Einführung in die

Rechtswissenschaft

 

 

 

 

Grundbegriffe und Grundlagen

siebente Auflage

 

(Lageplan des Universitätshauptgebäudes, der Studia Buchhandlung und des Dienstzimmers von Prof. Dr. Köbler)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gerhard Köbler


 

 

 

 

 

 

Gerhard Köbler

 

 

 

 

 

Einführung in die Rechtswissenschaft

 

 

 

 

 

Grundbegriffe und Grundlagen

 

 

 

für

Freiheit,

Wahrheit,

Gleichheit,

Selbstbestimmung

 

gegen

Bürokratie,

Korruption,

Diskriminierung,

Selbstbedienung.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

©  Studia Universitätsverlag, Herzog-Siegmund-Ufer 15, 6020 Innsbruck

www.studia.at

 

Druck und Buchbinderei: Studia Universitätsbuchhandlung und -verlag

Printed in Austria 2013

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, der Verbreitung, der Speicherung in elektronischen Datenanlagen sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.


Einführung in die Rechtswissenschaft

 

Vgl. Köbler, Gerhard, Wie werde ich Jurist? - Eine Einführung in das Studium des Rechts, 5. Auflage 2006; Fachwörterbuch Einführung in die Rechtswissenschaften, hg. v. Piska, C. u. a., 2009; Kneihs, B., Einführung in das österreichische Recht, 2011; Köbler, Gerhard, Juristisches Wörterbuch, 15. A. 2012

 

Vorwort

 

Seit vielen Jahrhunderten wird in Europa Rechtswissenschaft gelehrt. Hunderttausenden von werdenden Juristen hat das dafür nötige Lernen Verständnisschwierigkeiten bereitet. Sie zu lindern, ist das Ziel dieser einfachen, entsprechende Lehrveranstaltungen und eigenständiges Lernen abstützenden Einführung in die Rechtswissenschaft.

 

Sie schildert jedem Interessierten leicht verständlich die Ausbildungsorganisation, den Ausbildungsablauf mit dem Ausbildungsziel, die Ausbildungsveranstaltungen, die Ausbildungsmaterialien und die Ausbildungsfächer.

 

Sehr verpflichtet bin ich allen, die mich hierbei unterstützt haben. Sehr danken werde ich für alle künftigen Anregungen und Empfehlungen. Möge durch vorbehaltlose Zusammenarbeit gemeinsames Wissen bestmöglich gefördert werden.

 

Gerhard Köbler
Inhaltsverzeichnis

 

§ 1 Einleitung

A) Jurist

B) Wissenschaft

C) Universität

D) Studium

E) Prüfungen

F) Lehrveranstaltungsplan

G) Lehrveranstaltungsprüfung

H) Literatur

I) Ratschläge

 

§ 2 Recht

A) Wesen

B) Dimensionen

C) Arten

D) Gestalt

E) Anwendung

F) Quelle

 

§ 3 Verfassung

A) Verfassung im Alltagsleben

B) Wesen

C) Arten

D) Einzelfälle

I. Vereinte Nationen

II. Europäische Union

III. Österreich

1. Erstes Hauptstück Allgemeine Bestimmungen. Europäische Union (Art. 1-23k B-VG)

2. Zweites Hauptstück Gesetzgebung des Bundes (Art. 24-59b B-VG)

3. Drittes Hauptstück Vollziehung des Bundes (Art. 60-94 B-VG)

4. Viertes Hauptstück Gesetzgebung und Vollziehung der Länder (Art. 95-112 B-VG)

5. Fünftes Hauptstück Selbstverwaltung (Art. 115-120c B-VG)

6. Sechstes Hauptstück Rechnungs- und Gebarungskontrolle (Art. 121-128 B-VG)

7. Siebentes Hauptstück Garantien der Verfassung und Verwaltung (Art. 129-148 B-VG)

8. Achtes Hauptstück Volksanwaltschaft (Art. 148a-148j B-VG)

9. Neuntes Hauptstück Schlussbestimmungen (Art. 149-152 B-VG)

10. Zusätzliche Bundesverfassungsgesetze und Bundesverfassungsbestimmungen

11. Grundrechte

IV. Land (z. B. Tirol)

 

§ 4 Verwaltung

A) Rechtswirklichkeit

B) Wesen

C) Arten

D) Rechtsgrundlagen

E) Verwaltungsorganisation

F) Verwaltungshandeln

 

§ 5 Verfahren

A) Rechtswirklichkeit

B) Wesen

C) Organisation

D) Zivilverfahren

E) Strafverfahren

F) Außerstreitverfahren

G) Grundsätze des Verfahrensrechts

 

§ 6 Straftat

A) Rechtswirklichkeit

B) Arten

C) Vorsatzbegehungserfolgsdelikt

D) Sonderfragen

E) Rechtsfolge

F) Strafzweck

G) Einzelne Straftatbestände

 

§ 7 Person

A) Privatrecht

B) Natürliche Person

C) Juristische Person

D) Entstehung von Rechten und Pflichten

 

§ 8 Schuld(verhältnis)

A) Rechtswirklichkeit

B) Wesen

C) Arten

D) Entstehung

E) Inhalt

F) Störung

G) Beendigung

H) Einzelne Schuldverhältnisse

I) Verwirklichung

 

§ 9 Sache

A) Rechtswirklichkeit

B) Wesen

C) Arten

D) Einzelfälle (einzelne dingliche Rechte)

I. Besitz

II. Eigentum

III. Beschränkte dingliche Rechte (z. B. Pfandrecht)

 

§ 10 Familie, Erbe, Unternehmen, Arbeit, Erfindung

A) Familie

I. Ehe

II. Kind

B) Erbe

C) Unternehmen (Handel)

I. Unternehmer

II. Gesellschaft

III. Unternehmensbezogenes Geschäft

D) Arbeit

E) Erfindung


Abkürzungsverzeichnis (in Österreich ohne Punkte, bei Gesetzen stets ohne Punkte)

A.               Auflage (oder s. Aufl.)

a. A.            anderer Ansicht

a. a. O.        am angegebenen Ort (möglichst vermeiden)

ABGB         Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (in Österreich 1811/1812)

Abh.            Abhandlungen

ABl.            Amtsblatt

Abs.            Absatz

a. E.            am Ende

a. F.            alte Fassung

AG              Ausführungsgesetz; Amtsgericht; Aktiengesellschaft

AGB           Allgemeine Geschäftsbedingungen (möglichst vermeiden)

AktG           Aktiengesetz

Alt.              Alternative

a. M.           anderer Meinung

AmtsG        Amtsgericht (Deutschland)

Anm.           Anmerkung (oder Fußnote)

Art.             Artikel

AT              Allgemeiner Teil (nur in Fußnoten gebrauchen)

Aufl.            Auflage (oder s. A.)

AVG           Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (in Österreich)

Az.              Aktenzeichen

B                 Bundes

Bd.              Band

bestr.           bestritten

Bf.               Beschwerdeführer (möglichst vermeiden)

BG              Bezirksgericht (in Österreich)

BGB           Bürgerliches Gesetzbuch (in Deutschland)

BGBl.          Bundesgesetzblatt

BGH           Bundesgerichtshof (in Deutschland)

BT              Besonderer Teil (nur in Fußnoten gebrauchen)

BVerfG       Bundesverfassungsgericht (in Deutschland)

B-VG          Bundesverfassungsgesetz (in Österreich 1920 [1929/1930])

BVwG        Bundesverwaltungsgericht

cc                code civil (in Frankreich 1804)

c. i. c.          culpa in contrahendo (möglichst vermeiden)

ders.            derselbe (für maschinelle Suche schwierig, deshalb grundsätzlich vermeiden)

Diss.            Dissertation

Dr.              Doktor (lat. doctor, M., Lehrer)

Dres.           Doctores (= Plural)

DVO           Durchführungsverordnung

E                 Entscheidung(en), Entwurf

ebda            ebenda (möglichst vermeiden)

EG              Einführungsgesetz

EheG           Ehegesetz

Einl              Einleitung

EuGH          Gerichtshof (der Europäischen Union), überholt s. GH

f.                 folgende Seite (, folgender Paragraph u. s. w.)

ff.                folgende Seiten (, folgende Paragraphen u. s. w.)

Fn.              Fußnote (oder Anmerkung)

FS               Festschrift

GBl.            Gesetzblatt

GBO           Grundbuchordnung (in Deutschland), Grundbuchsordnung (in Österreich)

GG              Grundgesetz (in Deutschland 1949)

GH              Gerichtshof (der Europäischen Union)

GmbH         Gesellschaft mit beschränkter Haftung(, GesmbH in Österreich)

GVBl          Gesetz- und Verordnungsblatt

H.               Hälfte

h. A.            herrschende Ansicht

HGB           Handelsgesetzbuch s. UGB (in Österreich)

hg.               herausgegeben

h. L.            herrschende Lehre

h. M.           herrschende Meinung

Hs.              Halbsatz

i. d. F.         in der Fassung

IPR             Internationales Privatrecht (vermeiden)

JuS              Juristische Schulung (Ausbildungszeitschrift in Deutschland)

KG             Kommanditgesellschaft

KJB            Karlsruher Juristische Bibliographie

KVK          Karlsruher Virtueller Katalog http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html

LG              Landgericht (, in Österreich Landesgericht)

Mat.            Materialien

MBl.           Ministerialblatt

m. w. N.      mit weiteren Nachweisen

Nachw.       Nachweis

n. F.            neue Fassung

N. F            Neue Folge

NJW           Neue Juristische Wochenschrift

OG             offene Gesellschaft (in Österreich)

OGH           Oberster Gerichtshof (in Österreich)

OHG           offene Handelsgesellschaft

OLG           Oberlandesgericht

OVG           Oberverwaltungsgericht

Rdz.            Randziffer

RG              Reichsgericht

RGBl.          Reichsgesetzblatt

Rspr.           Rechtsprechung

s.                 siehe

S.                Seite, Satz

St                Strafsachen, s. BGH, RG

StA             Staatsanwalt(schaft) (vermeiden)

StGB           Strafgesetzbuch

StPO           Strafprozessordnung

str.              streitig

stRspr.        ständige Rechtsprechung

StVG          Straßenverkehrsgesetz

StVO          Straßenverkehrsordnung

unstr.           unstreitig

VA              Verwaltungsakt (vermeiden)

VfGH          Verfassungsgerichtshof (in Österreich)

VG              Verwaltungsgericht (in Deutschland)

VGH           Verwaltungsgerichtshof

vgl.              vergleiche

VO             Verordnung

VwGG        Verwaltungsgerichtshofgesetz (in Österreich)

VwGH        Verwaltungsgerichtshof (in Österreich)

Z                 Zivilsachen, s. BGH, RG

ZPO            Zivilprozessordnung


Wer Rechtswissenschaft studieren will, weiß meistens nicht, was ihn erwartet, weil er vor dem Studium des Rechts weder Wissenschaft noch Recht wirklich kennt. Deswegen soll ihm eine Einführung die wichtigsten Grundgegebenheiten aufzeigen. Sie kann dadurch einfache Grundstrukturen legen und einprägen helfen, damit beliebige Einzelheiten bei späterer Vertiefung ohne weiteres in ein festes Grundgerüst sicher und leicht eingeordnet werden können.

Literatur: Handbuch der Universitäten und Fachhochschulen, Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Schweiz, 22. A. 2012, mit e-book

 

§ 1 Einleitung

A) Jurist

B) Wissenschaft

C) Universität

D) Studium

E) Prüfungen

F) Lehrveranstaltungsplan

G) Lehrveranstaltungsprüfung

H) Literatur

I) Ratschläge

 

Spätestens am Beginn des Studiums der Rechtswissenschaft kann sich der Interessent fragen, warum er das ihm meist inhaltlich unbekannte Fach Rechtswissenschaft studieren will. Der Grund hierfür kann eine primäre, nicht weiter hinterfragbare Zuneigung zu Gerechtigkeit und Recht sein (Primärmotivation). Meist beruht das Interesse aber auf den Sekundärmotivationen von Einkommen, Ansehen, Macht und Verhältnis von Aufwand und Ertrag der Juristen.

 

A) Jurist

Es gibt etwa 500 Millionen Einwohner in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, davon rund acht Millionen Österreicher. Es gibt schätzungsweise 1 Million Juristen in Europa, davon mehr als 30000 in Österreich. In Frankfurt am Main ist etwa jeder hundertste Einwohner Jurist, in Österreich vielleicht jeder 266, in der Europäischen Union vermutlich jeder 500.

Wer ist Jurist?

Jurist ist, wer ein Studium der Rechtswissenschaft an einer Universität erfolgreich abgeschlossen hat. Volljurist ist, wer danach auch noch eine für die praktische Ausübung eines juristischen Berufs (z. B. Richter, Staatsanwalt, Verwaltungsjurist, Notar, Rechtsanwalt) notwendige praktische Ausbildung erfolgreich durchlaufen hat. Weder Jurist noch Volljurist sind aber rechtlich geschützte Titel.

Was tut ein Jurist?

Er lauscht in Bezug auf Rechtsfragen dem Sprechen anderer Menschen oder liest Schriften anderer Menschen und fragt und antwortet dabei je nach Bedarf und Möglichkeit. Er entscheidet über die Anwendung allgemeiner Rechtssätze auf einzelne Geschehnisse und begründet seine Entscheidungen. Dies geschieht meist kurz mündlich und danach oft noch ausführlich schriftlich, so dass der Jurist insgesamt meist hört, sieht, denkt, spricht oder schreibt.

 

I. Richter

Herkömmlicherweise das größte Ansehen unter den Juristen hat der als solcher bereits dem griechisch-römischen Altertum bekannte Richter (lat. iudex). Seine Aufgabe ist die Entscheidung eines Streites an Hand des vom Volk unmittelbar (z. B. als Gewohnheitsrecht) oder mittelbar (z. B. als Gesetz durch das Parlament) geschaffenen Rechtes im Namen der Allgemeinheit, des Staates oder des Volkes (z. B. Österreichs, Deutschlands, der Schweiz, Frankreichs oder Italiens). Dies geschieht meist im Fällen eines Urteils, durch das unter den Beteiligten grundsätzlich verbindliches Recht ermittelt bzw. geschaffen wird.

Dementsprechend ist der Richter das im Rahmen der objektiven Geschäftsverteilung zuständige Organ des Staates zur unabhängigen Entscheidung von Streitigkeiten zweier Parteien. Er ist kein Beamter, sondern von Vorgesetzten grundsätzlich unabhängig. Er unterliegt deshalb bei seiner Rechtsanwendung keinen Weisungen eines Vorgesetzten und kann grundsätzlich nicht abgesetzt und auch nicht versetzt werden.

Richter gibt es in ganz Europa. In Österreich betrug die Zahl der Richterplanstellen 2009 (nicht vollständig besetzt) 1621, so dass sich ihre Zahl auf etwa 1700 schätzen lässt. Im Durchschnitt ist damit ein Richter für rund 5000 Staatsbürger zuständig.

 

II. Staatsanwalt

Der etwa seit der französischen Revolution (1789) bekannte, aus Frankreich kommende Staatsanwalt ist das für das Verfahren des Staates (Volkes, Allgemeinheit) gegen einen einer Straftat (hinreichend) verdächtigen Einzelnen zuständige Staatsorgan. Der Staatsanwalt ist Beamter und deshalb an die Weisungen seines Vorgesetzten (z. B. des Justizministers) gebunden. Den Staatsanwalt gibt es in ganz Europa (in Österreich etwa 320, so dass dort ein Staatsanwalt für rund 25000 Staatsbürger zuständig ist).

 

III. Verwaltungsjurist

Verwaltungsjurist ist der seit dem Spätmittelalter zur Ausführung der Verwaltungsaufgaben des Staates zuständige Jurist (z. B. im Justizministerium, in Österreich in der Finanzlandesdirektion oder in der Bezirkshauptmannschaft). Der Verwaltungsjurist ist weisungsgebundener Beamter und letztlich vom jeweiligen Fachminister abhängig. Verwaltungsjuristen gibt es im Wettbewerb mit in anderen Studienfächern ausgebildeten Verwaltungsbediensteten (z. B. Ökonomen, Technikern) in allen staatlichen Verwaltungen in unbekannter Zahl.

 

IV. Notar

Notar ist in Nachfolge römischer Schreiber seit dem Hochmittelalter der staatlich bestellte, nicht in einem Dienstverhältnis zum Staat stehende, mit öffentlichem Glauben ausgestattete Amtsträger für Beurkundungen wichtiger Rechtsgeschäfte (z. B. Testamente, Grundstückskaufverträge, Gesellschafterbeschlüsse). Der Notar ist zugleich Amtsperson und freier Unternehmer. Notare gibt es in ziemlich beschränkter Zahl in ganz Europa als Nurnotare oder in größerer Zahl als Rechtsanwaltsnotare (gleichzeitig Rechtsanwalt und Notar), wobei in Österreich (2010) etwa 500 (Nur-)Notare amtieren, so dass ein Notar für etwa 16000 Staatsbürger zuständig ist und österreichweit jährlich im Durchschnitt etwa 20 Stellen zu besetzen sind.

 

V. Rechtsanwalt

Rechtsanwalt ist seit dem Spätmittelalter der Berater und Vertreter in rechtlichen Angelegenheiten (innerhalb eines vor Gericht rechtshängigen Rechtsstreits wie außerhalb eines solchen Rechtsstreits). Der Rechtsanwalt übt (wie etwa der Arzt, Architekt oder Steuerberater) einen freien Beruf aus, weshalb er einerseits das Unternehmerrisiko trägt und andererseits Unternehmergewinne erzielen kann, wobei zwecks Sicherung von Rechtspflege und Rechtsanwaltschaft durch Recht (z. B. Zivilprozessordnung) festgelegt ist, dass bedeutendere Rechtsstreitigkeiten vor Gericht nur mittels Rechtsanwälten ausgetragen werden dürfen (Rechtsanwaltszwang). Rechtsanwälte gibt es in ganz Europa (in Österreich im Jahre 1970 2000, 1980 2200, 1990 2900, 2000 4000, 2006 5000, 2010 5518 und 2011 5630).

 

VI. Wirtschaftsjurist

Wirtschaftsjurist ist der vielleicht seit der frühen Neuzeit als (angestellter) Berater eines Unternehmers tätige Jurist. Er ist grundsätzlich unselbständig und steht im Wettbewerb etwa mit Wirtschaftswissenschaftlern oder Gesellschaftswissenschaftlern. Es gibt ihn in ganz Europa in nicht allgemein bekannter Zahl.

Vom Wirtschaftsjuristen zu trennen ist der nur im Wirtschaftsrecht ausgebildete Nichtjurist. Der bloße Wirtschaftsrechtler konnte jahrelang grundsätzlich keinen klassischen Juristenberuf ausüben, aber die Arbeitsmarktlage für die juristischen Berufe durch seinen Ausschluss aus den Juristen zumindest kosmetisch verbessern, weil jeder Nurwirtschaftsrechtler grundsätzlich ein Konkurrent weniger auf dem Arbeitsmarkt für Juristen ist. Er wird seit etwa 1990 regelmäßig nur an Fachhochschulen oder zwecks Absicherung andernfalls gefährdeter Ausbildungskapazitäten in besonderen Studiengängen (z. B. in Innsbruck Diplomstudium, Wien Bachelorstudium, Masterstudium) ausgebildet und erfüllt seit 2009 die Voraussetzungen des § 3 der Rechtsanwaltsordnung Österreichs, so dass das Studium des Wirtschaftsrechts den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts eröffnet (Editorial AnwBl 2009, 301) und der Wirtschaftsjurist entgegen ursprünglichen Behauptungen zumindest auf diesem Berufsfeld doch Konkurrent des Juristen geworden ist.

 

VII. Rechtslehrer

Rechtslehrer ist seit dem Beginn der Rechtswissenschaft im 12. Jahrhundert der die Rechtswissenschaft in Lehre und Forschung betreuende (staatliche) Bedienstete. Rechtslehrer gibt es an vielen (400?) Universitäten in ganz Europa. Ordentliche Professoren der Rechtswissenschaft als bis zu ihrem Tode zu Lehre und Forschung berechtigte, aber ab Emeritierung (mit 68 Jahren) nicht mehr verpflichtete Beamte (alle bisherigen Rechte, keine Pflichten) gab es in Österreich zuletzt vielleicht 200, die als gewollte Folge einer tiefgreifenden Professorendienstrechtsreform naturgemäß in den kommenden Jahrzehnten sterben und durch (einfache) Professoren als Angestellte ersetzt werden.

Daneben gibt es ohne allgemeine Transparenz zahlreiche, ganz unterschiedlich qualifizierte Dozenten, Assistenten (Assistenzprofessoren, assoziierte Professoren) und Lehrbeauftragte sowie Studienassistenten.

 

VIII. Sonstige juristische Tätigkeiten

In den Grenzbereichen zu anderen Wissenschaften wie z. B. Medizin, Medien, Politik und Sport gibt es seit dem 20. Jahrhundert Marktnischen für besonders interessierte und erfahrene Juristen. Mit der weiteren Verrechtlichung des menschlichen Lebens wird ihre Zahl zunehmen. Eine besondere Ausbildung erfolgt bisher nur in zusätzlichen (vielfach außeruniversitären) Lehrgängen.

 

IX. Ausbildung

1. Studium

Die Tätigkeit als Jurist setzt ein mindestens vierjähriges Studium der Rechtswissenschaft (an einer der fünf juristischen Fakultäten Österreichs in Wien, Graz, Innsbruck, Salzburg oder Linz) voraus. Dabei ist ein detaillierter Studienplan mit zahlreichen Einzelprüfungen zu beachten. Wer alle vorgeschriebenen Prüfungen besteht, erwirbt den akademischen Grad eines Magisters der Rechtswissenschaft.

Die Zahl der wohl seit etwa 2005 mehrheitlich weiblichen Studienanfänger der Rechtswissenschaft ist groß. Durch das Doppelstudium von Rechtswissenschaft und Wirtschaftsrecht mit weitgehenden Anrechnungsmöglichkeiten lässt sie sich sogar bis zur Verdoppelung vor allem optisch leicht erhöhen. Anschließend ist ein besonderes, allgemein der Verwissenschaftlichung und individuell der Persönlichkeitsentwicklung dienendes, zunehmend ohne wirkliche Not reglementiertes, auf zwei (oder in Innsbruck seit Wintersemester 2009/2010 auf drei) Jahre angelegtes Doktoratsstudium zwecks Erwerbs des Grades eines Doktors der Rechtswissenschaften möglich, aber für eine Berufstätigkeit außerhalb einer Tätigkeit als Rechtslehrer nicht wirklich nötig.

2. Praktische Berufsausbildung

Im Anschluss an das erfolgreiche Studium der Rechtswissenschaft besteht in Österreich anders als in Deutschland, das statt einer universitären Studienabschlussprüfung eine erste juristische Staatsprüfung als Eingangsprüfung in eine freiwillige gemeinsame praktische Ausbildung von zwei Jahren bei unterschiedlichen Ausbildungsstellen für alle Juristen und eine zweite juristische Staatsprüfung als Abschlussprüfung dieser praktischen Ausbildung zur Richteramtsbefähigung ohne Arbeitsplatzgarantie kennt, keine weitere einheitliche praktische Ausbildung für alle juristischen Berufe. sondern sind unterschiedliche Weiterqualifikationswege eingerichtet.

a) Richter

Den besten Einblick in die Tätigkeit als Richter gibt das ab Mitte 2011 nur noch fünf Monate dauernde, (künftig mit 1010 Euro monatlich vergütete) „Gerichtsjahr“, das jeder Magister der Rechtswissenschaft auf Antrag durchlaufen kann, wofür er sich bei dem zuständigen Oberlandesgericht bewerben kann (z. B. Oberlandesgericht Innsbruck, Maximilianstraße 4, A 6020 Innsbruck). Möchte ein Bewerber tatsächlich später Richter werden, sollte er bereits in seinem Antrag auf Zulassung hierauf besonders hinweisen.

Während des „Gerichtsjahrs“ werden die Rechtspraktikanten in verschiedenen Abteilungen für den Entwurf von Beschlüssen oder Urteilen und als Schriftführer eingesetzt. Noten und Beurteilungen durch die Ausbildungsrichter sind für die auf Antrag anschließend mögliche Übernahme als Richteramtsanwärter bedeutsam. Die diesbezügliche Ernennung geschieht durch den Justizminister (http://www.bmj.gv.at/internet/html/default/home) auf Grund einer Aufnahmeprüfung und eines psychologischen Eignungstests.

Im Richteramtsanwärterdienst erfolgt eine vierjährige praktische Ausbildung an verschiedenen Gerichten, bei der Staatsanwaltschaft und einem Rechtsanwalt oder Notar, die durch Kurse und Seminare ergänzt wird. Am Ende steht eine schriftliche und mündliche Richteramtsprüfung, die bei Nichtbestehen einmal wiederholt werden kann. Nach erfolgreicher Prüfung kann sich der Absolvent um eine freie Planstelle bei einem Gericht bewerben.

b) Staatsanwalt

Voraussetzung für eine Tätigkeit als Staatsanwalt (an einem Landesgericht, bei Oberlandesgerichten Oberstaatsanwaltschaft, bei dem Obersten Gerichtshof Generalprokuratur) ist die Ernennung auf eine Planstelle als Richter. In der anschließenden staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit wird jede Entscheidung zunächst von einem dienstälteren Staatsanwalt überprüft (Vollrevision). In allmählicher Lockerung endet die Überprüfung etwa nach zehn Jahren, doch bleibt die Weisungsgebundenheit gegenüber der vorgesetzten Behörde auf Dauer bestehen.

c) Rechtsanwalt

Voraussetzung für die Tätigkeit als Rechtsanwalt, für welche die besondere Rechtsanwaltsordnung gilt, ist ebenfalls das praktische Gerichtsjahr. Es wird auf die mindestens fünf Jahre dauernde praktische Berufsausbildung als (freiwillig angestellter) Rechtsanwaltsanwärter (Konzipient) angerechnet, die während mindestens dreier Jahre in der Kanzlei eines dazu freiwillig bereiten (z. B. befreundeten oder verwandten) Rechtsanwalts durchgeführt werden muss. Nach Bestehen der Rechtsanwaltsprüfung und Bejahung der Vertrauenswürdigkeit kann der Absolvent eine Kanzlei als Rechtsanwalt eröffnen oder als Rechtsanwalt in eine bereits bestehende Kanzlei eines Rechtsanwalts (als Angestellter oder am Erfolg beteiligter Sozius bzw. Partner) eintreten.

d) Notar

Voraussetzung für den Notar ist gleichfalls das praktische Gerichtsjahr. Danach kann der Bewerber als Notariatsanwärter in ein bestehendes Notariat eintreten, wenn sich ein (befreundeter oder verwandter) Notar zu seiner Aufnahme bereit erklärt. Nach sieben Jahren praktischer Tätigkeit, von denen mindestens drei Jahre in einem Notariat durchgeführt werden müssen, und dem Bestehen der schriftlichen und mündlichen Notariatsprüfung kann der Notariatsanwärter bei entsprechendem Bedarf zum Notar ernannt werden.

e) Verwaltungsjurist

Für Verwaltungsjuristen besteht eine praktische Ausbildung von 12 Monaten in der Verwaltung (Verwaltungspraktikum, vgl. www.bka.gv.at).

f) Wirtschaftsjurist

Über eine Einstellung eines Wirtschaftsjuristen (oder auch eines nicht als Jurist ausgebildeten Wirtschaftsrechtlers) mittels eines Dienstvertrags entscheidet im Rahmen der Vertragsfreiheit das jeweilige Wirtschaftsunternehmen in eigener Zuständigkeit. Die Fortbildung erfolgt einzeln im jeweiligen Unternehmen. Aufgaben und Vergütung werden dort bestimmt.

g) Rechtslehrer

Eine Tätigkeit als Rechtslehrer (vgl. dazu die biographischen Angaben zu einzelnen Juristen unter http://www.koeblergerhard.de/werist.html) setzt eine überdurchschnittlich gut bewertete Promotion, weitere wissenschaftliche Qualifikationen in Forschung (z. B. Habilitationsschrift, Aufsätze) und Lehre (z. B. Lehrveranstaltungen unter Anleitung bzw. Betreuung durch einen Professor) und eine Berufung auf eine freie Planstelle an einer Universität bzw. für Lehrbeauftragte eine Betrauung mit einem Lehrauftrag voraus. Üblicherweise beginnt der Interessent als Studienassistent und muss sich allmählich vom Assistenten zum Dozenten höherqualifizieren. Im jeweiligen individuellen Lebenslauf können unabhängig von formell festgelegten und bzw. oder allgemein veröffentlichten Voraussetzungen (z. B. Scheinausschreibungen, Gefälligkeitsgutachten) auch nicht allgemein transparente Bekanntschaften und Beziehungen (z. B. Verwandtschaft, Freundschaft, Verbindungen, sonstige Korruption) von erheblicher Bedeutung sein und an vielen Orten auch eine Berufung auf eine Stelle im eigenen Haus (Hausberufung) eröffnen (abschreckendes, öffentlich bekannt gewordenes Beispiel aus einem anderen Fach UMIT in Hall in Tirol, andere ähnliche Beispiele leicht an Lebensläufen von Rechtslehrern [z. B. auch einer Fakultät] ablesbar).

 

X. Berufsaussichten

Infolge der steigenden allgemeinen Akademisierung der Gesellschaft (um 1900 ein Prozent eines Jahrgangs, nahezu nur Männer) seit etwa 1970  hat die Zahl der Studierenden auch der Rechtswissenschaft an den meisten Orten stark zugenommen (um 2010 fast die Hälfte eines Jahrgangs, davon mehr als die Hälfte Frauen). Im Vergleich hierzu ist die Zahl der von der Gesellschaft über Steuern finanzierten Arbeitsplätze (z. B. Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsjuristen[, Notare, mittelbar Rechtsanwälte]) nicht in gleichem Maße gewachsen. Dementsprechend sind die Berufsaussichten für Juristen nicht gut, aber auch nicht wesentlich schlechter als für viele andere akademische Berufe, so dass jeder gute Absolvent auch in Zukunft voraussichtlich einen (angemessenen) Arbeitsplatz finden wird.

 

B) Wissenschaft

Wenn Rechtswissenschaft die Wissenschaft des Rechts ist, fragt sich, was Wissenschaft ist, welche Wissenschaften es gibt und was Rechtswissenschaft von anderen Wissenschaften unterscheidet.

 

I. Wissen

Der Mensch hat seine (fünf bekanntesten) Sinne, mit denen er (z. B. pro Sekunde etwa 10 Millionen Shannon genannte Informationseinheiten aufnehmen und damit) sehen, hören, riechen, tasten und schmecken kann. Die entsprechenden Wahrnehmungen kann er aus seiner Vergangenheit in seiner Gegenwart für seine Zukunft grundsätzlich in seinem Gehirn speichern. Damit kann er eigenes Erfahren (Wissen) verwerten und muss nicht alles stets neu erleben und versuchen.

Dabei zeigt die Erfahrung des Lebens: wer viel weiß, hat bessere Lebensmöglichkeiten. Wissen ist Macht. Deswegen lohnt sich Erwerb und Nutzung von Wissen.

 

II. Wissensvermittlung

Weil Erfahrung grundsätzlich individuell erlangt wird, Wissen aber generell Wert hat, ist der Mensch vernünftigerweise an der Übernahme fremden Wissens von anderen und meist auch an der Weitergabe eigenen Wissens an andere interessiert. Für diese Zwecke erfindet er im Laufe seiner Geschichte mit Hilfe seines Verstands Hilfsmittel wie Sprache, Schrift und Schule. Wer sich auf die Wissensvermittlung arbeitsteilig spezialisiert und davon mehr und mehr seinen Lebensunterhalt finanziert, kann als Lehrer (notwendigerweise) allgemeines Wissen etwa in der Schule besser vermitteln als der dafür nicht besonders ausgebildete Mitmensch der zufälligen Umgebung (z. B. Eltern, Geschwister, Nachbarn, Freunde).

 

III. Wissenschaft

Mit der ständigen Zunahme des Wissens bedürfen Wissen und Wissensvermittlung über die Schule hinaus verbesserter Organisation. Sie erfolgt nach der allgemeinen Vermittlung von Grundwissen in der in Altertum und Mittelalter noch freiwilligen, seit der frühen Neuzeit verpflichtenden Schule als besondere Vermittlung vertieften Fachwissens seit dem Hochmittelalter in der freiwilligen Universität (Hochschule). Dort entsteht aus Wissen und Wissensvermittlung durch bewusste Forschung methodisch-systematisch verdichtete, durch akademische oder universitäre Lehre vermittelbare Wissenschaft.

 

IV. Wissenschaften

Wo viel Wissen besteht, kann niemand alles wissen. Deswegen entsteht bereits bei der Ausbildung von Wissenschaft ein Bedarf an Aufteilung von Wissenschaft in Einzelwissenschaften. Dazu gliedert schon die europäische Universität des 12. Jahrhunderts in die (im Altertum entwickelten und deswegen lateinisch benannten) artes liberales (freie Künste wie Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie), die Religion, das Recht und die Medizin und damit in die philosophische Fakultät, theologische Fakultät, juristische Fakultät (Bologna) und medizinische Fakultät (Salerno).

 

V. Rechtswissenschaft

Innerhalb dieser verschiedenen Wissenschaften ist Rechtswissenschaft die Wissenschaft des Rechtes, also nicht der Religion, Medizin, Sprache, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Natur oder Technik. Im Mittelpunkt der Rechtswissenschaft steht das Recht als das (nach Ansicht möglichst vieler) Richtige im Streit mehrerer einzelner Menschen um ein Gut oder einen Wert.

 

C) Universität

Universitäten gibt es in Europa wohl seit der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. Der ersten juristischen Universität in Bologna (1088?, 1120?, um 1140?) folgten nach weiteren entsprechenden Einrichtungen in Italien, England, Frankreich und Spanien nördlich der Alpen im deutschsprachigen Raum 1348 Prag, 1365 Wien und 1386 Heidelberg. In Österreich kann Rechtswissenschaft in den fünf größten Städten Wien, Graz (1585), Linz (1966), Salzburg (1622, zeitweise geschlossen) und Innsbruck (1669, zeitweise reduziert) studiert werden, wobei Innsbruck (2008 nach Verselbständigung der Medizinischen Universität insgesamt 72 Studien, 162 Professoren, 2600 Assistenten und sonstige Lehrpersonen, 1300 sonstige Bedienstete, 22700 Studierende) auch Landesuniversität außer für Tirol (Nordtirol und Osttirol) für Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein ist.

Die meisten Universitäten in Mitteleuropa sind staatliche Einrichtungen, die sich aus unterschiedlichen Gründen im Lauf der Geschichte vom Staat verhältnismäßig verselbständigt haben. Sie sind, wenn auch vom Staat Österreich noch um das Jahr 2000 ausdrücklich bestritten, (seit 1. 1. 2004) wie eine Gemeinde eine einigermaßen kompliziert organisierte Rechtsperson eigener Art (juristische Person des öffentlichen Rechtes) mit eigener Rechtspersönlichkeit, d. h. eine auf Dauer angelegte Personenvereinigung, die unabhängig von einem Mitgliederwechsel ist, von ihren Mitgliedern getragen wird und grundsätzlich ihre Angelegenheiten selbst verwaltet, aber auch anstaltliche Züge trägt, so dass der Gesetzgeber eine Entscheidung zwischen Körperschaft und Anstalt nicht getroffen hat. Da die Universität aber keine eigenen Einnahmen (mehr) erzielen kann und soll (s. z. B. Problematik von Studiengebühren), muss sie vom Staat aus dem Staatshaushalt finanziert werden, weshalb der Staat auch ihre rechtlichen bzw. organisationsrechtlichen Grundstrukturen in Universitätsgesetzen ordnet.

Im Rahmen des im Oktober 2002 in Kraft getretenen Universitätsgesetzes Österreichs bestimmt eine Universität ihre Organisation selbst. Nach ihrem jeweiligen Organisationsplan hat sie unterschiedliche Organe und Organisationseinheiten. Die obersten Leitungsorgane sind in Österreich (derzeit) Universitätsrat, Rektorat, Rektor und Senat.

 

I. Zentrale Organe

1. Universitätsrat

Der Universitätsrat ist ein jeweils für fünf Jahre bestelltes Aufsichtsorgan, das aus fünf, sieben oder neun Mitgliedern bestehen kann. Knapp die eine Hälfte der Mitglieder wird vom Staat (Bundesregierung) eingesetzt, knapp die andere Hälfte vom Senat der Universität gewählt, während ein weiteres Mitglied von beiden Gruppen einvernehmlich beigezogen wird. Die wichtigsten Aufgaben sind Wahl und Abberufung von Rektoren und Vizerektoren sowie Prüfung des vom Rektorat erstellten Entwicklungsplans und der so genannten Leistungsvereinbarung der Universität mit dem Staat.

2. Rektorat

Das Rektorat (z. B. Innrain 52, A 6020 Innsbruck) besteht aus dem Rektor und verschiedenen Vizerektoren (z. B. für Forschung, Lehre und Studierende, Infrastruktur oder Personal). Es wird auf vier Jahre gewählt. Die Aufgabenverteilung regelt das Rektorat selbst.

3. Rektor

Der Rektor ist der Vorsitzende des Rektorats. Er ist Dienstvorgesetzter der Universitätsbediensteten, wobei seit 2002 nur noch Angestellte mit Arbeitsverträgen auf Grund eines Kollektivvertrags eingestellt werden, bisherige Beamte (z. B. ordentliche Professoren) aber ihre Stellung als Beamte behalten. Der Rektor vertritt die Universität nach außen.

4. Senat

Der Senat besteht aus (beispielsweise 24 oder 26) Mitgliedern, von denen (mindestens) die Hälfte Professoren sind und je ein Viertel von den wissenschaftlichen Mitarbeitern und den Studierenden bestimmt werden, zu denen ein Vertreter des allgemeinen Universitätspersonals zugezogen wird. Der Senat ist zuständig für den Erlass der Studienpläne (Curricula), die Mitwirkung an Verfahren der Habilitation eines Hochschullehrers und an Verfahren der Berufung eines Bewerbers auf eine zu besetzende Planstelle und für akademische Grade und Zeugnisse.

5. Gesamtheit von Universitätsangehörigen

Die Gesamtheit aller Universitätsangehörigen tritt als solche (neben Universitätsrat, Rektor/Rektorat und Senat) nicht auf, doch gibt es Gruppengesamtheiten, wie z. B. die gesamte Studentenschaft (s. z. B. http://www.oehweb.at) oder die gesamte Studentenschaft einer Universität (z. B. Österreichische Hochschülerschaft Innsbruck). Die österreichische Hochschülerschaft vertritt alle Studierenden insgesamt und am jeweiligen Universitätsort. Es besteht Zwangsmitgliedschaft, so dass jeder Studierende pro Semester einen Zwangsbeitrag leisten muss (Kontakt z. B. info@oeh.cc).

 

II. Organisationseinheiten der Universität mit Forschungsaufgaben und Lehraufgaben

Organisationseinheiten der Universität mit Forschungsaufgaben und Lehraufgaben sind Fakultäten, Institute, Forschungszentren und andere interfakultäre Organisationseinheiten.

1. Fakultät

Die Fakultäten (Fachbereiche) sind die eigentlichen Träger von Forschung und Lehre, d. h. der wissenschaftlichen Aufgaben der Universität. Zu ihren Zuständigkeiten gehören insbesondere die Gestaltung des Unterrichts und der akademischen (d. h. nichtstaatlichen) Prüfungen, die Verleihung akademischer Grade sowie das Vorschlagsrecht zur Besetzung von Lehrstühlen. Je nach ihrer fachlichen Ausrichtung kann sich eine Universität (wie z. B. Innsbruck) in der Gegenwart beispielsweise gliedern in eine Fakultät für Architektur, eine Fakultät für Bauingenieurwissenschaften, eine Fakultät für Betriebswissenschaft, eine Fakultät für Bildungswissenschaften, eine Fakultät für Biologie, eine Fakultät für Chemie und Pharmazie, eine Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften, eine Fakultät für Mathematik, Informatik und Physik, eine Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie, eine Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft, eine Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik, eine katholisch-theologische Fakultät, eine philologisch-kulturwissenschaftliche Fakultät, eine philosophisch-historische Fakultät und eine rechtswissenschaftliche Fakultät, deren Standorte bzw. Gebäude in Innsbruck im Unterschied etwa zu einer Campusuniversität über verschiedene Stadtteile verteilt oder verstreut sind.

Organe der Fakultät sind der Dekan und der Fakultätsrat (Fachbereichsrat, Fachbereichskonferenz) sowie der Fakultätsstudienleiter oder Studiendekan (zur Organisation des Lehr- und Prüfungsbetriebs einer Fakultät mit den Hauptaufgaben der Zuteilung von Lehrveranstaltungen, der Anerkennung positiv beurteilter Prüfungen, des Ausstellens von Zeugnissen, des Verleihens akademischer Grade und des Festsetzens von Prüfungsterminen und zugehörigen Anmeldefristen, tatsächliche Umsetzung vor allem mit Hilfe eines Prüfungsreferats z. B. Innrain 52d, A 6020 Innsbruck, geisteswissenschaftliches Gebäude nordöstlich des Hauptgebäudes der Universität, erstes Obergeschoß, direkt am Inn).

a) Dekan

Der Dekan ist der Leiter und Repräsentant der Fakultät. Er übt die unmittelbare Dienst- und Fachaufsicht für das der Fakultät zugewiesene Personal im Rahmen einer Delegation aus, verfügt über die der Fakultät zugewiesenen Ressourcen, konstituiert den Fakultätsrat und führt die laufenden Geschäfte der Fakultät. Unterstützt wird er in seinen Aufgaben durch Hilfspersonen (Büro z. B. Dekanat-Rechtswiss@uibk.ac.at Innrain 52 A 6020 Innsbruck, [Hauptgebäude der Universität, Erdgeschoß rechts], Fakultätenservicestelle, Dekanatssekretärin oder einen eventuellen Fakultätsassistenten).

Sein Amt erhält er (entweder durch Wahl oder) durch Entscheidung des Rektorats auf Grund eines Vorschlages der Universitätsprofessoren. Wählbar sind (in der Regel nur) Professoren, wobei (in freien Fakultäten) unter den Professoren das Amt auf Grund Wahl im Wechsel entsprechend dem formalen Kriterium der Anciennität (Berufsaltersreihenfolge) umlaufen, andernorts aber wegen der damit verbundenen „Macht“ von Machtpolitikern ohne umfangreiche wissenschaftliche Leistungsnachweise mit allen Mitteln angestrebt werden kann. Die feierliche Anrede des Dekans lautet „Spektabilität“ (unter Kollegen „Spectabilis“).

b) Fakultätsrat

Der Fakultätsrat besteht aus (5-17) Vertretern der verschiedenen Universitätsgruppen (Universitätsprofessoren, Mitarbeiter, Studierende, allgemeines Universitätspersonal) bzw. deren politischen Untergruppen. Seine Zuständigkeit ist begrenzt.

c) Die Fakultätsstudienvertretung vertritt die Interessen der Studierenden einer Fakultät. Jeder Studierende hat das Recht zur Mitarbeit. Die Fakultätsstudienvertretung hält zu Semesterbeginn für Erstsemester ein Tutorium (Einführungsveranstaltung im Ausmaß eines Vormittags) ab und bietet in einem Büro (z. B. Innrain 52 A 6020 Innsbruck, Untergeschoß) sowie über eine Internetseite Studierenden Dienstleistungen an (Beratung, Skripten, Bücherbörse, Jobbörse, Kontakt z. B. jus-oeh@uibk.ac.at).

2. Institut

Institut ist die Gliederung der Fakultät im Hinblick auf eine zweckmäßige Organisation der Lehre, des Lernens und der Forschung. Institute sollen zumindest ein, möglichst aber mehrere wissenschaftliche Fächer in ihrem ganzen Umfang umfassen und zweckmäßige organisatorische Zusammenfassungen nach den Gesichtspunkten von Forschung, Lehre und Lernen sowie Verwaltung bilden. Eine rechtswissenschaftliche Fakultät kann etwa (wie in Innsbruck unter Berücksichtigung nicht offengelegter persönlicher Interessen) gegliedert sein in ein Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht, Wohnrecht und Immobilienrecht sowie Rechtsinformatik, ein Institut für Europarecht und Völkerrecht, ein Institut für italienisches Recht, ein Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre, ein Institut für römisches Recht und Rechtsgeschichte, ein Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie, ein Institut für Unternehmensrecht und Steuerrecht, ein Institut für zivilgerichtliches Verfahren und ein Institut für Zivilrecht, wobei jedes Institut statt einer zentralen, professionell geleiteten Fakultätsbibliothek eine (oft wenig professionell geführte, vielfach privatös orientierte) Institutsbibliothek (mit nicht professionell eingehaltenen Öffnungszeiten) haben kann.

Der Leiter eines Instituts führt die laufenden Geschäfte des Instituts, organisiert den Dienstbetrieb am Institut, übt die Dienst- und Fachaufsicht über das zugeordnete Personal im Rahmen einer Delegation aus und verfügt über die zugewiesenen Mittel. Er konstituiert den Beirat. Er soll verantwortlich für die Qualitätssicherung und die Ergebnisorientierung der Forschung sowie für die Organisation und Sicherstellung des Forschungsbetriebs am Institut sein, so dass sein starkes oder schwaches Leistungsprofil die Leistungsfähigkeit eines Instituts maßgeblich mitgestalten kann.

 

III. Personal

1. Professor

Den Kern der Universitätslehrer bilden die Professoren. Einstellungsvoraussetzungen für Professoren sind vor allem ein (möglichst gut) abgeschlossenes Hochschulstudium, pädagogische Eignung, besondere Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die in der Regel durch die (besondere) Qualität einer Promotion (Dissertation) nachgewiesen wird, und zusätzliche wissenschaftliche Leistungen (z. B. Habilitation bzw. Habilitationsschrift oder gleichwertige wissenschaftliche Leistungen). Die Besetzung einer freien Planstelle erfolgt (zumindest äußerlich) auf Grund einer Ausschreibung in einem besonderen Berufungsverfahren (Verwaltungsverfahren). Hausberufungen örtlicher Bewerber können durchaus bedenklich sein und Fakultäten im Ergebnis provinziell werden lassen.

Von den hauptamtlichen Professoren sind die Honorarprofessoren zu unterscheiden, die eine Lehrtätigkeit nur nebenamtlich neben einer Haupttätigkeit (z. B. als Richter, Verwaltungsjurist oder Rechtsanwalt) ausüben und für ihre zusätzliche Mühe den Titel Professor ehrenhalber (lateinisch honoris causa, h. c.) erlangen können. Von den Professoren können auch Assistenzprofessoren, Juniorprofessoren oder assoziierte Professoren zu trennen sein. Ihre rechtliche Stellung ist jeweils gesondert geregelt. Faktisch ist von den Betroffenen meist eine Angleichung an die beste Stellung angestrebt.

2. Dozent

Die Dozenten sind nach herkömmlichem Hochschulrecht der Nachwuchs an Universitätslehrern, der sich durch die Habilitation besonders qualifiziert hat, aber noch keine Planstelle als Professor erreicht hat (und beispielsweise auch lebenslang nicht erlangen kann und deshalb Dozent bleiben muss). Zur Habilitation gehört zunächst eine Habilitationsschrift, d. h. eine grundlegende wissenschaftliche Untersuchung über ein bestimmtes frei gewähltes Thema, das in einem Zeitraum von durchschnittlich fünf oder mehr Jahren bearbeitet und vom Habilitationsgremium (Habilitationskommission, meist mehrheitlich Hochschullehrer der Fakultät) begutachtet wird. Dem folgen beispielsweise ein Vortrag mit Diskussion im Kreis der bisherigen Universitätslehrer (Kolloquium) und meist ein öffentlicher Vortrag als eine Art Probevorlesung.

Mit der Habilitation wird der Betreffende oft ohne weiteres, evtl. auf Grund besonderer Verleihung Privatdozent und darf im Bereich seiner venia legendi (lat., Lehrbefugnis) in Abstimmung mit den übrigen Universitätslehrern die Lehrveranstaltungen, die diese für ihn freilassen, abhalten. Ein besoldetes Amt vermittelt ihm diese Befugnis nicht. Vielmehr muss er theoretisch so lange von seinem Privatvermögen leben oder, wie es die Regel ist, in seiner Position als Assistent oder sonstiger wissenschaftlicher Bediensteter ausharren, bis er vor allem durch Berufung an eine (auswärtige oder auf Grund von Beziehungen oder Fähigkeiten durch Hausberufung an die eigene) Universität eine Planstelle als Hochschullehrer erlangt.

3. Lehrbeauftragte

Die Lehrbeauftragten sind meist erfahrene Praktiker wie Richter, Rechtsanwälte oder Verwaltungsjuristen, die (tatsächlich auf Grund besonderer persönlicher Beziehungen zu einzelnen Mitgliedern einer Fakultät und) rechtlich auf Grund eines Dienstvertrags nebenamtlich in einem Spezialgebiet zur Ergänzung des Lehrangebotes Unterricht erteilen und vielfach später dafür mit dem den wichtigsten Anreiz für diese Zusatztätigkeit bildenden Titel Honorarprofessor (Prof. h. c.) geehrt werden.

4. Lehrkräfte für besondere Aufgaben und wissenschaftliche Mitarbeiter

a) Soweit überwiegend eine Vermittlung praktischer Fertigkeiten und Kenntnisse erforderlich ist, die nicht die Einstellungsvoraussetzungen für Hochschullehrer erfordert, kann diese hauptberuflich tätigen Lehrkräften für besondere Aufgaben übertragen werden.

b) Wissenschaftliche Mitarbeiter oder Assistenten sind Angestellte mit Verpflichtungen zu wissenschaftliche Dienstleistungen. Sie sollen den Professor, dessen besonderem Aufgabenbereich sie zugewiesen sind, in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit unterstützen und Lehre leisten. Neben diesen Hilfstätigkeiten und Lehrtätigkeiten müssen sie sich in ihrem eigenen Interesse weiter qualifizieren, sei es durch Anfertigung einer Dissertation, sei es durch die Arbeit an einer Habilitationsschrift, sei es durch sonstige Leistungen.

5. Sonstige wissenschaftliche Hilfskräfte

Sonstige wissenschaftliche Hilfskräfte erbringen meist einfachere wissenschaftliche Dienstleistungen (z. B. Vorarbeiten für Veröffentlichungen, Vorkorrekturen von Prüfungsleistungen, Abhaltung von Arbeitsgemeinschaften). Auch sie sollten möglichst gut qualifiziert sein. Kollusion ist allerdings auch hier nicht ausgeschlossen.

6. Nichtwissenschaftliches Personal

Zu nennen sind schließlich noch die sonstigen Bediensteten (technisches Personal), zu denen (in der juristischen Fakultät) vor allem Sekretärinnen zählen.

 

IV. Einrichtungen

1. Rektorat und Dekanat

Unter den Einrichtungen der Universität sind vor allem die Dienststellen der Hochschulorgane zu nennen. So untersteht dem Rektor das Büro des Rektors oder dem Dekan das Büro des Dekans. Ebenso sind den anderen Organen entweder feste Räumlichkeiten und ständiges technisches Personal zugeordnet oder ist ihnen wenigstens deren zeitweise Verwendung eröffnet. Zumindest die Adressen sind dabei jeweils (dem Vorlesungsverzeichnis bzw.) dem Internet entnehmbar.

2. Weitere zentrale Einrichtungen

Daneben gibt es eine Reihe zentraler Einrichtungen der Universität, die nicht bestimmten Organen zugeordnet sind.

Eine wichtige zentrale Einrichtung der Universität ist die Universitätsbibliothek unter einem eigenen Bibliotheksdirektor (z. B. in Innsbruck Hauptbibliothek Innrain 50 A 6020 Innsbruck, daneben räumlich abgetrennte Fakultätsbibliotheken und privatöse Institutsbibliotheken). Die Universitätsbibliothek Innsbruck hat als drittgrößte Bibliothek Österreichs (2010) einen Bestand von rund 3500000 Bänden, 7175 abonnierten gedruckten Zeitschriften, 14000 lizenzierten elektronischen Zeitschriften und mehr als 100 Datenbanken für rund 23000 aktive Benutzer, deren Schulung regelmäßig praktisch hilfreiche Führungen dienen. Bibliothekseinheiten können entweder als Präsenzbestand in den Lesesälen, als Ortsausleihe (in Innsbruck jährlich rund 700000 Ausleihen) oder per Fernleihe (in Innsbruck jährlich rund 12000 Fernleihen) aus auswärtigen Bibliotheken benutzt werden.

Psychologische Beratungsstelle

Für Studierende bedeutsam kann auch eine psychologische Beratungsstelle sein (z. B. https://www.studierendenberatung.at/standorte/innsbruck/ueberblick/, psycholog-studenten­bera­­tung­@­uibk.ac.at, in Innsbruck Schöpfstraße 3 hinterer, westseitiger Eingang).

Weitere zentrale Einrichtungen sind das Universitätsarchiv, das Schriftgut der Universität in Auswahl aufbewahrt, oder das Hochschulrechenzentrum (EDV-Zentrum), das in Kursen Wissen über die automatisierte Datenverarbeitung vermittelt. Im Einzelfall berät es auch über hierher gehörige Einzelfragen.

Dem Abbau von Stress kann auch die allen Universitätsmitgliedern eröffnete Nutzung des Sportinstituts der jeweiligen Universität dienen (Universitätssportinstitut).

Zur Pflege der auswärtigen Beziehungen besteht meist ein Akademisches Auslandsamt (Österreichischer akademischer Auslandsdienst), das einerseits ausländische Gäste betreut und andererseits Beziehungen ins Ausland vermittelt.

An manchen Orten gibt es eine eigene Universitätskirche und andere gemeinschaftliche Einrichtungen wie besondere Vorlesungsgebäude (Kollegienhäuser), eine Aula (Versammlungsraum) oder einen größten Vorlesungsraum (Auditorium maximum, Audimax).

3. Prüfungsamt

Für die besonderen universitären Prüfungen (Fachprüfungen im Gegensatz zu Lehrveranstaltungsprüfungen) sind die universitären Prüfungsämter zuständig. Sie nehmen Anmeldungen und Abmeldungen (innerhalb der üblichen Öffnungszeiten in Person und durch Telefon, sonst durch Schreiben wie etwa e-mail, z. B. pruefungsreferat@uibk.ac.at, stets Matrikelnummer und Studienrichtung angeben) entgegen. Die dafür jeweils gesetzten Fristen sind in eigenem Interesse einzuhalten, weil andernfalls deutliche Nachteile wie etwa der Ausschluss von einem Prüfungstermin drohen, sofern nicht unverschuldete Nichteinhaltung nachgewiesen wird.

 

D) Studium

I. Voraussetzungen

Für die Aufnahme eines rechtswissenschaftlichen Studiums bestehen bestimmte Voraussetzungen. Sie können sich von Universität zu Universität unterscheiden. Allgemeine Zulassungsvoraussetzung ist die Hochschulreife, die durch ein Reifezeugnis (Maturazeugnis, Abiturzeugnis) einer höher bildenden Schule oder durch einen als gleichwertig erwiesenen Nachweis erfüllt wird. Außerdem muss die Sozialversicherungskarte vorgelegt und muss ein Meldeblatt ausgefüllt werden.

Tatsächlich besonders geeignet ist für das Studium der Rechtswissenschaft, wer voraussichtlich rasch und gründlich ermitteln, entscheiden, begründen und darstellen kann. Anzeichen hierfür können gute Kenntnisse und Fähigkeiten in Deutsch, Fremdsprachen und Mathematik sein. Wer sie hat, wird (freilich überhaupt grundsätzlich) für alle Studien geeignet sein.

Das Studium an der Universität erfordert die Einschreibung (Inskription, Immatrikulation) in das Verzeichnis der Studierenden der jeweiligen Universität (Universitätsmatrikel). Hierfür ist die Studienabteilung der Universität zuständig. Sie befindet sich in Innsbruck im Erdgeschoß des Hauptgebäudes der Universität (Innrain 52, Nordseite).

Die Immatrikulation erfolgt meist im ersten Semestermonat (für das Wintersemester im Oktober, für das Sommersemester im März). Erforderliche Formulare sind im Internet und in der Studienabteilung einsehbar bzw. erhältlich. Mit der Immatrikulation erhält der Studierende eine eigene, dauerhafte Matrikelnummer und einen Studentenausweis.

Einen Gegensatz zur Immatrikulation bildet die Exmatrikulation, mit deren Hilfe der Studierende die Universität rechtlich ordnungsgemäß wieder verlässt.

Möglich ist die staatliche oder private Förderung des grundsätzlich von den Eltern des Studierenden oder vom Studierenden selbst zu finanzierenden Studiums durch Studienbeihilfe oder Stipendium.

Eltern, die österreichische Staatsbürger sind und einen Wohnsitz oder ihren ständigen Aufenthalt in Österreich haben und deren Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet Österreichs liegt, vermitteln (österreichischen Studenten) den Anspruch auf Familienbeihilfe. Zuständig für die Auszahlung und die Bearbeitung der Anträge auf Familienbeihilfe ist das Finanzamt. Für Studenten (bzw. Kinder in Berufsausbildung) endet der Anspruch auf Familienbeihilfe jedoch grundsätzlich spätestens mit Vollendung des 24. Lebensjahres. Im Hinblick auf EU/EWR-Bürger ist – unter Anwendung des Beschäftigungslandprinzips – der Staat zur Zahlung der Familienleistungen verpflichtet, in dem ein Elternteil (selbständig oder nichtselbständig) erwerbstätig ist. Im Ergebnis bekommen ausländische Studenten daher in Österreich grundsätzlich keine Familienbeihilfe.

 

Gemeinsam mit der Familienbeihilfe (ein Kind ab 19 Jahren erhält monatlich 152,70 Euro) wird – ohne dass ein gesonderter Antrag erforderlich wäre – auch der Kinderabsetzbetrag in Höhe von 58,40 Euro pro Kind und Monat ausgezahlt. Die Überweisung erfolgt in einer Summe alle zwei Monate jeweils für einen Monat im Voraus.

 

Die Familienbeihilfe wird für die gesetzliche Mindeststudiendauer und ein Toleranzsemester pro Studienabschnitt bzw. für die gesetzliche Mindeststudiendauer und ein Studienjahr bei Studien ohne Abschnittsgliederung gewährt. Wird ein Studienabschnitt innerhalb der gesetzlichen Studiendauer absolviert, kann das nicht konsumierte Toleranzsemester in einem weiteren Studienabschnitt verbraucht werden.

 

Für das erste Studienjahr ist ein Studienerfolgsnachweis über acht Wochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten aus Wahlfächern oder Pflichtfächern des betriebenen Studiums oder eine Teilprüfung der ersten Diplomprüfung zu erbringen (einmaliger Leistungsnachweis). In den nachfolgenden Studienjahren wird das Finanzamt prüfen, ob das Studium ernsthaft betrieben wird.

 

Es sind maximal zwei Studienwechsel möglich. Wird öfters gewechselt, erlischt der Anspruch auf die Familienbeihilfe. Ein Studienwechsel darf spätestens nach dem zweiten fortgesetzt gemeldeten Semester vorgenommen werden. Bei einem späteren Studienwechsel entfällt die Familienbeihilfe jedoch nicht endgültig, sondern nur im Ausmaß der bereits insgesamt zurückgelegten Studiendauer, soweit hiefür durchgehend die Familienbeihilfe bezogen wurde

 

Bezieht ein Student eigene Einkünfte, so darf das zu versteuernde Gesamteinkommen den Betrag von 10.000 Euro ab 2011 pro Jahr  nicht übersteigen. Eine Broschüre dazu kann von der Homepage des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend (www.bmwfj.gv.at) herunter geladen werden.

 

Für teilweise berufstätige Studenten empfiehlt sich die Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung, weil das steuerfreie Basiseinkommen für Arbeitnehmer 12.000 Euro und für Selbständige 11.000 Euro beträgt. Das bedeutet, dass ein Studierender, der einer Ferialarbeit im Sommer nachgeht, in der Regel die gesamte Lohnsteuer durch eine Arbeitnehmerveranlagung zurück erhalten wird. Es kann dabei sogar zu einer Erstattung von 10% der Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung kommen, wobei diese so genannte Negativsteuer maximal 110 Euro beträgt. Weiter kann ein berufstätiger Student unter der Voraussetzung, dass die Studienkosten Umschulungskosten sind, die Aufwendungen (Fachliteratur, Studiengebühren u. s. w.) als Werbungskosten von der Steuer absetzen und erhält dadurch eine Gutschrift. Die Arbeitnehmerveranlagung kann auch von zu Hause aus bequem über FinanzOnline durchgeführt werden. Informationen dazu findet man auf der Homepage des Bundesministeriums für Finanzen (www.bmf.gv.at). Unter dem Menüpunkt Publikationen sind verschiedene Ratgeber herunterladbar wie z. B. Das Steuerbuch 2011 – Tipps zur Arbeitnehmerveranlagung 2010 für Lohnsteuerzahler bzw. Lohnsteuerzahlerinnen.

Eine bei sozialer Förderungswürdigkeit (z. B. 2010 Bruttoeinkommen unter 8000 Euro im Jahr) und günstigem Studienerfolg (15 Punkte ECTS pro Semester) mögliche Studienbeihilfe muss bei der Studienbeihilfebehörde besonders beantragt werden (z. B. auch so genanntes Selbsterhalterstipendium für Studierende, die sich vor erstmaligem Bezug einer Studienbeihilfe vier Jahre lang mit mindestens 7272 Euro jährlich selbst erhalten haben). Kontaktdaten für Stipendien sind (in Innsbruck) http://www.stipendium.at, stip.ibk@stbh.gv.at, Andreas-Hofer-Straße 46 (2. Stock) A 6020 Innsbruck (z. B. Leistungsstipendium bei überdurchschnittlichem Studienerfolg bzw. Notendurchschnitt bis 1,5 in mindestens 20 bzw. 15 Semesterwochenstunden).

 

II. Studiengang

Für den Ablauf des Studiums gibt es einen von Universität und Fakultät im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften festgelegten Studienplan. Er legt mit gewissen Wahlmöglichkeiten fest, wie das Studium durchgeführt werden muss. Die unterschreitbare und überschreitbare Maßstudiendauer (Regelstudiendauer) des Studiums der Rechtswissenschaft beträgt (abweichend von den Bolognakriterien) herkömmlicherweise acht Semester, die in Österreich seit langem in drei Studienabschnitte eingeteilt sind.

1. Erster Studienabschnitt

Der erste Studienabschnitt hat eine Maßstudiendauer (Regelstudiendauer) von zwei Semestern. Es sind acht, wahlweise neun Prüfungen abzulegen. In Innsbruck sind die einzelnen zugehörigen Fächer Einführung in die Rechtswissenschaft, juristische Informations- und Arbeitstechnik, Wirtschaft, Rechtsgeschichte, römisches Privatrecht, Übung wahlweise aus Rechtsgeschichte oder römischem Privatrecht (zulässig sind auch beide Übungen nebeneinander oder nacheinander), Strafrecht und Strafverfahrensrecht, Übung aus Strafrecht und Strafverfahrensrecht.

Davon wird die Einführung in die Rechtswissenschaft meist von Privatrechtlern oder Öffentlichrechtlern angeboten. Dementsprechend sind die Lehrveranstaltungen überwiegend einseitig. In der Lehrveranstaltung muss ein Lehrveranstaltungsnachweis schriftlich oder mündlich erbracht werden, wobei eigene Laufzettel (Formular im Internet) die Teilnahme an mehreren Lehrveranstaltungen gleichzeitig ausschließen sollen.

In der juristischen Informations- und Arbeitstechnik werden digitale Grundfertigkeiten vermittelt. Es ist ein Lehrveranstaltungsnachweis zu erbringen, der teilweise durch Gruppenhausarbeiten erlangt werden kann. Teilweise genügen mündliche Prüfungen.

Die Lehrveranstaltung Wirtschaft soll betriebswirtschaftliches und volkswirtschaftliches Verständnis verschaffen. Sofern es bereits durch Vorbildung nachgewiesen werden kann, ist eine Anerkennung dieser Leistungen durch das Prüfungsamt möglich. Im Übrigen muss eine Fachprüfung erfolgreich bewältigt werden.

Die Prüfungen in Rechtsgeschichte und in römischem Recht sind (mündliche) Fachprüfungen, wobei in Innsbruck die Fachprüfung in Rechtsgeschichte (zwar nicht notwendigerweise, aber üblicherweise) überwiegend am Ende des ersten Studiensemesters abgelegt wird, die Fachprüfung im römischen Recht am Ende des zweiten Studiensemesters. Voraussetzung für die Fachprüfung in römischem Recht sind ausreichende Lateinkenntnisse, die durch Schulzeugnisse oder eine besondere Ergänzungsprüfung nachgewiesen werden müssen. Zur (jeweils) zweiten Prüfung der beiden Fachprüfungen aus Rechtsgeschichte und aus römischem Recht kann nur antreten, wer einen Übungsschein aus (einer Übung aus) Rechtsgeschichte oder aus römischem Recht erworben hat, der (aus bürokratischen Überlegungen) spätestens vier Wochen nach Bestehen der betreffenden Fachprüfung dieses Faches (z. B. Rechtsgeschichte) (und vor Antritt zur zweiten dieser beiden Fachprüfungen) erworben worden sein muss. (Beispiel: Fachprüfung Rechtsgeschichte 25. Januar bestanden, Übungsschein Rechtsgeschichte muss binnen den nächsten vier Wochen erworben werden, sonst muss [zusätzlich] der Übungsschein aus römischem Recht vor der Prüfung in römischem Recht erlangt werden, so dass es sich empfiehlt, die Übung in der Rechtsgeschichte im ersten Semester zu besuchen und dort einen Übungsschein zu erwerben).

Das Fach Strafrecht und Strafverfahrensrecht war (auch in Innsbruck) ursprünglich nicht Teil des ersten Studienabschnitts. Es ist aber in Innsbruck in diesen bei der letzten Studienreform aufgenommen worden. Es umfasst die Lehrveranstaltungen Strafrecht allgemeiner Teil 1 (Straftat, Tatbestände), Strafrecht allgemeiner Teil 2 (Sanktionen, Rechtsfolgen), Strafrecht besonderer Teil 1, Strafrecht besonderer Teil 2, Strafverfahrensrecht und Übung aus Strafrecht, wobei der Erwerb des Übungsscheins Strafrecht und Strafverfahrensrecht Voraussetzung für die Zulassung zur Fachprüfung im Fach Strafrecht und Strafverfahrensrecht ist.

2. Zweiter Studienabschnitt

Der zweite Studienabschnitt besteht nach dem Studienplan aus vier Semestern. Er hat ohne wirklich überzeugende systematische Trennung einen zivilrechtlichen oder privatrechtlichen Teil (Sektor) und einen öffentlichrechtlichen Teil (Sektor). Demnach besteht er (im zivilrechtlichen Teil) aus den Fächern bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht, Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht, zivilgerichtliches Verfahrensrecht und Übung aus einem zivilgerichtlichen Fach einerseits und (im öffentlichrechtlichen Teil) aus den Fächern Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Finanzrecht und Übung aus einem öffentlichrechtlichen Fach andererseits.

In allen genannten Fächern muss eine (mündliche oder schriftliche) Fachprüfung bestanden werden. Zusätzlich sind die beiden Übungsscheine erforderlich. Außerdem muss an einem Seminar aus Strafrecht oder aus einem der Fächer des zweiten Abschnitts teilgenommen werden und kann bereits eine Diplomarbeit begonnen oder verfasst werden.

3. Dritter Studienabschnitt

Der dritte Studienabschnitt hat nach dem Studienplan eine Maßstudiendauer (Regelstudiendauer) von zwei Semestern. Er umfasst das Fach Rechtsphilosophie, einen nur ausnahmsweise zeitlich vorziehbaren regulären Wahlfächerkorb von fünfzehn Semesterwochenstunden und einen freien und frei vorziehbaren Wahlfächerkorb von 13 Semesterwochenstunden (aus dem Lehrangebot aller anerkannten inländischen oder ausländischen Universitäten, z. B. wiederholte Übung, Sprachkurs, nicht Volkshochschulkurs oder Lateinzusatzprüfung). Spätestens im dritten Studienabschnitt muss eine Diplomarbeit (im Umfang von durchschnittlich 50-100 Seiten) verfasst werden.

 

III. Lehrveranstaltungsverzeichnis

Vom 16. Jahrhundert bis etwa 2000 wurden an den Universitäten gedruckte Vorlesungsverzeichnisse (Lehrveranstaltungsverzeichnisse) hergestellt. Seit etwa 2000 hat das digitale Lehrveranstaltungsverzeichnis im Internet das gedruckte Vorlesungsverzeichnis abgelöst. Für Innsbruck ist es unter https://lfuonline.uibk.ac.at/public/lfuonline_lv.home auf der Internetseite der Universität rechts oben unter Vorlesungsverzeichnis aufzufinden (für den Winter jeweils etwa ab August, für den Sommer jeweils etwa ab Februar).

Die im Interesse der Studierenden abgehaltenen Lehrveranstaltungen (Hören und Sehen ist besser als nur Sehen) finden meist in Hörsälen, Seminarräumen oder sonstigen Räumen (z. B. Containern) statt. Jeder Studierende kann innerhalb des jeweiligen Studienabschnitts frei zwischen den angebotenen Lehrveranstaltungen wählen, muss sich aber möglicherweise anmelden und dafür festgesetzte Fristen beachten. Grundsätzlich besteht Anwesenheitspflicht in den vom Steuerzahler finanzierten Pflichtlehrveranstaltungen, doch erfolgt deren Überprüfung in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat in unterschiedlicher Art.

Die Fachschaft Jus in Innsbruck bietet das Heft News for Jus mit Lehrveranstaltungsverzeichnis und sonstigen Hinweisen für 2 Euro an.

 

E) Prüfungen

Prüfungen sind entweder Lehrveranstaltungsprüfungen (z. B. in der Lehrveranstaltung Einführung in die Rechtswissenschaft) oder Fachprüfungen (z. B. Rechtsgeschichte). Sie sind entweder schriftlich oder mündlich oder schriftlich und mündlich kombiniert. Lehrveranstaltungsprüfungen können beliebig wiederholt werden, Fachprüfungen nach einem ersten Misserfolg nur dreimal an jeder Universität, wobei mindestens der letzte Versuch vor einem Prüfungskommission abzulegen ist. Ohne das Bestehen aller vorgeschriebenen Prüfungen ist ein erfolgreicher Abschluss des Studiums nicht möglich.

Für Prüfungen gibt es in Österreich fünf Noten. Sie lauten sehr gut, gut, befriedigend, genügend und nicht genügend. An öffentlichen Notenaushängen lässt sich ersehen, dass das Prüfungsergebnis sehr unterschiedlich ausfallen kann und manche Prüfer besonders schlechte oder besonders gute Ergebnisse erzielen oder wohl bewusst erzielen wollen.

 

F) Lehrveranstaltungsplan

Die Einführung in die Rechtswissenschaft soll in die gesamte Rechtswissenschaft einführen und nicht nur vorrangig in einen Teilbereich. Der Umfang der gesamten Rechtswissenschaft ergibt sich aus dem Studienplan. Dementsprechend sind unter Berücksichtigung von Möglichkeiten und Bedürfnissen der Studienanfänger grundsätzlich alle Studienfächer gleichgewichtig zu behandeln.

Die Einführung kann aber nur einen begrenzten Überblick bieten, weil der gesamte Rechtsstoff sehr umfangreich ist, die verfügbare Zeit knapp und das Verständnis durchschnittlicher Anfänger notwendigerweise begrenzt („wer bereits alles weiß, benötigt kein Studium und erst recht keine Einführung mehr“). Deswegen muss sich die Einführung auf die Grundzüge beschränken. Die besonderen Einzelheiten sind den nachfolgenden Lehrveranstaltungen vorzubehalten.

In diesem Rahmen stehen in einem Semester unter Berücksichtigung von Ausfallzeiten durchschnittlich 14 Semesterwochen zu je drei Semesterwochenstunden zur Verfügung. Zieht man hiervon vier Semesterwochen für zwei Klausuren und zwei Klausurbesprechungen ab, so verbleiben zehn Semesterwochen. Davon sind am besten zwei den allgemeinen Grundlagen bzw. dem Stoff des ersten Studienabschnitts zu widmen und unter Beachtung wissenschaftlicher Systematik je vier dem öffentlichen Recht (Verfassung, Verwaltung, Verfahren, Strafe) und dem privaten Recht (Allgemeines bzw. Person, Schuld, Sache, Sonstiges) des zweiten Studienabschnitts.

 

G) Lehrveranstaltungsprüfung

Die Lehrveranstaltungsprüfung Einführung in die Rechtswissenschaft erfolgt regelmäßig als Klausur gegen Semesterende in unterschiedlich ausgestalteter Form. Dabei sind in zwei Klausuren beispielsweise jeweils etwa 50 Fragen möglich, für die jeweils bis zu 2 Punkte vergeben werden können. Für eine genügende Note muss mehr als die Hälfte der Fragen richtig beantwortet sein.

 

H) Literatur

I. Allgemein

1. Arten

In der juristischen Literatur lassen sich zahlreiche Arten von Werken unterscheiden.

Lehrbuch ist das der Lehre eines juristischen Gegenstands dienende Buch. Es kann als Grundriss auf die wichtigsten Grundzüge eines Faches beschränkt sein oder als Handbuch möglichst alle Einzelfragen erschöpfend behandeln. Stets bemüht sich das Lehrbuch um eine systematische Darstellung des Stoffes (z. B. Schuldrecht).

Kommentar ist die Erklärung eines Gesetzestexts in der Reihenfolge der Vorschriften des Gesetzes (z. B. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) unter Berücksichtigung der Entscheidungen der Gerichte und der Lehrmeinungen von Wissenschaftlern. Kurzkommentare erstreben Kürze. Großkommentare bemühen sich um Erfassung vieler Einzelheiten und benötigen daher auch für schlanke Gesetze oft zahlreiche Bände.

Monographie ist die wissenschaftliche Behandlung eines einzelnen Gegenstands (z. B. Kündigung). Monographien sind beispielsweise die Diplomarbeiten und die Dissertationen. Angestrebt wird dabei meist auch die neue wissenschaftliche Erkenntnis.

Aufsatz ist die kurze, nicht als eigene bibliothekarische Einheit veröffentlichte Monographie. Der Aufsatz erscheint nur als Teil eines größeren Werkes. Sammelbände enthalten meist nur Aufsätze, Zeitschriftenbände meist auch Aufsätze.

Urteil ist die Entscheidung eines Rechtsstreits. Seit der frühen Neuzeit wird die Veröffentlichung der schriftlichen Fassung eines Urteils üblich und notwendig. Urteile werden in Zeitschriften und in Urteilssammlungen veröffentlicht.

Gesetzestext ist der Text (Wortlaut) eines Gesetzes (z. B. Bundes-Verfassungsgesetz, Konsumentenschutzgesetz), das auch als Ordnung (z. B. Zivilprozessordnung) oder Gesetzbuch (z. B. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, Strafgesetzbuch) bezeichnet sein kann. Bei den Römern wurde das Zwölftafelgesetz (451/450 v. Chr.) auf zwölf Tafeln auf dem Markt für jedermann einsehbar aufgestellt. In der Gegenwart ist die Veröffentlichung des Gesetzestexts im amtlichen Gesetzblatt (z. B. Bundesgesetzblatt) der letzte notwendige Teil des Gesetzgebungsverfahrens.

Rezension ist die Beurteilung eines Werkes durch einen Sachverständigen. In erster Linie werden Lehrbücher, Kommentare und Monographien rezensiert. Rezensionen werden vor allem in Zeitschriften abgedruckt oder im Internet veröffentlicht.

Zeitschrift ist die regelmäßige periodische Veröffentlichung im Druck oder im Internet. Zeitschriften enthalten vielfach Aufsätze, Urteile und Rezensionen. Wie Zeitungen können sie am ehesten aktuell sein (und auch Werbung enthalten).

Im digitalen Zeitalter können alle Veröffentlichungen nicht nur auf Papier, sondern auch elektronisch erfolgen. Dadurch ist größtmögliche Aktualität gewährleistet. Weltweit tagesaktuell die wichtigsten juristischen Nachrichten in aller Kürze (jeweils in einem Satz) enthalten beispielsweise die kostenlos im Internet veröffentlichten und darüber hinaus auf Wunsch von jedermann kostenlos per e-mail beziehbaren digitalen jusnews (http://www.koeblergerhard.de/).

2. Fundorte

Literatur wird in erster Linie in Bibliotheken gesammelt, aufbewahrt und Interessenten zur Verfügung gestellt. Die Benutzung wird allgemein durch staatliche Mittel ermöglicht und ist daher für jedermann grundsätzlich kostenlos. Wichtige Werke (z. B. Zeitschriften) müssen in der Bibliothek selbst ohne Möglichkeit häuslicher Ausleihe benutzt werden, weniger wichtige Werke (z. B. Monographien) können auch ausgeliehen werden.

Im digitalen Zeitalter ist Nutzung von Literatur auch im Internet möglich (s. z. B. Google Books). Sie ist vielfach als solche kostenfrei (sog. open access), wobei die tatsächlich entstehenden Kosten über staatliche Unterstützung oder über Werbung (z. B. Google) beglichen werden. Verfasser und sie bewirtschaftende Verleger streben aber die kostenpflichtige Nutzung an (pay IT), wobei u. a. die technische Umsetzung noch Schwierigkeiten bereitet.

Der Erwerb gedruckter Literatur erfolgt überwiegend über die Buchhandlung, die inzwischen auch im Internet tätig ist. Deren Verkaufsraum enthält vielfach einen guten Überblick über die leicht verfügbare aktuelle Literatur. Seltenere Literatur kann dort durch Bestellung in umfassenderen Buchhandelssystemen erworben werden.

Den schnellsten und meist besten Überblick über die (deutschsprachige juristische) Literatur bieten Internetkataloge (z. B. der Karlsruher virtuelle Katalog, http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html). Sie ermöglichen die Suche nach bereits bekannten Verfassern oder Titeln oder nach unbekannten Werken unter allen möglichen Schlagwörtern. Durch vielfältige Verlinkung ist von jedem Standort aus im Internet weltweite Literatursuche möglich, so dass die größten Schwierigkeiten in der Gegenwart nicht mehr im Finden, sondern im Auswählen des wirklich Wichtigen bestehen.

3. Zitierweise im wissenschaftlichen Schrifttum

Im wissenschaftlichen Schrifttum muss jedermann jeden nicht von ihm selbst stammenden, sondern aus einer Vorlage entnommenen Gedanken durch ein Zitat nachweisen (andernfalls Plagiatsverdacht). Dies erfolgt auf Grund hergebrachter, tatsächlich sinnvoller, dem Nutzen des Lesers dienender Konvention innerhalb des Textes vereinfacht durch Fußnoten oder Anmerkungen, am Anfang oder Ende des gesamten Textes in zusammenfassenden, ausführlicheren, am einfachsten alphabetisch zu ordnenden Literaturverzeichnissen.

Lehrbücher, Kommentare und Monographien werden dabei in Literaturverzeichnissen grundsätzlich nach Familiennamen von Verfassern, Titel, Auflage und Erscheinungsjahr zitiert. Fehlt ein Verfasser, so tritt (am besten) der Sachtitel des Werkes an die erste Stelle und folgt danach der Herausgeber. Herkömmlicherweise nicht angegeben werden Berufstitel des Verfassers oder Herausgebers (z. B. Magister, Doktor, Professor u. s. w.), Verlag, Erscheinungsort, die Tatsache, dass es sich um die erste Auflage eines Werkes handelt (anders bei 2. Auflage und weiteren Auflagen), und gesamte Seitenzahl eines Werkes (anders aber zur sachgemäßen Unterrichtung gleich unten).

Aufsätze (und Rezensionen) werden nach Familiennamen der Verfasser, Titel und Fundort zitiert. Ist der Fundort eine Zeitschrift, so sind (Bandzahl,) Erscheinungsjahr und Seitenzahl anzugeben. Entscheidend ist im Zweifel, dass der fremde Gedanke mit Hilfe der Angaben eindeutig, leicht und schnell vom Nutzer im gesamten Schrifttum gefunden und überprüft werden kann.

Die Angabe eines Vornamens eines Verfassers oder Herausgebers kann insbesondere bei sehr häufigen Familiennamen sehr hilfreich sein. Im Zweifel sollte der Zitierende einheitlich verfahren. Ein Mittelweg kann die Angabe eines abgekürzten Vornamens sein.

S. auch Abkürzungs- und Zitierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtlicher Rechtsquellen (AZR) samt Abkürzungsverzeichnis, hg. im Auftrag des Österreichischen Juristentages, begründet v. Friedl, G./Loebenstein, H. bearb. v. Dax, P./Hopf, G., 7. A. 2012.

 

II. Lehrveranstaltung

Eine überzeugende aktuelle Lerngrundlage der Einführung in die Rechtswissenschaft gibt es bisher in der Studienliteratur Österreichs nicht. Empfohlen werden von Lehrveranstaltungsleitern in unterschiedlicher Auswahl (in Ordnung nach Sachgebieten) die

(Gesetzestexte) Kodex Einführungsgesetze ABGB und B-VG, 9. A. 2012 (382 S.), 10. A. 2013

Stolzlechner, H., Einführung in das öffentliche Recht, 6. A. 2013 (447 S., für Anfänger einerseits inhaltlich zu umfangreich und andererseits wegen der Beschränkung auf das öffentliche Recht zugleich zu wenig)

Raschauer, B., Öffentliches Recht - Einführung in die Rechtswissenschaften und ihre Methoden Teil 1 12. A. 2013 (98 S.) (nur öffentliches Recht und deswegen zu wenig)

Markl, C./Pittl, R., Einführung in das Privat- und Wirtschaftsrecht, 3. A. 2010 (528 S., für Anfänger zu umfangreich und zugleich wegen der Beschränkung auf Privatrecht zu wenig)

(Barta, H.) Onlinelehrbuch Zivilrecht http://www.uibk.ac.at/zivilrecht/buch (Barta, H., Zivilrecht, 2000 [615 S.] für Anfänger zu umfangreich und zugleich wegen der Beschränkung auf Privatrecht zu wenig)

Köbler, G., Juristisches Wörterbuch, 15. A. 2012 (alle Rechtsgebiete)

Fachwörterbuch Einführung in die Rechtswissenschaften, hg. v. Piska, C./Frohner, J., 2009

Wer diese Werke (z. B. mit Word) alphabetisch ordnet, hat als unverbindliches Muster ein erstes kleines juristisches Literaturverzeichnis.

 

I) Ratschläge

Der Studierende sollte in der schwierigen, aber auch schönen Wechsellage zwischen geführter, sicherer Schule und freiem, eigenverantwortlichem Universitätsstudium alle ihm zugänglichen Orientierungshinweise ruhig und angstfrei überdenken. Im Zweifel sollte er neugierig sein und fragen, aber nicht andere Fragensteller wegen vermeintlich unkluger Fragen auslachen. Er sollte sich seinen gesunden Menschenverstand bewahren für einen spielerischen Umgang mit den durch Vorarbeiten, Zuhören, Lesen und Nacharbeiten erfassbaren juristischen Lösungsbausteinen.

Wichtiger als bloßes mechanisches Auswendiglernen ist eigenes Verstehen, das als genetisches Lernen besonders in Seminaren möglich ist. Sehr hilfreich kann der mehrmalige Besuch einer Übungen in verschiedenen Semestern oder mehrerer Übungen verschiedener Dozenten im gleichen Semester sein. Auf eine Prüfung kann auch das Zuhören bei öffentlich abgehaltenen Prüfungen vorbereiten.

Im Zweifel stehe ich selbst für Fragen jedermann jederzeit zur Verfügung. Am leichtesten bin ich über gerhard.koebler@uibk.ac.at oder weristwer@imdeutschenrecht.de erreichbar. Weitere Daten bietet meine über verschiedene Zugänge (z. B. Google) aufrufbare Internetseite http://www.koeblergerhard.de.

Jedermann darf mir über alle Medien auch stets Vorschläge unterbreiten. Für jeden gut gemeinten Hinweis bin ich jedermann dankbar. Sehr gerne arbeite ich mit besonders interessierten Studierenden auch vertieft bei der Erarbeitung verbesserter Lerngrundlagen zusammen.


§ 2 Recht

A) Wesen

B) Dimensionen

C) Arten

D) Gestalt

E) Anwendung

F) Quelle

 

A) Wesen

Gegenstand der Rechtswissenschaft als einer Wissenschaft ist das Recht. Deswegen muss als erstes sein Inhalt ermittelt werden. Hierfür ist auf Grund seiner Komplexität im Gegensatz zu einfacheren Gegenständen wie z. B. einem Bleistift, einem Fahrrad oder einem Hemd eine vorsichtige Annäherung nötig.

Danach lässt sich Recht als bestimmter Bereich des zivilisierten menschlichen Lebens bestimmen. Er ist als solcher trotz vieler Unterschiede in zahllosen Einzelheiten in der Gegenwart weltweit anerkannt. Englisch wird das Recht als law, französisch als droit, italienisch als diritto, spanisch als derecho, portugiesisch als direito, lateinisch als ius, griechisch als dikaio, russisch als prawo, türkisch als hukuk, japanisch als ho oder chinesisch als fa bezeichnet, wobei es trotz unterschiedlichster Benennungen sachlich im Großen und Ganzen um denselben Gegenstand geht.

Dieser Bereich des zivilisierten menschlichen Lebens lässt sich von anderen Bereichen deutlich trennen. Er betrifft nicht Gott oder Götter wie etwa die Religion, nicht die Gesundheit wie etwa die Medizin, nicht die Geschicklichkeit wie etwa der Sport, nicht das Geld wie etwa die Wirtschaft und auch nicht Geräte wie etwa die Technik. Im Mittelpunkt dieses besonderen Bereichs zivilisierten menschlichen Zusammenlebens steht vielmehr die Gerechtigkeit.

Deswegen fragt sich als nächstes, was eigentlich Gerechtigkeit (lateinisch iustitia) ist. Diese Frage lässt sich vereinfachen in die Fragen etwa nach der gerechten Note, nach dem gerechten Preis oder Lohn oder auch nach dem gerechten Krieg. Die gerechte Note ist im Idealfall beispielsweise gegeben, wenn sie der Beurteilte, der Beurteiler und die Allgemeinheit als richtig anerkennen, so dass sich Gerechtigkeit als richtiger Zustand innerhalb der (jeweiligen) zivilisierten menschlichen Gesellschaft beschreiben lässt.

Obwohl sich angesichts der unterschiedlichen Interessen der Beteiligten (z. B. eines Klägers und eines Beklagten) dieser Zustand im Einzelfall nicht leicht erreichen lässt, besteht seit der griechischen Antike allgemeine Übereinstimmung darüber, dass sich zwei Arten von Gerechtigkeit unterscheiden lassen. Austeilende (distributive) Gerechtigkeit ist im Verhältnis zwischen Allgemeinheit und Einzelnem erforderlich, so dass allgemein bei Rechten wie Pflichten (gerechterweise) Gleiches gleich zu behandeln ist (Gleichheitsgrundsatz). Ausgleichende (kommutative) Gerechtigkeit betrifft das Verhältnis der Einzelnen zueinander, so dass der eine Einzelne den von ihm am Vermögen des anderen Einzelnen in bestimmter Weise verursachten Schaden gerechterweise ausgleichen oder ersetzen muss (Schadenersatz).

Auch wenn sich wegen der unterschiedlichen Interessen der Beteiligten ein richtiger Zustand innerhalb der (jeweiligen) zivilisierten menschlichen Gemeinschaft nicht in jedem Fall eindeutig herstellen lässt und deswegen im Einzelfall (objektive) Gerechtigkeit durch (subjektive) Billigkeit ergänzt werden muss, besteht doch Einigkeit darüber, dass Gerechtigkeit als solche grundsätzlich ein erstrebenswertes Ziel ist. Deswegen fragt sich stets, wie dieses am ehesten erreicht werden kann. Diese Frage hat die zivilisierte menschliche Gesellschaft seit Tausenden von Jahren mit der Aufstellung allgemein anerkannter Sätze beantwortet wie z. B. in dem ersten Satz des altrömischen Zwölftafelgesetzes von 451/450 v. Chr.: Wenn einer einen anderen vor Gericht lädt, soll der andere kommen(, damit das Gericht eine richtige Entscheidung im Streit des einen mit dem anderen treffen kann).

Solche Sätze sind Verhaltensrichtlinien für den Menschen in der zivilisierten menschlichen Gesellschaft. Wenn er sie beachtet, kann er grundsätzlich damit rechnen, dass sein Verhalten allgemein als richtig anerkannt wird und keine unerwünschten Folgen zeitigt. Wenn er sie nicht einhält, muss er grundsätzlich davon ausgehen, dass sein Verhalten als unrichtig angesehen wird und mit einiger Wahrscheinlichkeit rechtliche Folgen zu seinen Lasten nach sich ziehen wird.

Wichtig ist dabei, dass die Verhaltensrichtlinien selbst grundsätzlich allgemein anerkannt werden. Dies ist besonders dann der Fall, wenn sie von allen gemeinsam gebildet werden. Dies kommt am ehesten in Betracht, wenn sie einer allgemeinen Erfahrung und einer allgemeinen Überzeugung von ihrer Nützlichkeit für das menschliche Zusammenleben entsprechen.

Solche aus der Erfahrung aller Beteiligten gewonnenen Sätze können (außer Ermächtigungen und Erlaubnissen) vor allem zwei Richtungen aufweisen. Sie können einerseits ein bestimmtes menschliches Verhalten als grundsätzlich gefährlich verbieten (z. B. Führen eines Kraftfahrzeugs ohne nachgewiesene und anerkannte Fahrerfahrung oder unter Alkoholeinfluss oder Drogeneinfluss) und sind dann Verbote. Sie können aber auch andererseits ein bestimmtes menschliches Verhalten als grundsätzlich nützlich gebieten (z. B. Zahlen von Steuern zur Finanzierung staatlicher Aufgaben, Hilfe bei Unfällen) und sind dann Gebote.

Verbote und Gebote haben dabei trotz grundsätzlicher Verschiedenheit einen gemeinsamen Inhalt. Sie schränken die ursprünglich vorhandene unbegrenzte Freiheit des einzelnen Menschen in einer bestimmten Hinsicht ein (z. B. ist Betreten eines Grundstücks oder Wegnahme eines Geldstücks gegen den Willen des Berechtigten verboten). Umgekehrt sichern sie aber auch diese in vielfältiger Hinsicht beschränkte menschliche Freiheit in anderen Hinsichten (z. B. kann der Staat mit den Steuereinnahmen von ihm für erforderlich gehaltene Abfangjäger gegen Luftangriffe auswärtiger feindlicher Mächte erwerben).

Insgesamt ist also Recht eine Vielzahl oder auch eine Gesamtheit von mehr oder weniger anerkannten Sätzen zur Steuerung des Verhaltens der Einzelnen in einer zivilisierten menschlichen Gemeinschaft. Ähnliche Gesamtheiten von Verhaltensrichtlinien sind auch Religion (z. B. du sollst an Gott glauben, du sollst den Feiertag heiligen, du sollst Almosen geben) oder Sitte (z. B. du sollst älteren Menschen im Omnibus deinen Sitzplatz anbieten, du sollst Verwandten zum Geburtstag gratulieren, du sollst dich in einer Schlange von Wartenden am jeweiligen hinteren Ende anstellen), wobei an der Grenze zum Recht die Verkehrssitte steht(, vgl. §§ 863 II, 914 ABGB, 346 UGB). Das Recht unterscheidet sich von den in vielen Hinsichten ähnlichen Verhaltensrichtliniengesamtheiten (1) Religion und (2) Sitte sowie (3) der nach innen gerichteten, dem Gewissen verantwortlichen Moral dadurch, dass der Staat die Einhaltung der (Rechtsfolgen der) Rechtssätze (z. B. Strafe, Buße, Verweigerung eines angestrebten Erfolgs, Entzug eines Rechtes, Ersatz eines Schadens u. s. w.) bei Bedarf mit Zwangsgewalt (z. B. Polizei, Gericht, Exekutor) durchsetzen kann.

Der Religion und der (äußeren) Sitte sowie der (inneren) Moral (Sittlichkeit) steht diese Möglichkeit nicht zur Verfügung. Bei ihnen müssen beispielsweise Missbilligung oder Ausschluss als Druckmittel genügen. Ihr Erfolg ist im Zweifel geringer.

Recht ist deshalb die (vor allem von der Allgemeinheit geschaffene und) zwangsweise von Seiten der Allgemeinheit durchsetzbare, wenn auch nicht in jedem Fall tatsächlich durchgesetzte Gesamtheit von Verhaltensrichtlinien (Sollenssätzen) in der zivilisierten menschlichen Gesellschaft. Die Zahl der Verhaltensrichtlinien nimmt dabei im Laufe der menschlichen Geschichte zu. Sie ist bereits in der Gegenwart in ihrer Gesamtheit für den Einzelnen nicht mehr vollständig überschaubar, wird aber gleichwohl in der Zukunft voraussichtlich weiter wachsen.

Das Recht ist grundsätzlich einzelstaatliches Recht. Mehrere Staaten können aber in einem Staatenverbund auch Gemeinschaftsrecht schaffen und schaffen lassen (z. B. Europäische Gemeinschaft bzw. Europäische Union). Durch Vertrag wie Gewohnheit kann auch unter Völkern (Staaten) Recht (Völkerrecht) entstehen, das aber mangels übergeordneter Souveränität bzw. Staatsgewalt (z. B. der Vereinten Nationen) bisher weder eine geordnete Rechtssetzung noch eine geordnete Rechtsdurchsetzung kennt.

 

B) Dimensionen

Das Recht ist eine vom Menschen mittels seiner vorgegebenen Möglichkeiten (z. B. Verstand) geschaffene Einrichtung (positives Recht in Gegensatz zu einem natürlichen, dem Menschen von außen wie z. B. der Natur oder einem Gott vorgegebenen Recht). Aus diesem Grund nimmt das Recht an den natürlichen Vorgegebenheiten des zivilisierten menschlichen Lebens Teil. Deswegen ist das Verhältnis des Rechtes zu den Dimensionen Zeit, Raum, Wirklichkeit und Theorie zu bestimmen.

 

I. Zeit

Das Recht besteht wie alles menschliche Leben in der Dimension Zeit. Recht geschieht in der Zeit, die ständig vergeht. Es ist unentrinnbar in die Zeit eingebunden.

Deswegen hat Recht notwendigerweise einen Anfang und ein Ende. Als Einrichtung der zivilisierten menschlichen Gesellschaft ändert es sich mit ihr in der Zeit. Es hat also eine Geschichte mit der Tendenz ständigen Wachstums, mit der sich das besondere zeitwissenschaftliche Fach Rechtsgeschichte befasst.

 

II. Raum

Das Recht besteht wie alles menschliche Leben in der Dimension Raum. Es wird im Raum verwirklicht. Wegen der Größe des irdischen Raumes gibt es räumlich verschiedenes Recht auf der Erde (z. B. in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Russland, der Türkei, Japan, China oder den Vereinigten Staaten von Amerika).

Mit der räumlichen Verschiedenheit des Rechtes befasst sich die raumwissenschaftliche Rechtsvergleichung. Sie erkundet die bestehenden Verschiedenheiten und ermöglicht die Verbesserung durch Anpassung. Mit dem technischen Fortschritt seit Beginn der Neuzeit ist eine Globalisierung des menschlichen Lebens eingeleitet, die seit dem 20. Jahrhundert auch immer stärkere Auswirkungen auf das Recht (vor allem innerhalb der Europäischen Union, aber auch infolge des technischen Vorsprungs der Vereinigten Staaten von Amerika weltweit) hat.

 

III. Wirklichkeit

Das Recht ist eine jeweilige Gesamtheit von Verhaltensrichtlinien. Sie wollen das Verhalten des Menschen gestalten oder steuern. Dies gelingt aber nicht immer.

Vielmehr töten Menschen andere Menschen trotz des Verbots, andere Menschen zu töten. Umgekehrt bezahlen andere Menschen ihre Schulden nicht, obgleich sie die Zahlung versprochen haben. Verstöße gegen ein Verbot wie auch gegen ein Gebot können sehr häufig vorkommen.

Deswegen weicht die Rechtswirklichkeit in vielen Hinsichten von den Rechtssätzen als Geboten und Verboten ab. Das gewünschte Sollen entspricht nicht stets dem tatsächlichen Sein. Mit der Rechtswirklichkeit im Gegensatz zum Recht als gesolltem menschlichem Verhalten befasst sich die erfahrungswissenschaftliche Rechtssoziologie als eigenes Fach.

 

IV. Theorie

Theorie ist das auf Betrachten gegründete Erkennen. Es geht von der einzelnen Erscheinung aus und wendet sich dem Allgemeinen zu. Dementsprechend will die Theorie allgemeine Wahrheiten ermitteln.

Sie sind von der Rechtspraxis grundsätzlich getrennt. Sie betreffen nicht tatsächliche Einzelheiten, sondern grundlegende Gegebenheiten. Deswegen ist die Rechtstheorie auch am ehesten mit der Rechtsphilosophie verwandt.

In diesem Rahmen ist die wertwissenschaftliche Rechtstheorie ein eigenes Fach. Seine wichtigste Frage ist: warum gibt es Recht? Auf die Länge muss das möglicherweise unerreichbare Ziel der Rechtstheorie die Gewinnung des besten Rechtes als wahres Recht sein.

 

C) Arten

Das wie Religion und Mathematik grundsätzlich nur in den Gedanken (oder Gehirnen) der Menschen bestehende Recht als das in Zeit und Raum in der zivilisierten menschlichen Gesellschaft praktisch unter Zwangsandrohung Gesollte ist im Laufe der Geschichte durch praktische wie wissenschaftliche Behandlung im Sinne einer Rechtsdogmatik sehr komplex geworden. Wegen seines großen Umfangs haben sich zwecks besserer Erfassung wissenschaftliche Gliederungen oder Einteilungen in mehrfacher Hinsicht entwickelt und bewährt. Wer sie kennt, versteht das Recht (besser).

I. Öffentliches Recht und privates Recht (Privatrecht)

Die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und privatem Recht (innerhalb des objektiven Rechts) beruht gedanklich auf dem Zusammenschluss der Einzelnen zur Allgemeinheit. Als deren Folge unterscheiden bereits Rechtskundige (lateinisch iurisperiti) im antiken Rom zwischen ius publicum (die Allgemeinheit betreffendem Recht) und ius privatum (den Einzelnen betreffendem Recht). Im öffentlichen Recht besteht die Hoheitsgewalt des Hoheitsträgers, mit deren Hilfe er sich grundsätzlich jederzeit gegenüber dem Einzelnen durchsetzen kann, sofern seine Hoheitsgewalt nicht durch das Recht in Grenzen gehalten wird, während das private Recht vor allem durch die grundsätzliche Freiheit und Gleichheit des Einzelnen gekennzeichnet ist, soweit sie nicht durch das Recht eingeschränkt werden.

Die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und privatem Recht ist grundsätzlich einfach, in den Einzelheiten aber sehr schwierig und im Einzelfall nur durch (den Willen des Gesetzgebers oder bei dessen Fehlen durch) höchstrichterliches Urteil zu entscheiden. Im Laufe der Rechtsgeschichte wurden dafür mehrere theoretische Kriterien vorgeschlagen. Die wichtigsten Ansichten werden als (Interessentheorie, als) Subordinationstheorie, als Subjektstheorie und als modifizierte Subjektstheorie bezeichnet.

Die Subordinationstheorie geht von der Überordnung und Unterordnung (Subordination) aus. Nach ihr liegt öffentliches Recht vor, wo Überordnung herrscht, privates Recht dagegen dort, wo Gleichordnung besteht. Demnach wäre Familienrecht mit der Unterordnung der Kinder unter die Eltern öffentliches Recht, Völkerrecht mit der Gleichordnung der Staaten untereinander privates Recht, was aber nach allgemeiner Einsicht nicht zutrifft.

Nach der Subjektstheorie kommt es auf das Subjekt bzw. seine Eigenschaft als Träger von Hoheitsgewalt (Zwangsgewalt und Befehlsgewalt) an. Öffentliches Recht ist demnach das Recht der Träger von Hoheitsgewalt. Der Staat ist zwar grundsätzlich Träger von Hoheitsgewalt, darf sie aber etwa bei einem Kauf von Schreibwaren gegenüber dem Einzelnen nicht einsetzen, so dass auch die Subjektstheorie zur Abgrenzung nicht verwendet werden kann.

Nach der modifizierten Subjektstheorie liegt öffentliches Recht (nur) dort vor, wo der Träger von Hoheitsgewalt  in seiner Eigenschaft als solcher tätig wird. Dementsprechend sind Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht und Strafrecht (im teilweisen Gegensatz etwa zum Studienplan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck) öffentliches Recht, Personenrecht, Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht, Handelsrecht, Arbeitsrecht (zumindest teilweise) und Erfindungsrecht (sowie internationales Privatrecht) privates Recht, wobei in Grenzfällen schwierige Entscheidungsfragen auftreten, die an Hand der überwiegenden Gesichtspunkte gelöst werden müssen. Auch der Staat handelt in diesem Rahmen bei einem Kauf von Heizöl privatrechtlich und nicht öffentlichrechtlich, so dass die modifizierte Subjektstheorie insgesamt am ehesten zu überzeugenden Ergebnissen führt.

Dabei kann ein einzelnes Geschehen zugleich öffentlichrechtliche und privatrechtliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Nach einem Verkehrsunfall kann ein Beteiligter öffentlichrechtlich (strafrechtlich) zu Geldstrafe oder Haft verurteilt werden und öffentlichrechtlich (verwaltungsrechtlich) seine Fahrerlaubnis verlieren. Privatrechtlich kann er einem Geschädigten den verursachten Schaden ersetzen und seinem Haftpflichtversicherer künftig erhöhte Versicherungsprämien zahlen müssen.

 

II. Formelles Recht und materielles Recht

Die Gesamtheit des öffentlichen und privaten Rechtes kann man auch nach Form und Inhalt teilen. Formelles Recht ist dabei das durch Form oder Formalität beherrschte Recht, das sich hauptsächlich auf die Durchsetzung des materiellen Rechts und die dafür bestehenden Zuständigkeiten und Verfahren bezieht (Verfahrensrecht oder Prozessrecht mit Zivilprozessrecht [z. B. ZPO] einschließlich Zwangsvollstreckungsrecht, Außerstreitverfahrensrecht, Strafprozessrecht [z. B. StPO], Verwaltungsprozessrecht und Verfassungsprozessrecht sowie Organisationsrecht über Einrichtung und allgemeine Aufgabenstellung [z. B. der Bundesministerien]). Materielles Recht ist das durch den Inhalt an Stelle der Form bestimmte, den Inhalt festlegende Recht, das vor allem die Voraussetzungen für Ansprüche enthält (Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Strafrecht [z. B. StGB], Privatrecht [z. B. ABGB]).

 

III. Objektives Recht - subjektives Recht

Objektives Recht ist das losgelöst von einzelnen Berechtigten als solches bestehende Recht im Sinne der Gesamtheit aller Rechtssätze einer menschlichen Gesellschaft zur Steuerung des Verhaltens betroffener Personen gegenüber anderen Personen und gegenüber Gegenständen (z. B. Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, Strafrecht, Privatrecht, also beispielsweise § 1 ABGB, Art. 1 B-VG). Subjektives Recht ist das auf Grund des objektiven Rechtes für die einzelne Person bestehende einzelne Recht (einzelne Befugnis, einzelne Berechtigung, einzelne Macht) gegenüber mindestens einer anderen Person einschließlich des Staates vor allem auch in Bezug auf Gegenstände (z. B. Anspruch des Berechtigten auf Familienbeihilfe gegenüber dem Staat, Eigentum einer Person an einer Sache gegenüber allen anderen Personen, Kaufpreisanspruch des Verkäufers gegenüber dem Käufer, grundsätzlich bisher wohl kein Anspruch des Einzelnen auf Tätigwerden des Staates). Die zahllosen subjektiven Rechte (englisch rights, lateinisch iura, Plural) beruhen jeweils auf dem objektiven Recht oder ergeben sich jeweils aus dem objektiven Recht (englisch law, lateinisch ius Singular, z. B. ist für viele einzelne Ansprüche oder subjektive Rechte auf Schadenersatz die Anspruchsgrundlage die objektive Rechtsvorschrift des § 1295 ABGB).

 

IV. Zwingendes Recht - abdingbares Recht

Innerhalb des objektiven, vom Staat oder der Gesellschaft geschaffenen Rechtes gibt es grundsätzlich Rechtssätze, die von den Rechtsunterworfenen nicht durch Vereinbarung geändert (abbedungen) werden können, und andere Rechtssätze, die von den Rechtsunterworfenen durch Vereinbarung abgeändert (abbedungen) werden können, also zu deren Disposition stehen und damit dispositiv sind (dispositives Recht, nachgiebiges Recht). Von Rechtsunterworfenen grundsätzlich nicht abänderbar ist beispielsweise das Verwaltungsrecht, das Verfahrensrecht oder das Strafrecht. Demgegenüber kann etwa das Schuldrecht an sich in weitem Umfang von den Rechtsunterworfenen durch Vereinbarung verändert  (und damit auch geschaffen) werden, soweit dies nicht gesetzlich besonders ausgeschlossen ist (z. B. Abbedingung gesetzlicher Sachmängelgewährleistungsrechte, Vereinbarung der Erbringung einer Leistung vor einer Gegenleistung, gewillkürtes Ehegüterrecht wie etwa Gütergemeinschaft als Abänderung des gesetzlichen Ehegüterrechts, gewillkürtes Erbrecht als Abänderung des gesetzlichen Erbrechts).

 

V. Nationales Recht - internationales Recht

Nationales Recht ist das innerhalb eines Staates geltende Recht. Internationales Recht allgemein ist das zwischen Staaten (und anderen rechtsfähigen internationalen Organisationen) geltende Recht (Völkerrecht). Das besondere internationale Privatrecht, internationale Verwaltungsrecht, internationale Verfahrensrecht oder internationale Strafrecht ist jedoch in Gegensatz zu allgemeinem internationalem Recht unter Staaten (Völkerrecht) grundsätzlich nationales Recht, das aus der Sicht des jeweiligen Staates nur festlegt, welches nationale Recht bei Beteiligung verschiedener Staatsangehöriger oder Interessen verschiedener Staaten Anwendung findet oder finden soll (z. B. Argentinier und Belgierin heiraten in Chile).

 

D) Gestalt

Das objektive Recht ist weltweit eine Vielzahl einzelner objektiver Rechtssätze mit unterschiedlicher persönlicher, örtlicher, inhaltlicher und zeitlicher Geltung, die in der Regel wegen ihrer großen Zahl aus praktischen Überlegungen als (nummerierte) Paragraphen, Artikel, Absätze, Ziffern, Nummern, Buchstaben, Sätze u. s. w. umfassenderer einzelner Texte (z. B. Verfassungen, Gesetzbücher, Gesetze, Verordnungen) individualisiert werden. Die Gesamtzahl ist unbekannt. Nach Ausweis der bisherigen Entwicklung wird sie weiter wachsen.

Die wichtigsten einzelnen Rechtssätze oder Rechtsnormen (anders etwa bloße Legaldefinitionen, Ermächtigungsnormen, Delegationsnormen, Derogationsnormen, Verweisungsnormen [z. B. § 1 ZPO auf ABGB] u. s. w.) haben grundsätzlich gleiche Gestalt. Sie bestehen (zumindest idealtypisch) aus zwei Teilen. Die beiden Teile sind durch ein Bindewort verbunden, das sich graphisch als Gleichheitszeichen darstellen lässt.

Auf der einen (bei der üblichen Schreibweise von links nach rechts) linken Seite steht eine bestimmte, mehr oder weniger einfache oder verwickelte Gegebenheit. Sie bildet eine Voraussetzung für den gesamten Satz. Sie wird im Recht insgesamt, auch wenn sie selbst aus mehreren Teilen oder Elementen zusammengesetzt ist, herkömmlich als Tatbestand bezeichnet (z. B. [wer] einen Menschen tötet).

Auf der anderen (und damit üblicherweise rechten) Seite steht eine zweite Gegebenheit. Sie ist die (natürliche oder) vom Menschen gewollte Folge der Voraussetzung. Sie wird im Recht herkömmlich Rechtsfolge genannt (z. B. wird … bestraft).

Stets gilt mathematisch die Gleichung Tatbestand = Rechtsfolge. Ein bestimmter Tatbestand zieht nach dem objektiven Recht eine bestimmte Rechtsfolge nach sich. Für eine bestimmte Rechtsfolge ist umgekehrt ein bestimmter Tatbestand die Voraussetzung.

Sprachlich kann dabei variiert werden. Der Rechtssatz kann aus einem (einzigen) Hauptsatz bestehen (z. B. der Dieb soll mit Haft bestraft werden). Er kann aber auch als Hauptsatz mit einem relativen Nebensatz (Relativsatz) gestaltet sein (z. B. wer stiehlt, der soll mit Haft bestraft werden) oder als Hauptsatz mit einem konditionalen Nebensatz (Konditionalsatz) formuliert werden(z. B. wenn jemand stiehlt, dann soll er mit Haft bestraft werden).

Da der Rechtssatz sprachlich aus Wörtern zusammengesetzt ist, können ihm alle Ungewissheiten anhaften, die mit der Sprache und ihren Bestandteilen verbunden sein können. Deswegen muss bei Zweifeln der Inhalt des Rechtssatzes erst angemessen verständlich gemacht werden. Dieser Vorgang wird als Auslegung bezeichnet.

Für die Auslegung sprachlicher Gegebenheiten sind in der Rechtswissenschaft spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert (mindestens) vier Möglichkeiten oder Methoden anerkannt. Ein Text kann entweder (1) rein sprachlich (verbal, grammatisch, logisch-grammatikalisch) oder (2) entstehungsgeschichtlich (historisch) oder (3) bezüglich des Zusammenhangs (systematisch) oder (4) von der Zielsetzung her (teleologisch) ausgelegt werden. Uneingeschränkten Vorrang hat keine der vier Auslegungsmethoden, doch gewinnt ein Ergebnis an Bedeutung oder Überzeugungskraft, wenn es bei Anwendung mehrerer oder aller unterschiedlicher Auslegungsmethoden erzielt wird.

Trotz der großen und stetig wachsenden Zahl der (von der Allgemeinheit oder dem Staat geschaffenen anerkannten) Rechtssätze kann jeder von ihnen im Einzelfall ein unangemessenes Ergebnis bewirken. Dann muss und darf der Richter bei seiner Entscheidung des Einzelfalls (Rechtsanwendung) gerechterweise in die Summe der Rechtssätze abändernd eingreifen. Dazu darf er Analogie und (teleologische) Reduktion verwenden.

Analogie ist die Anwendung einer Rechtsfolge eines Rechtssatzes auf einen im Rechtssatz selbst nicht enthaltenen Tatbestand. Sie setzt eine als ungerecht angesehene Lücke des objektiven Rechts voraus. Stellt der Richter (oder Rechtswissenschaftler) sie fest, darf er, obwohl er wegen der Gewaltenteilung an sich nicht für die Rechtsetzung zuständig ist, die Rechtsfolge R des Rechtssatzes T = R auch auf den von T trotz Auslegung nicht erfassten Fall (neue Tatbestandserweiterung) x anwenden (z. B. analoge Anwendung der Regeln über den Erbvertrag [§§ 1249ff. ABGB] auf einen Vermächtnisvertrag), wobei die Anwendung der Rechtsfolge eines einzelnen Rechtssatzes auf den Fall (richterliche Tatbestandserweiterung) x als Gesetzesanalogie bezeichnet wird, die Anwendung der übereinstimmenden Rechtsfolgen mehrerer Rechtssätze auf den Fall (richterliche Tatbestandserweiterung) x als Rechtsanalogie.

Reduktion (teleologische Reduktion) ist im Gegensatz zur erweiternden Analogie die sachlich einengende Einschränkung eines vorhandenen, aber gerechterweise als zu weit reichend angesehenen Rechtssatzes. Bei ihr sieht der Rechtssatz für den gesamten Tatbestand eine bestimmte Rechtsfolge vor, doch erscheint die Anwendung dieser Rechtsfolge auf einen Teilbereich des Tatbestands als unangemessen, unsachlich oder ungerecht. Vom Ziel (griechisch telos) des Rechtssatzes her muss also durch den Richter ein Teil des Tatbestands entgegen dem Wortlaut des Satzes von der vorgesehenen Rechtsfolge ausgenommen werden.

 

E) Anwendung

Das objektive Recht ist in allen Staaten und ihren objektiven Rechten der Welt eine Gesamtheit von geschichtlich entstandenen Verhaltensrichtlinien oder Sollenssätzen. Diesem abstrakten Gedankengebilde steht überall die vielfältige Lebenswirklichkeit gegenüber. Soll das Recht sich auf diese auswirken, muss es weltweit in gleicher Weise im Einzelfall auf sie angewendet werden, indem die für das Sollen im Rechtssatz festgelegten Folgen auf das tatsächliche Sein bezogen werden.

Gedanklich bedeutet dies die Erweiterung der linearen Beziehung des Sollens zwischen Tatbestand und Rechtsfolge (T = R) um die Wirklichkeit des Seins (S). Dementsprechend müssen bei der Anwendung des Rechtes auf die Wirklichkeit des menschlichen Zusammenlebens drei Gegebenheiten (Begriffe) zueinander in Beziehung treten. Dies sind (allgemeiner) Tatbestand (Mittelbegriff), (allgemeine) Rechtsfolge (Oberbegriff) und (einzelner) Sachverhalt (Unterbegriff), so dass über die Beziehung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge im Rechtssatz hinaus bei der Anwendung des Rechtssatzes auf die Lebenswirklichkeit weiter auch Sachverhalt und Tatbestand sowie Sachverhalt und Rechtsfolge verknüpft werden können oder müssen.

Dabei sind, wie die einfache Figur eines Dreiecks jedermann leicht erkennen lässt, bei drei Elementen mindestens und höchstens drei Beziehungen zwischen je zwei Elementen möglich. Schon die Philosophie der griechischen Antike hat in dieser Lage gezeigt, dass die überzeugende Reihenfolge dieser drei Beziehungen zwischen je zwei Elementen überzeugende Ergebnisse bewirken kann. Weil dies so einleuchtend ist, wird dieser Vorgang noch heute mit dem aus griechischen Wörtern (syn = mit, logos = Wort) gebildeten Ausdruck Syllogismus (Zusammensprechen, Zusammenrechnen) bezeichnet.

Das einfachste Beispiel hierfür lautet allgemein: (1) Alle Menschen sind sterblich. (2) Alle Griechen sind Menschen. (3) Also sind alle Griechen sterblich.

Alle drei Aussagen entsprechen dabei einem bestimmten Typ. Stets sind ein syllogistisches Subjekt und ein syllogistisches Prädikat nötig. Dem syllogistischen Subjekt (z. B. dem Unterbegriff des Schlusssatzes) wird (unter Verwendung von Formen des Verbes sein) das syllogistische Prädikat (z. B. der Oberbegriff des Schlusssatzes) in bestimmter Weise zugesprochen oder abgesprochen.

Der erste Satz dieser graphisch in Form eines logischen gleichseitigen Dreiecks darstellbaren Beziehung (z. B. alle Menschen sind sterblich) heißt herkömmlich Obersatz. Der zweite Satz (z. B. alle Griechen sind Menschen) wird (beispielsweise wegen der Unterordnung oder Subsumtion der Art Griechen unter die Gattung Menschen) Untersatz genannt. Der abschließende letzte, bei Anerkennung der ersten beiden Sätze zwangsläufig folgende Satz (z. B. alle Griechen sind sterblich) ist der Schlusssatz.

Allgemein ist der vorrangig in der Philosophie, Theorie oder Logik näher behandelte Syllogismus dabei durchaus vielfältig Es können nämlich allgemeine Aussage (z. B. alle Griechen), partikuläre Aussagen (z. B. einige Griechen), bejahende Aussagen (z. B. alle Griechen, einige Griechen) und verneinende Aussagen (z. B. keine Griechen, einige Griechen nicht) unterschieden werden. Daraus ergeben sich beispielsweise die vier Aussagemöglichkeiten: alle S sind P, kein S ist P, einige S sind P bzw. einige S sind nicht P.

Weiter gibt es bestimmte Voraussetzungen für gültige Syllogismen. Beispielsweise kann aus den beiden Aussagen kein Fisch ist ein Angler und einige Angler sind keine Fische syllogistisch kein Schlusssatz gezogen werden, weil allein aus verneinten Aussagen nichts folgt. Auch aus den Aussagen einige Säugetiere leben im Wasser, einige Tiere, die auf dem Land leben, sind Säugetiere kann syllogistisch nichts geschlossen werden, weil mindestens eine der beiden Aussagen allgemein sein muss.

Insgesamt kennt die Logik dabei (je nach der Stellung des nur in den Prämissen vorkommenden Mittelbegriffs [im Obersatz als Subjekt oder als Prädikat, im Untersatz entweder als Subjekt oder als Prädikat]) vier Figuren und pro Figur 4 x 4 x 4 Möglichkeiten. Dies führt insgesamt zu 4 x 4 x 4 x 4 oder 256 Typen von Syllogismen (Typen logischer Argumente). Davon sind (aber nur) 24 gültig und (weit mehr, nämlich) 232 nicht gültig.

Die 24 gültigen Typen von Syllogismen verteilen sich gleichmäßig auf die vier Fälle der Distribution. Dabei ist ein Begriff innerhalb einer Aussage dann distribuiert, wenn aus dieser Aussage jede andere Aussage folgt, die aus der ursprünglichen Aussage entsteht, indem der ursprüngliche Begriff durch einen echten Unterbegriff ersetzt wird. Beispielsweise ist in der Aussage alle Philosophen (Subjekt) sind Menschen (Prädikat) der Begriff Philosoph distribuiert, weil aus der Tatsache, dass alle Philosophen Menschen sind, folgt, dass alle Rechtsphilosophen Menschen sind.

Der bekannteste gültige Syllogismus hat auf Grund seiner Struktur in der Logik den (durch die Typen des Obersatzes, Untersatzes und Schlusssatzes bestimmten und die dadurch oder dafür festgelegten Vokale gewonnenen) Kennnamen Barbara (alle drei Sätze sind affirmativ [bejahend] und allgemein gültig) und lautet beispielsweise: Alle Innsbrucker sind Tiroler. Alle Wiltener sind Innsbrucker. Also sind alle Wiltener Tiroler (oder: alle Rechtecke sind Vierecke, alle Quadrate sind Rechtecke, also sind alle Quadrate Vierecke oder alle Griechen sind Menschen, alle Menschen sind sterblich, also sind alle Griechen sterblich).

Im Bereich des Rechtes ist der erste Satz dieses syllogistischen Dreiecks grundsätzlich der bereits bekannte Rechtssatz. Er lautet allgemein T (Tatbestand, Mittelbegriff) = R (Rechtsfolge, Oberbegriff). Er findet sich in großer Zahl im Recht (z. B. in der Verfassung, im Gesetzbuch, im Gesetz oder in der Verordnung), so dass wer das gesamte Recht kennt, auch alle rechtlichen Sätze T = R (Obersätze) weiß.

Der zweite Satz muss im Einzelfall den Sachverhalt (Unterbegriff) mit dem Tatbestand des Rechtssatzes (Mittelbegriff) in Beziehung bringen. Er (findet sich noch nicht in den allgemeinen Rechtssätzen, sondern) muss (also) im Rechtsstreit vom Richter neu gebildet werden. Dabei muss der Richter sich entscheiden und hat grundsätzlich nur die Möglichkeit, (entweder positiv) festzustellen S = T (und damit einen zweiten Satz im Syllogismus zu bejahen) oder als Alternative nur die Möglichkeit, (negativ) festzustellen „S ist kein einzelner Fall von T“ (und damit einen zweiten Satz als Untersatz im Syllogismus zu verneinen).

Dieser Abschnitt der Rechtsanwendung ist der schwierigste. Er kann vom dafür zuständigen Richter nur dann überzeugend bewältigt werden, wenn er den Sachverhalt S ganz genau mit dem Tatbestand T vergleicht und Ähnlichkeiten und Unterschiede so objektiv wie irgend möglich und unter Ausschaltung subjektiver Vorlieben und Vorurteile feststellt. Im Zweifel muss er sich wie jeder Prüfer in einer Prüfung für die ihm gerecht erscheinende Lösung entscheiden und dabei auch die Gefahr eingehen, trotz besten Wissens und Gewissens eine falsche, ungerechte Entscheidung (Bewertung) getroffen zu haben.

Aufgabe des Richters ist dabei lediglich ein in gewöhnlichen Fällen einfaches, in manchen Fällen aber auch außerordentlich schwieriges Urteil über die ausreichende Gleichheit von Tatbestand und Sachverhalt. Dieses Urteil muss der Entscheidungsträger letztlich selbstverantwortlich treffen. Es kann nur überzeugen, wenn es an der Gerechtigkeit ausgerichtet ist und nicht aus persönlichen Gesichtspunkten bevorzugt oder benachteiligt.

Beispiel: Ein Anrufer erklärt in einem Telefongespräch mit einer Beamtin: Da kann ich mich gleich aufhängen oder Amok laufen. Wenig später durchsucht die Polizei sein Haus und verhaftet ihn wegen des Verdachts einer gefährlichen Drohung. Der Richter verneint aber eine gefährliche Drohung, weil eine gefährliche Drohung gegen bestimmte oder zumindest bestimmbare Menschen ausgesprochen sein muss, was hier nicht gegeben ist.

Der dritte Satz ist demgegenüber wieder ganz einfach. Ist der erste Satz  (Obersatz, Rechtsnorm) richtig oder wahr und auch der zweite Satz (Zuordnung des Sachverhalts zum Tatbestand der Rechtsnorm) richtig oder wahr (sind also beide Prämissen richtig oder wahr), so ist der dritte Satz nur die logische Folge der beiden ersten Sätze. Gilt nämlich T = R und S = T, so ergibt sich durch Streichung von T (Mittelbegriff) logisch zwangsläufig, dass auch S (Unterbegriff) = R (Oberbegriff) sein muss, dass also auch für den Sachverhalt S die Rechtsfolge R der Rechtsnorm R = T (in konkretisierter Form) gilt.

Die Anwendung eines Rechtssatzes auf einen Sachverhalt kann demnach nur am Fehlen eines Obersatzes in Form eines Rechtssatzes (trotz Analogie oder auch nur infolge teleologischer Reduktion) oder am Fehlen eines Untersatzes (wegen Nichtzugehörigkeit der Art Sachverhalt zur Gattung Tatbestand) scheitern. Ist beispielsweise ein bestimmtes menschliches Verhalten nicht mit einer Strafe bedroht ist (Fehlen eines Tatbestands oder Mittelbegriffs) oder lässt sich trotz Bestehen eines Strafrechtssatzes (T = R) nicht nachweisen, dass ein einzelner Mensch bzw. der betrachtete einzelne Mensch den Tatbestand des Strafrechtssatzes in einem Sachverhalt verwirklicht hat (Ablehnung des Untersatzes, Fehlen des Unterbegriffs), dann kann dieser einzelne Mensch wegen dieses Verhaltens nicht bestraft werden. Besteht dagegen ein entsprechender Strafrechtssatz und bejaht der Richter auch eine Verwirklichung des Tatbestands im einzelnen Sachverhalt, dann kann der einzelne handelnde Mensch in konkreter Form mit der im Strafrechtssatz vorgesehenen Rechtsfolge (Strafe) bestraft werden, weil wegen T = R und S = T (logisch zwangsläufig) auch S = R gilt.

Für andere nachprüfbar dargestellt wird die Anwendung des Rechtssatzes auf einen Sachverhalt durch den Richter herkömmlicherweise in zwei Arten, Stilen oder Methoden. Die eine Art heißt Gutachten(methode). Die andere Art wird als Urteil(smethode) bezeichnet.

Gedanklich steht am Anfang immer das Gutachten, weil das Ergebnis der Frage (z. B. ist Sokrates sterblich?, ist der Schinderhannes wegen Mordes zu hängen?, hat der Verkäufer V gegen den Kunden K einen Kaufpreisanspruch?) am Anfang der Überlegungen (tatsächlich oder angeblich) unbekannt ist. Deswegen beginnt der juristische Gedankengang stets mit der Arbeitshypothese, es könnte sein, dass …. Erst nach Bejahung des Obersatzes und Bejahung des Untersatzes kann (also) der Schlusssatz feststehen, der folglich im Gutachten als Ergebnis den Schluss bildet (Gutachtenmethode z. B. in Ausbildungsklausuren, Kennwörter also, folglich, z. B. Diebstahl ist strafbar. X hat gestohlen. Also ist X strafbar).

Demgegenüber interessiert im praktischen Leben das Ergebnis mehr als der gedankliche Weg dahin. Deswegen stellt der Richter das Ergebnis (den Schlusssatz) an den Beginn des Urteils (z. B. Schinderhannes ist wegen Mordes zu bestrafen). Danach begründet er es über Obersatz und Untersatz mit Hilfe der Konjunktionen denn oder weil (Urteilsmethode z. B. in allen gerichtlichen Urteilen, Kennwörter denn, weil, z. B. X ist wegen Diebstahls zu bestrafen, denn Diebstahl ist strafbar und X hat gestohlen).

 

F) Quelle

I. Allgemein

1. Wesen

Quelle ist allgemein der Ursprungsort einer Gegebenheit. Quelle des Rechtes ist der Ursprungsort des Rechtes. Nach kirchlicher Ansicht ist Quelle allen Rechtes letztlich Gott, nach manchen philosophischen Überlegungen die Natur (Naturrecht), nach moderner säkularer Ansicht dagegen stets der Mensch (positives Recht).

2. Arten

Herkömmlicherweise kann man dabei zwischen Rechtserkenntnisquelle und Rechtsgeltungsquelle unterscheiden. (Bloße) Rechtserkenntnisquelle ist jede Quelle, die eine Erkenntnis über Recht ermöglicht (z. B. auch ein Brief oder ein Roman). Rechtsgeltungsquelle ist demgegenüber die Quelle dafür, dass ein Satz als Rechtssatz (in bestimmter persönlicher, örtlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht) gilt.

Rechtsgeltungsquelle ist nach moderner säkularer Ansicht grundsätzlich der Mensch (positives Recht). Dabei kann entweder ein Einzelner tätig werden (z. B. Diktator, Tyrann, Führer) oder können mehrere Einzelne (z. B. Aristokratie) oder alle Einzelnen gemeinsam wirken (z. B. Demokratie). Weil in der Gegenwart die Demokratie bejaht wird, aber die Zahl der Einzelnen in ihr zu groß ist, ist nur die mittelbare (repräsentative) Demokratie praktisch brauchbar.

Das Zusammenwirken aller ist dabei formlos oder förmlich möglich. Durch formloses Zusammenwirken kann bei lang andauernder Übung mit Rechtsgeltungswillen (bzw. Rechtsüberzeugung) Gewohnheitsrecht entstehen (ähnlich ständige Rechtsprechung, formloser Vertrag). Praktisch sehr viel bedeutsamer ist seit der Schaffung des Staates im Spätmittelalter das förmliche Verfahren der Schaffung von Verfassung, Gesetz, Verordnung, Satzung (gesetztes Recht), Staatsvertrag, Urteil oder Bescheid.

3. Rangfolge

a) Rechtsetzungsberechtigte

Rechtssätze können beispielsweise von den Vereinten Nationen, von der Europäischen Union, von einem Gesamtstaat, von einem Gliedstaat, von einer Gemeinde, Universität, Fakultät oder von einem Institut, einem Verein oder einem Einzelnen geschaffen werden. Erforderlich ist dabei jeweils eine Zuständigkeit oder Rechtsetzungsbefugnis. Die Geltungsstärke kann unterschiedlich sein (s. z. B. soft law etwa der Vereinten Nationen).

b) Inhalt

Da in der großen Vielzahl der Rechtssätze nicht alle Rechtssätze inhaltlich von gleicher Bedeutung sein können, sind die grundlegenden (oder besonders wichtigen) Rechtssätze meist in der eher kurzen formellen Verfassung eines Staates (bzw. bei deren Fehlen in jedem Fall in einer materiellen Verfassung) enthalten. Wichtiges muss durch ein förmliches (formelles) Gesetz festgelegt werden. (Weniger wichtige) Einzelfragen können einer Regelung durch Verordnung überlassen werden.

c) Konkurrenzregeln bei Widerspruch

Widersprechen sich zwei Rechtssätze inhaltlich, so geht wegen der gewollten Rangfolge der Rechtsquellen der höherrangige Rechtssatz (z. B. der Verfassung) dem nachrangigen Recht (z. B. Gesetz) vor (lateinisch lex superior derogat legi inferiori). Das spätere Recht geht wegen des gewollten Vorrangs der Gegenwart (der Lebenden) vor der Vergangenheit (der Toten) dem früheren Recht vor (lateinisch lex posterior derogat legi priori). Das besondere Recht geht wegen der gewollten Besonderheiten des Besonderen dem allgemeinen Recht vor (lateinisch lex specialis derogat legi generali).

 

II. Einzelfälle

1. Vereinte Nationen

Die Vereinten Nationen (VN, UN, UNO) sind ein (nach dem zweiten Weltkrieg in Ablösung des älteren, wenig erfolgreichen Völkerbunds geschaffener) Zusammenschluss von (2013) 193 Staaten zur Sicherung des Weltfriedens, Einhaltung des Völkerrechts, Schutz der Menschenrechte und Förderung der internationalen Zusammenarbeit. Sie sind kein Staat, sondern vereinte Nationen oder Staaten. Sie haben keine Gesetzgebungshoheit, doch bestehen kraft Vereinbarung gewisse andere Wirkungsmöglichkeiten.

Ihre Grundlage ist eine in San Francisco am 26. Juni 1945 von 50 Staaten unterzeichnete, am 24. Oktober 1945 in Kraft getretene Charta (zeitlich nicht begrenzter völkerrechtlicher Vertrag) mit einer Präambel, 19 Kapiteln und 111 Artikeln. Sicherheitsrat und Generalversammlung können Beschlüsse (Resolutionen) fassen. Möglich sind Konventionen und Entschließungen, die grundsätzlich nur empfehlende, bei Beitritt auch verpflichtende Wirkung haben können.

2. Europäische Union

Die Europäische Union ist ein seit 1951 zur Verhinderung von Kriegen durch Rüstungskontrolle allmählich entstandener Staatenverbund europäischer Staaten (2013 28). Sie ist kein Staat. Sie hat grundsätzlich keine Gesetzgebungshoheit, doch bestehen kraft Vereinbarung unter teilweisem Verzicht auf Souveränität eingeschränkte Rechtssetzungsmöglichkeiten.

Unterschieden werden primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht. Primäres Gemeinschaftsrecht sind die Gründungsverträge bzw. Gemeinschaftsverträge der Jahre 1951 und 1957, die Beitrittsverträge mit neuen Mitgliedern und die Abänderungsverträge von Maastricht, Antwerpen, Nizza und Lissabon, die auf den Grundsätzen der Warenverkehrsfreiheit, der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit, der Kapitalverkehrsfreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit beruhen. Sekundäres Gemeinschaftsrecht ist das auf Grund begrenzter Einzelermächtigungen des primären Gemeinschaftsrechts in einzelnen Rechtsgebieten mögliche (sekundäre) Gemeinschaftsrecht.

Dabei werden innerhalb des sekundären Gemeinschaftsrechts Verordnungen und Richtlinien (sowie Entscheidungen, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen) unterschieden. Unmittelbar geltende (europäische) Verordnungen werden von den Organen Europäisches Parlament, Rat und Europäische Kommission im Zusammenwirken beschlossen. Nicht unmittelbar geltende, aber ebenfalls von diesen Organen erlassene Richtlinien müssen von den Mitgliedstaaten innerhalb bestimmter Fristen innerhalb bestimmter Gestaltungsspielräume besonders in mitgliedstaatliches Recht umgesetzt werden (bei Nichtumsetzung unmittelbare Wirkung möglich, u. U. auch Schadensersatzanspruch).

3. Mitgliedstaaten

Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben wie andere Staaten auch überwiegend eine Verfassung (z. B. Österreich Bundes-Verfassungsgesetz, Staatsgrundgesetz vom 21. 12. 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger und viele andere Verfassungsgesetze und verfassungsrechtliche Bestimmungen, anders Großbritannien). Daneben kennen Mitgliedstaaten zahlreiche einzelne Gesetze (und Gesetzbücher wie etwa das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, die Zivilprozessordnung oder die Strafprozessordnung, anders grundsätzlich das angloamerikanische Fallrecht mit grundsätzlich bezüglich des Kernes bindenden Fallentscheidungen bzw. precedents). Schließlich gibt es in den Mitgliedstaaten auch (einzelstaatliche) Verordnungen als von der Verwaltung für Einzelheiten auf gesetzlicher Grundlage erlassene Rechtssätze.

4. Bundesländer

In Bundesstaaten wie Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland können auch Bundesländer eine Landesverfassung, Landesgesetze und Landesverordnungen erlassen.

5. Kommunen (Gemeinden)

Kommunen haben eine Kommunalverfassung und können Satzungen und Verordnungen erlassen.

6. Gesamtzüge

Die Einzelheiten der Rechtsquellen sind wegen der großen Zahl unüberschaubar. Sie lassen sich aber gleichwohl im Grundzug beherrschen. Ihr jeweils geltender Text findet sich grundsätzlich in einem amtlichen Ausdruck und seit etwa 2000 auch im Internet.

Für die Europäische Union gibt es ein besonderes Amtsblatt (ABl., C Entwürfe, L verbindliche Rechtsakte, s. http://eur-lex.europa.eu). Gesetze werden grundsätzlich in einem Gesetzblatt (Bundesgesetzblatt [in Österreich seit 1997 dreigeteilt in Gesetze, Verordnungen und Staatsverträge] oder Landesgesetzblatt) veröffentlicht, Verordnungen in einem Verordnungsblatt, wobei Gesetzblatt und Verordnungsblatt auch verbunden sein können. Alle amtlichen Veröffentlichungsblätter werden grundsätzlich nach Jahr und Nummer bzw. Seite und Datum zitiert (z. B. BGBl. I 2010/1).

7. Stufenbau der Rechtsordnung in Österreich als Orientierungshilfe

In der Europäischen Union hat das europäische Recht auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarung gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht grundsätzlich einen Geltungsvorrang (Anwendungsvorrang). Weil damit die Souveränität des Mitgliedstaats gefährdet ist, behauptet der Mitgliedstaat (z. B. Österreich) einen (weitgehend theoretischen) Geltungsvorrang seiner Verfassungsprinzipien vor dem europäischen Recht. Deswegen stehen über den allgemeinen Normen von Verfassung, Gesetz und Verordnung

a) Grundprinzipien (der Bundesverfassung Österreichs) (Baugesetze)

b) Europäisches Unionsrecht

aa) Primäres Gemeinschaftsrecht

bb) Sekundäres Gemeinschaftsrecht (Verordnungen und Richtlinien)

(Danach folgen)

c) (Einfaches) Verfassungsrecht Österreichs

aa) im Bund Bundesverfassung bb) im Land Landesverfassung

d) (Einfaches) Gesetzesrecht Österreichs

aa) im Bund Bundesgesetze bb) im Land Landesgesetze

e) Verordnungen Österreichs

aa) im Bund Bundesverordnungen bb) im Land Landesverordnungen

 

(Unterhalb der allgemeinen Normen von Verfassung, Gesetz und Verordnung stehen)

f) Individuelle Vollzugsnormen (Bescheide, Urteile, Verträge [mit Wirkung nur im Einzelfall])

g) Einzelne Vollstreckungsakte (Zwangsvollstreckung bzw. Exekution)

Das gesamte Recht Österreichs, für das die konkrete Bestimmung des Verhältnisses von Rechtsvorschriften zueinander eine schwierige Aufgabe einer inhaltlichen Auslegung im Einzelfall bleibt, ist am einfachsten zugänglich über http://www.ris.bka.gv.at/. Auskunft in allen Zivilrechtsangelegenheiten und Strafrechtsangelegenheiten erteilen Bezirksgerichte an Gerichtstagen und Amtstagen, Auskunft über Verwaltungsangelegenheiten Bezirkshauptmannschaften und Magistrate von Statutarstädten an Amtstagen sowie allgemein Volksanwälte in Sprechstunden (http://www.volksanw.gv.at), Rechtsanwaltskammern, Gewerkschaften und Berufsvertretungen. Die mit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung betrauten Organe und die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts haben nach der Bundesverfassung Österreichs Auskünfte über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereichs zu erteilen, soweit dem keine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht entgegensteht. S. a. http://www.austria.gv.at, http://www.help.gv.at, http://europa.eu (Offizielle Webseite der Europäischen Union).


§ 3 Verfassung

 

A) Verfassung im Alltagsleben

B) Wesen

C) Arten

D) Einzelfälle

I. Vereinte Nationen

II. Europäische Union

III. Österreich

1. Erstes Hauptstück Allgemeine Bestimmungen. Europäische Union (Art. 1-23k B-VG)

2. Zweites Hauptstück Gesetzgebung des Bundes (Art. 24-59b B-VG)

3. Drittes Hauptstück Vollziehung des Bundes (Art. 60-94 B-VG)

4. Viertes Hauptstück Gesetzgebung und Vollziehung der Länder (Art. 95-112 B-VG)

5. Fünftes Hauptstück Selbstverwaltung (Art. 115-120c B-VG)

6. Sechstes Hauptstück Rechnungs- und Gebarungskontrolle (Art. 121-128 B-VG)

7. Siebentes Hauptstück Garantien der Verfassung und Verwaltung (Art. 129-148 B-VG)

8. Achtes Hauptstück Volksanwaltschaft (Art. 148a-148j B-VG)

9. Neuntes Hauptstück Schlussbestimmungen (Art. 149-152 B-VG)

10. Zusätzliche Bundesverfassungsgesetze und Bundesverfassungsbestimmungen

11. Grundrechte

IV. Land (z. B. Tirol)

 

A) Verfassung im Alltagsleben

Im Alltagsleben des Einzelnen scheint die Verfassung von keiner besonderen Bedeutung zu sein. Er wird zwar mit den Grundzügen bereits in der Schulbildung vertraut gemacht. Die Verfassung ist jedoch anscheinend so weit vom Alltagsleben entfernt und so hoch oben angesiedelt, dass sie selbst in das Allgemeinverständnis rechtswissenschaftlicher Studienanfänger kaum und damit nur unzureichend eingedrungen ist.

Dabei hat jeder Einzelne selbst immer eine Verfassung. Manchmal befindet er sich in einer guten Verfassung, manchmal in einer eher schlechten Verfassung. Daran kann er leicht erkennen, dass Verfassung nichts anderes ist als der allgemeine grundlegende Zustand.

Einen solchen allgemeinen grundlegenden Zustand hat nicht nur jeder Einzelne, sondern auch eine Allgemeinheit. Der allgemeine grundlegende Zustand eines Staates als eines Rechtssubjekts des Völkerrechts ist dabei viel wichtiger als der allgemeine grundlegende Zustand aller Einzelnen. Deswegen ist in der Rechtswissenschaft unter Verfassung in erster Linie die Verfassung des Staates zu verstehen.

 

B) Wesen

Verfassung ist demnach der allgemeine grundlegende Zustand eines Staates. Jeder Staat hat notwendigerweise einen allgemeinen grundlegenden Zustand. Dieser kann aber in den Einzelheiten sehr unterschiedlich sein.

Der von lateinisch (der) status, (M.,) Zustand und dem daraus gebildeten italienischen stato, M., „Zustand, Staat“ abgeleitete Staat ist nach der allgemeinen Staatslehre das durch die drei Elemente:

Staatsgebiet (gewohnheitsrechtlich oder vertraglich durch mehr oder weniger genaue Grenzen gekennzeichnetes, nicht notwendigerweise vollständig zusammenhängendes Gebiet [territoriales Substrat] der Wirksamkeit einer Staatsgewalt, z. B. für Österreich am 10. 9. 1919 im Friedensvertrag von Saint Germain festgelegt),

Staatsvolk (Gesamtheit der die Staatsbürgerschaft kraft natürlicher Geburt von Staatsangehörigen [lat. ius sanguinis, Grundsatz der blutsmäßigen Herkunft oder Abstammung] oder kraft Geburt in einem Staatsgebiet [lat. ius soli, Grundsatz des Bodens oder Ortes, Einzelheiten in jeweiligen Staatsbürgerschaftsgesetzen] oder kraft besonderer gewollter Verleihung habenden Staatsbürger [personales Substrat]) und

Staatsgewalt (im Großen und Ganzen wirksame, von anderen Staaten ausdrücklich oder schlüssig anerkannte Herrschaft der Organisation einer Gemeinschaft zwecks Sicherheit, Gewaltfreiheit, Ordnung und Wohlstand [organisatorisches Substrat])

ausgezeichnete politische Gebilde. Derzeit sind in den Vereinten Nationen 193 Staaten Mitglieder (z. B. Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Italien, Deutschland, Tschechien, Slowakei). Staaten können neu entstehen (z. B. Russland, Vereinigte Staaten von Amerika, Estland, Lettland, Litauen, Kosovo, Südsudan u. a.), sich ändern (z. B. Österreich, Deutschland, Italien, Polen) und auch ganz untergehen (z. B. Jugoslawien, Sowjetunion, Deutsche Demokratische Republik, Tschechoslowakei, Tibet) sowie von anderen Staaten anerkannt oder nicht anerkannt werden.

Beispiele für streitige Staaten sind Taiwan und Nordzypern. Beispiele für gewollte, aber bisher nicht entstandene Staaten sind Kurdistan, Tschetschenien, Transnistrien, Abchasien oder Darfur. Kern neuer Staaten können Freiheitsbewegungen (z. B. im Kosovo oder in Südsudan) sein, gegen die sich bestehende Staaten (z. B. Serbien, Sudan) trotz des anerkannten Grundsatzes der Selbstbestimmung (der Völker) mit Gewalt und dem rechtlichen Verlangen der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten wehren können und tatsächlich auch (manchmal erfolgreich, manchmal erfolglos) wehren.

 

C) Arten

Innerhalb der Gattung Verfassung lassen sich mehrere Arten unterscheiden. Dabei sind die Unterscheidungskriterien verschieden. Sie können die Form wie den Inhalt betreffen.

 

I. Materielle Verfassung und formelle Verfassung

1. Materielle Verfassung

Materielle Verfassung ist die inhaltliche Verfassung oder die Gesamtheit der Rechtssätze, die den Aufbau und die Tätigkeit des Staates im Grundsatz ordnen (inhaltliche Grundordnung). Jeder Staat hat inhaltlich einen bestimmten politischen Zustand. Dies gilt beispielsweise auch für Großbritannien, von dem etwa König(in), Premierminister, Oberhaus, Unterhaus und High Court of Justice als Verfassungsorgane mehr oder weniger allgemein bekannt sind.

2. Formelle Verfassung

Formelle Verfassung ist die in einer oder mehreren Urkunden ausdrücklich festgelegte oder auch die in einem besonderen förmlichen Verfahren zustande gekommene Verfassung eines Staates (förmliche Dokumentation einer Grundordnung). Eine formelle Verfassung gibt es nach übereinstimmender Ansicht der Vertreter der Verfassungsgeschichte seit der (hauptsächlich von George Mason geschaffenen) Virginia Bill of Rights des nordamerikanischen Staates Virginia vom 12. Juni 1776. Sie ist eine vom Konvent von Virginia angenommene Erklärung von Menschenrechten.

In ihrem Gefolge haben sich immer mehr Staaten eine Verfassung (formelle Verfassung, Verfassungsurkunde) gegeben. So legten die Vereinigten Staaten von Amerika am 17. 9. 1787 ihre politische und rechtliche Grundordnung in der Constitution of the United States of America fest. Dem folgten (nach Entwurf gebliebenen Verfassungsprojekten für die zu dieser Zeit habsburgisch bestimmte Toskana von 1782 und 1787) 1791 Polen und Frankreich sowie nach dem Ende des Heiligen römischen Reiches (1806) einzelne deutsche Staaten. Die erste Verfassung Bayerns stammt vom 1. 5. 1808, die erste, aber gescheiterte Verfassung des geplanten, mit der Revolution missglückten Deutschen Reiches (wie auch Österreichs und Preußens) von 1848.

3. Verhältnis der formellen Verfassung zur materiellen Verfassung

Die formelle Verfassung enthält einerseits regelmäßig nicht das gesamte materielle Verfassungsrecht. Die formelle Verfassung kann andererseits aber auch Sätze aufweisen, die den Grundzustand des Staates nicht wirklich betreffen. Formelles Verfassungsrecht hat seit seiner Entstehung rechtstatsächlich einen Ansehensvorrang vor materiellem Verfassungsrecht und ist vielfach als solches besonders zu bezeichnen.

 

II. Bundesverfassung, Landesverfassung, Kommunalverfassung

1. Bundesverfassung

In einem Bundesstaat hat (wie in einem Einheitsstaat) der Gesamtstaat (Bund) eine eigene Verfassung (Bundesverfassung). Ihr Kern hat in Österreich den Namen Bundes-Verfassungsgesetz. In Deutschland heißt die Bundesverfassung wegen der politisch ungewissen Lage im Zeitpunkt ihrer Entstehung (1949) (statt Verfassung nur) Grundgesetz.

2. Landesverfassung

In einem Bundesstaat haben (im Gegensatz zu einem nur unselbständige Verwaltungsteile kennenden Einheitsstaat wie Frankreich oder Italien) auch Bundesländer (z. B. Länder, Kantone, Staaten) eine (nachrangige) Staatsqualität (z. B. ohne Zuständigkeit für eine eigene Außenpolitik oder Verteidigungspolitik). Dementsprechend kennen die Bundesländer eine eigene Verfassung. Bei Widerspruch zur Bundesverfassung geht die Landesverfassung der Bundesverfassung nach.

3. Kommunalverfassung

Kommunalverfassung ist die besondere Verfassung der Kommunen oder Gemeinden. In Deutschland liegt die Zuständigkeit für die Gestaltung der Gemeindeverfassung bei den Ländern, so dass die Gemeindeverfassung nicht einheitlich ist. In Österreich ist die Selbstverwaltung der Gemeinden in den Art. 115ff. B-VG bundesverfassungsgesetzlich und im Übrigen landesgesetzlich geregelt (Art. 115 II B-VG) und hat die Statutarstadt (z. B. alle Landeshauptstädte außer Bregenz, außerdem Krems, Waidhofen an der Ybbs) eine eigene Kommunalverfassung (Statut) und ihre Behörde (Magistrat unter der Leitung des Bürgermeisters) (im übertragenen Wirkungsbereich) zugleich die Aufgaben (einer Gemeindebehörde und) einer Bezirkshauptmannschaft (eigener Bezirksverwaltungssprengel).

III. Monarchische Verfassung, aristokratische Verfassung, demokratische Verfassung

Je nach den politischen Verhältnissen kann die Verfassung eines Staates autokratisch (von einem Einzelnen oder mehreren Einzelnen bestimmt) oder demokratisch (von allen bestimmt) geprägt sein. Demokratien können unmittelbare Demokratien (z. B. Halbkanton Appenzell-Innerrhoden in der Schweiz) oder mittelbare (mittels vom Volk gewählten Abgeordneten repräsentative) Demokratien sein (z. B. parlamentarische Demokratien). Mögliche Regierungsformen sind et­wa (absolute, kon­­stitutionelle oder parlamentarische) Monarchie (mit einem lebenslang amtierenden Staatsoberhaupt) oder (präsidiale oder parlamentarische Republik (mit einem auf Zeit gewählten, meist politisch verantwortlichen Staatsoberhaupt).

 

D) Einzelfälle

Verfassung kann alle (politischen) Gebilde betreffen. Am wichtigsten hiervon ist der Staat. Im Bundesstaat kommt dem Gesamtstaat (Bund) die größte Bedeutung zu.

 

I. Vereinte Nationen

Die Vereinten Nationen sind (wegen Fehlens eines Staatsgebiets, eines Staatsvolks und einer Staatsgewalt) kein Staat, sondern nur ein zwischenstaatlicher Zusammenschluss mit der Eigenschaft eines Völkerrechtssubjekts ohne bedeutende sachliche Zuständigkeit (Ziele Sicherung des Weltfriedens, Einhaltung des Völkerrechts, Schutz der Menschenrechte, Förderung der internationalen Zusammenarbeit). Die Vereinten Nationen haben deswegen keine (staatliche) Verfassung, keine grundsätzliche Gesetzgebungsgewalt und keine grundsätzliche Rechtsdurchsetzungsgewalt. In ihrer Charta ist aber ihr organisatorischer Zustand bzw. ihre Organisation (mit vier besonders wichtigen Organen, neben denen zahlreiche Nebenorgane bestehen,) festgelegt.

1. Generalversammlung

Die Generalversammlung ist die Versammlung aller Mitgliedstaaten, in der jeder Mitgliedstaat einen Sitz und eine Stimme hat (Repräsentativorgan). Sie tagt jährlich mindestens einmal (in New York). Sie ist zuständig für (meist mit einfacher Mehrheit zu fassende, völkerrechtlich nicht bindende) Empfehlungen und für Vorlagen an den Sicherheitsrat, für die Aufnahme neuer Mitglieder, die Wahl der nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und (auf Vorschlag des Sicherheitsrats) die Wahl des Generalsekretärs, die Verabschiedung des Haushalts und die Festlegung der Mitgliedsbeiträge (wichtigste Beitragsverpflichtete sind die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan, Deutschland, das Vereinigte Königreich und Frankreich).

2. Sekretariat

Das Sekretariat ist das geschäftsführende Organ der Vereinten Nationen. Sein Leiter ist der Generalsekretär. Er wird auf Vorschlag des Sicherheitsrats von der Generalversammlung auf fünf Jahre gewählt.

3. Sicherheitsrat

Der Sicherheitsrat (Security Council) ist das politisch wichtigste Organ der Vereinten Nationen. Er hat 15 Mitglieder, von denen fünf (China, Frankreich, Vereinigtes Königreich [Großbritannien und Nordirland], Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika als zumindest mittelbare Siegermächte des zweiten Weltkriegs) ständige Mitglieder sind und jedes Jahr fünf (der insgesamt 10) nichtständige(n) Mitglieder von der Generalversammlung auf zwei Jahre gewählt werden. Beschlüsse (Resolutionen) des Sicherheitsrats (z. B. über ein Handelsembargo, eine friedenssichernde Maßnahme, eine friedenserzwingende Maßnahme) sind bindend und durchsetzbar, wenn mindestens neun Mitglieder zustimmen, darunter alle ständigen Mitglieder (Vetorecht), während Empfehlungen nicht rechtsverbindlich sind, aber auf Grund der gegenseitigen Abhängigkeiten doch auch Beachtung erzielen können.

4. Internationaler Gerichtshof

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag ist das universelle völkerrechtliche Gericht der Vereinten Nationen. Seine 15 Richter werden von dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung auf fünf Jahre gewählt und entscheiden mit relativer Stimmenmehrheit. Der Gerichtshof urteilt über Rechtsstreitigkeiten zwischen ihn anerkennenden und anrufenden Staaten und erstattet auf Antrag gerichtliche Gutachten.

5. Sonderorganisationen

Eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist die 1948 gegründete Weltgesundheitsorganisation (WHO). Für Ernährung und Landwirtschaft besteht eine besondere Welternährungsorganisation. Von den Vereinten Nationen getrennt ist die nach einem Vorläufer des Jahres 1947 im Jahre 1994 entstandene Welthandelsorganisation.

 

II. Europäische Union

Die Europäische Union ist (wegen Fehlens eines Staatsvolks [bzw. einer Staatsangehörigkeit] und einer Staatsgewalt [Herren über die europäischen Verträge sind noch die Mitgliedstaaten]) kein Staat, und wegen der Vielzahl der vergemeinschafteten Aufgaben auch kein bloßer Bund von Staaten (Staatenbund), sondern ein besonderer (seit 2013) aus 28 europäischen Staaten mit rund 500 Millionen Staatsbürgern bestehender, supranationaler Staatenverbund mit begrenzten Einzelermächtigungen und eigener Rechtspersönlichkeit (seit dem Vertrag von Lissabon vom 1. 12. 2009). Die Europäische Union hat deswegen keine (staatliche) Verfassung (sondern nur einen an Volksentscheiden in Frankreich und den Niederlanden gescheiterten Vertrag über eine Verfassung von Europa vom 29. 10. 2004). In den Gemeinschafts(gründungs)verträgen (vom 18. 4. 1951 [ausgelaufen im August 2002] und vom 25. 3. 1957), den verschiedenen Beitrittsverträgen und den Änderungsverträgen (1. 7. 1987 Einheitliche Europäische Akte, 7. 2. 1992 Vertrag von Maastricht, 2. 10. 1997 Vertrag von Amsterdam, 11. 12. 2000 Vertrag von Nizza, 13. 12. 2007 Vertrag von Lissabon [seit 1. 12. 2009 in Kraft, mit Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV]) ist aber ihr organisatorischer Zustand bzw. ihre überstaatliche und zwischenstaatliche Elemente aufweisende Organisation (mit 5 besonders wichtigen Organen) bestimmt.

1. Europäischer Rat

Der Europäische Rat ist das für die Festlegung der allgemeinen Leitlinien und Ziele der Politik der Europäischen Union zuständige Organ. Er besteht aus den Staatschefs bzw. Regierungschefs der Mitgliedstaaten (und mit beratender Stimme dem Präsidenten der Europäischen Kommission) und wird von dem auf 2,5 Jahre ernannten Präsidenten des Europäischen Rates geleitet. Der Europäische Rat tagt mindestens viermal jährlich (meist in Brüssel) und entscheidet grundsätzlich einstimmig, ist jedoch an der Rechtssetzung nicht unmittelbar beteiligt.

2. Rat (Ministerrat)

Der Rat der Europäischen Union ist eines der beiden Rechtsetzungsorgane der Europäischen Union, wird aber grundsätzlich nur über Vorschlag der Europäischen Kommission tätig. Er besteht aus den (2013 28) jeweils zuständigen Fachministern (z. B. Verkehrsministern) der Regierungen der Mitgliedstaaten, wobei der Vorsitz (im Rahmen einer Dreierpräsidentschaft) halbjährlich unter den Mitgliedstaaten wechselt (und im Rat für auswärtige Angelegenheiten der hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik den Vorsitz hat). Je nach Sachgebiet müssen die (an wechselnden Tagungsorten gefällten) Entscheidungen entweder einstimmig oder mit qualifizierter Mehrheit (doppelte Mehrheit von Staaten und Einwohnern, 2011 Mehrheit der Mitgliedstaaten, 62 Prozent der Unionsbürger, 2014 55 Prozent der Mitgliedstaaten, 65 Prozent der Bevölkerung) getroffen werden.

3. Europäisches Parlament

Das (1952 gegründete, vorwiegend in Straßburg, aber auch in Brüssel und Luxemburg als Arbeitsorten tagende) Europäische Parlament ist das andere der beiden Rechtssetzungsorgane der Europäischen Union. Seit 1979 werden seine zahlenmäßig den Mitgliedstaaten ungefähr nach der Bevölkerungszahl zugemessenen Abgeordneten jeweils für fünf Jahre in den Mitgliedstaaten gewählt. Es umfasste nach der Europawahl 2009 736 in politischen Fraktionen zusammenwirkende Abgeordnete und nach dem Vertrag von Lissabon 754 und soll ab der Europawahl 2014 750 [und den nicht stimmberechtigten Parlamentspräsidenten]) Abgeordnete zählen.

Die Zuständigkeiten des Europäischen Parlaments (zu Stellungnahme, Zustimmung und Kontrolle) sind ihm Einzelnen sehr verwickelt (Wahl des Kommissionspräsidenten, Verabschiedung des Gesamthaushaltsplans, Ernennung des Präsidenten des Europäischen Rates, Ernennung der Kommission). Insgesamt sind sie im Laufe der Jahre deutlich gewachsen. Hinter den Zuständigkeiten eines Parlaments eines Mitgliedstaats stehen sie aber noch erkennbar zurück.

4. Europäische Kommission

Die Europäische Kommission als von den Mitgliedstaaten unabhängiges Organ mit Sitz in Brüssel hat in erster Linie ausführende Aufgaben (Erlass der erforderlichen Durchführungsbestimmungen zu Ratsbeschlüssen), aber auch das alleinige Initiativrecht für Rechtsakte der Europäischen Union (Richtlinien, Verordnungen, Beschlüsse), wobei Rat und Europäisches Parlament den Vorschlag frei ändern können. Die mit einfacher Mehrheit entscheidende Europäische Kommission besteht (derzeit) aus je einem Kommissar jedes Mitgliedstaats für je einen besonderen Sachbereich (Politikbereich) und dem Präsidenten. Sie wird von dem Europäischen Rat für je fünf Jahre ernannt, doch kann das Europäische Parlament seine Zustimmung verweigern oder sein Misstrauen aussprechen.

Als ausführendes Organ überwacht die Europäische Kommission die Ausführung der europäischen Rechtsakte (z. B. durch die Mitgliedstaaten), darunter die Umsetzung des Haushalts. Gegebenenfalls klagt sie vor den Gerichten der Europäischen Union bzw. dem Gerichtshof (der Europäischen Union). Ihrer Unterstützung dienen entsprechende Generaldirektionen mit (2010) rund 23000 Beamten.

5. Gerichtshof der Europäischen Union

Gerichtshof der Europäischen Union ist (seit 2009) das gesamte Gerichtssystem der Europäischen Union mit Sitz in Luxemburg. Der (Europäische Gerichtshof oder einfach) Gerichtshof (im Rahmen des Gerichtshofs der Europäischen Union) ist das oberste Gericht, dem seit 1989 das europäische Gericht ([früher] erster Instanz, seit dem Vertrag von Lissabon 2009 Gericht [der Europäischen Union]) für einfachere Angelegenheiten vorgeschaltet ist und unterhalb dessen eigenständige Fachgerichte geschaffen sind bzw. werden können. (Europäischer) Gerichtshof und Gericht (der Europäischen Union) sind mit je einem Richter jedes Mitgliedstaats besetzt und werden überwiegend in kleinen Kammern tätig, wobei der (Europäische) Gerichtshof durch Generalanwälte unterstützt wird und vielfach über Vertragsverletzungsverfahren und Vorabentscheidungsersuchen entscheidet, aber grundsätzlich nicht von Einzelnen angerufen werden kann.

6. Weitere Organe

Weitere Organe sind etwa die Europäische Zentralbank in Frankfurt, der Europäische Rechnungshof in Luxemburg, die Europäische Investitionsbank, der Wirtschafts- und Sozialausschuss, der Ausschuss der Regionen und der Bürgerbeauftragte.

 

III. Österreich

Österreichs Bundesverfassung besteht im Kern aus dem Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. 10. 1920 als Stammgesetz, an dessen Gestaltung unter Staatskanzler Karl Renner maßgeblich Hans Kelsen mitwirkte. Dieses Gesetz wurde von der verfassunggebenden (konstituierenden) Nationalversammlung (als Staatsorganisationsgesetz ohne Benennung von Staatsaufgaben wie Sicherheit, Wohlfahrt oder Ordnung und ohne zusammenfassenden Grundrechtekatalog) beschlossen. Es gilt seit der Verordnung des Bundeskanzlers Österreichs vom 1. 1. 1930 in der Fassung des Jahres 1929 (B-VerfG in der Fassung von 1929), die am 4. 3. 1933 gebrochen (mit Anschluss an das Deutsche Reich 1938 Österreich als Völkerrechtssubjekt nach streitiger Ansicht nicht beseitigt, sondern nur handlungsunfähig und damit nicht verantwortlich), aber nach dem Verfassungsüberleitungsgesetz vom 1. 5. 1945 zum 19. 12. 1945 wieder in Kraft gesetzt wurde und seit 1. 1. 1995 den Titel Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) trägt (vgl. http://www.koeblergerhard.de/oegesetze/bvg.htm).

Das nicht abschließend gestaltete, vor allem die obersten Organe, die Art ihrer Bestellung und Abberufung sowie ihre Zuständigkeit ordnende Bundes-Verfassungsgesetz umfasst die Artikel 1 bis 152 und gliedert sich ohne überzeugende Systematik in 9 (am einfachsten nacheinander betrachtbare) Hauptstücke (Art. 1-23k, 24-59b, 60-94, 95-112, 115-120c, 121-128, 129-148, 148a-148j, 149-152), in denen hauptsächlich die wichtigsten Staatsorgane mit ihren Voraussetzungen, Aufgaben und Zuständigkeiten festgelegt sind (nur Organisationsteil). Wegen unterschiedlicher politischer Vorstellungen bei der Entstehung enthält es keinen eigenen Katalog der Grundrechte. Bisher wurde es mehr als fünfzig Mal abgeändert (z. B. 1925 Kompetenzartikel, 1929 Volkswahl des Bundespräsidenten, große Verfassungsreform der Jahre 2003-2005 im Österreich-Konvent gescheitert).

1. Erstes Hauptstück Allgemeine Bestimmungen. Europäische Union (Art. 1-23k B-VG)

Die allgemeinen Bestimmungen enthalten vor allem die Grundprinzipien der Verfassung Österreichs (so genannte Baugesetze), bei deren Änderung gemäß Art. 44 III B-VG eine zusätzliche Volksabstimmung erforderlich sein dürfte, und die Zuständigkeitsverteilung. Die Grundprinzipien sind nicht abschließend festgelegt. Allgemein anerkannt sind das Demokratieprinzip, das Republikprinzip, das Bundesstaatsprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Gewaltenteilungsprinzip, während das Neutralitätsprinzip vor allem wegen des Beitritts zur Europäischen Union zum 1. 1. 1995 in Zweifel geraten ist und das liberale Prinzip (Freiheitsrechte) nicht allgemein als eigenes Prinzip anerkannt wird.

a) Demokratieprinzip (demokratisches Prinzip)

Das Demokratieprinzip ist in Art. 1 B-VG enthalten und durch die Bestimmungen über den Nationalrat und die Gesetzgebung des Bundes sowie die Verfassungsbestimmungen des Parteiengesetzes näher ausgestaltet. Demgemäß ist Österreich eine demokratische Republik (Art. 1 S. 1 B-VG). Ihr Recht geht vom Volk aus (Art. 1 S. 2 B-VG).

Dementsprechend ist das Volk der Träger der Staatsgewalt Österreichs. Es gilt also der Grundsatz der Volkssouveränität. Das Volk ist oberstes Willensbildungsorgan, kann aber überwiegend nur mittelbar durch besondere, von ihm gewählte Organe (z. B. Nationalrat Art. 26 B-VG, Landtage Art. 95 B-VG) handeln (mittelbare Demokratie)(, unmittelbares Volks­handeln außer durch Wahl nur durch gewisse Möglichkeiten des Volksbegehrens, der Volksabstimmung und der Volksbefragung ohne große rechtstatsächliche Bedeutung), die jedoch beispielsweise das für das Volk geltende Recht schaffen, so dass die Rechtsanwendung Verwirklichung des Volkswillens gegenüber dem Volk bedeutet.

b) Republikprinzip (republikanisches Prinzip)

Nach Art. 1 S. 1 B-VG ist Österreich eine (demokratische) Republik(, aber wegen der Unabhängigkeit der Minister vom Bundespräsidenten keine Präsidentschaftsrepublik wie die Vereinigten Staaten von Amerika oder Frankreich und wegen des Fehlens der Bestimmung der Bundesminister durch das Parlament keine parlamentarische Republik wie z. B. die Schweiz). Seine Regierungsform ist also (seit 1918) keine Monarchie (mehr). Kennzeichen der Republik ist das auf Zeit (z. B. 6 Jahre) gewählte, politisch verantwortliche und deswegen unter Umständen auch absetzbare Staatsoberhaupt (Bundespräsident) (an der Stelle des erb­lichen, dem Volk nicht wirklich verantwortlichen Kaisers).

c) Bundesstaatsprinzip (bundesstaatliches Prinzip)

Österreich ist ein Bundesstaat (Art. 2 I B-VG). Demnach ist Österreich kein Einheitsstaat (wie etwa China, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, die Türkei oder der Vatikan, eigene Zwischenstellung Vereinigtes Königreich von Großbritannien). Wie Deutschland, die Schweiz, Russland oder die Vereinigten Staaten von Amerika ist es ein aus mehreren Gliedstaaten zusammengesetzter Bundesstaat, dessen Teile allerdings nicht durch einen (einmaligen) Bund, sondern nur in einem langen geschichtlichen Vorgang zueinander gekommen sind (z. B. zu Oberösterreich und Niederösterreich [mit Wien] als ältestem Kern des 996 erstmals genannten Ostarrihhi [Ostreichs, Ostgebiets, Ostlands] 1180/1192 Steiermark, 1335 Kärnten, 1363 Tirol, danach in Teilstücken Vorarlberg, 1805 Salzburg, 1919/1921 Burgenland) und dessen Staatsgewalt durch beschränkte Zugeständnisse des Gesamtstaats an seine Teile seit dem 19. Jahrhundert bezüglich der Gesetzgebung (Landesgesetzgebung, Mitwirkung des Bundesrats bei Bundesgesetzgebung) und der Vollziehung (mittelbare Bundesverwaltung) (und damit nicht auch der allein dem Bund vorbehaltenen Gerichtsbarkeit) zwischen dem Gesamtstaat (Österreich) und seinen Teilstaaten (Bundesländer) unter Überwiegen des Bundes geteilt ist.

Österreich wird gebildet aus den selbständigen Ländern Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien (Art. 2 II B-VG). Die Länder sind ausdrücklich (eingeschränkt) selbständig. Änderungen im Bestand der Länder oder eine Einschränkung der in diesem Absatz und in Art. 3 vorgesehenen Mitwirkung der Länder bedürfen auch verfassungsgesetzlicher Regelungen der Länder.

Das Bundesgebiet umfasst die Gebiete der Bundesländer (Art. 3 I B-VG), weshalb Grenzänderungen auch die Zustimmung der betroffenen Länder benötigen (Art. 3 II-III B-VG). Das Bundesgebiet bildet ein einheitliches Währungsgebiet, Wirtschaftsgebiet und Zollgebiet (Art. 4 I B-VG). Bundeshauptstadt und Sitz der obersten Organe des (geschichtlich von Oberösterreich und Niederösterreich ausgehenden) Gesamtstaats ist Wien (Art. 5 I B-VG).

Für die Republik Österreich besteht eine einheitliche Staatsbürgerschaft (Art. 6 I B-VG), wobei alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind (Art. 7 I B-VG). Staatssprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die deutsche Sprache (Art. 8 I B-VG). Die Farben der Republik Österreich sind rot-weiß-rot (Art. 8a I B-VG).

d) Rechtsstaatsprinzip (rechtsstaatliches Prinzip)

Rechtsstaat ist der auf Grund einer Verfassung (Verfassungsstaat) an das Recht gebundene Staat, in dem die Staatsgewalt auf eine in den Grundzügen unabänderliche, im Ganzen auf Dauer angelegte objektive Rechtsordnung verpflichtet und die Bindung der ausführenden Gewalt an die Gesetze durch unabhängige Gerichte (Rechtsschutzstaat) gesichert ist. Nach Art. 1 S. 2 B-VG geht Österreichs Recht vom Volk aus, nach Art. 18 I B-VG darf die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden und nach Art. 18 II B-VG kann eine Verwaltungsbehörde eine Verordnung (nur) auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereichs erlassen, wobei eine Ermächtigung zu einer Verordnung nach Inhalt und Ziel genau beschrieben sein muss (Gesetzesstaat). Materiell gewährleistet der Staat Rechtsstaatlichkeit etwa durch den Gleichheitssatz, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Notwendigkeit des Parteiengehörs, die Unschuldsvermutung, das Erfordernis der Begründung belastender Eingriffe oder durch das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetzgebung.

Das Rechtsstaatsprinzip schränkt also die Macht des Staates ein, wobei dem Einzelnen auch grundsätzliche Freiräume belassen werden müssen (z. B. Lernfreiheit). Damit soll der Bürger vor der Willkür des Staats und seiner einzelnen Amtsträger geschützt werden. Außerdem ist der moderne Rechtsstaat auch darauf gerichtet, einen materiell gerechten Zustand herzustellen und zu erhalten.

e) Gewaltenteilungsprinzip

Gewaltenteilung ist die Aufteilung der wegen ihres Umfangs für den Einzelnen gefährlichen Gewalt des Staates auf mehrere Gewalten oder Staatsorgane zwecks Machtbegrenzung und Freiheitssicherung. Seit den frühneuzeitlichen Staatstheoretikern John Locke (1690) und Charles de Montesquieu (1748) werden dabei (horizontal) Gesetzgebung (Legislative, Schaffung der Gesetze), (Rechts-)Ausführung (Exekutive, Vollzug der Gesetze) und Rechtsprechung (Judikative, Anwendung des Rechtes) (sowie später als vierte Gewalt eine unabhängige Presse) und vertikal Gesamtstaat(, Gliedstaat) und Kommunal(selbst)verwaltung unterschieden. In Österreich ist das durch zahlreiche Verschränkungen (System von checks and balances wie beispielsweise die Kontrolle der Bundesregierung durch den Nationalrat, den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof) durchbrochene Gewaltenteilungsprinzip, aus dem sich im Übrigen auch die Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) mancher gleichzeitiger Organstellungen in einer Person wie z. B. Bundespräsident und Bundeskanzler ergibt, nicht in einem eigenen Artikel des Bundes-Verfassungsgesetzes festgelegt, wird aber allgemein der Gesamtheit der Verfassungsartikel entnommen (vgl. die Überschriften vor den Art. 24, 60, 82 oder den Inhalt des Art. 94 [Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt]).

f) Zuständigkeitsverteilung

Im Bundesstaat muss die Zuständigkeit für staatliche Aufgaben zwischen Gesamtstaat (Bund) und Gliedstaaten (Ländern, Bundesländern) aufgeteilt werden. Hierfür gilt in Österreich Art. 15 I B-VG. Danach verbleibt, soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, diese Angelegenheit im selbständigen Wirkungsbereich (der Gesetzgebung und Vollziehung) der Länder (taxative Enumeration oder abschließende Aufzählung mit Generalklausel). Demnach sind in Österreich für staatliche Aufgaben grundsätzlich die Länder zuständig (tatsächlich z. B. für Bauwesen, Naturschutz oder Jagd), wobei allerdings nach Art. 82 alle Gerichtsbarkeit vom Bund ausgeht und die Urteile und Erkenntnisse im Namen der Republik verkündet und ausgefertigt werden.

Nach Art. 10 B-VG ist demgegenüber abweichend vom Grundsatz des Art. 15 I B-VG erstens Bundessache die Gesetzgebung und die Vollziehung z. B. in den (besonders wichtigen) Angelegenheiten Bundesverfassung, äußere Angelegenheiten, Bundesfinanzen, Geldwesen, Kreditwesen, Börsewesen und Bankwesen, Zivilrechtswesen, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, Gewerbe und Industrie, Verkehrswesen, Bergwesen, Arbeitsrecht, Gesundheitswesen, wissenschaftlicher und fachtechnischer Archiv- und Bibliotheksdienst, Organisation und Führung der Bundespolizei, militärische Angelegenheiten, Einrichtung der Bundesbehörden und sonstigen Bundesämter, Bevölkerungspolitik und Wahlen zum Europäischen Parlament. Dabei gilt der Grundsatz der strikten Trennungsordnung, weshalb es keine konkurrierende Zuständigkeit von Bund und Ländern (wie z. B. in Deutschland) gibt. Es herrscht die so genannte Versteinerungstheorie, wonach der Zustand vom 1. 10. 1925 als abschließende Regelung gewollt ist.

Nach Art. 11 B-VG ist abweichend vom Grundsatz des Art. 15 I B-VG zweitens Bundessache die Gesetzgebung, Landessache die Vollziehung etwa für die Staatsbürgerschaft, berufliche Vertretungen, Volkswohnungswesen, Straßenpolizei, Binnenschifffahrt oder Tierschutz.

Nach Artikel 12 B-VG ist schließlich abweichend vom Grundsatz des Art. 15 I B-VG drittens Bundessache die Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung in den Angelegenheiten etwa des Armenwesens, der öffentlichen Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten, der Bodenreform, der Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge, des Elektrizitätswesens oder des Arbeiterrechts.

Sonderregeln bestehen (in Abweichung vom Grundsatz des Art. 15 I B-VG) für Abgabenwesen (Finanzverfassung Art. 13 B-VG), Schulwesen (Art. 14 B-VG), Privatwirtschaftsverwaltung (Art. 17 B-VG), Gerichtsbarkeit (Art. 82 I B-VG), oder Gemeinderecht (Art. 115 II B-VG)  (früher auch unabhängige Verwaltungssenate Art. 129b VI B-VG).

Zuständig für eine Abänderung der (bewusst versteinerten) Kompetenz ist der Bundesverfassungsgesetzgeber, der damit die Zuständigkeit für die Änderung der Zuständigkeit (Kompetenzkompetenz) hat. Notwendig ist im Zweifel die Zustimmung des Bundesrats. Ein vollständiger Entzug von Landeskompetenz ist wegen des Bundesstaatsprinzips grundsätzlich als verfassungswidrig ausgeschlossen.

2. (Zweites Hauptstück) Gesetzgebung des Bundes (Art. 24-59b B-VG)

Den allgemeinen Bestimmungen folgt als nächst wichtige Angelegenheit im zweiten Hauptstück die Gesetzgebung des Bundes (getrennt von der Ausführung der Gesetze oder Exekutive und der Gerichtsbarkeit oder Judikative).

a) Zuständigkeit

Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat gemeinsam mit dem Bundesrat aus (Art. 24 B-VG). Damit ist für die Entstehung von Bundesgesetzen das Zusammenwirken mindestens zweier Staatsorgane erforderlich (Zweikammersystem). Sie stehen aber nicht völlig gleichberechtigt nebeneinander.

aa) Nationalrat

Der Nationalrat (mit Sitz in Wien) wird vom Bundesvolk auf Grund des allgemeinen, gleichen, unmittelbaren, persönlichen, freien und geheimen Wahlrechts der Männer und Frauen, die am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl grundsätzlich auf fünf Jahre gewählt (Art. 26 I B-VG, keine Wahlpflicht), wobei für die Einzelheiten die besondere Wahlordnung zum Nationalrat gilt. Dabei wird das Bundesgebiet in räumlich geschlossene Wahlkreise, deren Grenzen die Landesgrenzen nicht schneiden dürfen, geteilt und werden die Wahlkreise in Regionalwahlkreise untergliedert. Die Zahl der ([2013] 183) Abgeordneten wird auf die Wahlberechtigten der Wahlkreise und der Regionalwahlkreise hauptsächlich nach der Zahl der jeweiligen Staatsbürger mit entsprechendem Hauptwohnsitz verteilt. Wählbar bzw. passiv wahlberechtigt ist jeder zum Nationalrat (aktiv) wahlberechtigte Staatsbürger Österreichs, der am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet hat.

Sitzungen des Nationalrats sind öffentlich (Art. 32 I B-VG). Wie sich aus Art. 31 B-VG ergibt, entscheiden die gewählten Abgeordneten des Nationalrats (als Träger eines freien, nicht an Aufträge der Wähler, sondern nur an das eigene Gewissen gebundenen Mandats) durch Beschluss, wobei der Nationalrat nur bei einer Anwesenheit mindestens eines Drittels (61) seiner (183) Mitglieder beschlussfähig (Präsenzquorum) ist (Art. 31 B-VG). Für das Zustandekommen eines Beschlusses ist (zumindest) die unbedingte (absolute) Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich (also mindestens 31 Stimmen bei etwa 61 abgegebenen Stimmen) (Konsensquorum, Art. 31 B-VG).

bb) Bundesrat

Nach Art. 34 I B-VG sind im Bundesrat die Länder im Verhältnis zur Bürgerzahl im Land vertreten, wobei die Mitglieder durch Wahl seitens der Landtage nach den Grundsätzen der Verhältniswahl für die Dauer der jeweiligen Landtagsgesetzgebungsperiode gewählt werden. Das Land mit der größten Bürgerzahl entsendet zwölf Mitglieder, Länder mit geringerer Bürgerzahl entsprechend weniger Mitglieder, mindestens aber drei Mitglieder (Art. 34 II B-VG). Demnach stellen (2013) von den 62 von den jeweiligen Landtagen gewählten, weisungsfreien Mitgliedern Niederösterreich 12 Mitglieder, Wien und Oberösterreich 11 Mitglieder, Steiermark 9 Mitglieder, Tirol 5 Mitglieder, Kärnten und Salzburg 4 Mitglieder sowie Burgenland und Vorarlberg 3 Mitglieder.

b) Gesetzgebungsverfahren (Art. 41ff. B-VG Der Weg der Bundesgesetzgebung)

aa) Gesetzesvorschlag

Gesetzesvorschläge gelangen nach Art. 41 I B-VG an den Nationalrat als Anträge seiner Mitglieder, des Bundesrats oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrats sowie (zu etwa 85 Prozent) als Vorlagen der Bundesregierung. Außerdem ist jeder von mindestens 100000 Stimmberechtigten oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder gestellte Antrag (Volksbegehren), der eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betrifft, von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat vorzulegen. Andere förmliche Gesetzesinitiativen sind damit ausgeschlossen.

bb) Gesetzesbeschluss

Erforderlich ist nach dem ordnungsgemäß eingebrachten Gesetzesvorschlag und entsprechenden Beratungen (in Ausschüssen) ein (in dritter Lesung) von der notwendigen Mehrheit (Präsenzquorum ein Drittel der Mitglieder und Konsensquorum der Mehrheit der abgegebenen Stimmen) getragener Beschluss des Nationalrats. Jeder Gesetzesbeschluss des Nationalrats ist unverzüglich von dessen Präsidenten dem Bundesrat zu übermitteln (Art. 42 I B-VG). Gegen ihn kann der Bundesrat einen mit Gründen versehenen, grundsätzlich nur die Wirkung eines suspensiven Vetos entfaltenden Einspruch erheben (Art. 42 II B-VG, nur ausnahmsweise ist eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich, absolutes Veto), der dem Nationalrat binnen acht Wochen nach Einlangen des Gesetzesbeschlusses beim Bundesrat von dessen Vorsitzenden schriftlich übermittelt werden muss und dem Bundeskanzler zur Kenntnis zu bringen ist (Art. 42 III B-VG).

Erhebt der Bundesrat (innerhalb der Einspruchsfrist) keinen Einspruch, wird das Gesetzgebungsverfahren einfach weitergeführt. Wiederholt der Nationalrat seinen Gesetzesbeschluss (trotz des Einspruchs des Bundesrats) bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte seiner Mitglieder (92, Präsenzquorum) mehrheitlich (Beharrungsbeschluss, 46 Stimmen), so ist der Gesetzesbeschluss wirksam (Art. 42 IV B-VG). Danach nimmt das Gesetzgebungsverfahren seinen Fortgang.

Drei Besonderheiten gelten bei Verfassungsgesetzen oder bei in einfachen Gesetzen enthaltenen Verfassungsbestimmungen, die erstens ausdrücklich als Verfassungsgesetze oder Verfassungsbestimmungen bezeichnet werden müssen. Bei ihnen muss zweitens bei der Abstimmung im Nationalrat mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend sein (erhöhtes Präsenzquorum, 92) und müssen drittens mindestens zwei Drittel der abgegebenen Stimmen den Antrag bejahen (erhöhtes Konsensquorum, Art. 44. I, vgl. auch Art. 44 II B-VG) (also z. B. bei Anwesenheit von 92 Abgeordneten mindestens 62 von 92 abgegebenen Stimmen).

Jede Gesamtänderung der Bundesverfassung und auf bestimmte Verlangen auch jede Teil­änderung ist außerdem einer Abstimmung des gesamten Bundesvolks zu unterziehen (Art. 43 III B-VG, bisher nur 1994 anlässlich des Beitritts zur Europäischen Union durchgeführt).

cc) Beurkundung und Gegenzeichnung

Das verfassungsmäßige Zustandekommen der Bundesgesetze wird (nach Gesetzesbeschluss ohne Einspruch des Bundesrats oder bei Einspruch nach Beharrungsbeschluss des Nationalrats) durch den Bundespräsidenten beurkundet. Die Vorlage zur Beurkundung erfolgt durch den Bundeskanzler. Die Beurkundung ist vom Bundeskanzler gegenzuzeichnen (Art. 47 B-VG).

dd) Kundmachung im Bundesgesetzblatt

Bundesgesetze und gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG genehmigte Staatsverträge werden mit Berufung auf den Beschluss des Nationalrats, Bundesgesetze, die auf einer Volksabstimmung beruhen, mit Berufung auf das Ergebnis der Volksabstimmung kundgemacht (Art. 48 B-VG). Die Bundesgesetze sind vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt, seit 1. 1. 2004 auf dem Server des Bundeskanzleramts in elektronischer Form kundzumachen (Rechtsinformationssystem des Bundes - RIS - www.ris.bka.gv.at - eine vom Bundeskanzleramt betriebene elektronische Datenbank, die der Kundmachung der im Bundesgesetzblatt zu verlautbarenden Rechtsvorschriften und der Unterrichtung über das Recht der Republik Österreich dient). Soweit nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, treten sie mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung in Kraft und gelten (ab 0 Uhr des nächsten Tages) für das gesamte Bundesgebiet (Art. 49 B-VG), womit dann die entsprechende Gesetzgebung, die im Übrigen durch einen gegenläufigen förmlich-ausdrücklichen oder sachlich-inhaltlichen Beschluss des Gesetzgebers wieder aufgehoben (formell oder materiell derogiert) werden kann, abgeschlossen ist.

c) Rechtswidrigkeit

Die Gesetzgebung kann rechtswidrig sein (z. B. Rückwirkung von Strafgesetzen zu Lasten Verdächtiger). Ein Landesgesetz kann die Landesverfassung oder die Bundesverfassung verletzen, ein Bundesgesetz die Bundesverfassung oder europäisches Gemeinschaftsrecht. Rechtswidrig handelt etwa auch der Gesetzgeber, der mittelbar diskriminierendes vorbeitrittsrechtliches Recht nach Beitritt zur (Europäischen Gemeinschaft) nicht aufhebt.

3. Drittes Hauptstück Vollziehung des Bundes (Art. 60-94 B-VG)

Das dritte Hauptstück schließt an die Gesetzgebung des Bundes die Vollziehung (Ausführung, Exekutive) des Bundes mit den drei wichtigsten dafür zuständigen Bundesorganen (Bundespräsident, Bundesregierung und Bundesminister) an. Es behandelt aber auch nachrangige Ausführungsorgane. Außerdem verbindet es (wie 1690 John Locke [1632-1704]) trotz der grundsätzlichen Gewaltenteilung mit der Ausführung auch die (eigentlich der besonderen Judikative zugehörige) Gerichtsbarkeit.

a) Bundespräsident

Der ohne nachgeordnete Organe tätige Bundespräsident wird vom Bundesvolk auf Grund des gleichen, unmittelbaren, persönlichen, freien und geheimen Wahlrechts der zum Nationalrat wahlberechtigten Männer und Frauen auf sechs Jahre (Möglichkeit unmittelbar anschließender einmaliger Wiederwahl) gewählt, wobei im Falle nur eines Bewerbers die Wahl in Form einer Abstimmung durchzuführen ist (Art. 60 I B-VG). Gewählt werden kann nur, wer das Wahlrecht zum Nationalrat hat, am Wahltag das 35. Lebensjahr vollendet hat und nicht einem regierenden Haus oder einem ehemals regierenden Haus angehört (Art. 60 III B-VG). Gewählt ist, wer im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen (absolute Mehrheit) für sich hat oder im zweiten Wahlgang bei der andernfalls erforderlichen Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen die Mehrheit der Stimmen erreicht (Art. 60 II B-VG).

Der Bundespräsident (ist Staatsoberhaupt und oberstes Organ der Bundesverwaltung und) vertritt die Republik nach außen und schließt Staatsverträge ab (Art. 65 I B-VG). Er ernennt und entlässt (den Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag) die (Bundesminister als die übrigen) Mitglieder der Bundesregierung und ernennt die (höheren) Bundesbeamten und Richter (Art. 65 II a, 86 I B-VG). Er kann den Nationalrat und die Landtage auflösen, ist Oberbefehlshaber des Bundesheers und kann begnadigen und auf Antrag der Eltern uneheliche Kinder zu ehelichen Kindern erklären (Art. 65 II c, d B-VG).

Alle Akte des Bundespräsidenten erfolgen grundsätzlich auf Vorschlag der Bundesregierung oder eines von ihr ermächtigten Bundesministers (Art. 67 I B-VG). Alle Akte des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit grundsätzlich der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers oder des zuständigen Bundesministers (Art. 67 II B-VG). Zur Unterstützung des für die Ausübung seiner Funktionen der besonderen Bundesversammlung verantwortlichen Bundespräsidenten ist die ihm unterstehende Präsidentschaftskanzlei berufen (Art. 67a B-VG).

b) Bundesregierung und Bundesminister (bzw. Bundeskanzler und übrige Mitglieder)

Die unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers stehende, aus dem Bundeskanzler (lat. primus inter pares, erster unter Gleichen ohne Richtlinienkompetenz und mit dem Bundeskanzleramt als eigenem Ministerium), dem Vizekanzler und den übrigen Bundesministern bestehende, durch Bundesverfassungsgesetz und einfaches Gesetz mit Aufgaben betraute, der Einstimmigkeit ihrer Beschlüsse unterworfene Bundesregierung, die im Gegensatz zu den einzelnen Bundesministern keine nachgeordneten Organe hat, ist mit den obersten Verwaltungsgeschäften betraut, soweit diese nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind (Art. 69 B-VG). Der Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom Bundespräsidenten ernannt (Art. 70 I B-VG). Zum Bundeskanzler, Vizekanzler oder Bundesminister kann nur ernannt werden, wer zum Nationalrat wählbar ist, ohne dass der Betreffende dem Nationalrat angehören muss (Art. 70 II B-VG). Versagt der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch ausdrückliche Entschließung in Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Nationalrats (Präsenzquorum) das Vertrauen, so ist die Bundesregierung oder der betreffende Bundesminister des Amtes zu entheben (Art. 74 B-VG).

Die Mitglieder der Bundesregierung sind dem Nationalrat gemäß Art. 142 B-VG verantwortlich (Art. 76 I B-VG). Zur Besorgung der Geschäfte der Bundesverwaltung sind die Bundesministerien und die ihnen unterstellten Ämter (nachgeordneten Organe) berufen (Art. 77 I B-VG). Die Zahl der Bundesministerien, ihr Wirkungsbereich und ihre Einrichtung werden durch Bundesgesetz bestimmt (Art. 77 II B-VG).

c) Sicherheitsbehörden des Bundes

Oberste Sicherheitsbehörde des Bundes ist der Bundesminister für Inneres. Ihm sind die Sicherheitsdirektionen mit den Bezirksverwaltungsbehörden und die Bundespolizeidirektionen als Sicherheitsbehörden nachgeordnet. Sind Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum von Menschen gefährdet oder steht eine solche Gefährdung unmittelbar bevor, so sind die Sicherheitsbehörden jedenfalls bis zum Einschreiten der jeweils zuständigen Behörde zur ersten allgemeinen Hilfeleistung zuständig (Art. 78a I, II B-VG).

d) Bundesheer

Dem Bundesheer obliegt die militärische Landesverteidigung (Art. 79 I B-VG). Den Oberbefehl führt der Bundespräsident (Art. 80 I B-VG). Soweit nicht nach dem Wehrgesetz der Bundespräsident über das Heer verfügt, steht die Verfügung dem zuständigen Bundesminister innerhalb der ihm von der Bundesregierung erteilten Ermächtigung zu, wobei im Übrigen die Befehlsgewalt über das Bundesheer der zuständige Bundesminister ausübt (Art. 80 II, III B-VG).

e) Schulbehörden des Bundes

Die Verwaltung des Bundes auf dem Gebiet des Schulwesens ist grundsätzlich vom zuständigen Bundesminister und von den ihm unterstehenden Schulbehörden des Bundes zu besorgen (Art. 81a B-VG).

f) Universitäten

Die öffentlichen Universitäten sind Stätten freier wissenschaftlicher Forschung, Lehre und Erschließung der Künste (Art. 81 c B-VG).

g) Gerichtsbarkeit

Alle Gerichtsbarkeit (ab 1. 1. 2014 die ordentliche Gerichtsbarkeit) geht vom Bund aus (Art. 82 I B-VG), so dass keine (ordentliche) Landesgerichtsbarkeit oder Kommunalgerichtsbarkeit besteht. Die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte wird durch Bundesgesetz festgestellt (Art. 83 I B-VG). Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden (Art. 83 II B-VG).

Die Richter werden grundsätzlich auf Antrag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt (Art. 86 I B-VG). Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig (Art. 87 I B-VG). Die Geschäfte sind zwecks Ausschlusses subjektiver Zielsetzungen unter die Richter eines Gerichts für die in der Gerichtsverfassung bestimmte Zeit (objektiv) im Voraus zu verteilen (Art. 87 III 1 B-VG, Gedanke des gesetzlichen Richters).

Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt (Art. 94 [I] B-VG).

4. Viertes Hauptstück Gesetzgebung und Vollziehung der Länder (Art. 95-112 B-VG)

a) Gesetzgebung (Legislative)

Die Gesetzgebung  der Länder wird von den vom jeweiligen Landesvolk gewählten Landtagen ausgeübt (Art. 95 I 1 B-VG, Einkammersystem). Die durch Landesverfassungsgesetz zu erlassende Landesverfassung kann, soweit dadurch die Bundesverfassung einschließlich ihrer Grundprinzipien (Baugesetze) nicht berührt wird, durch Landesverfassungsgesetz abgeändert werden (Art. 99 I B-VG). Alle (bei Landesverfassungsgesetzen mit erhöhtem Präsenzquorum und erhöhtem Konsensquorum zu fassenden) Gesetzesbeschlüsse der Landtage sind unmittelbar nach der Beschlussfassung des Landtags vor ihrer Kundmachung vom Landeshauptmann dem Bundeskanzleramt bekanntzugeben (Art. 98 I B-VG), woraufhin die Bundesregierung Einspruch erheben und der Landtag einen Beharrungsbeschluss fassen kann.

Ein Widerspruch zwischen Bundesrecht und Landesrecht kann auf Grund der Zuständigkeitsverteilung grundsätzlich nicht entstehen. Ergibt er sich gleichwohl, beruht er auf einer Zuständigkeitsüberschreitung einer Seite. Die jeweils fehlerhafte Bestimmung ist in einem eigenen Verfahren vom Verfassungsgerichtshof aufzuheben.

b) Vollziehung (Exekutive)

Die Vollziehung jedes Landes übt eine vom Landtag zu wählende Landesregierung, der Bezirksverwaltungsbehörden nachgeordnet bzw. unterstellt sind, aus (Art. 101 I B-VG). Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, der erforderlichen Zahl von Stellvertretern und weiteren Mitgliedern (Landesräten) (Art. 101 III B-VG). Der Landeshauptmann wird vom Bundespräsidenten angelobt (Art. 101 IV 1 B-VG).

Im Bereich der Länder üben die Vollziehung des Bundes nur dann Bundesbehörden aus, wenn Bundesbehörden bestehen (unmittelbare Bundesverwaltung, vgl. Art. 102 II B-VG). In allen anderen Fällen üben die Vollziehung des Bundes der Landeshauptmann und die unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung, bei der Landesorgane im organisatorischen Sinne funktionell als Bundesorgane tätig werden, 84 monokratische Bezirkshauptmannschaften unter der Leitung des Bezirkshauptmanns und 15 monokratische Statutarstädte wie Wien, Graz, Linz, Salzburg oder Innsbruck mit monokratischen Magistraten unter der Leitung des Bürgermeisters [als Bezirksverwaltungsbehörden]) (Art. 102 I 1 B-VG). Daneben führen die Landesbehörden die Landesgesetze aus.

c) Gerichtsbarkeit

Für jedes Land besteht ab 1. 1. 2014 ein Verwaltungsgericht des Landes (Landesverwaltungsgericht).

5. Fünftes Hauptstück Selbstverwaltung (Art. 115-120c B-VG)

Jedes Land gliedert sich in Gemeinden (Ortsgemeinden) (Art. 116 I 1 B-VG). Die Gemeinde ist Gebietskörperschaft mit dem Recht auf (territoriale) Selbstverwaltung (mit Weisungsfreiheit gegenüber außen) der eigenen Angelegenheiten (z. B. örtliche Raumordnung, örtliche Bauangelegenheiten, kommunale Unternehmen) und zugleich Verwaltungssprengel. Jedes Grundstück muss zu einer Gemeinde gehören (Art. 116 I 2, 3 B-VG).

Soweit nicht ausdrücklich eine Zuständigkeit des Bundes festgesetzt ist, hat die Landesgesetzgebung das Gemeinderecht zu regeln (Art. 115 II B-VG). Als Organe der Gemeinde sind jedenfalls vorzusehen der Gemeinderat als zu wählender allgemeiner Vertretungskörper, der Gemeindevorstand (Stadtrat), bei Städten mit eigenem Statut der Stadtsenat, und der Bürgermeister (Art 117 I B-VG). Der Wirkungsbereich der Gemeinde ist ein eigener Wirkungsbereich einerseits (z. B. Bau und Verwaltung von Straßen, Vergabe von Förderungen an Vereine, Flächenwidmung, Katastrophenschutz, Verwaltung der Gemeindefinanzen) und ein vom Bund oder Land übertragener, von Weisungsgebundenheit bestimmter Wirkungsbereich andererseits (z. B. Führung des Melderegisters, Durchführung von Nationalratswahlen und Landtagswahlen, Gemeinde ist Verwaltungssprengel, Bürgermeister Organ) (Art. 118 I B-VG).

In der Gemeinde wählen die Gemeindebürger und die Staatsbürger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union mit Wohnsitz in der Gemeinde den Gemeinderat, der kollegiales Beratungsorgan und Beschlussorgan ist. Der Gemeinderat wählt den Gemeindevorstand bzw. in Statutarstädten den Stadtsenat als vorberatendes Kollegialorgan. Je nach dem Kommunalverfassungsrecht des jeweiligen Bundeslands wählen die Gemeindebürger oder der Gemeinderat den die laufende Geschäftsführung ausführenden Bürgermeister als monokratisches Organ (Baubehörde erster Instanz ist dann z. B. in Innsbruck der Stadtmagistrat, zweite Instanz in Bausachen der Stadtsenat).

Neben der Selbstverwaltung der Gemeinden gibt es auch sonstige Selbstverwaltung. Nach Art. 120a B-VG können Personen zur selbständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden (Art. 120a I B-VG). Die Selbstverwaltungskörper haben das Recht, ihre Aufgaben in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen und im Rahmen der Gesetze Satzungen zu erlassen (Art. 120b B-VG).

6. Sechstes Hauptstück Rechnungs- und Gebarungskontrolle (Art. 121-128 B-VG)

Zur Überprüfung der Gebarung des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden und anderer, durch Gesetz bestimmter Rechtsträger ist der Rechnungshof berufen (Art. 121 I B-VG).

7. Siebtes Hauptstück Garantien der Verfassung und Verwaltung (Art. 129-148)

Zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung sind (bis 31. 12. 2013, danach je ein Landesverwaltungsgericht für jedes Land, für den Bund ein als Bundesverwaltungsgericht zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes und ein als Bundesfinanzgericht zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen) die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, der Asylgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof berufen (Art. 129 B-VG). Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern erkennen nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzugs, sofern ein solcher in Betracht kommt, in besonders aufgeführten Angelegenheiten (Art. 129a I B-VG). Für Asylverfahren ist ein besonderer Asylgerichtshof eingerichtet (Art. 129c B-VG).

a) Verwaltungsgerichtshof

Der Verwaltungsgerichtshof (Judenplatz 11, Wien 1) erkennt (als Kassationsgericht mit den Möglichkeiten der Zurückweisung von Beschwerden und der Aufhebung von Gesetzen, Verordnungen und Bescheiden) über Beschwerden, womit Rechtswidrigkeit von Bescheiden der Verwaltungsbehörden oder Verletzung der Entscheidungspflicht der Verwaltungsbehörden behauptet wird (Art. 130 B-VG). Gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde kann vor allem wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet und den Instanzenzug erschöpft hat. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in Senaten (Art. 135 I B-VG).

b) Verfassungsgerichtshof

Der nicht ständig, sondern in Sessionen tagende Verfassungsgerichtshof (Judenplatz 11, Wien 1) erkennt (bis 31. 12. 2013 als Kassationsgericht) beispielsweise über vermögensrechtliche Ansprüche gegen Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind, über bestimmte Kompetenzkonflikte (Zuständigkeitsstreitigkeiten), über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen (Art. 139 B-VG, Verordnungsprüfungsverfahren), über Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen oder Landesgesetzen (Art. 140 B-VG, Gesetzesprüfungsverfahren, Aufhebung wird vom Bundeskanzler kundgemacht, wirksam mit Ablauf des Tages der Aufhebung oder ab besonders bestimmtem Zeitpunkt), über die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte (Grundrechte) durch einen Bescheid nach Erschöpfung des Verwaltungsinstanzenzugs (Bescheidprüfungsverfahren, praktisch besonders wichtig), über Anfechtung von Wahlen und über Anklagen gegen oberste Staatsorgane (z. B. Bundesministeranklage). Er besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten, zwölf weiteren Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern (Art. 147 I B-VG), die auf Grund von Vorschlägen der Bundesregierung, des Nationalrats und des Bundesrats vom Bundespräsidenten ernannt werden. Die näheren Bestimmungen über seine Organisation und sein Verfahren sind durch besonderes Gesetz geregelt.

8. Achtes Hauptstück Volksanwaltschaft (Art. 148a-148j B-VG)

Jedermann kann sich bei der Volksanwaltschaft wegen behaupteter Missstände in der Verwaltung des Bundes einschließlich dessen Tätigkeit als Träger von Privatrechten beschweren, sofern er von diesen Missständen betroffen ist und soweit ihm ein Rechtsmittel nicht oder nicht mehr zur Verfügung steht. Jede solche Beschwerde ist von der Volksanwaltschaft zu prüfen. Dem Beschwerdeführer sind das Ergebnis der Prüfung sowie die allenfalls getroffenen Veranlassungen mitzuteilen (Art. 148a I B-VG).

Sitz der Volksanwaltschaft ist Wien. Sie besteht aus drei Mitgliedern. Die Amtsdauer beträgt sechs Jahre mit der einmaligen Möglichkeit der Wiederwahl (Art. 148g B-VG).

9. Neuntes Hauptstück Schlussbestimmungen (Art. 149-152 B-VG)

Als weitere Verfassungsgesetze haben zu gelten das Staatsgrundgesetz vom 21. 12. 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, das Gesetz vom 27. 10. 1862 zum Schutze des Hausrechts, der Beschluss der provisorischen Nationalversammlung vom 30. 10. 1918, das Gesetz vom 3. 4. 1919 betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, das Gesetz vom 3. 4. 1919 über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden sowie Abschnitt V des III. Teiles des Staatsvertrages von Saint-Germain vom 10. 9. 1919.

10. Zusätzliche Bundesverfassungsgesetze und zusätzliche Bundesverfassungsbestimmungen

Zusätzliche Bundesverfassungsgesetze sind die nach Art. 44 I B-VG erlassenen Gesetze wie beispielsweise das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs (BGBl. 1955, 211) oder das Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks (BGBl. 1974, 396). Bundesverfassungsbestimmungen sind auch in einfachen Gesetzen mit Zustimmung des Bundesrats geschaffen worden (z. B. § 55 VI StVO). Außerdem sind bestimmte internationale Abkommen in das österreichische Verfassungsrecht integriert (wie z. B. die Europäische Menschenrechtskonvention [Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, unterzeichnet in Rom am 4. 11. 1950, allgemein in Kraft ab 3. 9. 1953], vgl. auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948).

Insgesamt ist das Verfassungsrecht Österreichs (Verfassungsrecht im formellen Sinne) also sehr komplex. Den Kern bildet als Stammgesetz das Bundes-Verfassungsgesetz. Daneben bestehen aber mehr als 70 weitere Bundesverfassungsgesetze, mehr als 12 verfassungsändernde Staatsverträge, mehr als 650 in einfachen Gesetzen enthaltene, nicht in jedem Fall wirklich grundlegende Verfassungsbestimmungen und mehr als 300 in Staatsverträgen enthaltene Verfassungsbestimmungen.

11. Grundrechte

Die entweder jedem Menschen (Menschenrechte) oder (nur) jedem Staatsbürger (Staatsbürgerrechte) als subjektive öffentliche Rechte zustehenden, meist der Abwehr staatlicher Eingriffe (lat. status negativus), später aber auch der Teilhabe und dem sozialen Schutz des Einzelnen (lat. status activus, status positivus) dienenden Grundrechte sind in Österreich nicht durch einen einheitlichen Grundrechtskatalog geschützt. Bedeutsam sind vor allem das gemäß Art. 149 B-VG in Verfassungsrang übergeleitete Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. 12. 1867 (RGBl. 142/1867), die vom Europarat erstellte, in Österreich im Verfassungsrang beschlossene Europäische Menschenrechtskonvention (BGBl. 1958, 210), die mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 wirksam gewordene Europäische Grundrechtecharta, zahlreiche internationale Spezialkonventionen sowie österreichische Einzelgesetze wie beispielsweise das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit (BGBl. 1998, 684) oder § 1 des Datenschutzgesetzes von 1978. Die wichtigsten einzelnen Grundrechte sind die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetz (Art. 7 B-VG, Art. 2 StGG 1867), das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Verbot der Folter (Art. 3 EMRK), das Verbot der Todesstrafe (Art. 85 B-VG, Art. 1 1. Zusatzprotokoll der EMRK), das Hausrecht, das Fernmeldegeheimnis, der Datenschutz, die Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), das Recht auf Eheschließung und Familienförderung (Art. 12 EMRK), der Schutz der persönlichen Freiheit und Sicherheit, das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 83 II B-VG), die grundsätzliche Unverletzlichkeit des Eigentums (Art. 5 StGG 1867, Art. 1 1. Zusatzprotokoll EMRK, Menschenrecht), die Berufsfreiheit, die Erwerbsfreiheit (Art. 6 StGG 1867, Staatsbürgerrecht), die Vereinsfreiheit (Art. 12 StGG 1867, Art. 11 EMRK), das Wahlrecht (politisches Grundrecht), die Meinungsfreiheit (Art. 13 StGG 1867, Art. 10 EMRK), die Freiheit der Wissenschaft (Art. 17 StGG 1867), die Freiheit des Unterrichts (Art. 17 II 2 B-VG), das Recht auf Bildung (Art. 2 1. Zusatzprotokoll EMRK), die Glaubensfreiheit (Art. 14 StGG 1867, Art. 9 EMRK) und die Religionsfreiheit (Art. 15 StGG 1867).

Verschiedene Grundrechte enthalten einen Gesetzesvorbehalt. Auf seiner Grundlage darf der einfache Gesetzgeber Ausnahmen und Beschränkungen der Grundrechte festlegen (z. B. trotz Freiheit Verhaftung von Straftätern, trotz Eigentum Besteuerung von Grundstücken). Eine Drittwirkung der Grundrechte zu Gunsten privater Dritter besteht nicht.

Grundrechte muss der Staat im Übrigen auch gewährleisten. Er muss also notwendige Schutzbestimmungen schaffen. Unterlässt er dies, kann sein Verhalten verfassungswidrig sein.

Geprüft wird die Einhaltung der Grundrechte von der Gerichtsbarkeit in ihrem jeweiligen Instanzenzug. Gerichte können als verfassungswidrig angesehene Gesetze dem Verfassungsgerichtshof vorlegen. Innerhalb des Europarats regelt die Europäische Menschenrechtskonvention das Verfahren zur Durchsetzung der Grundrechte, während weltweit die Verwirklichung der Menschenrechte wegen des völkerrechtlichen Grundsatzes der Nichteinmischung eines Staates in die inneren Angelegenheiten jedes anderen Staates schwierig ist.

 

IV. Land (z. B. Tirol)

Bei dem Erlass der nach Art. 99 B-VG durch Landesverfassungsgesetz vom Landesgesetzgeber (Landtag) zu erlassenden Landesverfassung (z. B. Tiroler Landesordnung) muss grundsätzlich mindestens die Hälfte der Mitglieder des Landtags anwesend sein (Präsenzquorum) und müssen zwei Drittel der abstimmenden Mitglieder zustimmen (Konsensquorum). Landesverfassungsrecht muss ausdrücklich als Landesverfassungsgesetz oder Landesverfassungsbestimmung bezeichnet sein. Das Landesverfassungsgesetz darf die Bundesverfassung nicht verletzen (z. B. kein Zweikammersystem wegen Art. 95 I B-VG, keine Direktwahl des Landeshauptmanns wegen Art. 101 B-VG).


§ 4 Verwaltung

A) Rechtswirklichkeit

B) Wesen

C) Arten

D) Rechtsgrundlagen

E) Verwaltungsorganisation

F) Verwaltungshandeln

 

A) Rechtswirklichkeit

Seit seiner Entstehung hat der Staat nicht nur eine Verfassung für die allgemeinen grundlegenden Angelegenheiten einschließlich der dafür erforderlichen Organisation, sondern bedarf auch einer Einrichtung für die Ausführung aller einfacheren Einzelangelegenheiten. Sie erfasst außer allen dem Staat über die Staatsangehörigkeit besonders verbundenen Menschen auch die Staatenlosen und die anderen Staaten zugehörigen Menschen. Sie werden in der modernen Zivilisation in vielfältiger Hinsicht vom Staat verwaltet.

Bereits die Geburt eines Menschen muss (nach dem Personenstandsgesetz) dem Staat angezeigt werden. Dabei muss auch ein bestimmter Name festgelegt werden, der sich teils aus der Herkunft von den Eltern ergibt (Familienname), teils von den Eltern aus der beschränkten Zahl der herkömmlichen Namen frei ausgewählt werden kann (Vorname, z. B. auch Maria in Verbindung mit einem anderen Vornamen für Männer). Auf Grund der Geburtsanzeige kann eine Geburtsurkunde ausgestellt werden, die zu Gunsten des Betroffenen seine Geburt während seines gesamten Lebens beweist.

Mit der Geburt wird der Betreffende grundsätzlich mit einer Wohnadresse gemeldet (Meldegesetz). Sobald seine Eltern für ihn oder später er selbst den Wohnsitz ändert, muss er dies der Meldebehörde mitteilen. Bei der bisherigen Meldebehörde muss der Meldepflichtige sich grundsätzlich abmelden, bei der neuen Meldebehörde sich anmelden.

Für jedes Kind haben Eltern mit Wohnsitz in Österreich unabhängig von ihrem Einkommen Anspruch auf staatliche Familienbeihilfe. Der Anspruch besteht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs, unter bestimmten Umständen auch darüber hinaus (grundsätzlich bis höchstens zur Vollendung des 24. Lebensjahrs). Eltern müssen aber die Familienbeihilfe besonders bei ihrem Wohnsitzfinanzamt beantragen.

Für die Erziehung und Betreuung von Kindern bestehen teils staatliche bzw. kommunale, teils freie Einrichtungen. Für die Aufnahme in einen staatlichen Kindergarten ist ein besonderer Antrag zu stellen. Auch wenn der Staat in der Frühzeit der Erziehung keinen eigenständigen, vom Erziehungsrecht der Eltern unabhängigen Auftrag hat, eröffnet der Kindergarten doch über das familiäre Umfeld hinaus erweiterte Erfahrungsmöglichkeiten, weshalb ab Herbst 2010 ein kostenloses verpflichtendes Kindergartenjahr (mindestens 20 Stunden an mindestens 4 Tagen pro Woche im Jahr vor Schuleintritt) besteht.

Mit der Vollendung des sechsten Lebensjahrs wird jedes Kind, das sich dauernd in Österreich aufhält, grundsätzlich mit Wirkung zum nächstfolgenden 1. September zum Besuch einer Schule verpflichtet (Schulunterrichtsgesetz). Die in Österreich auf Maria Theresia zurückzuführende allgemeine Schulpflicht dauert neun Jahre, wobei meist mit vier Jahren Volksschule oder Grundschule begonnen wird. Im Schulwesen beansprucht der Staat einen eigenständigen, vom Erziehungsrecht der Eltern unabhängigen Auftrag und verwaltet die Schüler entsprechend.

Hat ein Mensch ein Bedürfnis nach einem von einer staatlichen Stelle ausgegebenen Identitätsnachweis, kann er einen Personalausweis beantragen. Allerdings besteht keine Ausweispflicht. Deswegen steht es den Betroffenen frei, ob sie einen Personalausweis beantragen wollen.

Benötigt jemand eine Bestätigung für seine Staatsangehörigkeit Österreichs, kann er einen Staatsbürgerschaftsnachweis beantragen. Der Antrag ist an die Gemeinde bzw. den Magistrat bzw. bei Hauptwohnsitz im Ausland an die jeweils zuständige Vertretungsbehörde Österreichs zu stellen. Bei der Antragstellung ist der zuständigen Behörde der Besitz bzw. Erwerb der Staatsbürgerschaft Österreichs nachzuweisen.

Will ein Österreicher in das Ausland reisen, benötigt er dazu grundsätzlich einen Reisepass (seit 2009 Sicherheitspass mit Chip mit Fingerabdrücken). Dieser muss bei den Magistraten oder Bezirkshauptmannschaften oder bestimmten berechtigten Gemeinden beantragt werden. Er gilt zehn Jahre und muss dann erneut beantragt werden.

Will jemand in Österreich ein Kraftfahrzeug führen, benötigt er dafür eine Lenkberechtigung. Sie wird auf Antrag nach Durchführung einer vorgeschriebenen Ausbildung und erfolgreicher Ablegung einer Prüfung verliehen. Sie wird als Führerschein bezeichnet, für den innerhalb der Europäischen Union überwiegend einheitliche Regeln gelten.

Will jemand ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr benutzen, muss dieses dafür besonders zugelassen sein. Ehe das Kraftfahrzeug zugelassen werden kann, muss eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden. Bei der Zulassung wird von der zuständigen Behörde bei Vorliegen aller Voraussetzungen eine Zulassungsbestätigung ausgestellt.

Junge Männer sind dem Staat grundsätzlich zu einem Wehrdienst verpflichtet. Zur Überprüfung ihrer Tauglichkeit erfolgt im vorgesehenen Zeitpunkt eine Musterung. Auf Antrag ist statt Ableistung des Wehrdienstes auch Ableistung eines Zivildiensts möglich.

Will jemand nach dem erfolgreichen Abschluss der schulischen Ausbildung ein Studium aufnehmen, muss er dafür besonders zugelassen werden. Dafür muss er einen entsprechenden Antrag stellen und die erforderlichen Unterlagen vorlegen. Nach der Zulassung muss er zahlreiche weitere Anträge bei den zuständigen Stellen im Rahmen seiner Ausbildung stellen und entsprechend viele Verfahren durchlaufen.

Findet er nach seiner gesamten Ausbildung keinen Arbeitsplatz, kann er sich an die Arbeitsmarktverwaltung (Arbeitsmarktservice) wenden. Hat er Arbeit, muss er vom erzielten Lohn oder Einkommen Steuern und gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Will er heiraten oder ein Grundstück kaufen und ein Haus bauen, muss er ebenfalls bei den zuständigen Behörden Anträge stellen.

Selbst der Tod jedes Menschen erfordert eine besondere Anzeige bei der zuständigen Behörde und führt grundsätzlich zur Ausstellung einer besonderen Sterbeurkunde. Dementsprechend begleiten den Menschen von der Wiege bis zur Bahre viele Formulare bzw. zahlreiche Verwaltungsvorgänge, in denen der Staat, der freilich auch nichthoheitlich tätig werden kann (Privatwirtschaftsverwaltung beispielsweise für Krankenhäuser, Versorgungsunternehmen oder Wohnungsbauunternehmen sowie Erwerb von Verwaltungsmaterial, Beantragung einer Baugenehmigung, Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs, Vergabe öffentlicher Aufträge oder Subventionen [öffentlichrechtlich dagegen öffentlichrechtliche Stipendien]) grundsätzlich dem Einzelnen hoheitlich gegenübersteht. Diese Lage besteht nicht nur in Österreich, sondern weltweit, wobei die Dichte der Verwaltungstätigkeit am ehesten von der Dichte der Besiedlung abhängt.

 

B) Wesen

Verwaltung ist die auf längere Dauer angelegte Besorgung einer Angelegenheit oder mehrerer Angelegenheiten. Sie wird von demjenigen durchgeführt, der dazu Gewalt hat. Bedeutsam ist dabei weniger die Verwaltung der Angelegenheiten des Einzelnen durch ihn selbst und mehr die Verwaltung der Angelegenheiten aller durch den dafür die Zuständigkeit beanspruchenden Staat und seine monokratisch oder kollegial gestalteten Organe und Organwalter auf Grund der Hoheitsgewalt.

Hinsichtlich der Besorgung der Angelegenheiten der Allgemeinheit durch den Staat wird dabei seit dem 17./18. Jahrhundert sachlich eingegrenzt. Für die Schaffung neuer Gesetze ist die besondere gesetzgebende Gewalt (Legislative) als zuständig erklärt, deren Grundregeln in der Verfassung (Art. 24ff. B-VG) und deren Einzelheiten in Geschäftsordnungen niedergelegt sind, für die Überprüfung der Ausführung der Gesetze auf ihre Rechtmäßigkeit die besondere rechtsprechende Gewalt (Judikative), deren Grundregeln in der Verfassung (z. B. Art. 82 B-VG) und deren Verfahren in besonderen Verfahrensordnungen (z. B. Zivilprozessordnung) bestimmt sind. Da auch die grundlegenden politischen Entscheidungen der Regierung keine einfache Besorgung von Angelegenheiten sind, ist (öffentliche) Verwaltung also die Besorgung der Angelegenheiten der Allgemeinheit durch den Staat, die nicht Gesetzgebung, Rechtsprechung und Regierungstätigkeit ist (bzw. [verkürzt] jede Ausführung von Gesetzen, die nicht Gerichtsbarkeit ist).

Die Besorgung der Angelegenheiten der Allgemeinheit durch den Staat erfolgt durch einzelne bestimmte Handlungen von Organen (Art. 20 I 1 B-VG), wobei (neben den Gesetzgebungsorganen Nationalrat, Bundesrat und Landtag und den Rechtsprechungsorganen oder Gerichten) für die Ausführung der Gesetze die besonderen Verwaltungsorgane wie Bundespräsident, Bundesregierung und Bundesminister zuständig sind. Diese entweder monokratisch (z. B. Bundespräsident) oder kollegial (z. B. Bundesregierung) gestalteten Einrichtungen werden meist als Behörden (oder auch Ämter) (sowie in der Privatwirtschaftsverwaltung als sonstige Dienststellen) bezeichnet. Tätig werden in ihnen jeweils Menschen als Organwalter bzw. Amtsträger oder Funktionsträger (vielfach Beamte).

Der Grund für die Verwaltung ist die Notwendigkeit gemeinverträglichen Verhaltens für das Gemeinwohl. Da gemeinverträgliches Verhalten dem Interesse Einzelner widersprechen kann, lässt es sich oft nur gegen den Widerstand Einzelner verwirklichen, weshalb der Staat eine übergeordnete Gewalt (Hoheitsgewalt) benötigt und beansprucht. Sie bringt notwendigerweise eine Freiheitsbeschränkung des Einzelnen mit sich, so dass staatliche Verwaltung immer auch Beschränkung der Freiheit des Einzelnen bedeutet.

Die Grundsätze der Verwaltungstätigkeit sind in Österreich ebenfalls in der Verfassung niedergelegt. Damit ist ein formeller Verwaltungsbegriff geschaffen. Seine Kennzeichen sind Gesetzesgebundenheit (Legalitätsprinzip, str. für Privatwirtschaftsverwaltung) und Weisungsgebundenheit.

Nach Art. 18 I B-VG darf die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden (Gesetzesgebundenheit). Dies beruht darauf, dass Verwaltung grundsätzlich Eingriff in die Freiheit des Einzelnen bedeutet. Im Rechtsstaat darf in die Freiheit des Einzelnen aber grundsätzlich nur eingegriffen werden, wenn und soweit die Allgemeinheit dies durch die dafür zuständigen Abgeordneten öffentlich und allgemein für die Zukunft beschlossen hat.

Die unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder die Verwaltung führenden, nach den Bestimmungen der Gesetze auf Zeit gewählten Organe, ernannten berufsmäßigen Organe oder vertraglich bestellten Organe sind den ihnen vorgesetzten Organen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich und, soweit in Gesetzen gemäß (Art. 20) Abs. 2 nicht anderes bestimmt ist, an deren Weisungen (Anordnungen ohne Außenwirkung) gebunden Art. 20 I 1, 2 B-VG Weisungsgebundenheit). Das nachgeordnete Organ kann die Befolgung einer Weisung (nur) ablehnen, wenn die Weisung entweder von einem unzuständigen Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde (Art. 20 I 3 B-VG) und kann unter Bekanntgabe rechtlicher Bedenken schriftliche Form der Weisung verlangen.

Von der Verwaltung in diesem durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Regierung bereits eingeschränkten Sinn der Besorgung der Angelegenheiten der Allgemeinheit durch den Staat sind noch weitere, kleinere Bereiche auszunehmen. Parlamentsverwaltung ist zwar Verwaltung, erfolgt aber nicht durch allgemeine Verwaltungsbehörden, sondern durch die eigene Parlamentsverwaltung, Justizverwaltung ist zwar Verwaltung, doch ist dafür die besondere Justizverwaltung zuständig. Rechnungshof und Volksanwaltschaft haben kraft Verfassung ebenfalls eine Sonderstellung innerhalb der staatlichen Verwaltung.

 

C) Arten

Die damit als Ausführung der Gesetze eingegrenzte Verwaltung ist ein sehr umfassender Lebensbereich der zivilisierten menschlichen Gesellschaft. Zum besseren Verständnis unterscheidet die Verwaltungslehre deshalb verschiedene Arten der Verwaltung. Gliederungsgesichtspunkte sind dabei das Verwaltungssubjekt, das Verwaltungsgebiet und das Verwaltungsziel.

 

I. Verwaltungssubjekt

1. Vereinte Nationen

Die Vereinten Nationen sind kein Staat. Ihre Verwaltungstätigkeit ist deshalb auch nicht umfassend. Die Vereinten Nationen führen aber doch zahlreiche Einzelprogramme unter Verwendung beträchtlicher Mittel durch, so dass sie auch eine entsprechende Verwaltungsorganisation benötigen und haben.

2. Europäische Union

Die Europäische Union ist kein Staat. Im Verhältnis zu ihrer politischen Bedeutung hat sie keine umfangreiche eigene Verwaltung, so dass das Recht der Europäischen Union überwiegend mitgliedstaatlich vollzogen oder ausgeführt wird. Daneben besteht aber auch eine gemeinschaftsunmittelbare Verwaltung etwa für Personal, Haushalt, Sozialfonds, Einfuhrkontrolle, Verkehr u. s. w.

3. Österreich

Der Bundesstaat Österreich ist erst allmählich aus seinen einzelnen Ländern entstanden. Vielleicht deswegen erfolgt die Ausführung der Bundesgesetze nicht vorrangig über Bundesbehörden (unmittelbare Bundesverwaltung wie z. B. Sicherheitsverwaltung, Bundes­polizeidirektion, Finanzverwaltung). Vielmehr werden überwiegend (Landeshauptmann und ihm unterstellte) Landesbehörden (Bezirksverwaltungsbehörden) tätig (mittelbare Bundesverwaltung wie z. B. Gewerbeverwaltung, Wasserverwaltung).

Dabei ist Österreich eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Innerhalb dieser ist es wegen der besonderen Bedeutung der Menschen eine Körperschaft. Weil sie durch das Gebiet und die Grenzen (und damit nicht durch Mitglieder) bestimmt wird, liegt eine Gebietskörperschaft vor, keine Personalkörperschaft.

4. Bundesland (z. B.Tirol)

Die Landesverwaltung jedes ebenfalls eine Gebietskörperschaft darstellenden Bundeslands führt die Landesgesetze und außerdem einen Teil der Bundesgesetze aus. Soweit Bundesgesetze ausgeführt werden, handelt es sich um Bundesverwaltung. Da in diesem Bereich keine Bundesbehörden tätig werden, liegt mittelbare (durch Landesbehörden vermittelte) Bundesverwaltung vor.

5. Gemeinde

Die gleichfalls als Gebietskörperschaft anzusehenden Gemeinden führen teils Bundesrecht, teils Landesrecht und teils eigenes Recht aus. Im Bereich der eigenen Angelegenheiten besteht Selbstverwaltung. In den übertragenen Angelegenheiten werden die Gemeinden für den Staat tätig.

6. Weitere Verwaltungssubjekte

Weitere Verwaltungssubjekte können beispielsweise Universitäten (Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechtes) oder Fonds (z. B. Forschungsförderungsfonds) und Stiftungen des öffentlichen Rechtes sein.

 

II. Sachgebiet

Angesichts der Weite menschlicher Angelegenheiten lässt sich die Verwaltung in zahlreiche Sachgebiete gliedern. Eine einfache Orientierung ermöglicht die Aufteilung der Bundesregierung in Ministerien. Danach kann es beispielsweise eine Außenverwaltung, eine Innenverwaltung, eine Justizverwaltung, eine Finanzverwaltung oder eine Heeresverwaltung und viele andere Verwaltungssachgebiete (Verkehr, Wissenschaft, Unterricht, Gesundheit, Landwirtschaft, Umwelt, Technik, Frauen, Europa, Zukunft u. s. w.) geben.

 

III. Verwaltungsziel

1. Eingriffsverwaltung

Am Beginn der Verwaltung steht der Eingriff des Staates in die Freiheit des Einzelnen zur Sicherung gemeinverträglichen Verhaltens. Er wird etwa in der Steuerpflicht oder in der Meldepflicht deutlich sichtbar. In der Gegenwart zeigt sich die Eingriffsverwaltung beispielsweise in Verkehrskontrollen, Flugpassagierkontrollen, Telefonüberwachungen, externen Zugriffen auf Personal Computer, Videokameras, Spitzeln in Hörsälen, Anordnungen von unqualifizierten Institutsvorständen zur Ablieferung von Anwesenheitslisten in Lehrveranstaltungen von Kollegen, biometrischen Passfotos u. s. w.

Für diese Eingriffsverwaltung muss die Freiheit des Einzelnen der Grundsatz sein. Zwang darf nur ausnahmsweise angewendet werden. Er darf nicht Selbstzweck sein, sondern muss mittelbar der Sicherung der Freiheit dienen.

Deswegen bedarf der Zwang einer gesetzlichen Grundlage. Im Rechtsstaat darf der Staat die grundsätzliche Freiheit des Einzelnen nur verletzen, wenn ein allgemeines Gesetz dies erlaubt. Ein solches von den Vertretern der Einzelnen als Abgeordneten beschlossenes Gesetz darf grundsätzlich nur für die Zukunft wirken und muss dem Verfassungsrecht entsprechen, um die immer möglichen Missbräuche der Eingriffsverwaltung so gering wie möglich zu halten und ihre nachträgliche Überprüfung durch die Rechtsprechung zu sichern.

2. Leistungsverwaltung

Mit der starken Zunahme der Zahl der Menschen im 19. Jahrhundert und dem Wechsel von der landwirtschaftlichen Gesellschaft zur industriellen Gesellschaft zeigte sich vor allem in den neuen Ballungszentren ein Bedürfnis der Menschen nicht nur nach Freiheit vom Staat, sondern auch nach Leistung durch den Staat. In Ermangelung anderer Möglichkeiten übernahm der Staat Leistungen zur Daseinssicherung oder Daseinsfürsorge. Sie betreffen etwa Wasser, Strom, Gas, Verkehr, Entsorgung, Gesundheit, Bildung oder soziale Sicherheit (Sozialversicherung), für die umfangreiche Verwaltungen des Staates oder der Allgemeinheit für den Einzelnen geschaffen wurden.

 

D) Rechtsgrundlagen

Verwaltungsrecht ist das die Verwaltung betreffende Recht. Formelles Verwaltungsrecht ist das die Organisation und das Verfahren der Verwaltung erfassende Recht. Materielles Verwaltungsrecht ist das von der Verwaltung anzuwendende und das von der Verwaltung geschaffene Recht.

Wegen des großen, ständig wachsenden Umfangs der Verwaltung gibt es für das die Verwaltung betreffende Recht (Verwaltungsrecht) kein einheitliches umfassendes Verwaltungsgesetzbuch. Die wichtigsten Grundsätze des Verwaltungsrechts sind in das Bundes-Verfassungsgesetz aufgenommen (und deswegen bereits im Verfassungsrecht angesprochen). Daneben bestehen zahlreiche einzelne Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder über den Aufbau der Verwaltung, den Inhalt der Verwaltungstätigkeit (materielles Verwaltungsrecht) und den Ablauf der verwaltungsbehördlichen Entscheidungsverfahren, darunter insbesondere Verwaltungsverfahrensgesetze, wobei zwischen allgemeinen Bestimmungen (allgemeines Verwaltungsrecht mit allgemeinen Lehren und Grundsätzen) und besonderen Bestimmungen (besonderes Verwaltungsrecht z. B. Baurecht, Gewerberecht, Wasserrecht) unterschieden werden kann.

 

I. Verfassungsbestimmungen

1. Legalitätsgrundsatz

Die gesamte staatliche Verwaltung  (einschließlich der Gerichtsbarkeit) darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden (Art. 18 I B-VG).

2. Weisungsgrundsatz

Die Organe der Verwaltung sind den ihnen vorgesetzten Organen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich und, soweit in Gesetzen gemäß Abs. 2 nicht anderes bestimmt ist, an deren Weisungen gebunden (Art. 20 I 2 B-VG).

3. Ressortgrundsatz

Die obersten Organe der Vollziehung sind  (in der Bundesverwaltung) der Bundespräsident, die Bundesminister und Staatssekretäre sowie (in der Landesverwaltung die Landesregierung bzw.) die Mitglieder der Landesregierungen (Art. 19 I B-VG).

4. Kompetenzen des Bundespräsidenten und der Bundesregierung

Art. 60ff. B-VG

5. Bundesheer

Art. 79ff. B-VG

6. Bundesschulbehörden

Art. 81ff. B-VGG

7. Nachgeordnete Verwaltungsbehörden

Zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung sind (im Rahmen der Garantien der Verfassung und Verwaltung) die unabhängigen Verwaltungssenate bzw. (ab 2014) Landesverwaltungsgerichte in den Ländern, der Asylgerichtshof bzw. (ab 2014) ein als Bundesverwaltungsgericht zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes und ein als Bundesfinanzgericht zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen und der Verwaltungsgerichtshof berufen (Art. 129 B-VG).

 

II. Verwaltungsgesetze

Auf Grund des großen Umfangs der Verwaltung gibt es sehr viele besondere Verwaltungsgesetze. Ihre Gesamtzahl ist nicht mehr überschaubar. Dementsprechend umfangreich ist das (materielle besondere) Verwaltungsrecht, für das sich beispielsweise folgende zehn Sachgruppen bilden lassen.

1. Innere Verwaltung

Wichtige einzelne Gesetze sind beispielsweise das Staatsbürgerschaftsgesetz, das Meldegesetz, das Passgesetz, das Waffengesetz, das Fremdenpolizeigesetz, das Asylgesetz oder das Sicherheitspolizeigesetz (etwa 26000 Polizeibeamte, Gliederung der Sicherheitspolizei in je eine Zentrale pro Bundesland, darunter Bezirkskommandos und örtliche Polizeiinspektionen).

2. Wehrwesen

Die bedeutsamsten Bestimmungen sind im Wehrgesetz und im Zivildienstgesetz enthalten.

3. Öffentlicher Dienst

Öffentlicher Dienst ist eine Gesamtbezeichnung für die zur Ausführung der Gesetze vom Staat Beschäftigten. Ihre Zahl ist sehr groß, wobei seit dem Ende des 20. Jahrhunderts zahlreiche Beamte durch Vertragsbedienstete ersetzt wurden. Die wichtigsten Regelungen finden sich im Beamtendienstrechtsgesetz, im Vertragsbedienstetengesetz, im Gehaltsgesetz und für den Ruhestand im Pensionsgesetz.

4. Wirtschaft

Bedeutsame Bereiche regeln beispielsweise die Gewerbeordnung, das Ladenschlussgesetz, das Produktsicherheitsgesetz, das Landwirtschaftsgesetz oder das Elektrizitätswirtschafts­gesetz.

5. Kultur

Im Mittelpunkt der Kultur stehen Schule und Universität. Wichtige Gesetze sind das Schulorganisationsgesetz oder das Universitätsgesetz. Bedeutung kommt auch dem Studienförderungsgesetz zu.

6. Gesundheit

Z. B. Krankenanstaltengesetz, Sonderabfallgesetz, Wasserrechtsgesetz

7. Verkehr

Z. B. Straßenverkehrsordnung (Legislative Bund, Vollzug Land), Kraftfahrgesetz (Legislative und Vollziehung Bund), Bundesstraßengesetz, Eisenbahngesetz

8. Arbeit

Z. B. Arbeitnehmerschutzgesetz, im Übrigen überwiegend Privatrecht

9. Finanzen

Der Staat erzielt die zur Bezahlung seiner umfangreichen Verwaltung erforderlichen Einnahmen überwiegend durch Steuern, also Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung des Staates sind. Diese betreffen alle Lebensbereiche, in denen Mittel vorhanden sind und sich eine Mehrheit von Abgeordneten auf einen zwangsweisen Einzug von Teilen dieser Mittel zu Gunsten der Allgemeinheit (einschließlich ihrer eigenen Diäten) einigt (z. B. Einkommen, Lohn, Umsatz, Grundstück, Kraftfahrzeug, Mineralöl, Tabak, Alkohol, Hund). Dementsprechend sind zahlreiche einzelne Steuergesetze erlassen und finden sich auch Bundesabgaben, Landesabgaben und Gemeindeabgaben nebeneinander.

Wichtigstes Abgabengesetz ist die Bundesabgabenordnung.

10. Soziales

Im Sozialbereich verteilt der Staat von oben nach unten (z. B. mittels Familienbeihilfe) um. Er entzieht den verhältnismäßig wenigen Reichen (unter Zustimmung der verhältnismäßig vielen Armen immer mehr) Mittel zu Gunsten der verhältnismäßig vielen Armen. Je mehr Umverteilung vom gut dotierten Parlament beschlossen wird, desto wahrscheinlicher werden die entsprechenden Abgeordneten von den zahlreichen Armen gewählt.

Besondere Bedeutung hat dabei auch das ab 1881 von Reichskanzler Otto von Bismarck im 1871 gegründeten Deutschen Reich eingeführte, durch besondere Sozialversicherungsträger verwaltete Sozialversicherungsrecht (Krankenversicherung, Unfallversicherung, Invaliditätsversicherung, Pensionsversicherung oder Altersversicherung, später Arbeitslosenversicherung). Sehr wichtig ist in Österreich das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz. Die Finanzierung der zwingenden Sozialversicherung erfolgt über Beiträge der Dienstnehmer und der Arbeitgeber sowie Zuschüsse aus Steuermitteln und damit teils unmittelbar, teils mittelbar durch den Einzelnen.

Eine Mindestsicherung soll allen ein bundeseinheitliches Mindesteinkommen sichern (2010 12 Mal 733 Euro).

 

III. Verwaltungsverfahrensgesetze

Verwaltungsverfahrensgesetz ist das die Verwaltungsverfahren allgemein oder grundsätzlich ordnende Gesetz. Es betrifft das formelle Verfahren im Bereich der Verwaltung (formelles Verwaltungsrecht). Dieses muss im Rechtsstaat den Gesetzen entsprechen (Legalitätsgrundsatz, Art. 18 B-VG).

Bedeutsam hierfür ist besonders die Zuständigkeit. Daneben fragt sich, was geschehen muss und was man dagegen tun kann. Schließlich geht es auch um die Kosten des Verfahrens.

Geregelt ist das Verwaltungsverfahrensrecht vor allem in vier Gesetzen. In ihrer Mitte steht das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), das von einem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen (EGVG) begleitet wird. Die von den Verwaltungsbehörden in Strafbescheiden zu verhängenden Verwaltungsstrafen, bei denen der Betroffene im Gegensatz zu den Strafurteilen der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht vorbestraft ist, sind im Verwaltungsstrafgesetz (VStG) behandelt, die Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen zur zwangsweisen tatsächlichen Durchsetzung der Verwaltungsmaßnahmen im Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VVG mit den Möglichkeiten der Pfändung, Ersatzvornahme oder der Zwangsstrafe).

 

E) Verwaltungsorganisation

I. Unmittelbare Bundesverwaltung

In Art. 102 II B-VG sind die Angelegenheiten bestimmt, die im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten Wirkungsbereichs unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden können. Dazu gehören etwa Passwesen, Asyl, Bundesfinanzen, Geldwesen, Justizwesen, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, Meldewesen, Waffenwesen, Verkehrswesen, Arbeitsrecht, Denkmalschutz, Bundespolizei, Schulwesen, öffentliches Auftragswesen und manche andere Angelegenheit. Bei dieser Bundesverwaltung durch eigene Bundesbehörden liegt unmittelbare Bundesverwaltung vor.

 

II. Mittelbare Bundesverwaltung

Mittelbare Bundesverwaltung ist die von Landesbehörden (in erster Instanz von der Bezirks­hauptmannschaft, in zweiter Instanz von dem Landeshauptmann in Bindungen an Weisungen des zuständigen Bundesministers) besorgte Ausführung von Bundesgesetzen. Sie betrifft etwa das Gewerberecht(, aber nicht die Gerichtsbarkeit, Fremdenpolizei, Passwesen oder das Mineralrohstoffrecht). Sie ist insgesamt von erheblicher tatsächlicher Bedeutung (Haupttypus der Bundesverwaltung).

 

III. Landesverwaltung

Landesverwaltung ist grundsätzlich die Ausführung der Landesgesetze durch Landesbehörden, zu der aber die mittelbare Bundesverwaltung als Ausführung von Bundesgesetzen durch Landesbehörden hinzukommt. Oberstes Organ der Landesverwaltung ist das vom Landtag gewählte Kollegialorgan Landesregierung (Landeshauptmann als primus inter pares und Landesräte), deren Aufgaben (unter Leitung des Landeshauptmanns bzw. des jeweils zuständigen Landesrats) vom Amt der Landesregierung unterstützt, ausgeführt oder wahrgenommen werden, dessen Behördenleiter der (rechtskundige Verwaltungsbeamte) Landesamtsdirektor ist (Art. 106 B-VG). Erstinstanzliche Landesbehörde ist grundsätzlich die Bezirkshauptmannschaft bzw. in statutarischen Städten der Magistrat (Art. 116 III 4 B-VG) bzw. der Bürgermeister (Art. 119 I, II B-VG), zweitinstanzliche Landesbehörde der Landeshauptmann.

Möglich ist neben der unmittelbaren Landesverwaltung auch mittelbare Landesverwaltung (z. B. Art. 97 II B-VG).

 

F) Verwaltungshandeln

I. Internes Verwaltungshandeln

Die Verwaltung bereitet durch internes Handeln ihr externes Handeln vielfach vor. Beispielsweise müssen Wahlunterlagen auf dem laufenden Stand gehalten werden, obwohl Wahlen nur in großen zeitlichen Abständen durchgeführt werden, oder sind Weisungen vorgesetzter Verwaltungsorgane (Organwalter) an nachgeordnete Verwaltungsorgane (Organwalter) zu erteilen oder muss dem tatsächlichen Bau einer neuen Straße eine lange Planung vorhergehen. Das interne Verwaltungshandeln hat noch keine externe Wirkung, ist aber an die Gesetze gebunden, so dass die Grundsätze der Weisungsgebundenheit oder auch der Amtsverschwiegenheit auch im internen Verwaltungshandeln gelten.

 

II. Externes Verwaltungshandeln

Nach außen kann die Verwaltung in verschiedener Weise handeln. Möglich sind vor allem Verordnung, Verwaltungsakt (Bescheid, einschließlich der Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wie Festnahme, Beschlagnahme, Abschleppen oder Wegweisen) und Vertrag. Stets gilt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der aber in der Rechtswirklichkeit vielfach verletzt wird (z. B. durch détournement de pouvoir oder Befugnismissbrauch, bei dem die gesetzlich eingeräumte Macht zu anderen, vielfach persönlichen Zwecken wie Diskriminierung und Mobbing der Wahrheit verpflichteter und deswegen missliebiger Berechtigter einerseits und Begünstigung von Lehrbuchkoautoren, pensionierten Institutsmitgliedern oder pensionierten Amtsvorgängern andererseits ohne jede sachliche Berechtigung oder auch nur Begründung missbraucht  und der Gleichheitssatz verletzt wird).

1. Verordnung

Nach Art. 18 II B-VG kann jede Verwaltungsbehörde auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereichs (gesetzesergänzende, evtl. gesetzesvertretende und ausnahmsweise gesetzesändernde) Verordnungen (z. B. Studienplan, Flächenwidmungsplan, Notverordnung des Bundespräsidenten nach Art. 18 III B-VG) erlassen, wobei in der Verordnung (vielfach Durchführungsverordnung) grundsätzlich nur weniger wichtige Einzelregelungen getroffen werden können. Eine solche Verordnung ist materiell ein Gesetz (materielles Gesetz), weil sie allgemein und abstrakt nach außen wirkt, formell aber kein Gesetz (kein formelles Gesetz), weil sie nicht vom Parlament im verfassungsmäßig vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren beschlossen wird. Sie bedarf einer Ermächtigungsgrundlage in einem Gesetz (gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage) und kann nach Art. 139 B-VG auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft werden.

2. Verwaltungsakt (Bescheid)

Verwaltungsakt ist die Handlung (Akt) der Verwaltung im bestimmten Einzelfall. Sie ist eine individuelle, konkrete Regelung (förmliche hoheitliche Anordnung und Entscheidung) und damit (formell und materiell) kein Gesetz. Wegen des Legalitätsgrundsatzes der Verfassung (Art. 18 I B-VG) darf der Verwaltungsakt (Bescheid, Verfügung, Anordnung) nur auf Grund eines Gesetzes erlassen werden.

Bescheid ist dabei ein individueller hoheitlicher, im Außenverhältnis auf Grund eines förmlichen Verwaltungsverfahrens ergehender normativer (rechtsgestaltender oder rechtsfeststellender) Verwaltungsakt.

Innerhalb der Bescheide verpflichtet ein Leistungsbescheid einen Betroffenen zu einer Leistung (bzw. begründet eine Handlungsverpflichtung), die er vor Erlass des Bescheids noch nicht erbringen musste (z. B. Steuerbescheid). Ein Gestaltungsbescheid (Rechtsgestaltungsbescheid) (gestaltet d. h.) begründet, ändert oder hebt ein Rechtsverhältnis auf (z. B. Verleihung der Staatsbürgerschaft, Baubescheid, Erteilung der Lenkerberechtigung). Ein Feststellungsbescheid klärt verbindlich durch eine Behörde, ob ein strittiges Recht(sverhältnis) besteht oder nicht (konstitutiver Charakter).

a) Anstoß

Jeder Verwaltungsakt bedarf grundsätzlich eines Ausgangspunkts. Dies kann sehr oft ein Antrag eines (Partei genannten) Einzelnen sein (z. B. auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft, die Erteilung einer Fahrerlaubnis, einer Zulassung eines Kraftfahrzeugs oder einer Baugenehmigung oder Baubewilligung), wobei Anbringen der Partei notfalls zu verbessern sind, wozu die Behörde denjenigen auch anleiten muss, der keine professionelle Vertretung etwa durch einen Rechtsanwalt hat (Verbesserungsauftrag, Manuduktion). Unabhängig davon kann aber die Verwaltung auch von Amts wegen ohne Antrag eines Einzelnen tätig werden (z. B. Sperrung einer Straße wegen Lawinengefahr, Entzug einer Fahrerlaubnis, Verbot einer Versammlung).

b) Ermittlungsverfahren

Im Ermittlungsverfahren muss die Verwaltungsbehörde unter Mitwirkung des Betroffenen (Mitwirkungspflicht) den Sachverhalt bzw. die materielle Wahrheit ermitteln und feststellen. Dazu können Anhörungen und Vernehmungen sinnvoll oder notwendig sein. Auch die Erhebung von Beweisen, die von der Behörde frei gewürdigt werden dürfen, kommt in Betracht, wobei den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme (auch zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens) gegeben werden muss.

c) Bescheid

Im Anschluss an das Ermittlungsverfahren ist grundsätzlich ein schriftlicher(, ausnahmsweise ein mündlicher) Bescheid (auf Grund eines formellen Verfahrens erlassene individuelle und konkrete Erledigung einer Verwaltungsangelegenheit) (Leistungsbescheid z. B. auf Zahlung, Gestaltungsbescheid oder Feststellungsbescheid) im Einzelfall gegenüber einem Einzelnen zu erteilen, der mit Verkündung oder (postalischer, behördlicher oder elektronischer) Zustellung erlassen wird. Dieser Bescheid muss die erlassende Behörde, die Geschäftszahl und den Adressaten benennen und als Bescheid bezeichnet werden. Er hat einen notwendigen Inhalt, der aus Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung besteht.

aa) Der Bescheid beginnt mit der Kennzeichnung des Sachverhalts. Dem schließt sich unter Nennung der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen der Spruch bzw. die Entscheidung an. Sie kann im Stattgeben oder Genehmigen des Antrags oder in der Zurückweisung oder Abweisung bestehen, wobei im Spruch über Einwendungen entschieden werden kann und eine Entscheidung über die Kosten getroffen werden muss.

bb) Begründung

In der Begründung ist mit der Darstellung des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens zu beginnen. Danach sind die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen darzulegen. Am Ende erfolgt in kurzer Zusammenfassung die auf diese Erwägungen gestützte Beurteilung der Rechtsfrage, die mit Unterschrift und Nennung aller Beteiligten, die Anspruch auf Zustellung des Bescheids haben, abzuschließen ist.

cc) Die Rechtsmittelbelehrung muss klarstellen, ob der Bescheid einem weiteren Instanzenzug unterliegt. Ist dies der Fall, muss angegeben werden, innerhalb welcher Frist bei welcher Behörde welches Rechtsmittel einzulegen ist (z. B. gegen diesen Bescheid kann Berufung eingelegt werden bei … binnen ….). Bei Bescheiden der letzten Instanz muss auf die Möglichkeit der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof mit Nennung der Einbringungsfrist (§ 26 VwGG) und weiterer Erfordernisse (im Sinne des § 28 VwGG) hingewiesen werden.

dd) Weiter ist die Beifügung der Unterschrift oder der Beglaubigung durch die Kanzlei ein zwingendes Erfordernis für den Bescheid (keine Unterschrift – kein Bescheid). Gesetzlich vorgesehene Ausnahmen vom Unterschriftsprinzip sind Bescheide, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt werden (z. B. Einkommensteuerbescheid erstellt durch das zuständige Finanzamt, aber gedruckt und versendet durch die Bundesrechenzentrum GmbH in Wien auf Grundlage des § 96 Bundesabgabenordnung).

ee) Rechtswidrigkeit

Ein Bescheid kann aus vielen Gründen rechtswidrig sein. Zu ihnen gehören etwa die Unzuständigkeit, die Parteilichkeit und die Willkür des Entscheidenden oder auch das Fehlen einer Rechtsgrundlage. Zumindest materiell rechtswidrig entscheidet auch die ausführende Behörde, die einen rechtswidrigen Rechtssatz trotz Hinweis auf die Rechtswidrigkeit anwendet.

d) Rechtsmittel

Rechtsmittel gegen den (z. B. wegen Zuständigkeitsmangels, Verfahrensmangels oder Rechtswidrigkeit des Inhalts angreifbaren) Bescheid ist grundsätzlich die Berufung (§§ 63ff. AVG). Sie muss binnen zweier Wochen oder binnen einer sonstigen mitgeteilten Frist bei der Entscheidungsbehörde, die den Bescheid mittels Berufungsvorentscheidung, gegen den dann ein Vorlageantrag möglich ist, abändern kann, eingebracht werden. Sie muss einen Antrag enthalten, damit die Behörde weiß, was der Berufende will, und eine Begründung, damit die Behörde weiß, auf welche Überlegungen der Berufende sich stützt.

e) Unabhängige Verwaltungssenate

Die 1988 durch Novellierung des Bundes-Verfassungsgesetzes in den Ländern eingerichteten unabhängigen Verwaltungssenate sollen bis 31. 12. 2013 neben dem Verwaltungsgerichtshof die Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung sichern. Sie sind zuständig zur Entscheidung in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen (Verwaltungsstrafsachen) in zweiter Instanz, zur Entscheidung über Beschwerden gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sowie in sonstigen, besonders zugewiesenen Angelegenheiten (z. B. Prüfung der Verhängung einer Schubhaft oder längerfristiger Entzug einer Lenkerberechtigung, Säumnis von Behörden). Nachdem Österreich im Laufe von 25 Jahren eingesehen hat, dass Verwaltungssenate auch dann keine Gerichte sind, wenn sie als unabhängig bezeichnet werden, hat es seine  unabhängigen Verwaltungssenate zum 1. 1. 2014 durch Landesverwaltungsgerichte und ein Bundesverwaltungsgericht mit Außenstellen ersetzt.

f) Entscheidung über das Rechtsmittel

Über das (grundsätzlich aufschiebende Wirkung entfaltende und damit die Ausführung des Bescheids zunächst verhindernde) Rechtsmittel entscheidet die Berufungsbehörde durch Bescheid (Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung, der Bestätigung des Bescheids unter Abweisung der Berufung oder Berufungen und der ersatzlosen Aufhebung des Bescheids). Er unterliegt denselben Regeln wie andere Bescheide. Gegen ihn ist ebenfalls ein Rechtsmittel möglich (Beschwerde zum Verfassungsgerichtshof bei Behauptung der Verletzung verfassungsmäßiger Rechte, Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof bei Behauptung der Verletzung von Rechten, außerordentliche Rechtsmittel der Wiedereinsetzung, der Wiederaufnahme, des Devolutionsantrags und der Säumnisbeschwerde).

g) Verwaltungsvollstreckung

Ist der Bescheid infolge Nichteinlegung eines Rechtsmittels oder nach erfolglosem Ausgang des Rechtsmittelverfahrens rechtskräftig, so kann der Verwaltungsakt vollstreckt werden. Hierfür gilt das Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Es sieht als Möglichkeiten Pfändung, Ersatzvornahme und Zwangsstrafen vor.

h) Verwaltungsstrafverfahren

Verwaltungsstrafverfahren ist das von Verwaltungsbehörden durchzuführende Strafverfahren, das Verwaltungsübertretungen betrifft. Allgemein sind nach dem Verwaltungsstrafgesetz die Bezirksverwaltungsbehörden von Amts wegen zur Untersuchung und Bestrafung zuständig und ist das Verfahren mit einem Straferkenntnis abzuschließen. .Ohne Ermittlungsverfahren können Strafverfügung, Anonymverfügung und Organstrafverfügung verhängt werden.

Ordentliches Rechtsmittel ist gegen ein Straferkenntnis die Berufung (Berufungsbehörde der unabhängige Verwaltungssenat) und gegen Strafverfügungen der Einspruch, wobei es gegen Anonymverfügungen und Organstrafverfügungen kein Rechtsmittel gibt. Bezahlt hier der Betroffene nicht, wird das ordentliche Strafverfahren eingeleitet, das mit einem durch Rechtsmittel angreifbaren Bescheid endet.

3. Verwaltungsrechtlicher Vertrag

Zulässig ist auch der öffentlichrechtliche (verwaltungsrechtliche) Vertrag mit mindestens einem Verwaltungsträger, auf den grundsätzlich Vertragsrecht anzuwenden ist.

 

III. Verwaltungsrechtsgrundsätze

Allgemein in der Europäischen Union anerkannte Verwaltungsrechtsgrundsätze dürften sein der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (einschließlich der Unparteilichkeit), der Untersuchungsgrundsatz, nach dem die Verwaltungsbehörde von Amts wegen jeweils den wahren Sachverhalt zu ermitteln hat, der Grundsatz der Transparenz der Verwaltungsorgane und ihrer Tätigkeit, das Recht des Betroffenen auf Unterrichtung und grundsätzliche Akteneinsicht, der Schutz persönlicher Daten, das Verbot der Diskriminierung, das Gebot der Kooperation, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Vertrauensschutz bzw. der Schutz wohlerworbener Rechte und der Grundsatz der Notwendigkeit einer angemessenen Begründung.


§ 5 Verfahren

A) Rechtswirklichkeit

B) Wesen

C) Organisation

D) Zivilverfahren

E) Strafverfahren

F) Außerstreitverfahren

G) Grundsätze des Verfahrensrechts

 

A) Rechtswirklichkeit

Lebewesen sind von der Natur her auf Leben ausgerichtet. Deswegen ist auch der Mensch auf Grund des ihm angeborenen Selbsterhaltungstriebs Egoist. Wo immer sich zwei Menschen begegnen, ist daher ein Interessenkonflikt möglich, der in seiner unendlichen Vielfältigkeit nur ansatzweise an Hand zufällig ausgewählter Beispiele geschildert werden kann.

 

I. Austria (Österreich) möchte den Balkan beherrschen. Ein Freiheitskämpfer möchte den Balkan von der Herrschaft Österreichs befreien, weswegen er in Sarajewo 1914 den Thronfolger Österreichs erschießt. Daraufhin möchte Österreich ihn bestrafen, während er unbestraft entkommen will.

 

II. Die nach ihrer Ansicht besseren Staaten möchten die gesamte Welt nach ihren Vorstellungen gestalten. Fundamentalisten (z. B. Bin Laden) sehen darin eine Gefahr und zerstören das World Trade Center mit Hilfe von Flugzeugen. Daraufhin möchten die Vereinigten Staaten von Amerika die überlebenden Attentäter bestrafen und den Terrorismus ausrotten, während die überlebenden Attentäter unbestraft bleiben wollen.

 

III. Der Champagnerhändler Chamsell möchte Champagner unter der Internetadresse champagner.com verkaufen. Die Champagnerproduzenten möchten diese Adresse selbst nutzen. Deswegen möchten die Champagnerproduzenten dem Champagnerhändler die Verwendung der Internetadresse verbieten, während der Champagnerhändler diesem Verbot entgehen möchte.

 

IV. Eine Versandapotheke Doc möchte Arzneimittel in ganz Europa versenden. Dadurch sehen Apotheker an einzelnen Orten ihre Existenz gefährdet. Dementsprechend möchten sie den Arzneimittelversand mit Hinweis auf die gefährdete Gesundheit von schlecht beratenen Kunden untersagen lassen, während der Versandhändler unter Berufung auf die Gewerbefreiheit und die bei großem Umsatz möglichen Preisvorteile den Versand weiterführen möchte.

 

V. Eine körperlich erkrankte, geistig gesunde Mitarbeiterin möchte ihre Verbeamtung beantragen. Ihr langjähriger unmittelbarer sich angeblich stets für Menschenrechte einsetzender Vorgesetzter Ekel, der sie sich vor Jahren selbst bewusst ausgewählt hat, möchte diese Verbesserung verhindern und schlägt dem aktuellen Entscheidungsträger vor, den Antrag sechs Monate liegen zu lassen, bis er turnusgemäß Entscheidungsträger geworden sei. Die Mitarbeiterin möchte ihr Recht auf ein rechtmäßiges Verfahren wahrnehmen, ihr Vorgesetzter möchte dieses Recht aus subjektiven Gründen rechtswidrig vereiteln.

 

VI. Fluggast Fischer erleidet auf einem Langstreckenflug auf die Fidschiinseln eine Thrombose. Daraufhin möchte er von der Fluggesellschaft unter Hinweis auf die geringe Bewegungsfreiheit im Flugzeug Schadenersatz. Die Fluggesellschaft möchte unter Bezugnahme auf Millionen Fahrgäste, die bei Langstreckenflügen keinen Thromboseschaden erleiden, keinen Schadenersatz zahlen.

 

VII. Gärtner Groß vergrößert bei Bedarf sein Gewächshaus eigenhändig. Die Gemeinde Gemünden möchte das Gebäude wegen fehlender Baugenehmigung abreißen. Groß will das Gewächshaus wegen des ihm bei einem Abriss drohenden Schadens nicht abreißen lassen.

 

VIII. Handelsvertreter Hämmerlein muss in einem Rechtsstreit zehn Jahre auf ein Urteil warten. Er möchte eine rasche Entscheidung. Das Gericht sieht sich überlastet und als Folge der Überlastung zu einer Entscheidung nicht in der Lage.

 

IX. Der kollusiv mit Kumpanen in eine Einrichtung gelangte Institutsassistent Immerschwach lässt sich nach Aufdeckung seiner gravierenden intellektuellen Schwächen (Prüfungen genügend, Dissertation nicht vorhanden, Habilitation gescheitert) jahrelang krankschreiben und lädt in diesem Zustand öffentlich die Presse zu Buchpräsentationen des von ihm gleichzeitig auf Kosten der Allgemeinheit betriebenen Buchverlags ein. Zusätzlich beantragt er nach 10 Jahren Dienst mit 45 Jahren (für die noch anstehenden 20 Jahre) Frühpension. Immerschwach möchte auf Kosten des Steuerzahlers ein angenehmes Leben führen, der Staat benötigt dagegen von möglichst gut qualifizierten Bediensteten angemessene Leistung für sichere Vergütung.

 

X. Ein aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Österreich berufener ordentlicher Universitätsprofessor sieht sich dadurch mittelbar diskriminiert, dass Österreich trotz seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union als Voraussetzung für die Zahlung einer besonderen Dienstalterszulage im Gehaltsgesetz eine 15jährige Tätigkeit als ordentlicher Universitätsprofessor in Österreich verlangt, die ein stets in Österreich vor Ort bleibender ordentlicher Universitätsprofessor eher erfüllen kann als ein in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union berufener Professor. Österreich erklärt daraufhin die besondere Dienstalterszulage als eine besondere Treueprämie, die nicht diskriminieren könne. Der aus dem Ausland berufene ordentliche Universitätsprofessor sieht diese Begründung nach Betrachtung der Entstehungsgeschichte der betreffenden Vorschrift als nur vorgeschoben und damit die Verwaltungsentscheidung und die ihr folgende Höchstgerichtsentscheidung Österreichs als rechtswidrig an.

 

B) Wesen

Wie sich an diesen wenigen Beispielen zeigt, gibt es vielfältige Interessenkonflikte unter den Menschen. In einfachen Gesellschaften werden entsprechende Streitigkeiten oft mit Gewalt oder List ausgetragen, wobei sich der Stärkere mit Gewalt oder der Listigere mit intellektueller Überlegenheit durchsetzt. Die zivilisierte Gesellschaft hat demgegenüber das Verfahren als die geordnete, allgemein überzeugende Art und Weise der Entscheidung eines Streites zweier Menschen durch Unbeteiligte entwickelt, wobei im Laufe der Geschichte unterschiedliche Modelle verwendet wurden.

 

I. Allgemeinheit

Vermutlich wurden anfangs Streitigkeiten, die nicht innerhalb einer Familie gelöst werden konnten, vor der Allgemeinheit ausgetragen. Dies hatte den Vorteil einer von vielen gefundenen und als richtig anerkannten (demokratischen) Lösung. Dem standen als Nachteile der erhebliche Aufwand und die geringe durchschnittliche sachliche Qualifikation aller Urteilenden gegenüber.

 

II. Honoratioren

Zwecks Beseitigung oder Verringerung dieser Nachteile traten im Laufe der Geschichte ausgewählte Honoratioren (Edle, Reiche, Kluge, Große u. s. w..) an die Stelle der Allgemeinheit. Dadurch wurde zwar die Umständlichkeit verringert. Das Fehlen ausreichender Qualifikation wurde dadurch aber noch nicht beseitigt.

 

III. Berufsrichter

Seit dem Hochmittelalter entstand deshalb zur Lösung dieses Problems der wissenschaftlich ausgebildete Jurist, der zunächst in der Kirche professionell Streitigkeiten entschied. Dieses Modell, das seit dem 18. Jahrhundert durch die sachliche und persönliche Unabhängigkeit des Richters abgesichert und seit dem 20. Jh. für einfachere Angelegenheiten durch den ebenfalls fachlich geschulten Rechtspfleger ergänzt ist, setzte sich danach auch in der staatlichen Gerichtsbarkeit weltweit überwiegend durch, selbst wenn aus demokratiepolitischen Überlegungen an einzelnen Stellen noch bzw. wieder ungelehrte Laien als (zusätzliche) Laienrichter urteilen. Um die sachliche Überlegenheit des Berufsrichters über die ungelehrten Parteien zu mildern, wurde den Parteien gestattet, bei der Behandlung ihrer Angelegenheiten juristisch geschulte Berater (z. B. Rechtsanwälte) beizuziehen, zu deren finanzieller Absicherung sogar Rechtspflichten ihrer Verwendung in allen höheren Gerichtsverfahren (Anwaltsprozess, Rechtsanwaltszwang) geschaffen wurden.

 

IV. Grundproblem

Das Grundproblem des Verfahrensrechts ist dementsprechend die Zuständigkeit eines Richters für die Entscheidung eines Streites. Diese Problematik zeigt sich etwa heute noch im Völkerrecht, in dem es keine allgemein anerkannte Gerichtsbarkeit für alle Streitigkeiten aller Staaten untereinander gibt und deswegen Konflikte immer noch mit Gewalt (z. B. Israel und Palästinenser) oder List (z. B. Atomanlagen in Nordkorea oder Iran) ausgetragen werden. Innerhalb der zivilisierten Staaten ist demgegenüber durch ein entwickeltes Verfahrensrecht für sehr viele Streitigkeiten zweier Parteien ein Gericht als Entscheidungsorgan bereit gestellt, das meist auf Antrag eines Beteiligten ein Verfahren in möglichst rationaler Weise nach allgemeinen, überwiegend gesetzlich festgelegten Regeln durchführt (Rechtsanwendung).

 

V. Aufgabe

Aufgabe des Verfahrens ist die einsichtige Lösung von Interessenkonflikten unter größtmöglicher Vermeidung von Gewalt. Dafür ist die Anwendung allgemein anerkannter Rechtssätze auf die Wirklichkeit möglich und nötig. Je überzeugender das Recht ist und je besser die Rechtsanwender sich seiner bedienen, desto mehr Gerechtigkeit kann durch die Anwendung der allgemeinen und abstrakten Sollenssätze auf das einzelne konkrete Sein der Wirklichkeit erzielt werden.

 

C) Organisation

I. Weltgerichtshof

Da die Welt auf Grund der geschichtlichen Entwicklung des Menschen kein einheitlicher Staat ist, sondern aus einer Vielzahl Selbständigkeit bzw. Souveränität behauptender Staaten besteht, gibt es (noch) kein einheitliches Weltgericht.

Die Vereinten Nationen haben aber bereits 1945 einen Internationalen Gerichtshof (IGH) mit Sitz im Friedenspalast in Den Haag eingerichtet. Er ist mit 15 von der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählten Richtern besetzt. Parteien (Kläger oder Beklagter) können nur Staaten sein.

Zugang haben nur Mitglieder der Vereinten Nationen und Staaten, die das Statut des Internationalen Gerichtshofs ratifiziert haben. Der Gerichtshof ist nur zuständig, wenn und soweit alle beteiligten Parteien die Zuständigkeit anerkannt haben. Bis 2003 hat der Internationale Gerichtshof 76 Urteile erlassen und 24 Rechtsgutachten abgegeben (z. B. Streit über Schürf­rechte unter dem Festlandsockel zwischen Deutschland, Dänemark und den Niederlanden, Streit zwischen Deutschland und Island um Fischereirechte, Streit zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika um die Hinrichtung eines Deutschen), wobei Urteile nicht vollstreckt, sondern nur befolgt werden können.

Außerdem haben die Vereinten Nationen durch einen internationalen Vertrag (Rom 1998, in Kraft 2002) einen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag gegründet. Er ist mit 18 Richtern besetzt. Er ist zuständig für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen (sowie vielleicht künftig auch Aggression) (erste Verhandlung Januar 2009 gegen Thomas Lubanga).

Internationale Kriegsverbrechertribunale wurden in Nürnberg 1945 für Kriegsverbrechen Deutscher im zweiten Weltkrieg und danach für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda (mit erheblichem Aufwand und beschränktem Erfolg) eingerichtet.

 

II. Europagerichte

1. Die europäischen Gemeinschaften haben bzw. die Europäische Union hat im Laufe ihrer Entwicklung ein Gerichtssystem entwickelt. Dieses wird seit dem Vertrag von Lissabon (2009) als Gerichtshof der Europäischen Union bezeichnet. Es besteht aus dem (Europäischen) Gerichtshof, dem (Europäischen) Gericht und dem Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (EUGöD).

a) Gerichtshof (Europäischer Gerichtshof)

Der seit 2009 amtlich Gerichtshof genannte frühere Europäische Gerichtshof (1952) in Luxemburg ist das höchste Gericht der Europäischen Union. Er ist mit je einem Richter jedes Mitgliedstaats besetzt. Seine Aufgabe ist die einheitliche Anwendung, Auslegung und Fortbildung des europäischen Gemeinschaftsrechts. Vor ihm werden jährlich mehr als 500 Rechtsstreitigkeiten anhängig, doch kann er vom einzelnen Bürger nicht unmittelbar angerufen werden.

Besonders wichtig sind neben den Vertragsverletzungsverfahren die Vorabentscheidungsverfahren. Bei Zweifeln über die Auslegung europäischen Rechtes können bzw. müssen Gerichte der Mitgliedstaaten den (Europäischen) Gerichtshof vorab um eine Entscheidung ersuchen. Unterlassen sie dies oder entscheiden sie europarechtswidrig, kann der Mitgliedstaat dem Betroffenen zu Schadenersatz verpflichtet werden.

b) Gericht (Europäisches Gericht)

Zur Entlastung des (Europäischen) Gerichtshofs wurde ihm 1989 ein Gericht erster Instanz in Luxemburg zugeordnet. Es ist ebenfalls mit je einem Richter aller Mitgliedstaaten besetzt. Es entscheidet etwa in Wettbewerbsstreitigkeiten (1999 insgesamt 384 Verfahren). Gegen seine Urteile ist ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel an den Gerichtshof vorgesehen.

c) Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union

Zur Entlastung (des Gerichts) wurde 2005 das Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union mit 7 Richtern geschaffen.

2. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Der mit je einem Richter jedes Vertragsstaats ([2013] 47) besetzte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde (in einer Vorform) 1959 durch den Europarat in Straßburg errichtet. Seine Aufgabe ist der Schutz der in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Grundrechte. An ihn kann sich (u. a.) innerhalb von sechs Monaten jede Person wenden, die sich durch eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle seitens (der Organe) eines Vertragsstaats (unmittelbar) verletzt sieht und den national gegen die Verletzung gegebenen Rechtsweg erschöpft hat.

Die Zahl der entsprechenden Beschwerden ist ziemlich hoch (rund 30000 pro Jahr). Die meisten Beschwerden werden als unzulässig oder unbegründet angesehen (bis 2009 rund 10000 Urteile). Am häufigsten werden Russland und die Türkei wegen Menschenrechtsverletzung (zu Schadenersatz an den Verletzten) verurteilt, wobei die Verwirklichung der auf Feststellung der Verletzung und Zuerkennung von Schadensersatz beschränkten Entscheidungen vor allem durch den Druck der öffentlichen Meinung erreicht wird (unmittelbare Beseitigung der innerstaatlichen Entscheidung oder Aufhebung des innerstaatlichen Gesetzes scheiden aus).

 

III. Österreich

Staatliche Gerichte sind als Folge der Verrechtlichung der menschlichen Zivilisation inzwischen in allen Staaten eingerichtet. Organisation und Verfahren unterscheiden sich allerdings auf Grund der unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung von Staat zu Staat. Gleichwohl bestehen aber auch verschiedene allgemeinere Übereinstimmungen.

Anfangs gab es dabei wohl überall nur eine einheitliche Gerichtsbarkeit. Im Laufe der Geschichte wurde diese aber vielfach aufgeteilt. In Österreich lassen sich zwei Gerichtsbarkeiten mit fünf Verfahrensarten unterscheiden.

Nach Art. 10 I Nr. 6 und Art. 82 I B-VG ist (derzeit) die Gerichtsbarkeit in Österreich ausschließlich Bundessache, so dass alle Gerichte Bundesgerichte sind.

1. Ordentliche Gerichtsbarkeit

Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist die herkömmliche Gerichtsbarkeit durch die überkommenen, allmählich fortgebildeten Gerichte. Sie ist vor allem durch das Gerichtsorganisationsgesetz vom 27. 11. 1896 geordnet. Ergänzt werden dessen Vorschriften durch das Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof vom 19. 6. 1968.

Danach ist die ordentliche Gerichtsbarkeit Österreichs insgesamt vierstufig, der Instanzenzug aber nur dreistufig. Gerichte erster Instanz sind die mit Einzelrichtern besetzten (2007 141) Bezirksgerichte (BG) in jedem Bezirk (einschließlich der Bezirksgerichte für Handelssachen) und die als Gerichtshöfe erster Instanz bezeichneten (18) Landesgerichte (oder bis 1993 teilweise auch Kreisgerichte) (LG, in Eisenstadt, Feldkirch, Graz 2, Innsbruck, Klagenfurt, Korneuburg, Krems, Leoben, Linz, Ried im Innkreis, Salzburg, Sankt Pölten, Steyr, Wels, Wien 2 und Wiener Neustadt) (einschließlich der Handelsgerichte), Gerichte bzw. Gerichtshöfe der höheren Instanzen die vier Oberlandesgerichte in Wien (für Wien, Niederösterreich und Burgenland), Graz (für Steiermark und Kärnten), Linz (für Oberösterreich und Salzburg) und Innsbruck (für Tirol und Vorarlberg) und der Oberste Gerichtshof in Wien. Die Gerichtshöfe sind teils durch Einzelrichter, teils in Senaten tätig.

2. Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts

a) Verfassungsgerichtsbarkeit

Der Verfassungsgerichtshof in Wien ist nach Art. 137 B-VG für abschließend geregelte Verfassungsstreitigkeiten zuständig. Eine Verfassungsbeschwerde gegen Akte der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist ausgeschlossen. Die ordentlichen Gerichte können bei Bedenken gegen Gesetze oder Verordnungen grundsätzlich eine Normprüfung bei dem Verfassungsgerichtshof beantragen.

Ein Bescheid ist durch den Verfassungsgerichtshof aufzuheben, wenn er den Beschwerdeführer in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt oder auf einem verfassungswidrigen Gesetz, einer verfassungswidrigen Wiederverlautbarung, einer gesetzwidrigen Verordnung oder einem rechtswidrigen Staatsvertrag beruht. Gegen einen Bescheid kann sowohl vor dem Verfassungsgerichtshof wie auch vor dem Verwaltungsgerichtshof Beschwerde geführt werden (Parallelbeschwerde) oder es kann bei dem Verfassungsgerichtshof mit der Antragstellung oder nach Ablehnung oder Abweisung der Beschwerde der Antrag auf Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof gestellt werden, was umgekehrt nicht möglich ist.

b) Verwaltungsgerichtsbarkeit

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird ausgeübt durch den Verwaltungsgerichtshof in Wien (Art. 129 B-VG) und den Asylgerichtshof (1. Juli 2008). Keine Gerichte sind die gerichtsähnlichen unabhängigen Verwaltungssenate. An ihre Stelle treten zum 1. 1. 2014 Landesverwaltungsgerichte und ein Bundesverwaltungsgericht.

Der Verwaltungsgerichtshof kann bei seiner nachträglichen, auf rechtliche Fehler beschränkten Gesetzmäßigkeitskontrolle nicht in der Sache selbst, sondern nur (kassatorisch) durch Aufhebung eines Verwaltungsakts entscheiden (ausgenommen bei Säumnisbeschwerde). Die Behörde ist nach Aufhebung ihres Bescheids bei der Erlassung eines Ersatzbescheids an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs gebunden. Gleichzeitige Beschwerde bei dem Verfassungsgerichtshof ist möglich.

 

D) Zivilverfahren

I. Wesen

Das Zivilverfahren ist das bereits im römischen Altertum ausgebildete und im Hochmittelalter wieder aufgegriffene Verfahren zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen. Es dient der gerichtlichen Durchsetzung privater Rechte. Es schließt auf Grund des Gewaltmonopols des Staates die Selbsthilfe des Berechtigten weltweit grundsätzlich aus, doch ist daneben auch die Konfliktlösung über nichtstaatliche Schiedsgerichte oder andere Vermittler (Mediatoren) möglich.

 

II. Zuständigkeit

In Österreich ist die Zuständigkeit oder Kompetenz der Zivilgerichte festgelegt in der (teilweise durch Gerichtsstandsvereinbarung abdingbaren) Jurisdiktionsnorm (JN, Gesetz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen) vom 1. 8. 1895, die sich in drei Teile gliedert (Von der Gerichtsbarkeit im Allgemeinen, Von der Gerichtsbarkeit in Streitsachen, Von der Gerichtsbarkeit außer Streitsachen). Danach wird die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen durch die ordentlichen Gerichte ausgeübt (§ 1 JN) und sind für manche Arten von Streitsachen bestimmte Gerichte ausschließlich zuständig (z. B. Bezirksgerichte für Mietsachen, Besitzstörungssachen oder Ehesachen und Familiensachen, § 49 II JN). In allen anderen Streitsachen entscheidet der Streitwert der Streitsache, wobei für niedrige Streitwerte (bis 10000 Euro) das Bezirksgericht, für höhere Streitwerte das Landesgericht zuständig ist und besondere Senate in Arbeitssachen, Handelssachen und Sozialrechtssachen gebildet werden (in Wien auch ein besonderes Handelsgericht Wien und ein Arbeits- und Sozialgericht Wien).

 

III. Klage

Nach der für das Zivilverfahren geltenden Zivilprozessordnung vom 1. 8. 1895 beginnt das Zivilverfahren mit der Klage des Klägers (im Erkenntnisverfahren, Antrag auf Gewährung von Rechtsschutz z. B. auf Zahlung von 100000 Euro aus Kaufvertrag), wobei die Streitsache mit dem Einlangen des Klagebegehrens in der Einlaufstelle gerichtshängig wird. Wo kein Kläger vorhanden ist, kann kein Zivilprozess beginnen. Für bestimmte Klagen benötigt der Kläger bereits für die Erhebung der Klage an das Gericht einen Rechtsanwalt als Prozess­vertreter (Anwaltszwang z. B. vor Landesgericht und in Rechtsmittelverfahren) oder darf, wenn er sich (außerhalb des Anwaltszwangs freiwillig) vertreten lassen will, dafür nur einen Rechtsanwalt verwenden (relativer Anwaltszwang).

Ist die Klage mangelhaft, wird sie (vorläufig) zurückgestellt oder (endgültig) zurückgewiesen (z. B. bei Unzuständigkeit). Ist sie formal mangelfrei, wird sie dem Beklagten unter gleichzeitiger Ladung zu einem Verhandlungstermin zugestellt. Damit ist die Streitsache streitanhängig, so dass kein zweiter Prozess in dieser Streitsache mehr eingeleitet werden kann.

Bei Klagen auf Geldzahlung bis zu 75000 Euro gegenüber einem Beklagten mit Wohnsitz in Österreich ist ein vereinfachtes Mahnverfahren mit bedingtem Zahlungsbefehl möglich. Der bedingte Zahlungsbefehl wird rechtskräftig, sofern der Betroffene nicht binnen vier Wochen Einspruch erhebt. Tut er dies, setzt das Gericht einen Termin für eine streitige mündliche Verhandlung fest.

 

IV. Klageerwiderung

Nach der Klageerhebung folgt grundsätzlich die (vor dem Bezirksgericht mündliche, sonst schriftliche) Klageerwiderung (Klagebeantwortung) des Beklagten, mit der er auf die Klage antwortet und zu dem Vortrag des Klägers Stellung nimmt (z. B. dass die Kaufsache Mängel habe oder dass er den Kaufpreis schon überwiesen habe). Erscheint der Beklagte vor Gericht nicht oder verhandelt er trotz Erscheinens nicht, entscheidet das Gericht, wenn die Klage in sich schlüssig ist, nach dem Klagevortrag des Klägers (Versäumnisurteil bzw. Säumnisurteil). Im Anwaltsprozess benötigt auch der Beklagte einen Rechtsanwalt als Prozessvertreter.

 

V. Beweis

Widersprechen sich die Parteien, die aber auch einzelne Tatsachenfragen entgegen der Wahrheit einverständlich außer Streit stellen dürfen (Dispositionsmaxime), in ihren Vorträgen, muss das Gericht ermitteln, welcher Sachvortrag der Wahrheit entspricht (z. B. ob die Kaufsache tatsächlich Mängel hat oder der Kaufpreis tatsächlich bereits bezahlt ist). Zum Beweis der Wahrheit gibt es die Beweismittel Zeugen, Urkunden (z. B. Computertexte), Sachverständige, Inaugenscheinnahme (Augenschein) und Parteivernehmung. Kann ein Beweis von der mit dem Beweis belasteten Partei (z. B. der Rückgabe eines Darlehens verlangende Kläger für die von ihm behauptete Auszahlung des Darlehens, der bereits erfolgte Rückzahlung behauptende Beklagte für die Rückzahlung) nicht geführt werden, entscheidet das Gericht, das alle Beweise frei würdigen darf, auf Grund der so genannten Beweislast (Gefahr des Verfahrensverlusts bei fehlendem Beweis der betreffenden streitigen Behauptung) zu ihren Lasten.

 

VI. Urteil

Nach der Verhandlung und eventuellen Beweisführung, während deren das Gericht über Einzelfragen durch Beschluss entscheidet, muss das Gericht den Rechtsstreit insgesamt entscheiden und auf den festgestellten Sachverhalt das geltende Recht anwenden. Dies geschieht durch (mündlich verkündetes oder schriftliches) Urteil, in dem das Gericht dem Begehren des Klägers Statt gibt oder es abweist, dem Kläger aber niemals mehr zusprechen darf, als er begehrt hat. Das (in seinem Inhalt oft nicht wirklich sicher vorhersehbare) Urteil gliedert sich entsprechend der Urteilsmethode in den Urteilstenor (Tenor, Urteilsspruch) und die Urteilsgründe (bzw. Urteilsbegründung), welche die Parteien von der Richtigkeit der Entscheidung überzeugen sollen (bzw. soll).

Ein Urteil kann dabei (nicht nur richtig und überzeugend, sondern auch) aus vielen Gründen rechtswidrig sein. Hierzu gehören etwa die Unzuständigkeit oder die rechtswidrige Rechtsanwendung. Rechtswidrig ist dabei beispielsweise auch die (bewusste) unzutreffende Anwendung (bzw. Nichtanwendung) europäischen Gemeinschaftsrechts im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach einer zur Rücknahme des Vorabentscheidungsersuchens verwendeten Zwischenrückfrage des (Europäischen) Gerichtshofs.

 

VII. Rechtsmittel

Weil erfahrungsgemäß auch die Entscheidung eines Gerichts unrichtig sein kann, haben sich schon in der römischen Antike und dann seit dem Hochmittelalter Rechtsmittel ausgebildet, mit denen die unterliegende Partei das Urteil innerhalb einer kurzen Frist (Rechtsmittelfrist) angreifen kann. Die nochmalige Überprüfung erfolgt dann in einem übergeordneten Gericht meist durch mehr und erfahrenere Richter. Möglich sind Berufung (vom Bezirksgericht an das Landesgericht bzw. vom Landesgericht an das Oberlandesgericht), Rekurs, Revision (vom Landesgericht oder Oberlandesgericht zum Obersten Gerichtshof) und Revisionsrekurs, wobei am Ende die Entscheidung unanfechtbar und unabänderlich wird (formelle Rechtskraft) und eine erneute oder anderslautende Entscheidung ausgeschlossen ist (materielle Rechtskraft).

1. Berufung

Bei der Berufung erfolgt eine Überprüfung der Entscheidung des Rechtsstreits in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Zuständig für die Berufung gegen Urteile der Bezirksgerichte sind die Gerichtshöfe erster Instanz (Landesgerichte) und für die Berufung gegen Urteile der Landesgerichte die Oberlandesgerichte. Sie entscheiden erneut durch Urteil (Berufungsurteil).

2. Revision

Danach ist (nur) bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung Revision möglich. Bei ihr wird die Rechtmäßigkeit des Verfahrens und des Urteils durch den Obersten Gerichtshof überprüft. Am Ende wird erneut durch Urteil entschieden (Revisionsurteil).

3. Rekurs

Bei Beschlüssen des Gerichts ist der Rekurs möglich. Er ist je nach Zuständigkeit an das Landesgericht oder das Oberlandesgericht zu richten. Ihm kann ein Revisionsrekurs zum Obersten Gerichtshof folgen.

4. Außerordentliche Rechtsmittel

Nach Erschöpfung des Instanzenzugs kommen unter bestimmten Voraussetzungen (ausnahmsweise) in Betracht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die Nichtigkeitsklage und die Wiederaufnahmeklage.

 

VIII. Vollstreckung (Zwangsvollstreckung, Exekution)

Ist das Urteil (oder ein Beschluss) durch Verzicht auf Rechtsmittel mit Ablauf der Rechtsmittelfrist oder nach Erschöpfung des Instanzenzugs rechtskräftig (in Rechtskraft erwachsen), kann es (bzw. er), wenn der Verpflichtete seiner festgestellten Verpflichtung nicht nachkommt, innerhalb der Verjährungszeit zwangsweise gemäß dem Gesetz über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung 1896) auf Grund eines Exekutionsantrags des betreibenden Gläubigers und eines Exekutionstitels in einzelne Vermögensgegenstände des Verpflichteten vollstreckt werden (Vollstreckungsverfahren Zwangsvollstreckungsverfahren, gegliedert in Bewilligungsverfahren und Vollzugsverfahren, zu beachten ist ein gewisser Pfändungsschutz). Dies geschieht mit Hilfe des Bezirksgerichts bzw. eines amtlichen Vollstreckers (Exekutors, Gerichtsvollziehers), wobei dem Gläubiger mehrere Exekutionsmittel zur Verfügung stehen. Möglich ist etwa die Pfändung beweglicher Sachen, die Pfändung von Forderungen (Gehaltsexekution, Lohnpfändung) oder die Zwangsversteigerung eines Grundstücks, wobei grundsätzlich Pfändung, Verwertung und Befriedigung aufeinander folgen.

Sonderfall der Vollstreckung bei Überschuldung ist der auf Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers mögliche Konkurs aller Gläubiger (vor dem Landesgericht) zwecks gleichmäßiger Verteilung des geringen vorhandenen Vermögens eines Schuldners auf alle Gläubiger bei Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz, vgl. auch Sanierungsverfahren unter Forderungsverzicht der Gläubiger Schuldenregulierungsverfahren zur Entschuldung natürlicher Personen vor dem Bezirksgericht, „Privatkonkurs“).

 

IX. Entscheidungssammlung

Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs Österreichs in Zivilsachen sind wegen ihrer besonderen Bedeutung vor allem für die Untergerichte und damit mittelbar auch für die Allgemeinheit in der Sammlung Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen veröffentlicht (SZ).

 

E) Strafverfahren

I. Wesen

Das Strafverfahren ist das Verfahren zur Entscheidung von Strafsachen. Strafsachen sind Sachen der Allgemeinheit (des Staates) gegen den (einer Straftat) Verdächtigen, ohne dass grundsätzlich das Opfer der Straftat Partei des Strafprozesses ist (Offizialmaxime mit dem Staat als Ankläger). Dabei steht das Interesse der Allgemeinheit an einer Verfolgung von Straftaten dem Interesse eines Verdächtigen an einer Nichtbestrafung gegenüber.

 

II. Zuständigkeit

1. Bezirksgericht

Das Bezirksgericht ist zuständig für Vergehen, für die nur Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe angedroht ist, deren Höchstmaß ein Jahr nicht übersteigt.

2. Landesgericht

In Strafsachen ist das Landesgericht in erster Instanz für Verbrechen und Vergehen zuständig, für die nicht das Bezirksgericht zuständig ist. Je nach Straftat entscheidet ein Einzelrichter, ein Schöffensenat (ein Berufsrichter und zwei Laienrichter als Schöffen) oder bei politischen Verbrechen und bei Verbrechen mit einer Strafuntergrenze von fünf Jahren Haft und einer Strafobergrenze von mehr als zehn Jahren Haft ein am Landesgericht gebildetes Geschworenengericht (aus drei Berufsrichtern [Schwurgerichtshof] und acht Laienrichtern als Geschworenen). In zweiter Instanz ist das Landesgericht zuständig für Berufungen und Beschwerden gegen Urteile und Beschlüsse der Bezirksgerichte.

Das Landesgericht hat auch die umfassende gerichtliche Zuständigkeit im Ermittlungsverfahren. An jedem für Strafsachen zuständigen Landesgericht ist eine Staatsanwaltschaft eingerichtet. Sie vertritt den Staat im Strafverfahren.

 

III. Ermittlungsverfahren

In Strafsachen ist die (weisungsgebundene) Staatsanwaltschaft bei z. B. durch eine Anzeige der Polizei erlangter Kenntnis von einer strafbaren Handlung zur Verfolgung verpflichtet (Legalitätsprinzip). Im diesbezüglichen, der Anklage notwendigerweise vorangehenden Ermittlungsverfahren der Vorerhebungen zwecks Feststellung eines strafbaren Sachverhalts bedient sie sich meist der Sicherheitsbehörde. Im Ergebnis entscheidet sie, ob das Ermittlungsverfahren eingestellt wird oder ob eine öffentliche Klage (Anklage) erhoben wird.

 

IV. Anklage

Entscheidet sich die Staatsanwaltschaft auf Grund ihrer Ermittlungen für die Erhebung einer öffentlichen Anklage, so beantragt sie diese bei dem zuständigen Gericht. Über die Zulassung entscheidet das Gericht. Dieses ist an den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht gebunden, gibt ihm aber in der Mehrzahl der Fälle auf Grund der vorgelegten Ermittlungsergebnisse Statt.

 

V. Hauptverhandlung

Die danach folgende, grundsätzlich öffentliche Hauptverhandlung vor dem zuständigen Gericht beginnt mit der Verlesung (bzw. dem Vortrag) der Anklage, dem die Erwiderung der Verteidigung und die Vernehmung des Angeklagten durch das Gericht folgen. Der Angeklagte kann sich zur Anklage äußern, darf aber auch schweigen, doch muss er damit rechnen, dass das Gericht aus seinem Verhalten Schlüsse zieht. Er kann sich durch einen Rechtsanwalt (als Strafverteidiger) verteidigen lassen und muss in schweren Fällen von Amts wegen durch einen Rechtsanwalt verteidigt werden (Pflichtverteidiger).

 

VI. Beweis

Die Allgemeinheit bzw. der öffentliche Ankläger (Staatsanwalt) muss dem Angeklagten von Amts wegen die Tat, deretwegen er angeklagt ist, nachweisen. Zu ermitteln ist dabei die materielle Wahrheit. Beweismittel sind z. B. Zeugen, Urkunden, Sachverständige oder Inaugenscheinnahme (Augenschein).

Bis zum Beweis der Straftat gilt zu Gunsten des Angeklagten die Unschuldsvermutung. Sie endet erst mit dem Nachweis der Tat. Dieser Beweis muss von der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gericht geführt werden.

Das Beweisergebnis kann von den Beteiligten bewertet werden. Dies geschieht vor allem in den Schlussvorträgen des Staatsanwalts und des Verteidigers, in denen beide Seiten ihre Anträge stellen. Am Ende hat der Angeklagte (zu seinen Gunsten) das letzte Wort, ist aber zu seiner Wahrnehmung nicht verpflichtet.

 

VII. Urteil

Die Hauptverhandlung endet grundsätzlich mit einem (bei Senatsbesetzung in geheimer Beratung) gefällten Urteil des (unabhängigen) Gerichts. Es kann auf Freispruch (auch wegen Mangels an Beweisen) oder Verurteilung zu einer Strafe lauten, wobei m Zweifel der Angeklagte freizusprechen ist (in dubio pro reo). Im Geschworenengericht entscheiden die Geschworenen nach Belehrung durch den vorsitzenden Richter allein über Schuld oder Unschuld und zusammen mit den Berufsrichtern über das Strafmaß jeweils mit Mehrheit, wobei für besondere Ergebnisse besondere Regeln gelten.

Bei Straftaten mit geringem bis mittelschwerem Unrechtsgehalt kann eine Bestrafung unterbleiben. Als Maßnahmen der so genannten Diversion kommen dann Zahlung eines Geldbetrags, Erbringung einer gemeinnützigen Leistung, Probezeit oder Tatausgleich in Betracht. Zulässig ist auch eine Verbindung der unterschiedlichen Möglichkeiten.

VIII. Rechtsmittel

Ein Rechtsmittel gegen ein Strafurteil muss binnen drei Tagen angemeldet und kann binnen vier Wochen nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils schriftlich ausgeführt werden.

1. Berufung

Gegen das Urteil des Bezirksgerichts ist eine Berufung wegen der Schuld und bzw. oder der Strafe an das Landesgericht möglich, über die ein Senat mit drei Richtern entscheidet. Über eine Berufung gegen das Urteil eines Einzelrichters am Landesgericht wegen Schuld und bzw. oder Strafe entscheidet das Oberlandesgericht. Gegen erstinstanzliche Urteile des Landesgerichts als Schöffengericht oder Geschworenengericht gegen den Ausspruch über die Strafe (Strafhöhe) entscheidet das Oberlandesgericht.

Die Berufung kann sich auf die Schuld oder auf die Strafe beziehen. Die Berufung über die Strafe strebt eine Änderung oder Ergänzung eines erlassenen Urteils durch das Berufungsgericht an (z. B. Freispruch wegen erwiesener Unschuld statt Verurteilung). Die Berufung über die Strafe will eine Änderung nicht hinsichtlich der Schuld, sondern nur hinsichtlich der Strafe erreichen (z. B. statt unbedingter Strafe bedingte Strafnachsicht).

2. Nichtigkeitsbeschwerde

Wird nur oder auch ein Nichtigkeitsgrund (vor allem Verfahrensfehler, rechtsirrige Anwendung oder Nichtanwendung eines Strafgesetzes) behauptet (z. B. notwendige, aber nicht vollständige Vertretung des Angeklagten durch einen Rechtsanwalt während des gesamten Verfahrens), muss Nichtigkeitsbeschwerde zum Obersten Gerichtshof eingelegt werden. Dieser entscheidet durch Urteil. Die Entscheidung umfasst dann auch eine Berufung wegen Strafe.

3. Außerordentliche Rechtsmittel

Nach Erschöpfung des Instanzenzugs kommen unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht die ordentliche und die außerordentliche Wiederaufnahme, die Erneuerung des Strafverfahrens, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die nachträgliche Strafmilderung und (bei unzulässiger Freiheitsentziehung) die Grundrechtsbeschwerde nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz(, während die Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators zur Wahrung des Gesetzes gegen jegliche strafgerichtliche Entscheidung möglich, aber kein Rechtsmittel ist).

 

IX. Vollstreckung

Wird innerhalb der Rechtsmittelfrist kein Rechtsmittel eingelegt oder bleibt es erfolglos, erwächst das Urteil in Rechtskraft. Danach kann es vollstreckt werden. Dafür sind die besonderen Strafvollstreckungsorgane zuständig (z. B. für Freiheitsstrafen das erkennende Gericht).

 

X. Entscheidungssammlung

Die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs Österreichs in Strafsachen sind wegen ihrer besonderen Bedeutung vor allem für die Untergerichte und damit mittelbar auch für die Allgemeinheit in der Sammlung Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofs in Strafsachen veröffentlicht (SSt).

 

F) Außerstreitverfahren

Außerstreitverfahren ist das Verfahren in eigentlich außer Streit befindlichen inhaltlich ziemlich unterschiedlichen Sachen oder Rechtsangelegenheiten, die kraft Herkommens den ordentlichen Gerichten zugeordnet sind. Für sie gilt das Außerstreitgesetz vom 9. 8. 1854 in der geänderten Fassung des Jahres 2005. Außerstreitsachen sind beispielsweise Obsorge über Kinder, Unterhalt für Kinder, Adoptionen, Bestellung von Sachwaltern, Unterbringung psychisch Kranker, Verlassenschaftsverfahren, Grundbuchverfahren, Firmenbuchverfahren, Kartellverfahren, Todeserklärung, Kraftloserklärung von Urkunden, (streitig) Aufteilung des Vermögens nach einer Ehescheidung, mietrechtliches und wohnrechtliches Verfahren, Verfahren über Zuspruch von Enteignungsentschädigungen, Erneuerung und Berichtigung von Grenzen, Einräumung eines Notwegs als Zugang zu einem Grundstück u. s. w., in denen das Gericht jeweils durch Beschluss entscheidet.

 

G) Grundsätze

Allgemein mehr oder weniger anerkannt sind verschiedene Grundsätze in vielen Rechtsstaaten. Dazu gehören zum Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) beispielsweise das Recht auf den gesetzlichen Richter (, so dass etwa ein oberster Gerichtshof eines Mitgliedstaats der Europäischen Union sein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof nicht zurückziehen darf, wenn er plötzlich unerwartet und entgegen einer eigenen Zwischennachricht abweichend von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Lasten des Betroffenen entscheiden will), die Unabhängigkeit des Richters, die Öffentlichkeit der Verhandlung, das Diskriminierungsverbot, das Recht auf angemessene Anhörung, die Stellung der Partei als Subjekt (und nicht als Objekt) des Verfahrens, das Recht auf angemessene Fristen, das Recht auf Begründung jeder Entscheidung und die Öffentlichkeit der Verkündung einer Entscheidung. Dem Schutz des Schwachen und besonders des Angeklagten im Strafprozess dienen der Anspruch auf Bereitstellung eines Gerichts (Rechtsweggarantie), der Anspruch auf Zugang zum Gericht, die Prozesskostenhilfe für Bedürftige, die Garantie des ne bis in idem, die verhindert, dass jemand wegen derselben Sache zweimal bestraft werden kann, das Verbot der Folter, das Verbot der Todesstrafe, die Unschuldsvermutung und der Satz in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten).


§ 6 Straftat

A) Rechtswirklichkeit

B) Arten

C) Vorsatzbegehungserfolgsdelikt

D) Sonderfragen

E) Rechtsfolge

F) Strafzweck

G) Einzelne Straftatbestände

 

A) Rechtswirklichkeit

Täglich kann man in der Zeitung Nachrichten lesen wie: Mann erschießt seine Frau, seine zwei Kinder und sich selbst. Arbeiter entführt neunjähriges Mädchen als Polizist und missbraucht es. Bei einem Zugunglück werden fünf Menschen teilweise schwer verletzt. Ein Mann erbeutet bei einem bewaffneten Raubüberfall 100000 Euro. Ein Mann stiehlt unter Aufbrechen eines Schlosses aus einem Lieferwagen Tiefkühlkost. Zwei Frauen bitten an einer Wohnungstüre um Wasser und durchwühlen danach die Schubladen der Helferin. Ein Bauernhof brennt ab. Im Wald wird ein fachgerecht mit einem Blattschuss erlegter Zehnender gefunden. Ähnliches geschieht täglich weltweit.

Es geschieht seit langem. So haben etwa Attentäter das World Trade Center in New York mit Flugzeugen zerstört, hat eine Bande in London einen Postzug ausgeraubt, haben Südtiroler viele Strommasten in die Luft gesprengt, hat ein Attentäter John F. Kennedy erschossen, sind in Konzentrationslagern Millionen von Menschen ermordet worden, sind zehntausende Frauen als Hexen verbrannt worden, ist Jesus Christus gekreuzigt worden, hat König Herodes aus Angst vor dem Messias alle kleinen Buben umbringen lassen, ist Gaius Julius Caesar erstochen worden, ist Sokrates zum Trinken des Schierlingsbechers veranlasst worden und hat bereits der erfolglose und eifersüchtige Kain den erfolgreicheren Bruder Abel erschlagen. Wie wäre dies zu verhindern gewesen?

Stets geht es um Verhalten von Menschen gegenüber anderen Menschen in den Formen des Tötens, Verletzens, heimlichen Wegnehmens oder gewaltsamen Wegnehmens sowie ähnlichen Handelns. Ein solches Verhalten schädigt unmittelbar den Verletzten und mittelbar auch die Allgemeinheit. Deswegen soll es zum Wohle aller möglichst unterbleiben.

In Ermangelung erfolgreicherer Möglichkeiten hat der Mensch die Strafe durch den Staat erfunden. Damit will er vorbeugend andere Menschen durch Verbote von bestimmten, als schädlich eingestuften Verhaltensweisen abhalten. Missglückt dies, soll der Handelnde für sein missbilligtes Verhalten nachträglich von der Allgemeinheit mit einem Übel belegt werden.

Dementsprechend besteht der Strafrechtssatz wie andere idealtypische Rechtssätze aus Tatbestand und Rechtsfolge und werden bei der Anwendung des Strafrechtssatzes auf die Rechtswirklichkeit Strafrechtstatbestand und Strafrechtssachverhalt mit einander verglichen. Die Besonderheit des Strafrechts besteht nur darin, dass bestimmtes menschliches Verhalten mit einer Strafe als Rechtsfolge bedroht wird. Im Kern geht es in der Rechtswirklichkeit immer um die Frage: Hat ein Mensch einen Tatbestand, der in einem Rechtssatz mit der Rechtsfolge Strafe bedroht ist, durch sein Verhalten in einem Sachverhalt verwirklicht oder nicht?

Dabei hat im Laufe der Geschichte die Allgemeinheit zum Wohle aller die Verfolgung bestimmter schädlicher Verhaltensweisen übernommen. Dafür setzt der moderne Staat Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht ein. Hat ein Mensch sich strafbar gemacht und kann ihm dies mit Hilfe der Ermittlungen nachgewiesen werden, soll er nach allgemeiner Überzeugung grundsätzlich weltweit in einem rechtsstaatlichen Verfahren vor einem unabhängigen Gericht der als gerecht empfundenen Strafe zugeführt werden.

In Österreich darf dabei nach § 1 I StGB eine Strafe oder eine vorbeugende Maßnahme nur wegen einer Tat verhängt werden, die unter eine ausdrückliche gesetzliche Strafdrohung einer Strafrechtsbestimmung fällt und schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war. Lateinisch lautet dieser grundlegende Satz nulla poena sine lege (keine Strafe ohne [vorheriges] Gesetz). Dementsprechend gilt für Strafdrohungen in Strafrechtssätzen ein grundsätzliches Rückwirkungsverbot.

 

B. Arten

Das menschliche Verhalten ist immer individuell. Es enthält aber trotz aller Einzigartigkeit jedes menschlichen Einzelverhaltens stets auch allgemeine Erscheinungsmerkmale. Deswegen lassen sich alle Straftatbestände (Deliktstatbestände) und damit auch alle strafbaren Einzelhandlungen (Sachverhalte) unter wissenschaftlich-systematischem Blickwinkel grundsätzlich allgemeineren Arten zuteilen.

 

I. Schwere

Nach der Schwere der Verletzung werden herkömmlicherweise Verbrechen und Vergehen (sowie die wegen ihrer großen Zahl in der jüngeren Vergangenheit aus dem Strafrecht ausgesonderten Übertretungen) unterschieden.

1. Verbrechen sind vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind (§ 17 I StGB, z. B. Mord).

2. Vergehen sind alle strafbaren Handlungen, die nicht mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind (§ 17 II StGB, z. B. Hausfriedensbruch).

 

II. Rechtsgut

Nach den verletzten Rechtsgütern wird getrennt in

1. Straftaten gegen Leib und Leben des Einzelnen (z. B. Mord, Totschlag, Körperverletzung)

2. Straftaten gegen Eigentum und Vermögen des Einzelnen (z. B. Diebstahl, Raub, Betrug)

3. Straftaten gegen die Allgemeinheit (z. B. Staatsschutzdelikte wie Hochverrat, Völkermord)

 

III. Verhalten

Je nach dem Verhalten des Täters lässt sich gliedern in

1. Delikte, für die ein Erfolg notwendig ist, und Delikte, für die eine Tätigkeit genügt

a) Erfolgsdelikt (z. B. Totschlag, Körperverletzung)

b) Tätigkeitsdelikt (z. B. falsche uneidliche Aussage)

2. Delikte, die zu einer Verletzung führen oder zu einer bloßen Gefährdung

a) Verletzungsdelikt (z. B. Körperverletzung, Diebstahl)

b) Gefährdungsdelikt (z. B. Fahren über eine Straßenkreuzung bei rotem Ampelsignal)

3. Delikte, bei denen ein Handeln (Begehung) notwendig ist oder eine Unterlassung genügt

a) Begehungsdelikte (z. B. Erpressung, Wilderei)

b) Unterlassungsdelikte

Nach § 2 StGB ist, wenn das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolgs mit Strafe bedroht, auch strafbar, wer es unterlässt, ihn abzuwenden, obwohl er zufolge einer ihn im Besonderen treffenden Verpflichtung durch die Rechtsordnung dazu verhalten ist und die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbilds durch ein Tun gleichzuhalten ist (z. B. unterlassene Hilfeleistung bei einem Unglücksfall, Mord durch Unterlassung eines durch eine besondere Handlungspflicht gebotenen Verhaltens).

 

IV. Einstellung

Je nach der inneren Einstellung des Täters zu seinem Verhalten kann getrennt werden zwischen Vorsatzdelikten und Fahrlässigkeitsdelikten.

1. Vorsatzdelikt

Bei einem Vorsatzdelikt muss der Täter mit Vorsatz (lat. dolus [M.]) und damit grundsätzlich mit Wissen und Wollen handeln (z. B. Unterschlagung). (Nach § 5 I StGB handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht, wobei es genügt, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet [dolus eventualis, bedingter Vorsatz, „in Kauf nimmt“].). (Bei einzelnen Straftatbeständen kann es neben dem einfachen Vorsatz auch auf zusätzliche Absichtlichkeit oder Wissentlichkeit ankommen, lat. dolus directus).

2. Fahrlässigkeitsdelikt

Bei einem Fahrlässigkeitsdelikt will der Täter den Erfolg nicht, verletzt aber eine Sorgfaltspflicht zu seiner Vermeidung (z. B. fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung) (Nach § 6 I StGB handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen kann, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht, wobei es genügt, dass er es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will).

3. Grundsatz der Strafbarkeit nur vorsätzlichen Handelns

Grundsätzlich ist, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, nur vorsätzlichen Handeln strafbar. Die Strafbarkeit fahrlässigen Handelns muss besonders angeordnet sein. Dies ist etwa bei fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung der Fall, nicht aber bei fahrlässiger Sachbeschädigung.

 

V. Sonstige Arten

1. Eigenhändiges Delikt

Das eigenhändige Delikt kann vom Täter nur selbst begangen werden, nicht durch einen anderen Menschen als Werkzeug (z. B. Meineid).

2. Erfolgsqualifiziertes Delikt

Das erfolgsqualifizierte Delikt ist durch einen zusätzlichen Erfolg besonders gekennzeichnet (z. B. Körperverletzung mit Todesfolge, vgl. § 7 II StGB).

 

C) Vorsatzbegehungserfolgsdelikt

Im Mittelpunkt des Strafrechts steht das vorsätzliche Erfolgsdelikt (z. B. Mord). Es ist auf einen Erfolg ausgerichtet und wird vom Täter mit Wissen und Wollen ausgeführt. Die Strafrechtswissenschaft hat dafür eine Reihe von allgemeinen Voraussetzungen oder Straftatbestandsmerkmalen (Tatbestandsmerkmalen) erkannt.

 

I. Tatbestand

Der Tatbestand eines ein Vorsatzerfolgsdelikt betreffenden Strafrechtssatzes (im weiteren Sinne) gliedert sich in den Tatbestand im engeren Sinne und weitere Voraussetzungen. Der Tatbestand im engeren Sinne besteht aus objektivem Tatbestand und subjektivem Tatbestand. Daraus ergibt sich insgesamt ein mehrgliederiger Tatbestandsaufbau des Vorsatzbegehungserfolgsdelikts.

1. Objektiver Tatbestand (äußere Tatseite)

a) Handlung

Der objektive Tatbestand (im engeren Sinne) erfordert grundsätzlich eine Handlung eines Menschen. Deswegen muss ein bewusstes Verhalten eines Menschen vorliegen, nicht nur ein bloßer unwillkürlicher Reflex (z. B. wenn der Mensch nur vom Sturm umgeweht wird oder infolge einer Krankheit umfällt und dadurch eine Sache beschädigt). Eine Handlung wäre beispielsweise das Bewegen des Fingers zur Ingangsetzung eines Geschosses in einer Waffe.

b) Erfolg

Weiter ist eine Veränderung der bisherigen, von der Handlung verschiedenen Gegebenheiten notwendig. Eine derartige Veränderung wäre etwa der Tod oder die Verletzung eines anderen Menschen oder die Zerstörung oder Beschädigung einer Sache. Auch wenn diese Veränderung allgemein als Verlust angesehen wird, ist sie strafrechtlich doch ein Erfolg.

c) Kausalität

Zwischen Handlung und Erfolg muss Ursächlichkeit bestehen. Zahllose Handlungen führen nicht zu strafrechtlich bedeutsamen Erfolgen und viele Erfolge werden nicht durch strafrechtlich relevantes Verhalten herbeigeführt. Deswegen ist ein menschliches Verhalten, das hinweggedacht werden kann, ohne dass der in Frage stehende Erfolg entfällt, für diesen Erfolg nicht ursächlich (z. B. kann das Bewegen eines Gewehrhahns zu einer völlig anderen Zeit oder an einem völlig anderen Ort für den Tod eines Menschen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit nicht ursächlich sein).

2. Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand betrifft die innere Tatseite des Handelnden. Dabei geht es vor allem um das Wissen und Wollen des Handelnden oder Unterlassenden (z. B. Vorsatz, Absicht, Absichtlichkeit, Wissentlichkeit). Bei Mord muss beispielsweise der Täter den Tod eines anderen Menschen wollen und wissen, dass er durch einen Messerstich in die Herzgegend den Tod des anderen voraussichtlich herbeiführen wird.

 

II. Rechtswidrigkeit

Das betreffende tatbestandsmäßige, möglicherweise strafbare Verhalten muss auch rechtswidrig sein. Rechtswidrig ist grundsätzlich jede Verletzung von Recht. Deswegen ist die Tötung (oder Verletzung) eines (anderen) Menschen grundsätzlich stets rechtswidrig.

Die Rechtswidrigkeit kann aber ausnahmsweise ausgeschlossen sein, weil das Verhalten trotz des durch das Verhalten verursachten Erfolgs gerechtfertigt ist. Rechtfertigungsgründe sind beispielsweise Notwehr, Nothilfe, Notstand oder Einwilligung des Opfers. Dementsprechend handelt nicht rechtswidrig, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem andern abzuwehren (Notwehr, Nothilfe), wobei die Handlung jedoch dann nicht gerechtfertigt ist, wenn es offensichtlich ist, dass dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers unangemessen ist (§ 3 I StGB).

 

III. Schuld

Strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt (§ 4 StGB). Es darf also keine Strafe ohne Schuld des Handelnden verhängt werden. Lateinisch lautet dieser überzeugende Gedanke nulla poena sine culpa (keine Strafe ohne Schuld).

Grundsätzlich ist nach § 14 I Nr. 1 StGB der (mit der Vollendung des 14. Lebensjahrs strafmündig werdende) Mensch schuldfähig. Es kann ihm aber die Zurechnungsfähigkeit fehlen. Wer zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, handelt nach § 11 StGB nicht schuldhaft.

Es kann ausnahmsweise die Schuld auch durch einen besonderen Schuldausschließungsgrund ausgeschlossen sein.

 

IV. Objektive Strafbarkeitsbedingung

Strafbar ist eine Tat nur, wenn alle objektiven Strafbarkeitsbedingungen vorliegen. Dazu gehört das Fehlen der Verjährung. Strafbare Handlungen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, verjähren nicht, während alle anderen strafbaren Handlungen je nach der Höhe der angedrohten Strafe in Fristen zwischen zwanzig Jahren und einem Jahr verjähren und deshalb nach Ablauf dieser Zeit nicht mehr mit einer Strafe belegt werden können.

 

V. Persönlicher Strafausschließungsgrund

Die Strafbarkeit eines Täters entfällt bei Vorliegen eines Strafausschließungsgrunds. Strafausschließungsgrund ist beispielsweise die Indemnität (oder auch die Immunität) eines Abgeordneten. Grundsätzlich kann ein Abgeordneter zum Schutz seiner Redefreiheit nicht wegen seiner Äußerungen im Parlament strafrechtlich verfolgt werden, sofern er nicht verleumderisch beleidigt.

 

VI. Strafantrag

Bestimmte einzelne Verhaltensweisen können im Gegensatz zu den meisten von Amts wegen zu verfolgenden Verhaltensweisen (Offizialdelikten) strafrechtlich nur verfolgt werden, wenn ein Strafantrag vorliegt (Antragsdelikte). Hierzu zählen z. B. Hausfriedensbruch und Beleidigung. Dabei kann die Staatsanwaltschaft bei absoluten Antragsdelikten ohne Antrag eines Verletzten nicht tätig werden (Ermächtigungsdelikt), während sie bei relativen Antragsdelikten bei Bejahung des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung auch ohne Antrag des Verletzten die Tat verfolgen kann.

 

D) Sonderfragen

Bei allen Erfolgsdelikten kann es geschehen, dass der Täter den Erfolg zwar anstrebt, aber nicht erreicht, bei allen Delikten, dass er sich irrt, dass er zusammen mit anderen handelt oder dass er mehrere Straftaten begeht oder mehrere Strafrechtssätze verletzt. Deswegen liegen in diesen Fällen eigentlich allgemeine Probleme vor. Aus diesem Grund werden Versuch, Irrtum, Teilnahme und Konkurrenz als allgemein mögliche Gestaltungen im allgemeinen Teil des Strafrechts erörtert.

 

I. Versuch

Der Versuch einer Straftat ist gegeben, wenn der Täter mit der Straftat beginnt, aber den Erfolg nicht erreicht (z. B. Attentatsversuch, Betrugsversuch). Wegen der Gefährlichkeit von Versuchen gelten nach § 15 I StGB die Strafdrohungen nicht nur für die vollendete Tat, sondern auch für den Versuch und jede Beteiligung an einem Versuch. Nach § 15 II StGB ist dabei eine Tat versucht, sobald der Täter seinen Entschluss (oder Plan), sie auszuführen oder einen anderen dazu zu bestimmen, durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt (also unmittelbar zur Tat ansetzt).

Straflos ist auf Grund der Gedankenfreiheit des Menschen ein bloßer Tatplan. Sobald aber dem im Vorsatz enthaltenen Tatplan ein tatsächlicher Anfang der Ausführung folgt, beginnt die Strafbarkeit des Versuchs. Der Versuch und die Beteiligung daran sind nach § 15 III StGB nicht strafbar, wenn die Vollendung der Tat mangels persönlicher Eigenschaften oder Verhältnisse, die das Gesetz bei dem Handelnden voraussetzt, oder nach der Art der Handlung oder des Gegenstands, an dem die Tat begangen wurde, unter keinen Umständen möglich war (absolute Untauglichkeit des Versuchs).

Vom Versuch kann der Täter nach § 16 StGB noch zurücktreten (Rücktritt). Der Täter wird wegen des Versuchs nicht bestraft, wenn er freiwillig die Ausführung aufgibt oder verhindert oder freiwillig den Erfolg abwendet (beachte auch § 16 II StGB). Tritt der Erfolg als Folge des Beginns der Ausführung ein, liegt kein bloßer Versuch mehr vor, sondern eine vollendete Straftat.

 

II. Irrtum

Der Täter kann sich eine falsche Vorstellung über den Gegenstand seines Verhaltens oder den Ablauf des Geschehens machen. Dieser Irrtum ist grundsätzlich zu berücksichtigen. Dabei sind aber unterschiedliche Fälle zu unterscheiden.

1. Irrtum über den Gegenstand (lat. error in obiecto)

a) Gleichwertigkeit des Tatgegenstands

Der Täter will das Opfer töten oder verletzen, verwechselt es aber versehentlich mit einem anderen Menschen. Gedachtes Opfer und tatsächliches Opfer sind zwar verschiedene Menschen, aber beides Menschen, so dass sie rechtlich gleichwertig sind. Da es bei den Tatbeständen der Tötungsdelikte und Verletzungsdelikte grundsätzlich nur um die Tötung oder Verletzung nicht eines ganz bestimmten, sondern irgendeines anderen Menschen geht, ist dieser Irrtum unbeachtlich.

b) Ungleichwertigkeit des Tatgegenstands

aa) Der Täter will das Opfer töten, verwechselt es aber (beispielsweise in der Dämmerung) mit einem Schwein, das er mit seinem Schuss trifft und tötet. Mensch und Schwein sind ungleichwertige Objekte, so dass der Irrtum beachtlich ist. Deswegen kann der Täter, der einen Menschen töten will, aber ein Schwein tötet, nur wegen versuchten Tötungsdelikts (und erfolgter Sachbeschädigung) strafbar sein(, wobei fahrlässige Sachbeschädigung aber straflos bleibt).

bb) Der Täter will als Jäger ein Schwein erschießen, verwechselt (beispielsweise in der Dämmerung) aber einen Menschen mit dem Schwein und tötet den Menschen. Mensch und Schwein sind ungleichwertige Objekte, so dass der Irrtum beachtlich ist. Unabhängig davon, ob der Täter (als Jäger) das Schwein vorsätzlich töten darf oder nicht, kann er aber bei ungewollter Tötung eines Menschen wegen fahrlässiger Tötung (eines Menschen) strafbar sein.

2. Irrtum über den Kausalverlauf

Der Täter wirft im Rahmen einer Sportveranstaltung Speer, wobei eine plötzliche, ungewöhnlich heftige Windböe den Speer in die Zuschauer treibt, so dass ein Zuschauer durch den Speer verletzt wird (lateinisch aberratio ictus). Der Ablauf vollzieht sich also abweichend von den Vorstellungen des Handelnden, der niemanden verletzen will. Deswegen kann er bei Abirrung eines Geschosses mangels Vorsatzes jedenfalls nicht wegen vorsätzlicher Verletzung eines anderen strafbar sein.

 

III. Zusammenwirken mehrerer Handelnder

Nach § 12 StGB begeht nicht nur der unmittelbare Täter die strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, sie auszuführen, oder der sonst zu ihrer Ausführung beiträgt (so genannter Einheitstäter). Von daher sind verschiedene Formen der Täterschaft (bzw. Beteiligung) an einer Straftat zu unterscheiden. Nach § 13 StGB ist dabei, wenn mehrere an einer Tat beteiligt waren, jeder von ihnen nach seiner Schuld zu bestrafen.

Täter ist grundsätzlich jeder, der die Tathandlung durchführt. Dabei können mehrere in der Form zusammenwirken, dass jeder im Zusammenwirken nur einen Teil der Tathandlung ausführt (z. B. hält bei einem Raub ein Täter das Opfer fest, während ein zweiter mit Gewalt Geld wegnimmt). Dann sind die mehreren Handelnden Mittäter.

Der Täter kann eine Tathandlung aber auch durch einen ahnungslosen Dritten ausführen lassen. Dann ist der unmittelbar Handelnde nur (grundsätzlich strafloses) Werkzeug. Der Täter ist aber auch bei mittelbarer Täterschaft als Täter strafbar.

Täter ist in Österreich auch, wer einen anderen wissentlich und willentlich zu einer bewussten und gewollten Straftat bestimmt, indem er ihm beispielsweise Geld für die Ausführung einer von ihm gewollten Straftat verspricht. Er ist Bestimmungstäter. In Deutschland und in der Schweiz ist er (als) Anstifter (strafbar).

Täter ist in Österreich auch jeder, der zur Ausführung der strafbaren Handlung beiträgt, indem er etwa ein Werkzeug zur Verfügung stellt oder den Täter sonst unterstützt. Er ist Beitragstäter. In Deutschland und in der Schweiz ist er (als) Gehilfe (strafbar).

 

IV. Konkurrenz

Ein Täter kann durch eine Handlung oder mehrere Handlungen mehrere Strafrechtssätze verletzen. Dann können mehrere Strafrechtssätze bei der Frage, nach welcher Vorschrift der Handelnde zu bestrafen ist, miteinander konkurrieren. Für die im Detail sehr verwickelten Fragen der Konkurrenz (Zusammentreffen oder Wettbewerb strafbarer Handlungen) gilt grundsätzlich § 28 StGB.

 

E) Rechtsfolge

Strafe als wichtigster Beziehungspunkt des gesamten Strafrechts ist ein Übel, das einem Handelnden für tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Tun von der Allgemeinheit in Verbindung mit einem Unwerturteil auferlegt wird, ohne dass der Verletzte unmittelbar davon einen Vorteil hat. Strafe in diesem Sinn ist erst in entwickelten Gesellschaften (Staaten) entstanden. Ältere, von der Aufklärung der frühen Neuzeit immer stärker zurückgedrängte Strafen sind Leibesstrafe und Todesstrafe, so dass in Österreich in der Gegenwart vor allem Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedeutsam sind.

 

I. Arten der Strafe

1. Freiheitsstrafe

Freiheitsstrafe ist die im Entzug der Freiheit bestehende Strafe. Freiheitsstrafen werden nach § 18 I StGB auf Lebensdauer oder auf bestimmte Zeit verhängt. Die zeitliche Freiheitsstrafe beträgt mindestens einen Tag und höchstens 20 Jahre.

2. Geldstrafe

Geldstrafe ist die in Geld zu zahlende Strafe. Dabei ist die Geldstrafe in (mindestens zwei) nach den persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Täters im Zeitpunkt des Urteils erster Instanz zu bestimmenden Tagessätzen zu bemessen. Für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe ist eine Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen, bei der zwei Tagessätzen ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe entspricht (§ 19 StGB).

 

II. Weitere Folgen

Möglich ist die Abschöpfung der auf Grund einer Straftat erlangten Bereicherung oder der Verfall von Vermögenswerten. In Betracht kommt auch die Unterbringung des Täters in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher oder in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter. Für die Straftat verwendete oder durch sie geschaffene Gegenstände können eingezogen werden, Beamte können ihr Amt verlieren.

 

III. Strafzumessung (§§ 32ff. StGB)

Der Strafrechtssatz legt grundsätzlich einen Strafrahmen fest, innerhalb dessen sich das vom Gericht im Urteil festzulegende tatsächliche Strafmaß nach der Schuld des Täters bestimmt. Mildernde Umstände begründen eine geringere Strafe. Erschwerungsgründe rechtfertigen eine höhere Strafe.

 

IV. Bedingte Strafnachsicht

Bei Verurteilung zu einer zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe hat das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen die Strafe bedingt (bei Geldstrafe auch teilweise bedingt) nachzusehen. Möglich ist auch die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe. In Betracht kommt in diesen Zusammenhängen die Erteilung von Weisungen oder die Anordnung von Bewährungshilfe.

 

F) Strafzweck

Strafzweck ist der mit der Strafe verfolgte Zweck. Er hat sich im Laufe der Entwicklung der Strafe verändert. Bestand er in älteren Zeiten hauptsächlich in Unschädlichmachung und Sühne (absoluter Strafzweck), so trat später vor allem der Verhütungsgedanke der Prävention (Generalprävention aller oder Spezialprävention hinsichtlich des Straftäters) hervor (relativer Strafzweck). Seit dem späten 19. Jahrhundert (Marburger Programm Franz von Liszts 1882) steht der Versuch der Resozialisierung oder Wiedereingliederung des Straftäters im Vordergrund, wofür allerdings Augenblickstäter, verbesserliche Zustandstäter und unverbesserliche Zustandstäter unterschieden werden können und müssen.

 

G. Einzelne Straftatbestände

Die einzelnen besonderen Straftatbestände sind im besonderen Teil des Strafgesetzbuchs enthalten. Sie werden wissenschaftlich dementsprechend im besonderen Teil des Strafrechts behandelt. Dabei sind von den von § 75 (Mord) bis § 321 (Völkermord) reichenden rund 250 Strafrechtssätzen des Strafgesetzbuchs Österreichs etwa 25 bis 30 von größerer allgemeiner Bedeutung.

§ 75 (Mord) Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.

§ 76 (Totschlag) Wer sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lässt, einen anderen zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

§ 80 (fahrlässige Tötung) Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

§ 83 (Körperverletzung) Wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 88 (fahrlässige Körperverletzung) Wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 95 (Unterlassung der Hilfeleistung) Wer es bei einem Unglücksfall unterlässt, die offensichtlich erforderliche und auch zumutbare Hilfe zu leisten, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 350 Tagessätzen zu bestrafen

§ 96 (Schwangerschaftsabbruch) Wer mit Einwilligung der Schwangeren deren Schwangerschaft abbricht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, während eine Frau, die den Abbruch ihrer Schwangerschaft vornimmt oder zulässt, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen ist.

§ 99 (Freiheitsentziehung) Wer einen anderen widerrechtlich gefangen hält oder ihm auf andere Weise die persönliche Freiheit entzieht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

§ 105 (Nötigung) Wer einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

§ 109 (Hausfriedensbruch) Wer den Eintritt in die Wohnstätte eines anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt erzwingt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

§ 115 (Beleidigung) Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten einen anderen beschimpft, verspottet, am Körper misshandelt oder mit einer körperlichen Misshandlung bedroht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 118 (Verletzung des Briefgeheimnisses) Wer einen nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmten verschlossenen Brief öffnet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 125 (Sachbeschädigung) Wer eine fremde Sache zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar macht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 127 (Diebstahl) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen mit dem Vorsatz wegnimmt, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 134 (Unterschlagung) Wer ein fremdes Gut, das er gefunden hat oder das durch Irrtum oder sonst ohne sein Zutun in seinen Gewahrsam geraten ist, sich oder einem Dritten mit dem Vorsatz zueignet, sich oder einen Dritten unrechtmäßig dadurch zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 137 (Eingriff in fremdes Jagdrecht oder Fischereirecht) Wer unter Verletzung fremden Jagd- oder Fischereirechts dem Wild nachstellt, fischt, Wild oder Fische tötet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 142 (Raub) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz wegnimmt oder abnötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

§ 144 (Erpressung) Wer jemanden mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt, und dabei mit dem Vorsatz handelt, durch das Verhalten des Genötigten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

§ 146 (Betrug) Wer mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 153 (Untreue) Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und dadurch dem anderen einen Vermögensnachteil zufügt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 164 (Hehlerei) Wer den Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen nach der Tat dabei unterstützt, eine Sache, die dieser durch sie erlangt hat, zu verheimlichen oder zu verwerten, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 169 (Brandstiftung) Wer an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst verursacht, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

§ 201 (Vergewaltigung) Wer eine Person mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme oder Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

§ 211 (Blutschande) Wer mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, den Beischlaf vollzieht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

§ 216 (Zuhälterei) Wer mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, diese Person ausnutzt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

§ 223 (Urkundenfälschung) Wer eine falsche Urkunde mit dem Vorsatz herstellt oder eine echte Urkunde mit dem Vorsatz verfälscht, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

§ 242 (Hochverrat) Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu ändern oder ein zur Republik Österreich gehörendes Gebiet abzutrennen, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren zu bestrafen.

§ 269 (Widerstand gegen die Staatsgewalt) Wer eine Behörde mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt oder wer einen Beamten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung hindert, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

§ 321 (Völkermord) Wer in der Absicht, eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, einem Volk, einem Volksstamm oder einem Staat bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten, Mitglieder der Gruppe tötet oder in vergleichbarer Weise verletzt, ist mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.


§ 7 Person

A) Privatrecht

B) Natürliche Person

C) Juristische Person

D) Entstehung von Rechten und Pflichten

 

A) Privatrecht

I. Rechtswirklichkeit

Auch losgelöst von der Hoheitsgewalt des zivilisierten Staates stehen die Menschen in zahlreichen Beziehungen zueinander. Bisher können Menschen nur von anderen Menschen hervorgebracht werden und sind am Anfang ihres Lebens so unselbständig, dass sie ohne andere Menschen ihre Geburt nur ganz kurze Zeit überleben könnten. Deswegen müssen sie lange Zeit ganz umfassend von anderen Menschen versorgt werden.

Mit ihrer natürlichen Entwicklung einher verlaufen vielfache Lernvorgänge im Austausch mit Eltern, Geschwistern, Nachbarn, Freunden, Lehrern, Wettbewerbern und Feinden. Mit der Zunahme des Wissens und der Fähigkeiten wird die Verselbständigung möglich. Deswegen kann der Mensch allmählich eigenständiger Teilnehmer an den gesellschaftlichen Vorgängen werden.

Dabei werden ihm zuerst ganz einfache Geschäfte ermöglicht. Danach wird er in allgemeinen, zeitlich genau festgelegten Schritten mit allen Rechten und Pflichten in die jeweilige Rechtsgemeinschaft aufgenommen. In arbeitsteiligen marktwirtschaftlichen Gegebenheiten muss er nur genügend Zahlungsmittel haben oder erwerben und er kann alle notwendigen oder überflüssigen Gegenstände und Leistungen dieser Welt erlangen, die ihm im Überfluss von anderen Menschen angeboten oder auch abgenommen werden.

Er kann vor allem kaufen und verkaufen, mieten und vermieten, verschenken und geschenkt erhalten, arbeiten lassen und arbeiten. Er kann sich mit anderen Menschen zusammentun oder nicht, heiraten oder nicht, Nachkommen zeugen oder gebären oder nicht, ganz wie er (in einigermaßen freier, wenn auch von Trieben beeinflusster Entscheidung) möchte. Am Ende seines Lebens kann er sein Vermögen anderen Menschen nach seiner Wahl zuwenden oder ohne abweichenden eigenen Willen das geltende Recht auf die Nachfolge in sein Vermögen Anwendung finden lassen.

In all diesen Fragen begleitet ihn das Recht. Durch Verbote und Gebote schränkt es seine ursprüngliche Freiheit ein und sichert sie zugleich. In vielen Hinsichten überlässt der mit Hoheitsgewalt ausgestattete Staat weite Strecken dieser Lebensbereiche bis hin zur Schaffung juristischer Personen der Privatautonomie (Selbstbestimmung) des Einzelnen.

 

II. Wesen

Privatrecht ist dementsprechend das von der Hoheitsgewalt des Staates grundsätzlich freie Recht, in dem der Staat nicht in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger tätig wird. Ein solches lateinisch ius privatum genanntes Gebiet wurde bereits von den römischen Rechtskundigen ansatzweise zu einer gedanklichen Einheit zusammengefasst. Mit der Aussonderung des Staatsrechts (bzw. des Verfassungsrechts und des Verwaltungsrechts), des Prozessrechts und des Strafrechts aus dem gesamten Recht als eigene Rechtsgebiete in der Rechtswissenschaft der frühen Neuzeit ist es so selbverständlich zu einer eigenen Einheit geworden, dass Bayern (neben einem Strafgesetzbuch und einem Prozessgesetzbuch) 1756 einen besonderen Codex Maximilianeus Bavaricus civilis (Maximilianisches bayerisches bürgerliches Gesetzbuch) schaffen konnte, Frankreich 1804 einen Code civil (Bürgerliches Gesetzbuch) und Österreich nach jahrzehntelanger Vorbereitung seit Maria Theresia (1748) am 1. 6. 1811 ein Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB).

Nach § 1 dieses 1812 in Kraft getretenen Gesetzbuchs macht der Inbegriff der Gesetze, wodurch die Privatrechte und Pflichten der Einwohner des Staates unter sich bestimmt werden, das bürgerliche Recht in demselben aus. Demnach sind zu Beginn des 19. Jahrhunderts Privatrecht und bürgerliches Recht gleichbedeutend. Da lateinisch civis deutsch Bürger ist, entspricht dem deutschen Wort bürgerliches Recht auch das französische droit civil des Code civil oder Bürgerlichen Gesetzbuchs, so dass Privatrecht auch Zivilrecht ist.

Kennzeichen dieses Privatrecht, Zivilrecht oder auch bürgerliches Recht genannten Teiles des gesamten Rechtes ist, dass in ihm der Träger von Hoheitsgewalt nicht in seiner Eigenschaft als solcher tätig wird. Es ist ein Raum der Freiheit, in dem grundsätzlich jedermann seinen Willen zu verwirklichen versuchen kann. Freilich stehen diesem theoretischen Idealzustand tatsächlich manche Hindernisse gegenüber.

 

III. Arten

Allerdings hat sich seit der Schaffung der ersten Gesetzbücher des bürgerlichen Rechts, Privatrechts oder Zivilrechts an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die Wirklichkeit erheblich verändert. Aus der agrarisch geprägten Gesellschaft der frühen Neuzeit wurde infolge der industriellen Revolution die von Handel und Arbeit bestimmte modernere Industriegesellschaft und aus ihr danach die noch weitergehend gewandelte Dienstleistungsgesellschaft der Gegenwart. Dementsprechend wird innerhalb des Privatrechts inzwischen das allgemeine bürgerliche Recht (als allgemeines Privatrecht) vom besonderen Privatrecht der Arbeit und des Handels getrennt.

1. Allgemeines Privatrecht

Allgemeines, für jedermann grundsätzlich in gleicher Weise geltendes Privatrecht ist der in die großen Privatrechtsgesetzbücher (Kodifikationen wie Code civil Frankreichs, Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Österreichs, Bürgerliches Gesetzbuch des Deutschen Reiches oder Zivilgesetzbuch der Schweiz) aufgenommene Rechtsstoff. Zu ihm gehören aber alle sachlich mit ihm zu verbindenden modernen Fortschreibungen. Deswegen sind Gegenstände des bürgerlichen Rechts als allgemeinen Privatrechts etwa auch das Wohnungseigentum, das Mietrecht, die Todeserklärung, (die Ehe,) der Konsumentenschutz, die Amtshaftung, die Eisenbahnhaftung, die Kraftfahrzeughaftung, das Grundbuch, die Landpacht oder das internationale Privatrecht, obwohl ihre modernen Regeln sich nicht mehr (nur) im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch finden, sondern (auch) in von ihm getrennten besonderen Gesetzen ( wie z. B. dem Wohnungseigentumsgesetz, Mietrechtsgesetz u. s. w.).

2. Sonderprivatrecht

Sonderprivatrecht ist das von Anfang an außerhalb der bürgerlichen Gesetzbücher geregelte Recht. Dazu gehört in erster Linie das Handelsrecht (oder später auch Unternehmensrecht oder Wirtschaftsrecht), das bereits unter Napoleon Bonaparte in einem eigenen Handelsgesetzbuch (Code de commerce 1807 neben dem Code civil) geregelt wurde und zu dem noch Handelsvertreterrecht, Aktienrecht, das die Gesellschaft mit beschränkter Haftung betreffende Recht, Genossenschaftsrecht, Wettbewerbsrecht, Kartellrecht, Privatversicherungsrecht, Wechselrecht, Scheckrecht und andere Rechtsgebiete hinzugekommen sind. Von Anfang an weitgehend außerhalb von Gesetzbüchern hat sich dazu seit dem 19. Jahrhundert das besondere Arbeitsrecht entwickelt, das teils Privatrecht, teils aber auch öffentliches Recht (z. B. Arbeitsschutzrecht) ist.

 

IV. Gliederung des Privatrechts

1. Gliederung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs

Bei seinem Inkrafttreten zum 1. 1. 1812 wurde das allgemein an jeden Staatsangehörigen gerichtete, vor allem von Karl Anton von Martini (1726-1800) und seinem Schüler Franz von Zeiller (1751-1828) geprägte Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) Österreichs in eine Einleitung (§§ 1-14 ABGB) und drei Teile gegliedert. Nach § 14 ABGB haben die in dem bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Vorschriften das Personenrecht, das Sachenrecht und die denselben gemeinschaftlich zukommenden Bestimmungen zum Gegenstand. Diese grundsätzliche Einteilung des Privatrechts nach Personen und Sachen folgt dem als Institutionen bekannt gewordenen Werk des römischen Rechtskundigen Gaius von etwa 160 n. Chr. und heißt deswegen Institutionensystem.

Der erste Teil handelt von dem Personenrecht. Er umfasst die Paragraphen 15-283 und beginnt mit den Rechten, die sich auf persönliche Eigenschaften und Verhältnisse beziehen, wobei nach dem über das Privatrecht und das Personenrecht hinaus allgemein geltenden § 16 ABGB jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte hat und daher als eine Person (Rechtssubjekt, Subjekt des Rechtes) zu betrachten ist. Es folgen Eherecht (§§ 44ff. ABGB), Recht zwischen Eltern und Kindern (§§ 137ff. ABGB), die Obsorge einer anderen Person (§§ 187ff. ABGB) und Sachwalterschaft, sonstige gesetzliche Vertretung und Vorsorgevollmacht (§§ 268ff. ABGB).

Der zweite Teil betrifft das Sachenrecht. Er umfasst die Paragraphen 285-1341 ABGB. Davon behandeln die Paragraphen 309-858 ABG die dinglichen Rechte wie Besitz und Eigentum (sowie Erbe) und die §§ 859-1341 ABGB die persönlichen Sachenrechte wie Schenkung oder Verwahrung.

Im abschließenden dritten Teil sind die Personen und Sachen gemeinschaftlichen Bestimmungen vereinigt. Sie reichen von § 1342 bis § 1502 ABGB. Erfasst sind etwa Befestigung der Rechte und Verbindlichkeiten (z. B. Bürgschaft), Umänderung der Rechte und Verbindlichkeiten (z. B. Abtretung, Schuldübernahme), Aufhebung der Rechte und Verbindlichkeiten sowie Verjährung und Ersitzung.

2. Neuere wissenschaftlich-systematische Gliederung des Rechtsstoffs

Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch des Jahres 1900 trennt nicht mehr nur wie Gaius zwischen Personen und Sachen (sowie Klagansprüchen), sondern unterscheidet als Ergebnis der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem römischen, von Gaius (um 160 n. Chr.) bis Justinian (527-565) stark angewachsenen Rechtsstoff (der Pandekten [aller römischen Rechtskundigen]) seit der Rezeption vor allem am Übergang vom 18. Jahrhundert zum 19. Jahrhundert fünf Sachgebiete. Sie betreffen einen allgemeinen, den besonderen Rechtseinrichtungen vorangestellten, hauptsächlich die Person erfassenden Teil (Allgemeiner Teil), das Schuldrecht, das Sachenrecht, das Familienrecht und das Erbrecht. Diesem Pandektensystem folgt die neuere Privatrechtswissenschaft trotz der unveränderten gesetzlichen Gliederung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (auch in Österreich).

Dementsprechend werden in einem Allgemeinen Teil die Person (§§ 15-43 ABGB) und die Rechte (§§ 859-937, 1352-1502 ABGB) im Allgemeinen behandelt. Das Schuldrecht beschäftigt sich mit den §§ 938-1341 (persönlichen Sachenrechte) und 1431-1437 ABGB. Gegenstand des Sachenrechts sind die §§ 309-858 ABGB (dingliche Rechte unter Ausschluss des in den §§ 531-824 geordneten Erbrechts).

Das Familienrecht hat die Eheschließung, die persönlichen Wirkungen der Ehe, die vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe (§§ 1217-1266 ABGB), die Scheidung und Aufhebung der Ehe, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern und die Obsorge und Sachwalterschaft zum Gegenstand. Das Erbrecht verselbständigt die §§ 531-824 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs über die gesetzliche Erbfolge und die gewillkürte Erbfolge zu einem eigenen Rechtsgebiet außerhalb des Sachenrechts. Durch zahlreiche Änderungen sind dabei nach 1812 insgesamt viele Vorschriften (etwa die Hälfte) des Gesetzestexts von 1812 aufgehoben, verändert oder ergänzt (alle Fassungen des Gesetzbuchs finden sich in vollständiger Form in http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ABGBalleFassungen.htm im Internet, vgl. auch das diesbezüglich unvollkommene Rechtsinformationssystem Österreichs).

 

B) Natürliche Person

Nach § 16 ABGB hat jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist daher als Person zu betrachten. Der Mensch ist demnach eine Person (Rechtssubjekt). Er ist die durch die Natur in natürlicher Weise entstehende Person, der das Recht die zwei (bzw. drei) Fähigkeiten Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit (Geschäftsfähigkeit und Deliktsfähig­keit) zuspricht.

 

I. Rechtsfähigkeit

1. Wesen

Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von (subjektiven einzelnen) Rechten und Pflichten zu sein. Recht ist in diesem Zusammenhang beispielsweise das Eigentum oder das Persönlichkeitsrecht ([§ 16 ABGB] allgemeines Persönlichkeitsrecht auf verfassungsrechtlich, privatrechtlich und strafrechtlich geschützte freie Entfaltung der Persönlichkeit, daneben Recht auf Leben, Gesundheit, Erwerbsfähigkeit, Freiheit, Namensrecht, Recht auf Ehre, Recht am eigenen Bild, Recht am eigenen Wort, Urheberpersönlichkeitsrecht, Recht auf den Schutz der persönlichen Privatsphäre, Datenschutz, Verschwiegenheitspflicht, Recht auf einen würdigen Tod, postmortales Persönlichkeitsrecht u. s. w.), Pflicht die Steuerpflicht oder die Wehrpflicht. Wer Rechtsfähigkeit hat, kann also Eigentümer sein oder Steuern zahlen müssen.

Grundsätzlich ist die Rechtsfähigkeit Vollrechtsfähigkeit. Möglich ist aber auch Teilrechtsfähigkeit. Sie lässt sich als die Fähigkeit verstehen, Träger eines Teiles der Rechte und Pflichten zu sein.

2. Beginn

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung seiner Geburt (geborenes Rechtssubjekt). Dies wird vom Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch nicht ausdrücklich ausgeführt. Nach § 22 S. 1 ABGB hat aber das ungeborene Kind (lateinisch nasciturus, Geborenwerdender, Leibesfrucht) von dem Zeitpunkt seiner Empfängnis an nur einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze, kann also noch nicht allgemein Träger von Rechten und Pflichten sein, wobei im Übrigen § 23 ABGB die widerlegliche Rechtsvermutung aufstellt, dass ein Kind im Zweifel als lebendig und nicht als tot geboren angesehen wird.

3. Vorwirkungen

In so weit es um ihre Rechte und nicht um die Rechte eines Dritten zu tun ist, werden nach § 22 S. 2 ABGB ungeborene Kinder als Geborene angesehen (fiktiv vorverlegte bedingte Rechtsfähigkeit des nasciturus unter der Bedingung der späteren Lebendgeburt). Wird das ungeborene Kind an seinem Körper verletzt, so muss der Schädiger nach § 1325 ABGB die Heilungskosten bestreiten, den entgangenen oder, wenn der Beschädigte zum Erwerb unfähig wird, auch den künftig entgehenden Verdienst ersetzen und ihm auf Verlangen ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzensgeld bezahlen. Dabei muss nach § 1326 ABGB auf Verunstaltungen Rücksicht genommen werden.

Nach § 1327 ABGB wirkt sich auch der aus einer körperlichen Verletzung erfolgende Tod eines Unterhaltsverpflichteten aus. Der Schädiger muss nämlich den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetz zu sorgen hatte, das, was ihnen dadurch entgangen ist, ersetzen. Das mittelbar geschädigte Kind hat also einen eigenen Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger.

Aus § 538 ABGB ergibt sich auch ein Erbrecht des ungeborenen Kindes, falls es später lebend geboren wird.

Nach § 168 ABGB ist der Vater eines unehelichen Kindes verpflichtet, der Mutter die Kosten der Entbindung sowie die Kosten ihres Unterhalts für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung und, falls infolge der Entbindung weitere Auslagen notwendig werden, auch diese zu ersetzen.

4. Beendigung

Die Rechtsfähigkeit des Menschen endet mit seinem Tod, dessen Eintritt nach den jeweiligen Erkenntnissen der Medizin festzustellen ist. Mit seinem Tod ist der Mensch keine Person mehr. Seine Leiche ist eine Sache, für die allerdings besondere Rechtssätze gelten.

Für das Vermögen des verstorbenen Menschen gilt das Erbrecht. Es bestimmt ausführlich, wem die bisherigen Rechte des Verstorbenen und auch die postmortalen Persönlichkeitsrechte künftig zustehen. Es legt auch fest, wer die bisherigen Verpflichtungen des Verstorbenen erfüllen muss.

 

II. Geschäftsfähigkeit

Neben der jedem Menschen mit der Vollendung der Geburt zustehenden Rechtsfähigkeit ist aus praktischen Gründen als weitere Fähigkeit die Geschäftsfähigkeit ausgebildet worden. Sie ist ein Teil der allgemeineren Handlungsfähigkeit). Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit bzw. Handlungsfähigkeit sind in jedem Fall streng zu unterscheiden.

1. Wesen

Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit Rechtsgeschäfte (wie beispielsweise einen Kauf bzw. einen Kaufvertrag) selbst durch eigenes Handeln (und damit nicht nur durch einen gesetzlichen Vertreter) abschließen zu können. Für sie leuchtet es jedermann leicht ein, dass sie einem Menschen unmittelbar nach seiner Geburt angesichts seiner fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit noch nicht zugesprochen werden kann. Deswegen muss die Rechtsordnung dafür einen geeigneten Zeitpunkt ermitteln, wofür sich mehrere (4), mit dem anfänglichen Fehlen der Geschäftsfähigkeit bzw. mit der Geschäftsunfähigkeit beginnende Stufen menschlicher Entwicklung (bis zur Volljährigkeit - des geistig gesunden Menschen -) als sinnvoll erwiesen haben.

2. Beginn

a) Geschäftsunfähigkeit des Kindes (Geburt-7)

Nach dem insofern dem römischen Recht folgenden § 865 S. 1 ABGB ist das Kind unter sieben Jahren ([lat. infans], ebenso die Person über sieben Jahre, die den Gebrauch der Vernunft nicht hat,) grundsätzlich unfähig, (selbst) ein Versprechen zu machen oder anzunehmen, so dass sie selbst also Geschäfte (Rechtsgeschäfte) nicht tätigen kann. Es ist (zu seinem Schutz) geschäftsunfähig, woran eine falsche Alterseinschätzung durch einen anderen nichts ändern kann. Ein von einem Kind (oder einer Person, die den Gebrauch der Vernunft nicht hat) getätigtes Rechtsgeschäft ist grundsätzlich unwirksam (nichtig).

Ausgenommen von dieser grundsätzlichen Geschäftsunfähigkeit ist allerdings nach § 151 III ABGB das von Minderjährigen (und damit auch Kindern im Sinne von Menschen unter sieben Jahren) üblicherweise geschlossene und eine geringfügige Angelegenheit des täglichen Lebens betreffende Rechtsgeschäft (z. B. Kauf eines Kaugummis). Es ist zwar zum Schutz des Minderjährigen grundsätzlich unwirksam. Es wird aber mit der Erfüllung der das Kind treffenden Pflichten (z. B. der Pflicht zur Kaufpreiszahlung) - also etwa mit der Kaufpreiszahlung - rückwirkend wirksam.

b) beschränkte Geschäftsfähigkeit des unmündigen Minderjährigen (7-14)

Mit Vollendung des siebenten Lebensjahrs endet der vorhergehende Zeitabschnitt der grundsätzlichen Geschäftsunfähigkeit und beginnt ein neuer Zeitabschnitt im Leben des Menschen. Zwar kann er sich wie das geschäftsunfähige Kind nach § 151 I ABGB ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters rechtsgeschäftlich weder verpflichten noch rechtsgeschäftlich verfügen (vgl. § 865 Satz 2, 3 ABGB). Aber er kann sich jedenfalls bereits selbst rechtsgeschäftlich verpflichten und auch verfügen, benötigt für die Wirksamkeit allerdings grundsätzlich die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und damit die vorherige Zustimmung (meist nur) eines Elters (Vater, Mutter, § 144 ABGB, bei unehelichem Kind Mutter).

Sein altersübliches Geschäft des täglichen Lebens wird dabei (wie bei einem Kind) mit der Erfüllung seiner Pflicht nach § 151 III ABGB wirksam. Darüber hinaus kann der Minderjährige über sieben Jahre (oder eine Mensch, dem ein Sachwalter bestellt ist,) ein bloß zu seinem (bzw. ihrem) Vorteil gemachtes Versprechen selbst annehmen. Er benötigt also z. B. zu einer Annahme einer lastenfreien Schenkung keine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters.

Übernimmt er mit einem zu seinem Vorteil gemachten Versprechen eine damit verknüpfte Last oder verspricht er selbst etwas (z. B. Zahlung eines Kaufpreises), dann hängt - außer in den Fällen des § 151 III ABGB - die Gültigkeit des Vertrages in der Regel von der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (oder bei bestimmten bedeutenderen Rechtsgeschäften zugleich des Gerichts) ab. Solange die Einwilligung fehlt, ist der Vertrag grundsätzlich (zwar nicht einfach unwirksam, sondern nur) schwebend unwirksam, wobei der andere Teil nicht zurücktreten, aber eine angemessene Frist zur Erklärung setzen kann. Ohne die vorherige Einwilligung (Zustimmung) oder die nachträgliche Genehmigung (Zustimmung) des gesetzlichen Vertreters kann also ein nicht lediglich vorteilhaftes (und nicht altersübliches, erfülltes) Rechtsgeschäft des unmündigen Minderjährigen nicht wirksam sein oder werden, wobei mit Erteilung der Genehmigung die schwebende Unwirksamkeit zur Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts und mit der Verweigerung der Genehmigung die schwebende Unwirksamkeit zur (endgültigen) Unwirksamkeit wird.

c) beschränkte Geschäftsfähigkeit des mündigen Minderjährigen (14-18)

Mit der Vollendung des 14. Lebensjahrs (ungefähre allgemeine Geschlechtsreife) wird der Minderjährige (wie wohl ähnlich schon in germanischen Rechten) mündig. Wie bei einem Kind und bei einem unmündigen Minderjährigen werden altersübliche, erfüllte Rechtsgeschäfte wirksam und wie bei einem unmündigen Minderjährigen kann ein bloß zum Vorteil gemachtes Versprechen angenommen werden. Im Übrigen hängen aber die Übernahme einer mit einem Versprechen verknüpften Last und ein eigenes Versprechen in der Regel (wie bei unmündigen Minderjährigen) von der vorherigen Zustimmung (Einwilligung) des gesetzlichen Vertreters ab, so dass das entsprechende Rechtsgeschäft ohne vorherige Zustimmung (Einwilligung) schwebend unwirksam ist und ohne nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) schwebend unwirksam bleibt oder mit ihrer Verweigerung endgültig unwirksam wird.

Allerdings tritt mit erreichter Mündigkeit doch eine (weitere) Veränderung ein. Nach § 151 II ABGB kann der mündige Minderjährige über Sachen, die ihm zur freien Verfügung überlassen worden sind (z. B. Taschengeld), und über sein Einkommen aus eigenem Erwerb (z. B. Lohn aus Dienstvertrag oder Arbeitsvertrag) so weit verfügen und sich verpflichten, als dadurch nicht die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährdet wird. Er kann also bereits selbst entsprechende Kaufverträge abschließen, Schenkungen vornehmen oder einen Dienstvertrag (nicht Lehrvertrag oder sonstigen Ausbildungsvertrag) eingehen (§ 152 ABGB), ohne einer Zustimmung (Einwilligung, Genehmigung) des gesetzlichen Vertreters zu bedürfen (beachte auch Testierfähigkeit, Verfahrensfähigkeit).

d) Geschäftsfähigkeit des Volljährigen (18-Tod)

Mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs endet die Minderjährigkeit und beginnt die Volljährigkeit (nach römischem Recht mit 25 Jahren). Damit endet gleichzeitig grundsätzlich die beschränkte Geschäftsfähigkeit und tritt die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit ein. Grundsätzlich können von diesem Zeitpunkt an alle Rechtsgeschäfte selbst ausgeführt werden, doch sind bestimmte Menschengruppen (psychisch Kranke, geistig Behinderte, Betrunkene, Berauschte) auch nach Erreichen der Volljährigkeit noch (als entweder geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig) entsprechend) geschützt und kann sich jeder geistig gesunde Volljährige durch eine Vorsorgevollmacht für den Fall des Verlusts der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit zu schützen versuchen.

3. Ende

Die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit des Menschen endet wie die Rechtsfähigkeit grundsätzlich mit seinem Tod.

4. Sonstige Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit

Nach § 865 S. 1 ABGB ist ein Mensch (Person) über sieben Jahre, der (bzw. die) den Gebrauch der Vernunft nicht hat, unfähig, ein Versprechen zu machen oder anzunehmen. Dementsprechend kann etwa auch ein Betrunkener oder unter dem Einfluss anderer Betäubungsmittel Stehender nicht wirksam ein Rechtsgeschäft abschließen. Nach § 865 S. 2 ABGB kann ein volljähriger Mensch, dem wegen einer psychischen Krankheit oder wegen geistiger Behinderung ein Sachwalter bestellt ist, ein bloß zu seinem Vorteil gemachtes Versprechen annehmen. Wenn er aber eine damit verknüpfte Last übernimmt oder selbst etwas verspricht, hängt (grundsätzlich) die Gültigkeit des Vertrags von der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters oder zugleich des Gerichts ab.

 

III. Deliktsfähigkeit

1. Wesen

Deliktsfähigkeit ist die Fähigkeit, für Schäden aus unerlaubten Handlungen einzustehen. Sie steht zum Schutz der Schwachen ebenfalls nicht jedem Rechtsfähigen zu. Die damit verbundenen Einschränkungen (z. B. von Schadenersatzpflichten) muss die Gesellschaft insgesamt auf sich nehmen, so dass ein von einem Deliktsunfähigen Geschädigter seinen Schaden grundsätzlich selbst tragen muss, obwohl ihn ein anderer verursacht hat.

2. Beginn

Nach § 1308 ABGB kann, wenn Menschen, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben, oder Unmündige jemanden beschädigen, der durch irgendein Verschulden hierzu selbst Veranlassung gegeben hat, der Geschädigte grundsätzlich keinen Ersatz ansprechen. Nach § 153 ABGB wird, soweit einem minderjährigen Kind nicht bereits früher (etwa ab 6 Jahren) ein Verschulden zugerechnet werden kann (§ 1310 ABGB), es mit Erreichung der Mündigkeit nach den schadenersatzrechtlichen Bestimmungen verschuldensfähig. Dementsprechend beginnt die Deliktsfähigkeit grundsätzlich mit der Vollendung des 14. Lebensjahrs, doch kann der Richter mit Rücksicht auf das Vermögen des Beschädigers und des Beschädigten bereits vor Erreichen dieses Zeitpunkts auf Ersatz des (nicht anderweitig ersetzbaren) Schadens ganz oder teilweise erkennen (§ 1310 ABGB, Billigkeitshaftung) und können Aufsichtspflichtige (z. B. Eltern) bei eigenem Verschulden (z. B. Verletzung der Aufsichtspflicht) für den Ersatz eines vom Unmündigen verursachten Schadens einstehen müssen (§ 1309 ABGB).

3. Ende

Die (durch Sachwalterschaft grundsätzlich nicht berührte) Deliktsfähigkeit endet wie die Rechtsfähigkeit und die Geschäftsfähigkeit mit dem Tod des Menschen.

 

C) Juristische Person

Mit der fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung entstand für den Menschen ein tatsächliches Bedürfnis nach Trennung der Rechtsangelegenheiten des Einzelnen von den Rechtsangelegenheiten besonderer Verbände oder auch Vermögensmassen. Die dafür bereits im antiken römischen Recht vorhandenen Ansätze werden infolge der Entdeckung der neuen Welt Amerikas in der Neuzeit verdichtet. Insbesondere zwecks Sicherung des Vermögens des Einzelnen vor Zugriffen von Gläubigern von Verbänden wird deshalb spätestens im 19. Jahrhundert die (moralische oder) juristische Person als eigener Rechtsträger anerkannt, doch enthält das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811/1812 dazu (noch) kaum Regelungen.

 

I. Wesen

Die juristische Person ist eine Gesamtheit von Personen, Sachen oder Vermögen, der die Rechtsordnung die Eigenschaft einer besonderen Person verliehen hat („gekorenes“ Rechtssubjekt). Diese Person entsteht nicht aus der Natur, sondern aus der Rechtsordnung (durch Rechtsgeschäft der Gründer, Anmeldung und Nichtuntersagung seitens des Staates), weswegen sie im Gegensatz zu den natürlichen Personen (nur) juristische Person ist. Bekannte Beispiele hierfür sind im öffentlichen Recht (auf Grund Gesetzes, Verordnung oder Verwaltungsakts) Staat, Gemeinde, Sozialversicherungsträger oder Universität (Körperschaften oder Anstalten meist mit hoheitlichen Rechten und Zwangsmitgliedschaft), im Privatrecht (auf Grund Rechtsgeschäfts [Vertrags oder einseitigen Rechtsgeschäfts]) rechtsfähiger Verein, Aktiengesellschaft, (mit ihrem eigenen Vermögen unbeschränkt haftende) Gesellschaft mit beschränkter Haftung, politische Partei, privatrechtliche Stiftung oder Fonds.

Keine juristische Person ist die Gesamthand, die nicht als solche Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Sie ist eine besondere, 1896 geschaffene oder zumindest erneuerte Rechtsfigur der gesamthänderischen Verbundenheit mehrerer Personen des bürgerlichen Rechtes, die im Bürgerlichen Gesetzbuch Deutschlands zum Jahre 1900 in den Formen der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (§§ 705ff. BGB[, 1175ff. ABGB]) einschließlich der auf ihr beruhenden offenen Handelsgesellschaft oder offenen Gesellschaft und der Kommanditgesellschaft, der ehelichen Gütergemeinschaft und der Erbengemeinschaft zum Ausdruck gekommen ist. Wegen der engen Verbindungen Deutschlands und Österreichs im Handelsrecht (offene Handelsgesellschaft bzw. offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) wirkt sie sich trotz der grundsätzlichen Verschiedenheit spätestens seit der Einführung großer Teile des Handelsgesetzbuchs des Deutschen Reiches von 1897 im Jahre 1938 auch auf Österreich aus.

 

II. Beginn

Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch spricht (statt von juristischer Person) noch von den Personenrechten aus dem Verhältnisse einer moralischen Person. Nach § 26 ABGB werden die Rechte der Mitglieder einer erlaubten Gesellschaft unter sich durch den Vertrag (Gesellschaftsvertrag, möglich auch mit oder unter juristischen Personen, möglich auch als Vertrag eines einzelnen Gesellschafters [z. B. Einpersonengesellschaft]) oder Zweck und die besonderen für dieselben bestehenden Vorschriften bestimmt. Im Verhältnisse gegen andere genießen erlaubte Gesellschaften in der Regel gleiche Rechte mit den einzelnen Personen, während unerlaubte Gesellschaften (, die durch die politischen Gesetze insbesondere verboten werden oder offenbar der Sicherheit, öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten widerstreiten,) als solche keine Rechte haben, weder gegen die Mitglieder noch gegen andere, und unfähig sind, Rechte zu erwerben.

Die juristische Person entsteht, wenn alle ihre - im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch nicht enthaltenen - Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu zählt bei bestimmten Gesellschaften insbesondere die Eintragung in das (Handelsregister oder) Firmenbuch. Mit der Erfüllung der (anderen) Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf diese Eintragung.

Mit der Eintragung erlangt die juristische Person Rechtsfähigkeit. Sie hat also dann die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Sie kann wie jede natürliche Person beispielsweise Eigentümer oder auch Erbe sein, nicht aber beispielsweise heiraten oder vererben.

Mit der Eintragung erlangt die juristische Person auch unbeschränkte Geschäftsfähigkeit. Sie kann Willenserklärungen abgeben und Verträge schließen. Im Gegensatz zur natürlichen Person kann sie aber nicht selbst handeln, sondern benötigt zum Handeln (Menschen als) besondere Organe bzw. organschaftliche Vertreter (z. B. Vorstand als Leitungsorgan, Aufsichtsrat als Kontrollorgan, Hauptversammlung als Grundorgan), die für sie den Willen bilden und erklären.

Mit der Eintragung entsteht für die juristische Person auch die Deliktsfähigkeit. Die juristische Person kann und muss also für Schäden aus unerlaubter Handlung (mit ihrem gesamten Vermögen, aber auch nur mit diesem) einstehen. Da sie durch Organe handelt, haftet sie für das Handeln der Organe und außerdem für das Verhalten leitender Mitarbeiter und Gehilfen sowie für Organisationsfehler und Überwachungsfehler.

Eigene Verpflichtungen muss nur die juristische Person erfüllen. Zur Tilgung von Schulden steht nur ihr Vermögen zur Verfügung, dieses aber unbeschränkt. Gläubiger einer juristischen Person können grundsätzlich nur das Vermögen der juristischen Person selbst, nicht dagegen das Vermögen eines Mitglieds der juristischen Person in Anspruch nehmen (ausgenommen sind besondere Fälle von Durchgriffshaftung).

 

III. Ende

Die juristische Person kann wie die natürliche Person nicht nur beginnen, sondern auch enden. Ihr Ende ist aber nicht der Tod, sondern ihre nach bestimmten Regeln zu vollziehende Auflösung. Den Abschluss bilden die Verteilung des eventuell vorhandenen Vermögens und die Löschung aus dem öffentlichen Register.

 

D) Entstehung von Rechten und Pflichten

Rechte und Pflichten sind von Menschen anerkannte Beziehungen von Menschen zu Menschen und von Menschen zu Gegenständen. Sie entstehen teils gewollt, teils ungewollt. Bei den gewollten Rechtsfolgen sind Willenserklärung und Rechtsgeschäft besonders bedeutsame Rechtseinrichtungen.

 

I. Willenserklärung

1. Wesen

Willenserklärung ist Erklärung des im Innern des Menschen entstehenden Willens (z. B. ich will ein Buch kaufen) gegenüber der Außenwelt (z. B. dem Buchverkäufer). Bedeutsam für das Recht ist dabei nur die auf einen rechtlichen Erfolg gerichtete Willensäußerung (z. B. nicht die Erklärung ich will schlafen). Da die Willenserklärung im Privatrecht ihre grundlegende Bedeutung hat, ist Willenserklärung insgesamt die auf einen rechtlichen Erfolg gerichtete private Willensäußerung (z. B. ich will das Buch verkaufen, ich will das Buch kaufen).

2. Voraussetzungen

a) Die Willenserklärung setzt den im Innern des Menschen entstehenden Willen voraus. Die Art seiner Entstehung ist weitgehend unbekannt und auch grundsätzlich unbeachtlich. Wahrscheinlich wirken dabei in erheblichem Umfang unbewusste Kräfte ganz unterschiedlich lange Zeit bis zum schließlichen Bewusstwerden.

b) Zum allein bedeutungslosen inneren Willen hinzukommen muss die Erklärung gegenüber der Außenwelt, weil bloßes Schweigen als solches grundsätzlich keine Willenserklärung sein kann (z. B. Schweigen auf Zusenden einer nicht bestellten Sache, beachte jedoch kaufmännisches Bestätigungsschreiben nach vorangehenden Verhandlungen). Die Willenserklärung ist aber grundsätzlich nicht an bestimmte Formen gebunden. Meist wird sie mündlich oder schriftlich und damit ausdrücklich erfolgen, doch kann sie auch in tatsächlichen Verhaltensweisen schlüssig (konkludent) zum Ausdruck kommen (z. B. Stellen von Gegenständen auf das Laufband der Kasse im Selbstbedienungsladen oder Einleiten von Benzin in den Kraftfahrzeugtank an der Selbstbedienungstankstelle mit anschließendem Gang zur Kasse als auf den Abschluss eines Kaufvertrags gerichtete, durch wortlose Handlung konkludent oder schlüssig zum Ausdruck gebrachte Erklärung).

Der Willenserklärung kann eine beliebig lange Vorbereitungszeit vorausgehen. Vielfach wollen sich die Interessenten vor allem angesichts der Begrenztheit der verfügbaren Mittel erst ausführlich über die auf dem Markt vorhandenen Möglichkeiten unterrichten und noch keine oder am Ende sogar überhaupt keine Verpflichtung eingehen. Solange kein Wille (gebildet und) erklärt wird, sind Vorbereitungszeit und Vorbereitungshandlungen grundsätzlich rechtlich völlig bedeutungslos.

Bei der Abgabe muss die Willenserklärung notwendige Voraussetzungen erfüllen. Sie muss inhaltlich ausreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Sie muss rechtlichen Bindungswillen des Erklärenden aufweisen.

Noch keine Willenserklärung ist deswegen die Einladung zu einem Antrag oder Angebot (lateinisch invitatio ad offerendum). Hierzu gehört etwa das Zeitungsinserat, die gedruckte oder elektronische Katalogangabe, die Speisekarte oder die Schaufensterauslage. Sie sind an die Allgemeinheit und damit an eine unbestimmte Vielzahl möglicher Interessenten (z. B. Tausender Passanten oder Leser) gerichtet, denen der Erklärende bei vernünftiger Betrachtung durch seine Handlung nicht verpflichtet sein kann und will, weil er z. B. nicht durch ein einziges Inserat tausend Verpflichtungen eingehen und erfüllen müssen will.

Doch bereits eine Willenserklärung liegt dagegen wohl in der Bereitstellung (einer begrenzten Zahl) von Waren in einem Warenautomaten. Hier ist der Kreis der möglichen Rechtsgeschäftspartner durch die Zahl der bereitgestellten Waren bestimmt. Jedermann weiß, dass der Automatenaufsteller über die Zahl der jeweils bereitgestellten Waren hinaus keine Willenserklärung mehr abgeben und damit keine Verpflichtung mehr eingehen will.

Die Willenserklärung kann missverständlich sein. Dann kann auf einen objektiven Betrachter abzustellen sein. Im Zweifel ist sie zu Gunsten des schwächeren Teiles auszulegen bzw. nach § 915 ABGB zu Ungunsten dessen, der sich einer undeutlichen Formulierung bedient hat.

Der Inhalt einer Willenserklärung kann durch allgemeine Geschäftsbedingungen (z. B. eines Verkäufers) mitbestimmt sein. Sie werden meist von einer Seite zu ihren Gunsten aufgestellt. Deshalb bedürfen sie einer Überprüfung ihrer Einbeziehung in die Willenserklärung bzw. das Rechtsgeschäft oder Geltung für das Rechtsgeschäft und einer Überprüfung ihres Inhalts auf Angemessenheit (im Streitfall durch das zuständige Gericht).

3. Wirkung

Die Wirkung der Willenserklärung tritt grundsätzlich (erst) mit der Erklärung ein. Allerdings sind dabei unterschiedliche tatsächliche Gegebenheiten zu berücksichtigen. Die Willenserklärung kann nämlich nicht empfangsbedürftig sein oder empfangsbedürftig und unter Anwesenden erfolgen oder unter Abwesenden.

a) nichtempfangsbedürftige Willenserklärung

Die (seltene) keines besonderen Empfangs durch einen Empfänger bedürftige Willenserklärung ist mit der Abgabe der Erklärung wirksam (z. B. Dereliktion bzw. Eigentumsaufgabe).

b) empfangsbedürftige Willenserklärung

Die (viel häufigere) empfangsbedürftige Willenserklärung (z. B. Angebot zu einem Vertragsschluss, Annahme des Angebots zu einem Vertragsschluss) bedarf zu ihrer Wirksamkeit des Empfangs. Ohne den Empfang durch einen anderen Menschen hat sie keine Wirkung. Ihre bloße Äußerung ist rechtlich bedeutungslos, solange kein Empfang stattfindet.

aa) Empfang unter Anwesenden

Unter Anwesenden erfolgt der Empfang einer Willenserklärung grundsätzlich zeitgleich mit der Äußerung. Im gleichen Raum hört der Empfänger die gesprochenen Wörter im Zeitpunkt ihres Gesprochenwerdens. Gleiches gilt für die Erklärung des Willens durch das Telefon und ähnliche technische Vorrichtungen.

bb) Empfang unter Abwesenden

Unter Abwesenden ist der zeitgleiche Empfang nicht möglich. Eine mündliche Erklärung oder ein Brief kann durch einen Boten erst mit dem Eintreffen des Boten am anderen Ort dem Empfänger übermittelt werden. In solchen Fällen ist für die Wirksamkeit der Willenserklärung neben der Abgabe der Erklärung noch ein besonderer Zugang der Erklärung erforderlich, der voraussetzt, dass die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist und ein Zeitpunkt erreicht ist, in dem üblicherweise mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann, ohne dass der Empfänger wirklich bereits von der Erklärung Kenntnis genommen haben muss.

Von einem Brief nimmt der Empfänger erfahrungsgemäß nicht bereits im Zeitpunkt des Einwurfs in den Briefkasten Kenntnis. Auch ein nahezu zeitgleich mit seiner Versendung eintreffendes e-mail wird erfahrungsgemäß inhaltlich nicht bereits mit dem Eintreffen zur Kenntnis genommen. Deswegen wird die durch Brief, Telegramm oder e-mail geäußerte empfangsbedürftige Willenserklärung erst eine gewisse Zeit nach ihrer eigentlichen Abgabe mit ihrem Zugang (In-den-Machtbereich-Gelangen und Eintreten des Zeitpunkts üblicher Kenntnisnahme) wirksam.

4. Mangel

Ein Mangel einer Willenserklärung (z. B. Mentalreservation, Scherzerklärung, Scheingeschäft, Umgehungsgeschäft) kann deren Wirkung beeinflussen (z. B. Mangel [ausnahmsweise] gesetzlich oder vertraglich vorgesehener Form [Schriftform, Notariatsakt, notarielle Beurkundung, notarielle Beglaubigung, elektronische Signatur], Gesetzeswidrigkeit, Sittenwidrigkeit, § 879 ABGB). Gewisse Mängel (z. B. Geschäftsunfähigkeit) machen eine Willenserklärung absolut unwirksam (nichtig). Andere Willensmängel (z. B. Täuschung, List, widerrechtliche Drohung 870 ABGB, bestimmte Fälle von wesentlichem, beachtlichem Irrtum §§ 871ff. ABGB) machen eine Willenserklärung nur bei besonderer Geltendmachung (Erklärung durch Klage oder Einrede) unwirksam (anfechtbar).

5. Willenserklärung für andere

Die (im römischen Recht noch abgelehnte) Erklärung eines Willens für einen anderen ist aus praktischen Gründen spätestens seit dem Hochmittelalter anerkannt. Ein (mindestens beschränkt geschäftsfähiger) Stellvertreter kann für einen Vertretenen einen Willen erklären (z. B. ich will für meinen Freund ein Buch kaufen), so dass die Willenserklärung des Vertreters (bei unmittelbarer oder direkter, offengelegter Stellvertretung) eine Willensklärung des Vertretenen (z. B. des vertretenen Freundes) ist. Der Stellvertreter benötigt dazu aber einen besonderen Vertretungswillen (darf also nicht bloß Bote des Vertretenen sein und sein wollen) und eine besondere Vertretungsmacht (z. B. gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern, Stellung als Organ einer juristischen Person oder meist eine durch die besondere Willenserklärung „Bevollmächtigung“ erteilte Vollmacht).

6. Allgemeine Geschäftsbedingung

Allgemeine Geschäftsbedingung ist die von einem Verwender für eine Vielzahl von möglichen Rechtsgeschäften vorformulierte, nicht für das einzelne Geschäft durch Verhandlungen erarbeitete Festlegung eines Rechtsgeschäftsteils (z. B. Gewährleistungsbeschränkung). Sie wird Bestandteil des Rechtsgeschäfts, wenn sie bei Abschluss einverständlich einbezogen wurde. Sie kann im Einzelfall unangemessen sein und im Streitfall als rechtswidrig und damit unanwendbar festgestellt werden.

 

II. Rechtsgeschäft

Rechtsgeschäft ist das für das Recht (Privatrecht) bedeutsame Geschäft. Für dieses besteht grundsätzlich Privatautonomie (Vertragsfreiheit mit Abschlussfreiheit, Formfreiheit, Inhaltsfreiheit, Abänderungsfreiheit, Aufhebungsfreiheit), wenn auch zum Schutz des sozial schwachen Verbrauchers (Konsumenten) gegenüber dem sozial starken Hersteller oder Unternehmer (Produzenten) verschiedene gesetzliche Einschränkungen (z. B. Formvorschriften, befristete Widerrufsmöglichkeit im Konsumentenschutzgesetz) getroffen sind. Nur unter besonderen Voraussetzungen kann jemand zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts gezwungen sein (Kontrahierungszwang z. B. bei Monopolstellung eines Anbieters [Theater, Zeitung] an einem Ort).

1. Wesen

Das Rechtsgeschäft ist der Gesamttatbestand, der den mit der Willenserklärung angestrebten rechtlichen Erfolg herbeiführt. Beispielsweise wird mit der Kaufvertragswillenserklärung (ich will kaufen) ein Abschluss eines Kaufvertrags angestrebt. Deswegen ist etwa (nach einem Kaufvertragsantrag, mit dem der Anbietende bereits an sein Angebot gebunden ist, und der folgenden Kaufvertragsannahme) der durch die Übereinstimmung entstehende Kaufvertrag ein Rechtsgeschäft, die bloße rechtsgeschäftsähnliche Handlung (z. B. Mahnung) nicht (Abgrenzung in vielen Einzelheiten streitig).

2. Arten

Innerhalb der Rechtsgeschäfte gibt es verschiedene Arten (z. B. Rechtsgeschäft unter Lebenden, Rechtsgeschäft von Todes wegen, entgeltliches Rechtsgeschäft, unentgeltliches Rechtsgeschäft, formbedürftiges Rechtsgeschäft, formlos mögliches Rechtsgeschäft, abstraktes Rechtsgeschäft, kausales Rechtsgeschäft, Verpflichtungsgeschäft, Verfügungsgeschäft, personenrechtliches Rechtsgeschäft wie z. B. Rechtsgeschäft über Namensrecht, schuldrechtliches Rechtsgeschäft, sachenrechtliches Rechtsgeschäft wie z. B. Pfandbestellung, familienrechtliches Rechtsgeschäft wie z. B. Verlöbnis, erbrechtliches Rechtsgeschäft wie z. B. Erbvertrag). Es kann etwa nur eine Person beteiligt sei. Es kann aber auch trotz Beteiligung zweier Personen beispielsweise nur eine Person durch das Rechtsgeschäft verpflichtet werden.

a) einseitiges Rechtsgeschäft

Ein einseitiges Rechtsgeschäft ist das nur von einer Person zu tätigende Rechtsgeschäft. Ein einseitiges Rechtsgeschäft ist beispielsweise die Kündigung eines Mietvertrags, die Erteilung einer Vollmacht, die Dereliktion des Eigentums an einer Sache oder die Auslobung (z. B. von 1000 Euro für die richtige Beantwortung der von Studierenden gestellten, und eigentlich ganz einfach zu beantwortenden, aber bisher tatsächlich noch nicht richtig beantworteten Frage: Warum gibt es nicht mehr solche Professoren?, [§ 860 S. 1 ABGB]). Die entsprechende Willenserklärung bedarf zwar bei Empfangsbedürftigkeit zu ihrer Wirksamkeit des Zugangs auf der anderen Seite, doch genügt für dieses Rechtsgeschäft diese eine Willenserklärung.

b) zweiseitiges Rechtsgeschäft

Das zweiseitige Rechtsgeschäft erfordert die Beteiligung zweier Seiten (z. B. Vertrag, Konsensualvertrag, Realvertrag, Vorvertrag auf Abschluss eines Vertrags). Dementsprechend sind zwei Willenserklärungen (z. B. empfangsbedürftiger Antrag und [vorbehaltlose] empfangsbedürftige Annahme notwendig, wobei Anträge unter Anwesenden den Erklärenden nur kurze Zeit binden, Anträge unter Abwesenden dagegen grundsätzlich auch ohne ausdrückliche Erklärung einer Bindungsfrist während einer angemessenen Überlegungsfrist (Postlaufzeit, Überlegungszeit, Postrücklaufzeit) eine Bindungswirkung entfalten, die mit Fristablauf erlischt. Unabhängig hiervon können zweiseitige Rechtsgeschäfte aber entweder auf nur einer Seite oder auf beiden Seiten eine Verpflichtung begründen, die einzuhalten ist (vgl. lat. pacta sunt servanda, Verträge sind [grundsätzlich] zu halten, doch können Widerrufsrechte oder Rücktrittsrechte bestehen).

Der Antrag muss dabei so bestimmt oder bestimmbar sein, dass der Antragsempfänger nur zuzustimmen braucht, wenn er dies will. Stimmt er nicht (oder nicht uneingeschränkt) zu, kommt auf diesen Antrag oder dieses betreffende Angebot hin kein Vertrag zustande. Allerdings kann seine Erklärung (Antwort) ein (neues) Angebot seinerseits sein, das der Empfänger der Antwort annehmen kann, so dass durch dieses neue Angebot und seine Annahme durch die andere Seite doch ein Vertrag mit neuem Inhalt entsteht.

aa) einseitig verpflichtendes Rechtsgeschäft

Bei dem einseitig verpflichtenden Rechtsgeschäft wird nur auf einer Seite eine Verpflichtung begründet. Ein Beispiel hierfür ist die Schenkung. Nur der Schenker ist zu etwas verpflichtet, während der Beschenkte nur berechtigt ist, obwohl sich niemand etwas schenken lassen muss.

bb) zweiseitig verpflichtendes Rechtsgeschäft

Bei dem zweiseitig verpflichtenden Rechtsgeschäft werden beide beteiligten Seiten zu etwas verpflichtet. Allerdings lassen sich auch hier nochmals zwei Arten (Unterarten) unterscheiden. Es kann nämlich sein, dass eine der beiden Seiten nicht in jedem Fall verpflichtet wird.

aaa) unvollkommen zweiseitig verpflichtendes Rechtsgeschäft

Bei dem unvollkommen zweiseitig verpflichtenden Rechtsgeschäft wird eine Seite stets zu etwas verpflichtet, während die andere Seite nur bei Vorliegen besonderer Umstände auch zu etwas verpflichtet wird. Ein Beispiel hierfür ist der Auftrag. Ihn muss der Auftragnehmer stets erfüllen, während der Auftraggeber nur unter besonderen Umständen beispielsweise Aufwendungen ersetzen muss.

bbb) vollkommen zweiseitig verpflichtendes Rechtsgeschäft

Bei dem sehr häufigen vollkommen zweiseitig verpflichtenden Rechtsgeschäft sind immer beide Seiten zu etwas verpflichtet. Da die beiden Hauptpflichten in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, heißt dieses Rechtsgeschäft auch gegenseitiges Rechtsgeschäft. Beispiele hierfür sind Kaufvertrag, Mietvertrag, Dienstvertrag oder Werkvertrag, wobei der Antrag oder das Angebot von jedem der beiden Beteiligten (Vertragsparteien wie z. B. vom Arbeitgeber oder vom Arbeitnehmer) ausgehen kann und dementsprechend der jeweils andere die Annahme erklären kann und im Übrigen jeder Beteiligte (z. B. Verkäufer, Käufer) wie auch sonst meist im Recht aus mehreren gemeinsam handelnden Personen bestehen kann.

3. Wirkung

Das Rechtsgeschäft begründet grundsätzlich Verpflichtungen (z. B. Dienstvertrag). Es kann aber auch die Grundlage zum sonstigen Erwerb von Rechten sein. Es kann schließlich auch sonstige Rechtswirkungen herbeiführen.

 

III. Tatsächliche Handlung (Realakt)

1. Wesen

Die tatsächliche Handlung ist ein tatsächliches menschliches Verhalten ohne eine auf einen rechtlichen Erfolg gerichtete private Willensäußerung (z. B. Auffahren auf ein vorausfahrendes bremsendes Kraftfahrzeug, Einwerfen einer Scheibe, Schreiben, Verfassen einer Collage, Malen, Backen, Reparieren).

2. Entstehung

Die tatsächliche Handlung entsteht durch tatsächliches Verhalten einer Person.

3. Wirkung

Unter zusätzlichen Voraussetzungen kann die tatsächliche Handlung rechtliche Folgen nach sich ziehen. Bei der unerlaubten Handlung ist insbesondere ein Schadenersatzanspruch möglich. Daneben kommt ein Beseitigungsanspruch (z. B. auf eine presserechtliche Gegendarstellung) und für die Zukunft ein Unterlassungsanspruch in Betracht.


§ 8 Schuld(verhältnis)

A) Rechtswirklichkeit

B) Wesen

C) Arten

D) Entstehung

E) Inhalt

F) Störung

G) Beendigung

H) Einzelne Schuldverhältnisse

I) Verwirklichung

 

A) Rechtswirklichkeit

Theoretisch ist der Mensch als egoistisches Individuum ganz auf sich bezogen. Tatsächlich ist er als soziales Wesen aber immer auch auf die Gesellschaft angewiesen. In der modernen Industriegesellschaft ist menschliches Leben ohne vielfältige rechtliche Beziehungen zu anderen Menschen praktisch kaum möglich.

So muss der Mensch etwa bei Hunger oder Durst in einem Laden Lebensmittel, bei Bedarf an Wissen in einem Geschäft die dafür erforderlichen Medien und Geräte erwerben. Zu seinem Schutz vor Nässe, Trockenheit, Kälte und Hitze benötigt er Kleider und Wohnraum, die er ebenfalls von anderen erlangen muss. Das jeweils hierfür erforderliche Zahlungsmittel kann er etwa bei Arbeit von einem Arbeitgeber oder als Darlehen von einer Bank erlangen.

Zur möglichst vorteilhaften und damit kostengünstigen Befriedigung dieser Bedürfnisse muss er also zu anderen Menschen in vielfältige Verbindungen treten. Rechtlich ist dafür das Rechtsgeschäft erforderlich. Mit ihm kann er Schuldverhältnisse begründen, in denen Rechte und Pflichten entstehen.

Die meisten dieser Schuldverhältnisse des menschlichen Zusammenlebens werden störungsfrei abgewickelt. Wie aber den Arzt vor allem die Kranken interessieren, so sind im Recht insbesondere die Störungen von Bedeutung. Im Verfahren stellt sich daher grundsätzlich stets die Frage: wer kann von wem was woraus verlangen?.

Der rechtliche Grund für ein mögliches Begehren eines Menschen gegen einen anderen kann dabei vor allem ein Schuldverhältnis sein. Weil ein Käufer mit einem Verkäufer einen Kaufvertrag abgeschlossen hat, kann der Verkäufer von ihm die Zahlung des Kaufpreises verlangen, wenn er seinerseits eine mangelfreie Gegenleistung erbringt. Dies ist seit langer Zeit überall so, nicht nur im Österreich der Gegenwart, so dass die Schuldverhältnisse weltweit von größter Bedeutung sind.

Dabei sind die Schuldverhältnisse grundsätzlich im Schuldrecht zusammengefasst. Es gibt aber auch Schuldverhältnisse in den anderen Rechtsgebieten (z. B. Sachenrecht [Eigentümer-nichtberechtigter Besitzer-Verhältnis], Familienrecht [z. B. Unterhalt], Erbrecht [z. B. Vermächtnis]). Für sie gelten neben den jeweiligen Sonderregeln auch die allgemeinen Regeln des Schuldrechts.

 

B) Wesen

Das Schuldverhältnis (oder nach § 859 ABGB das „persönliche Sachenrecht“) ist ein Rechtsverhältnis. Als einem persönlichen Rechtsverhältnis müssen an ihm mindestens zwei Personen beteiligt sein. Davon muss bei einem Schuldverhältnis mindestens eine Person der anderen Person etwas schulden, so dass das Schuldverhältnis das Rechtsverhältnis mit mindestens zwei Beteiligten ist, von denen mindestens einer einem anderen etwas schuldet (z. B. der Käufer dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis und der Verkäufer einer körperlichen Sache dem Käufer die Verschaffung von Eigentum und Besitz an der Kaufsache, wobei im Einzelfall zu diesen Hauptleistungspflichten noch Nebenleistungspflichten, Schutzpflichten, Sorgfaltspflichten oder Aufklärungspflichten kommen können) und damit mindestens einer von einem anderen etwas (z. B. der Käufer vom Verkäufer die Verschaffung von Eigentum und Besitz an der körperlichen Kaufsache, der Verkäufer vom Käufer den vereinbarten Kaufpreis) verlangen kann.

Der Beteiligte, der etwas verlangen kann, heißt Gläubiger (dem Schuldner Glaubender), Berechtigter oder Inhaber einer Forderung. Der Beteiligte, von dem er etwas verlangen kann, wird als Schuldner, Verpflichteter oder Inhaber der Schuld bezeichnet. Das, was der Gläubiger von dem Schuldner verlangen kann, nennt man aus der Sicht des Gläubigers Forderung, Recht, Berechtigung, Befugnis oder Anspruch und aus der Sicht des Schuldners Schuld, Pflicht, Verpflichtung, Verbindlichkeit oder mit einem aus dem römischen Recht bzw. der lateinischen Sprache übernommenen Fremdwort Obligation.

Inhalt der Schuld des Schuldners und damit auch der Forderung des Gläubigers ist die grundsätzlich in völliger Vertragsfreiheit festlegbare, auf ein Tun oder Unterlassen gerichtete Leistung. Auf sie hat nur der bestimmte Gläubiger gegenüber dem bestimmten Schuldner ein besonderes Recht. Deshalb ist dieses Recht relativ im Gegensatz zu solchen Rechten, die gegenüber jedermann und damit absolut bestehen (wie z. B. das gegenüber jedermann geschützte Eigentum eines bestimmten Eigentümers an einer bestimmten Sache).

Die Schuld ist eine rechtliche Pflicht. Sie ist keine bloße, mitmenschliche Gefälligkeit (Abgrenzung kann im Einzelfall streitig und schwierig sein). Wer Verpflichtungswillen hat und auf dessen Grundlage eine Schuld eingeht, muss sie erfüllen.

Die Schuld ist eine Pflicht gegenüber dem Gläubiger. Sie ist keine bloße Obliegenheit im eigenen Interesse (z. B. Aufsetzen eines Fahrradhelms zur Vermeidung von Schäden). Ihre Erfüllung ist nicht dem Belieben des Schuldners überlassen, sondern kann vom Gläubiger mit Hilfe des Staates grundsätzlich gewaltsam durchgesetzt werden.

Die Schuld ist als Leistensollen von der Haftung als dem Dem-Zugriff-unterworfen-Sein zu trennen. Zwar gilt der Grundsatz, dass wer schuldet (bzw. leisten soll), (mit seinem [vorhandenen] Vermögen für diese Schuld auch) haftet (bzw. dem Zugriff des Gläubigers unterworfen ist). Aber ein Grundstückseigentümer kann auf Grund einer Hypothek dem Zugriff wegen der Schuld eines von ihm verschiedenen Schuldners ohne eigene Schuld unterworfen sein.

 

C) Arten

Die Zahl der Schuldverhältnisse ist unüberschaubar. Täglich werden weltweit wohl Milliarden verschiedenster Schuldverhältnisse begründet. Vielfach weisen sie aber dennoch auch allgemeine Züge auf (allgemeines Schuldrecht) und lassen sich deshalb wissenschaftlich nach verschiedenen Gesichtspunkten in einige allgemeine Arten einteilen.

 

I. Dauer

Manche Schuldverhältnisse haben eine ganz kurze Dauer. Andere Schuldverhältnisse währen Jahre oder Jahrzehnte. Dieser Unterschied hat gewisse allgemeine Auswirkungen.

1. Nichtdauerschuldverhältnis

Die meisten Schuldverhältnisse sind nicht von langer Dauer. Beispielsweise ist ein Kauf in einem Lebensmittelladen meist in ganz kurzer Zeit abgewickelt. Deswegen sind wegen der (kurzen) Dauer keine besonderen rechtlichen Vorkehrungen erforderlich.

2. Dauerschuldverhältnis

Andere Schuldverhältnisse sind dagegen auf längere Dauer angelegt wie etwa die Miete, das Darlehen für einen Hausbau oder der Dienstvertrag. Für sie ist eine Rückabwicklung für eine möglicherweise lange vergangene Zeit schwierig, so dass sie grundsätzlich nur für die Zukunft aufgelöst werden können. Bei schwer wiegenden unerwarteten Vorkommnissen ist aber auch eine Fortdauer in eine lange Zukunft problematisch, weswegen sie bei einem wichtigen Grund sofort (durch außerordentliche Kündigung) beendet werden können sollen.

 

II. Gegenstand

Bei den meisten Schulden der Gegenwart ist ein in zahlreichen Exemplaren vorhandener Gegenstand geschuldet. Es kann aber auch sein, dass Gläubiger und Schuldner sich auf die Leistung nur eines ganz bestimmten einzelnen Gegenstands geeinigt haben. Dieser Umstand hat unterschiedliche Folgen.

1. Gattungsschuld

Wer in einer Wirtschaft eine Maß oder Flasche Bier haben will, kauft nur irgendeine Maß oder Flasche Bier. Er will nicht eine ganz bestimmte Maß oder eine ganz bestimmte Flasche. Bei einem solchen auf Leistung aus einer Gattung angelegten Schuld (Gattungsschuld), muss der Schuldner nur eine Leistung mittlerer Art und Güte erbringen (nicht den besten Gegenstand und nicht den schlechtesten), muss aber so lange leisten, so lange Gegenstände dieser Gattung vorhanden sind und er seine Verpflichtung nicht bereits auf einen ganz bestimmten einzelnen Gegenstand aus der Gattung konzentriert und damit aus einer anfänglichen Gattungsschuld nachträglich eine Stückschuld gemacht hat.

2. Stückschuld

Wer auf einem Gebrauchtwagenmarkt einen Gebrauchtwagen kauft, kauft nur dieses einzelne Stück. Der Schuldner schuldet nur dieses einzelne Stück, bei dem es auf mittlere Art und Güte (einer Gattung) nicht ankommen kann(, weil es keine Gattung Gebrauchtwagen für das ausgewählte Fahrzeug gibt). Wird dieses Stück aus irgendeinem Grund zerstört, ist eine Leistung des Geschuldeten nicht mehr möglich.

 

III. Leistungsort

In einfachen Verhältnissen befinden sich Schuldner und Gläubiger am gleichen Ort und erbringen ihre zugesagten Leistungen sofort an diesem Ort (Platzgeschäft). In entwickelteren Gesellschaften sind aber Schuldner und Gläubiger oft an verschiedenen Orten (z. B. Kauf über Internet, Distanzgeschäft). Dann fragt sich, wo die Schuld zu leisten ist.

1. Holschuld

Wo der Schuldner einen besonderen ortsfesten Laden oder Ähnliches eingerichtet hat, muss der Gläubiger besonders an diesen Ort kommen. Er muss dann den Leistungsgegenstand bei dem Schuldner holen (Erfüllungsort Wohnsitz oder Niederlassung des Schuldners). Deswegen liegt bei dem Kauf etwa von Lebensmitteln oder Kleidungsstücken grundsätzlich eine Holschuld vor, die am Ort des Sitzes des Schuldners zu erfüllen ist.

2. Bringschuld

Manche Gegenstände sind schwer zu bewegen. Für den Gläubiger ist es deshalb schwierig oder unmöglich, den Leistungsgegenstand zu holen, während der Schuldner entsprechende Geschäfte häufig tätig und sich deshalb dafür mit besonderen Geräten ausrüsten kann. Deswegen ist etwa Heizöl in der Gegenwart nicht mehr vom Gläubiger in kleinen Gefäßen zu holen, sondern (als Bringschuld) grundsätzlich vom Schuldner dem Gläubiger in einem großen Gefäß zu bringen (Erfüllungsort Wohnsitz oder Niederlassung des Gläubigers).

3. Schickschuld

Für bestimmte Leistungsgegenstände haben Dritte besondere Beförderungsmöglichkeiten eingerichtet. Für sie ist deshalb weder ein Holen noch ein Bringen erforderlich und üblich. Vielmehr genügt der Schuldner seinen Verpflichtungen, wenn er die Leistung (grundsätzlich auf Kosten und Gefahr des Gläubigers) schickt (z. B. Geldschuld nach § 905 II ABGB qualifizierte Schickschuld, Erfüllungsort Wohnsitz oder Niederlassung des Schuldners, aber zusätzliche Absendepflicht auf Gefahr und Kosten des Schuldners).

 

IV. Inhalt

Der Inhalt einer Schuld kann ganz unterschiedlich sein. Deswegen haben sich die verschiedensten Arten besonderer Schuldverhältnisse entwickelt (besonderes Schuldrecht). Sehr häufig besteht der Inhalt eines Schuldverhältnisses im Ersatz eines Schadens.

Voraussetzung für eine solche Schadenersatzschuld (Schadensersatzschuld) ist stets ein Schaden des Gläubigers. Außerdem muss nach § 1311 ABGB ein besonderer Schadenüberwälzungsrechtssatz in der Rechtsordnung vorhanden sein, weil grundsätzlich ohne einen solchen Rechtssatz jeder Geschädigte seinen Schaden selbst tragen muss. Unter diesen Voraussetzungen kann der Geschädigte vom Schädiger Ersatz des Schadens verlangen, wobei der Schädiger im Rahmen eines Rechtsgeschäfts für das Verschulden eines Erfüllungsgehilfen (§ 1313a ABGB) und im Rahmen einer unerlaubten Handlung für ein Verschulden eines Besorgungsgehilfen einstehen muss (§ 1315 ABGB, beachte auch Schadenersatzverpflichtungen von Tierhaltern).

 

D) Entstehung

Schuldverhältnisse können aus ganz unterschiedlichen Gründen heraus entstehen. Dabei kann es auf den Willen der Beteiligten ankommen oder kann der Wille der Beteiligten bedeutungslos sein. Deswegen wird für die Entstehung hauptsächlich auf (Willenserklärung und) Rechtsgeschäft einerseits und Gesetz andererseits abgestellt.

 

I. Rechtsgeschäft

Die meisten Schuldverhältnisse entstehen durch Rechtsgeschäft. Sie sind von den Beteiligten im Rahmen hochentwickelter Verkehrswirtschaften besonders gewollt. Hierzu gehören etwa Kauf, Mietvertrag oder Dienstvertrag, aber auch Schenkung oder Leihe.

 

II. Gesetz

In manchen Fällen begründet das Recht auch ohne (übereinstimmenden) Willen der Beteiligten ein Schuldverhältnis. Dies ist insbesondere bei unerlaubten Handlungen oder auch bei ungerechtfertigten Bereicherungen der Fall. Deswegen soll, wer etwa als Arbeitnehmer den Arbeitgeber dadurch betrügt, dass er sich „krank“ schreiben lässt (ohne wirklich krank zu sein) und gleichzeitig anderweitig erwerbswirtschaftlich tätig ist, nicht nur als Betrüger bestraft werden, sondern dem Arbeitgeber auch Schadensersatz leisten.

 

III. Culpa in contrahendo

Eine besondere Lage tritt ein, wenn es im Rahmen einer Anbahnung noch nicht zum Abschluss eines Rechtsgeschäfts gekommen ist und auch Zweifel an einer unerlaubten Handlung bestehen, aber doch ein Schaden entstanden ist. Für diesen Fall hat die Rechtsprechung die besondere Einrichtung der culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsschluss) entwickelt, die auf der Grenze zwischen rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen steht. Danach muss, wer bei Vertragsverhandlungen bzw. einem geschäftlichen Kontakt eine vorvertragliche Rechtspflicht verletzt (z. B. ungenügend sicheres Aufstellen einer Teppichrolle in einem Warenhaus, Missbrauch von während Verhandlungen anvertrauten Geschäftsgeheimnissen), erstens den dadurch entstehenden Schaden (Vertrauensschaden, negatives Interesse) dem Verhandlungsgegner auch ersetzen, wenn es nicht zu einem Rechtsgeschäft kommt, und zweitens möglicherweise im Streitfall eine Umkehr der Beweislast hinnehmen (vgl. § 1298 ABGB).

 

E) Inhalt

Das Schuldverhältnis ist stets auf ein Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger gerichtet. Der Schuldner ist gegenüber dem Gläubiger auf Grund des Schuldverhältnisses zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet. Er soll eine geschuldete Leistung erbringen.

 

I. Wesen

Die Leistung ist das Verhalten, das der Schuldner gegenüber dem Gläubiger durchführen soll. Es kann in einem Tun bestehen oder seltener auch in einem Unterlassen (z. B. von Wettbewerb). Das Tun kann ein Rechtsgeschäft erfordern (z. B. Verpflichtung zum Abschluss eines Vertrags) oder ein rein tatsächliches Verhalten (z. B. Befördern, Planen, Mauern, Gebrauch Gewähren).

 

II. Weise

Der Schuldner muss die Leistung am rechten Ort (nach § 905 ABGB im Zweifel am Wohnsitz oder der Niederlassung des Schuldners, Holschuld) und zur rechten Zeit (nach § 904 S. 1 ABGB im Zweifel sogleich) erbringen, also nicht irgendwann und irgendwo. Die Leistung muss den rechten Umfang haben und von der richtigen Leistungsperson stammen. Insgesamt muss der Schuldner alles tun, was der Gläubiger nach Treu und Glauben von ihm verlangen kann, und alles lassen oder unterlassen, was Treu und Glauben widerspricht.

 

III. Leistungsverweigerungsrecht

Grundsätzlich darf der Schuldner die Leistung nicht verweigern, sondern muss sie erbringen. Im gegenseitigen Vertrag sind jedoch beide Beteiligte zu gegenseitigen Leistungen verpflichtet. Ist keine Vorleistungspflicht eines Beteiligten besonders vereinbart oder allgemein festgelegt, darf der Schuldner die Leistung verweigern, wenn der Gläubiger seine Verpflichtung nicht erfüllt, weil zwecks gegenseitiger Sicherheit die Leistung nur Zug um Zug gegen die Gegenleistung zu erbringen ist (z. B. Übereignung der Kaufsache nur gegen gleichzeitige Bezahlung des Kaufpreises).

 

F) Störung

Wie die Gesundheit des Menschen gestört sein kann, so kann auch seit Entstehung des Schuldrechts ein Schuldverhältnis gestört sein. Wie die Krankheit, so ist zwar auch die Störung des Schuldverhältnisses die Ausnahme und nicht die Regel. Wie die Krankheit für den Arzt, so ist aber die Leistungsstörung für den Juristen bedeutsamer als der störungsfreie Ablauf.

 

I. Unmöglichkeit

Die Leistung kann dem Schuldner aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich sein. So kann beispielsweise der Käufer den Kaufpreis nicht bezahlen, wenn er kein Geld hat, oder der Verkäufer kann nicht liefern, wenn die Ware nicht rechtzeitig hergestellt ist. Je nach der Ursache der Unmöglichkeit sieht das Recht dementsprechend unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten vor.

1. Zufall

Die Unmöglichkeit kann auf einem Zufall beruhen. Beispielsweise kann der Blitz in ein Haus einschlagen, so dass es abbrennt und der Vermieter dem Mieter den Gebrauch nicht mehr gewähren kann. Nach § 1447 ABGB hebt der (vom Schuldner nicht zu vertretende) zufällige gänzliche Untergang einer bestimmten Sache alle Verbindlichkeit, selbst die, den Wert derselben zu vergüten, auf, wobei der Schuldner das, was er um die Verbindlichkeit in Erfüllung zu bringen, erhalten hat (z. B. Kaufpreis, Miete), zwar gleich einem redlichen Besitzer, jedoch auf solche Art zurückstellen oder vergüten muss, dass er aus dem Schaden des anderen keinen Gewinn zieht.

2. Verschulden

a) des Schuldners

Verschuldet der Schuldner seine Unmöglichkeit, so gilt § 920 ABGB. Wird die Erfüllung durch Verschulden des Verpflichteten oder einen von ihm zu vertretenden Zufall vereitelt, so kann der andere Teil entweder Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordern oder vom Vertrage zurücktreten. Verkauft also ein Verkäufer dasselbe Kraftfahrzeug zweimal, so kann der Käufer den Vertrag durch Rücktritt auflösen, so dass er den Kaufpreis nicht zahlen muss, oder Schadensersatz verlangen, wobei er dann aber seinerseits den Kaufpreis zahlen muss, was sich für ihn nur empfiehlt, wenn der Wert des verkauften Kraftfahrzeugs höher ist als der Preis.

b) des Gläubigers

Vereitelt der Gläubiger die Erfüllung, so kann der Schuldner dem Gläubiger nicht mehr verpflichtet sein. Vielmehr wird er frei. In Analogie zu den §§ 1155, 1168 ABGB muss der Gläubiger aber seinerseits dem Schuldner seine Gegenleistung (z. B. Zahlung) erbringen.

 

II. Verzug

Verzug ist die Verspätung der Leistung des Schuldners. Nach § 918 ABGB kann, wenn ein entgeltlicher Vertrag von einem Teil (verschuldet oder unverschuldet) entweder nicht zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort oder auf die bedungene Weise erfüllt wird, der andere entweder Erfüllung und (bei Verschulden) Schadensersatz wegen der Verspätung (z. B. bei Geldschulden sogar ohne Verschulden Verzugszinsen von 4 Prozent [§ 1333, 1000 I ABGB]) begehren oder unter Festsetzung einer angemessenen Frist zur Nachholung (Nachfrist) den Rücktritt vom Vertrag erklären, woraufhin eventuell eine Rückabwicklung erfolgen muss. Der Gläubiger muss sich dementsprechend überlegen, was für ihn vorteilhafter ist, und kann dann (entweder nichts tun oder) sich entweder für das Abwarten unter Schadensersatzleistung oder (unter Nachfristsetzung) für den Rücktritt vom Vertrag und damit die Aufhebung der Leistungspflichten entscheiden.

Ist die Leistungszeit nicht bestimmt, muss der Gläubiger die Fälligkeit der Schuld besonders herbeiführen. Dazu ist eine Mahnung (Einmahnung, Leistungsaufforderung) nötig. Sie ist eine einseitige empfangsbedürftige rechtsgeschäftsähnliche Handlung (str.) und bewirkt nach § 1417 ABGB Verzug, wenn sich der Schuldner auch am Tag nach Zugang der Mahnung nicht mit dem Gläubiger (durch Leistung oder abweichende Vereinbarung) abgefunden hat.

 

III. Annahmeverzug

Gelegentlich kann es auch vorkommen, dass der Gläubiger die Leistung des Schuldners nicht annimmt (grundsätzlich nur Obliegenheitsverletzung). Dann fallen nach § 1419 ABGB die widrigen Folgen dieses (verschuldeten oder unverschuldeten) Gläubigerverzugs auf ihn. Er bleibt weiter zur Gegenleistung verpflichtet, trägt aber die Gefahr des zufälligen Untergangs der angebotenen Leistung und muss dem Schuldner (zwar keinen Schaden, aber) alle wegen des Annahmeverzugs entstandenen Auslagen (z. B. zusätzliche Lieferkosten oder Lagerkosten) ersetzen.

 

IV. Mangel

Wer einem andern eine Sache gegen Entgelt überlässt, leistet Gewähr (dafür), dass sie (im Zeitpunkt der Übergabe) dem Vertrag entspricht (§ 922 ABGB). Hat die Sache einen Mangel (z. B. dem gekauften Buch fehlen 16 Seiten), kann der Übernehmer, ohne dass es auf ein Verschulden oder Nichtverschulden des Schuldners an dem Mangel ankommt, innerhalb einer Frist von grundsätzlich zwei Jahren in erster Linie die Verbesserung (Nachbesserung oder Nachtrag des Fehlenden) oder den Austausch der Sache (bei Gattungssachen) sowie in zweiter Linie eine angemessene Minderung des Entgelts (Preisminderung) oder die Aufhebung des Vertrags (Wandlung) fordern. Bei behebbaren Mängeln steht die Nachbesserung im Vordergrund, bei unbehebbaren Mängeln die Aufhebung des Vertrags.

Verschafft der Schuldner dem Gläubiger nicht die rechtliche Stellung, zu deren Verschaffung er verpflichtet ist, liegt ein Rechtsmangel vor (z. B. Veräußerer ist nicht Eigentümer oder Eigentum ist mit einer Dienstbarkeit belastet oder eine erforderliche Baugenehmigung fehlt). Auch hier muss der Schuldner Gewähr leisten. Allerdings muss der Mangel erst geltend gemacht werden, wenn er erkennbar ist.

 

V. Laesio enormis

Für den Fall eines groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung entwickelte bereits das römische Recht das Institut der (lateinisch) laesio enormis (ungewöhnliche Verletzung). Diese laesio enormis ist in § 934 ABGB aufgenommen. Danach kann bei Verkürzung der Gegenleistung (z. B. des Kaufpreises) um mehr als die Hälfte eine Differenzzahlung zum gemeinen Wert der Sache erfolgen oder der Vertrag aufgehoben werden.

 

G) Beendigung

Das Schuldverhältnis endet grundsätzlich mit der Erfüllung (§ 1412 ABGB) oder einem der Erfüllung gleichgestellten Erfüllungssurrogat (Erfüllungsersatz) wie etwa der Aufrechnung (Kompensation) mit einer innegehabten Forderung gegen eine andere zu erfüllende Forderung (§§ 1438ff. ABGB) oder der Hinterlegung. Wenn der Schuldner sich so verhält, wie er soll, erbringt er das Gesollte. Die Zeit, die dafür notwendig ist, hängt dabei von dem Inhalt der Verpflichtung (z. B. Dauerschuld) ab.

Daneben kann das Schuldverhältnis unter anderem auch durch den berechtigten Rücktritt eines Beteiligten enden. Außerdem können Schuldner und Gläubiger gemeinsam die Beendigung des Schuldverhältnisses vereinbaren. Kein Endigungsgrund des Schuldverhältnisses ist grundsätzlich der Tod eines Beteiligten, doch kann dies ausnahmsweise (z. B. bei einer höchstpersönlichen Verpflichtung) auch anders sein.

 

H) Einzelne Schuldverhältnisse

Im Laufe der Geschichte haben sich entsprechend den tatsächlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten der Menschen einzelne besondere Schuldverhältnisse entwickelt (besonderes Schuldrecht). Sie sind im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs in den §§ 938ff. ABGB mit den sie betreffenden besonderen Bestimmungen geregelt. Nach § 859 ABGB gründen sich diese persönlichen Sachenrechte auf Rechtsgeschäft oder Gesetz.

 

I. Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse

Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse setzen den Abschluss eines Rechtsgeschäfts voraus. Da im antiken römischen Recht die abstrakte Vorstellung des Rechtsgeschäfts noch fehlte, bestanden mehrere verschiedene Rechtsgeschäftsarten nebeneinander. Hiervon kennt das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs noch die Unterscheidung in die Realkontrakte und in die Konsensualkontrakte.

1. Realkontrakte

Realkontrakt ist der Vertrag, zu dessen Entstehung die Hingabe einer Sache (lateinisch res, Adjektiv realis) erforderlich ist. Ohne Hingabe einer Sache kommt das Rechtsgeschäft (nach dieser Ansicht) nicht zu Stande. Herkömmlicherweise werden zu den Realkontrakten, bei denen Erwerbsgrund (Titel) und Erwerbsart (Modus) ein Ganzes bilden, (Schenkung,) Verwahrung, Leihe und Darlehen gezählt.

a) Schenkung (in der Nähe des Realkontrakts stehender Konsensualkontrakt)

Nach § 938 ABGB heißt ein Vertrag, wodurch eine (körperliche oder unkörperliche) Sache jemandem (zu Eigentum) unentgeltlich (und grundsätzlich unwiderruflich) überlassen wird, eine Schenkung, wobei nach § 943 ABGB aus einem bloß mündlichen, ohne wirkliche Übergabe geschlossenen Schenkungsvertrag dem Geschenknehmer kein Klagerecht auf Leistung des Geschenks erwächst und Schenkungen ohne wirkliche Übergabe eines Notariats­akts bedürfen. Der Schenker überträgt dem Beschenkten (Geschenknehmer) das Eigentum an der Sache (oder verspricht dies). Er erhält dafür keine Gegenleistung, weshalb die Schenkung zwar vorkommt, wirtschaftlich aber nicht besonders bedeutsam ist und außerdem noch wegen groben Undanks des Beschenkten vom Schenker (nach Abschluss) widerrufen werden kann.

b) Verwahrung

Nach § 957 ABGB entsteht ein Verwahrungsvertrag, wenn jemand (Verwahrer z. B. Bank) eine fremde Sache (des Hinterlegers wie z. B. Wertpapiere) (unentgeltlich oder entgeltlich) in seine Obsorge übernimmt. Das angenommene Versprechen, eine fremde, noch nicht übergebene Sache in die Obsorge zu übernehmen, macht zwar den versprechenden Teil verbindlich, ist aber noch kein Verwahrungsvertrag. Nach § 958 ABGB erwirbt der Übernehmer durch den Verwahrungsvertrag weder Eigentum noch Besitz noch ein Gebrauchsrecht, sondern ist bloßer (Sach-)Inhaber mit der Pflicht, die ihm anvertraute Sache vor Schaden zu sichern (und bei Ende der Verwahrung an den Hinterleger herauszugeben).

c) Leihe

Nach § 971 ABGB entsteht ein Leihvertrag, wenn jemandem (Entleiher, Entlehner) (von einem anderen, Verleiher) eine unverbrauchbare Sache (z. B. Fahrrad, Hammer, Füllfederhalter, Bleistift?, nicht Geld, Lebensmittel) bloß zum unentgeltlichen Gebrauch auf eine bestimmte Zeit übergeben wird. Der Vertrag, wodurch man jemandem eine Sache zu leihen verspricht, ohne sie zu übergeben, ist zwar verbindlich, aber noch kein Leihvertrag. Der Entleiher oder Entlehner (wird nicht Eigentümer und nicht Sachbesitzer und) erwirbt nach § 972 ABGB (nur) das Recht, den ordentlichen oder näher bestimmten Gebrauch von der Sache zu machen und muss nach Ablauf der bestimmten Zeit dieselbe Sache zurückgeben (bei Prekarium [Bittleihe] Rückgabe bei Widerruf).

d) Darlehen

Nach § 983 ABGB entsteht, wenn jemandem (Darlehensnehmer) verbrauchbare Sachen (z. B. Geld, Lebensmittel) von einem anderen (Darlehensgeber) unter der Bedingung übergeben (und damit übereignet) werden, dass er zwar willkürlich darüber (z. B. durch Verbrauch) verfügen könne, aber nach einer gewissen Zeit eben so viel von derselben Gattung (z. B. Geld, Lebensmittel) und Güte zurückgeben (und damit übereignen) soll, ein (grundsätzlich formlos möglicher) Darleihensvertrag (Darlehensvertrag, z. B. auch Spareinlagenvertrag des Sparers mit einer Bank). Er ist mit dem ebenfalls verbindlichen Vertrage, ein Darleihen (Darlehen) künftig zu geben, nicht zu verwechseln und auch vom infolge der Vertragsfreiheit möglichen Konsensualvertrag (Kreditvertrag) zu trennen. Gelddarlehen werden von Banken in der Rechtswirklichkeit grundsätzlich nur gegen Entgelt (Zinsen, gesetzliche Zinsen grundsätzlich 4 Prozent, im Unternehmensrecht bzw. Handelsrecht 5 Prozent) gegeben.

Für den Verbraucherkredit gilt das besondere Verbraucherkreditgesetz.

2. Konsensualkontrakte

Konsensualkontrakt ist der zu seiner Entstehung nur eines Konsenses (Willensübereinstimmung) bedürftige Vertrag. Er entsteht auch ohne Hingabe einer Sache. Erforderlich sind nur zwei sich deckende Willenserklärungen.

a) Bevollmächtigung

Nach § 1002 ABGB heißt der Vertrag, wodurch jemand ein ihm aufgetragenes Geschäft im Namen des anderen (und damit in Stellvertretung) zur Besorgung übernimmt, Bevollmächtigungsvertrag. Er kann unentgeltlich oder entgeltlich sein und mündlich oder schriftlich abgeschlossen werden. Nach § 1009 ABGB ist der Gewalthaber (Machthaber, Bevollmächtigte) verpflichtet, das Geschäft seinem Versprechen und der erhaltenen Vollmacht gemäß, emsig und redlich zu besorgen, und allen aus dem Geschäft entspringenden Nutzen dem Machtgeber (Vollmachtgeber) zu überlassen.

Nach neuerer Ansicht ist dabei zwischen zwei Instituten zu unterscheiden. Die Bevollmächtigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft des Bevollmächtigenden gegenüber dem Bevollmächtigten (Innenvollmacht) oder einem Dritten (Außenvollmacht), die meist zu Grunde liegende Beauftragung des Beauftragten durch den Auftraggeber ein unvollkommen zweiseitig verpflichtender Vertrag (Auftrag). Die Vollmacht kann grundsätzlich jederzeit widerrufen werden und endet im bürgerlichen Recht grundsätzlich mit dem Tod.

b) Tausch

Nach § 1045 ABGB ist der Tausch ein Vertrag, wodurch eine Sache gegen eine andere Sache überlassen wird, wobei die wirkliche Übergabe der Sache nicht zur Errichtung des Tauschvertrags erforderlich ist, sondern nur zur Erfüllung des Tauschvertrags und zur Erwerbung bzw. Verschaffung des Eigentums an der jeweiligen Sache. Nach § 1047 ABGB sind Tauschende durch den Tauschvertrag verpflichtet, die vertauschten Sachen zum freien Besitz zu übergeben und zu übernehmen. In der Geldwirtschaft ist der Tausch zu umständlich, weshalb er in der Gegenwart nur geringe tatsächliche Bedeutung hat.

c) Kauf

Durch den Kaufvertrag wird nach § 1053 ABGB eine Sache um eine bestimmte Summe Geldes von einem (Verkäufer) einem anderen (nämlich dem Käufer) überlassen, wobei der Kaufvertrag nur ein Titel für den Erwerb des Eigentums ist und der Verkäufer das Eigentum an der Sache bis zur Erfüllung der Verpflichtung (z. B. durch Übergabe, § 1063 ABGB, Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung möglich) behält. Der Verkäufer ist nach § 1061 ABGB verpflichtet, die Sache bis zur Übergabe sorgfältig zu verwahren und sie dem Käufer zu übergeben. Der Käufer ist nach § 1062 ABGB verpflichtet, die Sache sofort oder zur vereinbarten Zeit zu übernehmen und zugleich den Kaufpreis zu bezahlen.

Gekauft werden können körperliche Sachen (z. B. Handy) und unkörperliche Sachen (z. B. Forderung, andere Rechte). Der Kaufvertrag bedarf grundsätzlich keiner besonderen Form, selbst wenn er eine unbewegliche Sache von sehr großem Wert betrifft. Eine Eintragung im Grundbuch wird aber nach formellem Grundbuchrecht nur bei Vorliegen eines formgerechten Kaufvertrags durchgeführt.

Bei einem Kauf einer Forderung ist ein Kaufvertrag zwischen einem (bisherigen) Gläubiger einer Forderung als Verkäufer und einem Dritten als Erwerber und damit neuem Gläubiger erforderlich, während der Schuldner grundsätzlich nicht beteiligt ist. Der Kaufvertrag ist der Erwerbstitel für die Übertragung (Abtretung). Mangels einer besondern gesetzlich vorgeschriebenen Form bewirkt der Erwerbstitel aber zugleich die Erwerbsart, so dass rechtstatsächlich mit dem Abschluss des Forderungskaufs (ähnlich bei Tausch oder Schenkung) der Erwerber neuer Gläubiger des Schuldners ist, wenn auch der Schuldner zu seinem Schutz an den bisherigen alten Gläubiger leisten darf, solange er von dem Erwerb der Forderung durch einen neuen Gläubiger nichts erfährt.

Für den Kreditkauf und den Ratenkauf durch Verbraucher ist das Verbraucherkreditgesetz zu berücksichtigen. Für den internationalen Warenkauf gilt vor allem das UN-Kaufrecht. Sondervorschriften für den Warenkauf von Unternehmern enthält das Unternehmensgesetzbuch.

d) Bestandvertrag

Nach § 1090 ABGB heißt der Vertrag, durch den jemand den Gebrauch einer unverbrauchbaren Sache (z. B. Grundstück, Kraftfahrzeug) auf eine gewisse Zeit und gegen einen bestimmten Preis erhält, Bestandvertrag. Er wird, wenn sich die in Bestand gegebene Sache (z. B. Kraftfahrzeug) ohne weitere Bearbeitung gebrauchen lässt, Mietvertrag (beachte für Wohnungen und Häuser Mietrechtsgesetz), wenn sie aber nur durch Fleiß und Mühe benützt werden kann (z. B. Acker, Garten), ein Pachtvertrag genannt. Nach § 1096 ABGB sind Vermieter und Verpächter verpflichtet, das Bestandstück auf eigene Kosten in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten und den Bestandinhaber nicht zu stören. Der Bestandnehmer ist nach § 1100 ABGB zur Entrichtung des Preises (Zinses) verpflichtet.

e) Dienstvertrag

Nach § 1151 ABGB entsteht, wenn sich jemand auf eine gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen verpflichtet, ein Dienstvertrag. Ist kein Entgelt bestimmt und nicht Unentgeltlichkeit vereinbart, so hat der Dienstnehmer gegen den Dienstgeber einen Anspruch auf angemessenes Entgelt (§ 1152 ABGB), das grundsätzlich nach Leistung der Dienste zu entrichten ist (§ 1154 I ABGB, ohne Dienst kein Lohn). Der Dienstnehmer muss die versprochenen oder den Umständen nach angemessenen Dienste dem Dienstgeber grundsätzlich in Person leisten (§ 1153 ABGB).

f) Werkvertrag

Nach § 1151 ABGB entsteht, wenn jemand die Herstellung eines Werkes (z. B. Bauwerks, Bühnenwerks) gegen Entgelt übernimmt, ein Werkvertrag. Ist kein Entgelt bestimmt und nicht Unentgeltlichkeit vereinbart, so hat der Werkunternehmer gegen den Werkbesteller einen Anspruch auf angemessenes Entgelt (§ 1152 ABGB), das grundsätzlich nach Leistung des Werkes zu entrichten ist (§ 1170 ABGB). Der das Werk als Erfolg schuldende Unternehmer ist grundsätzlich verpflichtet, das Werk persönlich oder unter seiner persönlichen Verantwortung ausführen zu lassen (§ 1165 ABGB).

g) Erwerbsgesellschaft

Nach § 1175 ABGB wird durch einen Vertrag, vermöge dessen zwei oder mehrere Personen einwilligen, ihre Mühe allein, aber auch ihre Sachen zum gemeinschaftlichen Nutzen zu vereinigen, eine Gesellschaft zu einem gemeinschaftlichen Erwerbe errichtet (z. B. auch Handlungsgesellschaft oder Handelsgesellschaft). Nach § 1184 ABGB ist jedes Mitglied (Gesellschafter) verpflichtet, einen gleichen Anteil zum gemeinschaftlichen Hauptstamm beizutragen. Nach § 1185 ABGB sind in der Regel alle Mitglieder (Gesellschafter) verpflichtet, ohne Rücksicht auf ihren größeren oder geringeren Anteil, zu dem gemeinschaftlichen Nutzen gleich mitzuwirken.

h) Ehepakte

Nach § 1217 heißen die Verträge, die in der Absicht auf die eheliche Verbindung über das Vermögen geschlossen werden, Ehepakte, wobei sie vor allem die Gütergemeinschaft und den Erbvertrag zum Gegenstand haben und deswegen nach moderner Einteilung in das Familienrecht oder Erbrecht gehören.

i) Glücksvertrag

Nach § 1267 ABGB ist ein Vertrag, wodurch die Hoffnung eines noch ungewissen Vorteils versprochen und angenommen wird, ein Glücksvertrag (aleatorischer Vertrag). Er kann entgeltlich oder unentgeltlich sein. Glücksvertrag sind nach § 1269 ABGB Wette, Spiel und Los sowie auch der Versicherungsvertrag (§§ 1288ff. ABGB, Versicherungsvertragsgesetz) zwischen Versicherer und Versichertem über ein bestimmtes Risiko (z. B. Krankheit, Tod, Feuer, Diebstahl, Hagel, Rechtsschutz, Haftpflicht).

3. Bürgschaft

Die Bürgschaft ist ein Sicherungsgeschäft zur Sicherung fremder Forderungen, das im dritten Teil des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (gemeinschaftliche Bestimmungen) geregelt ist (§§ 1346ff.) Es entsteht durch Vertrag zwischen dem Gläubiger (eines Schuldners) und dem (vom Schuldner verschiedenen) Bürgen, wobei die Verpflichtungserklärung des Bürgen der Schriftform bedarf (§ 1346 II ABGB). Der Bürge verpflichtet sich zur Befriedigung des Gläubigers für den Fall, dass der Schuldner seine Schuld nicht erfüllt, und haftet damit persönlich, subsidiär und akzessorisch(, solange die Schuld besteht,) auf Erfüllung.

 

II. Gesetzliche Schuldverhältnisse

Einige Schuldverhältnisse entstehen ohne Vornahme eines Rechtsgeschäfts. Sie ergeben sich allein auf Grund des geltenden Rechtes. Ihre Voraussetzungen sind grundsätzlich durch Gesetz festgelegt.

1. Schadenersatzanspruch (Schadensersatzanspruch)

Grundsatz des Schadensrechts ist, dass jeder den ihm entstehenden Schaden selbst tragen muss (lat. casus sentit dominus, den Fall spürt der Herr). Nur ausnahmsweise kann jemand seinen Schaden von einem anderen ersetzt erhalten. Dafür bedarf es einer besonderen (gesetzlichen) Schadensüberwälzungsnorm.

Nach § 1293 ABGB heißt Schade jeder Nachteil, der jemandem an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist (lateinisch damnum emergens), wovon sich der Entgang des Gewinns (lateinisch lucrum cessans), den jemand nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge zu erwarten hat, unterscheidet. Nach § 1294 ABGB entspringt der Schade entweder aus einem widerrechtlichen Verhalten eines andern oder aus Zufall. Die widerrechtliche Beschädigung wird entweder willkürlich oder unwillkürlich zugefügt, die willkürliche entweder aus böser Absicht mit Wissen und Wollen oder aus Versehen (aus schuldbarer Unwissenheit, aus Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit oder des gehörigen Fleißes).

a) aus unerlaubter Handlung (Verschuldenshaftung)

Nach § 1295 ABGB ist jedermann berechtigt, von einem Schädiger (Beschädiger) den Ersatz des Schadens, den dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat, zu fordern(, wobei der Schade durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein darf und materiell oder immateriell sein kann). Voraussetzungen sind dementsprechend das Verhalten des Schädigers, der Erfolg der Beschädigung, die Kausalität (Ursächlichkeit) des Verhaltens für den Erfolg, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens und das Verschulden (Schuld, Deliktsfähigkeit vorausgesetzt), das in Vorsatz (Wissen und Wollen) oder Fahrlässigkeit (Versehen, Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt) bestehen kann. Sind diese Tatbestandsmerkmale im Sachverhalt gegeben, wird der Schaden vom Beschädigten auf den Schädiger überwälzt, so dass dieser ihn zu ersetzen und dabei grundsätzlich den früheren Zustand oder einen wirtschaftlich gleichwertigen Zustand herzustellen hat (Naturalherstellung, Naturalrestitution, hilfsweise Geldersatz), wobei allerdings ein Mitverschulden des Geschädigten schadenersatzanspruchsmindernd zu berücksichtigen ist oder sein kann.

Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung sind auch die Amtshaftungsansprüche. Bei ihnen muss der Staat den durch einen Amtsträger (z. B. europarechtliche Fehlentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs) schuldhaft verursachten Schaden dem Geschädigten ersetzen. Die Einzelheiten sind im besonderen Amtshaftungsgesetz geregelt.

b) Gefährdungshaftung

Ohne Verschulden ist (möglicherweise neben einer bestehenden Verschuldenshaftung auch) der durch Gefährdungen verursachte Schaden auf Grund besonderer gesetzlicher Bestimmung in verschiedenen Fällen zu ersetzen. Diese Schadenersatzpflicht ist der wirtschaftliche Ausgleich für das Erlauben eines grundsätzlich gefährlichen Verhaltes. Wer beispielsweise ein Kraftfahrzeug hält oder eine Eisenbahn betreibt oder ein Produkt in den Verkehr bringt, muss auf Grund besonderer gesetzlicher Anordnung auch ohne eigenes Verschulden im Einzelfall den aus dem Betrieb u. s. w. entstehenden Schaden (bis zu einer gesetzlich festgelegten Grenze, vgl. z. B. § 15 EKHG) ersetzen (und sich gegebenenfalls zum Schutze möglicher Geschädigter ausreichend hoch haftpflichtversichern).

c) Erfolgshaftung

Nach § 1318 ABGB haftet, wenn jemand durch das Herabfallen einer gefährlich aufgehängten oder gestellten Sache oder durch Herauswerfen oder Herausgießen aus einer Wohnung beschädigt wird, der, aus dessen Wohnung geworfen oder gegossen worden oder die Sache herabgefallen ist, für den Schaden. Nach § 1014 ABGB muss der Gewaltgeber dem Gewalthaber allen mit der Erfüllung eines Auftrags verbundenen Schaden ersetzen. In diesen Fällen genügt allein der Eintritt des Erfolgs für die Entstehung des Schadenersatzanspruchs.

2. Ungerechtfertigte Bereicherung

Nach § 1431 ABGB kann, wenn jemandem aus einem Irrtum eine Sache oder eine Handlung geleistet wurde, worauf er gegen den Leistenden kein Recht hat (z. B. Zahlung einer Nichtschuld), in der Regel die Sache zurückgefordert bzw. ein dem verschafften Nutzen angemessener Lohn verlangt werden. In diesen Fällen fehlt ein Rechtsgrund für eine Leistung, wobei es weder auf Verschulden noch auf einen Schaden ankommt. Schon das römische Recht gewährte hier dem Entreicherten (Bereicherungsgläubiger) einen Herausgabeanspruch (Kondiktion) gegen den Bereicherten (Bereicherungsschuldner, vgl. auch §§ 1041f. ABGB Verwendungsansprüche, §§ 877, 1174 ABGB).

3. Geschäftsführung ohne Auftrag

Das für einen anderen ohne Auftrag (und damit ohne Rechtsgeschäft) geführte Geschäft kann Ansprüche (z. B. auf Aufwendungsersatz) begründen.

 

I) Verwirklichung

Der durch das Schuldverhältnis begründete Anspruch des Gläubigers gegen Schuldner berechtigt in der Gegenwart den Gläubiger nicht mehr zur Selbsthilfe. Vielmehr hat der Staat für sich das Gewaltmonopol (ausschließliches Recht zur Anwendung von Gewalt) erlangt bzw. durchgesetzt, dessen sich der Berechtigte grundsätzlich immer bedienen muss. Der Gläubiger muss also beispielsweise bei Nichtzahlung der Schuld seitens des Schuldners vor dem zuständigen ordentlichen Gericht Klage erheben und kann erst nach Rechtskraft des entsprechenden Urteils die Vollstreckung gegen den Schuldner betreiben, deren Erfolg dann aber auch davon abhängt, ob der Schuldner überhaupt Vermögen hat, in das vollstreckt werden kann, so dass es durchaus sein kann, dass der Gläubiger im Ergebnis trotz bestehender und gerichtlich festgestellter Schuld des Schuldners nichts erhält (also zwar Recht hat, aber gleichwohl nichts bekommt).


§ 9 Sache

A) Rechtswirklichkeit

B) Wesen

C) Arten

D) Einzelfälle (einzelne dingliche Rechte)

I. Besitz

II. Eigentum

III. Beschränkte dingliche Rechte (z. B. Pfandrecht)

 

A) Rechtswirklichkeit

In der gesamten Welt gibt es (neben den sichtbaren Menschen) Sichtbares und Unsichtbares in unüberschaubarer Zahl. Sichtbar sind etwa Bänke, Tische, Tafeln, Fenster, Geräte, Tiere, Pflanzen, Häuser, Wiesen, Felder, Berge, Wolken, Sonne, Mond oder Sterne. Unsichtbar sind demgegenüber beispielsweise Gedanken des Menschen, Gefühle, Wünsche, Vorstellungen, Götter oder auch Rechte. Wie setzt sich die Rechtswissenschaft mit diesen natürlichen Gegebenheiten auseinander?

Innerhalb des Privatrechts schafft sie für die sichtbaren natürlichen Personen und die unsichtbaren juristischen Personen das Personenrecht, nach dem beispielsweise der Mensch mit der Geburt rechtsfähig ist und im Laufe seines Lebens grundsätzlich geschäftsfähig wird. Für die Beziehungen der Personen zu Personen bildet sie das Schuldrecht, nach dem etwa der Käufer dem Verkäufer den Kaufpreis bezahlen muss. Für das Verhältnis der Personen zu den Sachen entwickelt sie das Sachenrecht, nach dem zum Beispiel der Eigentümer eines Stiftes diesen benutzen und andere von der Benutzung ausschließen darf.

Dass die Welt sich aus der Sicht des Menschen in den Menschen und alles Übrige gliedern lässt, erkannte bereits die antike griechische Philosophie. Dementsprechend trennte der römische Rechtskundige Gaius (um 160 n. Chr.) in seinem Werk Institutionen ein besonderes Recht der Personen von den Sachen ab. Diesem Institutionensystem ist noch das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs 1811 gefolgt, nach dessen § 14 die in dem bürgerlichen Gesetzbuche enthaltenen Vorschriften das Personenrecht, das Sachenrecht und die denselben gemeinschaftlich zukommenden Bestimmungen zum Gegenstand haben.

Das Sachenrecht umfasst dort die §§ 285-1341 ABGB. Es gliedert sich außer in vorangestellte allgemeine Bestimmungen (§§ 285-308 ABGB) in die dinglichen Rechte (§§ 309-858 ABGB) und die persönlichen Sachenrechte (§§ 859-1341 ABGB). Da die persönlichen Sachenrechte nach neuerer wissenschaftlicher Ansicht (Pandektensystem) Gegenstand des besonderen Schuldrechts sind und das Erbrecht (§§ 531-824 ABGB) ein eigenes Rechtsgebiet darstellt, verbleiben die §§ 285-530 und die §§ 825-858 als (Kern des) Sachenrecht(s).

In seinem Mittelpunkt steht die Beziehung der Personen zu den Sachen. Sie kann unterschiedlicher Art sein. Im Grunde gibt es aber nur eine geschlossene Zahl von Möglichkeiten, die anders als die Schuldrechtsbeziehungen grundsätzlich nicht nach Belieben vermehrt werden kann.

Das Sachenrecht im Allgemeinen ist in den §§ 285-530 ABGB geregelt. Für unbewegliche Sachen gelten weiter das Allgemeine Grundbuchsgesetz, das Allgemeine Grundbuchsanlegungsgesetz und das Grundbuchsumstellungsgesetz. Für das Wohnungseigentum ist das Wohnungseigentumsgesetz, für das Baurecht das Baurechtsgesetz grundlegend.

 

B) Wesen

Nach § 285 ABGB wird alles, was von der Person verschieden ist und zum Gebrauch der Menschen dient, im rechtlichen Sinne eine Sache genannt. Demnach ist der Begriff der Sache sehr weit. Grundsätzlich ist alles Sache, was nicht Person ist, sofern es dem Gebrauch der Menschen (oder Personen) dient.

Demgegenüber ist Sache nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch Deutschlands der körperliche Gegenstand (§ 90 BGB). Sache ist dort demnach nur, was einen Körper und damit räumliche Ausdehnung hat. Unkörperliches ist unkörperlicher Gegenstand.

Von der Person unterschieden ist und dem Gebrauch der Menschen (bzw. Personen) dienen etwa Bänke, Tische, Tafeln, Fenster, Kraftfahrzeuge, Bildschirme oder Fußbälle. Demnach erscheint die Unterscheidung ganz einfach. Dennoch gibt es zusätzlichen Klärungsbedarf in Einzelfragen.

Der Mensch ist Person und deshalb wie auch die juristische Person keine Sache. Mit dem Tode ist der Mensch aber kein Mensch mehr, sondern eine Leiche. Die Leiche ist keine Person, sondern eine Sache, für die allerdings im Unterschied zu anderen Sachen einzelne besondere Rechtssätze gelten.

Das Tier ist keine Person und wurde deshalb im römischen Recht zu den Sachen gezählt. Diese Einordnung galt bis zum 10. März 1988 auch in Österreich. Seitdem sind nach § 285a ABGB Tiere kraft gesetzlicher Bestimmung keine Sachen (mehr) und werden durch besondere Gesetze geschützt, tatsächlich aber (außer Katzen und Hunden) überwiegend wie Sachen (Geräte) behandelt und deswegen für den Gebrauch der Menschen nach Belieben (als Schnitzel oder Hundenahrung) benutzt.

Nach § 292 ABGB sind das Recht zu jagen, zu fischen und alle anderen Rechte Sachen. Durch diese Einordnung der unkörperlichen Gegenstände unter die Sachen unterscheidet sich das Sachenrecht Österreichs vom Sachenrecht Deutschlands. Allerdings wird für die dinglichen Rechte auch in Österreich ein engerer Sachebegriff (Sachbegriff) verwendet, so dass trotz des weiten Sachbegriffs das Sachenrecht im engeren Sinn nur für körperliche Sachen, nicht dagegen für unkörperliche Sachen wie Forderungen oder Urheberrechte gilt (s. die besondere Regelung der §§ 1392ff. ABGB für die Abtretung einer Forderung).

Luft, Wasser im offenen Meer, Sonne, Mond, Sterne und Weltraum sind zwar von der Person verschieden. Sie dienen aber nur bedingt zum Gebrauch der Menschen. Deswegen sind sie keine Sachen oder nur Sachen, für die besondere Rechtssätze gelten.

 

C) Arten

Die Zahl der Sachen ist sehr groß und ändert sich auch durch Herstellung und Verbrauch unaufhörlich. Sie ist niemandem bekannt. Dennoch lassen sich die Sachen grundsätzlich nach ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit in mehrere allgemeinere Arten einteilen (§ 291 ABGB).

 

I. Körperlichkeit

1. Körperliche Sache

Körperliche Sache ist nach § 292 ABGB die in die Sinne fallende Sache. Gesehen, gefühlt und geschmeckt werden kann nur, was eine räumliche Ausdehnung hat (z. B. ein Gewehr, ein Motorrad oder ein Schrank). Nur an einer körperlichen Sache ist Eigentum (im engeren Sinne) möglich.

2. Unkörperliche Sache

Unkörperliche Sache ist die nicht in die Sinne fallende Sache. § 292 ABGB nennt als besondere Beispiele das Recht zu jagen, zu fischen und alle anderen Rechte. Der Anspruch auf den Kaufpreis ist ein anderes Recht und damit eine unkörperliche Sache.

 

II. Beweglichkeit

1. Bewegliche Sache

Die Sache, die ohne Verletzung ihrer Substanz von einer Stelle zur anderen versetzt (bewegt) werden kann, ist gemäß § 293 ABGB beweglich. Ohne Verletzung ihrer Substanz können beispielsweise bewegt werden ein einzelner Stein, ein Stock, ein Kinderwagen, ein Wohnwagen oder ein Zelt. Eine solche Sache kann ein Mensch einem anderen Menschen tatsächlich übergeben.

Nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung des § 298 ABGB sind Rechte grundsätzlich bewegliche Sachen (, sofern sie nicht mit dem Besitz einer unbeweglichen Sache verbunden sind). Nach § 295 ABGB werden Gras, Bäume und Früchte mit der Abtrennung beweglich. Nach früherem Recht wurden Fische und Wild mit dem Fangen bewegliche Sachen.

2. Unbewegliche Sache

Die Sache, die nur unter Verletzung ihrer Substanz von einer Stelle zur anderen versetzt (bewegt) werden kann, ist gemäß § 293 ABGB unbeweglich. Ein Grundstück, das man versetzen will, muss man an der bisherigen Stelle zerstören und an einer neuen Stelle neu errichten. Es ist unbeweglich und niemand kann es einem anderen tatsächlich übergeben.

Nach § 297 ABGB sind alle Sachen unbeweglich, die auf Grund und Boden in der Absicht aufgeführt werden, dass sie dort bleiben (z. B. Haus, nicht dagegen Weihnachtsmarktbude). Nach § 295 ABGB sind Gras, Bäume und Früchte (als Zugehör) bis zur Abtrennung unbeweglich und waren nach älterem Recht Wild und Fische (als Zugehör) bis zum Fangen unbeweglich. Nach § 298 ABGB sind die Rechte unbeweglich, wenn sie mit dem Besitz einer unbeweglichen Sache verbunden sind.

Unbewegliche Sache ist nach § 294 ABGB allgemein das Zugehör einer unbeweglichen Sache. Zugehör ist dabei alles, was mit einer Sache in fortdauernde Verbindung gesetzt wird (nicht abgesonderter Zuwachs, Nebensache, ohne welche die Hauptsache nicht gebraucht werden kann oder die das Gesetz oder der Eigentümer zum fortdauernden Gebrauch der Hauptsache bestimmt hat). Gesetzliche Beispiele für Zugehör von Gebäuden sind Braupfannen, Branntweinkessel, eingezimmerte Schränke, Brunneneimer, Seile, Ketten, Löschgeräte und dergleichen (§ 297 ABGB), wobei nach neuerem Sprachgebrauch innerhalb des Zugehörs zwischen (unselbständigen und selbständigen) Bestandteilen und Zubehör unterschieden wird.

 

III. Verbrauchbarkeit

1. Verbrauchbare Sache

Verbrauchbare Sache ist nach § 301 ABGB die Sache, die ohne ihre Zerstörung oder Verzehrung den gewöhnlichen Nutzen nicht gewährt. Hierher gehören etwa Brot, Butter, Bier, Benzin, Blumen, Papiertaschentücher oder Geld. An der verbrauchbaren Sache gibt es grundsätzlich keine Leihe, sondern nur ein Darleihen (Darlehen).

2. Unverbrauchbare Sache

Unverbrauchbare Sache ist die Sache, die auch ohne Zerstörung oder Verzehrung den gewöhnlichen Nutzen gewährt. Hierher gehören etwa Buch, Kleidung, Stofftaschentuch, Werkzeug, Kraftfahrzeug oder Grundstück. Wer sie einem anderen gibt, kann sie nach Ablauf der vereinbarten Zeit grundsätzlich wieder zurückverlangen, so dass sie Gegenstand von Miete, Pacht oder Leihe sein können.

3. Abgrenzung

Im Zweifel wird die Abgrenzung durch die (allgemeine) Verkehrssitte bestimmt.

 

IV. Schätzbarkeit

Nach § 303 sind schätzbare Sachen diejenigen Sachen mit Einschluss der Dienstleistungen, Handarbeiten und Kopfarbeiten, deren Wert durch Vergleichung mit anderen im Verkehr befindlichen Sachen bestimmt werden kann, unschätzbare Sachen diejenigen Sachen, deren Wert durch keine Vergleichung mit anderen im Verkehr befindlichen Sachen bestimmt werden kann (z. B. Wasser, Luft, Licht, Urkunden, Zeugnisse).

 

V. Vertretbarkeit

1. Vertretbare Sache

Vertretbare (oder fungible) Sache ist die Sache, die nach Maß, Zahl oder Gewicht bestimmt zu werden pflegt, so dass sie (bis zur Konzentration der Gattung in das vom Schuldner dem Gläubiger tatsächlich zu leistende besondere Stück) Gegenstand einer Gattungsschuld werden kann. Beispiele hierfür sind Geld (z. B. 100 Euro), Milch (z. B. 1 Liter), Obst und Gemüse (z. B. 1 Kilo Äpfel), neue Kraftfahrzeuge, Strom, Gas und andere Energien. Die meisten vertretbaren Sachen sind verbrauchbare Sachen.

2. Unvertretbare Sache

Unvertretbare Sache ist die nicht nach Maß, Zahl oder Gewicht bestimmte Sache. Beispiele hierfür sind Grundstücke, gebrauchte Maschinen, Kunstwerke oder Tagebücher. Die unvertretbare Sache ist grundsätzlich auch unverbrauchbar und kann nur Gegenstand einer Stückschuld sein.

3. Abgrenzung

Im Zweifel wird die Abgrenzung durch die (allgemeine) Verkehrssitte bestimmt.

 

VI. Teilbarkeit

Teilbare Sache ist die Sache, die (ohne beträchtliche Verminderung ihres Wertes) geteilt werden kann. Unteilbare Sache ist die Sache, die entweder nicht oder nicht ohne beträchtliche Verminderung ihres Wertes geteilt werden kann (vgl. § 843 ABGB). Teilbar sind etwa Grundstücke oder Energien, unteilbar sind beispielsweise ein Kraftfahrzeug oder Paare von Schuhen.

 

VII. Verkehrsfähigkeit

Verkehrsfähig sind alle Sachen, deren Verkehr keinen Beschränkungen unterliegt. Nicht verkehrsfähig sind Sachen, deren Verkehr bestimmten Beschränkungen unterliegt. Hierher gehören etwa Reliquien, Kirchengeräte, Denkmäler oder in der Zwangsvollstreckung (Exekution) die unpfändbaren Sachen.

 

VIII. Herrenlose Sache

Herrenlose Sache ist die eigentümerlose Sache. Sie war in der Frühgeschichte häufig. In der Gegenwart ist sie einigermaßen selten, weil nahezu alles irgendjemandem gehört.

 

D) Einzelfälle (einzelne dingliche Rechte)

An Sachen gibt es dingliche Rechte und persönliche Sachenrechte. Die persönlichen Sachenrechte sind in den §§ 859ff. ABGB behandelt und werden in der Gegenwart als Schuldrecht verstanden. Ein Beispiel für ein einzelnes persönliches Sachenrecht ist ein Anspruch aus einem Kaufvertrag auf Übereignung der Kaufsache oder auf Übereignung von Geld im Wert des Kaufpreises.

Dingliche Rechte sind nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Besitz (§ 309 ABGB), Eigentum (§ 353 ABGB), Pfand (§ 447 ABGB, Pfandrecht) und Dienstbarkeit (§ 472 ABGB, Servitut, Grunddienstbarkeit z. B. Wegerecht, Regenwasserableitungsrecht, Personaldienstbarkeit z. B. Fruchtgenuss, Gebrauchsrecht, Wohnung) (sowie Erbrecht § 531 ABGB, in der Gegenwart nach dem Pandektensystem zu einem eigenen Gebiet des Privatrechts verselbständigt). Der Kreis der dinglichen Rechte ist grundsätzlich geschlossen (Eigentum, Pfandrecht, Servitut [Dienstbarkeit], Reallast, eine Reihe weiterer eigentumsähnlicher Rechte wie das Baurecht [ähnlich dem Erbbaurecht] und weitere im Grundbuch eintragbare dingliche Veräußerungsverbote und Belastungsverbote sowie im Grundbuch eintragbare Schuldrechte wie Wiederkaufsrecht, Vorkaufsrecht und Bestandrecht). Lateinisch spricht man vom numerus clausus (bzw. der geschlossenen Zahl) der dinglichen Rechte oder Sachenrechte.

 

I. Besitz

1. Wesen

Nach § 309 ABGB heißt, wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat, ihr Inhaber. Hat der Inhaber einer Sache den Willen, sie als die seinige zu behalten, so ist er (nicht nur Inhaber, sondern auch) ihr Besitzer. Demnach ist der Besitzer einer Sache mehr als der bloße Inhaber (Detentor) einer Sache, aber weniger als der Eigentümer einer Sache und lässt sich von hier aus mittelbar der Besitz bestimmen.

Besitz setzt Macht oder Gewahrsame über eine Sache voraus, doch verschaffen bloße Macht oder bloßer Gewahrsam (ohne den Willen, die betreffende Sache für sich zu haben,) nur Innehabung (Inhaberschaft, lat. detentio). Hinzukommen muss vielmehr der (rechtsgeschäftliche) Wille, die Sache als die seinige zu behalten, wobei nach § 310 ABGB Kinder unter sieben Jahren und Personen über sieben Jahren, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben, - außer in den Fällen des § 151 III und § 280 II ABGB - Besitz nur durch ihren gesetzlichen Vertreter erwerben können. Von hier aus lässt sich Besitz bestimmen als tatsächliche Herrschaftsgewalt (lat. corpus possessionis) über eine Sache mit dem Willen, sie als seinige zu behalten (lat. animus possessionis).

Der Besitz ist dementsprechend zwar im Sachenrecht geregelt und geschützt. Er ist aber in erster Linie etwas rein Tatsächliches (und damit kein Recht). Ohne tatsächliche Macht oder Gewahrsame ist Besitz grundsätzlich ausgeschlossen.

Nach § 311 ABGB können alle körperlichen und unkörperlichen Sachen, die ein Gegenstand des rechtlichen Verkehrs sind, in Besitz genommen werden. Sachbesitz ist der Besitz an (beweglichen und unbeweglichen körperlichen) Sachen (z. B. Grundstück, Motorrad, Bildschirm), Rechtsbesitz der Besitz an unkörperlichen Sachen (Gebrauch eines dauernder Ausübung zugänglichen Rechtes in eigenem Namen z. B. dauernder Ausübung zugängliches Mietrecht, Leihe, Pacht, Grunddienstbarkeit, Anwartschaftsrecht, [mangels Gebrauchsrechts] nicht Verwahrung). Sachbesitz (z. B. des Vermieters) und Rechtsbesitz (z. B. des Mieters, Pächters, Entleihers, Vorbehaltskäufers) sind dabei nebeneinander an derselben Sache möglich (gestufter Besitz, mehrstufiger Besitz).

2. Arten

Da sehr viele Sachen bestehen und die meisten Sachen einen Besitzer haben, gibt es sehr viel Besitz. Dementsprechend ist die Zahl der Fälle von Besitz unüberschaubar. Es lassen sich aber systematisch wieder verschiedene Besitzgruppen bilden (z. B. auch Alleinbesitz und Mitbesitz).

a) Rechtmäßigkeit

aa) Rechtmäßiger Besitz

Rechtmäßiger Besitz ist nach § 316 ABGB der auf einem gültigen Titel beruhende Besitz. Gültiger Titel ist der auf einem zur Erwerbung tauglichen Rechtsgrund beruhende Titel. Ein rechtmäßiger Titel ist beispielsweise ein Kaufvertrag.

bb) Unrechtmäßiger Besitz

Unrechtmäßiger Besitz ist der nicht auf einem gültigen Titel beruhende Besitz. Beispielsweise haben zwar Räuber und Diebe eine Sache in ihrer Macht und Gewahrsame und haben auch den Willen, die geraubte oder gestohlene Sache als ihrige zu behalten. Aber Raub und Diebstahl sind keine zur Erwerbung tauglichen Rechtsgründe. Folglich ist der Besitz des Räubers oder Diebes (zwar nicht nur Inhaberschaft, sondern sogar Besitz, aber) unrechtmäßig.

b) Redlichkeit

aa) Redlicher Besitz

Nach § 326 ABGB ist ein redlicher Besitzer, wer aus wahrscheinlichen Gründen die Sache, die er besitzt, für die seinige hält. Beispielsweise ist, wer in einem fremden Wald Beeren im Glauben an die Rechtmäßigkeit seines Tuns pflückt, ein redlicher Besitzer. Entscheidend für die Redlichkeit ist die allgemein einleuchtende innere Einstellung.

bb) Unredlicher Besitz

Unredlicher Besitzer ist, wer nicht aus wahrscheinlichen Gründen, die Sache, die er besitzt, für die seinige hält. Dieb und Räuber haben zwar Besitz, wissen aber, dass ihr Besitz unrechtmäßig ist. Sie können die Sache nicht aus wahrscheinlichen Gründen für die ihrige halten.

Nach § 327 ABGB kann, wenn eine Person die Sache selbst, eine andere aber das Recht auf alle oder auf einige Nutzungen dieser Sache besitzt, ein und dieselbe Person, wenn sie die Grenzen ihres Rechtes überschreitet, in verschiedenen Rücksichten ein redlicher und unredlicher, ein rechtmäßiger und unrechtmäßiger Besitzer sein.

c) Echtheit

aa) Unechter Besitz

Nach § 345 ABGB wird, wenn sich jemand in den Besitz eindringt oder durch List oder Bitte heimlich einschleicht und das, was man ihm aus Gefälligkeit, ohne sich einer fortdauernden Verbindlichkeit zu unterziehen, gestattet (z. B. Nutzung einer Sache), in ein fortwährendes Recht zu verwandeln sucht (z. B. Behauptung eines Nutzungsrechts), so wird der an sich unrechtmäßige und unredliche Besitz noch überdies unecht.

bb) Echter Besitz

Nach § 345 ABGB wird in entgegengesetzten Fällen der Besitz für echt angesehen.

3. Erwerb

Körperliche, bewegliche Sachen (z. B. Fahrrad) werden (ursprünglich einseitig) durch physische Ergreifung, Wegführung oder Verwahrung in Besitz genommen (z. B. Dieb) oder (abgeleitet) durch Besitzverschaffung in Besitz gegeben (z. B. in Erfüllung eines Kaufvertrags). Körperliche unbewegliche Sachen werden durch Betretung, Verrainung, Bezeichnung oder Bearbeitung in Besitz genommen (§ 426 ABGB körperliche Übergabe, § 427 ABGB Zeichen, § 428 ABGB Erklärung). In den Besitz unkörperlicher Sachen oder Rechte kommt man durch den Gebrauch derselben im eigenen Namen.

Nach § 314 ABGB erlangt man den Besitz sowohl von Rechten als auch von körperlichen Sachen entweder unmittelbar, wenn man freistehender Rechte und Sachen habhaft wird, oder mittelbar, wenn man eines Rechtes oder einer Sache, die einem anderen gehört, habhaft wird. Ursprünglich dürfte der unmittelbare Erwerb die Regel gewesen sein. In der Gegenwart wird der Besitz meist mittelbar von einem anderen erworben.

4. Inhalt

Da der Besitz in der Macht und Gewahrsame einer Sache besteht, darf der Besitzer, für den im Übrigen nach § 323 ABGB die rechtliche Vermutung eines gültigen Erwerbstitels spricht (Rechtsscheinwirkung), grundsätzlich alles tun, was mit der Macht oder Gewahrsame möglich ist. Dabei gehört nach § 344 AGBG zu den Rechten des Besitzes auch das Recht, sich in seinem Besitz zu schützen, und in dem Falle, dass (trotz Versuchs) richterliche Hilfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben (abzuwehren). Demnach begründet der Besitz das (von einem Gericht unabhängige) Selbsthilferecht der Besitzwehr und (auch bei Rechtsbesitz) die (Möglichkeit der) Besitzschutzklage (vor dem Bezirksgericht) (so genanntes Possessorium, vgl. §§ 339 ABGB, 454ff. ZPO, Ziel ist Schutz und Wiederherstellung des widerrechtlich veränderten tatsächlichen letzten Besitzstands) bei eigenmächtiger Verletzung des Besitzes (z. B. durch unberechtigtes Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf einem gekennzeichneten Privatparkplatz).

5. Beendigung

Nach § 349 ABGB geht der Besitz einer körperlichen Sache verloren, wenn sie ohne Hoffnung, wieder gefunden zu werden, in Verlust gerät, freiwillig verlassen wird oder in fremden Besitz kommt. Nach § 350 ABGB erlischt der Besitz der Rechte und unbeweglichen Sachen, die einen Gegenstand der öffentlichen Bücher ausmachen, wenn sie aus den landtäflichen (Büchern), Stadt(büchern) oder Grundbüchern gelöscht oder auf den Namen eines anderen eingetragen werden. Nach § 351 ABGB hört bei anderen Rechten der Besitz auf, wenn der Gegenteil das, was er sonst geleistet hat, nicht mehr leisten zu wollen erklärt, wenn er die Ausübung des Rechtes eines anderen nicht mehr duldet oder wenn er das Verbot, etwas zu unterlassen nicht mehr achtet, der Besitzer es aber in allen Fällen dabei bewenden lässt und die Erhaltung des Besitzes nicht einklagt.

Außerdem endet der Besitz mit dem Untergang der Sache.

6. Verhältnis zum Eigentum

Besitz und Eigentum fallen oft in einer Person zusammen. Notwendig ist dies nicht, indem jemand auch nur Besitz (Besitzer ohne Eigentum wie z. B. der Dieb) oder nur Eigentum (Eigentümer ohne Besitz bei Diebstahl) haben kann. Die Wirkungen von Besitz und Eigentum sind grundsätzlich verschieden, stimmen aber in der Zielsetzung der Herrschaft über eine Sache vielfach überein.

 

II. Eigentum

1. Wesen

Nach § 353 ABGB heißt alles, was jemandem zugehört, alle seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, sein Eigentum. Nach § 354 ABGB ist Eigentum die Befugnis, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür (Belieben) zu schalten und jeden anderen davon auszuschließen. Nach § 362 ABGB kann der Eigentümer in der Regel seine Sache benützen oder unbenützt lassen, sie vertilgen, ganz oder zum Teil auf andere übertragen oder sie verlassen.

Dementsprechend ist Eigentum das (dingliche) Vollrecht an oder über Sachen. Im Gegensatz zum Besitz ist es ein Recht. Im Gegensatz zu den beschränkten dinglichen Rechten ist es das (grundsätzlich unbeschränkte, alle erdenklichen Rechte umfassende) Vollrecht.

Eigentumsfähig (im engeren Sinne) sind allerdings nur Sachen, die Gegenstand von Sachenrechten sein können. Da für Eigentum (z. B. bei Übergabe) körperliche Beherrschbarkeit vorausgesetzt wird, müssen die Sachen, an denen Eigentum (im engeren Sinn) bestehen kann, körperlich sein. Eigentum im engeren Sinn besteht also (wie im deutschen Recht) nicht an Forderungen und Immaterialgüterrechten sowie am Vermögen als solchem, sondern nur an körperlichen Sachen (z. B. Aktentasche, Frühstücksbrot, Kinokarte).

2. Arten

Angesichts der großen Zahl körperlicher Sachen ist Eigentum sehr häufig. Niemand kennt die tatsächliche Zahl von Eigentum. Es lassen sich aber einige allgemeinere Arten unterscheiden.

a) Alleineigentum

Alleineigentum einer Person an einer Sache ist das alleinige Eigentum der Person an dieser Sache. Bei ihm stehen alle Rechte aus dem Eigentum nur einer Person zu. Das Alleineigentum dürfte in der Rechtswirklichkeit überwiegen.

b) Miteigentum

Miteigentum (ideelles Miteigentum) ist nach § 361 ABGB das gemeinschaftliche Eigentum mehrerer (z. B. Erben) an einer (noch) ungeteilten Sache (im Gegensatz zu dem früher begründbaren real geteilten Eigentum). Bei dem Miteigentum werden in Beziehung auf das Ganze die mehreren Miteigentümer als eine Person angesehen. Soweit den Miteigentümern gewisse, obgleich unabgesonderte Teile angewiesen sind, hat jeder Miteigentümer das vollständige Eigentum des ihm gehörigen Teiles.

Bei Miteigentum steht jedem Miteigentümer ein ideeller Anteil an der Sache zu, kein bestimmter körperlicher Teil. Über den ideellen Anteil kann der Miteigentümer frei verfügen (z. B. veräußern, belasten). Über die gesamte Sache können die Miteigentümer nur gemeinschaftlich verfügen.

c) Wohnungseigentum

Wohnungseigentum ist das Eigentum an einer Wohnung. Nach allgemeinen Regeln des römischen Rechtes ist ein besonderes Eigentum an Wohnungen ausgeschlossen, weil die Wohnungen als Teil des Grundstücks angesehen werden, mit dem das entsprechende Gebäude fest verbunden ist. Aus sozialpolitischen Überlegungen ist aber nach dem zweiten Weltkrieg ein besonderes Wohnungseigentum anerkannt und gesetzlich geregelt worden (in Österreich schätzungsweise 500000 Eigentumswohnungen).

Wohnungseigentum ist eine besondere Form des Miteigentums. Dabei gehört mehreren Miteigentümern die betreffende Liegenschaft gemeinschaftlich. Zusätzlich hat jeder Miteigentümer der Liegenschaft als Beteiligter der Wohnungseigentümergemeinschaft ein dingliches Recht, eine selbständige Wohnung oder eine sonstige selbständige Räumlichkeit ausschließlich zu nutzen und darüber zu verfügen.

d) Sicherungseigentum

Sicherungseigentum ist das zur Sicherung eines Rechtes eines andern (z. B. eines Gläubigers) diesem eingeräumte Eigentum. Bei ihm hat der Sicherungsnehmer (z. B. der Gläubiger) nach außen unbeschränktes Eigentum, das im Verhältnis zum Sicherungsgeber (z. B. Schuldner) durch die Abrede der bloßen Sicherung beschränkt ist. In Österreich muss dabei Dritten erkennbar sein, dass die Sache der Besicherung einer Forderung dient, so dass insbesondere das Faustpfandprinzip analog angewandt wird, womit Übergabe in der Form der bloßen Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses, bei welcher der Sicherungsnehmer die Sache hat, ausgeschlossen (und damit das Sicherungseigentum tatsächlich uninteressant) ist.

e) Vorbehaltseigentum

Vorbehaltseigentum ist das von einem bisherigen Eigentümer auf Grund Vereinbarung vorbehaltene Eigentum. Der Vorbehalt dient grundsätzlich der Sicherung einer Forderung (z. B. eines Verkäufers) und verschafft dem Schuldner (nur) eine dingliche Anwartschaft auf das Eigentum. Das vertraglich unterschiedlich gestaltbare Vorbehaltseigentum (z. B. verlängerter Eigentumsvorbehalt, erweiterter Eigentumsvorbehalt) ist gesetzlich nicht geregelt.

f) Obereigentum, Nutzungseigentum (§ 363 ABGB)

Nach dem ältere Rechtszustände widerspiegelnden, überholten § 363 ABGB genießen die Rechte des Eigentümers auch unvollständige Eigentümer und zwar, sowohl Obereigentümer (z. B. früher Lehnsherrn) als auch Nutzungseigentümer (z. B. früher Lehnsleute), wobei der eine nichts vornehmen darf, was mit dem Rechte des anderen im Widerspruch steht.

3. Erwerb

Der Erwerb von Eigentum ist möglich und auch rechtstatsächlich sehr häufig. Dabei kann nach § 380 ABGB ohne Titel und ohne rechtliche Erwerbungsart kein Eigentum erlangt werden, so dass ein Erwerb immer einen Erwerbstitel (lat. titulus acquirendi) und eine Erwerbsart (lat. modus acquirendi) voraussetzt. Im Einzelnen sind dabei unmittelbarer Erwerb und mittelbarer Erwerb zu unterscheiden.

a) unmittelbarer Erwerb (originärer Erwerb, ursprünglicher Erwerb)

Unmittelbarer Eigentumserwerb ist der Erwerb von Eigentum ohne das Mittel eines Rechtsgeschäfts. Er dürfte in alten Zeiten die Regel gebildet haben. In der Gegenwart hat er teilweise seine Bedeutung verloren, kann aber nach wie vor auf verschiedene Weise erfolgen.

aa) Aneignung (Zueignung) freistehender Sachen

Freistehende Sachen als niemandem gehörige (herrenlose) Sachen können nach § 382 ABGB von allen Mitgliedern des Staates durch die Aneignung (Zueignung) erworben werden, soweit diese Befugnis nicht durch politische Gesetze eingeschränkt ist oder einigen Mitgliedern (nicht) das Vorrecht der Aneignung (Zueignung) zusteht (wie etwa den Jagdberechtigten bei dem herrenlosen Wild). Bei diesen in der Gegenwart kaum noch vorkommenden freistehenden Sachen ist der Erwerbstitel (lat. titulus acquirendi) die (dem Menschen) angeborene Freiheit, freistehende Sachen in Besitz zu nehmen. Erwerbsart (lat. modus acquirendi) ist die Aneignung (Zueignung), durch die man sich einer freistehenden Sache bemächtigt, in der Absicht, sie als die seinige zu behandeln, also die Besitzergreifung (§ 381 ABGB).

bb) Zuwachs

Nach § 404 ABGB heißt Zuwachs alles, was aus einer Sache entsteht oder neu zu derselben kommt, ohne dass es dem Eigentümer von jemand anderem übergeben worden ist (z. B. Beeren, Kräuter, Milch, Eier, Anlandung). Erwerbstitel ist die angeborene Freiheit, den Zuwachs in Besitz zu nehmen. Erwerbsart ist die Aneignung (Zueignung).

cc) Verarbeitung

Nach § 414 erhält, wer fremde Sachen verarbeitet, sie mit den seinigen vermengt oder vermischt, dadurch noch keinen Anspruch auf das fremde Eigentum. Wird aber eine neue Sache hergestellt, so wird an ihr (durch den bloßen modus bzw. Besitzergreifung) neu Eigentum erworben. Entscheidend ist dabei die Änderung der Zweckbestimmung und Brauchbarkeit der Sache durch Umgestaltung (z. B. Verwendung von Stoff für ein Kleidungsstück, Verwendung von Baumaterialien für ein Gebäude).

dd) Ersitzung

Ersitzung ist originärer (ursprünglicher) Erwerb von dinglichen Rechten (Eigentum, Dienstbarkeit, Reallast, Jagdrecht, Fischereirecht, Waldrecht, sofern nicht verpfändet, verliehen, in Verwahrung oder Fruchtnießung gegeben) durch (qualifizierten, rechtmäßigen, redlichen und echten) Besitz und Zeitablauf (§ 1452 ABGB). Jede Ersitzung enthält als Rechtserwerb zugleich einen Rechtsverlust des bisherigen Berechtigten durch Verjährung. Die ordentliche Ersitzung erfordert bei beweglichen Sachen einen Ablauf von drei Jahren, bei unbeweglichen Sachen von 30 Jahren.

b) mittelbarer Erwerb (derivativer Erwerb, abgeleiteter Erwerb)

Mittelbarer Erwerb ist nach § 423 ABGB der Erwerb von Sachen, die schon einen Eigentümer haben, durch Übergang auf eine rechtliche Art von dem bisherigen Eigentümer auf einen anderen Eigentümer. Der Erwerbstitel ist nach § 424 ABGB ein Vertrag, eine Verfügung auf den Todesfall, ein richterlicher Ausspruch oder eine Anordnung des Gesetzes, doch verschafft der bloße Titel noch kein Eigentum. Erwerbsart ist nach § 425 ABGB für das Eigentum (und alle dinglichen Rechte überhaupt) grundsätzlich nur die rechtliche Übergabe und Übernahme, die bei beweglichen Sachen und unbeweglichen Sachen in unterschiedlicher Weise erfolgt.

aa) bewegliche Sache

Bei beweglichen Sachen ist nach § 426 ABGB grundsätzlich eine Übergabe von Hand zu Hand erforderlich. Bei Schuldforderungen, Frachtgütern, Warenlagern oder anderen Gesamtsachen kann die Übergabe durch Zeichen erfolgen (§ 427 ABGB). Durch bloße Erklärung wird die Sache übergeben, wenn der Veräußerer sie künftig im Namen des Übernehmers innehaben will oder der bisher bloß ohne ein dingliches Recht innehabende Übernehmer die Sache künftig aus einem dinglichen Recht besitzen soll (§ 428 ABGB).

bb) unbewegliche Sache

Bei unbeweglichen Sachen muss (statt der nicht möglichen Übergabe) das Erwerbungsgeschäft in die dazu bestimmten öffentlichen Bücher eingetragen werden (Einverleibung [Eintragung in das Grundbuch mit Gutsbestandsblatt A, Eigentumsblatt B, Lastenblatt C] oder Intabulation z. B. in das bei Gericht im Rahmen der außerstreitigen Gerichtsbarkeit für dingliche oder verdinglichte Rechte an Grundstücken nach Katastralgemeinden wie z. B. Hötting geführte Grundbuch, § 431 ABGB, Eigentum, Dienstbarkeit, Reallast, Pfandrecht, dingliches Veräußerungsverbot, dingliches Belastungsverbot, Baurecht, Wiederkaufsrecht, Vorkaufsrecht, Bestandrecht). Dafür ist eine beglaubigte Urkunde über solche Erwerbsgeschäfte nötig (§ 432 ABGB). Nach § 433 ABGB muss der Übergeber in dieser oder einer besonderen Urkunde die ausdrückliche Erklärung abgeben, dass er in die Einverleibung einwillige (Aufsandung, Aufsandungserklärung).

4. Inhalt

Der Eigentümer darf mit seiner Sache (grundsätzlich) nach Belieben verfahren. Er darf Störungen anderer abwehren, bei Entziehung Herausgabe (§ 366 ABGB, Vindikationsanspruch, bei Störung Eigentumsfreiheitsklage) und bei Verletzungen Schadensersatz verlangen. Er darf sein Eigentum anderen übertragen, wobei Rechtsverhältnisse an Grundstücken regelmäßig durch Grundbucheintragung begründet und geändert werden müssen (Eintragungsgrundsatz).

5) Beendigung

Das Eigentum endet durch Übertragung (Übereignung) durch den bisherigen Eigentümer (Veräußerer) auf einen neuen Eigentümer (Erwerber), wobei auch die Enteignung gegen den Willen des bisherigen Eigentümers zum allgemeinen Besten und gegen angemessene Schadloshaltung zu Gunsten einen neuen Eigentümers möglich ist (§ 365 ABGB). In Betracht kommt grundsätzlich auch die einfache einseitige Eigentumsaufgabe (Dereliktion). Mit dem Untergang einer Sache (z. B. durch Essen oder Trinken) geht auch das Eigentum an ihr unter.

 

III. Beschränkte dingliche Rechte (z. B. Pfand)

Neben dem Eigentum als dem Vollrecht gibt es an Sachen auch beschränkte dingliche Rechte. Bei ihnen hat der Berechtigte neben dem verbleibenden Eigentümer ein eingeschränktes Herrschaftsrecht über die Sache. Ein Beispiel hierfür ist das Pfand oder Pfandrecht.

1. Wesen

Das Pfandrecht ist das dingliche Recht, das dem Gläubiger eingeräumt wird, aus einer Sache (des Schuldners oder eines Dritten), wenn die Verbindlichkeit zur bestimmten Zeit nicht erfüllt wird, die Befriedigung zu erlangen (§ 447 ABGB). Zur Sicherung einer Forderung eines Gläubigers gegen einen Schuldner wird also zusätzlich ein dingliches, gegen jedermann geschütztes Befriedigungsrecht an einer Sache (im weiten Sinn also z. B. auch an einem Lohnanspruch aus einem Dienstvertrag) begründet. Die Sache, worauf dem Gläubiger dieses Recht zusteht, heißt Pfand (§ 447 ABGB).

2. Arten

Nach § 448 ABGB kann als Pfand jede Sache dienen, die im Verkehr steht. Ist sie beweglich, so wird sie Handpfand (Faustpfand) oder Pfand im engeren Sinn genannt. Ist sie unbeweglich, so heißt sie Grundpfand oder Hypothek und gelangt nicht in den Besitz des Pfandgläubigers (mehrfache Verpfändung häufig, wichtig das Rangprinzip der mehreren Hypotheken [wer zuerst kommt, mahlt grundsätzlich zuerst]).

3. Erwerb

Der Erwerb eines Pfandrechts erfordert einen Erwerbstitel und eine Erwerbsart

a) Erwerbstitel

Erwerbstitel kann nach § 450 ABGB ein Vertrag (z. B. Verpfändung, Pfandvertrag zwischen dem Eigentümer der Pfandsache und dem Gläubiger, §§ 1368ff. ABGB), ein Vermächtnis, eine gerichtliche Entscheidung oder eine gesetzliche Vorschrift (gesetzliches Pfandrecht z. B. des Vermieters) sein.

b) Erwerbsart

Erwerbsart sind grundsätzlich (bei einer beweglichen und deswegen vom Schuldner oder Dritten als Eigentümer dem Pfandgläubiger übergebbaren Sache) die körperliche Übergabe, (und bei einer unbeweglichen und deswegen bei dem Eigentümer verbleibenden Sache) die Einverleibung oder gerichtliche Urkundenhinterlegung sowie die symbolische Übergabe, nicht aber die Begründung eines Besitzmittelungsverhältnisses.

4. Inhalt

Das Pfandrecht ist ein Sicherungsmittel. Leistet der Schuldner nicht rechtzeitig, so erfolgt bei Pfandreife die Verwertung dieses Sicherungsmittels. Sie geschieht grundsätzlich durch gerichtliche Feilbietung (§ 461 ABGB).

5. Erlöschen

Das Pfandrecht erlischt durch Tilgung der Schuld, weil nach Erlöschen der Schuld keine Sicherung der Schuld mehr nötig und möglich ist. Die Beteiligten können aber auch einvernehmlich die Aufhebung beschließen. Außerdem endet das Pfandrecht durch Rückgabe des Faustpfands vom Pfandgläubiger an den Eigentümer und durch Untergang der Pfandsache.


§ 10 Familie, Erbe, Unternehmen, Arbeit, Erfindung

A) Familie

I. Ehe

II. Kind

B) Erbe

C) Unternehmen (Handel)

I. Unternehmer

II. Gesellschaft

III. Unternehmensbezogenes Geschäft

D) Arbeit

E) Erfindung

 

Neben Person, Schuld und Sache als den Kerneinrichtungen des Privatrechts lassen sich auch Familie, Erbe, Unternehmen (Handel), Arbeit und Erfindung als wichtige Mittelpunkte eigener Rechtsgebiete erkennen. Sie sind weltweit von großer Bedeutung. Deswegen ist auch ihre Einbeziehung in eine Einführung in die Rechtswissenschaft angezeigt.

 

A) Familie

Der Mensch entsteht als Kind aus der Verbindung von Mann und Frau. Dies ist eine weltweit seit der Entwicklung des Menschen bestehende natürliche Gegebenheit mit zahlreichen individuellen Abwandlungen. Sie ist als eigene Einrichtung (Familie) allmählich verrechtlicht und seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in der deutschen Rechtswissenschaft als eigenes Rechtsgebiet mit den Teilen Ehe, Kindschaft und Vormundschaft (2001 in Österreich durch das Kindschaftsrechtsänderungsgesetz aufgehoben und ersetzt durch Obsorge einer anderen Person) verselbständigt worden.

Nach § 40 ABGB werden unter Familie die Stammeltern mit allen ihren Nachkommen verstanden. Die Verbindung zwischen diesen Personen wird Verwandtschaft genannt (z. B. Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Enkel, Enkelin, Großmutter, Großvater, Bruder, Schwester, Onkel, Tante, Vetter, Base, Nichte, Neffe, Urgroßmutter, Urenkel). Die Verbindung, die zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen Ehegatten entsteht, heißt Schwägerschaft.

 

I. Ehe

1. Wesen

Nach § 44 ABGB ist Ehe die durch Vertrag entstehende Verbindung zweier Menschen verschiedenen Geschlechts (Mann und Frau) zu den Zwecken des Zusammenlebens(, des Kinderzeugens und Kindererziehens) sowie des Leistens gegenseitigen Beistands. Die Ehe ist Einehe (im Gegensatz zur Mehrehe) und Zivilehe (vor einer weltlichen Behörde geschlossene Ehe im Gegensatz zur nach Kirchenrecht geschlossenen kirchlichen Ehe). Keine Ehe ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft oder (bisher) die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft, die seit 1. 1. 2010 als eingetragene Partnerschaft mit gegenseitigen Rechten und Pflichten auf Dauer nach dem eingetragene Partnerschaftsgesetz begründet werden kann.

Das Eherecht war ursprünglich in den §§ 44ff. ABGB (entsprechend den Vorstellungen der katholischen Kirche) geregelt. Anlässlich des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich wurde am 6. 7. 1938 zwecks Rechtsvereinheitlichung vom Deutschen Reich das besondere Ehegesetz (EheG) geschaffen, das zum 1. 8. 1938 in Kraft trat. Seine Bestimmungen ersetzen viele ursprüngliche Vorschriften des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs.

2. Entstehung

Die (früher regelmäßig einer Verlobung als einem vorläufigen, nicht verpflichtenden Eheversprechen zeitlich nachfolgende) Eheschließung erfolgt nach § 17 I EheG dadurch, dass ein Mann und eine Frau (die Verlobten) vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen, wobei die Nichteinhaltung der Formvorschrift Ehenichtigkeit (Vernichtbarkeit) bewirkt. Es sind also zwei Willenserklärungen erforderlich. Sie müssen während gleichzeitiger Anwesenheit vor dem staatlichen(, im späten 19. Jahrhundert im Kulturkampf als Ersatz für den Pfarrer oder Priester eingeführten) Standesbeamten ohne Möglichkeit der Stellvertretung abgegeben werden.

Voraussetzung der Eheschließung ist Ehegeschäftsfähigkeit, weshalb beschränkt Geschäftsfähige der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und des Erziehungsberechtigten bedürfen. Ehemündigkeit wird grundsätzlich mit Vollendung des 18. Lebensjahrs erreicht, kann aber auf Antrag eines Minderjährigen durch das zuständige Gericht erklärt werden, wenn der Antragsteller das 16. Lebensjahr vollendet hat, für die Ehe reif erscheint und der andere Ehewillige volljährig ist.

Weitere Voraussetzung ist das Fehlen von Eheverboten. Zu ihnen zählen nahe Blutsverwandtschaft (§ 6 EheG) und Doppelehe (§ 8 EheG) sowie das Bestehen einer eingetragenen Partnerschaft (§ 9 EheG) und Adoption. Sie begründen Ehenichtigkeit (Vernichtbarkeit).

3. Inhalt

Die Eheschließung bewirkt nach § 89 ABGB im Verhältnis der Ehegatten zueinander (seit 1975) grundsätzlich gleiche Rechte und Pflichten. Nach § 90 I ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders zum gemeinsamen Wohnen, sowie zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand verpflichtet. Ein gemeinsamer Name ist nicht nötig. Für das Ehegüterrecht gilt nach § 1327 ABGB als Grundsatz die Gütertrennung (§§ 81ff. EheG beschränkte Zugewinngemeinschaft), bei der jedem Ehegatten seine Güter allein gehören, doch kann durch Vertrag auch der Güterstand der Gütergemeinschaft (§§ 1233ff. ABGB) vereinbart werden.

4. Beendigung

Die Ehe endet durch den Tod eines Ehegatten. Mit zunehmender Häufigkeit werden Ehen aber auch durch Ehescheidung beendet, wobei einvernehmliche Scheidung (§ 55a EheG, gemeinsamer Ehescheidungsantrag bei dem Außerstreitgericht), Scheidung wegen Verschuldens und dadurch verursachter Zerrüttung (§§ 49ff. EheG, schwere Eheverfehlung wie Ehebruch, Zufügung körperlicher Gewalt, Zufügung schweren seelischen Leides) und Scheidung aus anderen Gründen (§§ 50ff. EheG, z. B. Auflösung der häuslichen Gemeinschaft seit mindestens drei Jahren und tiefgreifende Zerrüttung) möglich sind. Außerdem kann die Ehe durch Nichtigerklärung (bei bestimmten Gründen auf Klage) und Aufhebung (bei bestimmten innerhalb einer Frist durch Klage geltend gemachten Gründen) enden.

Wichtige Folgen können Aufteilung von Ehevermögen, langjährige Unterhaltsansprüche eines Unterhaltsberechtigten in Form einer monatlich zu zahlenden Geldrente (z. B. der Frau) gegen einen Unterhaltsverpflichteten (z. B. den Mann bis zu einer Wiederverheiratung) oder gemeinsame oder alleinige Obsorge für Kinder sein.

 

II. Kind

1. Wesen

Kind ist der Abkömmling eines Menschen bzw. zweier Menschen, wobei die Mutter grundsätzlich feststeht, während der (natürliche) Vater ungewiss und der rechtliche Vater feststellbar sein kann. Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch verwendet das Wort Kind nicht einheitlich, sondern meint vereinzelt mit Kind auch Enkel und Urenkel. Kind als Abkömmling seiner Eltern bleibt der Mensch lebenslang, Kind als Altersstufe ist er bis zur Vollendung des siebenten Lebensjahrs.

2. Arten

Ein Kind ist nach § 138c I ABGB ehelich, wenn es während der Ehe der Mutter mit dem Vater oder wenn es innerhalb von 300 Tagen nach dem Tod des Ehemanns der Mutter geboren wird. Andernfalls ist es nach § 138c I ABGB unehelich. Es wird nach § 138d ABGB ehelich, wenn es innerhalb von 300 Tagen nach Scheidung oder Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe geboren wird und der frühere Ehemann der Mutter die Vaterschaft anerkennt oder im Rahmen einer Vaterschaftsfeststellung durch das Gericht als Vater festgestellt wird.

Das eheliche Kind hat grundsätzlich eine andere Rechtsstellung als das uneheliche Kind.

3. Rechtsverhältnis

Mit der Geburt des ehelichen Kindes entsteht zwischen dem Kind und seinen Eltern das Kindschaftsverhältnis. Mit der Geburt des unehelichen Kindes entsteht zwischen dem Kind und der Mutter das Kindschaftsverhältnis. Das Kindschaftsverhältnis umfasst Rechte und Pflichten der Beteiligten.

a) Rechtsverhältnis zwischen Eltern und ehelichen Kindern

Das Kind erhält nach § 139 ABGB den gemeinsamen Familiennamen der Eltern, bei Fehlen eines gemeinsamen Familiennamens den von den Eltern bestimmten Familiennamen eines Elters, bei Fehlen der gemeinsamen Bestimmung den Familiennamen des Vaters. Die Eltern haben dem Kind nach den §§ 140ff. ABGB anteilig angemessenen Unterhalt zu leisten, wobei die Mutter grundsätzlich das Kind kriegt und vielfach allein der Vater zahlt. Die Eltern haben nach den §§ 144ff. ABGB das minderjährige Kind zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es in allen Angelegenheiten zu vertreten, wobei nach § 154 I ABGB jeder Elter für sich allein zur Vertretung berechtigt und verpflichtet ist.

b) Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und unehelichen Kindern

Das uneheliche Kind erhält den Familiennamen der Mutter (§ 165 ABGB). Mit der Obsorge für das uneheliche Kind ist die Mutter allein betraut (§ 166 S. 1 ABGB), doch gelten im Übrigen im Zweifel die das eheliche Kind betreffenden Bestimmungen über den Unterhalt und die Obsorge auch für das uneheliche Kind. Der Vater ist nach § 168 ABGB verpflichtet, der Mutter die Kosten der Entbindung und die Kosten ihres Unterhalts für die ersten sechs Wochen nach der Entbindung zu ersetzen.

c) Obsorge einer anderen Person

Nach § 187 ABGB hat, soweit weder Eltern noch Großeltern oder Pflegeeltern mit der Obsorge betraut sind oder betraut werden können und kein Fall des § 211 ABGB vorliegt, das Gericht unter Beachtung des Wohles des Kindes eine andere geeignete Person mit der Obsorge zu betrauen, wobei dem Jugendwohlfahrtsträger eine Auffangfunktion zukommt. Der Träger der Obsorge muss nach § 166 ABGB in wichtigen Angelegenheiten die Genehmigung des Gerichts einholen. Das Gericht hat nach § 229 ABGB die Tätigkeit der mit der gesetzlichen Vertretung in Angelegenheiten der Vermögensverwaltung betrauten Person zu überwachen.

 

B) Erbe

I. Wesen

Das Erbe ist das (ihn überdauernde) Vermögen eines Menschen im Zeitpunkt seines Todes, weshalb es ohne Privatvermögensrecht (vor allem Eigentum) auch kein Erbrecht als objektives Recht gibt. Der Erbe ist die (natürliche oder juristische) Person, auf die dieses Vermögen, das auch als Erbschaft, Verlassenschaft oder Nachlass bezeichnet werden kann, nach den gesetzlichen Bestimmungen des Privatrechts als Ganzes (Alleinerbe) oder als Teil (Erbteil eines von mehreren Erben [Miterben]) übergeht, wenn der Betreffende den Erblasser überlebt. Erblasser ist der Verstorbene, Erbfall der Tod des Erblassers, Erbfolge die Nachfolge (Gesamtrechtsnachfolge, Universalsukzession) des einzigen oder der mehreren Erben in das vom Erblasser hinterlassene Vermögen, wobei bis zum Tod des Erblassers grundsätzlich kein subjektives Erbrecht, sondern nur eine bloße Erbaussicht besteht.

 

II. Arten

Gesetzlicher Erbe ist der allein auf Grund gesetzlicher Bestimmungen (kraft Gesetzes) zur Erbfolge Berufene. Gewillkürter Erbe ist der auf Grund einer auf der allgemein anerkannten Testierfreiheit beruhenden Willenserklärung (Erbeinsetzung) des Erblassers zur Erbfolge Berufene. Die gewillkürte Erbfolge geht der gesetzlichen Erbfolge vor, doch haben bestimmte gesetzliche Erben einen Anspruch auf einen Mindestanteil am Erbe (Pflichtteil) und kann die gewillkürte Erbfolge auf einen Teil des Nachlasses beschränkt sein, so dass gesetzliche Erbfolge und gewillkürte Erbfolge bei einem Erbfall auch nebeneinander eintreten können (§ 554 ABGB).

Für bäuerliche Betriebe gilt in einzelnen Bundesländern bäuerliches Sondererbrecht (z. B. Tiroler Höfegesetz von 1900)

 

III. Gesetzliche Erbfolge

Gesetzliche Erben sind der Ehegatte und die Menschen, die mit dem Erblasser in nächster Linie verwandt sind (§ 730 ABGB). Es gilt also grundsätzlich die im 18. Jahrhundert gedanklich entwickelte Erbfolge nach Linien oder Parentelen (Familienschaften). Dabei werden insgesamt vier Parentelen oder Linien unterschieden, wobei die nähere Linie jede entferntere Linie ausschließt und innerhalb der Linien die Nähe des Verwandtschaftsgrads (Zahl der die Verwandtschaft vermittelnden Geburten) entscheidet (z. B. Geschwister im zweiten Grad verwandt, Vettern im vierten Grad).

Zur ersten Linie gehören nach § 731 ABGB die (ehelichen und unehelichen) Kinder des Erblassers und ihre Nachkömmlinge (also die Enkel, Urenkel u. s. w. des Erblassers). Zur zweiten Linie gehören die Eltern des Erblassers und deren Nachkömmlinge (also die Geschwister des Erblassers und deren Nachkömmlinge). Zur dritten Linie gehören die Großeltern des Erblassers und deren Nachkömmlinge, zur vierten Linie nur die Urgroßeltern des Erblassers (nicht mehr aber deren Abkömmlinge, Grenze des Verwandtschaftserbrechts).

Hat der Erblasser Kinder, so erben sie nach § 732 innerhalb der Verwandten allein. Mehrere Kinder erben zu gleichen Teilen (Miterben). Kinder lebender Kinder sind von der Erbfolge ausgeschlossen, doch treten Kinder vorverstorbener Kinder an die Stelle ihres vorverstorbenen Elters (Eintrittsrecht).

Fehlen Kinder und deren Nachkömmlinge, so erben noch lebende Eltern zu gleichen Teilen (§ 735 ABGB). An die Stelle eines vorverstorbenen Elters treten dessen Nachkömmlinge. Hat einer der vorverstorbenen Eltern des Erblassers keine Nachkömmlinge, fällt die ganze Erbschaft dem andern noch lebenden Elter bzw. bei seinem Vorversterben seinen Nachkömmlingen zu.

Der Ehegatte des Erblassers (bzw. der eingetragene Partner) erbt nach § 757 ABGB neben den Verwandten. Neben Kindern des Erblassers und deren Nachkommen erbt er ein Drittel des Nachlasses, neben Eltern und Geschwistern des Erblassers oder neben Großeltern (mindestens) zwei Drittel. In den übrigen Fällen erhält der Ehegatte (bzw. der eingetragene Partner) den ganzen Nachlass.

Bei Fehlen eines überlebenden Ehegatten (bzw. eingetragenen Partners) und überlebender erbberechtigter Verwandter beerbt der Staat (Fiskus) den Erblasser (§ 760 ABGB, erbloses Gut).

 

IV. Gewillkürte Erbfolge

In Anerkennung der Privatautonomie gestattet die Rechtsordnung dem (mindestens mündigen und damit grundsätzlich testierfähigen) Erblasser die Abänderung der gesetzlichen Erbfolge durch Rechtsgeschäft, die etwa in einem Viertel aller Erbfälle erfolgt. Möglich sind Testament oder Erbvertrag. Sie können den gesamten Nachlass oder einen bestimmten Teil des Nachlasses betreffen (z. B. Hälfte, Drittel, Viertel, aber nicht einen einzelnen Gegenstand) und gehen der gesetzlichen Erbfolge vor.

1. Testament

Das aus dem römischen Recht kommende Testament ist eine letztwillige, nicht empfangsbedürftige Verfügung, durch die der Erblasser einen gesetzlichen Erben oder einige oder alle gesetzliche Erben enterben und andere Personen als Erben (auf das gesamte Vermögen oder einen Teil des Vermögens) einsetzen oder mit Vermächtnissen (Zuwendungen einzelner Vermögensgegenstände in Form eines schuldrechtlichen Leistungsanspruchs des Vermächtnisnehmers gegen den Erben, Einzelrechtsnachfolge, Singularsukzession) ausstatten kann. Das Testament wird als einseitiges Rechtsgeschäft eingeordnet, das sehr strengen Formvorschriften unterliegt und jederzeit einseitig (z. B. durch Zerreißen oder Schreiben eines neuen Testaments) abgeändert oder aufgehoben werden kann. Mögliche Formen sind das eigenhändige (holographische) Testament (§ 578 ABGB), das vom Erblasser eigenhändig geschrieben und unterschrieben werden muss, das fremdhändige Testament (eigenhändige Unterschrift des Erblassers und dreier volljähriger, im Testament nicht bedachter Zeugen, § 579 ABGB), das mündliche Zeugentestament (§§ 584ff. ABGB) und öffentliche, vor Gericht mündlich oder durch Übergabe eines Schriftstücks zu errichtende Testamente.

Eine letztwillige Verfügung, durch die kein Erbe eingesetzt wird, heißt Kodizill (§ 553 ABGB).

2. Erbvertrag

Nach § 602 ABGB kann ein Erbvertrag über die ganze Verlassenschaft oder einen in Beziehung auf das Ganze bestimmten Teil derselben nur von Ehegatten (und Brautpersonen) und nur in bestimmter Form errichtet werden, wobei aber nur über drei Viertel des Nachlasses verfügt werden darf. Er bindet grundsätzlich den Vertragspartner. Vielfach setzen sich die Beteiligten (Ehegatten) gegenseitig zu Erben ein.

3. Pflichtteil

Pflichtteil ist ein Anspruch, der bestimmten nahen Verwandten des Erblassers (so genannten Noterben oder Pflichtteilsberechtigten) zusteht, wenn der Erblasser ihnen durch Testament oder Erbvertrag ihren gesetzlichen Erbteil entzogen hat. Pflichtteilsberechtigt sind nach § 762 ABGB die Kinder (und sonstigen Nachkömmlinge) des Erblassers, (in Ermangelung von Kindern) die Eltern des Erblassers und der Ehegatte bzw. eingetragene Partner des Erblassers. Als Pflichtteil gebührt jedem Kind und dem Ehegatten bzw. eingetragenen Partner die Hälfte dessen, was ihm nach der gesetzlichen Erbfolge zugefallen wäre, Pflichtteilsberechtigten der aufsteigenden Linie (Eltern) ein Drittel dessen, was sie nach der gesetzlichen Erbfolge erhalten haben würden.

Der Pflichtteilsanspruch ist kein Erbrecht, sondern ein schuldrechtlicher Anspruch in Geld auf den Wert. Er richtet sich gegen den Nachlass bzw. bei bereits erfolgter Einantwortung gegen den Erben. Er kann nur ausnahmsweise entzogen werden.

 

V. Antritt des Erbes

Das Erbe fällt dem Erben (anders als in Deutschland) nicht mit dem Erbfall an. Vielmehr ist nach § 797 ABGB eine besondere gerichtliche Einantwortung erforderlich. Sie erfolgt im besonderen, in Todfallsaufnahme (durch einen Notar, [Möglichkeit der] Abtuung armutshalber bei Fehlen nennenswerten Vermögens in drei Vierteln aller Erbfälle) und Verlassenschaftsabhandlung gegliederten Verlassenschaftsverfahren nach dem Außerstreitverfahrensgesetz vor dem örtlich zuständigen Bezirksgericht, an welches das örtlich zuständige Standesamt eine Abschrift der Sterbeurkunde des Erblassers sendet.

Der Erbe muss das Erbe ausschlagen, wenn er es nicht annehmen will. Er muss es besonders annehmen, wenn er es annehmen will. Nach der Annahme kann die gerichtliche Einantwortung erfolgen.

Auch für den Erwerb eines Erbes gilt dabei die Lehre von Erwerbstitel und Erwerbsart. Titel ist der jeweilige Berufungsgrund (gesetzliche Erbfolge, gewillkürte Erbfolge, § 799 ABGB). Erwerbsart ist die gerichtliche Einweisung in das Erbrecht im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens (Einantwortung), wobei zwischen dem Tod des Erblassers und der Annahme durch den Erben die Erbschaft (Verlassenschaft) als noch vom Verstorbenen besessen und als eine Art juristischer Person (ruhender Nachlass) selbst als Rechtsträger gilt und mit der gerichtlichen Einantwortung in den rechtlichen Besitz die Übergabe erfolgt.

Grundsätzlich haftet der Erbe für die Schulden des Erblassers auch mit seinem eigenen Vermögen. Er kann die Haftung aber auf das Erbe (Vermögen des Erblassers) beschränken. Dann darf er das Erbe nur unter dem Vorbehalt der Errichtung eines Inventars, in dem er alle im Nachlass enthaltenen Gegenstände, Rechte und Pflichten verzeichnet, annehmen.

 

C) Unternehmen (Handel)

Das Recht des Handels, welches das allgemeine Privatrecht nicht vollständig beseitigt, sondern nur in einzelnen Beziehungen für Unternehmer verändert und ergänzt, wurde erstmals von Napoleon in Frankreich (1807) in einem eigenen Gesetzbuch geordnet (Code de commerce, Handelsgesetzbuch). In der Folge entstand 1861 ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch, das in allen Staaten des Deutschen Bundes (z. B. Österreich, Preußen, Bayern u. s. w.) auf Grund politischer Vereinbarungen mit gleichem Inhalt erlassen wurde. 1938 wurde nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich das (1897 geänderte) Handelsgesetzbuch des 1871 geschaffenen Deutschen Reiches in Österreich eingeführt, aber 2005 unterscheidend novelliert und in das in fünf Bücher eingeteilte Unternehmensgesetzbuch (UGB) mit Wirkung ab 2007 umbenannt, wobei statt des bisherigen Kaufmanns der Unternehmer als Anknüpfungspunkt verwendet wurde.

 

I. Unternehmer

Nach § 1 I UGB ist Unternehmer, wer ein Unternehmen betreibt. Ein Unternehmen ist grundsätzlich jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn eingerichtet sein. Nach § 2 UGB sind Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Erwerbsgenossenschaften und Wirtschaftsgenossenschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, Sparkassen, Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigungen (EWIV), Europäische Gesellschaften (SE) und Europäische Genossenschaften (SCE) Unternehmer kraft Rechtsform und gelten nach § 3 UGB Personen, die zu Unrecht in das Firmenbuch (früher Handelsregister) eingetragen und unter ihrer Firma handeln, als Unternehmen kraft Eintragung.

Für Unternehmen sind (im Gegensatz zu sonstigen natürlichen und juristischen Personen) einige besondere Vorschriften anzuwenden. Sie sind vielfach strenger. Sie betreffen im ersten Buch etwa die Firma als den im Handel verwendeten Namen des Unternehmers, die Prokura als besondere unternehmensrechtliche Vollmacht des Prokuristen, im zweiten Buch die Handelsgesellschaft, im dritten Buch die Rechnungslegung (mit Bilanzierung) oder im vierten Buch die unternehmensbezogenen Geschäfte.

 

II. Gesellschaft

1. Offene Gesellschaft

Die offene Gesellschaft (früher offene Handelsgesellschaft) ist nach § 105 UGB eine unter eigener Firma geführte (rechtsfähige) Gesellschaft, bei der die Gesellschafter gesamthandschaftlich verbunden sind und bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist. Nach dem deutschen Gesamthandsprinzip des (deutschen) Handelsgesetzbuchs sind nur die Gesellschaftsanteile gestaltet. Das Gesellschaftsvermögen steht im Alleineigentum der Gesellschaft.

2. Kommanditgesellschaft

Die Kommanditgesellschaft ist nach § 161 UGB eine (auf der gesetzlichen Regelung der offenen Gesellschaft aufbauende) unter eigener Firma geführte (rechtsfähige) Gesellschaft, bei der die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern bei einem Teil der Gesellschafter auf einen bestimmten Betrag (Haftsumme) beschränkt ist (Kommanditisten), bei einem andern Teil dagegen unbeschränkt ist (Komplementäre).

3. Aktiengesellschaft

Die Aktiengesellschaft (AG), für die das besondere Aktiengesetz gilt, ist eine wirtschaftlich sehr wichtige Gesellschaft (Kapitalgesellschaft) mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person), deren Gesellschafter mit Einlagen auf das in Aktien zerlegte Grundkapital (mindestens 70000 Euro)  beteiligt sind, ohne mit ihrem Privatvermögen persönlich für Schulden der Gesellschaft zu haften (Einpersonengesellschaft möglich).

4. Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Die 1892 in Deutschland geschaffene Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH oder in Österreich auch GesmbH), die 1906 in Österreich mit einem eigenen Gesetz eingeführt wurde, ist eine (weit verbreitete) Gesellschaft (Kapitalgesellschaft) mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person), deren Gesellschafter mit Einlagen auf das in Geschäftsanteile zerlegte Stammkapital beteiligt sind, ohne mit ihrem Privatvermögen für die Schulden der Gesellschaft zu haften (Einpersonengesellschaft möglich). Das Stammkapital muss mindestens 35.000 Euro umfassen, wovon mindestens die Hälfte (17.500 Euro) durch bar zu leistende Stammeinlagen aufgebracht werden muss. Die Schaffung einer „Klein-GmbH“ mit nur 10.000 Euro Stammkapital ist im Juli 2013 erfolgt.

5. Europäische Gesellschaft (Societas Europaea - SE)

Die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea - SE) ist eine Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person). Sie entsteht durch Neugründung oder auch durch Verschmelzung oder Umwandlung und ist eine der Aktiengesellschaft weitgehend entsprechende Rechtsform. Wesentliche Merkmale der Europäischen Gesellschaft (SE) sind die örtliche Flexibilität hinsichtlich des Gesellschaftssitzes und die wirtschaftliche Tätigkeit in mehr als nur einem Staat. Das Mindestkapital beträgt 120.000 Euro. Eine Besonderheit der Europäischen Gesellschaft (SE) besteht darin, dass sie hinsichtlich ihrer inneren Verfassung zwischen dem dualistischen und dem monistischen System wählen kann. Das dualistische System entspricht dem Aufbau der Aktiengesellschaft mit Vorstand und Aufsichtsrat. Im monistischen System wird die Aufgabe der Geschäftsführung und deren Kontrolle von einem einheitlichen Organ, dem Verwaltungsrat, besorgt. Innerhalb dieses Organs kann aber die Satzung vorsehen, dass einzelnen Mitgliedern des Verwaltungsrats die Geschäftsführung übertragen wird (geschäftsführende Direktoren), während die übrigen Mitglieder überwachende Funktionen übernehmen. Eine bekannte österreichische Europäische Gesellschaft (SE) ist der börsennotierte Baukonzern STRABAG SE.

6. Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften

Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften sind Vereine von nicht geschlossener Mitgliederzahl, die im Wesentlichen der Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder dienen. Die Genossenschaft ist eine Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person). Die Tätigkeit der Genossenschaft muss in erster Linie auf die Abgabe der von ihr erbrachten Leistungen an ihre Mitglieder zu Selbstkostenpreisen gerichtet sein. Erzielt eine Genossenschaft einen Gewinn, kann dieser nach Maßgabe des Genossenschaftsvertrags dem für die Selbstfinanzierung gebildeten Reservefonds zugeführt oder an die Mitglieder verteilt werden. Die Verteilung des Gewinns in Form von Vergütungen oder Nachzahlungen ist möglich. Einzelne Beispiele sind etwa Kreditgenossenschaft, Einkaufsgenossenschaft, Verkaufsgenossenschaft, Konsumgenossenschaft, Verwertungsgenossenschaft, Nutzungs­genossenschaft, Baugenossenschaft, Wohnungsgenossenschaft und Siedlungsgenossenschaft. Viele Banken im ländlichen Raum werden als Raiffeisenbank-Genossenschaften geführt.

7. Stille Gesellschaft

Die stille Gesellschaft ist nach § 179 UGB nur ein Schuldverhältnis zwischen einem Inhaber eines Unternehmens und einem stillen Gesellschafter (reine Innengesellschaft) .

8. Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung

Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung ist eine durch die Europäische Gemeinschaft bzw. Europäische Union ermöglichte besondere europäische Unternehmensform.

 

III. Unternehmensbezogenes Geschäft

Neben den allgemeinen bürgerlichrechtlichen Schuldverhältnissen kennt das Unternehmensrecht besondere unternehmensbezogene Geschäfte. Hierher gehören etwa der Warenkauf (§ 373 UGB, früher Handelskauf, besondere Notwendigkeit der sofortigen Mängelrüge bei zweiseitigen unternehmensbezogenen Rechtsgeschäften), die Kommission (§ 383 UGB), die Spedition (§ 407 UGB), das Lagergeschäft (§ 416 UGB) und das Frachtgeschäft (§ 425 UGB). Allgemein sind nach § 343 II UGB unternehmensbezogene Geschäfte alle Geschäfte eines Unternehmers, die zum Betrieb seines Unternehmens gehören.

 

D) Arbeit

I. Wesen

Arbeit ist die unselbständige fremdbestimmte Tätigkeit. Zwar arbeiten Menschen seit Entstehung der Menschheit (für sich), unselbständige fremdbestimmte Tätigkeit wird aber in älteren Zeiten vor allem in den Formen der Sklaverei und Hörigkeit erbracht. Erst mit der Bauernbefreiung als Folge der französischen Revolution des Jahres 1789 findet Arbeit freier Menschen für andere in unselbständiger, fremdbestimmter Form auf Grund eines Vertrags in großem Umfang statt.

Dementsprechend ist zwar im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch des Jahres 1811 der bereits den Römern bekannte Dienstvertrag geregelt. Das Arbeitsrecht als das für die Arbeit und den zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsvertrag geltende Recht hat sich aber seit dem 19. Jahrhundert im Wesentlichen außerhalb des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs als Sonderprivatrecht entwickelt. Bedeutsame Arbeitsrechtsgesetze sind das Angestelltengesetz, das Vertragsbedienstetengesetz, das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz, das Arbeitsverfassungsgesetz, das Urlaubsgesetz, das Arbeitnehmerschutzgesetz, das Mutterschutzgesetz, das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz u. s. w., während ein zusammenfassendes Arbeitsgesetzbuch fehlt, wobei das gesamte Arbeitsrecht teils öffentliches Recht, teils Privatrecht ist und vor allem in das Kollektivarbeitsrecht und das Individualarbeitsrecht gegliedert werden kann, zu denen noch das besondere Arbeitsverfahrensrecht (nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz ASGG) kommt.

 

II. Kollektivarbeitsrecht

Kollektivarbeitsrecht ist der Bereich des Arbeitsrechts, in dem die Beteiligten (Arbeitnehmer und Arbeitgeber) als Kollektiv (Gruppe) handeln (können) (Kollektivvertragsrecht, Betriebsverfassungsrecht). Seine Entstehung beruht darauf, dass der einzelne Arbeitnehmer als Individuum sozial zu schwach ist, um mit Aussicht auf Erfolg mit einem sozial starken Arbeitgeber über Vertragsbedingungen (z. B. Lohn) verhandeln zu können. Deswegen haben sich nach der industriellen Revolution an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert Arbeitnehmer (zuerst in England) zu Kollektiven (Gewerkschaften) vereinigt, die mit dem Arbeitgeber oder mit mehreren Arbeitgebern über Arbeitsbedingungen verhandeln.

Kollektivvertrag ist dementsprechend der von einem Arbeitgeber (sehr selten, Unternehmenskollektivvertrag, z. B. ORF) oder mehreren Arbeitgebern (Kollektiv Arbeitgeberverband) mit Vertretern von Arbeitnehmern (Kollektiv Gewerkschaft) auf Grund der vom Staat anerkannten Kollektivautonomie (Tarifautonomie) abgeschlossene Vertrag (z. B. zwischen Österreichischem Gewerkschaftsbund und Wirtschaftskammer, wichtige Gegenstände Mindestentgelt, Arbeitszeit). Er ist Normenvertrag. Von seinem Inhalt darf der Inhalt eines einzelnen Arbeitsvertrags (Individualarbeitsvertrags) zwischen einem einzelnen Arbeitgeber und einem einzelnen Arbeitnehmer grundsätzlich nur zu Gunsten des Arbeitnehmers abweichen.

 

III. Individualarbeitsrecht

Individualarbeitsrecht ist das die Beziehungen zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer (z. B. Angestellten, Arbeiter) betreffende Recht (für Beamte gilt öffentliches Dienstrecht). Der einzelne Arbeitsvertrag über das einzelne Arbeitsverhältnis unterliegt dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser ist aber durch das Kollektivarbeitsrecht eingeschränkt.

Das einzelne Arbeitsverhältnis entsteht grundsätzlich durch Abschluss eines einzelnen Arbeitsvertrags (Dienstvertrags § 1151 ABGB) zwischen einem einzelnen Arbeitgeber und einem einzelnen Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich darin gegenüber dem Arbeitgeber zur Leistung fremdbestimmter unselbständiger Tätigkeit unterschiedlichster Art. Der Arbeitgeber verpflichtet sich zu Zahlung von Lohn (z. B. Zeitlohn, Stücklohn oder Akkordlohn) für die unselbständige fremdbestimmte Tätigkeit, wobei der Grundsatz gilt „ohne Arbeit kein Lohn“, weshalb der Lohn grundsätzlich erst nach Leistung von Arbeit zu zahlen ist.

Das Arbeitsverhältnis ist ein meist auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Dauerschuldverhältnis. Es endet durch Zeitablauf, Tod des Arbeitnehmers oder durch Kündigung seitens eines Beteiligten. Die (ordentliche) Kündigung ist grundsätzlich an eine Kündigungsfrist gebunden, während die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund fristlos (sofort) erfolgen kann.

 

E) Erfindung

Als mit Vernunft ausgestattetes Wesen ist der Mensch seit seiner Entstehung erfinderisch. Schon der Vormensch konnte das Feuer benutzen und Werkzeuge erstellen und verwenden. Der individuelle Einfall (z. B. Sprache, Kleidung, Haus, Rad, Schiff, Schrift, Gewehr, Strom, Automobil, Flugzeug, Rechner) konnte dabei von jedermann ohne Einschränkung übernommen und nachvollzogen werden.

Etwa mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg in Mainz um 1450 ändert sich die Einstellung des Menschen zur Erfindung. Sie wird seitdem als individuell zuordenbarer, wirtschaftlich nutzbarer Wert angesehen. Für diesen streben Menschen (insbesondere Rechteverwerter) nach rechtlichem Schutz für das individuelle Werk (und seine wirtschaftliche Verwertung) durch nationales Recht und internationales Recht.

 

I. Wesen

Gegenstand der Erfindung ist das Werk. Es ist im Gegensatz zum bloßen inneren Gedanken das irgendwie in die Außenwelt getretene Ergebnis eigentümlicher schöpferischer Geistestätigkeit des Menschen (von gewisser geistiger Mindesthöhe). Als solches ist sein rechtlicher Schutz seit der jüngeren Vergangenheit eigentlich weltweit anerkannt.

 

II. Arten

Die Einfallskraft des Menschen führt ihn zu immer mehr und neueren Werken, was sich insbesondere seit der Nutzbarmachung des elektrischen Stroms bemerkbar macht. Deswegen ist die Zahl der Werke in der Gegenwart unüberschaubar. Als allgemeinere Arten lassen sich beispielsweise unterscheiden Sprachwerk, Filmwerk, Bühnenwerk, Kunstwerk, Baukunstwerk oder Bauwerk, Originalwerk und bearbeitetes Werk, Einzelwerk und Sammelwerk, sowie geschütztes Werk und freies, von jedermann beliebig verwertbares Werk (wie etwa Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Bekanntmachungen, Entscheidungen sowie alle durch Zeitablauf frei gewordenen Werke).

 

III. Erfindungsrecht

Der wirtschaftlich sehr bedeutsame Schutz der Erfindung hat sich in der Neuzeit allmählich in kleinen Schritten vollzogen und ist erst im 19. Jahrhundert zum Durchbruch gelangt. Deswegen ist die Erfindung nicht im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (von 1811/1812) geregelt und auch kein besonderes Erfindungsgesetzbuch geschaffen. Als besonders wichtig sind Urheberrecht und Patentrecht in eigenen Gesetzen geschützt.

1. Wesen

Urheberrecht ist allgemein das ausschließliche Recht des Urhebers eines Werkes an seinem Werk. Für Urheber von Werken der Literatur und der Kunst gilt das besondere Urhebergesetz. Für neue gewerblich anwendbare Erfindungen gilt das Patentgesetz.

2. Beginn

Der rechtliche Schutz des Werkes beginnt grundsätzlich mit seiner Entstehung (Schaffung, Schöpfung). Patente müssen bei der zuständigen Stelle besonders beantragt werden. Nach einem besonderen Prüfungsverfahren werden sie gegen Gebühr auf Zeit besonders erteilt.

3. Inhalt

Der Urheber hat grundsätzlich das ausschließliche Recht, sein Werk zu verwerten. Er hat das ausschließliche Recht, sein Werk zu vervielfältigen. Er hat das ausschließliche Recht, Werkstücke zu verbreiten.

Der Urheber kann seine ausschließlichen Nutzungsrechte grundsätzlich (z. B. einem Verwerter) übertragen. Dies geschieht im Bereich der Literatur regelmäßig durch Verlagsvertrag. Der Verleger verpflichtet sich zur Verbreitung auf eigene Kosten, der Urheber gegen ein meist bescheidenes Entgelt (Umsatzbeteiligung von 5-10 Prozent) zur Unterlassung der eigenen Verbreitung.

4. Verletzungen

Verletzt jemand das Urheberrecht eines anderen, so hat der Urheber Ansprüche gegen ihn. Zum einen kann er Ersatz des ihm bereits entstandenen und noch entstehenden Schadens verlangen, sofern er einen Schaden nachweisen kann. Zum anderen kann er Unterlassung der Verletzung begehren.

5. Ende

Das Urheberrecht erlischt durch Zeitablauf. Das literarische Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers, das Patentrecht 18 Jahre nach der Bekanntmachung des Patents. Stirbt der Berechtigte vor diesem Zeitpunkt, fällt das Recht aus der Erfindung an die Erben des Erfinders.

 

 

 

Hinweise oder Verbesserungsvorschläge bitte an gerhard.koebler@uibk.ac.at (Vergütung möglich).

 

Statt eines an sich möglichen, aber bei jeder Neuauflage mit entsprechendem Aufwand zu ändernden Sachregisters sei allgemein auf die im Internet frei zugängliche digitale Fassung verwiesen (http://www.koeblergerhard.de/Einfuehrung/EinfuehrungindieRechtswissenschaft), in der nach Belieben problemlos elektronische Inhalte gesucht werden können.