden, solle bei der gerichtlichen Abhandlung dem Ueberlebenden die
Hälfte dessen, was ihme mit jenem gemein ware, entweder in seiner Gestalt oder
in einem verglichenen oder geschätzten Werth mit leiblicher Uebergabe der
beweglichen und mit landtäflicher, stadt - oder grundbücherlicher Abtretung und
Uebertragung der unbeweglichen Dingen als ein außer dem Erbfolgrecht ihme
besonders zustehendes Gut ausgefolget werden.
[1, 3, § 5] 251. Doch verstehet sich von selbsten, daß, wo
die Gemeinschaft der Güter zwischen beiden Eheleuten auf alles Vermögen
überhaupt mit Einbegriff der künftigen Erwerbungen eingegangen worden, die von
dem Verstorbenen nachgelassene Schulden von seinem nachgebliebenen Vermögen
abzuziehen seind, und sodann erst von dem Uebrigen dem Ueberlebenden die Hälfte
angebühre.
[1, 3, § 5] 252. Wann hingegen die Gemeinschaft nur die
künftige Erwerbungen mit oder ohne Einbegriff der Ererbungen betroffen, sind
die von dem Verstorbenen gemachte Schulden von dem erworbenen Vermögen nicht
abzuziehen, sondern von dem eigenen Vermögen desjenigen, der die Schulden
gemacht hat, und wo dieses nicht zureichete, von dem, was von dem erworbenen
Gut nach aufgelöster Ehe auf seinen Antheil ausfallet, hintan zu fertigen.
[1, 3, § 5] 253. Es wären dann solche Schulden, welche
erweislicher Maßen zur gemeinen Nothdurft und Nutzen gemacht worden, mithin
auch von dem in Gemeinschaft erworbenen Vermögen vor der Absonderung mit dem
Ueberlebenden abzuziehen sind.
[1, 3, § 5] 254. Wann endlich die Gemeinschaft nur in
Ansehen des damals gehabten und nicht auch zugleich namentlich des künftigen
Vermögens errichtet worden, sind nur jene Schulden, welche von dem Verstorbenen
zur Nothdurft oder Nutzen des gemeinschaftlichen Guts gemacht worden, hiervon
vor der Theilung abzuziehen, alle übrige aber von dem eigenthümlich erworbenen
und bei dessen Unzulänglichkeit von dem auf den Verstorbenen kommenden Antheil
des gemeinschaftlichen Guts zu bestreiten.
[1, 3, § 5] 255. Von dieser Gemeinschaft des Vermögens
zwischen Eheleuten, wovon bishero gehandlet worden, ist alle andere Art der
Gemeinschaft unterschieden, welche sich zwischen ihnen in einzlen Sachen
zufällig, oder mit ihrem Willen ereignen kann, als da Beiden zusammen etwas
verschaffet oder geschenket, oder eine Schuld verschrieben oder von Beiden
zusammen etwas erkaufet oder in die Gesellschaft eines Handels oder Gewerbs
getreten wird.
Welchem Falls sich auf Jenes
bezogen wird, was in zweitem Theil von Sachen, welche mehreren gemein sind und
in drittem Theil von der Gesellschaft folget.
[1, 3, § 5] 256. Uebrigens kann die Gemeinschaft der Güter,
jedoch nur unter der
(1-132) obbenannten Gattung von Leuten, entweder in dem
Heirathsbrief oder durch ein nachheriges Beding, wann es sonst durch unlaugbare
Urkunden oder untadelhafte Zeugen erweislich ist, eingegangen werden.
Dahingegen solle weder ein unvollkommener Beweis, wann er auch halbständig
wäre, noch die Gemeinschaft der Güter unter einer anderen als der vorgedachten
Gattung der Leuten ohne Unserer besonderen höchsten Verwilligung zulässig sein.
§. VI.
[1, 3, § 6] 257. Nach aufgelöster Ehe gebühren dem
überlebenden Ehegatten an der Verlassenschaft des Verstorbenen folgende
Rechten, als das Witthumsrecht, welches auch anderst das Leibgeding oder der
wittibliche Unterhalt genannt wird.
(1-133) Das
Versorgungsrecht oder der ehegattliche Antheil aus dem Gut des Verstorbenen,
und endlich die Rechtsmitteln zur Habhaftwerdung aller und jeder zustehender
Heirathssprüchen.
(1-134) [1, 3, § 6] 258. Der wittibliche Unterhalt ist eine
Versorgung des Weibs nach Absterben des Manns, wodurch ihr auf Lebenszeit, so
lang sie in dem Wittibstand verbleibet, von dem Mann oder jemandem Anderen
anstatt seiner in dem Heirathsbrief oder mittelst eines nachherigen besonderen
Bedings zu ihrem Unterhalt ein gewisser jährlicher Betrag an Geld, Fruchtgenuß
eines Guts oder anderen Sachen bestellet und versicheret wird, worunter auch
die Wohnung, Einrichtung, Bedienung und andere dergleichen Bequemlichkeiten
begriffen sind, wann solche namentlich bedungen worden.
[1, 3, § 6] 259. Dieser unterscheidet sich von der Widerlage
hauptsächlich in deme, daß diese dem Weib auf Vorsterben des Mannes
eigenthümlich zufalle, dahingegen an dem Gut, wovon der wittibliche Unterhalt
bestellet und versicheret wird, derselben blos allein die Nutznießung in der
verschriebenen oder bedungenen Maß für die Zeit ihres Wittibstandes gebühre,
das Eigenthum aber denen Erben des Manns oder dem sonstigen Bestellenden
verbleibe.
[1, 3, § 6] 260. Die Maß des wittiblichen Unterhalts ist
zwar der eigenen Willkühr deren sich hierwegen Vergleichenden überlassen; doch
solle solcher, wo er aus dem Vermögen des Mannes bestellet wird, dessen vierten
Theil mit Einrechnung der Widerlage und sonstigen Schankungen nicht
übersteigen.
[1, 3, § 6] 261. Wir verordnen aber zu Gunsten des
wittiblichen Unterhalts, daß, obgleich solcher zur Zeit der Bestellung
übermäßig gewesen wäre, wann nachhero das Vermögen sich vergrößeret hätte,
dasselbe nicht wie es zur Zeit der Bestellung gewesen, sondern wie es sich zur
Zeit des Tods befindet, in Betracht genommen und also berechnet werden solle.
Dahingegen leidet der wittibliche Unterhalt deswegen keinen
Abbruch, wann derselbe zur Zeit der Bestellung nicht übermäßig ware, und das
Vermögen sich darnach verminderet hätte.
[1, 3, § 6] 262. Die Berechnung des wittiblichen Unterhalts
hat allemal also zu geschehen, daß, was hieran jährlich abzureichen kommt, es
bestehe in Geld oder Geldswerth, nach denen landesüblichen Zinsen oder
gemeingängigen Preis zu Capital gerechnet, zur Widerlage und zu denen
Schankungen zugeschlagen und solcher gestalten von dem nachgebliebenen Vermögen
des Verstorbenen in Abzug gebracht werde.
(1-135) [1, 3, § 6] 263. Was nun den vierten Theil des zur
Zeit der Bestellung gehabten Vermögens, wann solches nach der Zeit nicht
zugenommen, erweislich übersteiget, bleibet nach Willkühr des Bestellenden
widerruflich. Wo er es aber nicht widerrufen hätte, kann die Uebermaße nur
insoweit bestehen, als andurch weder die Glaubigere, noch der Pflichttheil der
Notherben verkürzet werden.
[1, 3, § 6] 264. Uebrigens kann der wittibliche Unterhalt
auf gleiche Art, wie die Widerlage, durch landtäfliche, stadt- oder
grundbücherliche Vormerkung auf einem zur Hypothek verschriebenen liegenden Gut
oder anderen unbeweglichen Vermögen sichergestellet werden, in welchem Fall
derselbe allen später zur Vormerkung gekommenen Glaubigeren vorgehet.
[1, 3, § 6] 265. Wo aber wittibliche Unterhalt nicht
vorgemerket worden, hat solcher sich weder des der Widerlage vor anderen persönlichen
Forderungen eingeräumten Vorzugs zu erfreuen, sondern solle allen wahren
Glaubigeren des Verstorbenen ohne Unterschied nachgesetzet werden.
[1, 3, § 6] 266. Dieser Unterhalt nimmt insgemein nach
Verlauf der ersten sechs Wochen nach des Manns Tod seinen Anfang. Binnen denen
ersten sechs Wochen aber von Absterben des Manns solle die Wittib, wie vorhin
bei dessen Lebzeiten, aus der Verlassenschaft unterhalten werden, wann diese
Unterhaltung ohne Nachtheil der Glaubigeren oder nothwendiger Erben von dem
nachgelassenen Vermögen bestritten werden kann, oder die Wittib sich derselben
nicht freiwillig begeben hat.
[1, 3, § 6] 267. Damit aber der wittibliche Unterhalt
gebühre, muß eine wahre und giltige Ehe vorhergegangen sein, und ist genug, daß
die priesterliche Trauung erfolget, obschon der
Bräutigam vor der wirklichen Beiwohnung verstorben wäre.
[1, 3, § 6] 268. Auch einem vermeintlichen Eheweib, wann sie
die Ehe mit gutem Glauben für giltig gehalten, und solche bis zur Zeit des Tods
des Manns insgemein für rechtmäßig geachtet worden, gebühret der verschriebene
wittibliche Unterhalt, obschon der Mann von deren Ungiltigkeit Wissenschaft
gehabt hätte. Wo aber bei Lebzeiten beider vermeintlichen Eheleuten die Ehe für
ungiltig erkläret worden wäre, wird anmit auch das Beding und die Beschreibung
des wittiblichen Unterhalts entkräftet.
[1, 3, § 6] 269. Wann hingegen Eheleute aus erheblichen
Ursachen von Tisch und Bett geschieden werden, so bei Ausmessung des Unterhalts
für das Weib, so lang der Mann lebet, auf das bedungene Witthumsrecht nicht zu
sehen, sondern es hat bei deme sein Bewenden, was oben in zweiten Capitel, §.
IV von Unterhaltung eines geschiedenen Eheweibs geordnet worden.
[1, 3, § 6] 270. Ist eine Wittib schwanger verlassen worden,
und würde solches behörig anzeigen, so solle derselben ohne Abbruch ihrer
Heirathssprüchen oder ehegattlichen Antheils der Unterhalt so, wie bei
Lebzeiten des Manns, währender ihrer Schwangerschaft bis sechs Wochen nach der
Niederkunft aus der Verlassenschaft abgereichet, und alle Unkosten daher
bestritten werden.
[1, 3, § 6] 271. Bis dahin bleibt der wittibliche Unterhalt
ausgesetzt, und nimmt erst nach Verlauf der sechs Wochen von der Niederkunft
seinen Anfang, wann die Wittib sich nicht ehender freiwillig der ihr aus der
Verlassenschaft angebührenden Unterhaltung verziehen hätte.
[1, 3, § 6] 272. Die angebliche Schwangerschaft muß in
Ermanglung sichtbarer Zeichen allemal durch das Zeugniß geschworner Hebammen
erwiesen werden, und wo sich die Wittib ohne Gefährde schwanger zu sein
ausgegeben, obschon hernach befunden würde, daß sie nicht schwanger gewesen
seie, ist dieselbe zu keinem Ersatz dieses mittlerweile genossenen Unterhalts
verbunden.
[1, 3, § 6] 273. Würde sie aber einer dabei gebrauchten
Gefährde überwiesen werden können, so ist selbe das zur Ungebühr Genossene zu
ersetzen oder sich von ihren Heirathssprüchen abziehen zu lassen schuldig, wie
dann auch, um zu verhüten,
(1-136) damit
die Niederkunft nicht etwann fälschlich vorgegeben, und kein fremdes Kind unterschoben
werde, denen Erben oder Anderen, welchen daran gelegen ist, freistehet, von
Gericht aus zwei oder mehrere ehrbare Weiber bestellen zu lassen, um auf die
Wittib ein obachtsames Aug zu haben, und der Niederkunft seiner Zeit
beizuwohnen.
[1, 3, § 6] 274. Der wittibliche Unterhalt kann nur damals,
wann selber bedungen oder verschrieben worden, und niemalen mehr, als was
bedungen oder verschrieben ist, geforderet werden. Wo aber solcher bedungen
worden, muß auch derselbe in denen darzu bestimmten oder sonst landesüblichen
Fristen und in der ausgesetzten Maß richtig abgeführet und entrichtet werden.
[1, 3, § 6] 275. Wäre aber zu dem wittiblichen Unterhalt der
Genuß eines Guts, Hauses oder anderen Grundes, oder eines auf Zinsen angelegten
Capitals bestimmet worden, so hat die Wittib davon den Nießbrauch und somit
Alles, was ein anderer Nutznießer nach dem Recht genießen kann, so lange sie am
Leben ist und in dem Wittibstand beharret.
[1, 3, § 6] 276. Wann der Wittib die Wohnung in einem Hause,
wie auch die Unterhaltung einer gewissen Anzahl Pferden, Bedienten und Anderes
in seiner Gestalt und Wesenheit verschrieben worden, kann selbe dafür den
Betrag an Geld nicht forderen, sonderen sie hat sich mit deme, was ausgemessen
worden, oder in Ermanglung einer ausdrücklichen Ausmessung mit demjenigen, was
nach Nothdurft und Standesgebühr gerichtlich bestimmet wird, zu begnügen.
[1, 3, § 6] 277. Gleicher gestalten, wo für die Wohnung oder
auch Unterhaltung von Pferden und Bedienten ein Gewisses am Geld ausgesetzet worden,
hat es bei dem ausgeworfenen Geldbetrag sein Verbleiben, die Wittib möge
ebensoviel, mehr oder weniger darauf verwenden.
[1, 3, § 6] 278. Wo aber etwas, es seie die Wohnung oder
eine andere Bequemlichkeit, der Wittib entweder in seiner Gestalt oder in einem
bestimmten Geldbetrag bestellet worden, so hat sie die Auswahl, wann solche
nicht denen Erben ausdrücklich vorbehalten worden.
[1, 3, § 6] 279. Der wittibliche Unterhalt währet so lange,
bis die Wittib verstirbt oder sich wieder verehelichet, oder sich dessen
freiwillig begiebt, oder endlich sich aus denen in zweitem Theil, zwanzigstem
Capitel, fünftem Artikel, §. XXIII angeführten Ursachen, wegen welcher
überhaupt ein Ehegatt seines ehegattlichen Antheils verlustiget wird, oder auch
durch ihr unzüchtiges Leben unwürdig macht.
[1, 3, § 6] 280. Wann aber gar keine Eheberedniß vorhanden
ist, gebühret dem
(1-137) überlebenden Mann oder Weib der ehegattliche Antheil
aus der Verlassenschaft des verstorbenen Ehegattens, wovon in zweitem Theil an
gleichbemelter Stelle ausführlich gehandlet wird.
[1, 3, § 6] 281. Alle übrige dem überlebenden Ehegatten nach
aufgelöster Ehe aus
(1-138) denen
Heirathssprüchen gebührende Rechte sind schon vorhero berühret worden. Diese
bestehen an Seiten des überlebenden Manns in Gewinnung des Heirathguts, wo
nichts Anderes deshalben bedungen worden, und an Seiten des überlebenden Weibs
in dem Rückfall des Heirathguts, Gewinnung der Widerlage und des wittiblichen
Unterhalts.
So ein als andererseits aber in Erwerbung der von dem verstorbenen
Ehegatten gemachten und mit seinem Tod bestätigten übermäßigen Betreuungen und
Schankungen, insoweit die Uebermaße weder zum Nachtheil der Glaubigeren, noch
zur Verkürzung des Pflichttheils gereichet.
[1, 3, § 6] 282. Zu Erlangung dessen, was dem überlebenden
Ehegatten aus denen Heirathssprüchen gebühret, kommen ihme die rechtliche
Hilfsmitteln zu statten, welche nach dem Unterschied des erworbenen oder nicht
erworbenen Eigenthums, des erhaltenen oder nicht erhaltenen Besitzes, der
bewirkten oder nicht bewirkten Vormerkung und Einverleibung der Heirathsbriefen
oder anderen mit dem verstorbenen Ehegatten eingegangenen Bedingen verschieden
sind.
[1, 3, § 6] 283. Wann das Heirathgut dem Mann an liegenden
Gütern, oder anderen für unbeweglich gehaltenen Vermögen mit der Landtafel,
Stadt- oder Grundbüchern abgetreten oder an Fahrnissen ordentlich übergeben
worden, und er bei Absterben des Weibs sich in dessen Besitz befindet, hat er
keiner anderen Rechtsmitteln nöthig, als welche überhaupt einem jedweden
Besitzer zur Vertheidigung seines Besitzes und Eigenthums gebühren.
[1, 3, § 6] 284. Falls aber derselbe nicht in dem Besitz
desselben wäre, stehet ihme die Eigenthumsklage und alle sonstige zu Erlangung
des Besitzes hergebrachte Behelfe wider die Besitzere der ihme zum Heirathgut
übergebenen oder abgetretenen Sachen zu.
[1, 3, § 6] 285. Wie dann auch ihme unbenommen ist, das an
liegenden Gütern oder landtäflichen, stadt- oder grundbücherlichen Forderungen
bestellte Heirathgut, wann es bei Lebzeiten des Weibs demselben mit der
Landtafel-, Stadt- oder Grundbüchern nicht abgetreten worden, auch noch nach
ihrem Tod, jedoch ohne Schaden und Nachtheil deren immittelst früher darauf
versicherten Haftungen (wegen welcher aber ihme die Schadloshaltung an des Weibs
Erben anzusuchen bevorstehet) vormerken zu lassen, und sich anmit in dessen
rechtlichen Besitz zu setzen, wann sonst der Heirathsbrief die zur
landtäflichen, stadt- oder grundbücherlichen Einlage nöthige Erfordernissen
hat.
[1, 3, § 6] 286. Wäre aber der Heirathsbrief mit
gleicherwähnten Erfordernissen nicht verstehen oder das Heirathgut an Geld oder
anderen Fahrnissen ohne einem verschriebenen Unterpfand bestellet, jedoch nicht
übergeben worden, so hat der Mann
(1-139) bloß
allein eine persönliche Rechtsforderung wider die Erben des Weibs oder
Denjenigen, der das Heirathgut für das Weib bestellet hat, zu Bezahlung des
versprochenen und ihme durch Vorsterben des Weibs zugefallenen Heirathguts mit
allen davon vertagten Zinsen, Früchten und Nutzungen.
[1, 3, § 6] 287. Wann hingegen demselben zur Sicherheit des
Heirathguts ein Unterpfand verschrieben und dieses vor oder nach Absterben des
Weibs darauf vorgemerket worden, hat er sich seiner Hypothek, insoweit solche
zureichet, zu halten und da diese zu seiner Befriedigung nicht zulänglich wäre,
des Abgangs halber mit der persönlichen Rechtsforderung wider die Erben des
Weibs oder den Bestellenden zu verfahren.
[1, 3, § 6] 288. Welches Alles jedoch nur von dem Fall zu
verstehen ist, wann wegen Zuruckgabe des Heirathguts auf Vorsterben des Weibs
nichts Anderes bedungen worden.
Wo aber auch nach Inhalt des Vertrags das Heirathgut ihme
nach Absterben des Weibs nicht zufiele, bleiben demselben nichtsdestoweniger
wegen der für die Zeit der fürgewährten Ehe verfallenen Zinsen, Früchten und
Nutzungen alle Sprüche und Forderungen bevor.
[1, 3, § 6] 289. Dem Weib fallt nach Vorsterben des Manns
das ihme an unbeweglichen Vermögen landtäflich, stadt- oder grundbücherlich
abgetretene oder an Fahrnissen übergebene Heirathgut, insoferne diese in seiner
Verlassenschaft annoch vorhanden sind, ebensowohl als Dasjenige, was ihr auf
Ueberlebungsfall zur Widerlage mit der Landtafel, Stadt- oder Grundbüchern zum
Eigenthum verschrieben worden, ohne weiters eigenthumlich zu.
[1, 3, § 6] 290. Wo ihr aber zur Sicherheit des Heirathguts,
Widerlage und des wittiblichen Unterhalts eine Hypothek verschrieben, und ihre
Heirathssprüche mit der Landtafel, Stadt- oder Grundbüchern vor oder nach
Absterben des Manns darauf vorgemerket worden, so hat sich dieselbe dieses
Unterpfands nach dessen Zulänglichkeit zu halten.
Was hingegen daher nicht zu erholen oder mit keiner solchen
Sicherheit bedecket ist, kann sie nicht anderst als mittelst persönlicher
Rechtsforderung von denen Erben des Manns oder Demjenigen, welcher sich hierzu
verbunden hat, einbringen.
[1, 3, § 6] 291. So viel es endlich die einem von dem
anderen Ehegatten gemachte Schankungen und Betreuungen anbelanget, so hat der
Schanknehmer in Ansehung jener, welche ordentlich übergeben und verschrieben
worden, insoweit sie schon bei Lebzeiten in der erlaubten Maß zu Recht
bestanden, ohnedies das Eigenthum erworben, folglich bedarf derselbe auch
keiner weiteren Rechtshilfe.
[1, 3, § 6] 292. An der Uebermasse hingegen, welche durch
den Tod des Schankgebers bekräftiget wird, erlangt der Ueberlebende das
unwiderrufliche Eigenthum, insoferne andurch weder denen Glaubigeren des
Verstorbenen, noch dem Pflichttheil des Notherben geschadet worden.
[1, 3, § 6] 293. Ist aber die Uebergabe oder Abtretung des
Geschenkten nicht geschehen, so ist zu unterscheiden, ob zu dessen Sicherheit
ein Unterpfand bestellet worden oder nicht. Ersteren Falls hat der Schanknehmer
sich der verschriebenen Hypothek zu halten; letzteren Falls hingegen gebühret
ihme nur die persönliche Rechtsforderung wider den Schankgeber und dessen
Erben, doch in beiden Fällen nicht weiter, als die Schankung zu Recht bestehen
kann.
(1-140) Caput IV.
Von der Verwandtschaft.
Inhalt:
§. I. Von der Verwandtschaft überhaupt. §. II. Von
Verschiedenheit der Verwandten. §. III. Von den Staffeln der Verwandtschaft. §.
IV. Von den Rechten der Verwandten.
§. I.
[1, 4, § 1] Num. 1. Durch die Ehe werden Geschlechter
fortgepflanzet und mittelst derselben alle Diejenige, welche zu einem
Geschlecht gehören, durch ein gemeinsames von einerlei Stammvater herrührendes
Blutband untereinander verknüpfet, welches sie aller diesem Geschlecht
zustehender Vorrechten theilhaftig macht, und durch die Verwandtschaft in der
eigentlichen Bedeutung verstanden wird.
[1, 4, § 1] 2. In ihrem weitesten Verstand aber begreift die
Verwandtschaft überhaupt auch die rechtliche und die geistliche.
Die rechtliche Verwandtschaft ist eine bloße Nachahmung der
natürlichen, welche aus Jemandens Annehmung an Kindsstatt entstehet, und in dem folgendem Capitel vorkommen wird. Die geistliche
Verwandtschaft hingegen entspringet zwischen gewissen
Personen aus der Taufe oder Firmung und gehöret zum geistlichen Recht.
[1, 4, § 1] 3. Allhier wird nur von der natürlichen
Verwandtschaft des Geblüts gehandlet, welche ein gemeinsames Blutband ist,
wodurch mehrere von einerlei Stammen absteigende Personen mittelst der
ehelichen Fortpflanzung untereinander verknüpfet sind.
[1, 4, § 1] 4. Hierdurch wird jene Verwandtschaft
ausgeschlossen, welche aus unehelicher Erzeugung entstehet, und außer der
Verbindlichkeit der natürlichen Eltern zum Unterhalt solcher Kinder in Absicht
auf die weiteren sowohl väterlichen als mütterlichen Verwandten nach Unseren
Gesetzen keine Wirkung hat.
(1-141) [1, 4, § 1] 5. Die rechtmäßige Verwandtschaft und
die darunter begriffenen Personen pflegen auch anderst unter dem Namen der
Blutsfreundschaft, der Sippschaft, der Befreundten oder Angehörigen und mehr
dergleichen allgemeinen Ausdrücken verstanden, und nach Umständen bald in einer
weiteren, bald in einer engeren Bedeutung genommen zu werden, nachdeme die
Rechten der Verwandtschaft, um welche sich handlet, nach dem Sinn der Gesetzen
oder nach dem Willen und Meinung des sich also Ausdrückenden mehreren oder
wenigeren Personen zu statten kommen.
[1, 4, § 1] 6. Es sind dahero mehrerlei Gattungen der
Verwandten, entweder nach dem Unterschied der Reihen oder Linien, oder nach dem
unterschiedenen Geschlecht der Person, durch welche sie verwandt sind, und jede
dieser Linien hat ihre Grade oder Staffeln, nach welchen die Vorrechte der
näheren vor denen weiteren abgemessen werden. Es werden solchemnach zuerst die
Gattungen der Verwandten, sonach die Staffeln oder Grade der Verwandtschaft,
und schließlichen die Vorrechte der Verwandten erkläret.
§. II.
[1, 4, § 2] 7. Alle, welche einander mit Blutsfreundschaft
beigethan, sind entweder absteigende, aufsteigende oder Seitenverwandten. Diese
werden durch Reihen oder Linien unterschieden.
(1-142) [1, 4, § 2] 8. Durch eine Linie wird nichts Anderes als eine Sammlung mehrerer
einander verwandter Personen verstanden, also, daß nur eine Person sich zwar in
einer deren Linien befinde, und auch der Anfang, das Mittel oder das Ende der
Linie seie, niemalen aber für sich allein betrachtet eine Linie ausmachen könne,
sondern zur Linie allzeit mehrere Personen erforderet werden.
[1, 4, § 2] 9. Die Linien theilen sich in gerade oder
Seitenlinien.
Die gerade Linie ist anwiederum zweierlei:
Eine enthält die Absteigenden, welche von Anderen gezeuget
worden, als Kinder, Enkeln, Urenkeln u. s. w. abwärts, also, daß allzeit von
dem Erzeugenden auf den Erzeugten gerad hinabgeschritten werde.
Die andere begreift die Aufsteigenden, welche Andere
gezeuget haben, als Vater, Mutter Großeltern, Urgroßeltern u. s. w. aufwärts,
dergestalten, daß allemal von dem Gezeugten auf den Erzeugenden gerad
hinaufgeschritten werde.
[1, 4, § 2] 10. Die Zwerg- oder Seitenlinie enthält die
Seitenverwandten, welche zwar von einem gemeinen Erzeuger abstammen, nicht aber
von einander gezeuget worden, als Brüder, Schwestern, derenselben Kinder und
Kindeskinder, dann auch Vaters oder Mutter Bruder, Schwestern und Diejenige,
welche von diesen abstammen u. s. w. hinauf oder herunter.
[1, 4, § 2] 11. Jedwede Linie wird in Grade oder Staffeln
untertheilet. Durch diese wird der Abstand einer Person von der anderen,
welcher durch die Erzeugung geschieht, angedeutet, um die Nähe oder Weite der
Verwandtschaft einer Person mit der anderen daraus abzunehmen.
[1, 4, § 2] 12. Gleichwie aber Einer dem Anderen entweder
durch eine Mannsperson oder durch eine Weibsperson verwandt ist, also fließt
auch hieraus der Unterschied zwischen der männlichen und weiblichen
Verwandtschaft, welcher insonderheit bei adeligen Geschlechteren wegen
verschiedener dem Mannsstammen vor denen weiblichen Verwandten zukommenden
Vorzügen und Vorrechten wohl zu bemerken ist.
[1, 4, § 2] 13. Der Mannsstammen begreifet
diejenige Manns- und Weibspersonen in absteigender Linie, welche von einem Mann
als gemeinsamen Stammvater in ununterbrochener Männerreihe abstammen.
In aufsteigender Linie nur diejenige Mannspersonen, die von
dem Vater in ununterbrochener Männerreihe weiter aufsteigen.
Und endlich in der Zwerg- oder Seitenlinie diejenige
Seitenverwandte, Manns- und Weibspersonen, welche von einem gemeinen Stammvater
in ein so andererseits ununterbrochener Männerreihe ihre Abkunft haben, also
daß in allen dreien Ordnungen kein Weib dazwischen komme, von welcher die
Verwandtschaft zwischen denen Personen, um welche die Frage ist, allein
abgeleitet würde.
[1, 4, § 2] 14. Dahingegen gehören die von Weibern
absteigende und die von der Mutter weiter aufsteigende, sowie alle mütterliche
Seitenverwandten nicht mehr zu dem Mannsstammen, wann sie gleich männlichen
Geschlechts oder nach einmal unterbrochener Männerreihe durch einen Mann
befreundt wären, weilen die Männerreihe durch ein darzwischen kommendes Weib
unterbrochen wird.
[1, 4, § 2] 15. Nicht einmal gehöret die Mutter zum
Mannsstammen, sondern sie ist der Anfang der weiblichen, wie der Vater der
männlichen Verwandtschaft oder des Mannsstammes. Ebensowenig erstrecket sich
der Mannsstammen auf die von dem Vater, obschon in ununterbrochener Männerreihe
weiter aufsteigende Weibspersonen, als die väterliche Ahnfrau, Urahnfrau u. s.
w., weilen sie eben auch jede in ihrer Ordnung der Anfang der weiblichen
Verwandtschaft sind.
(1-143) [1, 4, § 2] 16. Dahero sie zwar für ihre Person der allgemeinen Rechten des
Geschlechts ihrer Männer, als da sind die Führung des Namens und Wappens, aber
nicht aus dem Recht des Geblüts, wie die von Mannsstammen unmittelbar
absteigende Weibspersonen, sondern lediglich durch die Verehelichung aus der
Person ihres Mannes theilhaftig werden.
[1, 4, § 2] 17. Die männliche Verwandtschaft wird insgemein
unter dem Namen des Hauses, des Geschlechts, des Stammes verstanden, und die
Verwandten von Mannsstammen pflegen auch anderst Befreundte von oder nach dem
Schwert, sonst auch Schwertmagen, die weiblichen hingegen Verwandte von oder
nach der Spindel, sonst auch Spielmagen oder Gunkelfreunde genennet zu werden.
[1, 4, § 2] 18. Von der Verwandtschaft ist die
Schwägerschaft ganz und gar unterschieden, als welche nicht in einem
gemeinsamen Blutband von einerlei Stammen, sondern nur in der Beitretung des
einen Ehegatten zu der Verwandtschaft des anderen bestehet.
[1, 4, § 2] 19. Sie ist dahero nichts Anderes, als in dem
weitesten Verstand eine Zusammenfügung zweier Verwandtschaften.
In dem eigentlichen Verstand aber eine Verknüpfung des einen
Theils mit der Verwandtschaft des anderen, welche durch die Ehe oder andere
fleischliche Vermischung entstehet.
[1, 4, § 2] 20. Mittelst dieser werden alle Verwandte des
Manns Schwäger des Weibs, gleichwie gegentheils alle Verwandte des Weibs
Schwäger des Manns werden, ohne daß zwischen beiderseitigen Verwandten selbst
daraus eine Schwägerschaft, noch weniger eine Verwandtschaft entspringe,
obschon selbe nach dem gemeinen Wahn einander Schwäger zu nennen pflegen.
[1, 4, § 2] 21. Es können demnach die rechtlichen Wirkungen,
welche von Unseren Gesetzen der Blutsverwandtschaft beigeleget sind, auf die
Schwägerschaft nicht erstrecket werden, und sind außer Ehesachen (worinnen aber
sich nach den geistlichen Rechten zu achten ist) gar wenige Fälle, wo nach
Unseren Gesetzen die Schwägerschaft in rechtliche Betrachtung kommt.
[1, 4, § 2] 22. Diese sind das Laster der Blutschand
zwischen verschwägerten Personen, und insoweit in anderen peinlichen Fällen die
nahe Anverwandtschaft oder Schwägerschaft einen erschwerenden oder mildernden
Umstand abgeben mag, nach Ausmessung dessen, was davon in Unserer peinlichen
Gerichtsordnung enthalten ist. Ferners die Ausschließung verschwägerter
Personen von Zeugenschaften und Vertretung des Richteramts, wovon in viertem
Theil bei der Gerichtsordnung das Mehrere folgen wird.
[1, 4, § 2] 23. Dieses hat jedoch die Schwägerschaft mit der
Verwandtschaft gemein, daß sie nach denen Linien und Graden der Verwandtschaft
geachtet, und die nähere oder weitere Schwägerschaft mit dem einen Ehegatten
nach der näheren oder weiteren Verwandtschaft mit dem anderen abgemessen werde.
[1, 4, § 2] 24. Dergestalten, daß jemand dem einem Ehegatten
in eben derselben Linie und Grad verschwägert ist, in welcher Linie oder Grad
er mit dem anderen in Verwandtschaft stehet.
(1-144) Mann
und Weib aber sind miteinander nicht verschwägert, sondern das zwischen ihnen
bestehende Eheband ist die Quelle und Ursprung der Schwägerschaft.
§. III.
[1, 4, § 3] 25. Durch die Grade oder Staffeln wird die Nähe
oder Weite, in welcher eine Person mit der anderen nach dem Geblüt befreundt
ist, abgemessen.
[1, 4, § 3] 26. Um den Grad der Blutsfreundschaft zwischen
Personen, wovon die Frage ist, zu erforschen, müssen vor Allem die Personen in
rechte Ordnung gesetzet, der Unterschied der geraden und Seitenlinie
beobachtet, und endlich die Grade oder Staffeln genau gezählet werden.
[1, 4, § 3] 27. Die Personen werden gehörig gesetzet, wann
die Ordnung von Demjenigen anfangt, von welchem die Frage ist, und hernach
solange mit anderen Personen fortgefahren wird, bis man zu dem Anderen gelange,
um den gleichfalls gefraget wird.
[1, 4, § 3] 28. Wobei jedoch wohl zu bemerken ist, daß in
der Reihe der Personen keine Zwischenperson ausgelassen, noch eine andere darzu
nicht gehörige miteinbezogen, sondern allemal nur die durch einerlei Blutband
verknüpfte Personen miteinander zusammengefüget werden.
[1, 4, § 3] 29. Der Unterschied der Linien ist dergestalten
zu beobachten, daß die Absteigenden in der geraden Linie abwärts, die
Aufsteigenden aber in eben gerader Linie aufwärts und die Seitenverwandten von
einem in der geraden Linie befindlichen gemeinen Stammen schräg herab, und zwar
in allen dreien Linien nach der Ordnung der Erzeugung zu stehen kommen.
[1, 4, § 3] 30. Die Grade oder Staffeln sind also zu zählen,
daß von der ersten Person zur anderen ein Grad, von dieser zur dritten der
zweiten Grad u. s. w., mithin so viele Grade als Erzeugungen, oder aber ein
Grad weniger als Personen gerechnet werden, und dieses ohne Unterschied, ob von
Manns- oder Weibspersonen oder gegen Manns- oder Weibspersonen gefraget werde.
[1, 4, § 3] 31. Dieser Berechnungsart der Grade oder
Staffeln solle ihne Unterschied der geraden oder Seitenlinie (die Personen, um
welche gefraget wird, mögen in gleicher oder ungleicher Entfernung von dem
gemeinen Stammen stehen) in allen Fällen, welche nach Unseren Gesetzen zu
entscheiden kommen, als da es um Erbfolge,
(1-145) Vormundschaft,
Einstandrecht und andere Gerechtsamen der Verwandten, oder aber um Anschließung
von Zeugenschaften und dem Richteramt zu thun ist, je und allezeit nachgegangen
werden.
[1, 4, § 3] 32. Dahingegen hat die Berechnung der Graden
nach dem geistlichen Recht allein statt, wann von Zuläß- oder Unzulässigkeit,
Giltig- oder Ungiltigkeit der Ehe zwischen Verwandten, oder in peinlichen
Fällen von dem Laster der Blutschand die Frage ist.
[1, 4, § 3] 33. Die Berechnungsart des geistlichen Rechts
unterscheidet sich von der obigen bloß allein in der Seitenlinie, in welcher
dasselbe die Erzeugungen nur von der einen Seite, und zwar allemal von der
längeren zählet, also, daß bei ungleichen Abstand zweier Seitenverwandten von
dem gemeinen Stammen jederzeit die weitere Entfernung des einen den Ausschlag
gebe, und die Zahl des Grads auch in Ansehung des anderen, obschon nicht so
weit entferneten, bestimme.
[1, 4, § 3] 34. Hieraus folget, daß nach dem geistlichen
Recht die Zwerg- und Seitenlinie anwiederum in die gleiche und ungleiche
untertheilet werde.
Die gleiche Linie ist, in welcher die Seitenverwandten, um
deren Blutsfreundschaft gefraget wird, von dem gemeinen Stammen in gleichem
Grad entfernet sind.
Die ungleiche Linie hingegen ist, in welcher die
Seitenverwandten, um die gefraget wird, von dem gemeinen Stammen nicht gleich,
sondern der eine näher und der andere weiter entfernet sind.
[1, 4, § 3] 35. In der gleichen Zwerglinie hat die Regel
statt, da, in welchem Grad die eine von jenen Personen, um deren Verwandtschaft
gefraget wird, von dem gemeinen Stammen entfernet ist, in eben demselben beide
miteinander verwandt sind. In der ungleichen Zwerglinie aber ist die andere Regel
anzuwenden, daß, in welchem Grad die weitere Person von dem gemeinen Stammen
entfernet ist, in eben demselben beide miteinander verwandt sind.
§. IV.
[1, 4, § 4] 40. (!) Die Verwandten haben nicht nur unter
sich vor Anderen, welche nicht von der Verwandtschaft sind, gewisse Vorrechte,
sondern es wird auch unter ihnen selbst einer Ordnung oder Linie vor der
anderen, einem näheren vor dem weiteren,
(1-146) denen
männlichen vor denen weiblichen ein mehreres Recht von Unseren Gesetzen
beigeleget, wovon gehöriger Orten ausführlicher gehandlet werden wird.
Allhier ist genug von derlei verwandtschaftlichen Vorrechten
nur überhaupt einen kurzen Begriff zu geben.
[1, 4, § 4] 41. Einige derselben sind allen Verwandten,
sowohl von männlicher als weiblicher Seiten gemein. Dahin gehören die Erbfolge
in freien oder auch Stamm- und Lehengütern, wann in Ansehung der letzteren
sowohl männliche als weibliche Verwandten darzu berufen oder darmit belehnet
sind, die Vormundschaft, das Einstandrecht u. dgl., doch also, daß allemal der
Nähere, wann er sich seines Rechts bedienen will, vor dem Weiteren den Vorzug
habe.
[1, 4, § 4] 42. Dieses verstehet sich aber nur von Fällen,
worinnen derlei Rechten weder durch Unsere Gesetze, noch auch nach Zulassung
derselben durch den Willen des Erblassers oder durch Verträge und Vergleiche
unter Lebenden auf den Mannsstammen allein beschränket sind.
[1, 4, § 4] 43. Ferners sind von dieser Art die gemeinsame
Vertretung, Klage oder Vertheidigung und nach Gestalt der Sachen die Beitretung
an klagender oder beklagter Seiten, wann es um ein Recht zu thun ist, so die
ganze Verwandtschaft ohne Unterschied der männlichen und weiblichen Befreundten
angehet.
[1, 4, § 4] 44. Die Theilnehmung an allen Rechten und
Gerechtigkeiten, die einer ganzen Verwandtschaft ohne Unterschied zustehen, in
deren Genuß sich ein jeder von denen Verwandten durch die gehörige
Rechtsmitteln erhalten mag.
[1, 4, § 4] 45. Und endlich mehrere der Verwandtschaft
zukommende Rechtswohlthaten, als da sind, daß in Fällen, wo es sich allein um
die Verwandtschaft handlet, schleunig verfahren, daß in gewissen
Rechtsvertheidigungen der Ehre der verwandten Personen geschonet, daß in
Schuldsachen gegen dieselbe nicht auf das Strengste fürgegangen, und endlich
binnen gewissen Graden kein naher Verwandter wider den anderen insgemeim zur
Zeugenschaft gezwungen werde.
[1, 4, § 4] 46. Andere verwandtschaftliche Rechten, welche
eigentlich Stammrechten genennet werden, sind nur dem Mannesstammen und
hierunter verschiedene denen männlichen Verwandten von Mannsstammenallein
eigen.
Als die Nachfolge in Stamm- und Lehengütern, wann nur die
Männlichen von Mannsstammen darzu berufen oder letztere rechte Mannleben sind.
Das geschlechtliche Vorzugs- und Einstandrecht in liegenden
Gütern. Der größere Pflicht- und Erbtheil der männlichen Absteigenden von
Mannsstammen vor denen weiblichen bei Landleuten und andere denen männlichen
Verwandten von Mannsstammen vorzüglich angebührende Gerechtsamen, welche in
Verfolg dieses Gesatzbuchs ihres Orts vorkommen werden.
[1, 4, § 4] 47. Jene Stammrechte hingegen stehen dem
Mannsstammen auch mit Einbegriff der darzu gehörigen Weibspersonen zu, welche
nicht lediglich die Fortpflanzung des Geschlechts zur Absicht haben, oder wobei
nicht besonders auf die
(1-147) Fähigkeit
der Mannspersonen gesehen wird, oder die zwar vorzüglich denen Mannspersonen
zukommen, jedoch in deren Abgang auch auf die Weibspersonen erstrecket werden
[1, 4, § 4] 48. Dergleichen sind der Gebrauch des gemeinen
Namens und Wappens, der Genuß aller dem ganzen Geschlecht und nicht allein
einzlen Personen desselben verliehenen Würden und Vorzügen und endlich die
Gemeinschaft aller dem Geschlecht zukommender Rechten und Gerechtigkeiten,
insoweit auch Weibspersonen von Mannsstammen zu deren Genuß und Ausübung fähig
sind.
[1, 4, § 4] 49. Die Rechten der Blutsverwandtschaft,
insoweit dieselben aus dem natürlichen Blutband fließen, sind unbenehmlich, was
immer für Veränderung mit einer verwandten Person vorgehe.
Jene Verwandtschaftsrechten hingegen, welche bloß von denen
Gesetzen oder von menschlicher Willkühr abhangen, können in mehrerlei Umständen
aufhören.
[1, 4, § 4] 50. Also verlieret
Derjenige die Rechten der Verwandtschaft in Erb- und anderen Fällen, welcher
der Landmannschaft oder des Bürgerrechts nebst allen davon abhangenden
Gerechtigkeiten aus Verbrechen verlustiget wird.
[1, 4, § 4] 51. Desgleichen kann Niemand der
verwandtschaftlichen Vorrechten theilhaftig werden, der die Eigenschaft nicht
hat, welche zum Genuß derenselben etwann kraft einer letztwilligen Verordnung
oder nach Inhalt sonstiger Bedingen zwischen Lebenden erforderet wird, oder der
die beigesetzte Bedingniß, unter welcher ihme der Genuß des Rechts zugedacht
worden, nicht erfüllet oder etwas unternimmt, was bei Verlust des Vorrechts
verboten war.
[1, 4, § 4] 52. Ueber den Beweis der Blutverwandtschaft ist
in außerordentlichen Weg Rechtens schleunig zu verfahren, und lieget solcher
Jenem ob, der sich einen Verwandten zu sein ausgiebt und seine Rechtsforderung
in der Verwandtschaft gründet, gleichwie gegentheils der Andere, der seine
Forderung darinnen gründet, daß der Besitzer kein Verwandter seie, das
Widerspiel zu erweisen hat.
[1, 4, § 4] 53. Wo es sich aber um Rechten handlet, zu
welchen mehrere Verwandten zugleich gelangen, oder worinnen der nähere dem
weiteren oder der Mannsstammen dem weiblichen vorgezogen, oder nebst der
Verwandtschaft noch eine gewisse Eigenschaft erforderet wird, müssten auch
Alle, die hierauf einen Anspruch machen, die Verwandtschaft und zwar nicht
überhaupt, sondern nach Unterschied der Fällen zugleich die Nähe der
Verwandtschaft binnen einem gewissen Grad oder von einem gewissen Stammvater
oder von männlicher Seiten oder die vorgeschriebene Eigenschaft erweisen.
[1, 4, § 4] 54. Die stärkesten Beweise der Verwandtschaft
sind Urkunden, welche aus Tauf- und Trauungsbüchern, Heirathscontracten,
gerichtlichen und anderen öffentlichen Archiven entnommen werden.
Nicht weniger Zeugen, wann sie die Abstammung von Person zu
Person auf eine beglaubte Weise aussagen können.
[1, 4, § 4] 55. Außer deme können auch andere mehrere
Behelfe zum Beweis der Blutsverwandtschaft andienen, als der gemeine Ruf, das
durchgängige Dafürhalten, wann es offenkundig oder sonst genüglich erprobet
ist, der Besitz der Vorfahren, für die Blutsverwandtschaft ergangene
Rechtssprüche, untadelhafte Stammbücher und andere in denen Geschlechtsarchiven
oder in sonstigen glaubwürdigen Orten aufbehaltene Urkunden, alte Denkmale und
Inschriften, bewährte Zeit- und Geschichtbücher, besonders von solchen
Schriftstellern, welche zu gleicher Zeit, von der sie schreiben, gelebet haben,
der unangefochtene beständige Gebrauch gleiches Namens und Wappens und andere
dergleichen mehr oder minder beitragende Umstände, deren Zulänglich- oder
Unzulänglichkeit jedoch dem richterlichen Ermessen überlassen wird.
[1, 4, § 4] 56. Und obzwar sonst die Urkunden und
Rechtssprüche das Recht eines Dritten weder bestärken noch schwächen können, so
wirken doch solche damals auch
(1-148) in
Ansehung eines Dritten ein kräftiges Vorurtheil, wann Jemand, um dessen
Verwandtschaft die Frage ist, mit der Verwandtschaft Desjenigen in der Abkunft
von einem gemeinen Stammen einen erweislichen Zusammenhang hat, für welchen
oder wider welchen eine gerichtliche oder sonst ungezweiflete Urkunde, oder ein
zu Kräften erwachsener Rechtsspruch streitet, daß er mit jenem, gegen welchem
gefraget wird, verwandt oder nicht verwandt seie, wann es sich um das nämliche
und kein anderes Blutband handlet, als wovon die Urkunde oder der Rechtsspruch
erwähnet.
[1, 4, § 4] 57. Also muß einem Absteigenden das Recht der
Blutverwandtschaft zu Demjenigen nothwendig gebühren, in wessen Ansehung
dasselbe bereits einem seiner Aufsteigenden zuerkannt worden; gleichwie
gegentheils ein Absteigender kein Recht zur Blutsverwandtschaft mit Demjenigen
hat, in wessen Ansehung dasselbe einem seiner Aufsteigenden allschon
abgesprochen worden.
[1, 4, § 4] 58. Von nicht minderer Kraft ist die Verjährung
der blutsverwandtschaftlichen Rechten, welche auch Jenen nutzet oder schadet,
die mit Demjenigen in Abkunft von einerlei Stammen unstrittig verwandt sind,
welcher solche wider Andere verjähret hat, oder wider welchen sie von Anderen
verjähret worden.
Caput V.
Von der väterlichen Gewalt.
Inhalt:
§. I. Von der Natur und Wesenheit der väterlichen Gewalt. §.
II. Von der Art und Weis, die väterliche Gewalt zu erlangen. §. III. Von
Wirkungen der väterlichen Gewalt. §. IV. Von der Art und Weis, wodurch die
väterliche Gewalt beendiget wird.
§ I.
[1, 5, § 1] Num. 1. Das engeste Band der Verwandtschaft ist
zwischen Eltern und Kindern, welchem nicht nur alle übrige Ordnungen der
Verwandten nachstehen, sondern deme auch über die gemeinen
Verwandtschaftsrechten, deren nicht weniger andere Verwandten in obbestimmter
Maß theilhaftig sind, noch besondere rechtliche Wirkungen sowohl von der Natur
selbst, als von denen Gesetzen beigeleget werden.
(1-149) [1,
5, § 1] 2. Jene Rechten zwischen
Eltern und Kindern, welche aus der Erzeugung hauptsächlich von der Natur selbst
entspringen, sind bereits oben in zweitem Capitel von dem Stand der Menschen §.
IV. bei dem Hausstand ausführlich erkläret worden.
[1, 5, § 1] 3. Es erübrigen also nur noch diejenige Rechten
zwischen Eltern und Kindern, welche entweder aus Anordnung der Gesetzen herfließen, oder doch durch selbe ihre Bestimmung
erhalten.
[1, 5, § 1] 4. Unter diesen ist die väterliche Gewalt,
welche die Gesetze einem Vater über seine Kinder zueignen,
das vornehmste, welche in gegenwärtigem Capitel beschrieben wird.
Dahingegen alle übrige Rechten
zwischen Eltern und Kindern ihres Orts vorkommen, wo die Gegenstände, welche
sie betreffen, besonders abgehandlet werden.
[1, 5, § 1] 5. Die väterliche Gewalt bestehet
in dem Recht des Vaters, welches ihme über die Personen, über das Vermögen und
über die Handlungen seiner Kinder von denen Gesetzen eingeräumet ist.
[1, 5, § 1] 6. Es wird dahero allhier erstlich von der Art
und Weis, die väterliche Gewalt zu erlangen, sodann von denen Wirkungen der
väterlichen Gewalt, und letztlich von der Art und Weis, wodurch die väterliche
Gewalt geendiget wird, gehandlet.
§. II.
[1, 5, § 2] 7. Die väterliche Gewalt wird auf dreierlei Art,
erlanget, als erstens, durch rechtmäßige Ehe, zweitens, durch Rechtmäßigung
unehelich erzeugter Kinder, drittens, durch Annehmung an Kindesstatt.
[1, 5, § 2] 8. Durch die Ehe wird Jemand rechtmäßiger Vater
zu sein dargezeiget, und die Erzeugung in rechtmäßiger Ehe zieht sogleich die
väterliche Gewalt über das erzeugte Kind nach sich.
[1, 5, § 2] 9. Was dahero zum Beweis oder zur rechtlichen
Vermuthung der ehelichen Geburt andienet, alles dieses gereichet auch zum
Beweis und zur rechtlichen Vermuthung
(1-150) der
väterlichen Gewalt, und haben zu deren Behauptung alle diejenige Beweismitteln
und Rechtsbehelfe statt, welche zum Beweis und Vertheidigung der ehelichen
Kindschaft gehören, und allschon oben in zweitem Capitel, §. IV. von Num. 98
bis Num. 101 angeführet worden.
[1, 5, § 2] 10. Dahingegen erstrecket sich die väterliche
Gewalt in Ansehung der nachstehenden Rechtswirkungen nicht auf die außer der
Ehe oder aus einer an Seiten des Vaters wissentlich ungiltigen Ehe erzeugte
Kinder, obschon die Mutter die Ehe für giltig gehalten hätte, gleichwie
gegentheils der gute Glauben des die Ehe giltig zu sein vermeinenden Vaters
ihme die väterliche Gewalt über die aus dieser vermeintlichen Ehe erzeugte
Kinder zueignet, wann gleich die Mutter solche ungiltig zu sein gewußt hätte.
[1, 5, § 2] 11. Doch kann die väterliche Gewalt über
unehelich erzeugte Kinder durch deren erfolgte Rechtmäßigung erlanget werden.
Diese geschieht entweder durch nachfolgende Ehe zwischen dem Vater und der
Mutter eines außer der Ehe erzeugten Kinds, oder aus höchster landesfürstlicher
Gewalt.
[1, 5, § 2] 12. Beide diese Arten der Rechtmäßigung kommen
zwar in deme überein, daß sie die Makel der unehelichen Geburt oder Erzeugung
tilgen, allein in Absicht auf die väterliche Gewalt und andere
Verwandtschaftsrechten sind ihre Wirkungen unterschieden.
[1, 5, § 2] 13. Damit aber ein unehelich erzeugtes Kind
durch die nachgefolgte Ehe rechtmäßig gemacht werden möge, ist darzu
erforderlich, daß zur selben Zeit, als es empfangen worden,
zwischen Vater und Mutter eine giltige Ehe bestehen können. Widrigens haben
dergleichen Kinder ohnerachtet der nachgefolgten Ehe eine besondere
Rechtmäßigung ihrer Geburt von landesfürstlicher Gewalt nöthig.
[1, 5, § 2] 14. Die Rechtmäßigung durch nachgefolgte Ehe
kommt nicht allein dem unehelich erzeugten Kind in Ansehung seines Vaters und
Mutter zu statten, sondern auch die von einem unehelichen und nachher durch die
nachgefolgte Ehe rechtmäßig gewordenen Sohn oder Tochter erzeugte eheleibliche
Kinder sind in Ansehung der Großeltern für eheliche Enkeln zu achten, obschon
der Sohn oder die Tochter noch vor der erfolgten Ehe ihrer Eltern mit Tod
abgegangen wären.
[1, 5, § 2] 15. Durch diese Art der Rechtmäßigung wird nicht
allein alle Makel der unechten Geburt gänzlich ausgelöschet und derlei
rechtmäßig gewordene Kinder denen ehelich empfangenen in allen Wirkungen
insgemein vollkommen gleichgehalten, sondern sie werden auch aller Rechten der
echten Geburt sowohl in Ansehung ihrer Eltern, als der ganzen Verwandtschaft
theilhaftig.
[1, 5, § 2] 16. Nur jene Rechten bleiben ausgenommen, welche
ausdrücklich entweder durch letztwillige oder lebzeitige Handlungen lediglich
auch solche Kinder eingeschränket sind, die aus einer vorhergegangen
rechtmäßigen Ehe empfangen worden.
(1-151) [1, 5, § 2] 17. Umsoweniger können die immittelst
denen ehelich gebornen Kindern erworbene Rechten durch die nachherige
Rechtmäßigung der unehelichen auf einigerlei Weise geschmäleret und
beeinträchtiget werden. Von dieser Art ist das Recht der Erstgeburt oder der
früheren Geburt, wovon die Erbfolge in geschlechtliche Trau- und Stammgüter und
andere verwandtschaftliche Vorrechte abhangen, welches allemal der vor der
Rechtmäßigung des Unehelichen aus rechtmäßiger Ehe Geborene unverletzt behält,
obschon der Andere später rechtmäßig Geborene außer der Ehe früher erzeuget
worden.
[1, 5, § 2] 18. Die andere Art der Rechtmäßigung, welche aus
Unserer höchsten landesfürstlichen Gewalt herfließet, bleibt nur Uns allein und
jenen Stellen, welchen Wir die Macht solche in Unserem Namen zu ertheilen
besonders einraumen, vorbehalten.
[1, 5, § 2] 19. Damit aber aus einer Rechtmäßigung, die
zwischen Vater und
(1-152) Kindern bestehende Rechten und unter diesen auch die
väterliche Gewalt mit allen derselben anklebenden Wirkungen entspringen mögen,
muß deren namentliche Verleihung in dem Rechtmäßigungsbrief allemal deutlich
mit ausgedrucket sein, welche jedoch über den buchstäblichen Inhalt Unseres
Gnadenbriefs auf keine andere Rechten der Verwandtschaft in Ansehung der
weiteren Aufsteigenden und Seitenverwandten der natürlichen Eltern zu
erstrecken ist.
[1, 5, § 2] 20. Außer dieser namentlichen Mitverleihung,
welche jederzeit bei Uns unmittelbar angesuchet werden solle, wirket die aus
Unserer höchsten Machtsvollkommenheit erhaltene Rechtmäßigung nichts Anderes,
als daß die Makel der unechten Geburt getilget werde, und die auf solche Art
geborene Person zu Ehren, Würden und Aemtern gelangen könne, folglich umsomehr
in allen Gemeinden anderen ehrlichen Leuten gleichgeachtet, und in alle
ehrliche Mitteln, Zünften und Gewerbe zugelassen werden müsse, ohne daß ihme
von Jemandem seine uneheliche Geburt bei der in dem Gnadenbrief ausgesetzten
Strafe vorgerucket werden dürfe.
[1, 5, § 2] 21. Die Annehmung an Kindsstatt giebt die
väterliche Gewalt, jedoch nur mit jenen Rechtswirkungen, welche dem Wahlkind zu
seinem Nutzen, nicht aber auch zu dessen Schaden und Nachtheil gereichen.
[1, 5, § 2] 22. Dergleichen Annehmung solle zwar ohne
Unterschied, der Anzunehmende möge unter der väterlichen Gewalt eines Anderen
stehen oder nicht, groß- oder minderjährig, und Derjenige, welcher den Anderen
an Kindsstatt annehmen will, ein Aufsteigender von väterlicher oder
mütterlicher Seite, oder ein Fremder sein, jedoch
(1-153) niemalen anderst, als mit Unserer höchsten
Verwilligung oder Bestätigung geschehen können, widrigens aber ganz und gar
ohne Kraft und Wirkung sein.
[1, 5, § 2] 23. Zur Erhaltung dieser Unserer höchster
Verwilligung und Bestätigung müssen sowohl an Seiten des Wahlvaters als des
Wahlkinds folgende Erfordernisse hinzutreten.
[1, 5, § 2] 24. Der Jemanden an Kindsstatt annehmen will,
muß:
1.) Eines betagten Alters und wenigstens um die Jahre der
gemeinen Vogtbarkeit älter sein als Derjenige, welchen er an Kindsstatt
anzunehmen gedenket.
[1, 5, § 2] 2.) 25. Müssen weder eheleibliche Kinder,
besonders männliche am Leben, noch zu deren Ueberkommung einige Hoffnung übrig
sein, und hanget die Beurtheilung dieses letzteren Umstandes lediglich von
Unserem Ermessen ab.
[1, 5, § 2] 3.) 26. Muß derselbe ein freies Vermögen
besitzen, und davon einen gewissen Antheil bestimmen, auch solchen genugsam zu
versichern sich erbieten, welcher dem überlebenden Wahlkind zuzukommen habe,
wann auch der Wahlvater dessen in seinem letzten Willen nicht ferner gedächte.
[1, 5, § 2] 4.) 27. Muß überhaupt dem Wahlkind ein Vortheil
dadurch zugehen und dem Recht eines Dritten kein Abbruch geschehen. Zu welchem
Ende jedes Mal mit anzuzeigen ist, ob der Wahlvater ledig oder verheirathet,
und wie letzteren Falls seine Ehegattin versorget seie; nicht minder ob nicht
einige Notherben oder sonst nahe Anverwandte männliche oder weibliche und in
was für einem Grad der Blutsverwandtschaft am Leben sind.
[1, 5, § 2] 5.) 28. Wird an Seiten dessen, welcher an
Kindsstatt angenommen werden will, erforderet, daß derselbe, wann er großjährig
ist, ausdrücklich darein willige, und, wo er noch minderjährig wäre, die
Einwilligung seines Vaters oder Vormunds beitrete, welche in Kindsjahren, wo er
noch keiner Einwilligung fähig wäre, für sich allein genug ist; doch muß die
Annehmung eines unter der Vormundschaft stehenden Waisen an Kindsstatt allemal
nebst der Einwilligung des Vormunds auch von der obervormundschaftlichen
Behörde gutgeheißen und für den Waisen ersprießlich zu sein erkennet werden.
[1, 5, § 2] 29. Wann nun in Betrachtung der fürwaltenden Umständen Unsere höchste Verwilligung zu der angesuchten
Annehmung an Kindsstatt erfolget, so hat dieselbe insgemein, wann in Unserem
Verwilligungs- oder Bestätigungsbrief nichts Besonderes ausgedrucket ist,
nachstehende Wirkungen.
[1, 5, § 2] 30. Der Wahlvater erlangt andurch das Recht der
Vaterschaft mit der väterlichen Gewalt, wann das Wahlkind die Jahre der
Vogtbarkeit noch nicht erreicht hat, nach deren Erreichung die väterliche
Gewalt überhaupt ihre Endschaft hat.
[1, 5, § 2] 31. Doch wird der Wahlvater andurch nicht
berechtiget, es seie in Lebzeiten oder nach dem Tod des Wahlkinds, auf dessen
Vermögen und Habschaften einigen Anspruch zu machen, sondern derselbe hat nur
dieses Vermögen bis zu Großjährigkeit des an Kindsstatt Angenommen auf ganz
gleiche Weise und unter der nämlichen Verbindlichkeit wie ein jedweder anderer
Vormund zu verwalten.
[1, 5, § 2] 32. Wäre hingegen der an Kindsstatt Angenommene
bereits großjährig, so überkommt der Wahlvater das alleinige Recht der
Vaterschaft ohne der väterlichen Gewalt und nur mit der Wirkung, daß er nicht
kind- und erblos seie, sondern die Rechten seines Geschlechts nebst Namen und
Wappen durch den angenommenen Sohn und dessen Nachkommenschaft fortsetzen
könne.
[1, 5, § 2] 33. Das Wahlkind erhält durch dessen Annehmung
das Recht der Kindschaft und mit solchem wird selbes auch des Namens und
Wappens und anderer wahlväterlichen Geschlechtsrechten in der Maß, wie diese in
der Verwilligungs- oder Bestätigungsurkunde von Uns erstrecket oder
eingeschränket worden, theilhaftig.
[1, 5, § 2] 34. Nicht minder gebühret
demselben die Erbfolge in dem bei seiner
(1-154) Annehmung aus dem Vermögen des Wahlvaters bestimmten
Antheil; doch ist dem Wahlvater nicht verwehret, ihme ein Mehreres durch
letzten Willen zuzuwenden.
[1, 5, § 2] 35. Dieser bestimmte Antheil wird nicht
verminderet, wann gleich der Wahlvater nachher eheleibliche Kinder überkäme,
insoweit dieselbe andurch an ihrem Pflichttheil nicht verkürzet werden, woran
aber das Wahlkind keinen Theil hat.
[1, 5, § 2] 36. Noch weniger kann vorbemelter Antheil dem
Wahlkind durch letzten Willen benommen werden, wann dasselbe nicht etwann eine
solche Undankbarkeit begangen, wegen welcher auch eheleibliche Kinder von der
väterlichen Erbschaft ausgeschlossen werden mögen.
[1, 5, § 2] 37. Nebstdeme wirket die Annehmung an Kindsstatt
an Seiten des Wahlvaters die Schuldigkeit, sein Wahlkind gleich einem
leiblichen nach seinem Stand und Würde zu ernähren, zu erziehen, zu erhalten,
zu schützen und zu vertreten, und ist dessen leiblicher Vater von allem
diesfälligen Beitrag gänzlich entbunden.
[1, 5, § 2] 38. Wann jedoch das Wahlkind ein eigenes
Vermögen hätte, so kann von dessen Ertragniß so viel, als zu dessen Ernährung
und Erziehung nöthig ist, durch die Behörde ausgemessen, der Ueberrest aber muß
in Ersparniß gebracht und gleich einem Waisengut von dem Wahlvater verrechnet,
wann hingegen das Vermögen des Wahlkinds nicht hinlänglich wäre, der Abgang von
dem Wahlvater aus dem Eigenen getragen werden.
[1, 5, § 2] 39. Es wird ein Wahlkind deswegen nicht von der
Erbschaft nach seinen leiblichen Eltern oder von anderen Rechten ihrer Blutsverwandtschaft
ausgeschlossen, sondern ihme bleiben vielmehr solche zu allen Zeiten bevor.
[1, 5, § 2] 40. Gleichwie die Annehmung an Kindsstatt
hauptsächlich die Fortpflanzung des Namens und Geschlechts zum Endzweck hat,
also können auch insgemein die Weibsperson weder Andere an Kindsstatt annehmen,
noch von anderen an Kindsstatt angenommen werden, wann nicht Unsere besondere
höchste Einwilligung zu einem dergleichen Vorhaben ausgewirket wird, nach deren
Inhalt sich in solchem Fall zu achten ist.
[1, 5, § 2] 41. Wann dahero eine Manns- oder Weibsperson
fremde Kinder oder Waisen ein oder anderen Geschlechts bloßer Dingen zu
Erziehung, Ernährung und dermaleinstiger Versorgung gutwillig zu sich nimmt, so
ist dieses keine Annehmung an Kindsstatt, sondern eine bloße Wohlthat, die
weder ein- noch andererseits vorerwähnte Rechtswirkungen nach sich zieht.
[1, 5, § 2] 42. Dann derlei Zucht- oder Nährkinder erlangen
andurch keinen Anspruch auf das Vermögen ihres Gutthäters, außer insoweit ihnen
etwas von demselben verschrieben, geschenket oder vermachet worden. Sie können
auch nicht sich des Namens, Wappens und anderer Geschlechtsrechten ihres
Nährvaters anmaßen, und um so weniger wirket
dergleichen Gutthat die väterliche Gewalt.
[1, 5, § 2] 43. Obschon dieselben ihrem Gutthäter, so lange
sie von ihme den Unterhalt genießen, aus Dankbarkeit in gewisser Maß
untergeben, und insoweit von dessen Hause sind, als sie von ihme geschützt und
für die Seinigen gehalten werden.
[1, 5, § 2] 44. Wie dann auch von allem deme, was auf sie
verwendet worden, nichts
(1-155) zurückgeforderet werden mag, wann nur der
Pflichttheil eheleiblicher Kinder andurch nicht verkürzet wird.
Dessen ohnerachtet aber behalten sie in Ansehung ihrer
leiblichen Eltern und gesammten Verwandtschaft alle angebühren mögende Rechten
bevor.
[1, 5, § 2] 45. Mit der Annehmung an Kindsstatt ist die
Einkindschaft nicht zu vermengen, welche nach bisheriger Gewohnheit in einigen
Orten gebräuchlich ware, und wodurch von neuangehenden Eheleuten ihre aus
vorigen Ehen erzeugte Kinder zu gemeinen Kinder dergestalten angenommen worden,
daß sie sowohl neben einander, als auch mit denen aus der neuen Ehe erzeugenden
Kindern durchaus gleich gehalten werden, und miteinander nach der Eltern Tod
gleiche Erbtheile genießen sollen.
[1, 5, § 2] 46. Wir wollen aber derlei Einkindschaften
hiemit für das Künftige gänzlich aufgehoben und abgestellet haben, also zwar,
daß daraus weder die Gleichheit in der Erbfolge, noch eine andere Rechtswirkung
entstehen, noch weniger dadurch die väterliche Gewalt über Stiefkinder
erlanget, sondern diese unter der vorherigen oder nach Erheischung der
Umständen neu zu bestellen habenden Vormundschaft belassen werden sollen.
§. III.
[1, 5, § 3] 47. Die Wirkungen der väterlichen Gewalt
betreffen entweder die Person oder das Vermögen, oder die Handlungen der
Kinder.
(1-156) [1, 5, § 3] 48. In Ansehung ihrer Person hat der
Vater das Recht, seine ihme von Anderen vorenthaltene Kinder abzuforderen,
wobei schleunig zu verfahren, und lediglich darauf zu sehen ist, ob Jemand in
dem Besitz des väterlichen Rechts oder sonst nach rechtlicher Vermuthung der
Vater seie. Es erforderten dann die Umstände ein ordentliches rechtliches
Verfahren.
[1, 5, § 3] 49. Es kann auch ein flüchtig geworbenes Kind
von dem Vater selbst überall ergriffen und solle ihme hierinnen, wann er die
Gerichtshilfe nöthig hätte, solche schleunigst geleistet werden.
[1, 5, § 3] 50. Nicht weniger ist dem Vater eine mäßige, die
Besserung zum Zweck habende Züchtigung seiner Kinder zugelassen. Doch giebt die
väterliche Gewalt kein Recht über das Leben, Leib, Gesundheit, Freiheit und
guten Leumuth der Kinder.
[1, 5, § 3] 51. Belangend das Vermögen der Kinder, so ist
anförderist jenes, was
(1-157) sich bei ihnen dem Gut des Vaters befindet, und von
diesem weder schankungsweise, noch sonst auf eine andere rechtsbeständige Art
an sie übertragen worden,
(1-158) von dem wahren und eigenen Kindergut wohl zu
unterscheiden, maßen das erstere mit Nutzungen, Zuwachs und allem deme, was die
Kinder anmit erwerben, dem Vater allein zugehöret.
[1, 5, § 3] 52. Ein wahres und eigenes Kindergut hingegen
ist jenes, welches denen Kindern entweder von dem Vater selbst geschenket, oder
auf andere zu recht bestehende Art an sie eigenthumlich übertragen wird, oder
was ihnen von anderwärts zukommt, als von der Mutter, von väterlichen oder
mütterlichen Großeltern, von Geschwisteren, Verwandten oder auch von Fremden
durch Erbfolge, Vermächtnissen, Schankungen oder in andere Wege, oder was sie
außer dem Gut und Gewerb des Vaters nach vollkommen zuruckgelegten funfzehnten
Jahr durch ihren Fleiß oder durch andere redliche Weise erwerben.
[1, 5, § 3] 53. Von dem Kindergut gebühret
dem Vater insgemein der Fruchtgenuß nebst der Verwaltung desselben, solang die
Kinder in seiner Gewalt befindlich sind. Es giebt aber Fälle, wo der Vater zwar
den Fruchtgenuß, nicht aber auch die Verwaltung des Kinderguts, oder dagegen
diese allein ohne den Fruchtgenuß oder aber keines von beiden hat.
[1, 5, § 3] 54. Das Erstere ereignet sich, wann Derjenige,
von deme das Kindergut
(1-159) herrühret, den Vater von der Verwaltung
ausgeschlossen, oder über dasselbe einen anderen Vormund bestellet hat, oder
der Verwaltung halber ein erhebliches Bedenken wider den Vater vorhanden wäre.
[1, 5, § 3] 55. Im Fall, wo Derjenige, von deme das Gut auf
die Kinder gelanget ist, wegen dessen Verwaltung eine andere Vorsehung gemacht
hätte, ist derselben allerdings nachzugehen, außer deme aber bei einem wider
den Vater fürwaltenden gegründeten Verdacht einer üblen Gebarung das Kindergut einem
Anderen unter ordentlicher Verrechnung in die Verwaltung zu geben, oder, da es
nutzlicher zu sein befunden würde, dasselbe gerichtlich zu veräußern, und der
Werth unter genugsamer Sicherheit irgendwo auf Zinsen nutzbar anzulegen.
[1, 5, § 3] 56. Jedoch behält der Vater einen Weg, wie den
anderen, den Fruchtgenuß, das Kindergut möge von ihme selbst oder jemand
Anderem verwaltet und auf was immer für eine Art genutzet werden.
[1, 5, § 3] 57. Dahingegen hat der Vater die alleinige
Verwaltung ohne dem Fruchtgenuß in folgenden Fällen: Erstens, wann Jemand sein
liegend- oder fahrendes Gut Kindern, welche annoch unter väterlicher Gewalt
stehen, durch lebzeitige oder letztwillige Handlung mit dem ausdrücklichen
Beding zuwendet, daß der Vater den Genuß davon nicht haben, sondern dieser, so
wie das Eigenthum denen Kindern verbleiben und zu ihrem Besten verwendet oder
in Ersparniß gebracht werden solle.
[1, 5, § 3] 58. Zweitens, wann die Mutter oder mütterlichen
Großeltern denen Kindern den Pflichttheil mit eben diesem ausdrücklichen Beding
hinterlassen, obschon sonst keine andere denen Kindern nachtheilige Bedingniß
dem Pflichttheil beigesetzet werden mag.
[1, 5, § 3] 59. Drittens, wann der Vater selbst seinen
Kindern ein liegend oder fahrendes Gut ohne Vorbehalt des Fruchtgenusses
schenket, oder sich dessen zu Gunsten seiner Kinder begiebt.
[1, 5, § 3] 60. Viertens, was die Kinder nicht aus dem Gut
des Vaters, noch mittelst desselben, noch auch in Ansehung des Vaters, sondern
durch Kriegs- oder andere Dienste, geistliche Pfründen, Künste und
Wissenschaften, Fleiß und Gewerbe nach dem funfzehnten Jahr ihres Alters
erwerben, oder um eigener Verdiensten willen von Anderen schankungsweise
überkommen, von allem deme gebühret dem Vater der Fruchtgenuß nicht.
[1, 5, § 3] 61. Fünftens, wann die Kinder selbst kein
Eigenthum, sondern nur den bloßen Genuß haben, als da ihnen der Nießbrauch
eines Guts, jährliche Zinsen oder Früchten oder andere Jahrgelder, ein
Stiftgenuß und dergleichen zeitliche oder lebenslängliche Beihilfe verschaffet,
oder wie sonst immer zugewendet worden wären.
[1, 5, § 3] 62. Weder den Fruchtgenuß, noch die Verwaltung
des Kinderguts hat der Vater, wann entweder ihme in Fällen, wo demselben der
Fruchtgenuß nicht gebühret, auch namentlich die Verwaltung benommen worden,
oder er sich dieser Befugnissen unwürdig gemacht hat, als da er die
Vormundschaft in Ansehung eines seinem Kind zukommenden Guts ohne rechtmäßiger
Entschuldigungsursache verschmähet hätte.
[1, 5, § 3] 63. Wo aber das Kind in der Unvogtbarkeit
verstürbe, so erlangt der Vater auch von deme den Fruchtgenuß nicht, was denen
übrigen unter seiner väterlichen Gewalt stehenden Kindern als nächsten Erben
von diesem Waisengut auf ihren Antheil zugefallen.
[1, 5, § 3] 64. In Fällen jedoch, wo der Vater die
Verwaltung des Kinderguts mit oder ohne dem Fruchtgenuß desselben hat, muß
solches ehe und bevor es ihme eingeantwortet wird, gerichtlich beschrieben
werden, wann darunter verschiedene Sachen und Forderungen als Vorräthe bei
einem Landgut, Einrichtungen bei einem Hause, ausständige Gülten, Zinsen oder
andere Ansprüche begriffen sind.
[1, 5, § 3] 65. Wann aber das an die Kinder gelangte Gut in
einer einzlen Sache
(1-160) bestehet, als z. B. in einem Grund ohne allem
Beilaß, Einrichtung und Ausständen, oder in einer vorgemerkten Schuldforderung,
so ist zwar der Fall einer förmlichen Beschreibung nicht abhanden, nichts
destoweniger muß jegleichwohlen die Beschaffenheit einer solchen Sache,
derselben Werth und Ertragniß zur Sicherheit der Kinder gerichtlich angemerket
werden.
[1, 5, § 3] 66. Vor dieser Beschreibung oder Anmerkung und
der hierauf folgenden gerichtlichen Einantwortung darf der Vater sich der
Verwaltung und des Nießbrauches nicht anmaßen, und ist auch nicht fähig etwas
von Zinsen oder Nutzungen einzuheben, und die Schuldnere über den Erlag
rechtsgiltig zu quittiren.
[1, 5, § 3] 67. Zuweilen kann auch der Vater, wann es die
Sicherheit des Kinderguts nach Umständen erheischet, zur Bürgschaft wegen
dessen unverminderter Erhaltung nicht weniger als ein anderer Vormund
angehalten werden, wo nicht die Gefahr einer Verminderung von selbsten
entfiele, als bei einer gerichtlich vorgemerkten Forderung oder einem anderen
dinglichen Recht, so der Vater ohne gerichtlicher Verwilligung nicht veräußern
kann.
[1, 5, § 3] 68. Nur von dem Rechnungsverlag über die
Ertragnisse allein ist der Vater entbunden, insolange er den völligen Genuß des
Kinderguts hat. In allem Uebrigen aber ist er in Ansehung desselben als ein
natürlicher Vormund seiner Kinder zu betrachten, mithin auch alles Dasjenige zu
beobachten schuldig, was in gleich nachfolgendem Capitel bei Vormundschaften
zur guten Verwaltung des Waisenguts vorgeschrieben wird.
[1, 5, § 3] 69. Der dem Vater an dem Kindergut gebührende
rechtliche Nießbrauch eignet ihme zwar insgemein alle Ertragnisse desselben und
alle diejenige Befugnissen zu, welche einem jedem anderem, durch lebzeitige
oder letztwillige Handlungen bestellten Nutznießer zu statten kommen.
[1, 5, § 3] 70. Wann jedoch der Wohlstand seiner Kinder
unumgänglich erheischet, einen Theil der Nutzung zu ihrem Besten zu verwenden,
um etwann eine auf dem Kindergut haftende Schuldenlast zu tilgen, einen durch
Zufall hieran entstandenen Schaden wieder zu verbessern, eine nothwendig oder
sehr nutzliche Einverwendung zu thun, einen wegen dieses Guts erregten
Rechtshandel auszuführen, oder endlich auch auf diejenige Kinder, welchen das
Gut zugehöret, zur besseren und anständigeren Erziehung ein Mehreres zu
verwenden, als der Vater sonst nach seinem Stand und Vermögen auf andere Kinder
anzuwenden vermag; so kann der Vater in dergleichen Umständen die völlige
Nutzung des Guts für sich nicht behalten, noch wegen derlei nothwendiger oder
nutzlicher Auslagen das Gut selbst vermindern.
[1, 5, § 3] 71. Sondern Wir ordnen hiermit, daß in solchen
Fällen der Vater schuldig sein solle, so lange es die Nothsurft erheischet, und
die Schulden nicht völlig getilget, der Schaden nicht wieder verbesseret, der
sich darbietende mehrere Nutzen nicht bewirket, der Rechtshandel nicht ausgeführet
sein wird, oder so lange denen Kindern die anständige Erziehung zu geben ist,
den dritten Theil der klaren Nutzungen zum Besten der Kinder von Jahr zu Jahr
anzuwenden, woferne es nicht bereits dahin gediehen, daß dieser Aufwand mit
geringeren Unkosten bestritten werden könnte.
[1, 5, § 3] 72. Zu welchem Ende und damit durch die Gehörde
von amtswegen hierauf obacht getragen werde, solle ein jeder Vater, der sich in
dem rechtlichen Genuß eines seinen Kindern zugekommenen Guts befindet,
verbunden sein, den Stand des ihme eingeantworteten Kinderguts und die etwann
darauf haftende Schulden nebst dessen wahrer Ertragniß alljährlich bei der
Gehörde anzuzeigen, und diese Anzeige mit bewährten Rechnungsauszügen, auch, da
es ihme der Erforderniß nach auferleget würde, mit vollständigen Rechnungen zu
belegen.
[1, 5, § 3] 73. Wobeinebst derselbe, wie viel er davon
nöthigen Falls zu Tilgung der
(1-161) Schulden, wie auch zu Bestreitung der nothwendigen
oder nutzlichen außer dem gewöhnlichen Aufwand vorgefallenen Ausgaben verwendet
habe, nicht nur behörig auszuweisen, sondern deme auch, was an Schulden noch
weiters verbleibet, und was ferners zu vorsehen mögenden unentbehrlichen
Einverwendungen erforderlich sein dürfte, beizufügen hat.
[1, 5, § 3] 74. Dieser Ausweis, Anzeige oder Rechnung ist
zwar, außer dem Fall einer unterlaufenden geflissentlichen Gefährde oder
hervorkommenden allzugroßer Vernachlässigung des Wirthschaftstriebs, nicht so
genau zu bemängeln, sondern auf Befinden, daß Unseren vorstehenden Verordnungen
nachgelebt worden, sofort ohne weiters gerichtlich zu beangenehmen.
[1, 5, § 3] 75. Wann hingegen hervorkäme, daß weniger als
der dritte Theil deren klaren Nutzungen zum Besten der Kinder von dem Vater
einverwendet worden wäre, ist von der Gehörde, ob nicht so vieles
einzuverwenden nothwendig oder nutzlich gewesen seie, genau einzusehen, und, da
sich die Nothdurft zeigete, dem Vater dessen Unterlassung auszustellen, anbei
aber er sowohl zum Nachtrag des Abgangs in dem folgenden Jahr, als auch zur
künftigen unnachbleiblichen Beobachtung dieser seiner Schuldigkeit befindenden
Umständen nach mit Nachdruck anzuhalten.
[1, 5, § 3] 76. Diese Schuldigkeit lieget jedoch dem Vater
nur allein in demjenigen Fall ob, wo ihme aus Anordnung des Gesetzes der
rechtliche Nießbrauch des Kinderguts zustehet.
Wann aber dem Vater der Nießbrauch eines seinen Kindern
eigenthumlich zugewendeten Guts durch ausdrücklichen Willen Desjenigen, von
deme es an die Kinder gekommen, bis zu ihrer Vogtbarkeit oder auf Lebenszeit,
aus einer lebzeitigen oder letztwilligen Handlung verliehen worden, oder solche
ihme hieran noch ehender, als das Eigenthum an seine Kinder gediehen, schon
zugestanden wäre, in solchen Fällen ist sich nach dem Vertrag oder nach der
letztwilligen Verordnung zu achten, übrigens aber der Vater zu nichts Mehreren
verbunden, als was die gemeine Eigenschaft des Nießbrauchs mit sich bringt.
[1, 5, § 3] 77. In Fällen hingegen, wo der Vater die
alleinige Verwaltung des Kinderguts ohne dem Fruchtgenuß hat, ist er ebenso,
wie ein jedweder anderer Gerhab oder Vormund ordentliche Rechnung zu legen
schuldig, dabei aber auch befugt, zur standesmäßigen Erziehung und Erhaltung
der Kinder die Ausmessung eines jährlichen Betrags von denen Einkünften,
insoweit solche zureichen, von der Gehörde anzuverlangen.
[1, 5, § 3] 78. Die väterliche Gewalt erstrecket
sich auch auf die Handlungen der
(1-162) Kinder, welche, solange sie unter derselben stehen,
keinerlei Handlung fähig sind, worzu freie Schalt- und Waltung nebst
Unabhängigkeit des Willens erforderet wird.
[1, 5, § 3] 79. Also können Dieselbe keinen letzten Willen
errichten, ihr Vermögen weder veräußern, noch beschweren und keine wie immer
Namen habende, rechtsbündige Bedinge, Verträge und Vergleiche mit Anderen
eingehen, es gereicheten dann diese letztere ihnen zum Nutzen und Vortheil oder
der Vater hätte darin gewilliget.
[1, 5, § 3] 80. Ueberhaupt ist denen unter väterlicher
Gewalt stehenden Kindern nicht gestattet, was denen Waisen nicht zugelassen
ist; weswegen dann auch Dasjenige, was von denen Waisen in dem gleich
nachfolgendem Capitel geordnet wird, nicht weniger auf die unter väterlicher
Gewalt stehende Kinder zu deuten ist.
[1, 5, § 3] 81. Nur aus jenen Handlungen der Kinder kann der
Vater Anderen verbindlich werden, oder sich Andere verbindlich machen, welche
von ihnen in Ansehung des Vaters, oder seines Guts, oder Gewerbs auf sein
Geheiß, oder mit seinem Willen mit Anderen eingegangen oder hernachmals von
ihme beangenehmet worden.
Außer deme wird derselbe hieraus nur insoweit verbindlich,
als aus der vorgegangenen Handlung etwas zu seinem Nutzen gediehen ist.
[1, 5, § 3] 82. Die Kinder hingegen werden aus dergleichen
Handlungen nicht selbst verbunden, noch weniger sind sie schuldig, über kurz
oder lang für das, wozu ihr Vater durch sie verbunden worden, aus dem Ihrigen
Genügen zu thun, außer sie wären immittelst Erben des Vaters worden.
[1, 5, § 3] 83. Von dergleichen Handlungen, woraus Anderen
durch Andere etwas erworben oder eine Verbindlichkeit zugezogen wird, und von
denen in solchen Fällen denen allseitigen Theilhaberen gebührenden
Rechtsmittel, folget das Mehrere im dritten Theil, wo von persönlichen
Verbindungen gehandelt wird.
(1-163) [1, 5, § 3] 84. Durch Gelderborgungen werden weder
die unter väterlicher Gewalt stehende Kinder, noch der Vater selbst in
mindestem verbindlich, wann nicht sein erweisliches Geheiß, Einwilligung oder
Gutheißung hinzutritt, oder nicht das Geld zum Nutzen des Vaters verwendet,
oder von ihme die Bezahlung übernommen, ganz oder bereits wissentlich oder zum
Theil geleistet worden.
[1, 5, § 3] 85. In welchem letzteren Fall nicht nur allein
das Bezahlte nicht mehr zuruckgeforderet werden kann, sondern auch der Vater,
wo er durch Abschlagszahlung ohne ausdrücklicher
Verwahrung für den Ueberrest die Schuld einmal anerkannt, nicht weniger den
Ueberrest zu bezahlen schuldig ist.
[1, 5, § 3] 86. Eben also, da ein mit Willen des Vaters sich
in der Fremde aufhaltender Sohn oder Tochter Geld erborget hätte, ist der Vater
nur Dasjenige zu bezahlen verbunden, was ein solches Kind zu seinem
gebührlichen Unterhalt und zu Bestreitung deren Reiseunkosten auszuborgen
bemüssiget gewesen.
[1, 5, § 3] 87. Zu Hause aber solle einem Kind kein
dergleichen Vorwand wider den Vater verhelfen können, sondern ihme lieget ob,
wo es einen Mangel an dem gebührenden Unterhalt erlitte, und der Vater
gleichwohlen ein Mehreres zu thun im Stande wäre, nach Anordnung dessen, was
davon oben in zweitem Capitel, §. IV vorgesehen worden, die Gehörde anzugehen,
um den Vater zur Erfüllung seiner Schuldigkeit zu vermögen.
[1, 5, § 3] 88. Mehrere Wirkungen der väterlichen Gewalt
kommen hiernach an jenen Orten besonders vor, wohin sie nach ihrem Gegenstand,
den selbe betreffen, gehörig sind, um alle unnöthige Wiederholungen zu
vermeiden.
§. IV.
[1, 5, § 4] 89. Die väterliche Gewalt höret
auf mehrerlei Art auf, als erstens mit Absterben des Vaters oder der Kinder.
Dem natürlichen Tod aber wird auch verglichen, wann Vater oder Kinder wegen
begangenen Verbrechens von der bürgerlichen Gesellschaft in dem Staat oder in
einem Land durch Urtheil und Recht ausgeschlossen werden.
[1, 5, § 4] 90. Wann dahero Vater oder Kind aus dem Staat
oder aus einem Land auf ewig verwiesen, oder an entlegene Orte zu seinem
daselbstigen immerwährenden Aufenthalt abgeschaffet, oder zu einem
lebenslänglichen Gefängniß, Festungsbau oder zu anderer Strafarbeit
verurtheilet worden, so wird der also Bestrafte eben
(1-164) andurch aller Wirkungen der väterlichen Gewalt, die
ihme zu seiner Gunst und Vortheil gereichen könnten, ganz und gar verlustig.
[1, 5, § 4] 91. Da es den Vater betroffen, verlieret
derselbe vornehmlich den Nießbrauch und die Verwaltung des Kinderguts, ohne daß
deswegen die Kinder aufhören nothwendige Erben ihres Vaters zu sein, sondern
denenselben ist sowohl durch Sicherstellung ihres Pflichttheils, als durch
Bestellung eines Vormunds in solchen Fällen vorzusehen.
[1, 5, § 4] 92. Doch werden weder Vater noch Kinder, die
solcher gestalten bestrafet werden, von der wechselweisen Erbfolge deswegen
ausgeschlossen, wann das Verbrechen nicht zugleich die Unfähigkeit zu Erbfällen
nach sich ziehet, sondern sie haben sich diesfalls des Rechts der Inwohneren
desjenigen Landes, in welchem sie sich befinden, zu erfreuen, insoweit diesen
das Wiedergeltungsrecht in Ansehung diesländiger Erbschaften nicht
entgegenstehet.
[1, 5, § 4] 93. Eine zeitliche Abschaffung oder
Landesverweisung, oder auch eine auf gewisse Jahre verhängte Gefängnißstrafe
des Vaters verhinderet nur jene Wirkungen der väterlichen Gewalt, welche sich
auf die Erziehung der Kinder, dann auf die Verwaltung und Nutznießung des
Kinderguts erstrecken, auch nur so lange, als die Strafe daueret.
[1, 5, § 4] 94. Inzwischen aber ist von der Gehörde zur
Verwaltung des Kinderguts ein zeitlicher Vormund zu bestellen, und wann der Vater
nach geendigter Strafzeit anwiederum zurückkehret, und sonst kein erhebliches
Bedenken ihme das Kindergut wieder anzuvertrauen fürwaltet, tritt derselbe in
seine vorige Rechten ein.
[1, 5, § 4] 95. Ein von Feinden gefangener verlieret die
Rechten der väterlichen Gewalt so wenig, als wie ein von Sinnen gekommener oder
sonst gebrechlich gewordener Vater; und wird in folgendem Capitel geordnet
werden, wie in solchen Fällen sowohl dem sinnlosen oder abwesenden Vater, als
denen hilflosen Kindern vorzusehen seie.
[1, 5, § 4] 96. Zweitens endiget
sich die väterliche Gewalt durch das Recht selbst,
(1-165) sobald ein Kind das vogtbare Alter erreichet, ohne daß es hierzu besonderen Entlassung aus der
Gewalt oder einer sonstigen gerichtlichen oder außergerichtlichen Handlung
bedörfe.
[1, 5, § 4] 97. Dieses vogtbare Alter, so für sich selbst
die väterliche Gewalt auflöset, sind bei Söhnen zwanzig und bei Töchtern
achtzehn vollständig erfüllte Jahre, vor welcher Zeit kein Vater befugt ist,
seine Kinder der Gewalt zu entlassen, noch sie über solche in seiner Gewalt zu
halten.
[1, 5, § 4] 98. Doch sollen derlei aus der väterlichen
Gewalt getretene Kinder nicht eben sofort ihrer eigener Willkür überlassen
sein, sondern noch fernershin bis zu erreichter Großjährigkeit, das ist, bis
nach vollständig erfüllten vierundzwanzigsten Jahr ihres Alters unter der
väterlichen Obsorge und Aufsicht verbleiben.
[1, 5, § 4] 99. Bis dahin sind die obschon vogtbaren Kinder
ohne Einwilligung des Vater keinerlei lebzeitige Handlungen mit Giltigkeit
vorzunehmen fähig, wodurch entweder ihre Person verbunden oder ihr Vermögen
veräußeret, verminderet oder auf einigerlei Weise beschweret würde, wie in
folgendem Capitel von Minderjährigen mit Mehreren geordnet wird.
[1, 5, § 4] 100. Sie können hingegen mit ihrem Vermögen nach
Gefallen letztwillig ordnen, und solle ein von ihnen errichteter letzter
Willen, wann derselbe sonst an sich nicht mangelhaft ist, allerdings giltig und
zu Recht beständig sein.
[1, 5, § 4] 101. Mit der durch die erreichte Vogtbarkeit der
Kinder aufgelösten väterlichen Gewalt höret zwar der dem Vater von dem
Kindergut bis dahin zugestandene Nießbrauch auf, nicht aber auch die Verwaltung
desselben, obschon solche von dieser Zeit an in eine andere Gestalt verwandlet,
und aus der von der väterlichen Gewalt herrührenden eine bloße
vormundschaftliche Verwaltung wird, ohne weiterem Recht des Nießbrauchs.
[1, 5, § 4] 102. Es ist dahero der Vater schuldig, sobald
ein Kind die obbestimmten Jahre der Vogtbarkeit erreichet, einen Abschnitt der
ihme bis dahin mit dem Nießbrauch zugestandenen Verwaltung des Kinderguts zu
machen, und dessen gegenwärtigen Stand getreulich anzuzeigen, welcher von der
Gehörde mit der oben gleich anfangs vorzunehmen angeordneten gerichtlichen
Beschreibung zusammengehalten, und hauptsächlich darauf gesehen werden solle,
ob währendem väterlichen
(1-166) Nießbrauch dem Kindergut etwas entgangen oder
dasselbe sonst zu Schaden gekommen, folglich was denen Kindern vom Vater zu
ersetzen seie.
[1, 5, § 4] 103. Mittlerweil aber hat der Vater als
natürlicher Vormund die Verwaltung des Kinderguts mit der Verbindlichkeit
fortzusetzen, daß er gleich einem anderen Vormund von Stund an, alle
Ertragnisse des Kinderguts zum Nutzen derselben verwenden, solche ordentlich
verrechnen, hierüber die Rechnungen alljährlich bei der Gehörde erlegen, und in
Allem sich deme gemäß betragen müsse, was in gleich nachfolgendem Capitel
überhaupt von Gerhaben oder Vormünderen geordnet wird.
[1, 5, § 4] 104. In diesem allein waltet ein Unterschied ob,
daß ein Vater in die Verehelichung seines minderjährigen Kinds für sich allein
willigen könne, wo in Gegentheil die Vormündere und Gerhaben der Minderjährigen
die Verwilligung bei der vorgesetzten Vormundschaftsgehörde anzusuchen haben,
wie es oben in drittem Capitel vorgeschrieben worden.
[1, 5, § 4] 105. Die dem Vater gebührende Vormundschaft über
seine noch minderjährige Kinder ist demselben ohne
erheblicher Ursach nicht zu benehmen. Es käme dann wider ihn eine Gefährde,
geflissentliche Benachtheiligung oder große Verwahrlosung des Kinderguts
erweislich hervor.
[1, 5, § 4] 106. Welchen Falls denen minderjährigen Kindern
ein anderer Vormund bestellet, und diesem von der Gehörde aufgetragen werden
solle, Alles, was von dem Vater bis dahin etwann vernachlässiget worden wäre,
in Richtigkeit zu bringen, und was dieser allenfalls zu ersetzen haben dörfte,
beschaffenen Umständen nach auch gerichtlich einzutreiben. Uebrigens ist mit
der Raitung des Vaters auf ganz gleiche Weise zu verfahren, wie es wegen
Bemängelung all anderer Vormundschafts-Raitungen in dem gleich hiernach
folgendem Capitel ausgemessen wird.
[1, 5, § 4] 107. Drittens wird sowohl die väterliche Gewalt,
als die väterliche Vormundschaft durch die einem Kind aus Unserer
landesfürstlichen Machtsvollkommenheit ertheilte Nachsicht des Alters
ausgelöset, wann solche nicht ausdrücklich nur auf gewisse darinnen benannte
Handlungen allein eingeschränket worden.
[1, 5, § 4] 108. Viertens höret die väterliche Gewalt durch
die mit Willen des
(1-167) Vaters, oder mit gerichtlicher Begenehmigung
erfolgte Verehelichung eines noch unvogtbaren Sohns oder Tochter der gestalten
auf, daß ein sich verheirathender Sohn bis zu erreichender Großjährigkeit unter
der Vormundschaft des Vaters verbleibe, eine verehelichte Tochter hingegen
unter die Vormundschaft ihres Manns, wann derselbe großjährig ist, verfalle,
widrigens oder so lange unter der Vormundschaft ihres Vaters verbleibe, bis daß
ihr Mann oder sie selbst die Großjährigkeit erreiche.
[1, 5, § 4] 109. Wann jedoch der Vater vor der
Großjährigkeit eines verheiratheten Kinds verstürbe, ist diesem sofort ein
anderer Vormund zu bestellen, und stehet solchen Falls dem Vater frei, ihme
einen anderen Vormund in seinem letzten Willen zu benennen.
Wo aber der bereits großjährige Ehemann einer verehelichten
Tochter welcher vorbesagter Maßen die Vormundschaft über sie gehabt, verstürbe,
fallt dieselbe, wann sie auch noch nicht vogtbaren Alters wäre, nicht mehr
unter die Gewalt, sondern lediglich unter die Vormundschaft ihres noch lebenden
Vaters zurück, und da auch dieser vor oder nach dem Tod abgegangen wäre, ist
sie bis zu ihrer Großjährigkeit anderweit zu bevormunden.
[1, 5, § 4] 110. In allen Fällen, wo die väterliche Gewalt
durch die Verehelichung eines Kinds aufgelöset wird, hat auch der väterliche
Nießbrauch des Kinderguts sein Ende, und ist von dem Tag der Heirath dessen
gesammte Ertragniß ordentlich zu verrechnen, welche jedoch ganz oder zum Theile
nach Befund und
(1-168) Ausmessung der vormundschaftlichen Gehörde dem
verheiratheten Kind zu seinem Gebrauch und Unterhaltung ausgefolget werden
solle.
[1, 5, § 4] 111. Woferne aber ein noch unvogtbares Kind sich
wider Willen des Vaters und ohne gerichtlicher Einwilligung auf dem Fall, da
dieser sich ohne rechtmäßiger Ursach weigerete, verheirathet hätte, höret die
väterliche Gewalt deswegen nicht auf, noch weniger kann dem Vater dadurch der
Nießbrauch des einem solchen Kind angehörigen Vermögens entzogen werden.
[1, 5, § 4] 112. Wegen Führung einer eigenen Haushaltung,
oder wegen aufhabender Würde, oder unter was sonst immer für einem
Vorwand kann sich kein Kind der väterlichen Gewalt entziehen.
[1, 5, § 4] 113. Doch solle denen vogtbaren Kinder, die ein
eigenes Vermögen haben, jährlich ein Theil, ihrer Einkünften, welchen jedes Mal
die Gehörde nach mehr oder minderer Bedürfniß auszumessen hat, zur freien
Schalt- und Waltung von dem Vater ausgefolget werden, damit sie zeitlich zum
vernünftigen Gebrauch ihres Vermögens angewöhnet werden.
[1, 5, § 4] 114. Gleichwie aber jene minderjährige Waisen,
welche zu einer Handlung, Kunst, Gewerb und bürgerlichen Nahrung fähig erkennet
worden, von der Nothwendigkeit einer weiteren Vormundschaft, wie es in dem
folgenden Capitel geordnet wird, entbunden sind, und mit ihrem zu dem
Nahrungstrieb ihnen eingeantworteten Vermögen frei schalten und walten,
folglich sich rechtsbeständig verbinden mögen, also ist solches allerdings auch
von denen minderjährigen Kindern zu verstehen, welchen mit des Vaters
Verwilligung oder doch dessen vorläufiger Vernehmung ihr Vermögen von der
Gehörde zu gleichem Ende eingeantwortet worden.
[1, 5, § 4] 115. Die Auflösung der väterlichen Gewalt solle
denen Kindern niemalen zu einigem Nachtheil gereichen, sondern sie bleiben nach
wie vor nothwendige Erben des Vaters, und genießen auch weiters alle übrigen
Rechten des Hausstandes.
[1, 5, § 4] 116. Wer einmal von der väterlichen Gewalt
entbunden worden, fallt niemalen unter dieselbe zuruck.
Nur bei Wahlkindern leidet solches eine Ausnahme, welche
sowohl aus der Gewalt ihres leiblichen Vaters in die Gewalt des Wahlvaters
übergehen, als auch nach dem Tod dieses letzteren, wann sie noch unvogtbar
sind, anwiederum in die Gewalt ihres leiblichen Vaters, oder da sie zu dieser
Zeit bereits vogtbaren Alters sind, in dessen Vormundschaft zurückzufallen.
(1-169) Caput VI.
Von der Vormundschaft.
Inhalt:
§. I. Von Vormundschaften überhaupt. §. II. Von
Verschiedenheit der Vormundschaften. III. Von Antretung der Vormundschaft. §.
IV. Von Verwaltung der Vormundschaft.
§. V. Von der Vormundschafts-Raitung. §. VI. Von Belohnung
der Vormünderen. §. VII. Von Beendigung der Vormundschaft. §. VIII. Von
Obsorgeren deren Ihrem Gut selbst vorzustehen unfähigen Personen.
§. I.
[1, 6, § 1] Num. 1. Die aus der väterlichen Gewalt
ausgetretenen Personen sind noch nicht bei so reifem Alter, daß sie sich selbst
zu ihrem und des gemeinen Wesens Besten zu leiten und ihren Sachen der
Erforderniß nach gebührend vorzustehen vermögen.
[1, 6, § 1] 2. Es erheischet dahero der allgemeine
Wohlstand, damit solche Personen
(1-170) durch Andere geleitet und geschützet, folglich ihnen
zu dem Ende tüchtige Vormünder und Gerhaben bestellet werden.
[1, 6, § 1] 3. Diese Beschützung heißet
eigentlich eine Vormundschaft oder Gerhabschaft und ist nichts Anderes, als
eine Macht und Gewalt Diejenigen zu beschützen, welche wegen ihrem unreifen
Alter sich selbst und ihren Gütern nicht vorstehen können.
[1, 6, § 1] 4. Die Personen, welchen diese Macht zukommt,
werden Vormündere, Gerhaben, Pflegeväter, Pflegevögte, Treuhaltere, ihre
Pflegebefohlene aber Unvogtbare, Minderjährige, und Jene, welche vaterlos sind,
insoweit Waisen und Mündlein benamset.
[1, 6, § 1] 5. Dann nicht nur in der ersten Jugend haben
Waisen für ihre Person und zu Erhaltung ihres Vermögens einen solchen Schutz
nöthig, sondern es erforderet auch der gemeinwesige Wohlstand, daß die Freiheit
junger Leuten, besonders in Ansehung der eigenmächtigen Schalt- und Waltung mit
ihrem Gut bis zu einem gewissen Alter beschränket bleibe, in welchem die
Kräften der Vernunft schon reif genug sind, dem Ihrigen selbst vorzustehen.
[1, 6, § 1] 6. Die Jugendjahre werden in viererlei Alter
abgetheilet, als in die Kindheit, Unmündigkeit, Unvogtbarkeit und
Minderjährigkeit.
[1, 6, § 1] 7. Die Kindheit reichet
bis zum Ende des siebenten und die Unmündigkeit bis zum Ende des funfzehnten
Jahrs.
Die Unvogtbarkeit hingegen erstrecket
sich bei Mannspersonen bis nach gänzlich erfülltem zwanzigstem und bei
Weibsperson bis nach völlig zurückgelegtem achtzehntem Jahr, bis dahin Niemand
für vogtbar gehalten werden solle.
[1, 6, § 1] 8. Mit Eintritt einer Mannsperson in das
einundzwanzigste Jahr und mit Eintritt einer Weibsperson in das neunzehnte Jahr
ihres Alters nimmt die Minderjährigkeit ihren Anfang, und währet ohne
Unterschied des Geschlechts oder Standes bis zu dem gänzlich vollbrachtem
vierundzwanzigstem Jahr.
[1, 6, § 1] 9. Mit dessen vollständiger Erfüllung wird jenes
Alter erreichet, welches die Großjährigkeit genennet wird, und nach erfolgter
gerichtlicher Großjährigkeitserklärung nicht nur der Vormundschaft ein Ende
macht, sondern auch dem großjährig Erklärtem die Fähigkeit zu allen in
bürgerlicher Gesellschaft vorfallenden Handlungen giebt.
[1, 6, § 1] 10. Großjährigen werden dahero niemalen
Vormündere gesetzet, sondern, wo selbe wegen Gemüths- oder Leibesgebrechen oder
anderer rechtlicher Hindernissen ihrem Gut selbst vorzustehen nicht fähig sind,
ihren Sachen und Rechten durch bestellte Obsorgere vorgesehen, deren
Amtsbefugnisse und Verbindlchkeiten jedoch mit jenen der Vormünderen fast
durchaus übereinkommen.
[1, 6, § 1] 11. Es wird solchemnach in gegenwärtigem Capitel
von Vormündern zuerst, sodann aber auch von Obsorgeren deren ihrem Gut selbst
vorzustehen unfähigen Personen gehandelt.
§. II.
[1, 6, § 2] 12. Der höchste Schutz und die oberste Vormundschaft
über alle Waisen in Unseren Staaten ruhet bei Uns allein, dessen diese
mittelbar durch die nachgeordneten Gerichte und Obrigkeiten, unmittelbar aber
durch die gerichtlich bestellte oder bestätigte Vormündere theilhaftig werden.
(1-171) [1, 6, § 2] 13. Bestätiget werden die in letztem
Willen benannte Vormündere, dann die von denen Gesetzen zur Vormundschaft
berufene nächste Blutsverwandte. In Ermanglung dieser ersten und anderten
Gattung aber werden von richterlichen Amts wegen Vormündere bestellet und
gesetzet. Doch muß sowohl die Bestätigung als die Bestellung der Vormünderen
allemal von jenem Gericht geschehen, zu welchem der Wais mit seiner Person oder
mit seinen Gütern gehöret.
[1, 6, § 2] 14. Es sind also drei Gattungen der
Vormundschaften, als:
Erstens, die durch letzten Willen geordnete Vormundschaft.
Zweitens, die Vormundschaft der nächsten Blutsverwandten.
Drittens, die durch die Obrigkeit verordnete Vormundschaft.
[1, 6, § 2] 15. In dem letzten Willen können entweder der
Person der Waisen und
(1-172) ihrem gesammten Vermögen, ohne Unterschied, woher
dasselbe rühre, oder nur in Ansehung eines gewissen denen Waisen verschafften
Guts Vormündere bestellet werden.
[1, 6, § 2] 16. Die Befugniß, der Person der Waisen und
ihrem wo immer herrührendem gesammten Vermögen Vormündere zu geben, ist ein
vorzügliches Recht und Wirkung der väterlichen Gewalt, so niemandem Anderem
gebühret, der die väterliche Gewalt nicht hat.
[1, 6, § 2] 17. Wir wollen aber dieses Recht dem Vater noch
weiters auch über seine minderjährige Kinder, obschon durch deren erreichte
Vogtbarkeit die väterliche Gewalt erloschen, aus besonderer Rücksicht für das
denen Kindern nicht anderst, als ersprießlich fallen mögende Urtheil eines auf
ihren Wohlstand bedachten Vaters belassen, und solle sich demnach die Macht
deren von dem Vater in seinem letzten Willen geordneten Vormünderen sowohl auf
die Person der Waisen, als auf alles nicht allein von dem Vater, sondern auch
von anderwärts herkommendes Vermögen erstrecken, wann über dieses letztere nicht etwann schon ein anderer Vormund
insonderheit bestellet ist.
[1, 6, § 2] 18. Dieses Recht hat der Vater auch damals,
wanngleich derselbe rechtmäßige Ursach hätte, eines von seinen Kindern, welches
die Großjährigkeit noch nicht erreichet hätte, von der Erbschaft auszuschließen
und zu enterben, deme er nichtsdestoweniger in Ansehung der Person und des
anderwärtigen Vermögens einen Vormund bestellen kann.
[1, 6, § 2] 19. In Gegentheil stehet weder der Mutter, noch
auch denen Großeltern und weiteren Aufsteigenden die Befugniß zu, denen Waisen
auf eine andere Art, als bloß allein in Ansehung des denenselben in dem letzten
Willen von ihnen zugewendeten Guts Vormündere zu benennen.
[1, 6, § 2] 20. Diese alle werden aus Mangel der väterlichen
Gewalt fremden Erblasseren gleichgeachtet, welchen die letzwillige Bestellung
der Vormünderen nicht weiter zugelassen ist, als über das denen Waisen oder
Jemands noch minderjährigen Kindern von ihnen durch letzten Willen zugewendete
Gut, als worauf allein und nicht weiter sich eine solche von ihnen angeordnete
Vormundschaft zu erstrecken hat.
[1, 6, § 2] 21. Es seie dann, daß von der Gehörde, worunter
die Waisen stehen, denenselben vorträglicher zu sein befunden würde, dem von
einem Dritten letztwillig geordneten Vormund auch die Person der Waisen und ihr
übriges Vermögen anzuvertrauen,
(1-173) wann solches ohne Benachtheiligung eines Dritten,
der hierzu ein näheres Recht hätte, geschehen kann.
[1, 6, § 2] 22. Diese auch Anderen außer dem Vater
zustehende Macht in letztem Willen Vormündere anzuordnen gehet aber nicht
weiter, als nur auf das, was denen Waisen in letztem Willen zugewendet, und
nicht auch auf Jenes, was denenselben von ihnen bei Lebzeiten geschenket
worden, wann sich dabei die Benennung eines Vormunds nicht ausdrücklich
vorbehalten oder gleich zur Zeit, als die Schankung geschehen, dieser nicht
schon mit benennet worden, welchen Falls die solcher gestalten geordnete
Vormundschaft die Natur eines der Schankung beigesetzten Bedinges hat.
[1, 6, § 2] 23. Die Bestellung deren Vormünderen hat in
jeder letztwilliger Verordnung statt, wann diese nur in ihrer Art und an sich
selbst nach Unseren Gesetzen zu recht bestehet.
[1, 6, § 2] 24. Und kann nicht nur einer, sondern auch
mehrere Vormündere entweder zugleich, oder andere nach anderen, falls sie
ersteren nicht zur Vormundschaft gelangeten, bestellet, wie auch die
Vormundschaft selbst unter mehrere vertheilet, nicht weniger eine gewisse Zeit
oder Bedingniß beigefüget, und sowohl Jemandem nach Erfüllung der Bedingniß
oder nach Erreichung einer gewissen Zeit die Vormundschaft aufgetragen, als
nach Ausgang derselben oder in Ermangelung der Bedingniß solche anwiederum
benommen werden
[1, 6, § 2] 25. In dem ersteren Fall, so lange noch
anzuhoffen ist, dass die Anordnung des Erblassers in Erfüllung gehen könne,
liegt die mittlerweilige Versorgung der Waisen der ordentlichen Gehörde ob.
In dem letzteren Fall aber, wo die von dem Erblasser
bestellte Vormundschaft völlig aufhöret, gebühret
solche denen nächsten Anverwandten.
[1, 6, § 2] 26. Ueber das hat die von dem Vater letztwillig
geordnete Vormundschaft noch dieses Besondere, daß selbe allemal günstig
auszudeuten seie, also zwar, daß sich solche auch auf jene Kinder erstrecke,
die nach seinem Tod geboren werden, obschon bei Bestellung der Vormundschaft
deren keine ausdrückliche Meldung geschehen wäre.
[1, 6, § 2] 27. Nicht weniger ist der von dem Vater einem
seiner Kinder bestellte Vormund auch aller übrigen und der denen Söhnen
bestellte auch deren Töchtern Vormund, wann wegen deren nicht mitbenannten von
ihme keine anderweite ausdrückliche Vorsehung gemacht worden.
[1, 6, § 2] 28. Eben also wird der von dem Vater der Person
seiner hinterlassener Kinder gegebene Vormund auch in Ansehung des Vermögens
für bestellet geachtet, und dagegen, gleichwie dann auch die väterliche
Bestellung der Vormundschaft über einen Theil des Vermögens sich auf das ganze
Vermögen erstrecket, wann die Waisen in dessen Ansehung nicht schon anderweit
bevormundet sind.
[1, 6, § 2] 29. Alle letztwillig bestellte Vormündere müssen
ohne Unterschied, ob sie von dem Vater oder anderen Erblasseren benennet
worden, vor Antretung der Vormundschaft gerichtlich bestätiget werden, obschon
die letztwillige Benennung so viel wirket, daß die Gehörde von der Auswahl des
Erblassers ohne erheblicher Ursach nicht abzugehen hat.
[1, 6, § 2] 30. Dann aus der letztwilligen Anordnung
erwachset dem darinnen benannten Vormund ein Recht zur Vormundschaft, welches
ihme, wann er hierzu tauglich ist, nicht entzogen werden kann.
Gegentheils aber entspringet auch seinerseits daraus die
Verbindlichkeit, daß er ohne rechtmäßiger
Entschuldigungsursache sich derselben nicht entschlagen mag.
[1, 6, § 2] 31. Würde er sich aber weigeren die
Vormundschaft anzunehmen, und wäre von dem Erblasser in dem letzten Willen mit
einer Vermächtniß bedacht worden, so solle er auch dieser ihme zugedachten
Wohlthat verlustiget sein, und die rechtliche
(1-174) Vermuthung allemal fürwalten, daß ihme solche in
Ansehung der aufgetragenen Vormundschaft verschaffet worden.
[1, 6, § 2] 32. Er könne dann beweisen, daß der Erblasser
dabei auf die Annehmung der Vormundschaft keine Rücksicht getragen habe, oder
daß die Erfüllung der letztwilligen Anordnung nicht an ihme erliege, als da er
ohne seiner Schuld durch rechtliche Ehehaften davon abgehalten, oder von der
Gehörde aus erheblichen Ursachen, ohne daß ihn sein Verbrechen hierzu
untauglich mache, nicht zugelassen würde.
[1, 6, § 2] 33. In welchen beiden Fällen ihme sein Recht zur
Vermächtniß jegleichwohlen bevorstehet, woferne nicht von dem Erblasser die
Führung der Vormundschaft zur ausdrücklichen Bedingniß erforderet worden,
welche eben andurch, daß er nicht zur Vormundschaft gelange, gänzlich
ermanglet.
[1, 6, § 2] 34. Wann aber die letztwillig angeordnete Vormundschaft
nach gerichtlicher Bestätigung angetreten worden, so ist dieselbe von solcher
Kraft, daß insolange sie fürwähret, die nächsten Anverwandten kein Recht zur
Vormundschaft haben, noch von ihnen dem letztwillig benannten Vormund ein
Eintrag oder Hinderniß geschehen könne.
[1, 6, § 2] 35. Wovon jedoch der alleinige Fall ausgenommen
wird, wann von dem
(1-175) Vater, Mutter oder weiteren Aufsteigenden mehreren
Waisen ein Vormund in dem letzten Willen bestellet, und ein Bruder vor dem
anderen noch minderjährigen Geschwister die Großjährigkeit erreichen würde,
deme sodann auf Begehren der letztwillig bestellte Vormund die Vormundschaft
über sein noch minderjähriges Geschwister abzutreten schuldig ist.
[1, 6, § 2] 36. Es wären ihme dann erhebliche Bedenken entgegen,
oder von dem Erblasser ausdrücklich verordnet worden, daß bis zur
Großjährigkeit aller Waisen der von ihme benannte Vormund bleiben solle.
[1, 6, § 2] 37. Wann durch letzten Willen kein Vormund
benennet worden, oder auch der letztwillig benannte, entweder weilen der der
letzte Willen ganz und gar ungiltig, oder der benannte untauglich ist, oder
sich aus rechtmäßiger Ursache entschuldiget, oder vor dem Erblasser verstorben,
zur Vormundschaft nicht gelanget, oder endlich die letztwillig geordnete Vormundschaft
nachhero gänzlich aufhöret, so werden die nächsten Blutsverwandten der Waisen
hiermit durch dieses Unser Gesatz zur Vormundschaft berufen.
[1, 6, § 2] 38. Hieraus erwachset denenselben ein Recht zur
Vormundschaft, welches nicht allein in der Befugniß bestehet solche, wann sie
wollen, anzusuchen, sondern auch mit der Nothwendigkeit verknüpfet ist, daß sie
die ihnen von der Gehörde aufgetragene Vormundschaft in Ermanglung
rechtserheblicher Entschuldigungsursachen unweigerlich annehmen müssen.
[1, 6, § 2] 39. Sowohl dieses Recht die Vormundschaft
anzuverlangen, als die Verbindlichkeit die aufgetragene auf sich zu nehmen,
trifft allemal den nächsten Blutsverwandten des Waisen, also daß, wer dem
Waisen nach dem Geblüt der Nächste ist, auch der Nächste zur Vormundschaft
seie.
[1, 6, § 2] 40. Es seie nun, daß mehrere Blutsverwandte sich
um die Vormundschaft anmelden, oder daß die Gehörde selbst einem aus mehreren
Blutsverwandten die Vormundschaft aufzutragen befinde; so solle allzeit darauf
gesehen werden, damit der Nächste nicht vorbeigegangen, sondern ihme vor denen
Weiteren die Vormundschaft
(1-176) aufgetragen werde, wann derselbe sonst darzu
tauglich ist, und keine rechtmäßige Ursache zur Entschuldigung hat.
Widrigens ist der nächst nach ihme kommende
taugliche Verwandte vorzuziehen.
[1, 6, § 2] 41. Für den Nächsten aber wird Jener geachtet,
der von denen, die sich um die Vormundschaft angemeldet, oder von denen, die
dem Gericht bekannt sind, dem Waisen zum nächsten verwandt ist, obschon der
Wais noch nähere zur Vormundschaft taugliche Verwandten hätte, die aber sich
entweder nicht gemeldet oder der Vormundschaftsgehörde nicht bekannt sind.
[1, 6, § 2] 42. Doch solle die Gehörde, worunter die Waisen
stehen, die Anmeldung der Anverwandten zur Vormundschaft nicht über die ersten
vierzehn Tage von Zeit, als der Bevormundungsfall dem Gericht bekannt worden,
abwarten, sondern nach deren Verlauf, wann sich kein tauglicher Verwandter
angemeldet, oder der sich Anmeldende seine Verwandtschaft mit dem Waisen nicht
rechtserforderlich dargethan hätte, von amtswegen fürschreiten und
vorsichtsweise dem nächsten tauglich befindenden Blutsfreund, welcher in
Erfahrniß gebracht wird, oder in dessen Ermanglung auch einem Fremden die
Vormundschaft auftragen.
[1, 6, § 2] 43. Ohnerachtet aber des einem weiteren
Anverwandten oder auch einem Fremden geschehenen Auftrags soll
nichtsdestoweniger dem nächsten tauglichen Blutsverwandten, wann er sich
nachher anmeldet, weder sein Recht zur Vormundschaft benommen, noch auch in dem
Fall, da er in Erfahrniß gebracht und das Gericht ihme die Vormundschaft auch
ohne seinem freiwilligen Anerbieten zu übertragen befinden würde, derselbe von
der Schuldigkeit solche anzunehmen entbunden sein.
[1, 6, § 2] 44. Zu diesem Ende verstatten Wir in dem Fall,
wo die Vormundschaft einem weiteren Anverwandten aufgetragen worden, dem
näheren, und in jenem Fall, wo der Auftrag einem Fremden geschehen, allen
Blutsverwandten der Waisen annoch Jahr und Tag von Zeit des dem Anderen
geschehenen Auftrags zur freiwilligen Anmeldung.
[1, 6, § 2] 45. Dahingegen solle auch der
Vormundschaftsgehörde bevorstehen, sowohl binnen dieser anberaumten Frist von
Jahr und Tag, als nach Verlauf derselben zu allen Zeiten, wann sie es zum
Besten der Waisen zu gereichen findet, dem in Erfahrniß bringenden näheren
tauglichen Blutsverwandten die Vormundschaft von amtswegen aufzutragen und den
inzwischen vorsichtsweise bestellten Vormund zu entledigen
[1, 6, § 2] 46. Gleichwie dann auch diesem unbenommen ist,
solchen Falls um seine Entlassung von der Vormundschaft anzuhalten, obschon
derselbe währenden Jahrgangs dem Anderem, dieser möge sich hierum selbst
angemeldet haben oder ihme solche von amtswegen übertragen worden sein, die von
ihme bereits angetretene Vormundschaft abzutreten, ohne erheblicher Ursache
nicht gezwungen werden kann.
[1, 6, § 2] 47. Wann jedoch der abtretende und angehende
Vormund damit zufrieden oder die Vormundschaftsgeschäften noch in ihrer Gänze
sind, oder das Beste der Waisen die Aenderung der Vormundschaft nicht zu
verschieben erforderet, so kann nach vernünftigen richterlichen Ermessen auch
in der Zwischenzeit darzu geschritten werden.
[1, 6, § 2] 48. Wobei aber sowohl die aus Verwaltung der
Vormundschaft gegen den Waisen erwachsende Verbindlichkeit, als die vormundschaftliche
Belohnung (von deren einer, wie der anderen die weitere Ausmessung in denen
nachstehenden §§. folgen wird) zwischen dem ab- und antretenden Vormund nach
Maß der Zeit also vertheilet wird, damit weder einer noch der andere Theil über
die Gebühr beschweret oder verkürzet werde.
[1, 6, § 2] 49. Nach Verlauf Jahr und Tags hingegen
erlöschet das Recht des nächsten Blutsverwandten die Vormundschaft anzusuchen,
und kann nach dieser Zeit weder
(1-177) ein weiterer Befreundter von dem näheren, noch auch
ein fremder Vormund von einem später hervorkommenden Blutsverwandten wider
Willen verdrungen werden.
[1, 6, § 2] 50. Es könne dann der sich später anmeldende
Blutsverwandte erweisen, daß er sich ehender zu melden durch rechtmäßige
Ehehaften, wegen welcher sonst nach Anordnung Unserer Gesetzen keine Verjährung
laufen kann, verhinderet gewesen seie.
[1, 6, § 2] 51. Der Obrigkeit aber bleibt vorbesagter Maßen
allemal vorbehalten auch nach dieser Zeit, wann es denen Waisen ersprießlich zu
sein befunden wird, dem hernach in Erfahrung bringenden tauglichen
Blutsverwandten die Vormundschaft zu übertragen, von deren Annehmung derselbe
sich nicht anderst, als auch einer deren hiernach erklärenden rechtmäßigen
Ursachen entschuldigen kann.
[1, 6, § 2] 52. Aus der alleinigen Ursache hingegen, daß er
nicht der Nächste seie, kann sich derselbe der Vormundschaft nicht entziehen,
es seie dann, daß er auf der Stelle einen näheren, nicht weniger tauglichen und
keine Entschuldigung habenden Blutsverwandten anzuzeigen vermöge, gleichwie er
dann auch von der schon angetretenen Vormundschaft entbunden werden kann, wann
immer ein solcher Näherer gefunden wird.
[1, 6, § 2] 53. Wann jedoch die vorgebrachte
Entschuldigungsursachen von Gericht verworfen oder die angezeigte nähere Blutsverwandte
untauglich befunden werden, oder rechtmäßige Entschuldigungsursachen haben, so
ist eine solche Ausflucht für keine verfängliche Weigerung zu achten, welche
sie von Unseren Gesetzen hierauf ausgesetzte Ahndung nach sich zieht, woferne
nur sodann dem gerichtlichen Auftrag gleichwohlen Folge geleistet wird.
[1, 6, § 2] 54. Sondern damals ist es eine wahre Weigerung
und Verschmähung der Vormundschaft, wann derjenige Blutsverwandte, deme der
Auftrag geschehen, in der anberaumten Frist keine Entschuldigung einbringt,
oder nachdeme sie verworfen worden und die gerichtliche Erkanntniß in
Rechtskräften erwachsen ist, dennoch die Vormundschaft nicht annimmt.
[1, 6, § 2] 55. In diesem Fall wird der die ihme
aufgetragene Vormundschaft ohne rechtmäßiger Entschuldigungsursache anzunehmen
sich weigernde Blutsverwandte der nach dem in der Unvogtbarkeit versterbenden
Waisen entweder nach der rechtlichen Ordnung oder aus vertraulicher
Erbsnachberufung zu gewarten habenden Erbfolge zur Strafe verlustig.
[1, 6, § 2] 56. Dieser Strafe unterliegen nicht allein die
nächsten, sondern auch die weiteren Blutsverwandten, welche dem ihnen in Abgang
näherer tauglicher Befreundten geschehenen gerichtlichen Auftrag ohne
rechtmäßiger Entschuldigungsursache kein Genügen leisten, wann sich der Fall
ereignete, daß die Erbschaft des Waisen gleichwohlen an sie zu gelangen hätte.
[1, 6, § 2] 57. Nebstdeme verlieret ein solcher sich
unbillig weigerender Verwandter nicht allein die Vermächtnissen, welche ihme
etwann von des Waisen Vater, Mutter oder anderen Aufsteigenden und Befreundten,
oder auch fremden Erblasseren verschaffet worden annoch aus des Waisen Gut zu
entrichten sind, sondern auch überhaupt allen von des Waisen Gut, es seie bei
dessen Lebzeiten oder nach dessen Tod, aus einer gewinnstigen Ursache ihme
zukommenden Nutzen und Vortheil.
[1, 6, § 2] 58. Diesemnach gehet der Erbanfall nach dem in
der Unvogtbarkeit versterbenden Waisen auf jene, obschon weitere
Blutsverwandte, welche sich die Verschmähung der Vormundschaft nicht zu Schulden
kommen lassen, oder zur Zeit der Bevormundung entweder noch minderjährig oder
abwesend, aber sonst nach diesem Unserem Gesatz zur Vormundschaft unfähig
gewesen, oder eine hinlängliche Entschuldigungsursache beigebracht haben, und
da deren keine in denen zur Erbfolge ausgesetzten Staffeln vorhanden wären, ist
die Erbschaft als ein erbloses Gut Unserer Kammer verfallen.
[1, 6, § 2] 59. Die Vermächtnissen hingegen und andere dem
sich unbillig weigerendem
(1-178) Verwandten aus des Waisen Gut zuzukommen habende
Vortheile bleiben dem Waisen oder gehen auf Denjenigen, welcher etwann von dem
Erblasser darzu eigens nachberufen worden.
[1, 6, § 2] 60. Doch erstrecket sich die Ausschließung von
der Erbfolge nicht über die Person dessen, welcher die Vormundschaft
verschmähet hat, sondern das Recht zur Erbfolge nach dem Waisen bleibet seinen
Kindern, wann sie sonst in der Ordnung der Verwandtschaft die nächsten darzu
sind, noch allzeit bevor.
[1, 6, § 2] 61. Obschon der Vater von deme, was seinen
Kindern aus der dem Waisen, wessen Vormundschaft derselbe verschmähet hat,
angefallenen, oder nach diesem auf sie gediehenen Erbschaft zugekommen, den
ihme sonst gebührenden Fruchtgenuß verlieret, und dieser, so wie das Eigenthum
denen Kindern allein mit Ausschließung des Vaters verbleibet.
[1, 6, § 2] 62. Ohnerachtet aber des Verlusts der Erbfolge
und anderer aus des Waisen Gut herrührender Vortheilen bleiben die Verwandten
nichtsdestoweniger zur Annehmung der Vormundschaft verbunden, und sind nicht
allein für allem dem Waisen entstehen mögenden Schaden von Zeit ihrer bezeigten
Widerspänstigkeit verfänglich, sondern sie können auch auf Befund der Gehörde
mit gerichtlichen Zwangsmitteln zur Annehmung der Vormundschaft angehalten
werden, ohne daß sie das verlorene Erbrecht und andere Vortheile wieder
erlangen, wann sie die Vormundschaft endlich gleichwohlen anzunehmen gezwungen
werden.
[1, 6, § 2] 63. Wir wollen jedoch nur allein die
Blutsverwandten männlichen
(1-179) Geschlechts, und zwar alle männliche Aufsteigende,
sowohl von Vaters als Mutter Seiten, welche wegen Gebrechlichkeit des Alters
hierzu nicht unfähig sind, die
(1-180) männlichen Seitenverwandten aber bis in den zehenten
Grad oder Staffel durch dieses Unser Gesatz zur Vormundschaft berufen,
dahingegen hinfüro davon alle Weibspersonen mit alleiniger Ausnahm der Mutter
und der Groß- und Ur-Großmütter, wann sie auch denen Waisen zunächst verwandt
wären, und in der Erbfolge denen männlichen vorgingen, ausgeschlossen haben.
[1, 6, § 2] 64. Nach Absterben des Vaters, welcher nach
Maßgab dessen, was davon in gleich vorhergehendem Capitel geordnet ist, in
Ansehung des seinen Kindern von anderwärts zukommenden Guts allemal ihr
natürlicher Vormund ist, insoferne von dem Erblasser deshalben keine andere
Vorsehung geschehen, hat die Mutter über ihre Kinder vor allen weiteren
Aufsteigenden und Seitenverwandten das nächste Recht zur Vormundschaft, wann
sie bereits großjährig ist, und die Vormundschaft auf sich zu nehmen verlanget,
wie auch die hiernach vorgeschriebene Erfordernissen zu leisten im Stande ist.
[1, 6, § 2] 65. Und soferne, entweder weilen sie damals noch
minderjährig ware, oder sich darum in der Zeit nicht gemeldet, ein anderer
Vormund vorsichtsweise bestellet worden, solle derselbe ihr nach erreichter
Großjährigkeit, oder, da sie schon vorhin großjährig gewesen, wann sie sich
binnen Jahr und Tag von Zeit der Bevormundung anmeldet, die Vormundschaft auf
ihr Verlangen mit dem nächstjährigen Rechnungsabschluß abzutreten schuldig
sein.
[1, 6, § 2] 66. Wider Willen aber kann die Mutter zur
Vormundschaft nicht gezwungen werden, noch ist dieselbe verbunden, solche bei
Verlust der Erbfolge und anderer aus dem Waisengut zu gewarten habender
Vortheilen auf sich zu nehmen, sondern die Ausschlagung des gerichtlichen
Auftrags kann ihr zu keinem Nachtheil gereichen.
[1, 6, § 2] 67. Sie hat dahero nur das Recht, wann sie will,
die Vormundschaft über ihre Kinder anzubegehren, nicht aber die
Verbindlichkeit, solche wider Willen auf sich zu nehmen.
Allein auch dieses Recht erlöschet
durch das Gesatz selbst, wann sie zur Zeit der anverlangenden Vormundschaft
sich nicht in dem Wittibstand befindet, sondern wieder verheirathet ist.
[1, 6, § 2] 68. In diesem Fall kann selbe die Vormundschaft
nicht anderst, als mit Unserer höchsten Verwilligung erlangen, und ist der neue
Ehemann nebst ihr das Waisengut nach Erforderniß zu verbürgen schuldig.
[1, 6, § 2] 69. Wo sie aber im Wittibstand die Vormundschaft
erhalten, und nachher zur neuen Ehe schritte, so solle die Vormundschaft
sogleich erloschen und sie verbunden sein, solche sofort abzulegen, die
Rechnungen bis dahin einzubringen, das Waisengut dem nach ihr zu bestellendem
Vormund zu übergeben und der obgehabten Verwaltung halber in Allem die
Richtigkeit zu pflegen.
[1, 6, § 2] 70. Würde sie sich hierinnen saumig bezeigen, so
solle dieselbe hierzu durch die Gehörde unnachsichtlich angehalten werden, und
sowohl sie, als ihr neuer Ehemann für allen aus ihrer bis dahin geführten
Verwaltung und ferner
(1-181) angemaßten Führung der Vormundschaft denen Waisen
entstehenden Schaden sammt und sonders verfänglich sein.
Es wäre dann, daß vor oder nach ihrer Verehelichung Unsere
höchste Verwilligung von ihr zu Fortführung der Vormundschaft geziemend
angesuchet worden wäre, und Wir beschaffenen Umständen nach ihrer Bitte zu
willfahren befinden würden, in welchem Fall derselben zwar die Vormundschaft,
jedoch nicht anderst, als daß der neue Ehemann das Waisengut nebst ihr,
insoweit die Sicherheit von derselben nicht geleistet werden kann, verbürge,
beigelassen werden solle.
[1, 6, § 2] 72. Wir gestatten aber auch weiters, daß, wo die
Mittellosigkeit der Waisen erheischete, ihrer besseren Erziehung und Ernährung
halber die Vormundschaft der Mutter ohnerachtet ihrer anderweiten Verehelichung
anzuvertrauen, oder ferner beizulassen, die Vormundschaftsgehörde den
Nothdurftsfall ermessen und diesfalls ohne Unserer vorläufig anzusuchen
habender Verwilligung Dasjenige, was sie denen Waisen zum vorträglichsten zu
sein befindet, vorkehren möge.
[1, 6, § 2] 73. Nicht allein die Wiederverehelichung der
Mutter, sondern auch ihre kundbare Abneigung gegen die Kinder,
Leichtsinnigkeit, Unwirthschaft und Verschwendung sind zulängliche Ursachen,
sie von der Vormundschaft auszuschließen, oder, da sie solche bereits erhalten
hätte, ihr selbe nach Umständen wieder zu benehmen, worauf die Gehörde von
amtswegen sorgfältig obacht zu tragen hat.
[1, 6, § 2] 74. Auf daß jedoch wegen guter Gebarung mit dem
Waisengut alle nur mögliche Sicherheit erreichet werde, solle einer zur
Vormundschaft gelangenden Mutter allemal ein Mitvormund zugegeben werden,
dessen Stelle, wann er mit Tod oder auf andere Weise von der Mitvormundschaft
abgehet, jedes Mal wieder zu ersetzen ist.
[1, 6, § 2] 75. Diesen Mitvormund kann zwar dieselbe bei
ansuchender Vormundschaft namhaft machen, und sich dessen Beigebung ausbitten.
Doch bleibet der Vormundschaftsgehörde bevor, ihr mit Beigebung des erbetenen
zu willfahren, oder aber die Mitvormundschaft einem Anderen, und zwar nach
Thunlichkeit Jemandem von der Verwandtschaft der Waisen aufzutragen.
[1, 6, § 2] 76. Der Mitvormund ist schuldig, der Mutter
nicht nur auf Ersuchen getreulich beizustehen, sondern auch selbst an Hand zu
geben, was zu guter Erziehung und Anleitung der Waisen, wie auch zu nutzlicher
Verwaltung und Aufnahm ihres Vermögens gereichen kann.
[1, 6, § 2] 77. Nicht weniger lieget demselben ob, die
Vorkehrungen der Mutter sowohl in Ansehung der Person als des Vermögens der
Waisen mit Unständigkeit zu beobachten und die verspürende Gebrechen der
Vormundschaftsgehörde zur Abhilfe und Verbesserung anzuzeigen.
[1, 6, § 2] 78. Uebrigens ist und bleibt die Mutter die
wahre und Hauptvormünderin, und hat allein die vormundschaftliche
Erfordernissen zu leisten, das Waisengut zu verwalten und die Raitungen zu
legen, wie auch die vormundschaftliche Belohnung zu genießen.
[1, 6, § 2] 79. Nur allein in jenen Waisengeschäften,
worinnen die Bewilligung oder Bestätigung der Vormundschaftsgehörde zur
Giltigkeit der vorhabenden Handlung nöthig ist, solle diese anderer Gestalt
nicht ertheilet werden, als wann nebst der Mutter auch der Mitvormund solche
angesuchet hat, oder derselbe über das einseitige Anbringen der Mutter vorhero
der Ordnung nach besonders vernommen und die von beiden Theilen angeführte
Ursachen gegen einander wohl erwogen worden.
[1, 6, § 2] 80. In anderen Waisengeschäften aber, welche
keiner gerichtlichen Bewilligung oder Bestätigung bedürfen, ist zwar die Mutter
an die Beiziehung und Beistimmung des Mitvormunds nicht gebunden, doch ist
derselbe schuldig, falls er wahrnehmen würde, daß aus Beiseitsetzung seines
Raths und Beistands die
(1-182) Waisen zu Schaden kämen, solches in der Zeit der
Vormundschaftsgehörde beizubringen.
[1, 6, § 2] 81. Dahingegen ist er auch der
vormundschaftlichen Geschäften halber nicht weiter verfänglich, als inwieweit
ihme wegen versagten Beistands oder üblen Raths, oder wegen nicht zeitlich
gethaner Anzeige deren ihme wohl bekannt gewesten Vormundschaftsgebrechen eine
Gefährde oder Schuld beigemessen werden kann.
[1, 6, § 2] 82. Es seie dann, daß ihme entweder mit Willen
der Mutter oder von Gericht aus die Verwaltung der Vormundschaft ganz oder zum
Theil aufgetragen worden wäre, in welchem Fall derselbe die nämliche
Verbindlichkeit, wie ein anderer Hauptvormund in Ansehung desjenigen Guts, was
von ihme verwaltet worden auf sich hat.
Gleichwie dann auch in diesem Fall die vormundschaftliche
Belohnung zwischen der Mutter und ihme nach billigmäßigen Befunde der Gehörde
vertheilet werden solle.
[1, 6, § 2] 83. Nach der Mutter hat der väterliche und nach
ihme der mütterliche Ahnherr oder Großvater das Recht der Vormundschaft nebst
der Schuldigkeit dieselbe anzunehmen.
[1, 6, § 2] 84. Wann aber deren keiner vorhanden oder
tauglich wäre, solle es der väterlichen und nach ihr der mütterlichen Ahnfrauen
oder Großmutter gestattet sein, die Vormundschaft über ihre verwaiste, noch
minderjährige Enkeln vor denen weiteren Aufsteigenden und Seitenverwandten zu
begehren, ohne daß sie jedoch wider ihren Willen damit beladen werden können,
sondern es ist nicht weniger in Ansehung ihrer all Jenes zu beobachten, was
hier oben von der mütterlichen Vormundschaft geordnet worden.
[1, 6, § 2] 85. In Ermanglung der Großeltern gehet die
Vormundschaft auf die Urgroßeltern, wann sie noch am Leben und Alters halber
hierzu nicht untauglich sind, auf gleiche Weise, daß zuerst der Vater des
väterlichen Ahnherrn, nach ihme der Vater der väterlichen Ahnfrauen, nach
diesem der Vater des mütterlichen Ahnherrn und endlich der Vater der
mütterlichen Ahnfrauen das Recht zur Vormundschaft sowie die Schuldigkeit zu
deren Annehmung habe. In Abgang deren Ur-Ahnherren aber denen Ur-Ahnfrauen in
der nämlichen Ordnung zwar das Recht zur Vormundschaft, nicht aber die
Verbindlichkeit, solche auf sich zu nehmen zukomme, und bei ihnen alles Dasjenige,
was bei der mütterlichen Vormundschaft vorgeschrieben worden, statt habe.
[1, 6, § 2] 86. In eben dieser Maß können auch noch weitere
Aufsteigende, wann sich der seltene Fall ereignete, daß von ihnen noch einer am
Leben und hierzu tauglich wäre, zur Vormundschaft gelangen.
[1, 6, § 2] 87. Nach deren Aufsteigenden gehet die
Vormundschaft mit Ausschließung aller Weibspersonen auf die Seitenverwandte
männlichen Geschlechts bis auf den zehenten Grad mit Einbegriff desselben,
unter denen dieselbe allemal dem Nächsten ohne Unterschied, ob das nähere
Blutband von männlicher oder weiblicher Seite herrühre, gebühret.
[1, 6, § 2] 88. Da aber mehrere in gleichem Grad
zusammentreffen, so solle in diesem Fall der Verwandte von männlicher dem von
weiblicher Seite, und da auch alle von einerlei Seite in gleichem Grad verwandt
wären, jederzeit der ältere in Jahren dem jüngeren vorgezogen, und somit die
Vormundschaft niemalen zwischen Mehreren vertheilet, sondern nur Einem allein
aufgetragen werden.
[1, 6, § 2] 89. Wann es um eine Vormundschaft in
geschlechtlichen Stamm- und Traugütern zu thun ist, worzu der Mannsstammen
vorzüglich vor denen weiblichen Verwandten berufen ist, wird zwar die leibliche
Mutter und väterliche Ahnfrau, wie auch die Mutter des väterlichen Ahnherrn zur
Vormundschaft zugelassen, wann sie nicht durch die bei einem oder anderem
Geschlecht mit Unserer
(1-183) höchsten Verwilligung oder Bestätigung eingeführte
Vormundschafts-Ordnung davon ausdrücklich ausgeschlossen werden.
[1, 6, § 2] 90. Dahingegen müssen die mütterlichen
Großeltern und Urgroßeltern sowohl, als alle andere weibliche Aufsteigende von
des Vaters Seiten nebst allen Verwandten von weiblicher Seite denen männlichen
Verwandten von Mannsstammen, wann schon diese im weiterem Staffel wären, in dem
Recht zur Vormundschaft weichen.
[1, 6, § 2] 91. Hätte jedoch der Wais nebst dem Stamm- oder
geschlechtlichen Traugut noch andere leicht davon absönderliche freie Erbgüter,
wobei in der Erbfolge nicht auf die Vorzüglichkeit des Geschlechts und Stammens,
sondern nur auf die Nähe der Verwandtschaft gesehen wird, so solle solchen
Falls in Ansehung dieses zweierlei Vermögens auch zweierlei Vormundschaft
bestellet, die Person des Waisen aber unter der geschlechtlichen Vormundschaft
belassen werden.
[1, 6, § 2] 92. Es würde dann von der Gehörde die Abtheilung
beiderlei Vermögens und die Absönderung der Vormundschaft nicht thunlich, oder
nach beschaffenen Umständen dem Waisen nicht vorträglich zu sein befunden, in
welchem Fall beiderlei Vermögen zwar unter der geschlechtlichen Vormundschaft
verbleiben, dabei aber unvermengt erhalten, und über jedes besondere Rechnung
geführet werden solle, damit bei sich ergebendem Fall der unterschiedenen
Erbfolge allen aus Vermischung beiderlei Vermögens entstehen mögenden Streitigkeiten
auf diese Art vorgebogen werden möge.
[1, 6, § 2] 93. Wann weder ein letztwillig benannter
Vormund, noch ein Blutsverwandter
(1-184) vorhanden ist, der die ihme angetragene oder
auferlegte Vormundschaft mittelst gerichtlicher Bestätigung auf sich zu nehmen
fähig und darzu bereit, oder gehalten seie, so liegt denen Gerichtsstellen und
Obrigkeiten von amtswegen ob, Vormündere zu bestellen.
[1, 6, § 2] 94. Diese Macht und Obliegenheit, denen Waisen
Vormündere zu geben, sowie die letztwillig benannte oder durch das Recht
berufene zu bestätigen, ist eine Folge und Wirkung der ordentlichen oder
befreiten Gerichtsbarkeit, welcher der Vater der Waisen zur Zeit seines
Absterbens in persönlichen Sprüchen unmittelbar unterworfen ware.
[1, 6, § 2] 95. Die von der persönlichen Gehörde der Waisen
bestellte oder bestätigte Vormundschaft erstrecket sich nicht allein auf deren
Person, sondern auch auf alles in dem nämlichen Erbland unter was immer für
einer Gerichtsbarkeit befindliche sowohl bewegliche, als unbewegliche Vermögen.
[1, 6, § 2] 96. Wie dann auch ein solcher angestellter
Vormund bei allen Stellen desselben Landes auf geziemende Beibringung einer
aller Orten, wo es nöthig, vorzumerken kommenden Beglaubigung in dieser
Eigenschaft anerkennet, und ihme die Verwaltung des jeden Orts befindlichen
Waisenguts unhinderlich gestattet werden solle.
[1, 6, § 2] 97. Es muß sich aber derselbe, demegemäß
betragen, was die Eigenschaft des Guts bei derjenigen Gerichtsbarkeit, worunter
es gelegen ist, erforderet, und solle hierinnen durch die Vormundschaftsgehörde
kein Eingriff oder Beeinträchtigung der anderen Gerichtsbarkeit geschehen,
damit alle Anstößigkeit unter denen verschiedenen Gerichtsbarkeiten vermieden
bleibe.
[1, 6, § 2] 98. Noch weniger solle von der Vormundschaftsgehörde
zur Veräußerung des unter einer anderen Gerichtsbarkeit gelegenen Waisenguts
geschritten werden können, ehe und bevor nicht diejenige Stelle, worunter
solches gehörig, hierum belanget worden.
(1-185) [1, 6, § 2] 99. Diese letztere aber hat solches auf
Belangen der ersteren, ohne sich in die Untersuchung, ob das Vorhaben
zuträglich seie oder nicht, einzulassen, unweigerlich zu gestatten. Dahingegen
jene wegen deme, was auf ihre Veranlassung geschehen, die Verantwortung auch
allein zu tragen.
[1, 6, § 2] 100. Wäre jedoch das Vermögen der Waisen in
mehreren Erblanden vertheilet, so ist darauf zu sehen, ob solches in
beweglichen oder unbeweglichen Gütern bestehe.
[1, 6, § 2] 101. Sind in verschiedenen Erblanden liegende
Güter vorhanden, gebühret der Gehörde eines jeden
Lands die Befugniß, über das unter ihrer Gerichtsbarkeit befindliche liegende
Gut denen Waisen Vormündere zu bestellen.
[1, 6, § 2] 102. Worzu der letztwillig benannte Vormund,
oder in dessen Ermangelung der nächste Blutsfreund ohne Rücksicht, ob so ein
als anderer in dem anderen Erbland zur Vormundschaft zugelassen worden, den
Vorzug haben, wann sie derorten hierzu tauglich befunden werden.
[1, 6, § 2] 103. Dahingegen hat der in einem Erbland von der
Obrigkeit bestellte Vormund deswegen kein Recht zur Vormundschaft in dem
anderem Erbland, wiewohlen ihme solche auch in diesem aufgetragen werden kann,
wann er daselbst tauglich und denen Waisen ersprießlich zu sein erkennet wird,
daß ihr in mehreren Ländern gelegened Vermögen von einem Vormund verwaltet
werde.
[1, 6, § 2] 104. Nichtsdestoweniger solle auch in diesem
Fall die in einer Person des Vormunds vereinbarte Vormundschaft jeden Landes
als eine abgesönderte Vormundschaft angesehen, und dahero in jedwedem Land von
ihme die bei derselben Antretung ausgemessene Erfordernissen absonderlich
geleistet, die Verwaltung jeden Orts besonders geführet, die Rechnungen zur
Gehörde jeden Landes erleget und überhaupt das Vermögen des einen mit
demjenigen des anderen Landes durchaus nicht vermenget, noch weniger etwas von
dem Gut selbst oder dem davon sich ergebenden Ersparnissen ohne Vorbewust und
Verwilligung der Stelle, unter welche das Gut gehörig ist, in das andere Land
hinausgezogen werden.
[1, 6, § 2] 105. Bestünde aber das in dem anderen Erbland
befindliche Vermögen nicht in liegenden Gütern, sondern nur Fahrnissen oder
anderem beweglichen, obschon mit der Landtafel, Stadt- oder Grundbüchern
versicherten Hab und Gut, solchen Falls kann zwar zur Vorsicht von derjenigen
Stelle, worunter diese fahrende Verlassenschaft gehörig ist, ein Vormund
bestellet werden.
[1, 6, § 2] 106. Wann jedoch in dem anderen Erbland,
worinnen die liegende Güter sind, oder der Waisen ordentliche persönliche
Gehörde befindlich ist, eine Vormundschaft bestellet wird, solle von der Stelle
desjenigen Lands, allwo die zur Verlassenschaft gehörige Fahrnissen vorhanden
sind, auf die davon erhaltene Anzeige kein Anstand genommen werden, diese
Vormundschaft anzuerkennen und derselben nicht allein die etwann allda
befindliche Waisen, sondern auch das bewegliche Vermögen zu überlassen, in
welchem Fall sowohl die Schuldigkeit zur Leistung der Erfordernissen, als der
Erlag der Raitungen von dieser Zeit an allda aufhöret und dieses alles an die
Gehörde des anderen Erblands übertragen wird.
[1, 6, § 2] 107. Woferne aber die liegende Güter in zweien
oder mehreren Erblanden zerstreuet, und noch in einem anderen Erbland allein
ein bewegliches Vermögen vorhanden wäre, hat unter denen Ersteren die Gehörde
desjenigen Lands in Erstreckung der Vormundschaft über das in dem einen Land
befindliche, alleinige bewegliche Vermögen den Vorzug, in welchem der Vater
verstorben, folglich zur Zeit seines Absterbens sowohl mit seinem Gut, als mit
seiner Person der dortigen Landesgehörde unterworfen ware.
[1, 6, § 2] 108. Außer diesem Fall, wo die Waisen in
mehreren Landen liegende Güter haben, solle der in einem Land von der
ordentlichen persönlichen Gehörde der Waisen bestellte Vormund in allen anderen
Erblanden, wo immer ein
(1-186) bewegliches, obschon mit der Landtafel, Stadt- oder
Grundbüchern versichertes und sonst in anderen Absichten nach diesem Unserem
Gesatz für unbeweglich geachtetes Vermögen befindlich ist, auf die behörig
beigebrachte Beglaubigung dafür unweigerlich erkennet werden.
[1, 6, § 2] 109. Doch ist nicht an deme genug, daß der die
Vormundschaft bestellenden Gehörde die Person und das Vermögen der Waisen
unterworfen seie, sondern es wird auch erforderet, daß Jener, deme solche
aufgetragen wird, der Gerichtsbarkeit derselben unterliege.
[1, 6, § 2] 110. Daher kann keinem Fremden und kundbar unter
anderer Gerichtsbarkeit Stehendem die Vormundschaft aufgetragen, noch weniger
ein solcher dieselbe wider Willen anzunehmen mit Fug angehalten werden.
[1, 6, § 2] 111. Es geschehe dann, daß zum Besten der Waisen
diejenige Stelle, unter welcher derselbe stehet, um ihme die Vormundschaft
aufzutragen belanget und von dieser ihme solche auferleget würde, in welchem
Fall er die Vormundschaft anzunehmen oder die rechtmäßige
Entschuldigungsursachen, wann er deren einige hat, bei seiner Gehörde
anzubringen schuldig ist.
[1, 6, § 2] 112. Eine ganz andere Bewandtniß hat es mit
letztwillig benannten oder nächsten blutsverwandten Vormünderen, welchen von
der Gehörde der Waisen, obgleich sie dieser Gerichtsbarkeit nicht untergeben
wären, jegleichwohlen die Vormundschaft aufgetragen werden kann.
[1, 6, § 2] 113. Wie dann auch dieselben gehalten sind, binnen nächsten vierzehn Tagen von dem ihnen
zugekommenen Auftrag ihre Erklärung allda einzubringen, ob sie die Vormundschaft
anzunehmen oder sich davon zu entschuldigen Willens sind.
[1, 6, § 2] 114. Hätten sie nun rechtmäßige
Entschuldigungsursachen, so sollen solche von ihnen bei ihrer ordentlichen
Stelle mit der Anzeige des erhaltenen Auftrags in eben dieser obausgesetzten
Frist von vierzehn Tagen angebracht und von dieser darüber denen Rechten nach
erkennet werden.
[1, 6, § 2] 115. Die Gehörde der Waisen aber hat nicht
allein auf die schleunige Erkanntniß über die angebrachten
Entschuldigungsursachen bei der Stelle, wo solche rechtsanhängig sind,
anzudringen, sondern auch bis zu Ausgang der Sache vorsichtsweise einsweilig
einen anderen Vormund zu bestellen.
[1, 6, § 2] 116. Würden jedoch die Entschuldigungsursachen
hinlänglich zu sein befunden, und Derjenige, deme der Auftrag geschehen, von
seiner Gehörde ledig und losgezählet, so solle es auch dabei sein Bewenden
haben.
[1, 6, § 2] 117. Im Fall hingegen von ihme in der
voranberaumten Frist weder seine Erklärung, noch weniger einige
Entschuldigungsursachen angebracht, oder auch die angebrachten verworfen
worden, und die Auflage in Rechtskräften erwachsen wäre, so hat die Gehörde der
Waisen Fug und Macht denselben zur Annehmung der Vormundschaft durch die
gehörige Zwangsmitteln anzuhalten.
[1, 6, § 2] 118. Dann es ist keine Nothwendigkeit, daß ein
der Gehörde der Waisen nicht unterstehender Vormund sich seiner ordentlichen Gerichtsbarkeit durch eine
besondere Verzicht begebe, sondern derselbe wird sogleich durch Annehmung der
Vormundschaft, oder durch den zu Rechtskräften erwachsenen Auftrag der Gehörde
der Waisen in allen vormundschaftlichen Geschäften bis zur vollständigen
Pflegung der Richtigkeit ohne aller Ausflucht unterworfen.
(1-187) [1, 6, § 2] 119. Damit aber die Waisen auf das
schleunigste mit tüchtigen Vormünderen versehen werden mögen, ist einer jeden
Ortsobrigkeit und Gerichts Schuldigkeit bei Anlegung der Sperr sogleich von den
Umständen des Verstorbenen, ob er nicht noch unvogtbare oder minderjährige
Kinder hinterlassen, ob von ihme ein letzter Willen errichtet und darinnen ein
Vormund verordnet worden, ob einige Verwandten vorhanden, und welche die
nächsten, auch wo dieselben befindlich sind; dann ob und was für eine
Vormundschaft der Verstorbene auf sich gehabt habe, genaue und verläßliche
Erkundigung einzuziehen.
[1, 6, § 2] 120. Gleichwie dann auch die Mutter, die
Großeltern und Seitenverwandten verbunden sind, den Todsfall des Vaters,
besonders wann sich solcher außer der Gerichtsbarkeit der Gehörde anderwärts
ereignete, sogleich bei Gericht anzuzeigen, wann sie nicht widrigens sich einer
Verantwortung und gestalter Dingen nach bei mitunterlaufender Gefährde einer
wirklichen Bestrafung aussetzen wollen.
§. III.
[1, 6, § 3] 121. Alle Vormundschaften müssen gerichtlich
angetreten werden, sie mögen aus letzten Willen; aus Anordnung der Gesetzen
oder von obrigkeitlichen Amts wegen aufgetragen werden.
[1, 6, § 3] 122. Zur gerichtlichen Antretung der
Vormundschaft wird an Seiten des Vormunds erforderet, daß er tüchtig seie,
keine rechtmäßige Entschuldigungsursache einwende, sondern die Vormundschaft
freiwillig annehme, oder doch zu deren Annehmung gerichtlich angehalten werden
könne, das Waisengut verbürge und den Vormundschaftseid ablege.
[1, 6, § 3] 123. An Seiten der Vormundschaftsgehörde aber
ist nöthig, daß eine ordentliche Beschreibung des gesammten Waisenguts
verfasset, dasselbe dem Vormund eingeantwortet, und ihme eine gerichtliche
Auftragsurkunde zu seiner Beglaubigung ertheilet, dann bei allen Gerichten und
Obrigkeiten über die ihrer Gerichtsbarkeit unterstehende Waisen ein richtiges
und verläßliches Vormundschafts- oder sogenanntes Waisenbuch gehalten werde.
[1, 6, § 3] 124. Tüchtig ist zur Vormundschaft Derjenige,
welchen weder das
(1-188) Geschlecht, weder das Alter, weder ein natürliches
Gebrechen, weder eine Verhinderniß noch ein gegründeter Verdacht davon
ausschließt.
[1, 6, § 3] 125. Die schwere Bürde des vormundschaftlichen
Amts und die mit solchem verknüpfte Verantwortung gestattet nicht, das
weibliche Geschlecht damit zu beladen, sondern Wir wollen dasselbe außer der
leiblichen Mutter, Großmutter und weiteren weiblichen Aufsteigenden, als
welchen schon der natürliche Trieb die Liebe und Sorgfalt für ihre Kinder und
Abkömmlinge einflößet, in Zukunft gänzlich davon enthoben haben.
[1, 6, § 3] 126. Aus Abgang des Alters werden Minderjährige
bis zu erfülltem vierundzwanzigsten Jahr und erfolgter Großjährigkeitserklärung
ausgeschlossen, obschon sie von Uns die Nachsicht des Alters und mit solcher
auch die freie Verwaltung ihres Vermögens ehender erhielten, wann selbe nicht
zugleich von Uns ausdrücklich zur Vormundschaft fähig erkläret worden wären.
[1, 6, § 3] 127. Dagegen sind zwar auch Jene, welche sechzig
Jahre zuruckgeleget, wegen ihrem hohen Alter von neuen Vormundschaften
befreiet, nicht aber von denen bereits aufhabenden, außer hinzustoßender
Leibes- oder Gemüthsgebrechlichkeit, entlediget.
[1, 6, § 3] 128. Wegen natürlichen Gebrechen sind zu
Vormundschaften unfähig: Blödsinnige, Stumme, Taube, Blinde, Preßhafte und
dermaßen kränkliche Personen, daß sie ihren eigenen Geschäften behörig
abzuwarten nicht im Stande sind.
[1, 6, § 3] 129. Wegen rechtmäßiger Hindernissen und
Ehehaften sind von Vormundschaften befreiet: Abwesende aus gemeinwesiger
Ursach, wirkliche Kriegsleute, Unsere wirkliche Räthe und andere in
öffentlichen Aemtern und schweren Verrichtungen stehende Personen.
[1, 6, § 3] [1, 6, § 3] 130. Doch können dieselbe mit
Unserer höchster Verwilligung nicht allein zu Vormundschaften gelangen sondern
auch die vorhin aufhabende fortsetzen, und, wann ihnen mit Unserer Verwilligung
eine Vormundschaft aufgetragen wird, sich dagegen mit der Befreiung nicht
schützen.
(1-189) [1, 6, § 3] 131. Der Verdacht schließt Jemanden von
der Vormundschaft aus, von deme entweder eine üble Erziehung der Waisen oder eine
üble Verwaltung ihres Vermögens mit Grund zu besorgen ist.
[1, 6, § 3] 132. Aus dieser Ursache solle die aus Verbrechen
abgeurtheilte oder auch in üblen Ruf stehende, oder sonst wegen ärgerlichen
Lebenswandel beschrieene Personen zu keinen Vormundschaften zugelassen, wie
auch jederzeit, damit der Vormund keiner widrigen Glaubenslehre beigethan seie,
obacht getragen, und diesfalls in Ansehung anderer Glaubensgenossen denen
Verfassungen jeden Landes nachgegangen werden.
[1, 6, § 3] 133. Desgleichen solle kundbaren Verschwenderen,
über die Kräften Eingeschuldeten, in Rechnungsämtern oder vorhin gehabten
Vormundschaften unrichtig Befundenen keine Vormundschaft anvertrauet werden, es
wäre dann wegen geänderten Umständen keine weitere Gefahr einer üblen Verwaltung
obhanden.
[1, 6, § 3] 134. Auch aus Jemandens Abneigung gegen die
Waisen, Ausschließung des Erblassers, unerlaubter Bestrebung um die
Vormundschaft, beträchtlichen Ansprüchen und Forderungen an dem Waisengut,
Ungleichheit des Standes, Einfalt und Unerfahrenheit kann ein Verdacht oder
Beisorge einer üblen Gebarung mit dem Waisengut erwachsen.
[1, 6, § 3] 135. Wer dahero mit dem Vater der Waisen bis zu
dessen Absterben in schwerer Feindschaft gestanden ist, derselbe kann keinen
Vormund abgeben, wann nicht befunden wird, daß die Unversöhnlichkeit nicht
ihme, sondern dem Vater beizumessen und er von aller Rachgier entfernet seie.
[1, 6, § 3] 136. Nicht weniger solle es damals, wann ein
Vater oder anderer Erblasser Jemanden von der Vormundschaft ausgeschlossen, bei
dieser Ausschließung sein Bewenden haben, es erhelle dann aus denen Umständen,
daß solche aus feindlichem Gemüth ohne allem gegründetem Anlaß geschehen.
[1, 6, § 3] 137. Wer sich auf unerlaubte Weise durch Gaben,
Verkleinerung Anderer, Bedrohungen, Betrug und Arglist, oder sonstigen Unfug in
die Vormundschaft einzudringen bestrebet, solle davon ausgeschlossen sein,
nicht aber auch Jener, der sich auf redliche Weise selbst oder durch Andere
darzu anerbietet oder sich hierum geziemend anmeldet.
[1, 6, § 3] 138. Ferners wer einen noch strittigen Anspruch
an dem Waisengut oder einer denen Waisen, zugefallenen Erbschaft hat (es seie
um das Erbrecht selbst oder um Vermächtnisse, um ein liegendes Gut oder um
einen Theil davon, oder um eine namhafte Schuldforderung zu thun), solle nicht
über diese Waisen Vormund sein können, bevor der Stritt nicht entschieden oder
verglichen ist.
[1, 6, § 3] 139. Ebenso wenig kann auch Jener, gegen welchem
dem Waisen ein unausgemachter Anspruch oder beträchtliche Forderung zustehet,
zur Vormundschaft zugelassen werden, bevor nicht Alles in Richtigkeit gebracht,
und dem Waisen Genügen gethan oder hinlängliche Sicherheit verschaffet worden.
[1, 6, § 3] 140. Dahingegen ist wegen richtigen Ansprüchen,
oder Schuldforderungen, besonders wann sie gerichtlich vorgemerket sind, oder
es nicht viel betrifft, Niemand von der Vormundschaft ausgeschlossen, wann er
jedoch der Sachen Bewandtniß in der Zeit getreulich angezeiget, damit der
Anspruch oder die Schuldforderung in die Beschreibung des Waisenguts eingezogen
werde, und die Vormundschaftsgehörde das zum Besten der Waisen weiters nöthig
Findende ankehren könne.
[1, 6, § 3] 141. Wer aber seine an dem Waisen oder des
Waisen an ihme habende der Vormundschaftsgehörde damals unbekannte und nachhero
hervorkommende Ansprüche und Schuldforderungen geflissentlich verhehlet, und
ohne deren Anzeige die Vormundschaft angetreten, derselbe solle alles seines
von ihme verschwiegenen Rechts gegen den Waisen sowohl, als auch in dem Fall
der Gegenforderung des
(1-190) Waisen aller ihme sonst zu statten kommen mögenden
Nachfrist und anderer rechtlicher Wohlthaten verlustig sein, und ihme über das
die angetretene Vormundschaft benommen werden.
[1, 6, § 3] 142. Die Ungleichheit des Standes ist nur damals
eine ausschließende Ursache, wann sie so groß ist, daß denen Waisen
verkleinerlich fiele, einen Vormund niederen Standes zu haben, worauf der
Richter insonderheit bei Bevormundung der Waisen höheren Standes acht zu tragen
hat.
[1, 6, § 3] 143. Endlich schließt auch Einfalt und
Unerfahrenheit von der Vormundschaft aus, wann die Umstände so beschaffen sind,
daß hieraus ein Schaden des Waisen oder des Vormunds vernünftig vorhergesehen
werden könne.
[1, 6, § 3] 144. Alle bisher angeführte Untauglichkeit,
Verhinderniß oder Befreiung, welche von der Vormundschaft ausschließt, ist
zugleich auch ein genugsame Entschuldigungsursach, wann einem solchen die
Vormundschaft aufgetragen worden.
[1, 6, § 3] 145. Außer diesen gibt es aber noch andere
Entschuldigungsursachen, wegen welcher, wann sie ordentlich vorgebracht und
erwiesen werden, Niemand gezwungen werden kann, eine ihme aufgetragene
Vormundschaft auch sich zu nehmen.
[1, 6, § 3] 146. Dergleichen sind Abwesenheit, viele Kinder,
mehrere schon aufgehabte oder annoch aufhabende Vormundschaften und
Sorgschaften, eigener Nothstand und Mittellosigkeit, Gehässigkeit,
vorhergehender namhafter Verlust und Nachtheil.
[1, 6, § 3] 147. Nur jene Abwesenheit gereichet zur
Entschuldigung, welche nothwendig und löblich, gegenwärtig oder nächst
bevorstehend oder auch bloß zufällig ist, so lange sie daueret.
[1, 6, § 3] 148. Dahingegen entschuldiget weder eine
freiwillige Abwesenheit wegen eigenen Nutzens oder Bequemlichkeit, noch weniger
eine geflissentliche Abwesenheit, um der Vormundschaft zu entgehen. Wer aber
aus einer schmählichen Ursache abwesend ist, als aus Furcht oder Flucht des
Rechts, oder aus verhängter Strafe, bleibt ohnedieß seiner Schulden oder
Verbrechen halber von der Vormundschaft ausgeschlossen.
[1, 6, § 3] 149. Die Vielheit eheleiblicher Kinder
entschuldiget damals, wann ein Vater deren fünf oder mehrere annoch in seiner
Gewalt und zu versorgen hat, worunter auch die Enkeln von einem Sohn für eines,
jene von Töchtern hingegen gar nicht zu rechnen sind, wie dann auch die an
Kindsstatt angenommenen oder uneheliche Kinder in gar keine Betrachtung kommen.
[1, 6, § 3] 150. Drei wirklich aufhabende oder schon
aufgehabte Vormundschaften und Sorgschaften entschuldigen insgemein von der
vierten. Doch kann auch nur eine wirklich verwaltende Vormundschaft, wann sie
sehr weitläufig und beschwerlich ist, von Annehmung einer neuen Vormundschaft
entschuldigen.
[1, 6, § 3] 151. In Gegentheil entschuldigen auch drei oder
mehrere zugleich, oder nach und nach verwaltete Vormundschaften nicht, wann sie
gar leicht zu besorgen oder von kurzer Dauer gewesen, oder annoch ohne
sonderlicher Mühe zu bestreiten sind und umsoweniger, wann sich Jemand selbst
darzu angetragen oder darum bestrebet hat.
[1, 6, § 3] 152. Für bedürftig und mittellos ist Jener
anzusehen, der ein so geringes Vermögen hat, daß er durch schweres Gewerb oder
tägliche Handarbeit sich und die Seinigen zu ernähren gezwungen werde, und
dahero ihme nicht möglich falle, sich mit Vormundschaftsgeschäften zu beladen.
[1, 6, § 3] 153. Die Gehässigkeit muß eine gegründete Ursach
haben, als daß Jemand von dem Vater der Waisen eine große Unbild erlitten habe,
oder daß er von demselben aus bloßem Haß zum Vormund benennet worden, um ihme
wegen Verwirrung des Vermögens, Unbändigkeit der Kinder oder hieraus
entstehender Verfeindung mit Anderen Verdruß zu machen.
[1, 6, § 3] 154. Ueberhaupt ist alle Jemandem aus der ihme
aufgetragenen Vormundschaft
(1-191) bevorstehende wahrscheinliche Gefahr, Schaden und
Nachtheil, wann solcher nicht ausgiebig vermieden bleiben kann, eine genugsame
Ursach sich von dem Auftrag zu entschuldigen.
[1, 6, § 3] 155. Doch solle in allen sowohl Entschuldigungs-
als vorhin erwähnten Ausschließungsfällen das richterliche Ermessen statt
haben, und allemal der Bedacht dahin genommen werden, damit Niemand sich unter
nichtigem Vorwand der aufgetragenen Vormundschaft entziehe, gleichwie in
Gegentheil auch Niemand zu seiner allzugroßen Beschwerniß und unersetzlichen
Schaden damit beladen werde.
[1, 6, § 3] 156. Auch nach schon angetretener Vormundschaft
können sich Umstände ergeben, welche den Vormund zu weiterer Fortsetzung
derselben untüchtig machen, oder davon entschuldigen, in welcherlei Fällen all
Jenes, was gleich anfangs eine Ausschließung, Ausnahme, Befreiung oder rechtmäßige
Entschuldigung von der Vormundschaft nach sich gezogen hätte, auch während
derselben die Entlassung oder Enthebung des Vormunds nach richterlichen
Ermessen wirket.
Wie dann der Vormundschaftsgehörde von amtswegen oblieget,
bei Wahrnehmung einer denen Waisen wegen Untüchtigkeit des Vormunds
bevorstehenden Gefahr den Vormund abzuändern.
[1, 6, § 3] 157. Einem wissentlich Untauglichen oder von der
Vormundschaft Ausgenommenen, wann dieser letztere sich nicht selbst hierum
anmeldet, obschon er im letzten Willen benennet oder der nächste Blutsverwandte
wäre, solle die Vormundschaft aufgetragen, umsoweniger seine Entschuldigung
abgewartet, sondern die Vormundschaft sofort einem anderem weiterem darzu
tauglichen Befreundten oder in dessen Ermanglung einem Fremden anvertraut, und
dabei in dem gerichtlichen Auftrag ohne ausdrücklicher Anführung der
Untauglichkeit des ersteren sich überhaupt auf erhebliche Ursachen bezogen
werden.
[1, 6, § 3] 158. Fände sich aber der Vorbeigegangene
hierdurch beschweret, so ist ihme auf sein Anmelden die Ursach seiner
Ausschließung mittelst eines ordentlichen Bescheids zu erinneren, und stehet
demselben frei, sich alsdann hierwegen bei dem höheren Richter im
außerordentlichen Weg Rechtens zu beschweren, wo inmittelst es bei der anderweit
bestellten Vormundschaft sein Verbleiben hat, die jedoch ihme, wann er von dem
oberen Richter für tauglich erkennet worden, sodann gegen Leistung der
Erfordernissen abgetreten werden muß.
[1, 6, § 3] 159. Um Jemands Tüchtig- oder Untüchtigkeit
desto verläßlicher beurtheilen zu können, solle die Vormundschaftsgehörde
jedesmal die Ausführung, Sitten und Vermögensstand dessen, deme die
Vormundschaft aufzutragen ist, wann solche derselben nicht schon vorhero
bekannt sind, auf eine ihme unnachtheilige Weise untersuchen, und die zu
solchem Ende nöthige Kundschaften einziehen.
[1, 6, § 3] 160. Wer nun ohne allem Zweifel tüchtig befunden
wird, deme kann und solle die Vormundschaft unbedenklich aufgetragen werden,
ohne sich durch eine vermuthende Entschuldigungsursache abhalten zu lassen,
sondern es bleibet ihme noch allzeit bevor, solche gehörig anzubringen.
(1-192) [1, 6, § 3] 161. Nach erhaltenem gerichtlichem
Auftrag ist der bestellte Vormund schuldig die Vormundschaft anzunehmen, oder
seine Entschuldigungsursachen in der hiernach ausgesetzten Zeit anzubringen.
[1, 6, § 3] 162. Die Annehmung der Vormundschaft ist
entweder freiwillig oder nothwendig.
Freiwillig geschieht dieselbe entweder ausdrücklich durch
schriftliche oder mündliche Erklärung, sich dem Auftrag unterziehen zu wollen,
oder stillschweigend, wann in der ausgemessenen Frist keine
Entschuldigungsursachen eingebracht werden.
[1, 6, § 3] 163. Nothwendig wird die Annehmung, wann die
gerichtliche Auflage in Rechtskräften erwachsen oder, da sich darwieder an die
höhere Gehörde verwendet worden, dieselbe alldort bestätiget worden ist.
[1, 6, § 3] 164. In einem wie in dem anderem Fall ist der
bestellte Vormund nach Verlauf von vierzehen Tagen oder nach höherer
Bestätigung des ihme gemachten Auftrags die vormundschaftliche Erfordernissen
zu leisten, und sich auch selbst darzu anzumelden, folglich die Vormundschaft
unweigerlich anzutreten schuldig.
Widrigens kann derselbe hierzu auf die weiter unten
vorgeschriebene Art und Weis gerichtlich verhalten werden.
[1, 6, § 3] 165. Wer Entschuldigungsursachen zu haben
vermeinet, muß solche, und zwar so viele deren er hat, alle auf einmal binnen
vierzehen Tagen von Zeit des ihme zugekommenen gerichtlichen Auftrags ohne
aller weiterer Erstreckung einbringen. Falls aber wegen seiner Abwesenheit oder
weit entferneten Aufenthalts diese Frist zu kurz zu sein vorgesehen würde, so
solle ihme gleich in dem Auftrag eine geraumigere Frist, jedoch gleichermaßen
ohne aller Erstreckung, bestimmet werden.
[1, 6, § 3] 166. Die Entschuldigungsursachen müssen allemal
bei derjenigen Gehörde eingebracht werden, von welcher der Auftrag der
Vormundschaft geschehen.
Es wäre dann ein letztwillig benannter Vormund, oder von dem
Gesatz darzu berufener Blutsverwandter einer anderen Gerichtsbarkeit
unterworfen, welchen Falls dieselben bei der auftragenden Gehörde blos allein
ihre Erklärung, ob sie die Vormundschaft annehmen oder sich davon entschuldigen
wollen, in der obausgemessenen Frist einzubringen, die Entschuldigungsursachen
aber bei ihrer Gerichtsbarkeit in gleicher Zeit vorzustellen haben.
[1, 6, § 3] 167. Werden die Entschuldigungsursachen
rechtmäßig zu sein befunden, so hat es auch dabei sein gänzliches Bewenden.
Wann aber solche verworfen worden, wird dem andurch
Beschwertem gestattet, sich an den unmittelbaren höheren Richter in der
ausgesetzten rechtlichen Frist, doch ohne allen sonst erforderlichen
Feierlichkeiten zu verwenden.
Widrigens erwachset die erste
Erkanntniß zu Rechtskräften.
[1, 6, § 3] 168. Die höhere Gehörde hat dabei schleunig und
also zu verfahren, wie es seines Orts bei außerordentlichen Zufluchten an den
oberen Richter vorgeschrieben wird, und da von derselben die
Entschuldigungsursachen rechtmäßig und übel verworfen worden zu sein erkennet
würde, so wird der bestellte Vormund andurch von der Vormundschaft gänzlich
losgezählet, und hat der verweigerten Annehmung halber keine Verantwortung auf
sich.
[1, 6, § 3] 169. Wann hingegen wohl gesprochen zu sein
befunden würde, so wird auch die Verwerfung der Entschuldigung und der
gerichtliche Auftrag der Vormundschaft anmit von der höheren Gehörde
bestätiget, und der Sachfällige ist für allen während seiner unbefugten
Weigerung denen Waisen widerfahrenen Schaden zu stehen schuldig, obschon ihme
nicht benommen ist, sich dieserwegen an Anderen, gegen welche er sich
aufzukommen getrauet, zu erholen.
[1, 6, § 3] 170. Er kann demnach die Antretung der
Vormundschaft nicht länger hinaus verschieben, sondern seine Obliegenheit ist,
sich selbst sogleich den nächst
(1-193) darauffolgendem Gerichtstag, nachdeme die Auflage zu
Rechtskräften erwachsen oder von dem höheren Richter bestätiget worden, eben
also, als ob er sich der Vormundschaft freiwillig unterzogen hätte, zu Leistung
der Erfordernissen bei der Gehörde geziemend anzumelden.
[1, 6, § 3] 171. Würde aber derselbe sich hierinnen säumig
erzeigen, so solle ihme hierzu eine achttägige, und wann er auch diese
verstreichen ließe, noch eine dreitägige Frist unter empfindlicher, bei
ferneren Ungehorsam unnachsichtlich einzutreiben habender Geldstrafe, und bei
unbemittleten und geringeren Leuten unter Bedrohung persönlichen Verhafts
anberaumet werden.
[1, 6, § 3] 172. Wann jedoch weder die Bedrohung noch die
Eintreibung der verhängten Geldstrafe, oder nach Unterschied der Personen der
wenigstens durch vier Wochen fürzuwähren habende Arrest seinen Ungehorsam zu
beugen vermögete, so ist zwar auf die Antretung der Vormundschaft nicht weiter
anzudringen, sondern entweder der vorsichtsweise in der Zwischenzeit bestellte
Vormund in der Vormundschaft zu bestätigen, oder ein anderer tauglicher Vormund
zu benennen.
Doch bleibt der Ungehorsame für allen durch seine Weigerung
denen Waisen zugegangenen Schaden verfänglich.
[1, 6, § 3] 173. Uebrigens solle bei Bevormundung geringer
und unbemittleter Waisen, wo eben auch die Vormündere geringe Leute sind, noch
schleuniger fürgegangen, der Vormund auch ohne schriftlichen Auftrag
fürgeforderet, ihme die Vormundschaft auferleget, seine Entschuldigung zur
Stelle angehöret, und solche entweder gutgeheißen, oder bei deren befindender
Unerheblichkeit verworfen, folglich derselbe zur Leistung der Erfordernissen
angehalten werden, ohne jedoch ihme, wann er sich beschweret zu sein glaubet,
den Zug an den oberen Richter zu verschränken.
[1, 6, § 3] 174. Diese vormundschaftliche Erfordernissen,
welche von einem jedwedem
(1-194) Vormund bei Antretung der Vormundschaft geleistet
werden müssen, bestehen hauptsächlich in Verbürgung des Waisenguts und in
Ablegung der vormundschaftlichen Eidespflicht.
(1-195) [1, 6, § 3] 175. Beide ist ein jedweder wahrer
Vormund, welcher die Vormundschaft zu verwalten hat, und nicht etwann bloß
Ehren halber oder beirathsweise zugezogen worden, zu leisten schuldig,
ohnerachtet derselbe wohl bemittelt oder angesessen und des Waisen nächster
Blutsverwandter, oder auch dessen leiblicher Vater, oder ein weiterer
Aufsteigender wäre, oder der Erblasser, welcher ihn zum Vormund benennet,
denselben von dieser Verbürgung ausdrücklich entbunden hätte.
[1, 6, § 3] 176. Nur in dem alleinigen Fall, wo ein Vater in
seiner letztwilligen Anordnung dem von ihme benannten Vormund die
Bürgschaftsleistung erlassen hätte, solle dem Richter zustehen, nach
vernünftiger Erwägung der Umständen zu erkennen, was für eine Verbürgungsart
demselben aufzuerlegen seie, niemalen aber ihme die Verbürgung gänzlich
nachzulassen.
[1, 6, § 3] 177. Durch die Verbürgung wird das Waisengut
sicher gestellet, und dahero ist solche auch dermaßen nothwendig, daß die
Vormundschaftsgehörde, welche diese Vorsicht zu gebrauchen unterlassen hätte,
alle Verantwortung der üblen Verwaltung des Vormunds auf sich selbst ladet, und
für den entstandenen Schaden, insoweit solcher von dem Vormund nicht zu
erhalten wäre, nach Erkanntniß des oberen Richters zu haften hat.
[1, 6, § 3] 178. Doch ist nicht nöthig, daß die Verbürgung
nach dem ganzen Betrag des Waisenguts abgemessen werde, sondern es ist genug,
dasselbe nur insoweit sicher zu stellen, als es einer Gefahr der Verminderung
unterworfen ist, ohne jedoch darauf zu sehen, was durch ungefähre und
außerordentliche Zufälle, wofür Niemand verfänglich wird, sich ereignen könnte.
[1, 6, § 3] 179. Kein Vormund ist solchemnach schuldig,
Grund und Boden, oder andere dingliche Rechten, oder auch landtäflich, stadt-
oder grundbücherlich vorgemerkte Forderungen zu verbürgen, sondern die
Verbürgung ist nach deme zu mäßigen, was dem Vormund von dem Waisengut also zu
Handen kommt, daß er solches zu Nutzen verwenden oder verzehren, oder mit
seiner Schuld zu Grund gehen lassen könne.
[1, 6, § 3] 180. Von dieser Art sind die Ertragnissen und
Einkünften des Waisenguts, wie nicht minder Fahrnissen, Barschaften und
unvorgemerkte Forderungen, so viel hiervon dem Vormund zu seinen Handen
eingeantwortet wird.
(1-196) [1, 6, § 3] 181. Die Ertragnissen und Einkünften des
Waisenguts sind nicht nach Maß der ganzen Zeit, welche die Vormundschaft
fürzudaueren hat, zu nehmen, sondern es ist genug, daß die Verbürgung dem
beiläufigen Betrag einjähriger Ertragniß gleich komme.
[1, 6, § 3] 182. Dieser Betrag der Einkünften kann aus dem
bekannten Werth des Waisenguts, oder wie solcher auf andere Weis in Erfahrniß
gebracht werden mag, bestimmet werden, ohne sich mit allzu genauer
Untersuchung, wodurch die Bevormundung verzögeret würde, aufzuhalten.
[1, 6, § 3] 183. Ueberhaupt kommt es dabei auf vernünftiges
Ermessen des Richters an, welchem unbenommen ist, ebenso wohl auf dem Fall, da
nach der Hand die geleistete Sicherheit unzureichend zu sein befunden würde,
von dem Vormund mehrere Sicherheit zu forderen, als demselben die Uebermasse
der geleisteten Verbürgung auf sein Verlangen zu erlassen, wann nur mit dem
Uebrigen das Waisengut hinlänglich gesicheret bleibt.
[1, 6, § 3] 184. Desgleichen ist von dem beweglichen
Waisengut nur so viel zu verbürgen nöthig, als dem Vormund eingeantwortet wird,
zumalen wegen dem übrigen die anderweitige Vorsehung hiernach folget.
Die Vormundschaftsgehörde hat dahero den nöthig erachtenden
Betrag der Verbürgung auszumessen, und solchen dem Vormund zu seiner Nachricht
zu bedeuten.
[1, 6, § 3] 185. Diese Verbürgung hat sogleich der Vormund
mittelst landtäflicher, stadt- oder grundbücherlicher Verschreibung einer
hinlänglichen Hypothek auf eines seiner liegenden Güter, oder landtäflich,
stadt- oder grundbücherlich versicherter richtiger Forderungen aus seinem
eigenem frei vererblichen Vermögen durch persönliche Bekanntniß vor Gericht
oder Einlegung einer bündigen Versicherungsurkunde zu leisten.
[1, 6, § 3] 186. Worauf die Vormerkung, wann die
verschriebene Hypothek unter der nämlichen Gerichtsbarkeit der Vormundschaftsgehörde
befindlich ist, allsogleich veranlasset, falls aber dieselbe sich unter einer
anderen Gerichtsbarkeit befände, diese gewöhnlichermaßen um die daselbstige
Vormerkung ersuchet werden solle.
[1, 6, § 3] 187. Wollte aber ein Vormund, der es kundbar
wohl zu thun vermögete, sich zu dieser Verbürgung nicht verstehen, so hat die
Vormerkung des ausgeworfenen Versicherungsbetrags auf sein Vermögen, und
vornehmlich auf jenes Gut, welches zur Sicherheit der Waisen das beste ist, von
amtswegen zu geschehen.
[1, 6, § 3] 188. Wann hingegen ein Vormund kein
unbewegliches Vermögen besitzet, oder das besitzende zur Sicherheit der Waisen
nicht hinreichete, oder er dasselbe ohne seinem erweislichen großen Nachtheil
mit dem ausgemessenen Verbürgungsbetrag nicht behaften könnte, so ist ihme eine
vierzehntägige Frist ohne aller fernerer Erstreckung anzuberaumen, um sich
binnen dieser Zeit um taugliche Bürgen, welche eine annehmliche sachliche
Sicherheit für ihn zu leisten bereit wären, zu bewerben.
[1, 6, § 3] 189. Könnte aber der Vormund keine taugliche
Bürgen, welche eine sächliche Sicherheit für ihn bestellen wollten und könnten,
aufbringen, so solle auch in solchem Fall an persönlicher Verbürgung oder an
Einlegung und Verpfändung beweglicher Habschaften, so viel hiervon zum
Unterpfand nöthig ist, genug sein.
[1, 6, § 3] 190. Wann jedoch alles dieses ermanglete und
gleichwohlen denen Waisen ersprießlich wäre, einen Solchen zum Vormund zu
haben, so ist derselbe nichts destoweniger gegen deme zum Vormundschaftseid
zuzulassen, daß er zugleich eidlich erhärte, wienach er weder die Verbürgung
ohne seinem großen Nachtheil selbst leisten, noch mit einer anderen Bürgschaft
aufkommen könne, dennoch aber Alles, was aus seiner Schuld und Verwahrlosung
denen Waisen zum Schaden gereichen würde, getreulich zu ersetzen schuldig sein
wolle und solle.
[1, 6, § 3] 191. Auf gleiche Weise ist insonderheit bei
geringen Vormundschaften
(1-197) fürzugehen und sich wegen der Verbürgung nicht
aufzuhalten, sondern auf das schleunigste mit möglichster Sicherstellung der
Waisen zu verfahren, wann nur die Vormündere sonst taugliche und sicher
geachtete Leute sind, und die eidliche Verstrickung nicht unterlassen wird.
[1, 6, § 3] 192. Um aber der getreuen Verwaltung halber
desto gesicherter zu sein, so ordnen und wollen Wir hiermit, daß von einem
jedwedem Vormund ohne Unterschied und Ausnahme vor Antretung der Vormundschaft
ein körperlicher Eid bei derjenigen Gehörde, von welcher die Vormundschaft ihme
aufgetragen worden, abgeleget werden solle, daß er sich der Waisen getreulich
annehmen, sie zur Gottesforcht und Tugend anführen, und nach ihrem Stand zum
Nutzen des gemeinen Wesen anleiten, ihr Vermögen gleich dem seinigen besorgen,
ihre Rechten und Gerechtigkeiten in acht nehmen, Nutzen beförderen, Schaden
abwenden, jährliche Raitung erlegen, und sich solcher Vormundschaft halber in
Allem nach Unseren Gesetzen und Verordnungen, wie es sich einem getreuen und
aufrichtigen Vormund gebühret, verhalten wolle und solle.
[1, 6, § 3] 193. An Seiten der Vormundschaftsgehörde ist bei
Antretung der
(1-198) Vormundschaft erforderlich, damit eine ordentliche
Beschreibung aller und jeder denen Waisen angehöriger Güter und Habschaften,
von was für Gattung und Eigenschaft dieselben immer sein mögen, gerichtlich
errichtet werde.
[1, 6, § 3] 194. Hiervon sollte kein Vormund befreiet sein,
obschon ein Vater oder anderer Erblasser die gerichtliche Beschreibung seines
Vermögens ihme nachgesehen oder auch ausdrücklich verboten hätte.
[1, 6, § 3] 195. Diese Beschreibung ist mit dem
gerichtlichen Verlassenschaftsinventario, wovon in zweitem Theil gehandlet
werden wird, nicht zu vermengen, sondern außer diesem noch besonders zu
verfassen.
Es wäre dann ein Wais nach seinem Vater oder einem anderen
Erblasser der alleinige Erb und hätte sonst kein anderes Vermögen.
[1, 6, § 3] 196. Desgleichen können Theilzetteln und
Erbtheilungsvergleiche anstatt dieser Beschreibung andienen, wann zwischen dem
Waisen und großjährigen Miterben die Erbtheilung geschehen, und in der Theilungsurkunde
Alles, was dem Waisen aus der Verlassenschaft zugekommen, namentlich und
deutlich enthalten ist, dieser auch außer deme kein sonstiges Vermögen hat.
[1, 6, § 3] 197. Sind aber seine Miterben ebenfalls noch
minderjährig, so kann es bei dem Verlassenschafts-Inventario solange sein
Bewenden haben, als besagte Miterben minderjährig sind, und unter einerlei
Vormundschaft zu stehen haben, auch die Gemeinschaft ihnen zuträglich zu sein
befunden wird.
[1, 6, § 3] 198. Hätte jedoch der Wais außerdeme noch ein
anderes Vermögen, so muß dem Verlassenschafts-Inventario oder der
Theilungsurkunde auch die Beschreibung des anderweiten Vermögens beigerucket,
und somit eine vollständige Beschreibung des gesammten Waisenguts verfasset
werden.
[1, 6, § 3] 199. Diese gerichtliche Beschreibung ist auf
ganz gleiche Art und Weise zu errichten, wie es in zweitem Theil, in
einundzwanzigstem Capitel, §. VII von dem gerichtlichen
Verlassenschafts-Inventario geordnet wird, damit der ganze Vermögens- und
Schuldenstand des Waisen daraus abgenommen werden könne.
[1, 6, § 3] 200. Zu der Beschreibung des Waisenguts ist die
Gegenwart des Vormunds insgemein nicht nothwendig, obschon ihme nicht verwehret
werden mag, derselben beizuwohnen.
Sie ist dahero nicht zu verschieben, wann es sich mit der
Bevormundung verweilete, besonders wann die Gläubigere hierauf andringeten,
oder die Sachen der Gefahr der Verderbung unterworfen wären, oder der Ort ihrer
Aufbehaltung geraumet werden müßte.
[1, 6, § 3] 201. Was aber nach der ersten Beschreibung des
Waisenguts denen Waisen nachhero durch Erbschaft, Vermächtniß, Schankung oder
in andere Wege zufallt, oder sonst etwas, was denenselben gehörig ist, hervor
käme, so in der ersten Beschreibung nicht enthalten wäre, all dessen
absonderliche Beschreibung oder genüglich bewährte Anzeige ist der
Hauptbeschreibung als ein Nachtrag beizufügen.
(1-199) [1, 6, § 3] 202. Wohingegen der sich etwann nach der
Hand eräußerende Abgang in der errichteten Beschreibung anzumerken ist.
Die jährliche Ersparniß aber und aller aus deme, was bereits
in der Beschreibung enthalten ist, sich ergebender Zuwachs muß in die jährliche
Vormundschaftsrechnungen eingezogen werden.
[1, 6, § 3] 203. Wann ein neuer Vormund in des vorigen
Stelle tritt, ist es keiner neuen gerichtlichen Beschreibung nöthig, sondern an
deme genug, daß der abtretende oder dessen Erben dem antretenden Vormund das
vorhändige Waisengut gemäß seiner Schlußrechnung und beigefügten Ausweis gegen
behöriger Uebergabs- und Uebernahmsbescheinigung zustelle.
[1, 6, § 3] 204. Wäre das Waisengut unter verschiedenen
Gerichtsbarkeiten in einem Erbland zerstreuet, so gebühret zwar einer jeden
dieser verschiedenen Gerichtsbarkeiten die besondere Beschreibung des unter ihr
befindlichen Waisenguts. Sie sind aber solche insgesammt der
Vormundschaftsgehörde auf Ersuchen in beglaubigten Abschriften abzufolgen
schuldig.
[1, 6, § 3] 205. Wann hingegen das Vermögen der Waisen in
mehreren Erblanden befindlich, und somit die Vormundschaft abgeordneter Maßen
in jedem Land besonders zu führen ist, so ist auch in jedem Land eine besondere
Beschreibung des dahin gehörigen Waisenguts erforderlich, und da hernachmals
etwas davon aus einem Land in das andere übertragen würde, solches jedes Mal in
dem einen Land ab- und in dem anderen zuzuschreiben.
[1, 6, § 3] 206. Eine jedwede gerichtliche Beschreibung des
Waisenguts solle in drei gleichlautende Urkunden verfasset, und eine davon bei
dem Verlassenschafts-Inventario, die andere aber bei dem Vormundschafts- oder
Waisenbuch aufbehalten, und die dritte dem Vormund zugestellet werden.
[1, 6, § 3] 207. Nach dieser Beschreibung hat die
gerichtliche Einantwortung des Waisenguts an den Vormund also zu geschehen, daß
ihme das bewegliche Vermögen, so viel ihme nach der unten zu erwähnenden
Ausmessung hiervon auszufolgen nöthig befunden wird, übergeben, und er in das
unbewegliche gerichtlich eingewiesen und eingeführet werde.
[1, 6, § 3] 208. Zugleich aber solle auch einem jedem
Vormund eine gerichtliche Beglaubigungsurkunde von der Vormundschaftsgehörde
über die ihme aufgetragene Vormundschaft zu dem Ende ertheilet werden, damit er
sich anmit aller Orten, wo es nöthig, ausweisen möge, daß er der wahre und
ungezweiflete Vormund seie, und andurch in Stand gesetzet werde, ohne Jemands
Widerrede Alles, was die rechtliche Nothdurft erforderet, in Namen deren Waisen
zu handlen und vorzukehren.
[1, 6, § 3] 209. Endlich solle bei allen Gerichtsstellen und
Obrigkeiten, welchen die Bevormundung deren Waisen aus obhabender
Gerichtsbarkeit zustehet, ein eigenes Vormundschafts- oder Waisenbuch
errichtet, und mit aller erforderlichen Richtigkeit und Verläßlichkeit
fortgeführet werden.
[1, 6, § 3] 210. In diesem Waisenbuch ist der Tod des Vaters
mit allen aus dem Bericht der zur Sperr abgeordneten Gerichtspersonen
hervorkommenden Umständen, die Anzahl, das Geschlecht, der Namen, das Alter der
Waisen, die Bestellung
(1-200) des entweder durch letzten Willen oder durch die
Nähe des Geblüts berufenen, oder von der Obrigkeit verordneten Vormunds, die
Leistung deren vormundschaftlichen Erfordernissen, und wie solche geleistet
werden, die Zeit der angetretenen Vormundschaft, die Beigebung eines
Mitvormunds oder die nach Umständen nöthig befundene Anstellung eines
curatoris, und überhaupt Alles, was den Anfang und Fortgang der Vormundschaft
anbetrifft, vorzumerken.
[1, 6, § 3] 211. In dasselbe ist ferners der Betrag des
Waisenguts mit Beilegung sowohl des Verlassenschafts-Inventarii und
Theilungsurkunden, als der besonders darüber errichteten ein- oder mehrerer
Beschreibungen, wie nicht weniger der jährliche Raitungserlag, deren befundene
Richtigkeit oder erfolgte Richtigstellung und der jährlich verbleibende
Vermögensstand mit allen und jeden bei dieser Vormundschaft vorfallenden
Waisenhandlungen, Verwilligungen, Verordnungen, Auflagen, Bescheiden,
Schuldzahlungen, Geldanlegungen, nöthigen Gelderborgungen und Behaftungen,
Käufen, Verkäufen und andere derlei Geschäften mit deutlicher Beziehung auf
jenes Ort, wo dieserwegen ein Mehreres zu finden seie, ordentlich und
getreulich einzutragen.
[1, 6, § 3] 212. Desgleichen muß das neue Vermögen, was
denen Waisen von anderwärts durch Erbschaften, Vermächtnissen, Schankungen oder
in andere Wege zukommt, mit allen Umständen, von weme, wann, wieviel und auf
was Art ihnen zugefallen seie, in eben demselben Waisenbuch angemerket und deme
auch beigefüget werden, ob in Ansehung dieses Zuwachses ein besonderer Vormund
bestellet worden seie, welchen Falls die zu dieser besonderen Vormundschaft
gehörige Geschäfte darinnen von der ersten Vormundschaft abgesöndert anzuführen
sind.
[1, 6, § 3] 213. Ferners solle die mit dem Vormund
vorgehende Aenderung und die Anstellung eines neuen Vormunds in dieses
Waisenbuch eingeschrieben, und währender zweiter Vormundschaft mit der
Vormerkung so, wie bei der ersten, fortgefahren werden.
[1, 6, § 3] 214. Wann alsdann die Vormundschaft zu Ende
gehet, muß gleichfalls der Erlag der Schlußrechnung, die vollständige
Richtigkeitspflegung, die Zeit der erreichten Großjährigkeit, die erfolgte
Großjährigkeitserklärung, die etwann von Uns erbetene Nachsicht des Alters, die
Einantwortung des Vermögens und schließlichen die gerichtliche Loszählung des
Vormunds, wie auch die Hauptquittung und Verzicht des großjährig werdenden
Waisen darinnen angemerket werden.
[1, 6, § 3] 215. Dieses Waisenbuch hat den Nutzen, damit
einerseits die Gerichten und Obrigkeiten von Allem, was währender Vormundschaft
vorgegangen, zu allen Zeiten eine vollkommene Nachricht und Wissenschaft
überkommen möge, um denen Waisen hiernach in allen Vorfällen desto behender
vorzusehen.
[1, 6, § 3] 216. Andererseits aber, daß auch die Waisen nach
erreichter Großjährigkeit und erfolgter Einantwortung ihres Vermögens hieraus
zugleich alle deshalben nöthige Nachrichten mittelst gerichtlich beglaubter
Abschriften oder Auszügen erhalten können.
§. IV.
[1, 6, § 4] 217. Nach angetretener Vormundschaft bestehet die Pflicht und Schuldigkeit eines Vormunds oder
Gerhabens überhaupt in guter Erziehung der
Waisen und in getreuer Verwaltung ihres Vermögens.
(1-201) [1, 6, § 4] 218. Diesemnach sollen sowohl die
Vormündere als die ihnen vorgesetzten Vormundschaftsgehörden bei schwerer
Verantwortung und unausbleiblicher Ahndung darob sein, damit die Waisen in der
Gottesforcht, christlichen Tugenden, ehrbaren Wandel, guten Sitten, Wissenschaften,
Künsten und Gewerben nach ihrem Stand und Fähigkeit erzogen, somit aber von dem
Müssigang (!) und anderen gefährlichen Abwegen abgehalten werden.
[1, 6, § 4] 219. Die Erziehung der Waisen stehet
besonders in ihrer Kindheit der Mutter zu, obschon dieselbe die Vormundschaft
nicht hätte, oder zur anderen Ehe geschritten wäre, wann sonst kein erhebliches
Bedenken dagegen fürwaltet.
[1, 6, § 4] 220. Auch nach denen Kindsjahren hat die
mütterliche Erziehung so lange zu daueren, bis die Vormundschaftsgehörde für
gut findet, denen Waisen ihres besseren Unterrichts halber oder aus anderen zu
ihrem Besten abzielenden Ursachen eine anderwärtige Erziehung zu verschaffen.
[1, 6, § 4] 221. Wann die Mutter nicht mehr am Leben oder
sonst ein Bedenken wider sie wäre, können die Waisen auch bei ihren Großeltern
oder Jemandem von
(1-202) ihrer Freundschaft, oder bei dem Vormund selbst oder
auch an einem anderen ehrbaren und anständigen Ort, wie es ihnen nach Ermessen
der Vormundschaftsgehörde am vorträglichsten zu sein befunden wird, erzogen
werden.
[1, 6, § 4] 222. Doch liegt dem Vormund allemal ob, die
Waisen mögen bei der Mutter, ihrer Freundschaft oder irgendwo anderst erzogen
werden, auf ihre gute Erziehung fleißig obacht zu tragen, und die wahrnehmenden
Gebrechen sogleich der Vormundschaftsgehörde anzuzeigen.
[1, 6, § 4] 223. Unbemittelte Waisen ist zwar ein Vormund
aus dem Seinigen zu ernähren und auf eigene Kosten zu erziehen nicht schuldig,
er muß aber alle mögliche Sorgfalt anwenden, damit ihrer Dürftigkeit entweder
durch erwirkende Beihilfe ihrer Befreundten oder durch Unterbringung in milde
Stiftungen, oder auf andere Weise beigesprungen werde.
[1, 6, § 4] 224. Wo aber die Waisen ein eigenes Vermögen
haben, solle der Aufwand auf ihren Unterhalt und Erziehung jedesmal von der
Vormundschaftsgehörde bestimmet, und nach ihrem Stand, Geschlecht, Alter und
nach denen Kräften des Vermögens dergestalten ausgemessen werden, damit der
jährliche Betrag weder zum Ueberfluß, noch zum Abbruch der standesmäßigen
Nothdurft gereiche.
[1, 6, § 4] 225. Auch da ein Vater oder anderer Erblasser
etwas Gewisses darzu bestimmet hätte, so kann nichtsdestoweniger dasselbe nach
gerichtlichem Ermessen bei befindender Uebermaß auf ein Weniges eingeschränket,
oder bei dessen wahrnehmender Unerklecklichkeit, wann es die Vermögensumstände
leiden, auf ein Mehreres erstrecket werden.
[1, 6, § 4] 226. Bei solcher gerichtlicher Ausmessung hat
der Vormund zu beruhen und die erübrigenden Einkünften zur Vermehrung des
Waisenguts in Ersparniß zu bringen, doch stehet ihme allezeit frei, wann der
Nutzen oder die Nothdurft der Waisen einen größeren Aufwand erfordereten, um
eine Vermehrung des bestimmten Betrags aus denen übrigen Einkünften bei der
Gehörde einzukommen.
[1, 6, § 4] 227. Wann hingegen das Vermögen der Waisen so
gering wäre, daß dessen Ertragniß zu denen nothdürftigen Unterhalts- und
Erziehungskosten kaum erkleckete, so solle es der Bescheidenheit des Vormunds
überlassen sein, die Ausgaben dergestalten wirthschaftlich einzurichten, damit,
wo möglich, gleichwohl etwas mehr oder weniger ersparet, oder doch wenigstens
das Hauptgut denen Waisen unvermindert erhalten werde.
[1, 6, § 4] 228. Wann jedoch die jährlichen Einkünften zur
Erhaltung und Erziehung der Waisen nicht hinlänglich wären, oder wann besonders
mittelst eines größeren Aufwands die Waisen in Stand gesetzet werden könnten,
sich selbst künftighin eine beständige Nahrung zu verschaffen, so kann auch das
Hauptgut, jedoch niemals anderst, als mit vorläufiger Einwilligung der Gehörde,
angegriffen und darzu nach Erforderniß ganz oder zum Theil verwendet werden.
[1, 6, § 4] 229. Ueberhaupt ist ein Vormund in allen die
Erziehung der Waisen betreffenden wichtigeren Vorfällen, besonders aber, wo es
um die Bestimmung des Aufwands, den Ort der Erziehung, oder deren leichteren
Unterhalts- und besserer Unterweisung halber nutzlich findende Versendung an
andere Orte in Unseren Erblanden zu thun ist, an die Einwilligung und
Genehmhaltung der Vormundschaftsgehörde gebunden.
[1, 6, § 4] 230. Dahingegen solle weder dem Vormund, noch
der Vormundschaftsgehörde ohne Unserer besonderer höchster Verwilligung bei
schwerer Strafe und Ahndung zugelassen sein, Waisen oder Minderjährige außer
diesen Unseren Erblanden unter was immer für Vorwand anderswohin zu verschicken,
wovon allein die Wanderschaften der Handwerker ausgenommen sind.
[1, 6, § 4] 231. Bei der Erziehung der Waisen hat ein
Vormund wohl in acht zu nehmen, damit derselbe die Ausgelassenheit und Fehler
ihrer Tugend gleich einem
(1-203) Vater mittelst glimpflicher Ermahnungen, ernstlicher
Verweisen und mäßiger Bestrafungen, hauptsächlich aber durch Abschneidung übler
und Sitten verderblicher Gelegenheiten zu verbesseren trachte, und wo dieses
nicht verfinge, es der Gehörde zur ernstlicheren Einsicht und allenfalls wider
die Verführere verhängenden scharfen Strafe zeitlich anzeige.
[1, 6, § 4] 232. Doch solle sich ein Vormund nicht nur
selbst von übermäßiger Strenge gegen die Waisen enthalten, sondern auch sie
wider Bedrängnissen Anderer schützen. Widrigens hat
die Gehörde das ungeziemende Verfahren mit denen Waisen, sobald sie davon
Wissenschaft erhält, abzustellen und nach Umständen ernstlich zu ahnden.
[1, 6, § 4] 233. Insonderheit lieget dem Vormund ob, wann
arme Waisen zu dienen bemüssiget sind, oder irgendwo in die Lehre einer
Wissenschaft, Kunst oder Gewerbs gegeben worden, fleißig nachzusehen und
nachzuforschen, ob sie auch geziemend gehalten werden, und allem unbilligen
Verfahren sogleich abhilfliche Maß zu verschaffen.
[1, 6, § 4] 234. Umsoweniger ist der Vormund selbst befugt
die Waisen, wann ihme die Unterhaltskosten für sie bezahlet
werden, in seinem Dienst oder Arbeit zu seinem Gewinn und Nutzen anzuwenden.
Wann jedoch Dieselbe Mittellosigkeit halber zu dienen gezwungen sind, so ist
ihme zwar nicht verwehret, sich ihrer mit Vorwissen der Gehörde zu seinen
Diensten und Arbeiten zu gebrauchen, er muß aber ihnen dabei mit aller Glimpfe
und Mäßigung begegnen.
[1, 6, § 4] 235. Wie die Beschirmung der Person der Waisen,
also kommt auch die
(1-204) Besorgung und Verwaltung ihres Vermögens dem Vormund
allein zu, also zwar, daß alle von denen Waisen und Minderjährigen ohne
Vorwissen und Bewilligung
(1-205) ihrer Vormünderen eingegangene Verbindungen oder zu
Verminderung ihres Vermögens oder Verstrickung ihrer Person abzielende
Handlungen nicht von der mindesten Kraft, sondern ganz und gar null und nichtig
sein sollen.
[1, 6, § 4] 236. Sie können dahero weder sich selbst auf was
immer für Art und Weise rechtsgiltig verbinden, noch auch von ihren Habschaften
und Rechten etwas, wie solches Namen haben mag, verkaufen, verpfänden, behaften
oder in andere Wege veräußeren.
[1, 6, § 4] 237. Wer solchemnach sich mit einem Waisen oder
Minderjährigen ohne Zuthat seines Vormunds in eine Handlung eingelassen,
wodurch er etwas von dem Gut der Waisen an sich gebracht, ist solches sammt
allen Nutzungen oder Zinsen, dann Schäden und Unkosten zuruckzustellen
schuldig; deme hingegen der Wais oder Minderjährige etwas zu geben oder zu
leisten sich verbunden hat, dieser hat deswegen wider Jenen keine
Rechtsforderung.
[1, 6, § 4] 238. Wo aber der Wais oder Minderjährige von
Jemandem etwas an Geld oder Geldswerth ohne Einwilligung des Vormunds zu seinen
Handen empfangen hätte, so bereits ohne hiervon einen erweislichen Nutzen gehabt
zu haben verthan oder verzehret wäre, kann an ihme deshalben nichts mehr
geforderet werden.
[1, 6, § 4] 239. Da es hingegen annoch vorhanden oder
erweislich zu des Waisen oder Minderjährigen Nutzen angewendet worden, so solle
der Wais mit des Anderen Schaden nicht bereicheret, sondern Dasjenige, was noch
hieran vorhanden oder zu des Waisen oder Minderjährigen Nutzen wirklich
verwendet worden, diesem wider erstattet werden.
[1, 6, § 4] 240. Jene Handlungen aber, welche einem Waisen
oder Minderjährigen zum Vortheil gereichen, sind zwar seinerseits, insoweit sie
dessen Verbindlichkeit auf sich haben, unkräftig; doch ist Derjenige, mit deme
solche eingegangen worden, hieran gebunden, und sie erlangen auch an Seite des
Waisen oder Minderjährigen ihre vollkommene Wirkung, wann sie von dem Vormund
auf davon erhaltene Wissenschaft gutgeheißen werden.
[1, 6, § 4] 241. Dahingegen haben auch ohne Vorwissen oder
Gutheißen des Vormunds diejenige Handlungen ihre volle Kraft und Wirkung,
welche zum bloßen Gewinn und Vortheil des Waisen oder Minderjährigen ohne
seiner Gegenverbindung oder Verfänglichkeit
gereichen, als da sind Schankungen, Verheißungen oder
Nachlaß einer Schuld und dergleichen.
[1, 6, § 4] 242. Wiewohlen aber die erreichte Vogtbarkeit,
welche in diesen Unseren Erblanden bei Mannspersonen mit dem gänzlich erfülltem
zwanzigsten und bei Weibspersonen mit dem zuruckgelegtem achtzehenten Jahr
ihres Alters anfangen, und bis zur Großjährigkeit, das ist, bis auf das völlig
erfüllte vierundzwanzigste Jahr, sowohl bei Manns- als Weibspersonen ohne
Ausnahme daueren solle, denen Minderjährigen gewisse rechtliche Wirkungen
zueignet; so haben nichtsdestoweniger auch die Minderjährigen noch unter der
Vormundschaft zu verbleiben, und ebenso wenige Befugniß, wie die Unvogtbaren,
sich in etwas zu verbinden oder von ihrem Vermögen ohne Vorwissen und
Einwilligung ihres Vormunds etwas zu veräußeren und zu behaften.
[1, 6, § 4] 243. Dann die der Vogtbarkeit beigelegte
rechtliche Wirkungen bestehen bloß allein in folgenden, als in der Macht einen
letzten Willen zu errichten, welcher, wann er sonst die darzu erforderlichen
Feierlichkeiten hat, allerdings zu Recht bestehen solle.
[1, 6, § 4] 244. Die Endschaft der der Waisenjahren und
einer namentlich auf das Absterben eines unmündigen oder unvogtbaren Erbens
gerichteten Erbsnachberufung, also, daß, wann ein Minderjähriger ohne letzten
Willen verstirbt, Dasjenige, worinnen ein Anderer auf den Fall dessen sich in
der Unmündigkeit oder Unvogtbarkeit ergebenden Todesfalls nachberufen worden,
nicht dem nachberufenen, sondern
(1-206) dem nächsten Anverwandten nach Ordnung der
rechtlichen Erbfolge zufalle, insoferne die Erbsnachberufung nicht ausdrücklich
auf weitere Zeit erstrecket worden, wie davon in zweitem Theil, in dreizehentem
Capitel das Mehrere geordnet wird.
[1, 6, § 4] 245. Der völlige Genuß des eigenen Vermögens und
anmit aufhörende väterliche Nießbrauch, wie auch die eigene Ausübung solcher
Rechten und Gerechtigkeiten, welche einem Eigenthümer zustehen, und weder zur
Verbindlichkeit der Person, weder zur Verminderung des Vermögens, noch auch zur
Beirrung der ordentlichen Verwaltung gereichen.
[1, 6, § 4] 246. Die Fähigkeit, öffentliche Aemter und
Dienste zu bekleiden, Richter und Zeugen abzugeben, Andere in und außer Gericht
zu vertreten, dieses jedoch ohne weiterer Verbindung, als insoferne sie mit des
Anderen Schaden bereicheret, oder dem auf sich genommenen Amt zuwider handlen
würden, und dieserwegen eine Ahndung gegen ihre Person verdieneten.
[1, 6, § 4] 247. Die Fähigkeit bei niederen Standspersonen,
Handlung, Gewerbe- und sonstige Nahrung zu treiben, zu welcher sie geschickt
sind, und worzu ihnen ihr Vermögen nach Maßgebung dessen, was hiervon unten
folgen wird, eingeantwortet worden.
[1, 6, § 4] 248. Und endlich überhaupt die rechtliche
Befugniß, alles Dasjenige zu thun, was zu ihrem oder anderer Leute Nutzen und
Frommen ohne ihrem Nachtheil gereichen kann, und wodurch weder ihre Person zu
einem Abtrag von dem Ihrigen verbunden, noch ihr Vermögen auf einerlei Weise
beschweret oder verminderet wird.
[1, 6, § 4] 249. Dahingegen sollen auch der Minderjährigen
wie immer Namen habende Verbindungen, Zusagen, Versprechen, Eheberednissen und
andere Handlungen, welche zu ihnen nachtheiliger Verstrickung ihrer Person, um
etwas aus dem Ihrigen zu geben oder zu leisten, oder auf die Veräußerung,
Verminderung oder Behaftung ihres Vermögens abzielen, nicht die mindeste Kraft
und Wirkung haben, und hierinfalls kein Unterschied zwischen denen
Minderjährigen und denen Unvogtbaren oder unter väterlicher Gewalt Stehenden,
sondern so die Einen wie die Anderen auf gleiche Art unfähig sein, derlei
Verbindungen und Handlungen für sich selbst einzugehen.
[1, 6, § 4] 250. Wovon nur allein jene Minderjährige von
burgerlichen oder anderen niederen Stand ausgenommen sind, welchen laut Unseres
weiter unten vorkommenden Gesatzes auf richterlichen Befund nach erreichten
vogtbaren Jahren und hierauf von Gericht erfolgter Vogtbarkeitserklärung die
nämliche Fähigkeit zu allen Handlungen, wie denen Großjährigen eingestanden
wird.
[1, 6, § 4] 251. Gleichwie aber ein Minderjähriger nach
erreichter Vogtbarkeit den völligen Genuß seines Vermögens, folglich auch die
eigene Gebarung mit denen ihme in der hiernach bestimmenden Maß zu seiner
freien Schalt- und Waltung überlassenen Einkünften, doch allemal unter der
Aufsicht des Vormunds hat, also muß es auch bei deme, was derselbe an
Feilschaften und Waaren zu seinen und der Seinigen Bedürfnissen kaufet und baar
bezahlet, sein Bewenden haben, wann der Kauf sonst nach Unseren Gesatzen zu
Recht bestehet, und nicht also beschaffen ist, daß auch einem Großjährigen die
richterliche Hilfe dagegen geleistet würde.
[1, 6, § 4] 252. Wann jedoch die von dem Minderjährigen
erhandlete Sachen oder ausgenommene Waaren nicht baar bezahlet sind, und
dieserwegen eine Anforderung hervorkommet, solchen Falls solle dem Verkaufer,
wann er solche nicht zu des Minderjährigen Nutzen oder Nothdurft verwendet
worden zu sein erweisen kann, keine Hilfe geleistet, sondern in alle Wege, wie
in dem gleich hiernach berührenden Fall einer Geldvorleihung, verfahren werden,
und denen Minderjährigen ohne Wissen und Willen ihres Vormunds einige Schulden
zu machen unter keinerlei Vorwand erlaubet sein.
[1, 6, § 4] 253. Wir verbieten dahero nicht allein alle
offenbare oder heimliche Geldvorleihungen,
(1-207) und auf Vereitlungen und Uebertretung dieses Verbots
gerichtete Scheinhandlungen, wodurch denen Minderjährigen baare Gelder
zugewendet, unnütze Waaren aufgedrungen oder zugeschlagen werden, sondern Wir
entkräften auch alle diesfällige Verbindungen, Zusagen und Verschreibungen,
also daß hieraus niemals eine rechtsbeständige Forderung entstehen, noch bei
Gericht darauf gesehen werden solle.
[1, 6, § 4] 254. Diese Entkräftung und Vernichtung derlei
Handlungen solle sich noch weiters auch dahin erstrecken, daß, wann gleich eine
aus solchen Handlungen herrührende Forderung nach erlangter Großjährigkeit
wirklich anerkennet und zu bezahlen neuerdings versprochen, oder zu einer
aufrechten Schuld zugeschlagen, und darüber eine Verschreibung errichtet worden
wäre, diese Anerkanntniß, Zusage oder Verschreibung nichtsdestoweniger ungiltig
und kraftlos verbleiben, mithin auch zur Tilgung und Ausgleichung einer wahren
und aufrechten Gegenforderung niemals behilflich sein, noch weniger eine von
dem Minderjährigen dafür geleistete Bürgschaft, eingelegtes Pfand oder
verschriebenes Unterpfand zu Recht bestehen solle.
[1, 6, § 4] 255. Und obschon in dem Fall, da ein
Großjähriger sich für einen Minderjährigen zum Bürgen gestellet, oder sich
anstatt desselben zum Selbstschuldner verbunden, oder seine eigene Sachen für
ihn zum Pfand eingeleget, oder zum Unterpfand verschrieben hätte, die
Verbindung in seiner Person gegen den Anderen, welchen er also versicheret hat,
allerdings bestehet, so solle ihme jedoch wider den Minderjährigen zu keiner
Zeit eine Ruckforderung gebühren.
[1, 6, § 4] 256. Wie Wir dann auch alle Verbindungen der
Minderjährigen für Andere, es seie durch Bürgschaft oder Selbstübernahme der
Schuld, Pfandseinlegung oder Verschreibung eines Unterpfands, oder wie es sonst
geschehen möge, ebenso unkräftig, wie ihre für sich selbst eingegangene
Verbindungen erklären.
[1, 6, § 4] 257. Damit sich aber Niemand gelüsten lasse,
Minderjährigen mit Vorbeigehung ihrer Väter oder bestellter Vormünderen
heimlich Geld zu leihen, oder durch verstellte Handlungen ihnen Geld zu
verschaffen und zuzubringen, so solle nicht genug sein, daß ein Solcher,
welcher einem Minderjährigen Geld vorgestrecket, oder Sachen und Waaren
geborget hat, mit der ansuchenden Zahlung gar nicht gehöret werde, sondern
derselbe solle (es möge bei dem Darlehen ein Betrug unterlofen sein oder nicht)
nebst dem Verlust eines solchen Unserer Kammer anheimfallenden, und von dem
Schuldner zu der nach Unseren anderweiten Verordnungen bestimmten Verwendung
abzuführen habenden Darlehens noch über dieses um den nämlichen eben dahin zu
entrichten kommenden Betrag der dargeliehenen Summe unnachsichtlich bestrafet
werden.
[1, 6, § 4] 258. Die sich einschuldende Minderjährige
hingegen sollen nach erreichter Großjährigkeit um so viel länger, als selbe in
Vergleich ihres jährlichen Einkommens Schulden zu machen sich unterfangen, und
bis sie nicht bessere Kennzeichen einer guten Wirthschaft geben werden, oder so
lange es Uns gefällig sein wird, unter der Vormundschaft zu verharren, die
nachgesetzten Gerichten aber und Fiscalen ohne einiger Rücksicht der Person
unter eigener Vertretung auf das genaueste und strengste darob zu halten
schuldig sein.
[1, 6, § 4] 259. Was jedoch einem Glaubiger auf ein solches
Darlehen entweder währender Minderjährigkeit, oder auch nach erreichter
Großjährigkeit bezahlet worden wäre, dieses solle von ihme zurückgeforderet,
und sammt dem noch unbezahlten, wie auch mit dem über das zu erlegen kommenden
anderfachen Strafbetrag je und allzeit zu Handen Unserer Kammer eingezogen
werden.
[1, 6, § 4] 260. Hätte sich aber ein Glaubiger beinebst
eines offenbaren Wuchers, oder der Verführung eines Minderjährigen und anderer
sträflicher Gefährde schuldig gemacht, so solle derselbe über den Verlust des
vorgeliehenen Gelds oder der geborgten Sachen, und über die schon ausgesetzte
Strafe des anderfachen Betrags
(1-208) des Darlehens (welche bei Unvermöglichen nach
Beschaffenheit der Umständen in zeitliche Gefängniß zu verwandlen ist) annoch
nach Maß der mehr oder minder erschwerenden Umständen mit einer nach
richterlichen Befund auszumessenden Strafe beleget werden.
[1, 6, § 4] 261. Wider diese Unsere gesatzgebige Anordnung
solle Niemanden die vorgebliche Unwissenheit des minderjährigen Alters schützen
können, sondern ein Jeder, der sich mit jungen Leuten in Handlungen außer denen
zur wahrscheinlichen Nothdurft gereichenden Sachen einläßt, vorhero sich wohl
zu erkundigen schuldig sein, ob sie bereits für großjährig erkläret, mithin fähig
sind, rechtsgiltige Verbindungen einzugehen.
[1, 6, § 4] 262. Noch weniger mag die Vorstellung eines sich
für großjährig ausgebenden Minderjährigen, weder die gemeine ihn dafür haltende
Meinung, weder die vorgespieglete Einwilligung des Vaters oder Vormunds, noch
was Anderes, wodurch der Glaubiger hintergangen worden zu sein vorgiebt,
demselben zur Habhaftwerdung des geborgten Gelds oder Sachen, und zur
Entbindung von der ausgesetzten Strafe behilflich sein.
[1, 6, § 4] 263. Doch solle dem Minderjährigen die
Hintergehung des Glaubigers nicht ungeahndet hingehen, sondern, da solche
erwiesen wird, ernstlich bestrafet werden. Und wann der Glaubiger durch Andere
hintergangen worden, so bleiben ihme zu seiner Entschädigung alle diensame
Rechtsmitteln wider dieselbe bevor.
[1, 6, § 4] 264. Was nun immer für Geschäften oder
Handlungen an Seiten der Waisen und Minderjährigen in oder außer Gericht
vorfallen mögen, diese alle gehören zur Verwaltung des Vormunds in Namen und zu
Handen der Waisen und Minderjährigen, dessen Schuldigkeit ist, solche getreu
und fleißig zu besorgen, der Waisen Nutzen in allen zu beförderen, und Schaden
und Nachtheil abzuwenden.
[1, 6, § 4] 265. Unter gerichtlichen Geschäften ist das
erste, die denen pflegbefohlenen Waisen und Minderjährigen durch letzten Willen
oder nach Ordnung rechtlicher Erbfolge angefallene Erbschaften entweder
gerichtlich anzutreten, oder sich derselben zu entschlagen, wie er Eines oder
das Andere ihnen am zuträglichsten zu sein befinden würde.
[1, 6, § 4] 266. Die Antretung einer Erbschaft, es seie nach
dem Vater, der Mutter, oder anderen Erblasseren, solle jedoch von dem Vormund
niemalen anderst geschehen können, als mit ausdrücklich vorbehaltener
Rechtswohlthat des gerichtlichen Inventarii, und ohne solcher keine Erbserklärung
von einem Vormund bei Gericht angenommen werden.
[1, 6, § 4] 267. Fände aber der Vormund seinen
Pflegbefohlenen nützlicher zu sein, sich der Erbschaft zu entschlagen, so solle
derselbe allemal vorhero die eigentliche Beschaffenheit der Ursachen, wegen
welcher er die Erbschaft auszuschlagen
(1-209) vermeinet, derjenigen Gehörde, von der er zum
Vormund bestellet worden, getreulich anzeigen, diese aber die Sache reiflich
erwägen, und den Vormund befindenden Dingen nach zu seinem Nachverhalt verbescheiden.
[1, 6, § 4] 268. Widrigens, da ein Vormund deme zuwider
handlete, und entweder die Erbserklärung ohne Vorbehalt des gerichtlichen
Inventarii, oder die Erbsentschlagung ohne vorläufiger Genehmhaltung der
Vormundschaftsgehörde einbrächte, solle dergleichen Erbserklärung oder
Erbsentschlagung bei keinem Gericht angenommen werden, sondern so Eine als die
Andere ganz ungiltig und ohne Wirkung sein.
[1, 6, § 4] 269. Da aber jegleichwohlen seinen
Pflegbefohlenen ein erweislicher Schaden hieraus erwachsen wäre, oder der
Vormund einer dabei gebrauchten Arglist, Gefährde oder ungleicher
Vorstellungen, wodurch bei der Gehörde die Gutheißung der Erbsentschlagung
erschlichen worden, überführet werden könnte, so ist derselbe nicht allein zum
Ersatz alles ihnen andurch zugefügten Schadens anzuhalten, sondern auch nach
Maß seiner mitunterwaltenden Arglist und Gefährde zu bestrafen, und was an ihme
nicht zu erholen wäre, dafür hat die Vormundschaftsgehörde zu haften, wann
selbe sich hierinfalls eine Fahrlässigkeit zu Schulden kommen lassen.
[1, 6, § 4] 270. Wie in Erbfällen, also auch in allen
anderen Gerichtshändeln hat ein Vormund seine Pflegbefohlene zu vertreten. Es
lieget ihme dahero ob, die bei Gericht vor oder wider dieselbe anhängige
Rechtsführungen ohne Saumsal zu Ende zu bringen, und dabei wohl zu überlegen,
auch sich bei Rechtserfahrenen Raths zu erholen, ob seinen Pflegbefohlenen
nutzlicher seie, den richterlichen Ausspruch abzuwarten, oder sich mit dem
Gegentheil in eine Vergleichshandlung einzulassen.
[1, 6, § 4] 271. In Vergleichshandlungen, der Rechtsstreit
möge schon vor oder erst nach angetretener Vormundschaft rechtsanhängig worden
sein, solle sich von keinem Vormund ohne vorläufig angesuchter Verwilligung der
Vormundschaftsgehörde eingelassen, noch auch solche anderst als durch
Vermittlung einiger hierzu verordneten Gerichtspersonen vorgenommen, und der
Vergleich selbst nicht ehender, als nachdeme derselbe der Vormundschaftsgehörde
vorgeleget, von dieser, ob er zum Nutzen der Waisen gereiche, wohl erwogen, und
auf Befund beangenehmet worden, geschlossen werden können.
[1, 6, § 4] 272. Widrigens bindet ein von dem Vormund für
sich allein eingegangener Vergleich zwar den Gegentheil, welcher solchen mit
ihme geschlossen, nicht aber auch die Waisen, wann er ihnen zum Nachtheil
gereichete.
[1, 6, § 4] 273. Nicht weniger ist ein Vormund schuldig da,
wo es die Nothdurft oder der Nutzen der Waisen erfoderet, in ihrem Namen sowohl
neue Ladungen auszuwirken und Klage wider Andere anzustrengen, als auch Ladungen
anzunehmen, sich auf Rechtsklagen einzulassen, und alles Nöthige bis zu der
Sachen gänzlichen Ausgang bei Gericht vorzukehren, also daß allemal der Vormund
in Namen der Waisen Andere belange und von Anderen belanget werde.
[1, 6, § 4] 274. Doch gehet Alles auf Gewinn und Verlust der
Waisen, und ist der Vormund, da er sachfällig würde, außer Verantwortung, wann
er seinerseits am Verlust des Rechtshandels keine Schuld traget, als da
derselbe einen muthwilligen Rechtsstreit wissentlich angefangen oder fortgesetzet,
oder wegen Ungehorsam, Fristversäumniß oder anderer Verwahrlosung den
Rechtshandel verloren, oder wie sonst immer in Verlauf des Streits seinen
Pflegbefohlenen ein Recht vergeben oder mit seiner Schuld einen Nachtheil
zugezogen hätte, in welchen Fällen er allen erweislichen Schaden zu ersetzen
hat.
[1, 6, § 4] 275. Eben also fällt dem Vormund auch die Schuld
und Vernachlässigung Derjenigen zur Last, deren er sich in Rechtshändeln aus
eigener Wahl gebrauchet. Deme vorzukommen stehet ihme frei, in vorfallenden
schweren Rechtshändeln,
(1-210) wann er darinnen unerfahren ist, und einen
Rechtsfreund zu wählen sich selbst nicht getrauet, bei der
Vormundschaftsgehörde um Beigebung eines Rechtsobsorgers oder Curatoris
anzuhalten, welcher eine oder mehrere Rechtsführungen, worzu er bestellet ist,
gegen billiger Belohnung, oder, wo die Waisen arm sind, auch ohnentgeltlich zu
besorgen, und die Schuld oder Vernachlässigung, wann solche dem Vormund nicht
mit beigemessen werden mag, allein zu verantworten hat.
[1, 6, § 4] 276. Umsomehr ist die Bestellung eines
Rechtsobsorgers oder Curatoris damals nothwendig, wann zwischen dem Vormund und
seinen Pflegbefohlenen Rechtsansprüche fürwalteten, welche in Namen der Waisen
von dem Curatore entweder gütlich, oder in Weg Rechtens zu End zu bringen sind.
[1, 6, § 4] 277. Was nun kraft der richterlichen Erkanntniß,
oder des von der Vormundschaftsgehörde bestätigten Vergleichs der Vormund
seinen Pflegbefohlenen zu entrichten hat, dieses muß derselbe unnachbleiblich
erstatten, oder wenigstens hinlängliche Sicherheit dafür bestellen und die
Zinsen davon richtig abführen, widrigens ist er durch die rechtliche
Zwangsmitteln darzu anzuhalten.
[1, 6, § 4] 278. Was hingegen dem Vormund, es seie durch
Spruch und Urtheil, oder durch gerichtlich bestätigten Vergleich von dem
Waisengut gebühret, dafür kann er mit obervormundschaftlicher Bewilligung eben
also, wie in Ansehung aller anderer richtiger und gerichtlich bewußter an denen
Waisen habender Forderungen sich selbst aus dem Waisengut bezahlt machen, oder
die Zinsen davon beziehen.
[1, 6, § 4] 279. Auch außer rechtsanhängigen Ansprüchen
zwischen dem Vormund und Waisen solle diese letztere in allen anderen
gerichtlichen und außergerichtlichen Vorfällen, welche so geartet sind, daß
sowohl des Vormunds, als der Waisen Vortheil dabei unterwalte, und durch
Vorziehung des eigenen Nutzens jener der Waisen außer acht gelassen werden
könnte, durch einem eigenen Curatorem vertreten und über Alles, was in ihrem
Namen geschlossen wird, die obervormundschaftliche Gutheißung mit Anzeige aller
Umständen angesuchet werden.
[1, 6, § 4] 280. Von dieser Art sind die Theilung einer dem
Vormund und Waisen zusammen angefallenen Erbschaft oder eines zwischen ihnen
gemeinschaftlichen Guts, oder Forderung, oder deren Uebertragung und Abtretung
an einen Dritten, die Ablassung von einem beiderseitigen Recht zu Gunst eines
Dritten, die zwischen dem Vormund und Waisen schließen wollende Käufe und
Verkäufe liegender Güter oder an Werth beträchtlicher Fahrnissen, und überhaupt
alle Handlungen, wobei es um Vortheil und Verlust des Vormunds und Waisen
gegeneinander zu thun ist.
[1, 6, § 4] 281. Dann keinerlei Handlung, Vergleich, Zusage,
noch Verbindung kann zwischen dem Vormund und seinen Pflegbefohlenen zu Recht
bestehen, wann diese nicht dabei obverordnetermaßen von einem Curatore
vertreten werden, und die ausdrückliche Genehmhaltung der Vormundschaftsgehörde
nicht hinzustoßt.
[1, 6, § 4] 282. Noch weniger ist einem Vormund erlaubet,
das Waisengut auf einigerlei Weise anderst als mit obrigkeitlicher Bewilligung
bei Nichtigkeit der Handlung an sich zu bringen.
[1, 6, § 4] 283. Wann dahero ein Waisengut wegen nothwendig
oder nutzlich befundener Veräußerung gerichtlich feilgeboten wird, ist zwar dem
Vormund nicht verwehret sich zu dem Kauf anzumelden, jedoch muß er diese seine
Gesinnung der Vormundschaftsgehörde zeitlich anzeigen, und sich auf keinerlei
Weis in den Verkauf einmischen.
Die Vormundschaftsgehörde aber hat die genaueste
Untersuchung, ob keine Eigennützigkeit des Vormunds zur Benachtheiligung der
Waisen dabei unterlaufe, zu veranlassen, und ihre Einwilligung hierzu nicht
anderst, als bei befindender Unschädlichkeit des Vorhabens zu ertheilen,
folglich denen Waisen einen Curatorem zu bestellen, der ihren bei diesem Geschäft
unterwaltenden Nutzen zu beobachten hat.
[1, 6, § 4] 284. Endlich solle kein Vormund in Fällen, wo
immer der Gewinn und
(1-211) Vortheil, Schaden oder Nachtheil mehrerer unter ihme
stehender Waisen nicht einerlei ist, sondern einer an dem anderen etwas zu
forderen hat, deren einen gegen den anderen vertreten können, sondern einem
jedem ein besonderer Curator zu dessen Vertretung bestellet werden, als da ein
Wais gegen den anderen einen Rechtsanspruch hätte, oder die Theilung eines
zwischen ihnen gemeinschaftlichen Guts oder Erbschaft vorzunehmen wäre.
[1, 6, § 4] 285. Außer vorberührten Handlungen hat ein
Vormund alle andere außergerichtliche Geschäften in Namen und zu Handen deren
Waisen nach seinem besten Wissen und Befund zu besorgen und zu verwalten, wann
sie nicht von so beträchtlicher Wichtigkeit sind, daß hierzu die Verwilligung
und Genehmhaltung der Vormundschaftsgehörde erforderet werde.
[1, 6, § 4] 286. Zu deren einigen, als da sind die
Veräußerung liegender Waisengüter, oder anderer landtäflich, stadt- oder
grundbücherlich versicherter Rechten und Forderungen, sie geschehe durch
Verkauf, Tausch, Abtretung, Ablassung, Verpfändung oder sonstige Beschwer- und
Behaftung, der Ankauf liegender Güter, oder in einen großen Werth laufender
Fahrnissen, Einschuldung der Waisen, und überhaupt Alles, was zur Verminderung
und Schmälerung des Waisenguts gereichen kann, ist die obervormundschaftliche
Einwilligung dergestalten nothwendig, daß die ohne derselben unternommene
Handlung ganz und gar kraftlos seie, folglich bei keinem Gericht einiger
Beistand hierwegen ertheilet, noch irgendwo zur landtäflichen, stadt- oder
grundbücherlichen Einverleibung angenommen werden solle.
[1, 6, § 4] 287. Bei minder wichtigen Geschäften und
Handlungen ist zwar die Verwilligung der Vormundschaftsgehörde zu deren
Giltigkeit und Fortgang nicht erforderlich; doch setzet
sich der Vormund ohne deren Erwirkung der Verantwortung und nach Gestalt der
Sachen der Schadloshaltung der Waisen aus.
[1, 6, § 4] 288. Wann demnach die Nothwendigkeit oder der
Nutzen der Waisen erforderet, ein ihnen angehöriges liegendes Gut, Haus oder
Grundstück zu verkaufen, so solle der Vormund solches bei der
Vormundschaftsgehörde anzeigen, welche sodann nach Befund, dass dessen
Veräußerung für die Waisen ersprießlicher seie, als dessen Beibehaltung,
allemal eine öffentliche Feilbietung zu veranlassen, und entweder, wann das Gut
unter ihrer eigenen Gerichtsbarkeit gelegen ist, solche selbst auszuschreiben,
oder diejenige Gerichtsstelle, worunter es gehöret, hierum anzugehen hat.
[1, 6, § 4] 289. Gleichwie in Gegentheil, wann eine
vortheilhafte Gelegenheit vorfiele, denen Waisen aus ihren darzu erklecklichen
Mitteln zu ihrem Nutzen ein liegendes Gut, Haus oder Grundstuck anzukaufen, der
Vormund schuldig ist, bei der Vormundschaftsgehörde die ihn hierzu bewegende
Ursachen mit dem verläßlichen Anschlag
(1-212) des Guts, Hauses oder Grunds, dessen Ertragniß,
Zugehörungen Herrlichkeiten, Anlagen, Beschwerden, Haftungen und den Preis
desselben anzuzeigen.
[1, 6, § 4] 290. Nach all dessen reifer Erwägung und genauer
Untersuchung, auch nöthigen Falls veranlaßter Besichtigung und daraus erhobenen
Befund eines wahren Nutzens hat die Vormundschaftsgehörde dem Vormund die
Bewilligung zu dem vorhabenden Kauf entweder bis auf einen bestimmten Preis,
und mit Vorschrift der Kaufbedingnissen, oder aber mit Vorbehalt ihrer nach
Einsicht des geschlossenen Kaufs erfolgenden Gutheißung zu ertheilen, und die
Bewilligung oder Bestätigung des Kaufs allemal in den Kaufbrief einziehen zu
lassen.
[1, 6, § 4] 291. Güter und Landwirthschaften, welche
derorten insgemein von denen Besitzeren selbst besorgt und bestellet werden,
darf kein Vormund ohne besonderer Ursach und von der Vormundschaftsgehörde
darzu erhaltener Verwilligung verpachten, noch auch die zu verpachten
gewöhnliche auf eine längere Zeit, als insgemein üblich ist, in Pacht geben.
[1, 6, § 4] 292. Dahingegen bedarf es bei Bestandgebung oder
Vermiethung einzler Gründen, Nutzungen und Hauswohnungen dieser besonderen
Verwilligung nicht, wann der Bestand oder die Miethung sich nicht über zwei
Jahre hinaus erstrecket, und der bedungene Zins gegen dem vorhinigen nicht
merklich herabfällt.
[1, 6, § 4] 293. So viel es aber das bewegliche Waisengut
betrifft, so solle gleich bei dessen Beschreibung, folglich noch vor desselben
Einantwortung an den Vormund, was davon zu veräußeren oder aufzubehalten für
die Waisen nutzlich seie, erwogen werden.
[1, 6, § 4] 294. Was nicht bei dem Geschlecht zu verbleiben
hat, oder von dem Vater, Vorelteren oder anderen Erblasseren aufzubehalten
namentlich verordnet ist, oder als ein besonderes Denkmal für die
Nachkommenschaft aufbehalten zu werden verdienet, oder von Grund und Boden
unabsönderlich ist, alles dieses ist je eher je besser zu verkaufen, und der dafür
erlöste Werth zur Benutzung sicher anzulegen.
[1, 6, § 4] 295. Sachen aber, welche denen Waisen
dermaleinstens nutzlich sein können, und nicht leicht wieder zu haben, noch der
Verderbungsgefahr unterworfen sind, sollen ohne Noth nicht verkaufet, noch auch
mit der Veräußerung solcher Sachen geeilet werden, welche mit der Zeit bessere
Käufer finden können, oder durch längere Aufbehaltung in ihrem Werth steigen.
[1, 6, § 4] 296. Ueberhaupt kommt die Beurtheilung dessen,
was zu veräußeren oder aufzubehalten seie, dem vernünftigen Ermessen deren zur
Beschreibung des Waisenguts abgeordneten Gerichtspersonen, des etwan
mitanwesenden Vormunds und Befreundten und bei Verschiedenheit der Meinungen
der obervormundschaftlichen Erkanntniß zu.
[1, 6, § 4] 297. Was aufzubehalten befunden wird, ist, so
viel möglich, gleich bei der Beschreibung des Waisenguts von denen zum Verkauf
bestimmten Sachen abzusönderen, beide aber sind durch beeidigte Schätzere,
oder, wo diese ohne großen Kosten nicht zu haben sind, durch andere der Sachen
verständige Kennere gewissenhaft, und also, wie sie ihre Schätzung auf
Erforderen eidlich bekräftigen können, zugleich abzuschätzen, und die
Schätzungspreise der gerichtlichen Beschreibung beizufügen.
[1, 6, § 4] 298. Könnte aber dieses bei der Beschreibung des
Waisenguts ohne großem Aufwand oder Verzögerung nicht geschehen, so mag die
Schätzung immittelst unterbleiben, und alsdann erst vorgenommen werden, wann
zur Veräußerung oder Erbtheilung geschritten werden will.
[1, 6, § 4] 299. Mit der Veräußerung der zum Verkauf
bestimmten Sachen ist nicht zu saumen, sondern solche des fördersamsten nach
vorangegangener Schätzung entweder an dem Ort, wo die Sachen befindlich, oder
auch anderwärts, wo sie
(1-213) leichter und besser an Mann gebracht werden können,
doch niemalen anderst, als gerichtlich mittelst öffentlicher Feilbietung
vorzunehmen.
[1, 6, § 4] 300. Das für die verkaufte Sachen gelöste Geld
ist so, wie die bei der Beschreibung vorgefundene Barschaft bis auf so viel,
als der Vormund zu vormundschaftlichen Ausgaben nöthig hat, von Zeit zu Zeit,
wie solches eingehet, mittelst einer von denen dazu verordneten
Gerichtspersonen über den gelösten Betrag jedesmal zu erstatten habenden
Berichts bei Gericht zu hinterlegen, dem Vormund aber seiner Zeit eine
gerichtliche Verzeichniß all dessen, was verkaufet worden, mit Anmerkung des
dafür hinterlegten Preises zu Belegung seiner künftigen Rechnungen auszufolgen.
[1, 6, § 4] 301. Was wegen Mangel der Kauflustigen nicht
verkaufet werden kann, solle dem Vormund eingeantwortet werden, damit derselbe
diese Sachen so bald und so hoch wie möglich, doch niemalen unter der Schätzung
zu verkaufen trachte, es würde ihme dann dieses ausdrücklich verwilliget, oder,
da es Kleinigkeiten beträfe, ihme hierinnen freie Hand gelassen, den Verkauf so
gut als möglich zu bewirken.
[1, 6, § 4] 302. Desgleichen sind demselben auch jene
Sachen, welche für die Waisen aufzubehalten befunden worden, zur sorgfältigen
Verwahrung einzuhändigen.
Doch, da sich ein erhebliches Bedenken äußerte, können und
sollen dieselbe in gerichtlicher Verwahrung gehalten, oder an andere sichere
Orte hinterleget, dem Vormund aber hierüber ein Hinterlegungsschein zur
Belegung seiner Rechnungen hinausgegeben werden.
[1, 6, § 4] 303. Die Waisengelder, so viel hieran laut der
Beschreibung des Waisenguts
(1-214) an Barschaft vorgefunden, oder aus dem verkauften
Waisengut gelöset, und von so einem, als anderen über Abzug deren
unausweichlichen Vormundschaftsausgaben erübriget, oder von der jährlichen
Ertragniß ersparet, oder an Capitalien, Ausständen und Forderungen heimgezahlet
oder eingetrieben wird, sollen nach Maßgebung Unserer hierwegen bestehenden
besonderen Verordnung mit Vorwissen der Vormundschaftsgehörde verzinslich
angeleget werden.
[1, 6, § 4] 304. Und im Fall sie an Privatpersonen
auszuleihen befunden würde, so solle solches nicht anderst, als gegen
landtäflich, stadt oder grundbücherlich auf einem liegenden Gut verschriebener
hinlänglicher Versicherung, mit jedermal vorläufig einzuholen habender ausdrücklicher
Gutheißung der Vormundsgehörde unter landesgewöhnlichen Zinsen geschehen
können.
[1, 6, § 4] 305. Sowohl die über die neu angelegte
Capitalien ausgestellte, als in der Beschreibung des Waisenguts einkommende
Schuldbriefe sollen von der Vormundschaftsgehörde in gerichtliche Verwahrung
genommen, und derorten, wo eigene Hinterlegungsämter von Uns aufgestellet sind,
dahin gegen einem ordentlichen die Anzahl, Eigenschaft und Betrag dieser
Schuldbriefen mit dem Jahr und Tag der Ausstellung, und allenfalls darauf
befindlichen Vormerkung deutlich enthaltenden Hinterlegungsschein zur
Verwahrung abgegeben, wo aber zur Zeit keine dergleichen Hinterlegungsämter
sind, bei Gericht sicher aufbehalten werden.
[1, 6, § 4] 306. Dem Vormund jedoch sind zu seiner Nachricht
Verzeichnissen und Abschriften davon zu geben: dahingegen die Schuldbriefe
selbst nur damals zu seinem Handen auszufolgen, wann die Vormundschaftsgehörde
solche demselben entweder zur Ausführung eines hierwegen entstandenen
Rechtshandels, oder zu der von ihr bewilligten Erhebung, Uebertragung oder
Umlage des Hauptgelds oder Capitals, oder auch zur bewirkenden Vormerkung der
Schuldforderung, oder zur Eintreibung derselben, oder zu anderen derlei
rechtlichen Nothdurften zuzustellen nöthig findet.
[1, 6, § 4] 307. Die in der Beschreibung des Waisenguts
einkommende, oder sonst nachhero sich ergebende Forderungen und Ausstände der
Waisen sind entweder in öffentlichen Fundis angeleget, oder auch landtäflich,
stadt oder grundbücherlich versicheret oder nicht, die unversicherten entweder
verbrieft oder unverbrieft, beide aber richtig oder unrichtig.
[1, 6, § 4] 308. Von denen in öffentlichen Fundis angelegten
oder hinlänglich versicherten Capitalien hat der Vormund die abfallende Zinsen
fleißig einzuforderen und keine Rückstände anwachsen zu lassen, sondern da auch
zur zweiten Verfallzeit von dem Privatschuldner nicht eingehalten würde, den
ganzen Rückstand sofort gerichtlich einzutreiben, und da die Unrichtigkeit
öfters vorginge, oder wegen der Sicherheit ein Bedenken wäre, nach
vorhergehender Anzeige an die Vormundschaftsgehörde und darüber erhaltener
Genehmhaltung das Capital zur Heimzahlung aufzukündigen.
[1, 6, § 4] 309. Ueberhaupt solle kein Vormund für sich
allein befugt sein, ein in öffentlichen Fundis anliegendes oder landtäflich,
stadt- oder grundbücherlich vorgemerktes Capital ohne Bewilligung der
Vormundschaftsgehörde aufzukündigen, zu deren Erwirkung derselbe allemal die
Bewegursachen, warum er die Aufkündigung denen Waisen nothwendig oder nutzlich zu
sein finde, ihr anzuzeigen hat.
[1, 6, § 4] 310. Dahingegen stehet einem jedwedem Schuldner
frei, das bei ihme anliegende Capital der Waisen dem Vormund aufzukündigen, und
dieser ist allerdings schuldig, die ihme behörig geschehene Aufkündigung
anzunehmen und der Vormundschaftsgehörde hiervon die Anzeige zu machen.
(1-215) [1, 6, § 4] 311. In beiden Fällen, wo nämlich
entweder mit Genehmhaltung der Vormundschaftsgehörde dem Schuldner aber von
diesem dem Vormund das Capital aufgekündiget wird, hat die Vormundschaftsgehörde
dem Vormund einen besonderen Bewilligungsbescheid zur Erhebung des Gelds und
Ausstellung der Quittung zu ertheilen, ohne welche ihme von dem Schuldner das
Capital nicht ausgezahlet, sondern zu Gerichtshanden erleget werden solle.
[1, 6, § 4] 312. Wie dann keine von dem Vormund über ein
Capital der Waisen ausgestellte Quittung, Abtretung oder Verzicht bei Gericht
angenommen, noch weniger irgendwo einverleibet werden darf, wann nicht zugleich
die von der Vormundschaftsgehörde darzu habende Verwilligung beigebracht und
sich hierauf in der ausstellenden Quittung, Abtretung oder Verzicht nicht
ausdrücklich bezogen wird.
[1, 6, § 4] 313. Das heimgezahlte Capital ist sogleich
anwiederum obverordneter Maßen mit Sicherheit zinsbar anzulegen, und hat der
Vormund zugleich mit der Anzeige der Aufkündigung auch einen anderen sicheren
Ort zur Wiederanlegung der Vormundschaftsgehörde vorzuschlagen und hierzu ihre
Einwilligung anzusuchen.
[1, 6, § 4] 314. Wann aber der Vormund kein sicheres Ort
ausfindig zu machen vermögete, so hat derselbe diesen Umstand wenigstens vier
Wochen vor der Zahlungszeit der Vormundschaftsgehörde anzuzeigen, damit durch
öffentliche Kundmachung (daß einige Waisengelder zur sicheren Anlegung
vorhändig sind) oder in andere Wege dem aus unfruchtbarer Erliegung dieser
Gelder besorglichen Schaden der Waisen vorgebogen werden könne.
[1, 6, § 4] 315. Würde hingegen ein Vormund deme, was hier
oben verordnet worden, nicht nachkommen, sondern die Anzeige in der Zeit
unterlassen, oder die obervormundschaftliche Bewilligung zur Erhebung und
Quittirung nicht erwirken, und somit zur unfruchtbaren Erliegung oder zur
gerichtlichen Hinterlegung des Waisengelds aus seiner Schuld Anlaß geben, so
solle derselbe nicht allein die Unkosten der gerichtlichen Hinterlegung,
sondern auch den wegen Nichtnutzung des Gelds denen Waisen inzwischen
zugehenden Schaden bis zu dessen sicherer Wiederanlegung oder anderweiter
nutzbarer Verwendung zu ersetzen schuldig sein, daß Geld oder bis dahin bei dem
Hinterlegungsamt in Verwahrung gegeben, oder wo kein solches Amt befindlich,
bei Gericht sicher aufbehalten werden.
[1, 6, § 4] 316. Bei unvorgemerkten, oder doch verbrieften
Forderungen hat der Vormund aus dem Inhalt der Schuldbriefen die Bewandtniß der
Schuldforderung abzunehmen, ob darinnen ein Unterpfand bestellet seie, oder
nicht, ob und was für eine Aufkündigungszeit bedungen, oder was für eine
Verfallzeit bestimmet, ob die Forderung richtig oder strittig, ob der Schuldner
in zahlungsfähigem Stande oder unsicher seie.
[1, 6, § 4] 317. Unvorgemerkte Hauptbriefe, worinnen ein
Unterpfand bestellet ist, sollen ohne Ausnahme zur Vormerkung gebracht, da aber
in einer Schuldverschreibung kein Unterpfand bestellet wäre, zur Sicherheit der
Waisen die ausdrückliche Bestellung eines genugsamen Unterpfands von dem
Schuldner anbegehret und solche behörig vorgemerket, widrigens in der
bedungenen Zeit die Zahlung geforderet und bei besorgender Gefahr immittelst
auf die Sicherstellung der Waisen, wie es am füglichsten geschehen kann, fürgedacht
werden.
[1, 6, § 4] 318. Allermaßen dann die Schuldigkeit eines
jeden Vormunds mit sich bringt, alle verbriefte Forderungen, wofür keine
hinreichende Sicherheit bestellet ist, noch von denen Schuldneren erhalten
werden kann, unverlängt gütlich oder gerichtlich einzutreiben, und die
erwartende Zahlung zu gleichem Ende, wie es oben von versicherten Capitalien
erwähnet worden, der Vormundschaftsgehörde zeitlich anzuzeigen.
[1, 6, § 4] 319. Um so mehr lieget
dem Vormund ob, alle unverbriefte Ausstände und Forderungen sobald möglich
einzubringen, oder eine hinlängliche Sicherheit zu verschaffen, und ist
derselbe befugt das eingehende Geld, ohne eine obervormundschaftliche
(1-216) Bewilligung hierzu nöthig zu haben, selbst zu
erheben, welches er sofort in Rechnungsempfang zu nehmen und damit also zu
verfahren hat, wie es in Ansehung vorräthiger Barschaft hiernach verordnet
wird.
[1, 6, § 4] 320. Auf gleiche Art hat ein Vormund mit
strittigen Forderungen fürzugehen, und solche entweder mittels eines von der
Vormundschaftsgehörde genehmhaltenden Vergleichs oder in Weg Rechtens richtig
zu stellen, dabei aber auch auf alle bewirken mögende Sicherheit fürzusorgen.
Doch solle keinem Vormund unter was immer für einem Vorwand
Schuldforderungen der Waisen an sich zu lösen oder zu erhandlen gestattet sein.
[1, 6, § 4] 321. Vornehmlich aber hat die
Vormundschaftsgehörde auf die genügliche Sicherstellung aller denen Waisen
angebührenden Schuldforderungen auch jenen Falls, wo der Vormund an seiner
Obliegenheit etwas erwinden ließe, von amtswegen fürzudenken. Widrigens wo
selbe hierinfalls eines Saumsals überwiesen werden könnte, ist sie denen Waisen
Dasjenige, um was diese aus ihrer Schuld erweislich gefährdet worden, und was
von dem die Schuld mittragenden Vormund nicht erholet werden kann, aus dem
Eigenen zu ersetzen schuldig.
[1, 6, § 4] 322. Von denen vorräthigen Barschaften, welche
nach Abzug aller nothwendigen Vormundschaftsausgaben erübrigen, sollen
vorzüglich die Waisenschulden baldmöglichst getilget werden, und dabei vor
Allem auf die Entledigung des Waisenguts von denen darauf versicherten
Haftungen der Bedacht genommen, auch hierüber vorhero allemal von dem Vormund
der Vorschlag der leisten wollenden Zahlung der Vormundschaftsgehörde
vorgeleget und ihre Genehmhaltung eingeholet, sodann aber die über die
geleistete Zahlung erhaltene Quittungen und zuruckgestellte Schuldbriefe
derselben zur Verwahrung übergeben werden.
[1, 6, § 4] 323. Was nach getilgten Schulden an der
Barschaft übrig bleibt, solle mit Begenehmigung der Vormundschaftsgehörde zur
Verbesserung des Waisenguts auf Zukaufung nutzlicher Grundstücken, Ablösung der
auf dem Waisengut haftender Zinsen, Abgaben oder Dienstbarkeiten, oder in
andere nutzliche Wege verwendet werden.
[1, 6, § 4] 324. Es kann auch ein außerordentliche
Verbesserung deren Gütern und Gründen in allen Gattungen der Wirthschaft aus
der vorhändigen Barschaft und weiteren Ersparnissen vorgenommen werden, wodurch
die Ertragniß eines Guts vermehret und der Nutzen erhöhet werden kann, wann solche
die Vormundschaftsgehörde ersprießlich zu sein findet und hierzu einwilliget.
[1, 6, § 4] 325. Diese Einwilligung ist insonderheit zu
Aufführung neuer oder kostbarer Erneuerung alter Wohn oder auch
Wirthschaftsgebäuden erforderlich, zu deren Erwirkung der Vormund jederzeit
einen verläßlichen Ueberschlag deren darzu erforderlichen Kosten einzubringen,
und den von der Vormundschaftsgehörde beangenehmten Betrag nicht zu
überschreiten hat.
[1, 6, § 4] 326. Wann jedoch die Vormundschaftsgehörde keine
Nothwendigkeit, Nutzbarkeit oder besondere Wohlanständigkeit dabei zu
unterwalten findet, solle sein keineswegs hierein willigen, und umsoweniger die
Unternehmung unnützer Gebäuden zu bloßem Pracht und Lust gestatten.
[1, 6, § 4] 327. Was aber die Herstellung und Erhaltung der
Gründen und Gebäuden in guten Stand anbelanget, deren Besorgniß lieget dem
Vormund ohnedies nach dem ordentlichen Wirthschaftstrieb ob, worzu er so viel,
als nöthig ist, nicht allein aus denen Einkünften, sondern auch aus denen
Barschaften und Ersparnissen ohne besonderer obervormundschaftlicher
Verwilligung unter der Verrechnung verwenden kann.
[1, 6, § 4] 328. Außer derlei Vorfällen solle sie vorhändige
Barschaft sowie die sich von Zeit zu Zeit ergebende Ersparnissen nach
obstehender Anordnung mit Vorwissen und Genehmhaltung der Vormundschaftsgehörde
verzinslich angelegt, widrigens
(1-217) aber der denen Waisen aus Schuld des Vormunds durch
fruchtlose Erliegung der Gelder zugehende Schaden von ihme ersetzet werden.
[1, 6, § 4] 329. Wie kann ein jeder Vormund mit denen
Waisengeldern ohne allem Eigennutz getreulich gebaren, und diese mit denen
seinigen niemals vermischen, noch solche zu seinem eigenen Gebrauch, Nutzen
oder Nothdurft bei schärfester Ahndung verwenden solle.
[1, 6, § 4] 330. Hätten die Waisen eine Handlung oder sonst
verdienstliches Gewerb, dessen Beibehaltung und Fortsetzung zu ihren Handen von
der Vormundschaftsgehörde für sie ersprießlich zu sein befunden würde, und der
Vormund wäre wegen Unkundigkeit des Gewerbs, Handels oder Handtirung (!), oder
wegen eigener Nahrungsgeschäften außer Stande dasselbe nach Erforderniß zu
besorgen, kann derselbe bei der Vormundschaftsgehörde um Beigebung einiger
tüchtiger und des Gewerbs erfahrener Leuten einkommen, und sich anmit von aller
Verantwortung, wann durch diese denen Waisen ein Schaden widerfahren und
seinerseits keine Schuld unterlaufen würde, entledigen.
[1, 6, § 4] 331. Wo er aber sich selbst Leute nach eigener
Auswahl zu Führung des Gewerbs oder Handels erkiesete, hat derselbe alle
Behutsamkeit, damit die Waisen durch sie nicht gefährdet werden mögen,
anzuwenden, und wann seinerseits in deren Auswahl, nöthigen Vorsicht oder
Einsicht eine Schuld unterliefe, für allen denen Waisen von diesen Leuten
zugefügten Nachtheil selbst zu haften, obschon ihme die Schadenserholung wider
Jene, welche hieran Schuld tragen, allerdings bevorstehet.
[1, 6, § 4] 332. Wann jedoch die Vormundschaftsgehörde aus
denen Rechnungen oder sonst beglaubten Anzeigen den schlechten Fortgang des
Gewerbs oder Handlung wahrnehmen würde, so solle dieselbe, falls der Mangel an
dem Gewerb oder der Handlung selbst ist, die weitere Betreibung aufheben, und
allenfalls das denen Waisen hierzu angebührende Recht wie es ihnen am
vortheilhaftesten geschehen kann, an Andere zu überlassen trachten, oder da der
Fehler an Seiten des Vormunds oder deren darzu angestellten Leuten, andere
Tüchtigere, die das Gewerb unter eigener Verantwortung fortführen, benennen.
[1, 6, § 4] 333. Keinem aber, welcher die Handlung im Namen
der Waisen führet, es seie der Vormund oder ein Anderer, ist erlaubt einen
heimlichen Antheil an dem Gewinn zu nehmen, oder den Verdienst und Kundschaften
unter der Hand an sich zu ziehen.
[1, 6, § 4] 334. Dahingegen kann ein Vormund, welcher schon
mit dem Vater der Waisen oder mit einem anderen Erblasser, von deme das Gewerb
auf die Waisen gekommen, in Gesellschaft gestanden, oder als Miterb mit denen
Waisen in solche
(1-218) gerathet, solange dabei beharren, bis nicht die
Vormundschaftsgehörde die Absönderung nöthig findet.
[1, 6, § 4] 335. In Erforschung der Kräften einer Handlung
oder Gewerbs hat die Vormundschaftsgehörde mit aller Behutsamkeit fürzugehen,
damit solche nicht entdecket werden, sondern zu Aufrechthaltung Trauens und
Glaubens, so viel möglich, geheim bleiben mögen.
[1, 6, § 4] 336. Zu diesem Ende ist anstatt der sonst
gewöhnlichen gerichtlichen Beschreibung des Waisenguts der Hauptstand der
Handlung oder des Gewerbs von denen Handlungsbuchhalteren oder anderen
Rechnungsführeren abzuheischen, solcher von zwei oder mehreren darzu
bestellenden vertrauten Männern mit denen vorhandenen untadelhaften
Handlungsbüchern zusammzuhalten, die gefundene Richtigkeit von ihnen an
Eidesstatt oder nach Umständen mit einem körperlichen Eid unter Angelobung der
Verschwiegenheit zu bekräftigen, bei Gericht zu hinterlegen, daselbst unter dem
Gerichtssiegel zu verwahren und geheim zu halten.
[1, 6, § 4] 337. Auf gleiche Weise solle währender
Vormundschaft von Jahr zu Jahr ein Hauptüberschlag der Schulden und
Forderungen, Handlungsvorräthen, Gewinns und Verlusts abgeheischet, in Geheim
untersuchet, und nach befundener oder hergestellter Richtigkeit bei Gericht
hinterleget werden.
[1, 6, § 4] 338. Ueberhaupt bestehet das Amt eines Vormunds
in Ansehung des
(1-219) ihme anvertrauten Waisenguts darinnen, daß derselbe
alle von Landgütern, Grundstücken, Häusern, zinsbar angelegten Geldern, Renten,
Gülten, oder wie sonst abfallende Nutzungen, wie auch den aus Gewerben und
Handlungen beziehenden Gewinn empfange, gebührend verrechne, und das Vermögen
der Waisen treu und emsig so, wie es ein guter und sorgfältiger Wirth und
Haushalter mit seinem Eigenem nach dortigem Landesbrauch insgemein zu thun
pfleget, verwalte, folglich dessen Nutzen und Aufnahme, wie bei Abwendung alles
Schadens, so viel an ihm lieget, sich angelegen sein lasse.
[1, 6, § 4] 339. Er hat dahero für Gefährde und Arglist
große, und leichte oder geringe Schuld zu haften, und allen aus seiner üblen
Gebarung, Fahrlässigkeit und Verwahrlosung denen Waisen zugefügten Schaden unnachsichtlich
zu ersetzen.
[1, 6, § 4] 340. Wo aber eine wahre Gefährde und Arglist mit
unterwaltete, ist derselbe über das nebst Verlust der Vormundschaft dem
Verbrechen gemäß zu bestrafen. Doch muß die Arglist offenbar und der Vormund
eines solchen bösen Beginnens überführet sein.
Ansonst ist der schädliche Erfolg für keine Gefährde,
sondern nach der im Zweifelsfall vordringenden milderen Ausdeutung einer
Schuldtragung beizumessen, folglich es allein bei dem Ersatz des Schadens ohne
weiterer Strafe und gestalter Dingen nach bei Benehmung der Vormundschaft
bewenden zu lassen.
[1, 6, § 4] 341. Ob hingegen die bei der Untersuchung
hervorgekommene Schuld für eine geringe, mithin die Verfänglichkeit zum Ersatz
nach sich ziehende Schuld angesehen zu werden verdiene, und ob der Schaden
dadurch erfolget oder der Nutzen deswegen zuruckgeblieben seie, dieses hangt
vornehmlich von dem richterlichen Ermessen ab.
[1, 6, § 4] 342. Dann wo die Schuld guten Theils abgeleinet
wäre, und nur der leichtesten und geringsten beikäme, oder kein sonderlicher
Schaden daraus erfolget, oder kein beträchtlicher Nutzen deshalben
zurückgeblieben, noch für das Künftige entgangen, oder endlich unvorgesehene
Zufälle hinzugestoßen, außer welchen der Nachtheil nicht entstanden sein würde,
da solle nicht so streng auf Ersatz gedrungen werden, obschon der Vormund nach
Umständen zu mehreren Fleiß anzumahnen ist.
[1, 6, § 4] 343. Insgemein ist zwar ein Vormund für die
geringste Schuld nicht verfänglich, wann sie aber also beschaffen ist, daß selbe
aus erschwerenden Umständen nach richterlichen Befund zu einem größeren Grad
der Schuld gerechnet werden könne, so solle auch hierwegen auf den Ersatz des
verursachten Schadens oder unterbliebenen Nutzens erkennet werden.
[1, 6, § 4] 344. Bei Bestimmung des Ersatzes ist mit
Rücksicht auf jene Maßregeln, welche deshalben im dritten Theil vorgeschrieben
werden, nur auf den wesentlichen Schaden, oder verhinderten Nutzen, nicht aber
auf übermäßige Schätzung oder bloße muthmaßliche Anschläge zu sehen.
[1, 6, § 4] 345. Zufälle hingegen, welchen keine Schuld
vorgegangen, und die durch menschliche Vorsicht insgemein nicht verhütet werden
können, fallen einem Vormund keineswegs zu Last, folglich kann ihme auch
deswegen kein Ersatz aufgebürdet werden.
[1, 6, § 4] 346. Auch für fremde Schuld hat ein Vormund
nicht zu haften, wanngleich durch Jene, deren sich derselbe zur Verwaltung des
Waisenguts gebrauchet, denen Waisen ein Schaden zugefüget oder ein Nutzen
entzogen worden wäre, insoferne seinerseits in Auswahl dieser Leuten keine
Schuld begangen, und die sonst dabei erforderliche Vor und Einsicht nicht außer
acht gelassen worden.
[1, 6, § 4] 347. Wiewohlen, er aber bei der
Vormundschaftsgehörde, über Alles, was einigen Bedenken unterlieget und einer
näheren Ausführung bedarf, zur Verantwortung gezogen werden muß, und dahero die
Behörde auf seine Nachgesetzte nicht
(1-220) verweisen kann, so ist ihme jedoch unverwehret,
Diejenige, deren er sich in Verwaltung der Vormundschaft besonders bei
Wirthschaften, Handlungen und Gewerben gebrauchet hat, zur Mitverantwortung zu
ziehen, und sich in deme, woran nicht er, sondern Jene die Schuld tragen,
auszuführen.
[1, 6, § 4] 348. Ist die Vormundschaft zwischen mehreren
Vormünderen entweder von dem Erblassere oder von Gericht vertheilet, so hat
auch deren Jeder nach Maß des ihme anvertrauten Antheils die
vormundschaftlichen Erfordernissen zu leisten und seinen Antheil zu verwalten,
für dem anderen aber nichts zu verantworten.
[1, 6, § 4] 349. Wären aber mehrere Vormündere ohne Vertheilung
der Verwaltung letztwillig benennet und gerichtlich bestätiget worden, so sind
auch alle des Waisengut auf gleiche Weise zu versicheren und dafür mit
gesammter Hand, das ist: Alle für Einem und Einer für Alle, zu haften schuldig,
obschon ihnen unbenommen ist, die Verwaltung der Vormundschaft unter sich nach
Gefallen zu vertheilen.
[1, 6, § 4] 350. Doch sollen sie gleich bei Antritt der
Vormundschaft einen von ihnen unter sich zum Hauptvormund erwählen, welcher
allein der der Vormundschaftsgehörde das Nöthige besorge, und über die
Verwaltung der ganzen Vormundschaft mit Einziehung der von denen übrigen
Mitvormünderen geführten Raitungen die Hauptrechnung erlege, die Mängel selbst
verantworte, und gegen freistehender Wiederholung an denen Uebrigen richtig
stelle, folglich deme auch allein von der Vormundschaftsgehörde das
Erforderliche zukomme.
[1, 6, § 4] 351. Würden aber die Vormündere in Erkiesung
eines Hauptvormunds saumig sein oder sich darüber nicht vereinigen können, so
solle es eben dadurch von der getheilten Vormundschaft abkommen, und die
Vormundschaftsgehörde den Tauglichsten aus ihnen zum Hauptvormund bestellen,
somit aber diesem die Versicherung des gesammten Waisenguts und die Verwaltung
der Vormundschaft allein auftragen, wodurch die Uebrigen von der Verbürgung und
künftigen Verantwortung entbunden werden, und nur als Ehrenvormündere anzusehen
sind.
[1, 6, § 4] 352. Außer dem Fall mehrerer letztwillig
ernannter Vormünderen kann auch damals, wann die Weitläufigkeit oder
Zertrennung des Waisenguts erforderet mehrere Vormündere obrigkeitlich zu
bestellen, die Verwaltung der Vormundschaft von der Gehörde zwischen ihnen
vertheilet, und von Allen zwar die Vormundschaftspflicht auf gleiche Weise, die
Verbürgung aber nur von einem jedem nach Maß des von ihme zu verwaltenden (!)
habenden Antheils abgenommen werden, welchem Falls ein jeder für seinen Antheil
die Vormundschaft besonders zu verwalten, und für die Antheile der Anderen
keine Verantwortung hat.
[1, 6, § 4] 353. Doch ist jener von ihnen, welchem die
Besorgniß der Person der Waisen aufgetragen worden, insoweit für den
Hauptvormund anzusehen, als zu seiner Verwaltung auch alles der Person folgende
bewegliche Vermögen gehöret, und ihme allein alle Vertretung der Waisen in
persönlichen Sprüchen oblieget, welches Alles in dem Waisenbuch, um allen
künftigen Beirrungen vorzukommen, wohl anzumerken ist.
[1, 6, § 4] 354. Die Verwaltung der Vormundschaft gebühret
nur wahren und
(1-221) wirklichen Vormünderen, welche die
obvorgeschriebene Vormundschaftserfordernissen geleistet haben.
Diese sind dahero von Ehren-Vormünderen, Beiräthen oder
Vormundschaftsgehilfen, Stattvormünderen, vermeintlichen Vormünderen und
falschen Vormünderen zu unterscheiden.
[1, 6, § 4] 355. Ehrenvormündere sind jene, welche bloß den
Namen eines Vormunds Ehren halber haben, und so von der Verwaltung der
Vormundschaft, wie von Leistung der vormundschaftlichen Erfordernissen und von
aller Verantwortung enthoben sind.
[1, 6, § 4] 356. Bei letztwillig bestellter Vormundschaft
ist derjenige nur ein Ehrenvormund, deme entweder aus mehreren letztwillig
benannten Vormünderen nur der Namen und die Ehre eines Vormunds, denen anderen
aber die Verwaltung des Waisenguts aufgetragen worden, oder welcher aus
mehreren letztwillig benannten Vormünderen, wann sie sich über die Auswahl
eines Hauptvormunds nicht vergleichen können, von der Vormundschaftsgehörde in
dem Auftrag der Verwaltung übergangen wird.
[1, 6, § 4] 357. Bei der Vormundschaft der nächsten
Blutsfreunden ist jener nur ein Ehrenvormund, welchen die Vormundschaftsgehörde
mit dem gerichtlichen Auftrag der Vormundschaft zwar nicht zu übergehen, jedoch
aber aus erheblichen Ursachen
(1-222) einem weiteren Befreundten, oder auch einem Fremden
die Verwaltung der Vormundschaft aufzutragen befunden hat.
[1, 6, § 4] 358. Endlich kann auch bei obrigkeitlich
bestellter Vormundschaft Jemand von der Vormundschaftsgehörde als ein
Ehrenvormund gleichsam zur Oberaufsicht über jenen, deme die Verwaltung des
Waisenguts aufgetragen wird, ernennet werden, wann es nach Umständen
erforderlich oder besonders rathsam erachtet wird, weshalben auf den Inhalt des
vormundschaftlichen Auftrags zu sehen ist.
[1, 6, § 4] 359. Aus der alleinigen Ursache aber, daß unter
mehreren Vormünderen, zwischen welchen die Verwaltung der Vormundschaft
getheilet ist, einer von ihnen zum Hauptvormund bestellet oder dafür angesehen
wird, sind die anderen deshalben nicht für bloße Ehrenvormündere zu achten,
sondern dieselben sind alle wahre Mit oder Nebenvormündere, welche nach dem
oben berührten Unterschied entweder sammt und sonders, oder deren jeder für
seinem Antheil die Verantwortung zu tragen haben.
[1, 6, § 4] 360. Dahingegen sind Diejenigen, welche einer
Mutter oder Großmutter zu vormundschaftlichen Beiständen ohne Auftrag der
Mitverwaltung zugegeben werden, keine wahre Vormündere, sondern nur Beiräthe
und Vormundschaftsgehilfen, obschon sie in gemeinem Gebrauch Mit oder
Nebenvormündere benamset zu werden pflegen.
[1, 6, § 4] 361. Desgleichen sind auch Jene, welche einem
wahren Vormund von der Vormundschaftsgehörde zu Besorgung gewisser
Angelegenheiten, deren der Vormund selbst nicht kundig ist, als in Rechts,
Wirthschafts, Handlungs oder Gewerbssachen, auf sein Ansuchen oder von
amtswegen unter ihrer selbsteigenen Verantwortung zugegeben werden, nicht als
Mitvormündere, sondern nur als Beiräthe und Vormundschaftsgehilfen anzusehen.
[1, 6, § 4] 362. Derlei vertraute und des Werks erfahrene
Männer, wann der Nutzen der Waisen deren Beiziehung erforderet, hat die
Vormundschaftsgehörde sich allenfalls von denen Mitteln und Zünften vorschlagen
zu lassen, und sie unter Eidespflicht und allenfalls nöthig findender
Sicherheitsleistung anzustellen, oder, da selbe einer anderen Gerichtsbarkeit
unterworfen wären, mittelst gewöhnlicher Ersuchungsschreiben durch diese dahin
anweisen zu lassen, damit sie denen Vormünderen gegen billiger unter einem
auszuwerfen habender Belohnung an die Hand gehen sollen.
[1, 6, § 4] 363. Dieser Auftrag hat mittelst einer
besonderen Beglaubigungsurkunde zu geschehen, damit diese Beistände sich nach
Erforderniß aller Orten, wo es vonnöthen, mit solcher ausweisen mögen.
Doch gereichet die Auswahl solcher Leuten
denen Gerichten zu keiner Verfänglichkeit, wann ihrerseits keine Gefährde oder
schwere Schuld dabei unterlaufet.
[1, 6, § 4] 364. Wer wissentlich, daß er nicht Vormund seie,
oder noch nicht darzu von der Behörde angestellet worden, in Fällen, wo
entweder die Bevormundung durch Zufälle verzögeret würde, oder eine sonstige
Nothdurft der Waisen, wo der Vormund nicht zugegen, einen unverlängten Beistand
erheischete, sich aus guter Meinung einiger keinen Vorschub leidender
Waisengeschäften, damit sie nicht unvertreten bleiben, freiwillig annimmt und
solche besorget, wird ein Stattvormund genennet.
[1, 6, § 4] 365. Dieser an sich sehr löbliche Beistand ist
jedermänniglich und insonderheit denen Blutsverwandten der Waisen zugelassen.
Doch ist ein solcher Stattvormund schuldig, das von ihme zu Handen der Waisen
vorgenommene Geschäft, sobald es geschehen kann, bei der Vormundschaftsgehörde
anzuzeigen, und hierwegen nicht weniger, wie ein jeder wahrer und ordentlicher
Vormund Red und Antwort zu geben, auch für Gefährde und Schuld zu haften.
[1, 6, § 4] 366. Wer hingegen von einer unbehörigen
Gerichtsstelle oder Obrigkeit dessen unwissend zum Vormund bestellet worden,
oder sich sonst in gutem Glauben
(1-223) für einen Vormund achtet, da er es doch nicht wäre,
dieser ist zwar nur ein vermeintlicher Vormund, doch aber eben also, wie ein
wahrer Vormund für die Zeit seiner Verwaltung aus solcher vermeintlicher
Vormundschaft verfänglich.
[1, 6, § 4] 367. Ein solcher Vormund ist, welcher wohl
wissend, daß er nicht Vormund seie, sich dafür ausgiebt, oder mit seinem Willen
von Anderen dafür ausgeben läßt, und sich ohne Noth in die Waisengeschäften
einmischt, in Namen derselben als Vormund handlet, und wie immer sich der
Verwaltung der Vormundschaft über dieselbe anmaßet.
[1, 6, § 4] 368. Ein solcher falscher Vormund hat nicht nur
alle Verbindlichkeiten eines wahren Vormunds auf sich, sondern er ist denen
Waisen allen auch aus seiner mindesten Schuld oder Vernachlässigung
entstehenden Schaden zu ersetzen schuldig, und sind beinebst alle von ihme
unternommene Handlungen (wann solche nicht zum offenbaren Nutzen der Waisen
gereichen) ganz unkräftig und nichtig. Wo aber auch Andere durch seine Arglist
und Verstellung von ihme hintergangen worden, hat er nicht weniger gleichfalls
diese schadlos zu halten, und ist über das wegen solcher unbefugten Anmaßung
nach Umständen scharf zu bestrafen.
§. V.
[1, 6, § 5] 369. Alle Vormündere, welche das Waisengut
verwalten, sind darüber Rechnung zu legen schuldig, wann sie auch durch letzten
Willen des Erblassers davon befreiet wären. Wovon weder der leibliche Vater,
wann er die bloße
(1-224) Verwaltung des Kinderguts ohne dessen Nutznießung
hat, noch die leibliche Mutter, obschon in dem Heirathsbrief ein Anderes
vorgesehen wäre, ausgenommen sind.
(1-225) [1, 6, § 5] 370. Nicht nur bei Endigung der
Vormundschaft, sondern nach Ausgang eines jeden Jahrs soll ein jedweder
verwaltender Vormund seine jährliche Raitung bei der Vormundschaftsgehörde
erlegen.
[1, 6, § 5] 371. Wo Wirthschafts, Gewerbs oder andere
Rechnungen mit unterlaufen, welche ordentlicherweise mit dem gemeinen Jahrgang
geschlossen zu werden pflegen, sind die Jahrgänge von Anfang bis Ende eines
jedweden gemeinen oder natürlichen Jahrs zu nehmen.
[1, 6, § 5] 372. Wann aber eine dergleichen Vormundschaft
währendem solchen gemeinen Jahrslauf angetreten oder geendigt wird, ist in
diesen Fällen für die Zwischenzeit eine Stuckrechnung von Anfang der
angetretenen Vormundschaft bis zu Ende desselben Jahres, wie ingleichen in dem
letzten Jahr, von dessen Anfang bis zur Beendigung oder Abwechslung der
Vormundschaft nöthig.
[1, 6, § 5] 373. Bei anderen Vormundschaften hingegen ist
der Jahreslauf von dem Tag der angetretenen Vormundschaft bis zu demselben
Monatstag des folgenden Jahrs u. s. w. zu rechnen.
Wo aber die Vormundschaft unter diesem Jahrslauf sich
endigen oder abgeänderet würde, ist für die Zeit von dem letzten
Rechnungsschluß bis zu Abtretung der Vormundschaft die Raitung zu legen.
[1, 6, § 5] 374. Die Erlagszeit der vormundschaftlichen
Rechnungen sind nach Ausgang des Jahrs, oder von dem Tag der geendigten
Vormundschaft bei größeren Vormundschaften, wo Wirthschafts, Handlungs, oder
andere besondere Rechnungen mit einschlagen, drei Monate, bei anderen minder
wichtigen Vormundschaften aber, wobei es auf bloße Geldverrechnung ankommt,
sechs Wochen.
[1, 6, § 5] 375. In dieser Zeit ist ein Vormund seine
Rechnungen ohne weiterer Erinnerung zu erlegen
schuldig. Doch kann ihme aus beibringenden erheblichen Ursachen in dem ersterem
Fall eine vierwöchentliche, und in dem zweiten Fall eine vierzehentägige
Nachfrist, wann solche vor Ausgang der Erlagszeit anverlanget wird, von der
Vormundschaftsgehörde verstattet, dahingegen eine weitere außerordentliche
Fristerstreckung nur allein bei Uns mit Anführung der unterwaltenden Ursachen
angesuchet werden.
[1, 6, § 5] 376. Würde aber der Vormund nach Verlauf der
anberaumten oder erstreckten Frist in Erlag der Rechnungen saumig sein, so wird
derselbe nicht allein auf dem Fall der fortwährenden Vormundschaft für die Zeit
dieses seines Saumsals
(1-226) der denen Vormünderen in
dem hiernach folgendem §. ausgemessenen Belohnung verlustig, sondern er solle
auch unter aussetzender Geldstrafe und mit
anderen Zwangsmitteln hierzu angehalten, und gestalter Dingen nach ihme die Vormundschaft wohl gar abgenommen werden.
[1, 6, § 5] 377. Die Vormundschaftsrechnung muß ordentlich
und deutlich, ohne aller Weitläufigkeit und Verwirrung dergestalten verfasset
werden, damit hieraus nicht nur die Einnahme und Ausgabe, sondern zugleich auch
der völlige Vermögen- und Schuldenstand der Waisen ohne Mühe abgenommen werden
könne.
[1, 6, § 5] 378. Zu diesem Ende solle dieselbe in zweien
Haupttheilen, als in dem Vermögenstand und in dem Schuldenstand bestehen, und
der Vermögensstand das gesammte Vermögen der Waisen, und zwar bei der
erstjährigen Rechnung nach der gerichtlichen Beschreibung, und bei denen nachfolgenden
Rechnungen allemal nach dem Endauszug der
vorigen Raitung sammt dem währenden jeden
Rechnungslauf sich ergebenen neuen Zuwachs des Vermögens verläßlich anzeigen,
dabei aber auch den Ausweis, was von so Einem als Anderem in Empfang genommen
worden, oder noch in Bestand verbleibet, enthalten.
[1, 6, § 5] 379. In dem Schuldenstand müssen alle Schulden
bei der erstjährigen Rechnung nach der gerichtlichen Beschreibung und bei denen
nachfolgenden Rechnungen nach dem Endauszug der vorigen Raitung sammt dem neuen Zuwachs der Schulden währenden
Rechnungslauf angezeiget, und beinebst sowohl die baare Ausgabe und dadurch
bewirkte Schuldenverminderung, als auch der weitere Ruckstand
derselben ausgewiesen werden.
[1, 6, § 5] 380. Dergestalten, daß
sowohl Vermögen- als Schuldenstand in einem Anblick zweifach, nämlich in
richtiger Anzeige und in richtigen Ausweis einkomme, und wie bei dem
Vermögenstand, also auch bei dem Schuldenstand der Betrag der Anzeige sich mit
dem Betrag des Ausweises vollkommen ausgleiche.
[1, 6, § 5] 381. Zu dem Zuwachs des Vermögens gehöret nicht
nur alle zwischenzeitige Einnahme, sondern auch der Schuldenabfall, wodurch der
Schuldenstand ohne baarer Bezahlung oder
sonstiger Vermögensabnahme verminderet wird, welcher bei dem
Vermögensstand in baaren Empfang, bei dem Schuldenstand aber durchlaufend in
Ausgab zu bringen ist.
[1, 6, § 5] 382. Zu dem Zuwachs der Schulden hingegen
gehöret nicht nur alle zwischenzeitige Ausgabe, sondern auch aller
Vermögensabfall, wodurch etwas aus der gerichtlichen Beschreibung, oder aus dem
Endauszug der vorigen Raitung dem Vermögen der
Waisen entgehet, und dasselbe anmit verminderet wird, welcher bei dem
Schuldenstand in baare Ausgab, bei dem Vermögenstand aber durchlaufend in
Empfang zu bringen ist.
[1, 6, § 5] 383. Sowohl der völlige Vermögenstand, als der
völlige Schuldenstand solle nach seinen verschiedenen Gattungen unterschieden,
und deren jedwede unter besonderen Inschriften
nach dem Richtmaß der gerichtlichen Beschreibung oder des Endauszugs der vorigen
Raitung gestellet werden.
[1, 6, § 5] 384. Wann aber ein Zuwachs des Vermögen- oder
Schuldenstands sich ereignet, welcher zu denen in der gerichtlichen
Beschreibung oder vorherigen Endauszug enthaltenen Gattungen und Inschriften
nicht gehörig ist, so sollen neue und mehrere Gattungen unter gehörigen
Inschriften unterschieden werden.
[1, 6, § 5] 385. Es ist auch nicht nöthig, wann viele unter
einerlei Gattung und Inschrift gehörige Stücke vorkommen, alle Stuck für Stuck
besonders in denen Rechnungen anzuführen, sondern es ist genug, den Betrag der
Gattung unter ihrer Inschrift mit Beziehung auf die gerichtliche Beschreibung
oder allschon bei Gericht befindliche, oder allenfalls
neu beizulegen habende besondere Verzeichnissen auszusetzen.
[1, 6, § 5] 386. Alle und jede eintzle (!) Inschriften sind
sowohl zu Ende des Vermögenstands,
(1-227) als zu Ende des Schuldenstands nochmalen in einer
Hauptanzeige anzumerken, und deren Betrag in einem Hauptbetrag zusammzuziehen,
somit aber zum Beschluß der Vormundschaftsraitung eine zweifache Ausgleichung
zu machen, als die erste des völligen in der Raitung vorkommenden
Vermögenstands gegen dem völligen Schuldenstand und die andere des zu der
folgenden Raitung verbleibenden Vermögenstands gegen dem gleichfalls verbleibenden
Schuldenstand.
[1, 6, § 5] 387. Aus deren einer und der anderen muß das
klare Vermögen der Waisen hervorkommen, und auf beiderlei Art gleich viel
betragen, worüber noch insonderheit eine namentliche Verweisung des
verbleibenden sowohl Vermögen- als Schuldenstands der Vormundschaftsraitung
beizufügen ist.
[1, 6, § 5] 388. Dahingegen sind die besonderen in die
Vormundschaftsraitung einschlagenden Wirthschafts-, Handlungs-, Gewerbs- und
dergleichen Rechnungen auf die Art und Weise einzurichten, nach welcher
dieselben insgemein geführet zu werden pflegen.
[1, 6, § 5] 389. Hiervon ist in die Vormundschafts-Raitung
ein Mehreres nicht einzuziehen, als was der Vormund von daher empfangen oder
dahin vorgeschossen hat. Diese besondere Rechnungen
aber sind allemal der Vormundschaftsraitung beizulegen, um den Wirthschafts-,
Handlungs-, Gewerbs- oder anderen Bestand daraus insonderheit abnehmen zu
mögen.
[1, 6, § 5] 390. Alles, was in der Vormundschaftsrechnung
einkommt, vornehmlich aber, was in baaren Empfang und in baare Ausgab gebracht
wird, muß mit Beilagen bewähret, und zwar jener, wann solcher sich sonst aus
denen Rechnungen nicht selbst klar ausweiset, mit Gegenscheinen oder anderen
Urkunden, wodurch bekräftiget werde, daß weder mehr noch weniger empfangen worden,
diese aber mit Quittungen, Zahlscheinen oder anderen Urkunden, welche die
geschehene Zahlung bestätigen, belegt werden.
[1, 6, § 5] 391. Nicht nur große, sondern auch kleine
Ausgaben, wann sie einen Gulden oder darüber betragen, müssen mit Quittungen oder
Zahlscheinen bewähret werden. Doch können mehrere Ausgaben in ein Verzeichniß
zusammengezogen und unter Einem bescheiniget werden.
[1, 6, § 5] 392. Außer deme sollen die Beilagen also
beschaffen sein, daß sowohl bei denen Empfangs- als Ausgabsposten der Tag,
Monat und Jahr daraus deutlich abzunehmen seie, und mit der Raitung zutreffe.
[1, 6, § 5] 393. Sie müssen ferners der Raitung in
Urschriften beigeleget werden, wovon nur Jene ausgenommen sind, deren ein
Vormund zu seiner weiteren Rechtfertigung oder Nachverhalt bedarf.
Hiervon kann er zwar nur Abschriften beilegen, doch ist er
schuldig, auf gerichtliches Erforderniß die
Urschriften selbst jedesmal vorzuzeigen.
[1, 6, § 5] 394. Ueber die Rechnungsbeilagen und mit
erlegende besondere Rechnungen ist eine doppelte Verzeichniß beizufügen,
worinnen bei jedwedem Stuck ganz kurz angemerket werde, von was für
Beschaffenheit die Beilage seie, von welchem Jahr, Monat und Tag sie laute, ob
dieselbe in Urschrift oder gerichtlich beglaubigter, oder nur bloßer Abschrift
beigelegt werde, und wo die Urschrift von denen beigelegten Abschriften
befindlich seie.
[1, 6, § 5] 395. Eine dieser Verzeichnissen
hat unter der Fertigung des Vormunds bei Gericht zu verbleiben. Die zweite
hingegen ist nach befundener Richtigkeit aller darinnen beschriebenen Beilagen
sammt dem Einlagsschein über die eingebrachte Rechnungen dem Vormund unter
gerichtlicher Fertigung zu seiner Sicherheit zuruckzustellen.
[1, 6, § 5] 396. Die Rechnung selbst aber muß von dem
Vormund mit seiner Handunterschrift und Petschaft bekräftiget, und mit ihren
Beilagen bei Gericht aufbehalten werden. Falls jedoch der Vormund eine oder die
andere Urkunde davon
(1-228) nöthig hätte, so ist demselben entweder eine
gerichtlich beglaubte Abschrift oder nach befindender
Nothdurft auch die Urschrift selbst gegen Zuruckhaltung einer gerichtlich
beglaubten Abschrift hinauszugeben.
[1, 6, § 5] 397. Die solcher gestalten von dem Vormund zu
der Vormundschaftsgehörde erlegte Raitungen sollen, sobald es möglich, von der
Vormundschaftsgehörde aufgenommen, das ist untersuchet und erlediget werden,
also zwar, daß auch die weitläufigste Vormundschaftsrechnung mit allen
derselben beigelegten besonderen Nebenrechnungen noch vor Ausgang des Jahrs
unfehlbar erlediget werde.
[1, 6, § 5] 398. Würde sich aber die Erledigung über den
Jahrslauf hinaus verzögeren, welches jedoch nur in dem alleinigen und ganz
besonderen Fall der durch längere Zeit gänzlich gehemmten Rechtspflege sich
ergeben kann, so solle der Vormund nichtsdestoweniger in der obanberaumten
Erlagszeit seine nächstjährige Rechnungen einbringen, und darinnen die bei dem
vorjährigen Rechnungsschluß gemachte Verweisung des verbliebenen Vermögen- und
Schuldenstands zum Grund nehmen.
[1, 6, § 5] 399. Die Aufnehmung und Untersuchung der
Vormundschaftsraitungen liegt einer jeden Vormundschaftsgehörde ob, wann nicht
derorten besondere Waisenraths- oder darzu gesetzte Raitungsmitteln vorhanden
sind.
[1, 6, § 5] 400. Diese hat entweder von dem gesammten Mittel
oder durch darzu eigens verordnete Mittelspersonen zu geschehen, welche über
den Befund an das gesammte Mittel ihren Bericht zu erstatten haben.
[1, 6, § 5] 401. Die Rechnungs-Aufnehmere haben vor Allem
darauf zu sehen, ob die Raitung nach vorstehender Vorschrift verfasset seie, in
wessen Ermanglung dem Vormund die Außerachtlassung der vorgeschriebenen
Rechnungsform ernstlich verhoben, und die Umfertigung der Raitung binnen zwei
oder höchstens vier Wochen ohne aller weiterer Erstreckung unter einer
auszumessenden Geldstrafe auferleget werden solle.
[1, 6, § 5] 402. Nach behörig eingerichteter Raitung ist
deren vorbereitliche Untersuchung durch die bestellte Raithandlere, oder wo
deren keine sind, durch die Aufnehmere selbst, oder auch durch einen in
wirklicher Pflicht stehenden, oder eigens mit Pflicht
(1-229) zu belegenden, in Raitungssachen erfahrenen Mann zu
veranlassen, und ein Gleiches in Ansehung deren beigelegten besonderen
Rechnungen durch Wirthschafts-, Handlungs- oder Gewerbsverständige anzukehren.
[1, 6, § 5] 403. Die Schuldigkeit deren Rechnungsaufnehmeren
ist Alles wohl und genau zu durchgehen, zu überrechnen, die Rechnungsfehler
oder Mängeln anzuzeigen, nicht minder alle vernünftige Anstände mit
Bescheidenheit auszustellen, und diese Arbeit, so viel immer möglich, zu beschleunigen.
[1, 6, § 5] 404. Die hauptsächlichere Anstände können sich
in deme ergeben, und zwar bei dem Vermögenstand, ob Alles nach der
gerichtlichen Beschreibung, oder nach dem vorhergegangenen gerichtlichen
Endauszug darinnen enthalten, ob auch Alles, was seit dem Jahrgang oder dem
letzteren Raitungsschluß dem Vermögen zugewachsen, oder doch zuwachsen hätte
sollen, darunter begriffen, ob Barschaften mit obervormundschaftlicher
Verwilligung und mit genugsamer Sicherheit angeleget, ob nicht einige Gelder ohne
Noth durch längere Zeit unfruchtbar erliegen gelassen, oder wohl gar von dem
Vormund zu seinem eigenem Nutzen verwendet, und ob endlich Alles zu rechter
Zeit eingebracht und in baaren Empfang gestellet, oder in dem weiteren
Vermögensbestand als ausständig angemerket worden, und ob der Empfang überall,
wo es vonnöthen, mit Beilagen genugsam bewähret seie.
[1, 6, § 5] 405. Bei dem Schuldenstand hingegen, ob nicht
die in der gerichtlichen Beschreibung, oder in dem letzt vorhergegangenen
Endauszug einkommende Schulden hätten bezahlt werden können, ob die geleistete
Zahlungen genüglich erwiesen, ob nicht mehr, als gebühret hat, bezahlet, oder
mehr, als bezahlet, in Ausgab gebracht worden, ob alle Ausgaben nothwendig oder
nutzlich gewesen, ob sie alle genugsam beleget, die Zinsen von Schulden
abgeführet, der Schuldenstand mit oder ohne obervormundschaftlicher
Verwilligung und aus was für Ursachen vermehret, und endlich ob die
gerichtliche Ausmessung in Unterhalt der Waisen oder zu anderen namhaften
Aufwand von dem Vormund angesuchet und nicht überschritten worden seie.
[1, 6, § 5] 406. Ueberhaupt aber ist darauf zu sehen, ob der
Nutzen der Waisen in allen Vorfallenheiten beobachtet, und von dem Vormund sein
Amt getreulich, vorsichtig und fleißig, wie es Unseren Verordnungen und seinen
Pflichten gemäß ist, gehandlet, oder ob nicht gefährlicher oder fahrlässiger
Weise von ihm etwas verwahrloset, oder sonst denen Waisen Schaden und Nachtheil
zugezogen worden seie.
[1, 6, § 5] 407. Alle dergleichen vorkommende Anstände
sollen bei Vortrag der Raitung von der Vormundschaftsgehörde in reife Erwägung
gezogen, und nicht allein nach dem Gutachten deren Ausstelleren, sondern nach
eigener Einsicht und Beurtheilung untersuchet, da sie aber unerheblich befunden
würden, mit deren Uebergehung zur Erledigung der Vormundschaftsraitung
geschritten werden.
[1, 6, § 5] 408. Wären hingegen die Bedenken erheblich, so
sollen dieselben nach Ordnung der Raitung ausgezogen, und dem Vormund durch die
Vormundschaftsgehörde mit der Auflage zugestellet werde, daß er an einem hierzu
anzuberaumenden Tag selbst oder durch einen Anwalt erscheine, und seine
Erläuterung darüber mündlich beibringe, um alle schriftliche Weitläufigkeit, so
viel möglich zu vermeiden.
[1, 6, § 5] 409. Was nun der Vormund bei der Tagsatzung,
wobei er ohne aller Ausflucht entweder selbst oder durch einen Bevollmächtigten
zu erscheinen hat, genugsam erläuteret, oder selbst zum Ersatz gutwillig
übernimmt, dieses Alles ist ordentlich zu vermerken, und das solcher gestalten
Verhandlete von dem Vormund oder dessen Anwalt mit seiner Handunterschrift zu
bestätigen, wobei es dann auch sein Verbleiben haben, und da auf diese Art
Alles behoben worden wäre, zur schließlichen Erledigung der
Vormundschaftsraitung geschritten werden solle.
[1, 6, § 5] 410. Was aber durch mündliche Verhandlung in
einer oder mehreren Tagsatzungen nicht behoben werden können, sondern in
Widerspruch verblieben, darüber
(1-230) allein solle die schriftliche Verfahrung zugelassen,
und zu dem Ende das noch Unbehobene von denen bereits behobenen Anständen
abgesönderet und besonders ausgezogen werden.
[1, 6, § 5] 411. Diese unbehobene Anstände und Bedenken sind
dem Vormund als förmliche Raitungsmängeln auf eine Frist von vier Wochen
zuzustellen, um binnen derselben entweder solche schriftlich zu erläuteren oder
in widrigen den bei jedweder Mängelspost zugleich ausgesetzten Vergütungsbetrag
ohne aller Erstreckung zu ersetzen.
[1, 6, § 5] 412. Nach Verlauf dieser Frist solle keine
Erläuterung mehr angenommen, sondern zur Erledigung geschritten, und der
Vormund zum Ersatz deren unerläuterten Mängelsposten ohne weiters angewiesen
werden.
[1, 6, § 5] 413. Hätte aber der Vormund binnen dieser Frist
eine schriftliche Erläuterung eingebracht, und andurch die Mängeln entweder gänzlich
behoben oder in keinem Stuck abgeleinet, so solle keine weitere
Schriftwechslung veranlasset, sondern die Verhandlung geschlossen, Dasjenige,
was bis dahin verhandlet worden, an einem anzuberaumenden Tag in Gegenwart des
Vormunds oder seines Anwalts, bei ihrem Ausbleiben aber von amtswegen
beschrieben, Stuck für Stuck vorgemerket, zum Vortrag gebracht und darüber, was
Rechtens ist, erkennet werden.
[1, 6, § 5] 414. Würden hingegen die Mängel durch die
schriftliche Erläuterung zum Theil behoben und einigermaßen abgeleinet, so ist
über das Unbehobene eine fernere Bemänglung auszuziehen, und dem Vormund unter
einer abermaligen vierwochentlichen Frist zur schließlichen Erläuterung
zuzustellen.
[1, 6, § 5] 415. Wann hierbei an Seiten des Vormunds eine Weisung
durch Zeugen vorfiele, so ist denen Waisen ein Rechtsobsorger oder Curator zu
bestellen, der sie bei der von dem Vormund verführenden Weisung vertretete.
Die Raithandlung aber ist dieserwegen gar nicht aufzuhalten,
sondern wann der Vormund in seiner schließlichen Erläuterung nicht darzeiget,
daß die Weisung zu Recht anhängig seie, ohne Vorbehalt, ansonst aber mit
Vorbehalt, falls der Vormund mit seiner zu Recht anhängigen Weisung nicht
aufkommen würde, auf den Ersatz des ausgestellten Mangels zu erkennen.
[1, 6, § 5] 416. Es ist dahero nach der von dem Vormund
eingebrachten schließlichen Erläuterung, es möge eine Weisung durch Zeugen mit
unterlaufen oder nicht, die Raithandlung vorbesagter Maßen zu beschließen, und
die Rechnung ohne weiters zu erledigen.
[1, 6, § 5] 417. Mit der Vormundschaftsraitung müssen auch
die derselben beigelegte besondere Nebenrechnungen zu gleicher Zeit und auf die
nämliche Weise untersuchet und erlediget werden. Vornehmlich aber solle bei
weitschichtigen Wirthschaftsrechnungen deren Untersuchung eigends bestellten
Raithandleren oder anderen verpflichteten, der
Landwirthschaft vollkommen kundigen Personen aufgetragen werden.
[1, 6, § 5] 418. Diese haben gleichfalls alles Dasjenige
dabei in acht zu nehmen, was bishero bei der Untersuchung der
Vormundschaftsrechnungen zu beobachten geordnet worden, hauptsächlich aber
darauf zu sehen, ob die Waisengüter und Grundstücke behörig und nutzlich
verwaltet worden, und ob nicht die Einnahme in Einem oder dem Anderem erhöhet,
die Ausgabe gegentheils verminderet und die Wirthschaft besser empor gebracht,
folglich ein größerer Nutzen verschaffet werden könne.
[1, 6, § 5] 419. Zu diesem Ende haben sie nicht nur über die
Rechnung selbst, sondern auch vornehmlich über den daraus erhellenden Wirthschaftstrieb
ihre Anstände und Bedenken zu entwerfen, dabei aber mit Bescheidenheit
fürzugehen, und nicht voreilig auf einen Ersatz anzutragen, wo ihnen die
Umstände, warum Dieses oder Jenes unterblieben, oder aus was Ursachen also und
nicht anderst vorgekehret worden, nicht bekannt sind, sondern dahero die
Erläuterung darüber abzuheischen.
[1, 6, § 5] 420. Was aber dieselben überhaupt zur
Verbesserung der Wirthschaft dienlich
(1-231) finden, dieses solle von ihnen kurz und deutlich
gefasset, und kein Anlaß zur unnöthigen Weitläufigkeit gegeben werden.
[1, 6, § 5] 421. Derlei Anstände, Bedenken und Erinnerungen
haben die Rechnungsaufnehmere vorläufig zu erwägen, ob sie von der Wichtigkeit
sind, daß der Vormund hierüber zur Rede gestellet werde, und nach dessen Befund
ist vorstehendermaßen zu verfahren, dabei aber nicht nöthig die weitschichtige
Wirthschaftsrechnungen in ihrem ganzen Inhalt nach deren von dem Raithandler
vorhergegangener Untersuchung zu durchgehen, sondern es kann denen daraus
verfaßten Rechnungsauszügen (welche ohnedies einer jeden Wirthschaftsrechnung
beiliegen müssen) nachgegangen, und in deren Entgegenhaltung die hervorkommende
Anstände beurtheilet werden.
[1, 6, § 5] 422. Bei denen mit der Vormundschaftsraitung
erlegten besonderen Handlungs- oder Gewerbsrechnung ist die bereits oben
angeordnete Geheimhaltung wohl in acht zu nehmen, und deren Untersuchung und
Zusammenhaltung mit denen Handlungsbüchern denen beeidigten Handlungs- oder
Gewerbsvorsteheren, in deren Ermanglung aber anderen der Handlung oder des
Gewerbs erfahrnen Männern gegen Angelobung an Eidesstatt, daß sie die
Untersuchung getreulich nach ihrem besten Wissen und Gewissen und mit der
erforderlichen Verschwiegenheit vornehmen wollen, aufzutragen.
[1, 6, § 5] 423. Diese haben sodann ihre Anstände und
Bedenken denen Raitungs-Aufnehmeren beizubringen, welche darüber eine
Tagsatzung anordnen, die Ausstellere sowohl, als den Vormund, und die
Handlungs- oder Gewerbs-Rechnungsführere darzu erforderen, die Anstände durch
die Handlungsbücher oder gewechslete Briefe zu beheben, und die Richtigstellung
auf die kürzeste und geheimste Art zu bewirken sich bestreben sollen.
[1, 6, § 5] 424. Wäre aber die Richtigkeit einer dergleichen
Handlungs- oder Gewerbsrechnung auf vorstehende Weise zu erreichen nicht
möglich, so solle über die ausgezogene, unbehobene, von denen schon behobenen
eigens abzusönderende Mängeln dem Vormund eine schriftliche Erläuterung
auferleget, und nach Erforderniß mit weiterer Bemänglung und schließlicher
Erläuterung binnen obausgesetzten Fristen verfahren werden.
[1, 6, § 5] 425. Nach solchergestalten vollbrachter Untersuchung und Aufnehmung der vormundschaftlichen Rechnung
mit allen derselben allenfalls beigelegten besonderen Nebenrechnungen ist
ohnverweilt zu deren Erledigung zu schreiten. Diese hat mittelst eines hieraus
zu verfassenden und dem Vormund zu seinem Richtmaß hinauszugebenden Endauszugs,
und zugleich mitzuertheilenden Raitscheins zu geschehen.
[1, 6, § 5] 426. Der Endauszug ist eigentlich die
gerichtliche Erkenntniß und Verbescheidung der Vormundschaftsgehörde über die
von dem Vormund erlegte und von ihr aufgenommene Vormundschaftsrechnung.
[1, 6, § 5] 427. Ist die Rechnung in allen Stücken richtig
befunden worden, so hat der Endauszug dahin zu lauten, daß es bei der erlegten
Vormundschaftsraitung sein gänzliches Bewenden habe, und diesemnach der Vormund
laut seiner eigenen richtig befundenen Rechnungsverweisung die darinnen
enthaltene Posten (welche in dem Endauszug jedesmal namentlich auszusetzen
sind) sowohl in dem Vermögen- als in dem Schuldenstand einbringen, und nebst
dem sich ergebenden neuen Zuwachs in der folgenden Vormundschaftsraitung
weitershin verrechnen solle.
[1, 6, § 5] 428. Hätte aber der Vormund etwas nachzutragen
oder aus dem Seinigen zu ersetzen, oder es wäre ihme dagegen aus dem Waisengut
etwas zu vergüten, so ist in solchem Fall der Endauszug dergestalten zu fassen,
daß derselbe zur Richtigstellung der erledigten Vormundschaftsraitung über
Dasjenige, was in seiner Rechnungsverweisung enthalten, und vorgeordnetermaßen
in dem Endauszug namentlich auszusetzen ist, annoch jenes, was von ihme
nachzutragen ist, in der
(1-232) folgenden Raitung in den Vermögenstand, und, wo er
es aus dem Seinigen zu ersetzen hätte, in den baaren Empfang zu bringen schuldig,
dagegen aber auch jenes, was etwann aus dem Schuldenstand ausgelassen worden,
dahin nachzutragen, und, wo es ihme selbst zu guten ginge, in baare Ausgab zu
bringen berechtiget seie.
[1, 6, § 5] 429. Der Raitschein hingegen ist eine
gerichtliche Entbindung und Loszählung des Vormunds von aller weiteren
Verantwortung wegen der von ihme erlegten, ordentlich aufgenommenen und
gerichtlich erledigten Rechnungen, wodurch er, insoweit solche für richtig
befunden, oder von ihme dem Endauszug Genügen geleistet worden, wider alle
Ansprüche und Anfechtungen dieser Rechnungen halber sicher gestellet wird.
[1, 6, § 5] 430. Zu diesem Ende solle sich in dem Raitschein
allemal auf das, was in dem End-Auszug dem Vormund auferleget worden,
ausdrucklich bezogen, und alles dieses namentlich darinnen angeführet werden,
vor dessen vollständiger Erfüllung der Raitschein den Vormund in deme, was von
ihme nach Ausmessung des Endauszugs noch nicht befolget worden, nicht schützen
kann.
[1, 6, § 5] 431. Der Endauszug muss nach Ordnung der
erlegten Vormundschafts-Raitung verfasset werden, und sind darinnen nicht nur
die klare Ersatz- und Vergütungsposten, sondern auch jene auszusetzen, deren
Richtigkeit entweder an der noch anhängigen Weisung, oder an der von dem
Vormund bei einem für sich habenden halbständigen Beweis angebotenen eidlichen
Erhärtung, oder an der erwartenden richterlichen Erkanntniß über einen noch
obschwebenden Rechtsstritt, oder an einem sonstigen künftigen Erfolg beruhet,
weswegen ihme der Ersatz nur bedingter Weise auferleget, sowie die ihme
angebührende Gutmachung zugesprochen werden kann.
[1, 6, § 5] 432. Doch ist nicht allemal, wann ein Mangel
ausgestellet, und nicht abgeleinet worden, sofort auf den Ersatz zu erkennen,
sondern, wo ein Vormund darzu mit Fug verhalten werden mag, muß der wesentliche
Schaden oder entgangene Nutzen an Seiten des Waisen, und die Schuld des
Vormunds in dem obbestimmten Grad offenbar oder doch genüglich erwiesen sein,
widrigens solle in dem Endauszug bei Ermanglung des Einen oder des Anderen kein
Ersatz auferleget werden können.
[1, 6, § 5] 433. Also hat ein Vormund nichts zu ersetzen,
wann er etwas eigenmächtig unternommen hat, worzu er die obervormundschaftliche
Bewilligung hätte ansuchen sollen, insoferne daraus der Wais keinen Schaden
hat, wiewohlen die Beiseitssetzung der Vormundschaftsgehörde nicht ungeahndet
zu lassen ist.
[1, 6, § 5] 434. Desgleichen kann ein Vormund deswegen nicht
zum Ersatz angehalten werden, weilen er etwas gethan oder unterlassen, was
jedoch noch verbesseret, und der Wais somit von allem Schaden befreiet werden
kann, obschon er in solchem Fall nicht nur zur Verbesserung des Fehlers
erinneret, sondern auch ihme seine Nachlässigkeit verhoben werden solle.
[1, 6, § 5] 435. Noch weniger ist ihme das zum Ersatz zu
legen, woran nicht er, sondern jene, welche unter besonderer Verrechnung die Vormundschaftsgeschäften verwaltet, die Schuld tragen.
Doch muss derselbe diese Rechnungsführere über die ihme aus
ihren Rechnungen zugekommene Mängeln zur Verantwortung ziehen, und sie bei der
anberaumten Tagsatzung zur Erstattung der nöthigen Erläuterung gestellen.
[1, 6, § 5] 436. Ist die von ihnen gegebene Erläuterung
hinlänglich, so entfällt der ausgestellte Mangel, und ist auch deshalben der
Beamte gegen den Vormund entbunden, wann sonst keine andere bei Gericht nicht
vorgekommene Ursach unterwaltet, wegen welcher der Beamte und Rechnungsführer
dem Vormund noch insonderheit Red und Antwort zu geben schuldig wäre.
(1-233) [1, 6, § 5] 437. Wann hingegen auch mit Zuziehung des
Rechnung legenden Beamten der Mangel nicht behoben worden, sondern zur
förmlichen Ausstellung gegen den Vormund gelanget, so ist diesem ferners
zugelassen, von dem betreffenden Rechnungsführer hierüber die schriftliche
Erläuterung und auf zukommende weitere Bemängelung die schließliche Erläuterung
abzuheischen, sodann aber solche mit deme, was er etwann selbst zu seiner
eigenen Entschuldigung beizufügen hat, einzubringen.
[1, 6, § 5] 438. Worzu ihme in diesem alleinigen Fall über
die anberaumte vierwochentliche Frist noch eine vierzehentägige Nachfrist auf
sein Anlangen ertheilet werden mag.
[1, 6, § 5] 439. Bei Erwägung der über einen ausgestellten
Mangel verhandleten Nothdurften hat die Vormundschaftsgehörde zu beurtheilen,
ob die Schuld an dem Vormund selbst oder an dem rechnungsführenden Beamten
erliege. Ersteren Falls ist dem Vormund der Ersatz aus seinem Eigenen
aufzuerlegen, letzteren Falls aber aufzutragen, damit er den Rechnungsführer
zum Ersatz anhalte.
[1, 6, § 5] 440. Doch ist der Vormund nicht schuldig, dafür
zu stehen, er hätte dann an der Eintreibung oder Sicherstellung des Ersatzes
etwas, so er füglich thun können, erwinden lassen, oder wissentlich untaugliche
Beamten und Rechnungsführere aufgenommen, oder sie bei Befund der
Untauglichkeit nicht abgeschaffet, oder in andere Wege sich für dieselben zu
haften verfänglich gemacht.
[1, 6, § 5] 441. Ueber dergleichen besondere Rechnungen sind
eben so viele besondere Endauszüge zu verfassen, und nebst dem Endauszug über
die vormundschaftliche Hauptrechnung der Vormundschaft zuzustellen.
Was aber solchergestalten einmal von der vormundschaftlichen
Behörde entschieden worden, deshalb ist der Beamte der Vormund Rechenschaft zu
geben nicht mehr schuldig.
[1, 6, § 5] 442. Doch bleibet denen Vormünderen unbenommen,
für sich selbst von ihren nachgesetzten Beamten und Rechnungsführeren die
Rechnungen aufzunehmen, und mit deren Erledigung auf die in folgendem Capitel
vorgeschriebene Art und Weis, so wie es einer jedweden Obrigkeit mit ihren
unverraiteten Dienern und Beamten zustehet, zu verfahren.
[1, 6, § 5] 443. Einem jedwedem Endauszug sowohl in Ansehung
der vormundschaftlichen Hauptraitung, als der besonderen Nebenrechnungen solle
auch jenes beigefüget werden, was sonst dem Vormund zu nutzlicherer Verwaltung
der Vormundschaft zu erinneren, und zu seinem künftigen Nachverhalt mitzugeben
befunden würde.
[1, 6, § 5] 444. Der Endauszug hat die Kraft und Wirkung
eines richterlichen Urtheils, und ist zugleich der Grund zur künftigen
Rechnung, welchem, sobald er in Rechtskräften erwachsen ist, der Vormund in
denen nächstfolgenden Raitungen vollkommenes Genügen leisten muß, wann nicht
ihme nach Umständen oder nach Erheischung einer auf dem Verzug haftenden Gefahr
eine kürzere Frist zur Genugthuung anzuberaumen nöthig erachtet worden wäre.
[1, 6, § 5] 445. Es ist aber dem Vormund allerdings
gestattet, wann er sich durch den ihme hinausgegebenen Endauszug in einer oder
der anderen Post beschweret zu sein findet, in der zur Berufung auf den oberen
Richter seines Orts überhaupt ausgesetzten Zeit sich mit deutlicher Bemerkung
derenjenigen Posten, bei welchen sich derselbe beschweret zu sein glaubet, an
die höhere Gehörde zu verwenden, ohne jedoch andurch den Lauf der weiteren
Rechnungen aufzuhalten.
[1, 6, § 5] 446. Wann demnach währender Rechtsanhängigkeit
bei dem oberen Richter die Erlagszeit zur Einbringung der nächsten
vormundschaftlichen Raitung herankommt, so muß ohnerachtet des an die höhere
Gehörde eingewandten Zugs zur Vollständigkeit der Raitung immittelst diesem
Endauszug jedoch dergestalten nachgegangen werden, daß in allen denenjenigen
Posten, worüber sich von dem Vormund
(1-234) beschweret worden, der ergriffene weitere Rechtszug
und die zur gewarten habende Erkanntniß des höheren Richters vorbehalten
bleibe.
[1, 6, § 5] 447. Nach dieser Erkanntniß hat sich der Vormund
schließlichen zu richten, also, daß wo der Endauszug von dem oberen Richter
abgeänderet, und der Vormund ganz oder zum Theil von dem Ersatz entbunden
worden wäre, dieser nur Dasjenige, was er nach dem oberrichterlichen Ausspruch
zu ersetzen hat, bei denen nächstkünftigen Rechnungen in baaren Empfang zu
nehmen, wovon er aber losgesprochen worden, nur durchlaufend in Empfang zu
stellen, bei dem Schuldenstand hingegen mit Beilegung des oberrichterlichen
Ausspruchs in baare Ausgab zu bringen habe.
[1, 6, § 5] 448. Wann hingegen der Endauszug von dem oberen
Richter bestätiget worden, hat es bei dem auferlegten Betrag des Ersatzes sein
Bewenden, und ist noch über das auch jenes, was etwann an Zinsen, Schäden und
Unkosten denen Waisen bei der höheren Gehörde zugesprochen worden, bei der
nächstfolgenden Rechnung in baaren Empfang zu nehmen.
[1, 6, § 5] 449. Der einem Vormund gestattete Zug an den
oberen Richter ist auch einem nachgesetzten Beamten und Rechnungsführer nicht
verschränket, welcher sich in dem über seine besondere Nebenrechnungen
hinausgegebenen Endauszug beschweret zu sein glaubet, und hat in Ansehung deren
über derlei Nebenrechnungen fertigenden Endauszügen alles Dasjenige statt, was
von dem Endauszug über die Vormundschafts-Rechnungen bishero geordnet worden.
[1, 6, § 5] 450. Gleichwie aber ein zu Rechtskräften
erwachsener, oder von dem oberen Richter bestätigter Endauszug, und der damit
übereinstimmende Raitschein den Vormund von weiterer Verfänglichkeit nicht
anderst entbinden kann, als bis von ihme allem Demjenigen, was demselben
darinnen zum Ersatz auferleget worden, vollkommenes Genügen geschehen, also hat
hingegen nach geleisteter Genugthuung ein derlei Endauszug die Wirkung, daß
dagegen weder an Seiten der Waisen, noch an Seiten des Vormunds etwas weiter
gereget werden könne.
[1, 6, § 5] 451. Doch sind nichtsdestoweniger gewisse Fälle
ausgenommen, welche insgemein Vorbehaltsfälle von daher genennet zu werden
pflegen, weilen, wann immer ein dergleichen Fall hervorkommet und genugsam
erwiesen wird, sowohl dem Waisen gegen dem Vormund, als diesem gegen jenen der
angebührende Ersatz oder Vergütung durch das Gesatz selbst vorbehalten bleibet.
[1, 6, § 5] 452. Diese Fälle sind:
Erstens: Ein klarer Rechnungsverstoß, wann ein Betrag irrig
angesetzet, oder in Zusammenziehung mehrerer Posten, oder in Abziehung einer
von der anderen, oder in sonstiger Rechnungsart geirret worden, welcherlei
Irrthum zu verbesseren zu allen Zeiten freistehen solle.
[1, 6, § 5] 453. Zweitens: Die Auslassung aus dem
Vermögenstand, wann der Vormund bei dem Vermögenstand aus Irrthum oder
Vergessenheit etwas in Empfang zu nehmen unterlassen hätte, welches ihme doch
als ein Waisengut erweislich übergeben, oder zu Handen gekommen wäre.
[1, 6, § 5] 454. Drittens: Die irrsame Ansetzung in dem
Schuldenstand, wann der Vormund bei dem Schuldenstand aus bloßer Beirrung
etwas, was er nicht bezahlet, in baare Ausgab gebracht, oder etwas, so er
erweislich bezahlet, nicht in Ausgab geleget, oder auch etwas, so er doch
erweislich niemalen erhalten, aus Irrthum in Empfang genommen hätte, ohne es
hinwiederum in der Ausgab durchzuführen.
[1, 6, § 5] 455. Derlei menschliche Fehler sollen Niemandem
zum Schaden gereichen, sondern zu allen Zeiten verbesseret werden können;
dahingegen solle auch kein Theil mit Schaden des Anderen hieraus einen Vortheil
ziehen, sondern Alles, was aus Anlaß eines solchen Fehlers, folglich ohne
rechtmäßiger Ursach bei dem
(1-235) Vormund von dem Gut der Waisen, oder bei diesen von
dem Gut des Vormunds zur Ungebühr geblieben, einem von dem anderen Theil mit
allen behobenen Nutzungen, welche nicht immittelst von dem in hinlänglich
erwiesenen Irrthum befangenen Besitzer mit guten Glauben verzehret worden,
ersetzet und zuruckgestellet werden.
[1, 6, § 5] 456. Was hingegen ein Vormund von dem Waisengut
wissentlich zuruckgehalten, unterschlagen, oder wie sonst immer aus Arglist und
Gefährde erweislich an sich gezogen hat, dieses hat derselbe zu allen Zeiten,
wann immer eine solche Veruntreuung auf ihn erwiesen wird, mit allen daraus
behobenen noch vorhändigen und verzehrten, wie auch zu beheben gewesten,
obschon von ihme nicht eingehobenen Nutzungen, dann Schäden und Unkosten denen
Waisen zu ersetzen, und ist über das nach Schwere der begangenen Gefährde
empfindlich zu bestrafen.
[1, 6, § 5] 457. Was bishero von Verfassung, Aufnehmung und
Erledigung deren Vormundschafts-Raitungen geordnet worden, leidet bei geringen
Vormundschaften geringer Leuten einen Abfall, wo das Vermögen der Waisen nicht
beträchtlich, und auch nicht leicht einer Unordnung und Verwirrung unterworfen
wird.
[1, 6, § 5] 458. In solcherlei Fällen lassen Wir es bei der
unter diesen Leuten gewöhnlichen und den Begriff des gemeinen Volks nicht
übersteigenden Raitungs- und Verfahrungsart gnädigst bewenden, nach welcher an
deme genug ist, daß der Empfang und die Ausgab getreulich und ordentlich
verzeichnet, wo es nöthig, beleget oder mit glaubwürdiger Aussage vor Gericht
bestätiget, und das zur künftigen Verrechnung verbleibenden Vermögen, Barschaft
und Vorrath vollständig ausgewiesen, sodann aber bei der Aufnahme und
Erledigung derlei Rechnungen auf die leichteste und schleunigste Art verfahren
werde.
[1, 6, § 5] 459. Wobei jedoch die Vormundschaftsgehörde
darauf zu sehen hat, ob das Waisengut in Sicherheit seie, ob solches behörig
genutzet, die Ausgaben gemäßiget, und ob von einem Raitungserlag zum anderen
das Vermögen der Waisen erhalten, vermehret oder verminderet werde?
[1, 6, § 5] 460. Damit aber die Einfalt nicht zum Deckmantel
einer ungetreuen Verwaltung mißbrauchet werde, solle bei Aufnehmung der
Rechnung der Vormund über Alles, wo sich ein Zweifel oder Anstand ereignen
kann, zur Red gestellet, der Stand des Waisenguts nicht allein von dem Vormund
genau erforschet, sondern auch von anderwärts die erforderliche Nachricht
eingeholet, wo es nöthig, der Augenschein eingenommen und nichts unterlassen
werden, wodurch die Verwaltungsgebrechen entdecket, verbesseret, der Schaden
ersetzet, deme in Zukunft vorgebogen, und der Nutzen der Waisen, so viel immer
möglich, beförderet werden könne. Worüber der erhobene Befund in dem Waisenbuch
jedesmal fleißig anzumerken, und dem Vormund hieraus ein Auszug in Kraft eines
förmlichen Endauszugs und Raitscheins zu seiner Sicherheit und Nachachtung
hinausgegeben ist.
§. VI.
[1, 6, § 6] 461. Gleichwie das beschwerliche Amt der
Vormundschaft mit vieler Mühewaltung und Verantwortung begleitet ist, also
erheischet auch die Billigkeit,
(1-236) daß getreue und emsige Gerhaben und Vormündere für
ihre Mühe, Fleiß und Sorgfalt belohnet werden.
(1-237) [1, 6, § 6] 462. Diese Belohnung solle jederzeit
nach der klaren Ertragniß des Waisenguts dergestalten abgemessen werden, damit
selbe bei der ergiebigeren Einkünften reichlicher,
(1-238) dahingegen bei minderer Ertragniß desto mäßiger
ausfalle, niemahlen aber, wo die Einkünften nicht zureichen, das Vermögen der
Waisen andurch verminderet werde.
[1, 6, § 6] 463. Die Ausmessung dieser Belohnung hanget
demnach allemahl von dem Befund der Vormundschaftsgehörde ab.
Wir wollen jedoch in jenen Landen, allwo solche bishero bei
Vormundschaften der Landleuten durch die vorige Gesetze bis zu denen darinnen
bestimmt gewesten Vogtbarkeitsjahren der Waisen auf den sechsten Theil der
klaren Ertragniß des Waisenguts, von dieser Zeit aber für die noch übrige Jahre
der Minderjährigkeit bis zu erfüllten vierundzwanzigsten Jahr auf den zwölften
Theil für jedwedes Jahr bestimmt ware, es auch in Zukunft bei diesem Sechstel
und Zwölftel da, wo die jährliche klare Ertragniß sich nicht über
dreißigtausend Gulden erstrecket, gnädigst bewenden lassen.
[1, 6, § 6] 464. Unter der klaren Ertragniß aber wird nur
jenes verstanden, was nach Abzug aller laufenden Ausgaben, als Steuern und
Gaben, Grundschuldigkeiten, Zinsen von Schulden, wittiblichen und anderen
Unterhaltsgeldern, Wirthschafts- und nöthigen Bauauslagen, jährlichen
Bestallungen, Gerichts-, Reise-, dann vormundschaftlichen Rechnungsunkosten,
und anderen dergleichen alljährlich nach dem ordentlichen Verwaltungs- und Wirthschaftslauf
mehr oder weniger vorfallenden unausweichlichen Ausgaben, wie auch des
Unterhalts und standmäßiger Erziehung der Waisen als klarer Nutzen erübriget
wird.
[1, 6, § 6] 465. Es möge solches in baarem Geld vorhanden,
oder zur Tilgung der Waisenschulden, Anlegung neuer Capitalien, Erkaufung
einiger Gründen aber wie sonst immer über den ordentlichen Verwaltungs- und
Wirthschaftstrieb zum Nutzen und Wohlstand der Waisen mit Verwilligung der
Vormundschaftsgehörde angewendet worden sein.
[1, 6, § 6] 466. Was hingegen dem Vermögen der Waisen nicht
aus dessen Fruchttragung
(1-239) oder anderen davon abfallenden Einkünften, sondern
von anderwärts, als durch Erbschaft, Vermächtniß, Schankung oder wie sonst
immer zugehet, wodurch dasselbe vergrößeret wird, dieses ist in die Berechnung
des Sechstels oder Zwölftels nicht einzuziehen, obschon durch die davon
eingehende Zinsen und Nutzungen so ein als anderes in vorstehender Maß
vermehret werden kann.
[1, 6, § 6] 467. Desgleichen können auch Ausstände, obschon
dieselben sicher und unfehlbar wären, Vorräthe, und was entweder noch weiter zu
verrechnen ist, oder als ein Bestand von der vorhergehenden Rechnung herrühret,
in keine Berechnung des Sechstels oder Zwölftels kommen.
[1, 6, § 6] 468. Doch leidet dieses bei der letztjährigen
Schlußrechnung des Vormunds eine Ausnahme, maßen in solchem Fall auch auf diese
Vorräthe und sichere Ausstände, welche erst künftig in baaren Empfang zu
gelangen haben, in Ausmessung des Sechstels oder Zwölftels die Rücksicht
genommen werden muß, damit dem abtretenden Vormund seine angebührende Belohnung
davon nicht entgehe.
[1, 6, § 6] 469. Wiewohl aber demselben von deme, was zur
Zeit noch nicht zu Geld gemacht oder noch nicht eingegangen, die baare
Bezahlung nicht zugesprochen werden kann, so hat jedoch die
Vormundschaftsgehörde entweder zu seiner Sicherheit in dem Endauszug die
Verwahrung beizufügen, daß er bei dereinstiger Einbringung dieser Ausstände
oder Verschleiß der Vorräthen das ihme davon gebührende Sechstel oder Zwölftel
erhalten solle, oder aber nach Umständen ein billiges Abkommen auf etwas
Gewisses hierwegen mit ihme zu treffen.
[1, 6, § 6] 470. Und zumalen ein Zweifel sich in deme
ergeben könnte, ob an denen von jener Zeit, wo dem Vormund das Sechstel
gebühret hätte, herrührenden Ausständen und Vorräthen, wann solche nachhero zur
Zeit, als er nur das Zwölftel zu forderen hat, eingehen, oder zu Geld gemacht
werden, ihme das Sechstel oder Zwölftel zuzuerkennen seie, so wollen Wir zu
Behebung aller künftigen Anständen solchen dahin entschieden haben, daß dem
Vormund in diesen Fällen allemal das Sechstel zugesprochen werden solle, wann
seinerseits in Eintreibung deren Ausständen oder dem Verschleiß der Vorräthen
kein geflissentlicher Saumsal zum Schaden der Waisen unterlaufen ist.
[1, 6, § 6] 471. Dieses Sechstel oder Zwölftel gebühret dem
Vormund ohne Unterschied, ob das Vermögen der Waisen an liegenden Gütern, oder
an verzinslich angelegten Geldern, oder anderen trockenen Gefällen, oder an was
sonsten bestehe, und ob dessen Mühewaltung schwerer oder leichter seie, dann ob
viel oder wenig an der klaren Ertragniß erübriget werde, wann solche nur
dreißigtausend Gulden nicht übersteiget.
Wo aber gar nichts übrig bleibt, hat auch das Sechstel oder
Zwölftel nicht statt.
[1, 6, § 6] 472. Kein Vormund ist jedoch befugt, sich dieses
Sechstel oder Zwölftel eigenmächtig zuzueignen, bevor ihm dasselbe nicht von
der Vormundschaftsgehörde in dem Endauszug zugesprochen, und solches in Ausgab
zu bringen verwilliget worden.
[1, 6, § 6] 473. Es lieget ihm dahero ob, bei Erlag der
jährlichen Raitung einen ordentlichen Ueberschlag von dem Betrag des
vormundschaftlichen Sechstels oder Zwölftels nach den oben vorgeschriebenen
Maßregeln zu verfassen und solchen der Rechnung beizulegen, dann hierüber die
richterliche Erkanntniß abzuwarten.
[1, 6, § 6] 474. Diesen Ueberschlag solle die
Vormundschaftsgehörde durch die bestellte Raithandlere oder Rechnungsaufnehmere
untersuchen lassen, und nach Befund entweder so viel, als der Vormund hieran
angesetzet, ihme in dem Endauszug, um solches in künftiger Rechnung in Ausgab
zu legen, zusprechen oder nach dem eigentlichen Betrag mäßigen.
[1, 6, § 6] 475. Nichtsdestoweniger ist dem Vormund
gestattet, nicht allein währendem
(1-240) Raitungserlag und Aufnahme sich an dem baaren
Geldvorrath für dem Betrag der angesetzten Belohnung bis zum Erfolg des
gerichtlichen Endauszugs zu halten, sondern auch nach dessen Habhaftwerdung
sich mit so viel, als ihme hieran zuerkannt worden, aus der bei dem
Rechnungsschluß vorhanden gebliebenen, oder nachher eingehenden Barschaft ohne
Nachwartung bezahlt zu machen.
[1, 6, § 6] 476. Welches auch in jenem Fall statt hat, wann
gleich der Vormund durch den Endauszug zu einigem Ersatz angewiesen wurde, in
welchem Fall nicht nöthig ist, deswegen von der vormundschaftlichen Belohnung
etwas abzuziehen, sondern die Richtigkeit wird dadurch hergestellet, daß der
Vormund dagegen den Betrag des auferlegten Ersatzes in der künftigen Rechnung
ordentlich in Empfang zu bringen schuldig ist.
Es hätte dann die Vormundschaftsgehörde bei Ermanglung
anderweiter Sicherheit nothwendig zu sein befunden, sich an der
vormundschaftlichen Belohnung des zu leisten habenden Ersatzes halber zu
halten, und solches in dem Endauszug namentlich ausgedrucket.
[1, 6, § 6] 477. Würde hingegen der Vormund bei deme, was
ihme in dem Endauszug an dem angesetzten Sechstel oder Zwölftel zugesprochen
worden, nicht beruhen wollen, so ist ihme unbenommen, binnen vierzehen Tagen
von der ihme kundgemachten richterlichen Erkanntniß seine Beschwerde auch außer
der Ordnung bei dem höheren Richter anzubringen.
[1, 6, § 6] 478. Wann jedoch das Vermögen der Waisen an
jährlicher klarer Ertragniß mehr dann dreißigtausend Gulden abwirft, so solle
Uns allein vorbehalten sein, die vormundschaftliche Belohnung nach Umständen
jedesmal auszumessen.
[1, 6, § 6] 479. In allen anderen Landen aber, wo durch die
vorige Gesetze nichts Gewisses zur vormundschaftlichen Belohnung festgesetzet
ist, sondern deren jedesmalige Bestimmung von dem richterlichen Ermessen abhanget,
solle es auch fernershin dabei sein Verbleiben haben, und die Belohnung
jederzeit mit Mäßigung und Sparsamkeit ausgeworfen werden.
[1, 6, § 6] 480. Zu diesem Ende hat die
Vormundschaftsgehörde, wann der Vormund bei Erlag der Raitung hierum geziemend
anlanget, nicht allein auf die Ertragniß des Waisenguts, sondern vornehmlich
auch auf die Beschaffenheit der Vormundschaft, mehrere oder wenigere
Mühewaltung des Vormunds, die Kräften des Vermögens, und andere zu betrachten
billige Umstände zu sehen, und eine denenselben angemessene Belohnung
zuzusprechen, welche zwar nach Befund der Umständen weniger, niemalen aber ein
Mehreres, als das oben ausgesetzte Sechstel oder Zwölftel nach dem Unterschied
der Unvogtbarkeit oder Minderjährigkeit der Waisen betragen kann und solle.
[1, 6, § 6] 481. Wäre die ausgeworfene Belohnung zu gering
oder zu übermäßig, so solle wie ersteren Falls dem Vormund, also auch im
letzteren Fall denen Befreundten der Waisen freistehen, sich bei höherer
Gehörde außerordentlich hierwegen zu beschweren.
[1, 6, § 6] 482. Wann aber das Vermögen der Waisen so gering
ist, daß von dessen klarer Ertragniß ein gar Weniges in jährliche Ersparniß
falle, so solle dem Vormund nicht bei jedesmaliger Raitungserledigung die
Belohnung zuerkannt werden, sondern er ist immittelst die Vormundschaft bis zu
Ende derselben unentgeltlich zu führen schuldig.
[1, 6, § 6] 483. Falls sodann nach Erledigung der
Vormundschaft befunden würde, daß der Vormund in Allem die Richtigkeit
gepflogen, und gleichwohlen einen kleinen Vermögenszuwachs für die Waisen
erübriget, oder mit besonderer Mühe und Fleiß ihr Vermögen bis dahin
unverminderet erhalten, oder durch gute Erziehung und Anleitung die Waisen in
den Stand gesetzet habe, ohne Schmälerung ihres Vermögens sich selbst künftighin
einen ehrbaren Unterhalt zu
(1-241) verschaffen, so ist ihme eine mäßige Erkenntlichkeit
von der Vormundschaftsgehörde zuzusprechen.
[1, 6, § 6] 484. Ueberhaupt erforderet die Billigkeit, daß,
wo es wegen Unzulänglichkeit der Vermögensumständen nicht thunlich ist, getreue
und fleißige Vormündere nach Maß ihrer Bemühung zu belohnen, die
Vormundschaftsgehörden bedacht sein sollen, ihnen auf andere Weis einige
Vergeltung zu verschaffen, und zu dem Ende denenselben bei sich ereignender
Gelegenheit eine oder andere vermöglichere Vormundschaft, wovon sie sich einer
ergiebigeren Belohnung getrösten können, zukommen zu lassen.
§. VII.
[1, 6, § 7] 485. Die Vormundschaft endiget
sich entweder an Seiten der Waisen oder an Seiten des Vormunds. An Seiten der
Waisen hat dieselbe ihr Ende durch Absterben der Waisen, oder Ablegung
feierlicher Ordensgelübde, durch deren
(1-242) Annehmung an Kindesstatt, durch Erreichung der
Großjährigkeit und bei Gewerbs- und Handelsleuten niederen Standes, durch
Erreichung der Vogtbarkeit, dann endlich durch Nachsicht des Alters.
[1, 6, § 7] 486. Wann ein Wais mit Tod abgehet, oder in
einem geistlichen Orden die feierliche Gelübde ableget, wird zwar andurch die
Vormundschaft über denselben geendiget, doch hat der Vormund das nachgebliebene
Vermögen insolange zu besorgen, bis daß es Denenjenigen, welchen es von Rechts
wegen zuzukommen hat, eingeantwortet werden kann.
(1-243) [1, 6, § 7] 487. Würde das Vermögen nach dem
Verstorbenen anderen unter der nämlichen Vormundschaft stehenden Waisen erblich
anfallen, so hat auch solches unter der Verwaltung eben desselben Vormunds
weitershin zu verbleiben, und hanget es von dem Befunde der
Vormundschaftsgehörde, welcher der Vormund den Todesfall unverlängt anzuzeigen
hat, ab, ob dieser denen übrigen Waisen zugefallene Erbtheil unter ihnen
getheilet, oder annoch ungetheilt in der Gemeinschaft belassen werden solle.
[1, 6, § 7] 488. Falls aber die Verlassenschaft nebst denen
übrigen unter der nämlichen Vormundschaft stehenden Waisen zugleich auch entweder
großjährigen, oder zwar noch minderjährigen, doch aber nicht unter dieser,
sondern unter anderer Vormundschaft befindlichen Miterben zufiele, so muß die
Theilung, sobald solche geschehen kann, ohne Verzug gerichtlich vorgenommen
werden, und hat nur so viel unter der Verwaltung des Vormunds zu verbleiben,
als davon nach der Theilung auf die übrige unter seiner Vormundschaft stehende
Waisen gelanget.
[1, 6, § 7] 489. Durch Annehmung eines Waisen an Kindsstatt endiget sich die Vormundschaft dergestalten, daß der an
Kindsstatt Angenommene bis zu seiner Großjährigkeit aus der Vormundschaft
seines bisherigen Vormunds in die Gewalt oder Vormundschaft seines Wahlvaters
übertritt.
[1, 6, § 7] 490. Die gemeinste Art der Beendigung einer
Vormundschaft ist, wann die Waisen die Großjährigkeit erreichen, welches damals
geschieht, wann sie das vierundzwanzigste Jahr ihres Alters völlig erfüllet
haben.
[1, 6, § 7] 491. Dahingegen wird durch Erreichung er
Vogtbarkeit allein die Vormundschaft insgemein nicht geendiget, sondern auch
die vogtbar geworbene Waisen haben, so lange sie minderjährig sind, unter der
Vormundschaft zu bleiben.
[1, 6, § 7] 492. Doch hat die Vogtbarkeit, die oben in §. IV
von num. 243 bis num. 251 beschriebene rechtliche Wirkungen, außer welchen übrigens
in allen anderen Handlungen die Minderjährige denen Unvogtbaren gleich zu
halten sind, und ebenso wie diese zur Giltigkeit ihrer
Verbindungen den vormundschaftlichen Beistand nöthig haben.
[1, 6, § 7] 493. Es hat dahero der Vormund nicht weniger wie
bei Unvogtbaren auf ihr Thun und Lassen obacht zu tragen, sie mit allen
Nöthigen nach obervormundschaftlicher Ausmessung zu versehen, ihnen zu
Wissenschaften und standesgemäßen Uebungen oder Hantierungen die Anleitung zu
geben, oder durch Andere zu verschaffen, ihre gute oder üble Aufführung zu
beobachten, von letzterer sie bescheidentlich abzumachen, und, da dieses nicht
verfinge, ihr unanständiges Betragen der Vormundschaftsgehörde zur ernstlichen
Einsicht zeitlich anzuzeigen.
[1, 6, § 7] 494. Desgleichen währet die vormundschaftliche
Verwaltung des Vermögens der Minderjährigen eben also, wie in der
Unvogtbarkeit, fort, wobei aber der Vormund hauptsächlich dahin zu trachten
hat, damit der Minderjährige nach und nach geschickt gemacht werde, sein
Vermögen bei erreichender Großjährigkeit selbst nutzlich zu verwenden.
[1, 6, § 7] 495. Zu diesem Ende solle denen Minderjährigen
von der Beschaffenheit ihres Vermögens, von denen dabei vorfallenden
Ankehrungen, Wirthschaftseinrichtungen, Verbesserungen, Haftungen und
Beschwerden, zustoßenden Schäden, Strittigkeiten und Rechtsvertheidigungen, und
überhaupt von Allem, was ihnen zum nöthigen oder nutzlichen Unterricht und
dereinstiger Warnung gereichen kann, kein Geheimniß gemacht, sondern vielmehr
ihr eigener Begriff darüber zum öfteren geprüfet, ein besserer beigebracht und
alle nöthige Anleitung auf künftige Fälle gegeben werden, welche sie zur
dereinstigen nutzlichen und wirthschaftlichen Verwaltung des Ihrigen geschickt
und tauglich mache.
[1, 6, § 7] 496. Die Minderjährigen aber sollen hierbei alle
Aufmerksamkeit bezeigen, ohne sich jedoch in die vorfallende Geschäften
einzumischen, oder dem Vormund
(1-244) darinnen hinderlich zu fallen, oder zuwider zu sein,
wie dann Wir in dieser Absicht den Vormund darzu verbunden haben wollen, bei
Erlag der jährlichen Raitungen der Vormundschaftsgehörde allemal besonders
anzuzeigen, wie selbe sich in dem Begriff der Wirthschaft anlassen, wie ihre
Aufführung beschaffen seie, und ob sie sich unachtsam oder widerspänstig gegen
seine Anleitungen bezeigen?
[1, 6, § 7] 497. Um damit jedoch die Minderjährigen nach und
nach zur ordentlichen Haushaltung angewöhnet werden, und die Kennzeichen der
von ihnen zu gewarten habenden guten oder üblen Wirthschaft sich desto
deutlicher veroffenbaren, solle der Vormund denenselben von Zeit zu Zeit nicht
allein von denen für sie gewidmeten Unterhaltsgeldern nach seiner
Bescheidenheit mehr oder weniger zu ihren Handen ausfolgen, und auf dessen
behöriger Verwendung besonders obacht haben, sondern auch, wo es die Kräften
des Vermögens zulassen, von ihren Einkünften nach obervormundschaftlichen
Ermessen etwas zu ihrer freien Verwendung abreichen, und hierauf, wie selbe
sich dessen gebrauchen, ohne daß sie es vermerken, fleißige Aufsicht tragen, um
nach Beschaffenheit ihrer Gebarung die ihnen eingestandene Freiheit zu
erweiteren oder einzuschränken.
[1, 6, § 7] 498. Wann ein Minderjähriger bereits mit
Bewilligung der Gehörde verehelichet wäre, oder schon in einem öffentlichen Amt
oder Bedienstung stünde, oder der Wohlstand es sonst aus anderen Ursachen
erforderete, so solle ihme die Führung seiner eigenen Haushaltung nach Maß des
ihme von der Vormundschaftsgehörde ausgeworfenen Unterhaltsbetrags überlassen
werden.
[1, 6, § 7] 499. Würde aber der Vormund bemerken, daß die
Barschaft unnütz verwendet werde, und die Bezahlung der nothwendigen
Bedürfnissen in Ruckstand gerathe, so hat derselbe solches der Gehörde zeitlich
anzuzeigen, damit der Minderjährige nach erheischenden Umständen in der freien
Gebarung beschränket, und der besorglichen Einschuldung durch dienliche Wege
vorgebogen werde.
[1, 6, § 7] 500. Durch die Heirath allein, wann gleich
solche mit Bewilligung der Gehörde geschehen, wird kein Minderjähriger, noch
weniger ein Unvogtbarer von der Vormundschaft entlediget, obschon ihme in
solchem Fall zu seinem und der Seinigen Unterhalt ein ergiebigeres Auskommen
von der Vormundschaftsgehörde auszumessen ist.
[1, 6, § 7] 501. Wann aber eine minderjährige oder noch
unvogtbare Weibsperson mit Vorwissen und Bewilligung der Vormundschaftsgehörde
sich verehelichet, fällt sie bis zur erreichenden Großjährigkeit unter die
Vormundschaft ihres Ehegattens, wann dieser bereits großjährig ist, deme sofort
der bis dahin geweste Vormund die Vormundschaft abzutreten und zugleich die
Verwaltung ihres Vermögens zu übergeben hat, welche derselbe mit eben der
Verbindlichkeit, wie ein jedweder anderer Vormund, jedoch ohne einiger
Belohnung, statt welcher er sich mit deme, was ihme in dem Heirathsbrief
verschrieben worden, zu begnügen hat, zu führen schuldig ist.
[1, 6, § 7] 502. Wäre hingegen derselbe noch minderjährig,
obschon Wir ihme die Nachsicht des Alters ohne solche namentlich auf diese
Vormundschaft zu erstrecken, ertheilet hätten, oder ihme sonst die freie
Verwaltung seines eigenen Vermögens beschränket, so hat das Vermögen seiner
minderjährigen oder noch vogtbaren Ehegattin unter der Verwaltung des bis dahin
gewesten oder neu zu bestellenden Vormunds zu verbleiben, bis daß der Mann die
Großjährigkeit und somit die Vormundschaft über dieselbe erlange, oder sie
selbst großjährig werde.
[1, 6, § 7] 503. Würde aber der Mann, unter dessen
Vormundschaft seine minderjährige oder noch unvogtbare Ehegattin gestanden, vor
deren erreichter Großjährigkeit versterben, so ist der minderjährigen, oder
noch unvogtbaren Wittib ein anderer Vormund zu bestellen.
[1, 6, § 7] 504. Damit jedoch Jemand für großjährig geachtet
werde, und die Macht
(1-245) mit dem Seinigen frei zu schalten und zu walten
erlange, ist an der Erfüllung des vierundzwanzigsten Jahrs nicht genug, sondern
er muß beinebst von Gericht aus für großjährig erkläret, und ihme sein Vermögen
eingeantwortet werden, welches die Vormundschaftgehörde sogleich, als Jemand
die ausgesetzte Jahre hat, wann sonst keine erhebliche Ursachen entgegenstehen,
ohne weiters zu veranlassen hat.
[1, 6, § 7] 505. Derlei erhebliche Bedenken sind, wann
Jemand währender Minderjährigkeit deutliche Kennzeichen einer üblen Wirthschaft
von sich gegeben hätte, und es dahero ohne seinem besorglichen Verfall nicht
rathsam wäre, ihme die freie Hand über sein Vermögen zu lassen.
[1, 6, § 7] 506. In welchem Fall mit der Erklärung der
Großjährigkeit und Einantwortung des Vermögens Anstand genommen, zugleich aber
dieser Vorfall mit allen Ursachen der nöthig findenden Zuruckhaltung unverlängt
Uns angezeiget und Unsere höchste Entschließung darüber abgewartet werden
solle.
Wo es sodann bei Uns beruhen wird, die Vormundschaft annoch
auf eine Uns gefällige weitere Zeit hinaus zu erstrecken.
[1, 6, § 7] 507. Wir wollen jedoch von der Nothwendigkeit
der zur selbsteigenen Schalt- und Waltung mit dem Seinigen für insgemein
erforderlichen Großjährigkeit die Gewerbs- und Handelsleute niederen Standes in
Städten und Märkten, wie auch das gemeine Landvolk gnädigst entbunden und hiermit
verordnet haben, daß, wann selbe nach erreichten vogtbaren Jahren einer
burgerlichen Nahrung, Gewerb, Handlung oder Hantierung selbst vorzustehen fähig
befunden werden, sie keiner Nachsicht des Alters nöthig haben, sondern denen
Vormundschaftsgehörden für allgemein die Macht eingeraumet sein solle, nach
Befund der Tauglichkeit solcher junger Leuten auf deren, oder ihrer Befreundten
oder Vormünderen Ansuchen selbst fürzugehen und ohnerachtet der noch
fürwährenden Minderjährigkeit die Einantwortung des Vermögens zu veranlassen.
[1, 6, § 7] 508. Es solle aber der Vormund des
Minderjährigen, wann er nicht selbst darum anhält, allemal vorhero darüber
vernommen und beinebst genugsame Zeugniß beigebracht werden, daß der
Minderjährige ehrbaren und bescheidenen Wandels, und zur vorhabenden Handlung,
Gewerb oder anderen burgerlichen Nahrung, worzu die eigene Schaltung mit dem
Seinigen und die Freiheit sich zu verbinden erforderlich ist, fähig seie.
[1, 6, § 7] 509. Wann nun die Vormundschaftsgehörde
denselben zu diesem Gewerb oder Nahrung zuzulassen
befindet, so hat sie ihme sein Vermögen ohne weiters einzuantworten, dabei
jedoch auf das Betragen solcher junger Leuten ein wachsames Aug zu halten, und
bei wahrnehmender Unwirthschaft in Zeiten solche Vorkehrungen zu treffen, damit
ihrem weiteren Verfall vorgebogen werde.
[1, 6, § 7] 510. Diese gerichtliche Einantwortung macht der
über sie bestellt gewesten Vormundschaft ein Ende, und sie erlangen andurch die
Fähigkeit zu allen Handlungen und Verbindungen, zu deren Giltigkeit sonst bei
Anderen die Großjährigkeit oder eine Besondere Nachsicht des Alters erforderet
wird.
[1, 6, § 7] 511. Nur zur Vormundschaft über ihre
minderjährige oder noch unvogtbare Weiber sind sie vor erreichter
Großjährigkeit nicht fähig, sondern diese beharren bis dahin unter ihrer
vorigen Vormundschaft.
Wo sie aber schon vogtbar sind, und an dem Gewerb ihres
Manns mit gerichtlicher Verwilligung Antheil nehmen, so ist ihnen ohnangesehen
ihrer Minderjährigkeit ihr Vermögen einzuantworten, und kann auch ihnen in
diesem Fall nach dem Tod des Manns die Vormundschaft über ihre Kinder zu
Fortsetzung der Nahrung, jedoch mit Beigebung eines gewerbsverständigen
Mitvormunds aufgetragen werden.
[1, 6, § 7] 512. Endlich endiget
sich die Vormundschaft an Seiten der Waisen durch
(1-246) die von Uns aus landesfürstlicher
Machtsvollkommenheit Jemandem ertheilte Nachsicht des Alters, welchem Falls
sich nach dem Inhalt Unserer Verleihung zu achten, und hiernach die
Einantwortung des Vermögens mit denen allenfalls darinnen enthaltenen
Einschränkungen zu veranlassen, forthin aber auf seine Gebarung fleißig acht zu
tragen, und bei Verspürung eines üblen Gebrauchs dieser ihme verliehenen Gnade
der besorgliche Verfall seines Vermögens Uns von der Gehörde allsogleich
anzuzeigen ist, um die nöthig ermessende Vorsehung treffen zu mögen.
[1, 6, § 7] 513. Außer diesen Fällen entweder einer von Uns
erwirkten Nachsicht des Alters oder der bei Personen minderen Standes und
gemeinen Leuten von der Vormundschaftsgehörde befundenen, selbsteigenen
Nahrungs- oder Gewerbsfähigkeit solle keinem Minderjährigen sein Vermögen
einantwortet, sondern dessen Verwaltung von dem Vormund fortgesetzet werden.
[1, 6, § 7] 514. Solange aber auch bei schon Großjährigen
die Einantwortung des Vermögens nicht erfolget, ist ein solcher, obschon nach
dem Alter großjährig Gewordener, oder zur eigenen burgerlichen Nahrung tüchtig
Befundener, oder von Uns mit der Nachsicht des Alters Begnadigter forthin einem
Minderjährigen gleich zu halten, mithin zu einigerlei Verbindungen unfähig.
[1, 6, § 7] 515. Was bishero von der
Großjährigkeitserklärung und Einantwortung des Vermögens geordnet worden, ist
nur von solchen Minderjährigen zu verstehen, die ein unter vormundschaftlicher
Verwaltung befindliches Vermögen haben, maßen in dessen Ermanglung nichts
eingeantwortet werden kann, folglich auch keine vorläufige
Großjährigkeitserklärung nöthig ist, sondern gleichwie derlei unvermögliche
Waisen nach erreichter Vogtbarkeit für die Erwerbung ihres Unterhalts selbst zu
sorgen haben, und dem Schicksal ihres Fortkommens überlassen bleiben, also hat
auch die weitere Vormundschaft ihr Ende, und sie sind an der Giltigkeit ihrer
Verbindungen nicht gehemmet.
[1, 6, § 7] 516. An Seiten des Vormunds endiget
sich die Vormundschaft durch
(1-247) dessen Tod, wegen dessen Unfähigkeit oder
rechtmäßiger Entschuldigung, wegen übler Verwaltung und daher auf sich ladendem
Verdacht, und endlich aus Anordnung des Gesetzes oder des Erblassers.
[1, 6, § 7] 517. Durch den Tod des Vormunds höret die Vormundschaft
auf und erstrecket sich keineswegs auf dessen Erben.
Doch müssen diese die rückständigen Raitung legen,
verantworten und richtig stellen, wie auch das Waisengut mit gleicher
Obliegenheit, wie der Verstorbene, insolang besorgen, bis eine andere Vorsehung
getroffen und dessen Ausantwortung an den nachfolgenden Vormund veranlasset
wird. Wo es aber zufällig geschehen würde, daß der Erb des Vormunds auch dessen
Nachfolger in der Vormundschaft werde, ist es jedennoch nicht die vorige,
sondern eine neue Vormundschaft.
[1, 6, § 7] 518. Die Unfähigkeits- und
Entschuldigungsursachen sind alle bereits oben §. III. erwähnet worden.
Was dahero Jemanden gleich anfänglich zur Uebernehmung der
Vormundschaft unfähig macht oder bei deren Auftrag zur Enschuldigung (!) (=
ENtschuldigung) berechtiget, alles dieses ist insgemein auch hinreichend, wann
es sich währender Vormundschaft ereignet, daß deswegen der Vormund von der
aufhabenden Vormundschaft entlassen oder auf Verlangen davon befreiet werde,
insoferne die Ursachen nicht also beschaffen sind, daß solche nach vorerwähnter
obiger Ausmessung zwar von einer neu aufgetragenen, nicht aber auch von der
schon wirklich aufhabenden Vormundschaft entschuldigen.
[1, 6, § 7] 519. Wann ein Vormund der üblen Verwaltung
überwiesen, oder dessen Untreue offenkundig ist, solle demselben die
Vormundschaft ohne weiters benommen werden.
Wiezumalen aber für die Waisen allzugefährlich wäre, es auf
den Fall einer wirklichen Veruntreuung ankommen zu lassen, so ist es auch schon
an einem gegründeten Verdacht der üblen Verwaltung genug, zur Aenderung der
Vormundschaft zu schreiten.
[1, 6, § 7] 520. Dieser Verdacht kann aus verschiedenen
Umständen wider den Vormund entstehen, da er aus eigener böser Gemüthsart,
Fahrlässigkeit oder Arglist wider seiner Pflicht etwas thut oder unterläßt, was
einen gegründeten Argwohn erreget, daß er sein vormundschaftliches Amt nicht
getreulich handle.
[1, 6, § 7] 521. Als da derselbe die Waisen übel hielte, sie
zum Ueblen anführete, durch böse Beispiele zu ihrer Verführung Anlaß gäbe,
wissentlich übel gesitteten Leuten sie anvertrauete, es ihnen an standesmäßiger
Erziehung ermanglen ließe, die Ausmessung eines genüglichen Unterhalts nicht
ansuchete, oder durch unwahrhafte Vorstellungen hintertriebe, oder den ausgeworfenen
Betrag, da er es wohl thun kann, nicht darzu anwendete.
[1, 6, § 7] 522. Ferners, wann er sich durch ungeziemende
Mittel zur Vormundschaft eingedrungen oder sich darinnen auf solche Art zu
erhalten suchet, wann er sich in Eigennutz betreten läßt, wann er ein ihme wohl
bewußtes Vermögen der Waisen der Vormundschaftsgehörde nicht zeitlich oder
nicht getreulich angezeiget, und um so mehr, wann er solches anfänglich ganz
oder zum Theil verleugnet und unterschlagen hätte, wann er das Waisengut ohne
obervormundschaftlicher
(1-248) Verwilligung eigenmächtig veräußeret, verpfändet
oder sonst, wiewohlen ungiltig, beschweret, vernachlässiget oder gar verderben
läßt.
[1, 6, § 7] 523. Nicht weniger, wann er die Steuern und
Anlagen davon nicht entrichtet, sondern solche ohne Noth zum Nachtheil der
Waisen anwachsen läßt, wann er mit dem Waisengut einen verbotenen oder sehr
unsicheren Handel waget, wann er ohne Verwilligung der Vormundschaftsgehörde
neue Schulden macht oder die vorhandenen, wo er kann, nicht abzahlet, wann er
nach überkommener Vormundschaft, ohne zu begreifen, woher, kostbarer, als er
nicht sonst gewohnet ware, zu leben anfängt, oder an ihme eine Verschwendung
seines eigenen Vermögens bemerket wird.
[1, 6, § 7] 524. Endlich, wann derselbe den Raitungserlag
lang über die ausgesetzte Zeit verspätet, wann er auf Erforderen der
Vormundschaftsgehörde außer habenden Ehehaften nicht erscheinet, wann er die
ihme zugegebene Beiräthe oder Vormundschaftsgehilfen in Sachen, die in ihre
Wissenschaft, Kunst und Gewerbe einschlagen, nicht beiziehet, oder ihren Rath
und Meinung eigensinnig verwirft, und überhaupt etwas thut oder unterläßt, was
guten und getreuen Vormünderen zu thun oder zu unterlassen nicht geziemet.
[1, 6, § 7] 525. Alle Vormündere ohne Ausnahme können sich
verdächtig machen, worwider sie weder das Zutrauen des Erblassers, weder das
nahe Blutband, weder der obrigkeitliche Auftrag der Vormundschaft, weder der
gute Ruf und Leumuth, weder die geleistete Bürgschaft, weder die kundbare
Zahlfähigkeit, noch sonst etwas schützen kann, sondern es solle bei sich
ergebendem Verdacht nach Erheischung der Umständen ohne Ansehen der Person des
Vormunds mit Untersagung der ferneren Verwaltung und hiernach folgender
anderweiter Vorsehung fürgegangen werden.
Doch muß der Verdacht gegründet und die Anzeigen einer üblen
Verwaltung an sich schon offenbar sein, oder von glaubwürdigen Leuten und nicht
etwann aus Mißgunst, Haß oder Leichtsinnigkeit herrühren, noch sonst
unwahrscheinlich, sondern vielmehr nach vernünftigen Ermessen des Richters
durch geheime zu keiner Verkleinerung des Vormunds gereichende Nachforschung,
oder andere beitretende Umstände vorerst bestärket sein.
[1, 6, § 7] 526. Nicht nur die Vormundschaftgehörde selbst
ist schuldig, auf das Betragen des Vormunds acht zu haben, sondern auch jene,
welchen einen Theil an der Vormundschaft haben, als Mitvormündere,
Ehrenvormündere, vormundschaftliche Beistände, oder zugegebene Beiräthe und
Gehilfen sind unter eigener Verantwortung verbunden, die Handlungen des Vormunds
zu beobachten, und den vermerkenden Unfug oder Gefahr der Vormundschaftsgehörde
sogleich anzuzeigen.
[1, 6, § 7] 527. Ueber das solle nicht allein allen
Befreundten der Waisen, sondern auch einem jedwedem Anderem zugelassen sein,
aus redlichem Antrieb und Beherzigung des unter der Vernachlässigung der Waisen
und ihres Vermögens leidenden gemeinen Wohlstands verdächtige Vormündere bei
der Gehörde anzugeben.
[1, 6, § 7] 528. Es ist aber dabei keine förmliche Anklage
nöthig, sondern an deme genug, daß der Verdacht mit allen Umständen bei der
Vormundschaftsgehörde angezeiget werde, welche des Angebrachte zu beurtheilen,
nach Erforderniß gehörig zu untersuchen, und das weiter nöthig Findende
vorzukehren hat. Wann selbe jedoch die billige Abhilfe versagete, kann solche
bei dem höheren Richter angesuchet werden.
[1, 6, § 7] 529. Ist das Angeben unwahrscheinlich und nicht
mit genugsamen Anzeigen begleitet, der Vormund hingegen guten Rufs und
bekannten Wohlverhaltens, so solle dasselbe zur Stelle verworfen, gänzlich
unterdrucket, und da es muthwillig zu sein befunden würde, dem Angeber
nachdrucksam verwiesen, auch gestalter Dingen nach bestrafet, hierbei aber
vermieden werden, damit es dieserhalben zwischen dem Vormund und dem Angeber zu
keiner weitläufigen Rechtsführung gelange.
[1, 6, § 7] 530. Wäre aber die Anzeige zwar nicht
ungegründet, jedoch an sich von
(1-249) keiner besonderen Erheblichkeit und an dem Verzug
der Abhilfe keine Gefahr, so ist die Verwaltung des Vormunds nicht zu
unterbrechen, sondern unter der Hand der Sachen Bewandtniß nachzuforschen, und
der befundene Unfug allsobald abzustellen, oder beschaffenen Umständen nach in
der Ausstellung der Mängeln über die erlegte Vormundschaftsraitungen auf das
Angeben der Bedacht zu nehmen, und somit dem weiterem Uebel vorzubeugen.
[1, 6, § 7] 531. Wäre hingegen die Anzeige gegründet und das
Angegebene auch an sich erheblich, so solle nicht gesaumet werden, dem Vormund
in der weiteren Verwaltung der Vormundschaft Einhalt zu thun, denselben zu Rede
zu stellen und, da er den Verdacht von sich abzuleinen nicht
vermögete, der Vormundschaft halber eine andere Vorsehung zu veranlassen, wobei
auf das schleunigste zu verfahren ist, damit die Waisen durch längeren Verzug
keinem größeren Schaden ausgesetzet bleiben.
[1, 6, § 7] 532. Doch solle alles dieses dem Vormund an
seiner Ehre und guten Leumuth nicht nachtheilig sein, noch auch dieserhalben
ein förmlicher Rechtsspruch wider dem Vormund geschöpfet werden, sondern es ist
an deme genug, daß einem Anderem die Vormundschaft aufgetragen, und unter Einem
der verdächtige Vormund ohne Erwähnung des Verdachts, sondern nur mit der
überhaupt lautenden Beziehung auf erhebliche Ursachen mittelst gerichtlicher
Auflage dahin angewiesen werde, dem neuen Vormund das Waisengut zu übergeben,
und seiner bisherigen Verwaltung halber die vollständige Richtigkeit zu
pflegen.
[1, 6, § 7] 533. Würde aber der Vormund nicht dabei beruhen
wollen, sondern sich an die höhere Gehörde verwenden, so sind ihme die wahre
Ursachen des Verdachts schriftlich zu bedeuten, und eben also dem höheren
Richter in dem abforderenden Bericht ohne Ruckhalt anzuzeigen, welches jedoch
dem Vormund an seiner Ehre noch keinen Nachtheil zuziehet.
[1, 6, § 7] 534. Nur in dem alleinigen Fall wird der Vormund
seiner Ehre verlustig, wann wider ihn wegen begangener Untreue und Gefährde in
dem schöpfenden Urtheil nebst der Entsetzung von der Vormundschaft auch
zugleich die Ehrlosigkeit ausdrücklich verhänget worden.
[1, 6, § 7] 535. Durch das Gesatz unmittelbar wird die
Vormundschaft an Seiten des Vormunds in zweien Fällen beendiget, als:
Erstens, wann von mehreren unter der Vormundschaft stehenden
Geschwisteren ein Bruder die Großjährigkeit erreichet, welchen Falls derselbe
über sein übriges noch minderjähriges Geschwister die Vormundschaft begehren
kann, durch welche Aenderung sie an Seiten des vorherigen Vormunds geendiget
wird.
[1, 6, § 7] 536. Zweitens, wann die Mutter, welche die
Vormundschaft über ihre Kinder erhalten hat, zur anderen Ehe schreitet, ohne
die Verwilligung solche beibehalten zu dürfen ausgewirket zu haben, wie es
bereits oben in §. II. geordnet worden.
[1, 6, § 7] 537. Aus Anordnung des Erblassers höret die
Vormundschaft an Seiten des Vormunds auf, wann der Erblasser in seinem letzten
Willen Jemanden nur bis auf eine gewisse Zeit, oder bis zum Erfolg oder Ausgang
einer beigesetzten Bedingniß zum Vormund benennet hat, die Zeit aber vorüber,
und die Bedingniß erfüllet oder erloschen ist.
[1, 6, § 7] 538. Wie immer aber die Vormundschaft beendiget
werde, so ist der Vormund oder dessen Erben allemal schuldig die Schlußraitung
in der ausgesetzten Zeit zu erlegen, und das Vermögen entweder dem
nachfolgenden Vormund, oder dem großjährig erklärten, oder auch noch
minderjährigen Waisen, wann derselbe in obigen beiden Fällen, da er entweder
nach erreichter Vogtbarkeit zu einer burgerlichen Nahrung oder Gewerb fähig
befunden worden, oder die Nachsicht des
(1-250) Alters erhalten hätte, aus der Vormundschaft
austritt, auf obervormundschaftliche Anordnung einzuantworten.
[1, 6, § 7] 539. Wann die Vormundschaft aus Anordnung des
Gesatzes oder des Erblassers aufhöret, oder der Vormund sonst eine rechtmäßige
Ursache hätte, seine Entbindung von der Vormundschaft anzuverlangen, so lieget
ihme ob, diesen Umstand bei der Vormundschaftgehörde gebührend anzuzeigen, und
um anderweite Bevormundung der Waisen anzuhalten, bis dahin aber die Verwaltung
fortzusetzen.
[1, 6, § 7] 540. Wann hingegen die Vormundschaftsgehörde, es
seie wegen übler Verwaltung, gegründeten Verdachts, oder wegen zugestoßener
Unfähigkeit, mit dem Vormund eine Aenderung zu treffen befindet, so muß von
derselben sogleich denen Waisen mit einem anderem tüchtigem Vormund vorgesehen
werden.
[1, 6, § 7] 541. Wo aber die Vormundschaft an Seiten der
Waisen durch deren erreichte Großjährigkeit, oder befundene Gewerbsfähigkeit
oder von Uns erwirkte Nachsicht des Alters gänzlich aufhöret, hat der Vormund
bis zu der von der Vormundschaftsgehörde anordnenden Einantwortung des
Vermögens die Verwaltung fortzuführen.
[1, 6, § 7] 542. Die von dem abtretenden Vormund
einbringende Schlußraitung solle allemal mit Zuziehung des antretenden
Vormunds, oder seines aus der Vormundschaft gänzlich ausgetretenen
Pflegbefohlenen aufgenommen und erlediget, wie auch die aus der verwalteten
Vormundschaft entstandene Sprüche und Gegensprüche zwischen dem abtretenden und
antretenden Vormund, oder einem für die Waisen eigens zu bestellen habenden
Rechtsvertreter, oder auch denen die eigene freie Schalt- und Waltung
überkommenden Pflegbefohlenen gerichtlich ausgeführet werden.
[1, 6, § 7] 543. Unmittelbar aber kann es zwischen dem
Vormund und seinen Pflegbefohlenen zu keinen Rechtssprüchen kommen, weilen
diese weder für sich selbst den Vormund belangen, noch von ihme belanget werden
können, sondern durch den nachfolgenden Vormund, oder einen nach Erforderniß
eigens zu bestellenden Rechtsobsorger, und durch die Vormundschaftsgehörde
selbst bis zu Erlangung der eigenen freien Verwaltung vertreten werden müssen.
[1, 6, § 7] 544. Die Einantwortung des Vermögens an die aus
der Vormundschaft
(1-251) Austretende hat allemal auf vorläufige gerichtliche
Verordnung, und zwar da, wo noch keine vormundschaftliche Raitung
vorhergegangen, nach der gerichtlichen Vermögensbeschreibung, ansonst aber nach
dem letzten gerichtlichen Endauszug zu geschehen, und muß beinebst Alles, was
seit deme zugewachsen und nach Abzug der Ausgaben übrig ist, nach Ausweis der
Schlußraitung überantwortet werden.
[1, 6, § 7] 545. Diese Einantwortung kann die
Vormundschaftsgehörde, wann auch kein Theil darum anhielte, nach vorläufiger
Großjährigkeitserklärung von amtswegen verordnen, und solle dieselbe wegen noch
nicht verfaßter oder erlegter Schlußraitung nicht aufgehalten, sondern das
Vermögen immittelst entweder nach der gerichtlichen Beschreibung oder nach dem
letzten Endauszug übergeben, und so die Uebergabe, wie die Uebernahme
inzwischen gegen einander bescheiniget, die Schlußraitung aber in der von dem
Tag der Großjährigkeitserklärung zu laufen habenden obausgemessenen Frist
ohnfehlbar erleget werden.
[1, 6, § 7] 546. Die einem aus der Vormundschaft
Ausgetretenen wider seinen gewesten Vormund zustehende Sprüche zielen
hauptsächlich auf Erlag der Raitungen und auf Erstattung alles dessen ab, was
demselben von seinem Vermögen annoch abgehet, oder aus Schuld des Vormunds
abgehen dörfte, und entweder in seiner Gestalt oder in seinem Werth sich bei
dem Vormund befindet, wie auch auf Ersetzung alles ihme durch des Vormunds
Gefährde, schwere oder geringe Schuld bereits zugestoßenen oder annoch zustoßen
mögenden erweislichen Schadens.
[1, 6, § 7] 547. Die Gegensprüche des gewesten Vormunds aber
gehen auf seine Entschädigung in Ansehung dessen, was er von dem Seinigen in
die Verwaltung erweislich einverwendet, und wessen Vergütung derselbe noch
nicht erhalten, oder was er aus der Verwaltung Schaden erlitten hat, wie auch
auf seine vollständige
(1-252) Entbindung von allen währender vormundschaftlicher
Verwaltung für seine Pflegbefohlene eingegangenen Verbindungen, ferners auf die
Erlassung der wegen der aufgehabten Vormundschaft geleisteten Sicherheit oder
Bürgschaft, und endlich auf eine gerichtliche Hauptquittung und Verzicht von
allen an ihme der verwalteten Vormundschaft halber gemachten oder weiters
machen mögenden Ansprüchen und Forderungen.
[1, 6, § 7] 548. In diese Sprüche und Gegensprüche kommt
jedoch nichts, was durch die vorherige zu Rechtskräften erwachsene gerichtliche
Endauszüge, wann solchen bereits vollständiges Genügen geleistet worden,
allschon behoben und abgethan ist, mit alleiniger Ausnahme deren oben erklärten
Vorbehaltsfällen, wegen welcher zu allen Zeiten die Richtigkeit von so einem,
wie dem anderen Theil geforderet werden kann.
[1, 6, § 7] 549. Außer diesen bleiben alle vorhin erhaltene
Raitscheine in ihrem Inhalt bei Kräften, und wirken in allem deme, was durch
den Endauszug richtig befunden und hernach erweislich richtiggestellet worden,
eine wahre und vollkommene Loszählung des darmit bescheinigten Vormunds.
[1, 6, § 7] 550. Gleichwie dahero der geweste Vormund
insgemein nur für Jenes Red und Antwort zu geben schuldig ist, was von Schluß
der letzten gerichtlich erledigten Rechnung vorgefallen, oder etwann in dem
darüber hinausgegebenen Endauszug zur weiteren Verantwortung oder Genugthuung
vorbehalten worden, also hat auch an Seiten des gewesten Vormunds auf Dasjenige
kein weiterer Anspruch statt, was ihme in denen vorigen Endauszügen oder sonst
durch richterliche Erkanntniß bereits bereits rechtskräftig abgesprochen, oder
von ihme in die vorige schon erledigte Raitungen bei damals bereits fürgewester
Gegenforderung einzubringen wissentlich unterlassen worden, wann nicht
vorbesagter Maßen ein- oder andererseits ein erweislicher Vorbehaltsfall
unterwaltet.
[1, 6, § 7] 551. Zur Habhaftwerdung des Vermögens nach
einmal gerichtlich angeordneter Einantwortung solle dem großjährig Erklärten
mit gerichtlichen Zwangsmitteln wider den saumseligen Vormund, oder wider
Jenen, bei weme immer sich etwas von diesem Vermögen ohne Ursach befindet,
verholfen und allenfalls auch derselbe mittelst Gerichtshilfe ohne Verschub in
den Besitz seiner Güter gesetzet werden.
[1, 6, § 7] 552. Desgleichen hat er zu Erhaltung des ihme
durch den gerichtlichen in Rechtskräften erwachsenen Endauszug zuerkannten
Ersatzes, dann aller ihme durch Saumsal des Vormunds verursachten Schäden und
Unkosten sich derjenigen Rechtsmitteln zu gebrauchen, welche zu Vollstreckung
deren Rechtssprüchen eingeführet sind.
[1, 6, § 7] 553. Der abtretende Vormund hingegen kann zur
Habhaftwerdung dessen, was ihme durch den zu Rechtskräften gediehenen,
gerichtlichen Endauszug zugesprochen worden, oder was er nach seiner
Schlußraitung annoch zu forderen hat, einen seiner Gegenforderung ausgemessenen
Betrag von dem verwalteten Vermögen bis zu seiner Befriedigung zuruckhalten.
Falls aber derselbe nicht so viel zuruckgehalten hätte, so
kann er das, was ihme zu seiner Schadloshaltung, oder an der
vormundschaftlichen Belohnung zuerkannt worden, so viel hieran noch ausständig
ist, durch gleichmäßige Rechtsmitteln ansuchen.
[1, 6, § 7] 554. Die Sprüche und Gegensprüche, welche
zwischen einem großjährig Erklärten und seinem gewesten Vormund bestehen,
gelangen demnach selten zu der Nothwendigkeit einer darüber ordentlich
auszuführen habenden Rechtstheidigung, sondern der über die erledigte
Schlußrechnung ausgefertigte gerichtliche Endauszug giebt schon Ziel und Maß,
was einem von dem anderen Theil zu erstatten seie.
[1, 6, § 7] 555. Nur allein bei sich ergebenden
Vorbehaltsfällen, welche nach allen
(1-253) erledigten Vormundschaftsraitungen hervorkommen,
kann eine ordentliche Rechtsführung zwischen dem großjährig Erklärten und
seinem gewesten Vormund platzgreifen, worinnen auch der Lauf Rechtens
keinerdings zu hemmen ist.
[1, 6, § 7] 556. Alle diese Sprüche und Gegensprüche
betreffen vornehmlich denjenigen Vormund, welcher die Vormundschaft verwaltet
hat, und wo solche von Mehreren verwaltet worden, auch Alle, welche die
Verwaltung geführet haben.
[1, 6, § 7] 557. Es ist aber in dem Fall, wo mehrere
Vormündere bestellet worden, der dreifache Unterschied zu beobachten, als
erstens, ob Alle zugleich die Vormundschaft ungetheilt
verwaltet haben, oder
andertens, ob die Verwaltung unter ihnen und von weme
getheilet, oder
drittens, ob solche von Einem oder Mehreren allein, von
denen Uebrigen aber nicht geführet worden.
[1, 6, § 7] 558. In dem ersten Fall sind Alle für Einen und
Einer für Alle denen an sie wegen der vormundschaftlichen Verwaltung machenden
Ansprüchen verfänglich, und stehet dem großjährig Erklärten frei, jedweden von
ihnen, welchen er will, um die Erstattung dessen, was sie ihme schuldig sind,
zu belangen, ohne daß der Belangte sich hierwegen auf die Anderen berufen oder
eine Theilung des schuldigen Ersatzes einwenden könne.
[1, 6, § 7] 559. Doch bleibet Demjenigen, welcher den Ersatz
geleistet, bevor, sich deswegen an denen Uebrigen für den dieselbe
mitbetreffenden Antheil mittelst einer besonderen Rechtsfertigung zu erholen.
Dahingegen ist auch der großjährig Erklärte Allen für ihre erweisliche
Gegensprüche gerecht zu werden schuldig.
[1, 6, § 7] 560. In dem zweiten Fall ist zu unterscheiden,
ob die Verwaltung von dem Erblasser oder von Gericht unter mehrere Vormündere
vertheilet, oder aber von ihnen selbst untereinander eigenmächtig abgesönderet
worden.
[1, 6, § 7] 561. Wann die Theilung von dem Erblasser oder
von Gericht geschehen, so stehet ein Jeder nur für dem
Antheil seiner Verwaltung, und kommen ihme auch nur insoweit seine Gegensprüche
zu statten. Dahingegen hat Keiner für dem Anderen zu haften, außer insoferne
Einer die üble Gebarung des Anderen wissentlich vertuschet, und in der Zeit bei
Gericht anzuzeigen unterlassen hätte, welchen Falls derselbe auch um das, was
an dem Schuldtragenden nicht erholet werden mag, belanget werden kann.
[1, 6, § 7] 562. Wo aber mehrere Vormündere die Verwaltung
unter sich eigenmächtig vertheilet hätten, so sind zwar Alle, wie in dem ersten
Fall verordnet worden, für den von deren Einem verursachten Schaden zu haften
verbunden.
Nichtsdestoweniger solle in diesem Fall vorerst Derjenige,
der hieran Schuld traget, hierum belanget, und was von ihme nicht erholet
werden kann, alsdann von ihnen dergestalten eingetrieben werden, daß nur ein
Jeder einen gleichen Antheil zu tragen habe, und was an diesem Antheil von
Einem nicht eingebracht werden mag, von denen Uebrigen anwiederum zu gleichen
Theilen ersetzet werde.
[1, 6, § 7] 563. In dem dritten Fall, wo die Verwaltung nur
von Einem oder Mehreren und nicht von Allen geführet worden, ist darauf zu
sehen, ob Allen zusammen oder nur Einem oder Einigen aus ihnen die Verwaltung
aufgetragen worden. Haben Alle den Auftrag erhalten, und sich Einige
eigenmächtig davon entzogen, so hat auch alles Dasjenige statt, was in dem
gleich vorhergehenden Fall der eigenmächtigen Vertheilung verordnet worden.
[1, 6, § 7] 564. Ist aber der Auftrag nur Einem oder Einigen
von ihnen geschehen, so haben nur die Verwaltenden und nicht auch die Anderen,
welche davon enthoben geblieben, Red und Antwort zu geben. Es wäre dann, daß
ihre Schuld entweder wegen Selbsteinmengung in die Verwaltung, oder wegen unterlassener
Anzeige der ihnen wohl bekannten Gebrechen des verwaltenden Vormunds mit
unterlaufe.
(1-254) [1, 6, § 7] 565. Für mitverwaltende Vormündere aber
sollen alle Diejenige gehalten werden, welche die Vormundschaftsrechnung mit
unterschrieben haben, ohne Unterschied, ob ihnen die Verwaltung aufgetragen
worden, oder dieselbe sich eigenmächtig darein gemischet haben.
[1, 6, § 7] 566. Auch bei Stattvormünderen und
vermeintlichen Vormünderen haben diese vormundschaftliche Sprüche und
Gegensprüche so, wie bei einem wahren Vormund statt.
Falsche Vormündere hingegen sind zwar denen Waisen
verfänglich, an diesen aber haben sie nur insoweit eine Gegenforderung, als
selbe mit ihrem Schaden erweislich bereicheret worden.
[1, 6, § 7] 567. Die Verbindlichkeit der Vormünderen gegen
die Waisen, sowie dieser gegen jene, gehet auch auf beiderseitige Erben, also,
daß die Erben des einen Theils dem anderen für das, zu deme ihr Erblasser
verbunden ware, nicht weniger gerecht werden müssen, als sie befugt sind,
Dasjenige, was der andere Theil ihrem Erblasser schuldig gewesen, von ihme oder
dessen Erben einzuforderen.
[1, 6, § 7] 568. Damit jedoch die Erben eines Vormunds mit
Recht zum Ersatz angehalten werden mögen, muß entweder die Gefährde oder
schwere Schuld ihres Erblassers erweislich, oder die Klage wider den
verstorbenen Vormund noch bei dessen Lebzeiten erhoben, oder der Mangel
ausgestellet worden sein, welchen Falls die Erben auch für dessen geringe oder
leichte Schuld zu haften haben.
[1, 6, § 7] 569. Endlich, wo der Ersatz weder von denen
Vormünderen, noch deren Erben zu erholen wäre, kann auch wider die
Vormundschaftsgehörde selbst die nachhilfliche Rechtsforderung bei dem höheren
Richter angestrenget werden.
[1, 6, § 7] 570. Zu dieser Rechtsforderung ist nothwendig, daß
erstens die wirklich erleidende Beschädigung,
zweitens, daß Kläger den Ersatz weder von dem gewesten
Vormund, noch von dessen Bürgen oder Erben, noch von jemandem Anderen erhalten
könne, und
drittens, die Gefährde, oder wenigstens schwere
Schuldtragung der Vormundschaftsgehörde rechtsbeständig erwiesen werde.
[1, 6, § 7] 571. Zur schweren Schuld wird gerechnet, wann
von derselben gar kein oder ein untüchtiger Vormund bestellet worden, wann sie
Gaben und Verehrungen von ihme angenommen, wann von ihme keine hinlängliche
Sicherheit, die er doch wohl hätte leisten können, geforderet, der wider ihn
hervorgebrochene gegründete Verdacht nicht untersuchet oder kein Einhalt
gethan, bei sich geäußerten großen Ruckstand auf die Richtigkeitspflegung oder
Sicherstellung nicht angedrungen, sondern längerhin nachgesehen worden, und was
sonst nach Erwägung der Umständen für eine schwere Schuld zu achten ist.
[1, 6, § 7] 572. Bei dergleichen erwiesenen Umständen ist
die Vormundschaftsgehörde zum Ersatz desjenigen daher entstandenen
Schadenbetrags zu verurtheilen, welcher von denen hieran unmittelbar
Schuldtragenden, ihren Bürgen und Erben nicht erholet werden kann.
[1, 6, § 7] 573. Dahingegen verbindet die geringe oder
leichte Schuld, wofür die Fahrlässigkeit in allzu genauer Beobachtung der
Vorgeschriebenen heilsamen Vorsichten oder des obervormundschaftlichen Amts
anzusehen ist, nur insoweit zu dem Ersatz, als solchen der höhere Richter nach
Erwägung der Umständen billig zu sein ermessen wird. Die geringste oder
leichteste Schuld aber ziehet gar keine
Verbindlichkeit nach sich, noch viel weniger ein zufällig erfolgter Schaden.
[1, 6, § 7] 574. Doch sind nur diejenige Mitglieder der
Vormundschaftsgehörde und deren Erben zur nachhilflichen Entschädigung
verbunden, welche an der Gefährde oder Schuldtragung Antheil haben, nicht aber
auch jene, welche entweder zu dieser Zeit gar nicht von diesem Mittel waren,
oder bei Veranlassung dessen, was zum
(1-255) Schaden der Waisen ausgeschlagen, nicht gegenwärtig
gewesen, oder sich ausdrücklich dagegen verwahret, oder wenigstens darzu nicht
mit eingestimmet haben.
[1, 6, § 7] 575. Auch deren Schuldigen Erben sind nicht
weiter verfänglich, als insoferne die Gefährde oder schwere Schuld ihrer
Erblasseren erweislich, oder wegen geringer Schuld die Klage schon bei ihren
Lebzeiten wider dieselbe erhoben worden.
[1, 6, § 7] 576. Diese nachhilfliche Rechtsforderung hat
aber nur in dem Fall statt, wann der Schaden von dem Vormund zugefüget worden
und sich dessen in keinerlei andere Wege erholet werden kann. Wo aber die
Vormundschaftsgehörde selbst den Schaden unmittelbar zugefüget hätte, als da
der Vormund von denen aus seiner erlegten Raitung hervorgekommenen Mängeln zur
Ungebühr losgesprochen, oder weniger als rechtmäßig gebühret hätte, zum Ersatz
anerkannt worden wäre, ist die Rechtsforderung aus übler Erkanntniß wider
dieselbe auf so viel, als dem Kläger andurch erweislich Unrecht geschehen,
anzustrengen.
[1, 6, § 7] 577. Wann es um Raitungserledigung, Sprüche oder
Gegensprüche zwischen Vormünderen und Denenjenigen zu thun ist, welche zwar
noch nicht großjährig sind, doch aber entweder von Uns die Nachsicht des Alters
erhalten haben, oder nach erreichter Vogtbarkeit zur burgerlichen Nahrung und
Gewerb fähig erkläret worden, so solle ihnen ein eigener Rechtsobsorger oder
Curator um sie dabei zu vertreten, und die vollständige Richtigkeit für sie zu
bewirken, beigegeben werden, welcher sodann nebst ihnen die Hauptquittung und
Verzicht auszustellen hat.
[1, 6, § 7] 578. Ansonst hat ein jeder für großjährig
Erklärter, deme sein Vermögen eingeantwortet wird, diese
Hauptverzichts-Quittung nach gänzlich hergestellter Richtigkeit für sich allein
auszustellen, und, wann damit verweilet würde, kann auf Anlangen des gewesten
Vormunds und allenfalls auch von amtswegen darauf gedrungen werden.
[1, 6, § 7] 579. Diese Verzicht auf alle weitere Ansprüche
und Forderungen der verwalteten Vormundschaft halber solle allemal persönlich
vor Gericht und in Beisein des gewesten Vormunds oder eines von diesem darzu
eigends bevollmächtigten Anwalts geschehen, die ausgestellte Hauptquittung
allda vorgelesen, von dem Quittirenden sich hierzu ausdrücklich bekennet, und
alsdann da, wo es zur Entbindung von der bestellten Sicherheit oder sonst noch
nöthig ist, eingetragen und vorgemerket, und sonach dem gewesten Vormund
zugestellet werden.
[1, 6, § 7] 580. Wann aber der Quittirende aus erheblichen
Ursachen hierzu persönlich nicht erscheinen könnte, so kann auch auf Anzeige
der Ehehaften die Verzicht durch einen von ihme eigends darzu Bevollmächtigten
mit denen in drittem Theil zu derlei gerichtlichen Bekanntnissen
vorgeschriebenen Feierlichkeiten bei Gericht vorgenommen, und da, wo nöthig,
sammt der ausgestellten Vollmacht eingetragen werden.
[1, 6, § 7] 581. Diese Urkunde solle nicht allein die
Bescheinigung und Quittirung des gewesten Vormunds über die vollständige
Uebergabe des bis dahin von ihme verwalteten Vermögens, und über die gänzliche
Genugthuung für alles das, was derselbe laut des über seine vormundschaftliche
Schlußraitung verfaßten Endauszugs zu erstatten gehabt, sondern auch beinebst
die Verzicht auf alle weitere Ansprüche, folglich dessen Loszählung von der
ferneren Verantwortung und die Ablassung von der bestellten Sicherheit
enthalten.
[1, 6, § 7] 582. Auf gleiche Weise müssen auch bei
vorfallender Aenderung der Vormundschaft die abtretende
von denen nachfolgenden Vormünderen, wie nicht weniger die Erben eines
verstorbenen Vormunds zu ihrer Entledigung losgesprochen werden.
[1, 6, § 7] 583. Dann nach Einantwortung des Vermögens, sie
geschehe an den aus der Vormundschaft austretenden Pflegbefohlenen, dessen
Erben, oder den nachfolgenden Vormund, wird der abtretende Vormund von aller
weiterer Gefahr entbunden,
(1-256) und hat jener, deme die Einantwortung geschieht, nebst
der übernehmenden Gefahr auch alle Rechten und Gerechtigkeiten von dieser Zeit
an zu besorgen, folglich auch allen in Namen der fürgewesten Vormundschaft
eingegangenen Verbindungen Genüge zu thun, ohne daß der abgetretene Vormund
wegen der unter seiner Verwaltung vorgegangenen Handlungen Jemanden besprechen
oder von Anderen hierwegen besprochen werden könne.
[1, 6, § 7] 584. Er habe sich dann für seine Person gegen
Jemanden zu etwas verbindlich gemacht, und es wäre bei Erledigung der
Schlußraitung ihn von solcher Verbindung nicht zu entheben befunden worden,
aber es käme ihme die Wiederholung des ihme zu leisten auferlegten Ersatzes an
Anderen zu statten.
[1, 6, § 7] 585. Außer deme entbindet vorbemelte
Hauptverzichts-Quittung auch alle Andere, denen wegen deren mit dem gewesten
Vormund vorgegangenen Handlungen daran gelegen ist, und solle unter keinerlei
Vorwand mit alleiniger Ausnahme deren Vorbehaltsfällen etwas darwider zu regen
gestattet sein.
[1, 6, § 7] 586. Auch solle wider dergleichen Verzicht seine
Herstellung in den vorigen Stand unter dem alleinigen Vorwand der damaligen
Minderjährigkeit angesuchet werden können.
Wiewohlen Wir Uns übrigens allerdings vorbehalten, einem
dadurch erweislich zu Schaden Gekommenen aus unterwaltenden besonderen Umständen,
wann Uns solche behörig vorgestellet werden, derlei Herstellung in vorigen
Stand aus Unserer landesfürstlicher Machtsvollkommenheit angedeihen zu lassen.
§. VIII.
[1, 6, § 8] 587. Der einmal nach erreichten gesetzmäßigen
Jahren, oder von Uns erwirkter Nachsicht des Alters aus der Vormundschaft
ausgetreten, fällt in dieselbe nicht mehr zurück. wann er gleich seinen Sachen
selbst vorzustehen unfähig.
(1-257) oder verhindert wird, sondern derlei Personen sind
eigenen Obsorgere oder Curatores zu ihrer Vertretung und Verwaltung ihres Guts
zu bestellen.
[1, 6, § 8] 588. Diese Obsorgere oder Curatores kommen mit
denen Vormünderen oder Gerhaben in ihren Amtsbefugnissen und Verbindlichkeiten
fast durchaus überein, und wann jene Obsorgere, die besonders nur zu gewissen
einzlen Handlungen bestellet sind, ausgenommen werden, so sind die übrigen von
denen Vormünderen nur dem Namen nach unterschieden.
[1, 6, § 8] 589. Die Bestellung eines Obsorgers erforderet
demnach allemal entweder an Seiten dessen, deme ein solcher bestellet wird, die
Unfähigkeit oder Verhinderniß, seinen Sachen selbst vorstehen zu können, oder
die Nothwendigkeit einer rechtlichen Vorsehung in Fällen, wo es um ein Gut zu
thun ist, welches noch keinen bestimmten Eigenthümer hat, oder in Sicherheit gebracht
werden muß, oder wo es in einzlen Vorfällen um das Recht solcher Personen zu
thun ist, welche weder sich selbst vertreten, noch durch ihre ordentliche
Vertretere wegen Theilnehmung an der fürgehenden Handlung dabei vertreten
werden können, oder endlich, wo es um eine landtäfliche, stadt- oder
grundbücherliche Auslöschung einer schon getilgten Haftung zu thun ist, welche
von Jenem der sie zu bewirken schuldig wäre, nicht befolget werden kann oder
will.
[1, 6, § 8] 590. Die Untüchtigkeit seinen Sachen selbst
vorzustehen, rühret entweder von der Gemüths- oder Leibesgebrechlichkeit, oder
von der unmäßigen Neigung zur Verschwendung des Seinigen her.
[1, 6, § 8] 591. Unter denen Gebrechlichen werden alle
Blödsinnige, Sinnlose, Unsinnige, Wahn- oder Aberwitzige, Rasende, Stumme und
Taube, Blinde und fortwürig preßhafte Menschen verstanden, welche aus Mangel
der gesunden Vernunft oder wegen Mühseligkeit und Leibesschwachheit außer
Stande sind, ihre Habschaften und Gerechtsame selbst zu besorgen, oder durch andere
von ihnen darzu Gestellte besorgen zu lassen.
[1, 6, § 8] 592. Derlei gebrechlichen Leuten sind Obsorgere
zu bestellen, welche für ihre Verpflegung sorgen und ihr Vermögen getreulich
verwalten sollen, und dieses ohne Unterschied, ob sie aus Zufall oder ihrer
selbsteigenen Schuld in solche mißliche Umstände gerathen sind.
[1, 6, § 8] 593. Wo aber Jemand noch währender
Minderjährigkeit und der über ihn fortdauernden Vormundschaft mit einer
dergleichen Gebrechlichkeit befallen würde, wird nach erreichter Großjährigkeit
die Vormundschaft in eine Curatel verwandlet.
(1-258) [1, 6, § 8] 594. Doch muß eine so beschaffene
Gemüths- und Leibesgebrechlichkeit allemal vorhero wohl untersuchet und
befunden worden sein, daß ein solcher ganz und gar zur selbsteigenen Verwaltung
unfähig seie.
Widrigens kann keinem Großjährigen wider seinen Willen die
eigene freie Schalt- und Waltung benommen werden.
[1, 6, § 8] 595. Also bedarf jener Blödsinnige keines
Obsorgers, der von Zeit zu Zeit dergestalten zu sich kommt, daß er mit dem
Seinigem vernünftig ordnen und sein Vermögen mit Beihilf anderer sich wählender
Personen auch für die Zeit des ihme zustoßenden Uebels verwalten könne.
[1, 6, § 8] 596. Ebensowenig hat ein mit Leibesgebrechen
Behafteter einen Obsorger nöthig, wann er, obschon der Sprache, des Gehörs oder
Gesichts beraubet, oder stets liegerhaft, jegleichwohlen von dem Stand seiner
Geschäften und Habschaften durch schriftliche oder mündliche Berichte, obgleich
mit einiger Beschwerniß, von Anderen Kundschaft einziehen, seinen Willen
darüber vernünftig erklären und das Nöthige durch Andere vorkehren kann.
[1, 6, § 8] 597. Es hanget dahero allemal von dem
richterlichen Ermessen derjenigen Gehörde ab, deren Gerichtsbarkeit der
Blödsinnige oder Gebrechliche unterstehet, ob in Erwägung aller fürwaltenden
Umständen nothwendig seie, Jemanden, der schon großjährig ist, wegen
Blödsinnigkeit oder Gebrechlichkeit für unfähig zur selbsteigenen Verwaltung
seines Vermögens zu erklären, und ihme einen Obsorger zu bestellen.
[1, 6, § 8] 598. Es wäre dann, daß der Blödsinnige in der
vernünftigen Zwischenzeit, oder der Gebrechliche aus eigener Erkanntniß seiner
Schwachheit zur Sicherheit seines Vermögens selbst darum anhielte, oder darein
willigete, welchen Falls kein weiteres Bedenken zu tragen ist.
[1, 6, § 8] 599. Diese Gattung der Obsorge kommt mit der
Vormundschaft auch in deme überein, daß ein Vater seinen blödsinnigen oder
gebrechlichen Kindern in seinem letzten Willen einen
Obsorger bestellen könne, und solle, wann dieser nothwendig zu sein befunden
wird, von der Auswahl des Vaters nicht leicht abgegangen werden.
[1, 6, § 8] 600. Nicht weniger gebühret diese Obsorge
vorzüglich denen nächsten Verwandten, welche auch vor Anderen darzu angehalten
werden sollen, wie dann Jedermann, deme sie gerichtlich aufgetragen wird,
solche auf sich zu nehmen, oder hinlängliche Entschuldigungsursachen, welche
bereits oben bei der Vormundschaft erkläret worden, beizubringen schuldig ist.
[1, 6, § 8] 601. Derlei Obsorgere oder Curatores haben alles
Dasjenige zu beobachten, was oben von Vormünderen wegen der Antretung und dabei
vorgeschriebenen Erfordernissen, Verwaltung und alljähriger Raitlegung geordnet
worden, wogegen aber auch ihnen eine gleichmäßige Belohnung, wie denen
Vormünderen zu statten kommen solle.
[1, 6, § 8] 602. Diese Curatel, wann sonst wegen Todsfall,
Untauglichkeit, Entschuldigung oder Verdachts keine Aenderung zu machen nöthig
ist, hat so lange zu daueren, als die Blödsinnigkeit oder Gebrechlichkeit
fürwähret.
[1, 6, § 8] 603. Wann aber der Blödsinnige zur Vernunft gelanget oder der Gebrechliche geneset, hat die Curatel ihr
Ende, und muß alsdann in Ansehung der Schlußraitung und beiderseitiger
Richtigkeitspflegung alles Dasjenige beobachtet werden, was bei Endigung der
Vormundschaft angeordnet worden.
[1, 6, § 8] 604. Doch solle die Curatel nicht ehender
aufgehoben werden, als bis es entweder kundbar oder genugsam erwiesen seie, daß
der Pflegbefohlene den Gebrauch seiner Vernunft, oder die Gesundheit wieder
erlanget habe, und daß nach Urtheil der Aerzten die Wiedergenesung dauerhaft zu
sein befunden werde.
(1-259) [1, 6, § 8] 605. Blödsinnigen kommen Verschwendere
zum nächsten bei, welche muthwilliger Weise ihr Vermögen versplitteren, und in
unnützen Ausgaben kein Ziel
(1-260) nach Maß halten, folglich eben andurch dem Ihrigen
selbst vorzustehen sich unfähig machen.
[1, 6, § 8] 606. Es erforderet demnach der gemeine
Wohlstand, damit der Unwirthschaft derlei Leuten behöriger Einhalt geschehe,
und sie eben also, wie andere, zur eigenen Verwaltung untaugliche Personen von
derjenigen Gehörde, welcher sie untergeben sind, mit Obsorgeren oder Curatoren
versehen werden.
[1, 6, § 8] 607. Niemand aber solle aus bloßen Vermuthungen
für einen Verschwender gehalten, sondern, wo sich bei Jemanden Kennzeichen
einer üblen Wirthschaft oder Verminderung seines Vermögens aus vielen unnützen
Aufwand, unmäßiger Freigebigkeit, vernachlässigter Wirthschaft, muthwilliger
Einschuldigung und Versplitterung seiner Habschaften, oder aus sonst anderen
Umständen äußereten, und von der Freundschaft oder Anderen, denen an Erhaltung
seines Vermögens gelegen ist, angegeben oder auch sonst von der Gehörde selbst
bemerket würden, solchen Falls eine besondere Aufmerksamkeit auf sein Betragen
gerichtet, und ohnverlängt auf den Grund der Sachen zu kommen getrachtet
werden.
[1, 6, § 8] 608. Zu diesem Ende sind alle angebrachte
Umstände unter der Hand zu untersuchen, die übermäßig scheinende Ausgaben mit
denen Kräften des Vermögens, wahrscheinlichen anderweiten Verdienst, und der
befindenden Nothdurft oder Wohlstand zusammenzuhalten, sofort aber, wann daraus
die vermuthete Verschwendung noch mehr bestärket würde, der angegebene
Verschwender in geheim vor Gericht fürzuforderen und zur getreulichen Anzeige
seines Vermögens und Schuldenstandes anzuhalten.
[1, 6, § 8] 609. Würde aber dieser Verdacht von ihm
genüglich abgeleinet, oder die Unwirthschaft nicht sehr beträchtlich befunden,
so kann es dabei, und zwar gestalter Dingen nach mit ernstlicher Ermahnung zur
besseren Wirthschaft und Vermeidung weiteren Verdachts sein Bewenden haben.
[1, 6, § 8] 610. Wann hingegen die Anzeigen der
Verschwendung von ihme nicht abgeleinet würden, oder auch sein eigentlicher
Vermögen- und Schuldenstand nicht getreulich veroffenbaret werden wollte, so
ist nicht zuzuwarten, bis sein Zahlungsstand zweifelhaft werde, sondern ihme
nebst nachdrucksamer Erinnerung eine verläßliche Anzeige seines Vermögen- und
Schuldenstandes binnen einer kurzen Frist aufzuerlegen, und inzwischen auch auf
sein Betragen genau obacht zu geben.
[1, 6, § 8] 611. Zu dieser Absicht solle ihme ein vertrauter
Mann, welcher auf sein Thun und Lassen acht habe, und auf allmaliges Erforderen
von dem zu- oder abnehmenden Wirthschaftsstand Nachricht ertheilen könne, an
die Seite gestellet, anbei aber alle böse Rathgebere und zur Verschwendung
verleitende Personen hintangehalten, und überhaupt solche von dem richterlichen
Befund abhangende Maßregeln genommen werden, wodurch der Endzweck einer
wirthschaftlichen Gebarung erreichet, dabei aber der Wohlstand auch nicht
verletzt werde.
[1, 6, § 8] 612. Fruchtete aber alles dieses nicht, oder es
äußerete sich gleich anfangs eine Gefahr ob dem Verzug, so solle einem solchen
in der That befundenen Verschwender ohne Aufschub ein Obsorger bestellet,
diesem die Verwaltung des Vermögens gerichtlich aufgetragen, und solches anbei
auf eine zum wenigsten
(1-261) verkleinerlich fallende Art mit dem Verbot
öffentlich kundgemacht werden, daß Niemand dem Pflegbefohlenen Geld oder
Geldswerth zu borgen, oder sich in andere zur Beschwerung oder Veräußerung
seines Vermögens gereichende Handlungen mit demselben ohne Zuthat seines
Obsorgers, und ohne allenfalls nöthiger gerichtlicher Verwilligung bei
Nichtigkeit der Handlung und gleichmäßiger Bestrafung, welche oben bei Minderjährigen
verhänget worden, einzulassen unterfangen solle.
[1, 6, § 8] 613. Doch ist bei höheren Standspersonen mit
Bestellung eines Obsorgers und vorgedachter öffentlicher Kundmachung ohne
Unserem höchsten Vorwissen nicht fürzugeben, sondern der Vorfall Uns vorhero
einzuberichten, und Unsere darauf erfolgende höchste Entschließung abzuwarten.
[1, 6, § 8] 614. Diese Vorkehrung hat die Wirkung, daß der
Pflegbefohlene der eigenen Verwaltung seines Vermögens andurch entsetzet werde,
und ohne Einwilligung des Obsorgers nichts davon veräußeren, verpfänden,
beschweren, noch einige zu dessen Verminderung gereichende Handlungen mit
Anderen eingehen könne.
[1, 6, § 8] 615. Zu diesem Ende muß dem bestellten Obsorger
das gesammte Vermögen des Pflegbefohlenen zur Verwaltung eingeantwortet, die
nachgesetzte zur Verwaltung nöthige Beamten in allen ihren Amtshandlungen an
den Obsorger angewiesen, und ihme die Macht, solche nach Befund, jedoch in
Ansehung deren Vornehmeren nicht anderst, als mit gerichtlicher Genehmhaltung,
abänderen zu können eingeraumet werden.
[1, 6, § 8] 616. Wir gestatten jedoch dem Pflegbefohlenen,
daß die zu seinem ohnentbehrlichen Gebrauch benöthigte Habschaften auf seine
davon zu machen habende Anzeige nach Ermessen der Gehörde von der Verwaltung
des Obsorgers ausgenommen, annebst aber ihme ein gewisser jährlicher Betrag zu
seinem Unterhalt ausgeworfen werde, mit welchem sich derselbe begnügen, und in
die Verwaltung seines Vermögens gar nicht einmischen, noch weniger den Obsorger
darinnen auf einigerlei Weise behinderen, sondern gegentheils dieser ausgiebig
dabei geschützet werden solle.
[1, 6, § 8] 617. Derlei Pflegbefohlene werden in Ansehen
ihrer Handlungen und Verbindungen denen Minderjährigen vollkommen gleich
geachtet, außer daß selbe zur Verehelichung die Einwilligung des Obsorgers,
oder des Gerichts nicht nöthig haben, obschon der errichtende Heirathsbrief zu
seiner Giltigkeit die gerichtliche Genehmhaltung erforderet.
[1, 6, § 8] 618. Uebrigens ist sich in Ansehung dieser
Curatel, deren Antretung, Verwaltung, Raitungslegung und was dahin einschlägt,
nach denen bei der Vormundschaft vorgeschriebenen Maßregeln zu achten.
[1, 6, § 8] 619. Doch solle die Auswahl eines Obsorgers
(wovon sich Niemand anderer gestalt, als aus denen oben bei Vormundschaften
erklärten rechtmäßigen Entschuldigungsursachen entledigen kann) die
Nothwendigkeit sowohl einer gerichtlichen Beschreibung, als der Verbürgung, die
eidliche Verstrickung und die Ausmessung der Belohnung nach Beschaffenheit der
Umständen dem gerichtlichen Ermessen vorbehalten sein, wie dann statt der
gerichtlichen Vermögensbeschreibung in Fällen, wo der Zahlungsstand
ungezweiflet ist, eine gerichtliche Uebergabs- und Uebernahmverzeichniß
hinlänglich ist.
[1, 6, § 8] 620. Desgleichen wird diese Curatel eben also,
wie die Vormundschaft geendigt.
Insonderheit aber erreichet dieselbe ihr Ende, wann der
Pflegbefohlene verläßliche Anzeigen einer besseren Wirthschaft giebt, welche
bei höheren Standespersonen Uns zu Verfügung des Weiteren einzuberichten, bei
Leuten niederen Standes hingegen von der Gehörde selbst wohl zu erwägen sind.
[1, 6, § 8] 621. Wird nun von der Gehörde befunden, daß dem
Pflegbefohlenen sein Vermögen zur eigenen freien Verwaltung anwiederum
eingeraumet, und mit
(1-262) Aufhebung sowohl der Curatel als des Verbots der
Einschuldigung fürgegangen werden könne, so solle ein solches zu Jedermanns
Wissenschaft gleicher gestalt öffentlich kundgemacht werden.
[1, 6, § 8] 622. Nach aufgehobener Curatel hat wegen
Erledigung der Schlußraitung, Sprüchen und Gegensprüchen alles Dasjenige statt,
was in gleichem Fall bei Beendigung der Vormundschaft geordnet worden.
Doch haben die Gehörden auf die weitere Aufführung eines
solchen von der Curatel losgesprochenen Pflegbefohlenen ein wachsames Aug zu
tragen, damit er nicht wiederum in die vorige üble Wirthschaft verfalle.
[1, 6, § 8] 623. Wobei insonderheit darauf acht zu geben
ist, daß derselbe nicht etwan neue Schulden mache, oder die währendem Verbot in
geheim gemachte bezahle, oder durch Neuerung bestätige, bei dessen Wahrnehmung
sogleich zu denen vorigen Einhaltsmitteln geschritten, und vornehmlich gegen
Diejenige, die sich währender Curatel haben gelüsten lassen, dem
Pflegbefohlenen Geld oder Waaren zuwider dem Verbot zu borgen, wann sie auch
nach Aufhebung der Curatel die Zahlung wie immer erschlichen hätten, mit denen
auf verbotene Geldborgungen oben ausgesetzten Strafen unnachsichtlich
fürgegangen, dabei aber ein mit unterlaufender Wucher oder andere Gefährde noch
über das an denen Wuchereren und verführerischen Geldzubringeren nach aller
Strenge Unserer Gesetzen bestrafet werden solle.
[1, 6, § 8] 624. Welches sich jedoch auf die vor dem
kundgemachten Verbot oder nach Aufhebung desselben aufrecht und ohne Wucher
oder Gefährde gemachte Schulden nicht erstrecket, sondern diese sind allerdings
zu bezahlen, wann denenselben sonst nichts entgegen stehet.
[1, 6, § 8] 625. Wann hingegen Jemandens Verschwendung
offenbar und von ihme keine Besserung zu hoffen ist, auch ein so großer Verfall
des Vermögens wahrgenommen wird, daß die Zahlungsunfähigkeit besorget werde, so
solle solchen Falls nicht angestanden werden, denselben ohne weiteren Unweg (!)
für einen Verschwender gerichtlich erklären, ihme die Verwaltung zu benehmen,
einen Obsorger zu bestellen, die weitere Einschuldung und Verbindung zu
verbieten, und alles dieses nebst der gerichtlichen Verschwendungserklärung zu
Jedermanns Warnigung öffentlich kund zu machen.
[1, 6, § 8] 626. Derlei gerichtlich erklärte Verschwendere
verlieren über das nach Ausmessung dessen, was davon oben in eilftem Capitel,
erstem Artikel, §. II. geordnet worden, die Macht und Fähigkeit letztwillig zu
ordnen.
Wo aber bei hervorbrechender Zahlungsunfähigkeit ein Auflauf
der Glaubigeren entstünde, kommt es von dieser Gattung der Curatel ab, und ist
dagegen zum Besten der Glaubigeren ein Vermögensobsorger zu bestellen, von
welcherlei Fällen und wie derlei sich muthwillig außer Zahlungstand setzende
und ihre treuherzige Glaubigere hintergehende Schuldnere zu bestrafen sind,
seines Orts mit Mehreren gehandelt werden wird.
[1, 6, § 8] 627. Außer vorangezeigten Fällen der eigenen
Unfähigkeit seinen Sachen
(1-263) selbst vorstehen zu können, giebt es noch andere,
worinnen die Bestellung eines Obsorgers zur Vertretung gewisser Personen, Güter
oder Rechten nöthig ist.
[1, 6, § 8] 628. Ein dergleichen Fall ergiebt sich bei
Jemandens Abwesenheit, der zwar sonst die freie Schalt- und Waltung mit dem
Seinigen, doch aber zu dessen Besorgung Niemanden zurückgelassen hat, folglich
dessen Gut einer Benachtheiligung bloßgestellet ist, oder dessen Rechten,
weilen sie von Niemanden vertreten werden, ein Abbruch und Verkürzung geschehen
könnte.
[1, 6, § 8] 629. Um also allem ihme hieraus widerfahren
mögenden Schaden vorzubeugen, solle einem Abwesenden bei vorfallender
Nothdurft, wann entweder dessen Aufenthalt unbekannt, oder die Entfernung
allzuweit ist, oder die Unverschieblichkeit des Vorfalls keinen Verzug
gestattet, und derselbe entweder keinen bestellten Sachwalter zurückgelassen
hätte, oder dieser mit Tod abgegangen oder unfähig worden wäre, zu seiner
Verwaltung ein Obsorger bestellet werden.
[1, 6, § 8] 630. Diesem liegt anförderist ob, den Ort des
Aufenthalts seines Pflegbefohlenen, wo möglich, zu erforschen, ihme von deme,
was in Ansehen seiner Güter oder Rechten vorfällt, Nachricht zu geben, und die
Nothwendigkeit, daß er entweder selbst zurückkomme, oder einen genugsam
bevollmächtigten Sachwalter bestelle, zu erinneren.
[1, 6, § 8] 631. Den in Erfahrniß gebrachten Aufenthalt
desselben hat er sofort der Gehörde anzuzeigen, damit, wenn es nöthig befunden
würde, derselbe nach Gestalt der Sachen abgerufen oder ordentlich fürgeladen,
und bei Nichterscheinen gegen ihme, wie Rechtens, verfahren werden könne.
[1, 6, § 8] 632. Inzwischen ist der bestellte Obsorger die
Curatel, falls er nichts Erhebliches zu seiner Entschuldigung einzuwenden hat,
auf sich zu nehmen und selbe, wann sie nicht etwan eine einzle Sache oder Recht
beträfe, nach vorläufiger gerichtlicher Beschreibung auch allenfalls nöthig
findender Verbürgung und Einantwortung der Güter und Habschaften anzutreten,
dann nach der Sache oder rechten Eigenschaft getreulich zu verwalten schuldig.
[1, 6, § 8] 633. Würde der Pflegbefohlene länger ausbleiben,
so hat auch der Curator über die Einnahme und Ausgabe jährliche Raitung zu
legen, sich der Raithandlung und Allem, was deme anhängig, zu unterziehen,
sodann aber bei erfolgender Rückkehr des Abwesenden oder nach dessen Absterben
und Hervortretung der rechtmäßigen Erben die aus seiner Verwaltung herrührende
und bis dahin noch nicht gerichtlich abgethane Sprüche und Gegensprüche mit
ihme oder dessen Erben auszuführen.
[1, 6, § 8] 634. Wie dann überhaupt bei allen Curatelen,
welche mit der Verwaltung eines in mehrerlei Sachen oder Rechten bestehenden
Vermögens verknüpfet sind, all jenes, was oben von Vormundschaft geordnet
worden, beobachtet werden, und nur allein die Ausmessung der Belohnung von dem
richterlichen Befund mit Rücksicht auf die mehrere oder mindere Mühewaltung des
Curators abhangen solle.
(1-264) [1, 6, § 8] 635. Von dieser Art sind jene Obsorgere,
welche über die Habschaften Zahlflüchtiger oder über Verlassenschaften
verstorbener Schuldner zum Besten der Glaubiger, oder über ein strittiges Gut
oder Erbschaft bis zu Ausgang des Rechtsstritts, oder zur Vertretung der
Leibesfrucht einer schwanger hinterlassenen Wittib, und in dieser Absicht zur
mittlerweiligen Verwaltung des ganzen Vermögens oder eines Theils desselben,
oder zur Besorgung einiger Erbschaften oder Vermächtnissen, worzu sich noch
Niemand gemeldet oder sein Erbrecht genugsam ausgewiesen hat, oder welche aus
anderen Ursachen denen Erbsnehmeren zur Zeit noch nicht eingeantwortet werden
können, bestellet werden.
[1, 6, § 8] 636. Eine ganze andere Beschaffenheit aber hat
es mit denen zu einzlen Sachen, Handlungen oder Rechten bestellten Obsorgeren,
welchen nichts zur Verwaltung anvertrauet wird, als z. B. bei Erbtheilungen,
Verkäufen, Nachlassung eines Rechts oder Verbindlichkeit, oder zur
landtäflichen, stadt- oder grundbücherlichen Ausquittirung, oder endlich in
Rechtsführungen an Seiten des Klägers oder Beklagten.
[1, 6, § 8] 637. Welcherlei Fälle sich verschiedentlich auch
in Ansehung solcher Personen, die bereits einen Vertreter, als z. B. den Vater,
in dessen Gewalt sie befindlich sind, oder den Vormund, oder einen
anderweitigen Obsorger haben, ereignen können.
[1, 6, § 8] 638. Dann allemal, wann ein Rechtshandel oder
auch eine außergerichtliche Gewinn oder Verlust nach sich ziehende Handlung
Denjenigen, welcher Jemanden hierbei von amtswegen zu vertreten hätte,
unmittelbar oder mittelbar zugleich mit angehet, solle dem zu vertreten
habenden Pflegebefohlenen ein eigener Obsorger, der ihn hierbei vertrete,
bestellet werden.
[1, 6, § 8] 639. Nicht weniger, da Jemand in einem solchem
Handel mehrere pflegebefohlene Personen gegeneinander zu vertreten hätte, ist
jederzeit deren Jedweder ein eigener Obsorger zu bestellen; jener aber, deme
die Vertretung sonst obliegete, hat sich in derlei Fällen der Vertretung sowohl
des Einen, als des Anderen zu enthalten, damit aller Anlaß einer Vorliebe und
Parteilichkeit vermieden werde, wie schon anderwärts davon geordnet ist.
[1, 6, § 8] 640. In allen diesen und dergleichen Fällen,
wobei keine zur ordentlichen Verrechnung verbindende Verwaltung mit
unterlaufet, bestehet das Amt und die Schuldigkeit des Obsorgers lediglich in
deme, daß er das Geschäft, welches ihme anvertrauet wird, zu Handen des dabei
zu vertreten Habenden getreu und fleißig handle, und sich diesfalls nichts zu
Schulden gehen lasse, noch weniger einer Gefährde unterfange.
Dahingegen er auch vollständig schadlos gehalten und ihme
nach richterlichem Befund eine billige Belohnung für seine Mühe ausgemessen
werden solle.
(1-265) Caput VII.
Von Dienstleuten.
Inhalt:
§. I. Von der Schuldigkeit der Dienstleuten.
§. II. Von der Gegenverbindlichkeit des Herrn. §. III. Von der Verbindlichkeit
der unter Raitung stehenden Bedienten und Beamten insonderheit. §. IV. Von dem
Recht des Herrn wider unverraitete Diener.
§. I.
[1, 7, § 1] Num. 1. Bishero ist von jenen Personen gehandlet
worden, welche unmittelbar zu dem Hausstand gehören und deren daher fließenden
Rechten theilhaftig werden. Nun erübriget annoch von Dienstleuten zu handlen,
die zwar eigentlich an denen Rechten des Hausstandes keinen Theil haben, doch aber
insoweit bei der häuslichen Gesellschaft in Betrachtung kommen, als das
häusliche Wesen ohne denenselben nicht wohl bestritten werden mag.
(1-266) [1, 7, § 1] 2. Das Band, welches sie an die
häusliche Gesellschaft knüpfet, bestehet in einem ausdrücklichen oder
stillschweigenden Beding, wodurch dieselbe sich in die Dienste verdingen und in
solche aufgedungen werden.
[1, 7, § 1] 3. Aus diesem Beding werden alle Rechten und
Schuldigkeiten zwischen dem Herrn und seinen Dienstleuten abgeleitet, welche
entweder allgemein sind und allen Herren und Dienstleuten überhaupt ohne
Unterschied der bekleidenden Bedienstung unter einander zustehen, oder sie sind
einer jedweden Bedienstung nach Gestalt der ihr anklebenden verschiedenen
Verrichtungen insonderheit angemessen.
[1, 7, § 1] 4. Diese Letztere erhalten ihre Bestimmung aus
der Verschiedenheit deren zwischen Herren und Dienenden eingegangenen Bedingen,
aus der Eigenschaft der Dienenden, und aus der Beschaffenheit der manchfältigen
Verrichtungen und Geschäften, welche entweder der Dienst oder das Amt in seiner
Art erheischet, oder besonders aufgetragen werden.
[1, 7, § 1] 5. Sie können dahero wegen ganz unbeschränkter
Manchfaltigkeit menschlicher Bedürfnissen, Wohlstands und Gemächlichkeit, ja
auch bloßer Willkür, aus deren Antrieb so verschiedene Dienstleuten in dem
gesellschaftlichen Leben aufgenommen zu werden pflegen, in einer eigenen
Abhandlung nicht erschöpfet werden.
[1, 7, § 1] 6. Ueberhaupt aber lassen sich Dienstleute in
zwei Hauptgattungen eintheilen, als Eine, welche außer ihrer besonderer
Amtsschuldigkeit zu nichts Mehreren, als an die allen Dienenden insgesammt
zukommende allgemeine Dienstpflichten gebunden sind, und die Anderen, welche
noch besonders das ihnen zur Verwaltung anvertraute Gut ihres Herrn zu
verrechnen haben und somit unter Raitung stehen.
[1, 7, § 1] 7. Nach diesem Unterschied wird in gegenwärtigen
Capitel in denen zweien ersteren §§. vorher von allen Dienstleuten überhaupt,
hernach aber in denen folgenden zweien §§. von denen unter Raitung stehenden
Bedienten und Beamten insonderheit gehandlet.
[1, 7, § 1] 8. Die allgemeinen Dienstpflichten bestehen in
Gehorsam, Fleiß, Treue und
(1-267) ehrbaren Wandel, welche ein jeder Herr von seinen
Dienstleuten zu forderen und selbe auch gestalter Dingern nach mit mäßigen
Zwang hierzu anzuhalten berechtiget ist.
[1, 7, § 1] 9. Weder der Diener kann sich währender
Dienstzeit seinem Herrn entziehen, noch darf jemand denselben abwendig machen.
Widrigens ist der Herr befugt, nicht allein den flüchtigen Diener aller Orten
in Anspruch zu nehmen, damit derselbe anwiederum in seinen Dienst gestellet
werde, sondern auch Denjenigen, welcher ihn abwendig gemacht oder wissentlich
einen Aufenthalt giebt, zur Ausfolgung unter einer nach richterlichen Befund zu
bestimmenden Geldstrafe nebst Ersetzung der erweislichen Dienstversäumniß und
aller Schäden und Unkosten zu belangen.
[1, 7, § 1] 10. Hierbei solle ohne aller Weitläufigkeit
schleunig verfahren und sich vor Allem, wann die noch fürwährende Dienstzeit
ohne Zweifel ist, der Person des entwichenen Dieners mittelst Bürgschaft oder
eidlicher Verstrickung, daß er weiter nicht entweichen wolle, auch beschaffenen
Umständen nach mittelst dessen Handfestmachung versicheret, sodann aber nach
Befund, daß er sich seinem Herrn widerrechtlich entzogen habe, auf die Stellung
in seinen Dienst erkennet und solche durch die gehörige Zwangsmitteln
veranlasset werden.
[1, 7, § 1] 11. Von diesfälliger Erkanntniß ist kein
weiterer Rechtszug gestattet, falls jedoch der Entwichene genugsame Ursache den
Dienst zu verlassen, oder ein Anderer ein stärkeres Recht an ihme zu haben
vermeinte, solle es so Einem wie dem Anderen nach vorheriger Stellung des
Dieners unverwehret sein, bei eben demselben Gericht ihre Gerechtsamen
auszuführen.
[1, 7, § 1] 12. In Dienst selbst müssen sich Dienstleuten
ehrlich, fromm und getreu aufführen, ihrem Herrn geziemende Ehrerbietung und
Gehorsam bezeugen, desselben Nutzen beförderen, Schaden abwenden und den ihnen
anvertrauten Dienst mit allem erforderlichen Fleiß verrichten.
[1, 7, § 1] 13. Was einem frommen und redlichen Lebenswandel
entgegen ist, dieses
(1-268) lieget dem Herrn ob, durch ernstliche Ermahnungen
und gutes Beispiel so viel möglich, zu verbesseren, hierinnen nicht
nachzusehen, noch viel weniger sie durch gebende Aergerniß in dem Bösen zu
bestärken.
[1, 7, § 1] 14. Nahmhaftere wider die guten Sitten oder
wider die gemeinwesige Ordnung laufende Verbrechen kann der Herr selbst an
seinen Dienstleuten nicht bestrafen und hierdurch der ordentlichen Gerichtsbarkeit
vorgreifen, wohl aber stehet ihme frei, den Thäter sogleich abzuschaffen und
längershin in seinen Diensten nicht zu gedulden.
[1, 7, § 1] 15. Die Untreue, welche im Dienst begangen wird,
kann ein Herr in Kleinigkeiten selbst ahnden und bestrafen, falls sie aber
beträchtlich wäre oder gar ein Hausdiebstahl begangen würde, so ist die
öffentliche Bestrafung derlei ungetreuer und diebischer Dienstleuten nach
Aussatz Unserer peinlichen Gerichtsordnung denen Gerichten zu überlassen.
[1, 7, § 1] 16. Unehrerbietigkeit, Ungehorsam in billigen
Sachen, Widersetzlichkeit und dergleichen Unfug, der unmittelbar gegen den
Herrn oder gegen die Seinige laufet, ist derselbe nicht nur scharf zu
verweisen, sondern auch gestalter Dingen nach mit mäßiger Züchtigung zu ahnden,
und, da dieses nicht verfinge, den widerspänstigen Dienstboten vor Ausgang der
Dienstzeit zu entlassen, auch allenfalls eine empfindlichere Bestrafung bei
Gericht anzusuchen berechtiget.
[1, 7, § 1] 17. Ein jeder Diener ist auch außer seinen
ordentlichen Dienstverrichtungen des Herrn Nutzen, so viel er kann, zu
beförderen und Schaden abzuwenden schuldig. Hätte er aber dieses zu thun
geflissentlich unterlassen, so kann solches nicht nur gegen ihme geahndet,
sondern, da eine Arglist, Gefährde oder schwere Schuld mit unterliefe, nach
Umständen auch von Gericht aus bestrafet werden.
[1, 7, § 1] 18. In ihren Dienstverrichtungen hingegen sind
Dienstleute nicht nur den durch Arglist, Gefährde oder schwere Schuld, sondern
auch den durch eine jede wiewohlen geringe, doch so beschaffene Schuld, welche
ein fleißiger und sorgfältiger Diener verhüten kann und insgemein zu verhüten
pfleget, zugefügter Schaden zu ersetzen oder abzudienen schuldig.
[1, 7, § 1] 19. Die geringste Schuld aber wegen etwan
unterlassener ganz besonderer Achtsamkeit, welche auf mehr, dann gemeine Weise
sonst fleißiger Diener, anzuwenden gewesen wäre, verbindet dieselben zu keinem
Ersatz, wann nicht das aufgetragene Amt oder Geschäft in seiner Art den größten
Grad des Fleißes erforderet, oder der Diener sich zu dessen Anwendung und im
Widrigen zu der Vergütung nicht ausdrücklich verbunden hat.
§. II.
[1, 7, § 2] 20. Dagegen ist aber auch der Herr verbunden,
denen Dienstleuten alles Dasjenige zu reichen, was denenselben bedungen worden,
und er kann auch einen
(1-269) Dienstboten vor Ausgang der bestimmten Zeit ohne
erhebliche Ursache wider dessen Willen des Dienstes nicht entlassen.
[1, 7, § 2] 21. Ist kein gewisser Lohn und sonstiger Gehalt
bedungen, sondern dessen Ausmessung von dem in die Dienste Tretenden dem Herrn
überlassen worden, so hat dieser das Recht einen ihme billig scheinenden Lohn
seiner Zeit auszuwerfen.
Wo aber der Herr dem Diener gestattet hätte einen Lohn, den
er verdienet zu haben glaubete, anzubegehren, so mag der Diener solches thun.
[1, 7, § 2] 22. Wann jedoch so ein- als anderenfalls der
Herr und Diener hierinnen nicht übereinkämen oder deswegen zwischen ihnen gar
nichts verabredet worden, so tritt das richterliche Ermessen ein, und solle auf
Jenes gesehen werden, was für dergleichen Dienste derorten insgemein an
Liedlohn und anderem Gehalt gereichet zu werden pfleget.
[1, 7, § 2] 23. Wäre einem Diener ein gewisser Lohn für ein
Jahr bedungen oder auch ohne Beding mit dessen Zufriedenheit gereichet worden,
und er bliebe über diese Zeit länger in Diensten, ohne weiter einen Lohn zu
bedingen, so lauft auch für die folgende Zeit der dem erstjährigen Lohn
angemessene Betrag fort.
[1, 7, § 2] 24. Eben also, da ein neuer Diener von nicht
geringerer Fähigkeit an die Stelle des vorigen eintritt, ohne etwas des Lohns
oder Gehalts halber auszumachen, wird darfürgehalten, daß
man sich um den vorigen Lohn stillschweigend verglichen
habe.
[1, 7, § 2] 25. In Liedlohnstrittigkeiten solle schleunig
und außerordentlich verfahren, und, wann eine unbillige Vorenthaltung oder
Verkürzung des bedungenen oder in das Verdienen gebrachten Lohns vorkäme, mit
ausgiebigem Ernst darauf gedrungen werden, damit die Dienstleute ohne Verschub
zu dem Ihrigen nebst Ersatz aller erweislichen Schäden und Unkosten gelangen
mögen.
[1, 7, § 2] 26. Worwider die Einwendungen, daß ein Dienstbot
eine wenige Zeit seinem Dienst nicht vorgestanden, daß währendem seinem Dienst
ein Schaden geschehen seie, daß sich dessen Arbeit verminderet habe und
dergleichen, zur Aufhaltung des Lohns nicht zureichend sind, wann derselbe
durch Krankheit oder sonstigen Zufall eine kurze Zeit seinem Dienst abzuwarten
verhinderet worden, an dem Schaden keine erweisliche Schuld trägt, und der Lohn
nicht nach Menge der Arbeit, sondern nach der Dienstzeit verglichen ist.
[1, 7, § 2] 27. Dahingegen ist der Herr bei länger
anhaltender Krankheit eines Dienenden den Lohn fortzuzahlen nicht verbunden; es
würde dann von dem Diener ein anderer zu dieser Dienstleistung Tauglicher und
dem Herrn Annehmlicher für die Zeit seiner Krankheit anstatt seiner bestellet.
[1, 7, § 2] 28. Doch hat der Herr in Krankheitsfällen für
die Wiedergenesung des Dieners zu sorgen.
Wo er aber Unkosten darauf verwendet hätte, kann er solche
zurückforderen
(1-270) oder sich abdienen lassen, wie dann auch ihme die
vorgeschossene Begräbnißunkosten aus des Dieners Verlassenschaft zu ersetzen
sind.
[1, 7, § 2] 29. Einem Dienstboten, der vor der Zeit wider
Willen des Herrn aus dem Dienst tritt, ist der Herr den Lohn ausfolgen zu
lassen nicht schuldig, sondern vielmehr befugt, auf dessen Wiederstellung zum
Dienst anzudringen und sich an dem verfallenen Liedlohn der Dienstversäumniß
und verursachten Unkosten halber zu halten, woferne nicht ein erweisliches
hartes und unbilliges Verfahren des Herrn den Diener aus dem Dienst zu weichen
bemüssiget hätte.
[1, 7, § 2] 30. Uebrigens ist ein Herr seinen Diener zu
schützen, gegen unbillige Zudringlichkeiten zu vertheidigen, ihme den des
Dienstes halber an dessen Sachen ohne eigener Schuld erleidenden Schaden zu
ersetzen, und wegen etwan in einer anbefohlenen gefährlichen Verrichtung oder
aus sonstiger Veranlassung des Herrn widerfahrener Beschädigung an dessen Leib
und Gliedern Genugthuung zu leisten schuldig, und hat hierinfalls der Richter
den sich beschwerenden Diener nach der sich aus der That selbst ergebenden
Billigkeit klaglos zu stellen.
[1, 7, § 2] 31. Wie weit aber ein Herr aus denen Handlungen
der Dienstleuten mit
(1-271) Anderen verbunden werde, weilen er entweder dieselbe
seinen Geschäften vorgesetzet oder ihre Handlungen gutgeheißen hat, hierüber
folget die Ausmessung in dem dritten Theil, allwo von persönlichen Verbindungen
gehandlet wird.
[1, 7, § 2] 32. Und weilen überhaupt dem gemeinen Wesen
daran gelegen ist, damit die Untreue und Bosheit der Dienstleuten, ihre
sträfliche Fahrlässigkeit und Unfleiß, unzeitige Dienstverlassung, übermäßige
Gehaltserpressung, Muthwillen, Liederlichkeit und sonstiger Unfug, sowie an
Seiten der Herren das harte und unbillige Verfahren mit Dienstleuten hintangehalten
werde, so solle in allem diesem Unseren in jedwedem Lande diesfalls besonders
bestehenden Polizeiordnungen und löblich hergebrachten Gewohnheiten auf das
genaueste nachgelebet werden.
§. III.
[1, 7, § 3] 33. Ueber die gemeine Schuldigkeiten aller Dienstleuten
haben jene Bedienten und Beamten, denen das Gut ihres Herrn zu verwalten
anvertrauet wird,
(1-272) noch die besondere Verbindlichkeit auf sich, daß sie
über das von ihnen verwaltende Gut ihrem Herrn Rechnung zu legen schuldig sind.
[1, 7, § 3] 34. Ein jeder unter Raitung stehender Diener ist
dahero verbunden nicht nur das ihme anvertraute Gut mit dem erforderlichen
Fleiß und also, wie es seinem Herrn nutzlich ist, zu verwalten, und sich von
allem dieser Pflicht zuwiderlaufenden Unfug, und besonders von aller
Veruntreuung, sie geschehe durch Eingriff, Unterschlagung, heimliche
Entwendung, Vorenthaltung oder durch andere Gefährde und Arglist, zu enthalten,
sondern auch sich nach Beschaffenheit oder Erforderniß seines Amts oder
Dienstes zu betragen, folglich Empfang und Ausgab, Zuwachs und Abnahme seinem
Herrn ordentlich zu verrechnen, bei Legung der Raitung den Bestand auszuweisen
und den Abgang vollständig zu ersetzen.
(1-273) [1, 7, § 3] 35. Die Rechnungsart, wie auch die Zeit,
wann die Rechnung zu legen ist, hat zwar der Herr zu bestimmen, doch erforderet
die gute Ordnung und die selbsteigene Sicherheit sowohl des Herrn, als des
unter Raitung stehenden Dieners, daß die Rechnungsrichtigkeit längstens von
Jahr zu Jahr gepflogen werde.
[1, 7, § 3] 36. Dahero dann sowohl der Herr den
Rechnungsführer wenigstens zur alljährigen Rechnungslegung anhalten, als auch
der Rechnungsleger bei dem Herrn nach jedwedem Jahrgang die Aufnehmung und
Erledigung seiner für dieses Jahr gelegten Rechnungen ansuchen kann.
[1, 7, § 3] 37. Wann hierauf der Herr binnen drei Monaten,
vom dem Tag des bei ihme eingebrachten Erledigungsgesuchs des Raitungslegers zu
rechnen, weder zur Rechnungserledigung schreitet, noch ihme die Mängeln
zustellen läßt, so solle demselben die obrigkeitliche Erkanntniß (woferne ihme
solche nach Maß dessen, was hiernach davon geordnet wird, sonst zustünde) über
diese Rechnungen weiter nicht gebühren, sondern, da es darüber zur Strittigkeit
käme, und der Herr Kläger würde, die Nothdurft bei dem ordentlichen Richter des
Rechnungsführers verhandlet werden. Es wollte sich dann der Rechnungsführer der
späteren Erkanntniß des Herrn freiwillig unterziehen.
[1, 7, § 3] 38. Nebst deme ist bei solcher Verzögerung der
Rechnungsführer zugleich berechtiget, den Dienst aufzusagen, wann er sich
gleich auf längere Zeit zu dienen verbunden hätte. Wo ihme sodann freistehet, die Rechnungserledigung und vollständige
Loszählung bei dem Richter des Herrn anzusuchen.
[1, 7, § 3] 39. Da er aber jegleichwohlen in Diensten
verbleiben, und der Herr die Erledigung deren Raitungen längstens binnen dreien
Jahren und achtzehen Wochen vom dem Tag ihres Erlags zu End zu bringen
unterlassen würde, so sollen solche Rechnungen aus Gewalt des Rechts für
richtig gehalten und kein Theil vom dem anderen hierwegen weiter angefochten
werden.
[1, 7, § 3] 40. Wie Wir dann hiermit die Rechnungsführere
von der Schuldigkeit entbinden, weitere Red und Antwort über diejenige
Rechnungen zu geben, von deren Erlag die vorbesagte Zeit verstrichen ist.
[1, 7, § 3] 41. Wovon die alleinige in gleich vorhergehendem
Kapitel, §. V erwähnte Vorbehaltsfälle und der etwann eingestandene Raitrest
ausgenommen bleiben, wegen welcher der Rechnungsführer jederzeit zur
Verantwortung, doch nicht nach der Erkanntniß des Herrn, sondern des
ordentlichen Richters verbunden ist.
[1, 7, § 3] 42. Die Rechnungen der Bedienten und Beamten
betreffen verschiedene Gegenstände nach Manchfältigkeit der Güter oder
Geschäften, welche ihnen unter Verrechnung zu verwalten anvertrauet werden.
Hauptsächlich aber sind es Haus-, Wirthschafts-, Gewerbs-
oder Handlungsrechnungen.
[1, 7, § 3] 43. Wie bei anderen, also auch bei
Hausrechnungen, ob sie schon nicht allzu beträchtlich wären, muß der
Rechnungsführer den Hauptempfang, das ist jenes, was ihme bei Antritt des
Dienstes an baarem Geld oder anderen Sachen und Fahrnissen übergeben worden,
oder von der vorigen Rechnung als ein Bestand übrig geblieben ist, wie nicht
weniger den weiteren Empfang an Hauptgeldern, Zinsen, Einkünften, Nutzungen und
allen anderen Zugängen getreulich anzeigen, und solchen da, wo es zur
Beglaubigung nöthig ist, mit Gegenscheinen, Urkunden, Zeugnissen und
dergleichen Beweismitteln belegen.
[1, 7, § 3] 44. Ingleichen muß derselbe die Ausgaben mit
Bemerkung des Jahrs, Monats und Tags ordentlich anzeigen, mit Quittungen,
Scheinen und anderen Beweisen bewähren, und anbei, wo es nicht unausweisliche
oder überhaupt anbefohlene Zahlungen betrifft, die hierzu erhaltene
schriftliche Anschaffung beibringen.
[1, 7, § 3] 45. Da aber der Rechnungsführer sich nur auf
mündliche Anschaffungen
(1-274) beriefe, so muß derselbe bei ermanglendem vollem
Beweis solche wenigstens halbständig erweisen, in welchem Fall er zur eidlichen
Erhärtung der erhaltenen Anschaffung zuzulassen, außerdeme hingegen seinem
bloßen Vorgeben ohnerachtet des zugleich anerbietenden Eides kein Glauben
beizumessen ist.
[1, 7, § 3] 46. Doch kommt die Ausgab dem Rechnungsführer
auch bei unerweislicher Anschaffung insoweit zu Guten, als selbe zu
erweislichen Nutzen des Herrn gediehen ist.
[1, 7, § 3] 47. Endlich muß der Rechnungsführer den nach
Abzug der Ausgaben verbleibenden Bestand an Geld oder anderen Sachen baar oder
in seiner Gestalt, Zahl, Gewicht und Maß vollständig ausweisen, und den
allenfalls sich ergebenden Abgang ersetzen.
[1, 7, § 3] 48. Dann ein jeder Rechnungsführer hat für die
Richtigkeit seiner Rechnung zu stehen, und die Mängeln zu verantworten, wann er
seinem Amt zuwider gehandlet, den gehörigen Fleiß anzuwenden unterlassen,
Dasjenige, worzu er sich besonders verbunden, nicht erfüllet, oder die von
seinem Herrn ihm eigens ertheilte Befehle nicht befolget hat.
[1, 7, § 3] 49. Der Herr ist demnach berechtiget, über die
erlegte Rechnungen Mängeln auszustellen und den Ersatz zu forderen, wann
einerseits die Schuld des Rechnungsführers und andererseits der Schaden des
Herrn erweislich ist.
[1, 7, § 3] 50. Dagegen aber ist
auch dem Rechnungsführer zugelassen, die ausgestellten Mängel zu erläuteren,
und auf die weitere Bemängelung seine Schlusserläuterung einzubringen.
[1, 7, § 3] 51. Ueber die allen Rechnungsführeren insgemein
obliegende Schuldigkeit
(1-275) erheischet noch besonders die Pflicht der
Wirthschaftsbeamten, insoweit sie denen Unterthanen und Landvolk vorgesetzet
sind, ob denen gemeinwesigen Verordnungen feste Hand zu halten und selbe genau
zu befolgen, hiernächst aber auch die Gerechtsamen und den Nutzen nicht nur
ihrer Herren, sondern auch ihrer Untergebenen alles Fleißes zu beobachten.
[1, 7, § 3] 52. Sie sind dahero schuldig, Unsere
landesfürstliche Verordnungen und die von denen vorgesetzten Gehörden ihnen
zukommende Befehle ihren Untergebenen unverweilt, und da es erforderlich, auch
zu wiederholten Malen kund zu machen, mithin darob zu sein, daß Niemand eine
Unwissenheit vorschützen könne.
Widrigens sollen dieselbe den aus solcher Unwissenheit ihrem
Herrn oder denen Unterthanen etwa erwachsenden Schaden zu ersetzen gehalten
sein.
[1, 7, § 3] 53. Umsoweniger sollen sie gestatten, daß Jemand
von ihren Untergebenen Unseren Verordnungen zuwider handle, vielmehr die
Uebertretere, insoweit es ihnen zustehet, bestrafen oder zu anderweiter
Bestrafung denen Gehörden bei schwerer Verantwortung anzeigen.
[1, 7, § 3] 54. Nicht minder lieget ihnen ob, die
Unterthanen und andere Untergebene zu schützen, da, wo es nöthig, zu vertreten,
dieselbe auf keinerlei Weise Unseren Verordnungen und der Billigkeit zuwider an
ihren Rechten und Gerechtigkeiten zu kränken, und sich anbei von allem
Eigennutz und Erpressung oder Annehmung auch freiwillig von ihnen anbietender
Geschenken über das, was die ausgesetzten Gebühren betragen, wie auch von
unbilligen Bedrohungen, Verfolgung und unmäßiger Härte zu enthalten.
[1, 7, § 3] 55. Insonderheit aber sind sie auch in jenem
Fall, wo ihnen zugleich die Aufsicht über Städte, Märkte, Dorfschaften und
andere Gemeinden, Gotteshäuser und milde Stiftungen mit oder ohne Verwaltung
der Einkünften aufgetragen worden, für die Erhaltung und Aufnahme derselben zu
sorgen, widrigens den mit ihrer Schuld oder Vernachlässigung erfolgenden
Schaden zu ersetzen schuldig, und beinebst beschaffenen Umständen nach denen
anderweit ausgemessenen Strafen verfänglich.
(1-276) [1, 7, § 3] 56. Und da ihnen zugleich die Besorgung
der obrigkeitlichen Gerichtsbarkeit, die Haltung der Grundbüchern, und was
überhaupt in die Rechtspflege einschlägt, anvertrauet wäre, sollen dieselbe
nach Vorschrift deren Satz- und Ordnungen, und ihren aufhabenden schweren
Pflichten gemäß fürgehen, widrigen Falls aber zum Ersatz des zugefügten
Schadens angehalten, und noch darzu mit einer nach Umständen verhängenden
Strafe beleget werden.
[1, 7, § 3] 57. Denen Herrschaften und Obrigkeiten stehet
zwar frei, ihren Beamten diensame Maßregeln zur Beobachtung vorzuschreiben,
doch müssen dieselbe Unseren Gesetzen und Verordnungen, wie auch der Landesverfassung
und wohlhergebrachten Gewohnheiten nicht zuwiderlaufen.
[1, 7, § 3] 58. Nach dieser Vorschrift, sonst aber aus der
Eigenschaft des aufhabenden Amts oder Dienstes ist die Pflicht eines
Wirthschaftsbeamten, folglich auch die Schuld zu beurtheilen, für welche
derselbe zu haften hat.
[1, 7, § 3] 59. Insgemein ist ein Wirthschaftsbeamter zu
keinem mehreren Fleiß verbunden, als welchen gute, emsige und
sorgfältige Wirthe anzuwenden pflegen. Wann er dahero bei der
Wirthschaft ohne Befehl etwas unternimmt, was ein guter und fleißiger Wirth
insgemein nicht unternommen haben würde, oder wann derselbe in Gegentheil bei
der Wirthschaft entweder selbst etwas vorzukehren oder wenigstens der
Herrschaft zur anzuordnenden Vorkehrung zeitlich anzuzeigen unterlassen hätte,
was ein guter und fleißiger Wirth insgemein vorzukehren nicht unterlassen haben
würde, so gereichet ihme der hieraus erweislich entstandene Schaden allerdings
zur Schuld.
[1, 7, § 3] 60. Nicht weniger fallt ihme zur Schuld, wann er
einen auch nur zufälligen jedoch von einem guten Wirth vorzusehen und
abzuwenden gewesten Schaden nicht verhütet, oder einen durch anderer ihme
untergebener Dienstleuten Unachtsamkeit verursachten Schaden, deme er
bevorkommen kann, nicht hintan hält, oder wann aus seiner Unwissenheit ein
Schaden geschieht, da er nämlich Dasjenige nicht weiß, was er vermöge auf sich
genommenen Amts wohl wissen sollte.
[1, 7, § 3] 61. Desgleichen, wann durch seine
Unverträglichkeit oder bedenkliche Verständniß mit anderen Beamten, oder durch seine
allzu große Nachsicht, da er den Unfug seiner Untergebenen weder selbst
abstellet, noch solchen der Herrschaft zur Abstellung in der Zeit anzeiget,
oder auch durch fälschliche Verkleinerung anderer Dienstleuten dem Herrn ein
Schaden zugezogen wird.
[1, 7, § 3] 62. Dahingegen hat ein Beamter für die
Unterlassung einiger Verbesserungen, welche vielleicht die besten und
allerfleißigsten Wirthe angekehret haben würden, oder für eine ihme anmuthen
mögende geringste Schuld nicht zu haften, er hätte sich dann ausdrücklich zu
dem ausbündigsten Fleiß verbunden, oder die Eigenschaft des Amts oder Geschäfts
selbst hätte den größten Fleiß erforderet.
[1, 7, § 3] 63. Solche Verbesserungen hingegen, welche nicht
anderst, als mit Beschwerung der Unterthanen, mit unbilliger Benachtheiligung
der nachgesetzten minderen Beamten und Dienstleuten, mit Entkräftung der
Bestandleuten, mit Bekränkung der Nachbarschaft oder wie immer mit Belästigung
des gemeinen Wesens bestehen können, solle kein Beamter bei nachdrucksamer Ahndung
in Vorschlag zu bringen, noch weniger selbst vorzunehmen sich anmaßen,
widrigens den der Herrschaft oder denen Untergebenen durch dergleichen
gemeinverderbliche und aus seiner Verleitung veranlaßte Vorkehrungen etwan
zugegangenen Schaden zu ersetzen gehalten sein.
[1, 7, § 3] 64. Ueberhaupt hanget die Beurtheilung dessen
von dem vernünftigen Ermessen ab, ob und was für eine Schuld an Seiten des
Wirthschaftsbeamten unterwalte, wobei auf die verschiedene Umstände der Person,
der Zeit, des Orts, des Amts und mehr Anderes zu sehen ist, was in Ansehung der
verschiedenen Gattungen der Schuldtragung in drittem Theil seines Orts erkläret
wird.
[1, 7, § 3] 65. Wie dann zuweilen auch eine an sich sonst
geringste Schuld zur mittleren
(1-277) Schuld erwachsen kann, wann z. B. eine Warnigung von
der Herrschaft oder von dem vorgesetzten Oberbeamten, oder ein besonderer
Befehl, deme nicht genau nachgelebet worden, vorhergegangen, oder ein Dritter
an Anwendung des allergrößten Fleißes verhinderet worden wäre.
[1, 7, § 3] 66. Gleichwie im Gegentheil auch die sonst
mittlere Schuld sich in die geringste verwandlen kann, wann etwann ein Zufall,
eine anderweitige Verhinderniß, fremde Schuldtragung, vorherige nicht
abzustellen geweste gleiche Beobachtung, Kleinigkeit des Schadens, anderweiter
beträchtlicher Nutzen und dergleichen die Schuld minderende Umstände
unterliefen.
[1, 7, § 3] 67. Eine gleiche Beschaffenheit hat es mit jenen
unter Raitung stehenden Dienstleuten, welchen eine Handlung, Gewerb oder
sonstige in Empfang und Ausgab bestehende Verwaltung anvertrauet ist, und die
deswegen, weilen sie in alleiniger Bedienstung, Verpflegung und Besoldung ihres
Herrn stehn, andurch von bestellten Sachwalteren unterschieden sind, welche
fremde Geschäften lediglich kraft übernommener Vollmacht besorgen.
[1, 7, § 3] 68. Ein Herr kann von seinem unter Raitung
stehenden Diener zu allen
(1-278) Zeiten Rechenschaft forderen, den Stand deren ihme
anvertrauten Gütern und Habschaften erforschen, und bei gegründetem Verdacht
oder wirklichem Befund einer üblen Gebarung sich der Person und Habseligkeiten
des Dieners entweder selbst, inwieweit er aus obrigkeitlicher Gewalt darzu
berechtiget ist, oder mittelst gerichtlicher Hilfe versicheren, bis daß der
Diener oder Beamte vollständige Richtigkeit gepflogen, den Abgang ersetzet oder
annehmliche Sicherheit für Alles bestellet habe.
[1, 7, § 3] 69. Einigen Herren ist gestattet, über die von
ihren Dieneren und Beamten gelegte Rechnung und dabei vorgefallene Mängeln
dergestalten zu erkennen, daß ihre Erkanntniß in Rechtskräften erwachse, wann
nicht davon, sowie von anderen Rechtssprüchen sich zu der höheren Gehörde
gewendet wird.
(1-279) [1, 7, § 3] 70. Alle übrige Herren hingegen können
sich zwar mit ihren Dieneren und Beamten auf die hiernach folgende Art
berechnen, doch, wann es hierüber zur Strittigkeit kommt, muß solche bei der
ordentlichen Gehörde verhandlet und entschieden werden.
[1, 7, § 3] 71. Dieser Unterschied rühret von dem besonderen
Vorrecht her, welches Wir allen Besitzeren landschaftlicher oder Lehengüter in
diesen Unseren deutschen Erblanden hiermit verleihen und bestätigen, daß selbe
in Rechnungssachen ihrer Beamten und anderer zur Landwirthschaft gehöriger
Dienstleuten als die erste Gehörde auf nachstehende Weise fürgehen, und, was
Rechtens ist, erkennen mögen.
[1, 7, § 3] 72. Welche obrigkeitliche Befugniß denenselben
auch in Hausrechnungssachen, jedoch bloß allein in jenem Fall gebühren solle,
wann die Hausrechnungsführere in ihrem alleinigen Dienst und Gehalt stehen, und
auf dem landschaftlichen oder Lehengut ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
[1, 7, § 3] 73. Damit aber in derlei Rechnungswesen
ordentlich verfahren werde, muß bei Antritt eines unter Raitung stehenden
Dienstes dem eintretenden Diener oder Beamten Alles richtig übergeben werden,
was er künftig zu verrechnen hat.
[1, 7, § 3] 74. Wann aber der Herr dem aufgenommenen Diener
befohlen hätte, sich unerwartet einer ordentlichen Uebergabe der zu verraiten
habenden Amtsverwaltung zu unterziehen, so kann der Rechnungsführer nach der
Zeit nicht verhalten werden, seinen Empfang mit einem Eid der Anzeige zu
bestätigen, doch ist dem Herrn unbenommen, den mehreren Empfang über das, was
von dem Rechnungsführer angegeben wird, durch andere rechtliche Beweismitteln
darzuthun.
[1, 7, § 3] 75. Woferne hingegen ein anderer bringender
Umstand den Beamten bemüssigete, einen solchen Dienst ohne vorhergegangener
Uebergabe unverschieblich anzutreten, so ist derselbe den Empfang,falls er sich
darüber keine andere Bescheinigung hätte geben lassen, auf Verlangen des Herrn
mit einem Eid der Anzeige zu erhärten schuldig.
[1, 7, § 3] 76. Die Uebergabe solle von dem Herrn oder einem
Anderen in desselben Namen oder von dem Vorfahrer in Amt oder Dienst in Beisein
des Herrn oder eines anderen von ihme hierzu Abgeordneten geschehen, alles
Uebergebene, es seie baarer Bestand, Vorräthe oder Ausstände, nach seiner Zahl,
Gewicht und Maß beschrieben und diese Beschreibung von dem Herrn oder von dem
statt seiner darzu Verordneten gefertiget, dem antretenden Rechnungsführer
zugestellet und eine gleichlautende von dem Rechnungsführer mit Bescheinigung
der Uebernahme gefertigte Urkunde bei dem Herrn aufbehalten werden.
[1, 7, § 3] 77. Wäre aber der Vorfahre todt oder flüchtig,
so kann der Herr nicht allein zu seiner Sicherheit die Sperr alsobald anlegen,
sondern auch mit Zuziehung zweier glaubwürdigen Personen die Beschreibung des
vorhandenen Bestandes vornehmen lassen, und hienach die Uebergabe an den
Nachfolger vollziehen, welche alsdann diesem zur Bewährung des Hauptempfangs
und somit zum Grund der künftigen Rechnung andienet.
[1, 7, § 3] 78. Nach angetretenem Dienst hat der Herr das
Recht, von seinem unter Raitung stehenden Diener und Beamten die Rechnungen
abzuforderen, aufzunehmen und zu erledigen, welche wenigstens von Jahr zu Jahr
oder in denen bedungenen oder von dem Herrn darzu bestimmten kürzeren Fristen,
und vornehmlich bei Ausgang des Dienstes jedes Mal längstens binnen denen
nächst darauffolgenden sechs Wochen ohne weiterer Nachfrist geleget werden
sollen.
Widrigens kann der Herr den Rechnungsführer nach deren
Verlauf mit Zwangsmitteln darzu anhalten.
[1, 7, § 3] 79. Nichtsdestoweniger bleibet auch unter dieser
Zeit dem Herrn unbenommen, von seinem unter Raitung stehenden Diener und
Beamten nach Gefallen den Ausweis des vorhändigen Bestandes von denen ihme
anvertrauten Geldern oder
(1-280) anderen Habschaften abzuforderen, und falls hieraus
eine Unrichtigkeit hervorkäme, unmittelbar binnen nächsten sechs Wochen den
Erlag der Rechnungen anzuverlangen.
[1, 7, § 3] 80. Eine dergleichen Bestandlegung zielet einzig
und allein zu des Herrn eigener Sicherheit ab, mithin
gereichet solche auch dem Beamten zu keiner Verkleinerung. Hierbei ist dem
Herrn gestattet, sogleich mit der Sperr und Versieglung der vorhändigen Geldern
und alles dessen, was der Beamte unter seiner Verrechnung hat, wie auch mit
Versieglung seiner Handbücher und aller zur Rechnung gehöriger Schriften den
Anfang zu machen.
[1, 7, § 3] 81. Sodann sind in Beisein des Rechnungsführers
die Gelder und alle übrige zu verrechnen habende Sachen nachzuzählen,
nachzumessen oder nachzuwiegen, und nebst denen Schriften und Urkunden dem
Befund gemäß zu beschreiben; bis daß aber nicht Alles beschrieben worden, ist
dem Rechnungsführer zugelassen, sein eigenes Siegel mitanzulegen.
[1, 7, § 3] 82. Nach diesem ist die Schuldigkeit des
Rechnungsführers aus denen Rechnungsschriften die Ausstände entweder zur Stelle
anzuzeigen, oder binnen drei Tagen herauszuziehen, zu welchem Ende ihme nicht
verwehret werden solle, sich nach Nothdurft in denen Schriften zu ersehen,
wobei jedoch die erforderliche Behutsamkeit gebrauchet werden mag, damit von
ihme darinnen nichts geänderet oder verrucket werde.
[1, 7, § 3] 83. Dieser Ausweisung kann der Rechnungsführer
auch jene Ausstände beifügen, die er etwan in seinen Schriften aufzuzeichnen
vergessen hätte, und wann er sodann darmit zu Stand gekommen, muß solche in die
Beschreibung des Bestands mit eingezogen werden. Doch beruhet es bei dem Herrn,
die Mitbeamte und andere Personen, worauf sich der Rechnungsführer eines
Ausstands halber beziehet, zur Bestätigung der Richtigkeit oder Bekanntniß der
Schuld fürzuforderen, oder gestalter Dingen nach hierüber zu vernehmen.
[1, 7, § 3] 84. Was von ihnen eingestanden wird, ist als ein
wirklicher Bestand anzusehen, das Widersprochene aber als zweifelhaft
anzumerken und zur weiteren Untersuchung auszusetzen, dann immittelst die
Beschreibung zur beiderseitigen Nothdurft gleichlautend auszufertigen.
[1, 7, § 3] 85. Fände sich ein Abgang an Geld oder anderen
Sachen, oder es würden bei dem Ausweis beträchtliche Posten widersprochen, oder
es äußerete sich sonst eine gefährliche Verwirrung oder ein gegründeter
Verdacht einiger Veruntreuung, so kann der Herr obverordneter Maßen nicht
allein den wirklichen Rechnungserlag abforderen, sondern auch, da genugsame
Ursach vorhanden wäre, sich sowohl der Person des Rechnungsführers, als seiner
Sachen versicheren.
[1, 7, § 3] 86. In Ansehung der Art und Weis, wie
Wirthschafts- und andere derlei Privatrechnungen zu verfassen sind, hat es bei
dem landesüblichen Gebrauch oder bei denen von jedem Herrn nach eigener
Willkühr hierinnen gemachten besonderen Einrichtungen sein Bewenden.
[1, 7, § 3] 87. Wie aber die Rechnungen zu legen, wie
Empfang und Ausgab zu bewähren, und ein richtiger Verweis des Ueberrests zu
machen seie, ist aus deme abzunehmen, was in gleich vorhergehendem Capitel von
Vormundschaftsrechnungen geordnet worden, und auf alle weitläufigere Rechnungen
überhaupt seine gute Anwendung hat.
[1, 7, § 3] 88. Die gelegte Rechnungen ist der Herr selbst
aufzunehmen oder durch Andere aufnehmen zu lassen berechtiget, und solle vor
Allem die Rechnung durchgegangen, untersuchet, die vorkommende Bestände und
Anstände ausgezogen, diese dem Rechnungsleger zu seiner Ersehung auf eine ihme
anzuberaumende hinlängliche Zeit zugestellet, sonach derselbe darüber mündlich
vernommen, was behoben
(1-281) oder von demselben eingestanden wird, verzeichnet,
diese Verhandlung von dem Rechnungsleger unterschrieben, und ihme zu seiner
Nothdurft eine Abschrift davon zugestellet werden.
[1, 7, § 3] 89. Wann nun solchergestalt Alles behoben
worden, so ist dem Rechnungsführer nach Ersetzung deren etwan von ihme
eingestandenen Mängeln die Loszählung unverlängt zu ertheilen.
Da er aber mit dem Ersatz säumete, dieser ihme mittelst
eines obrigkeitlichen Endauszugs binnen vierzehn Tagen aufzulegen, und ferner
zu verfahren, wie hiernach geordnet wird.
[1, 7, § 3] 90. Würden hingegen dabei einige Anstände und
Bedenken unbehoben bleiben, so sollen dieselbe als förmliche Mängeln
abgefasset, dem Rechnungsleger zur schriftlichen Erläuterung zugestellet, und
was hierdurch nicht abgethan würde, darüber durch weitere Bemänglung des Herrn
und die Schlußerläuterung des Rechnungslegers, weiter aber nicht, als mit vier
Schriften verfahren, und, da eine Zeugenführung vorfiele, die Verhandlung
deswegen nicht aufgehalten, sondern dabei jenes beobachtet werden, was in
vorstehendem Capitel in gleichem Fall bei Aufnehmung der Vormundschaftsrechnung
geordnet worden.
[1, 7, § 3] 91. Nach also gewechsleten Schriften ist die
Verhandlung ohne weiters zu schließen, und über Alles, was sowohl mündlich, als
schriftlich verhandlet worden, eine Verzeichniß unter des Rechnungslegers
Unterschrift, oder da dieser hierbei in der ihme zu bestimmenden
vierzehentägigen Frist nicht erscheinen würde, von amtswegen zu verfassen,
hierauf aber binnen vier Wochen, von dem Tag der geschlossenen
Nothdurftshandlung zu rechnen, zur obrigkeitlichen Erkanntniß zu schreiten,
nach deren Verlauf dieselbe dem Herrn nicht mehr gebühren, sondern dem
ordentlichen Richter allein überlassen sein solle.
[1, 7, § 3] 92. Diese Erkanntniß möge von dem Herrn oder von
Anderen in seinem Namen geschöpfet sein, so muß sie jedesmal von dem Herrn
selbst unterfertiget werden. Er wäre dann abwesend und hätte zu seinen
Rechtsvorfallenheiten Jemanden genugsam bevollmächtiget, durch welchen sodann
die Fertigung in Vollmacht des Herrn geschehen kann.
[1, 7, § 3] 93. Die Rechnungserledigung muß ordentlich von
Post zu Post, wobei Mängeln vorgekommen, in der nämlichen Ordnung, welche bei
der Rechnung beobachtet worden, abgefasset und der Rechnungsleger entweder von
denen Mängeln losgesprochen oder zu den Ersatz angewiesen werden.
[1, 7, § 3] 94. Doch muß die Erkanntniß des Ersatzes in jenen
Fällen, wo es noch auf weiteren Beweis durch Zeugen oder auf die eidliche
Erhärtung ankommt, mit dem Vorbehalt, wann der Rechnungsleger dieses oder jenes
nicht erweisen oder beschwören würde, geschehen, und auch überall die Ursachen
des auferlegten Ersatzes beigefügt werden.
[1, 7, § 3] 95. Ueberhaupt sollen in der nach rechtlicher
Ordnung zu vollführenden Raithandlung dem Rechnungsführer die Mitteln zu seiner
Vertheidigung keineswegs beschränket, noch weniger ihme dessen Schriften,
daferne er solche zu seiner Rechtfertigung bedarf, vorenthalten werden.
[1, 7, § 3] 96. Vielmehr sind ihme dieselben zu seiner
Einsicht sowohl währender mündlicher als schriftlicher Verhandlung
unweigerlich, obschon mit freistehender Anwendung der nöthigen Behutsamkeit
vorzulegen, und entweder in Urschriften gegen Bescheinigung oder in beglaubten
Abschriften zu seiner Nothdurft auszufolgen, wie nicht minder auf gleiche Weise
demselben die benöthigten Urkunden aus seinen vorhin gelegten oder anderen
dahin einschlagenden Raitung seiner Mitrechnungsführeren in Abschrift
mitzutheilen.
[1, 7, § 3] 97. Die Raithandlung solle nicht verzögeret,
sondern die oben zum Erlag
(1-282) der Rechnungen sowie zu deren Erledigung ausgesetzte
Fristen genau beobachtet, hernach aber in nachfolgenden Rechtsfristen
unnachbleiblich fürgegangen werden.
[1, 7, § 3] 98. Die Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung
kann von dem Herrn so oft als nöthig, jedoch ganz kurz aufeinander bestimmet
werden.
Wo aber der Rechnungsleger nicht erschiene, ist der Herr
befugt, über die Anstände, welche dieser mündlich hätte beheben können, Mängeln
auszustellen, worüber derselbe sich sodann schriftlich zu verantworten hat.
[1, 7, § 3] 99. Wann hingegen bei dessen Erscheinen die
mündliche Verhandlung geschlossen wird, solle der Herr dem Rechnungsleger
längstens binnen vier Wochen bei befundener Richtigkeit die Loszählung
ertheilen, oder die mündlich nicht behobene Mängeln zur schriftlichen
Erläuterung zustellen. Widrigens wird derselbe der obrigkeitlichen Erkanntniß
verlustig.
[1, 7, § 3] 100. Eine gleiche vierwochentliche Frist ist dem
Rechnungsleger zu seiner schriftlichen Erläuterung, ferners dem Herrn zur
weiteren Bemänglung und endlich dem Rechnungsleger zu seiner Schlusserläuterung
ohne aller Erstreckung anberaumet, also zwar, daß, wann binnen dieser Zeit ein-
oder andererseits auf die zugestellte Schrift des Gegentheils nichts einkommt,
die Verhandlung geschlossen, und nach Demjenigen, was eingebracht worden,
jedoch mit Beobachtung der Billigkeit, gesprochen werden kann.
[1, 7, § 3] 101. Wann demnach der Raitungsleger seine
Erläuterung über die ausgestellte Mängeln, oder seine Schlusserläuterung über
die ihme zugekommene weitere Bemänglung in der obbestimmten Frist nicht
eingebracht, ist der Herr nicht mehr schuldig, die später einreichende Schrift
anzunehmen, sondern kann vorbesagter Maßen die Verhandlung schließen, und über
die verhandleten Schriften, was Rechtens, erkennen.
[1, 7, § 3] 102. Gleichwie gegentheils, wann der Herr in der
obanberaumten Frist die weitere Bemänglung dem Rechnungsleger nicht zustellet,
dieser nicht mehr verhalten werden kann, sich darüber weiter einzulassen,
sondern ihme stehet frei mit Verwerfung der später eingebrachten Schrift des
Herrn die Schließung des Verhandleten und die Schöpfung der obrigkeitlichen
Erkanntniß anzuverlangen.
[1, 7, § 3] 103. Wo aber der Herr auf eine oder die andere
Weis die obrigkeitliche Erkanntniß verlieret, solle er den Rechnungsführer bei
seiner ordentlichen Gehörde belangen, und die Rechnungssache, wann bereits
einige Nothdurft darinnen verhandlet worden, so, wie sie liegt, alldahin zum
weiteren Verfahren übergeben.
[1, 7, § 3] 104. Würde er hingegen längstens binnen drei
Jahren und achtzehen Wochen von dem Tag des Erlags der Rechnungen die
Raitungssache bei Gericht nicht anbringen, so sollen obverordneter Maßen nach
Verlauf dieser Frist die gelegten Rechnungen bis auf den etwann eingestandenen
Rest, und die allzeit ausgenommene Vorbehaltsfälle für richtig gehalten, und
dem Rechnungsleger ohne weiters zu seiner Loszählung verholfen werden.
[1, 7, § 3] 105. Nebst deme ist auch der Herr in jenem Fa