Köbler,
Gerhard, Zielwörterbuch europäischer
Rechtsgeschichte, 5. Auflage, 20140401. Fassung
A
A. A. (lat. [M.]) ist die Abkürzung für
den abstrakt Aulus Agerius genannten Kläger des römischen →Formularprozesses.
Lit.: Söllner § 9
Aachen ist
der ohne nachweisbare Kontinuität zu einer römischen Siedlung an den
Ausläufern des Hohen Venn 765/766 als fränkische königliche →Pfalz
erscheinende Ort, der nach der Reichsteilung 843/877 in eine Randlage gerät.
Von 936 (Otto I.) bis 1531 (Ferdinand I.) ist es Krönungsstätte der deutschen
Könige (mit Thronsetzung auf einen Marmorthron). 1071 wird A. (lat. [N.])
oppidum genannt, 1087 werden [lat. M. Pl.) cives erwähnt. In den 1120er Jahren
kommt ein Stadtsiegel auf. 1166 erhält A. besondere Rechte. Die 1192 neben der
Gesamtheit der Bürger nachweisbaren →Schöffen entwickeln sich seit 1134
(?) zu einem bedeutenden →Oberhof für teilweise bis zu 200 meist aus
Reichsgut stammende Gerichte. Bis 1254 wird A. freie →Reichsstadt
(Reichslandstadt) bis zur Besetzung durch Frankreich (1794). Über Preußen (1815)
gelangt es 1946 zu Nordrhein-Westfalen.
Lit.: Loersch,
H., Achener Rechtsdenkmäler, 1871; Schwabe,
W., Der Aachener Oberhof, 1924; Schwabe, W., Zeitschrift des Aachener
Geschichtsvereins 47 (1925), 48/49 (1926/1927); Herkens, R., Der Anspruch
Aachens auf Krönung der deutschen Könige nach 1531, Diss. jur. Bonn 1959;
Regesten der Reichsstadt Aachen, bearb. v. Mummenhoff, W. u. a., 1961ff.;
Falkenstein, L., Der „Lateran“ der karolingischen Pfalz zu Aachen, 1966;
Aachener Urkunden, bearb. v. Meuthen, E., 1979; Kraus, T., Jülich, Aachen und
das Reich, 1988; Die Aachener Stadtrechungen des 15. Jahrhunderts, bearb. v.
Kraus, T., 2004; Herrmann, T., Anfänge kommunaler Schriftlichkeit, 2006;
Tschacher, W., Königtum als lokale Praxis, 2010
Aargau ist
das um die Aare gelegene Land, das als A. 763 erstmals erscheint. 1415 erobert
die Eidgenossenschaft der →Schweiz Teile des Gebiets. 1798/1803 wird
daraus der Kanton A., der 1831 eine liberale Verfassung erhält.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Merz, W. u. a., Die
Rechtsquellen des Kantons Aargau, Teil 1ff. 1898ff.; Merz, W., Mittelalterliche
Burganlagen und Wehrbauten des Kantons Aargau, 1906; Nabholz, H., Der Aargau
nach dem habsburgischen Urbar, Argovia 33 (1909); Dubler, H., Der Kanton Aargau
und das Bistum Basel, 1921; Merz, W., Die Jahrzeitbücher der Stadt Aarau, Teil
1f. 1924ff.; Merz, W., Geschichte der Stadt Aarau im Mittelalter, 1925;
Aargauer Urkunden, Teil 1f. 1931ff.; Strebel, K., Die Verwaltung der freien
Ämter im 18. Jahrhundert, 1940; Werder, M., Die Gerichtsverfassung des
aargauischen Eigenamtes, 1941; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
2,2,440; Geissmann, H., Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für den Kanton
Aargau (1847-1855), 1991
Abandon ist
die wohl im spätmittelalterlichen italienisch-französischen Seerecht
entstehende Möglichkeit der Aufgabe der Rechte an einem Gegenstand, um
Haftungsfreiheit bzw. später Versicherungsleistung zu erlangen. Der A.
erscheint erstmals in einem Statut der Stadt Kampen vom 14. 2. 1372. Im 19. Jh.
findet der A. Eingang in das Recht der juristischen Personen des
Gesellschaftsrechts.
Lit.: Hantke, G., Der Abandon, 1912; Rehme, P., Geschichte
des Handelsrechts, 1913; Helberg, O., Der Abandon in der Seeversicherung, 1925;
Martin, L., L’abandon, 1957; Landwehr, G., Prinzipien der Risikotragung beim
Seefrachtvertrag, (in) Wirkungen europäischer Rechtskultur, 1997, 595
abdingbar (Adj.) durch Vereinbarung abänderbar
Lit.: Kähler, L., Begriff und Rechtfertigung
abdingbaren Rechts, 2012
Abecedarium (bzw.
Promptuarium, Remissorium, Vocabularium) ist
das auf Grund antiker Gedankengänge seit dem 13. Jh. entstehende alphabetisch
geordnete Sammelwerk eines Rechtsgebiets (römisches Recht, kirchliches Recht,
um 1400 Greifswalder A. für →Sachsenspiegel und Sachsenspiegelglosse mit
7 Handschriften, 1402 Preetzer A., 1414ff. A. von Achte bis Wunden, vor 1421ff.
Schlüssel des Landrechts, 1. H. 15. Jh. Rechtsabecedarium der 2200 Artikel, E.
15. Jh. Erlanger Promptuarium mit etwa 1400 Artikeln, 1490-1493 Remissorium
Kaspar Popplaus).
Lit.: Steffenhagen, E., Das Preetzer Abecedarium mit dem
Richtsteig Landrechts, Z. d. Ges. f. Schleswig-Holstein-Lauenburgische Gesch.
22 (1892), 297; Die Rechtssumme Bruder Bertholds, hg. v. Hamm, M. u. a., 1980,
143ff.; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 77
Abendmahlsprobe ist die an das christliche Abendmahl anknüpfende Form des →Gottesurteils.
Aberacht ist
die seit dem Hochmittelalter belegte, nach fruchtlosem Verstreichenlassen einer
Frist von →Jahr und Tag eintretende Verstärkung der →Acht.
Lit.: Siuts, H., Bann und Acht, 1959
Aberdeen am
Don in Schottland wird um 1130 Sitz eines Bischofs und 1494/1495 Sitz einer
Universität.
Lit.: Keith, A., A thousand Years of Aberdeen, 1972; The
Aberdeen Stylebook 1722, hg. v. Meston, M./Forte, A., 2000
Aberglaube (15. Jh. in Glosse zum Sankt Trudperter
Hohenlied) ist der von einem herrschenden Glauben als abwegig verworfene
Glaube (lat. [F.] superstitio).
Lit.: Feine, J., Der Aberglaube,
1857; Schefold, K. u. a., Der Aberglaube im Rechtsleben, 1912; Handwörterbuch
des deutschen Aberglaubens, hg. v. Bächtold-Stäubli, H., Bd. 1ff. 1927ff.,
Neudruck 1987, digitalisierte Fassung 2006; Freytag, N., Aberglauben im 19.
Jahrhundert, 2003; Hersperger, P., Kirche, Magie und Aberglaube, 2010
Abfall ist der nach Nutzung einer Sache
verbleibende, nicht mehr genutzte oder nutzbare Rest (z. B. Knochen,
Verpackung, Altöl). Zum Wohl der Gesellschaft muss er vor allem in den Städten
gesammelt und zunächst gelagert (deponoiert), nach seiner großen Vermehrung
seit der zweiten Hälfte des 20. Jh.s aus wirtschaftlichen Überlegungen aber vor
allem auch wiederverwertet werden.
Lit.: Abfall, hg. v. Rusterholz,
P./Moser, R., 2004
Abgabe ist
die Leistung von Gegenständen an die Allgemeinheit, an eine besondere Einrichtung
oder an besondere Einzelne. Die rechtliche Grundlage der A. ist verschieden.
Meist beruht die A. auf einer Pflicht zur Unterstützung als Gegenleistung für
einen Schutz oder eine Gebrauchsmöglichkeit. In der Naturalwirtschaft besteht
die A. in Sachen, in der Geldwirtschaft in Geld. 1919 fasst das Deutsche Reich
das Recht der Abgaben in der Reichsabgabenordnung (Enno Becker, u. a. Beginn
der Überführung des Steuerstrafrechts aus dem Verwaltungsstrafrecht in das
Kriminalstrafrecht) zusammen, die 1976 im Sinne eines Mantelgesetzes für die
Abgaben erneuert wird.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Pöhlmann, C., Was ist
Seltertum, ZRG GA 55 (1935), 243; Becker, A., Was ist Seltertum, ZRG GA 56
(1936), 398; Löning, G., Muntepenninge, ZRG GA 59 (1939), 273; Müller, W., Die
Abgaben von Todes wegen in der Abtei St. Gallen, 1961; Henning, F., Dienste und
Abgaben der Bauern im 18. Jahrhundert, 1969; Steuern, Abgaben und Dienste, hg.
v. Schremmer, E., 1994; Giese, F., Abgabenordnung im Dritten Reich, 1998; Gehm,
M., Die steuerstrafrechtlichen Bestimmungen in der Reichsabgabenordnung vom 13.
Dezember 1919, 2010
Abgeordneter ist allgemein der durch eine Anordnung
an eine Stelle Gesetzte, insbesondere der Volksvertreter im Parlament. Er ist
nach dem vorzugswürdigen Grundsatz des freien Mandats nicht an den Willen der
ihn Abordnenden gebunden (so aber DDR 1968), sondern in seiner Entscheidung nur
seinem Gewissen und der Verantwortung für die Gesamtheit unterworfen. In
Österreich führt die Februarverfassung des Jahres 1861 ein von den Landtagen
besetztes Abgeordnetenhaus als zweite Kammer des Reichsrats neben dem
Herrenhaus ein (1873 direkte Wahl, wegen des Nationalitätenkonflikts zeitweise
handlungsunfähig, 12. 11. 1918 letzte Sitzung).
Lit.: Biographisches Handbuch der
Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, bearb. v. Best, H. u. a.,
1996
Abkürzung ist die aus Zweckmäßigkeitsgründen
gekürzte Form einer Gegebenheit (z. B. eines Wortes oder Weges).
Lit.: Kirchner, H.,
Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. A. 2008; Schuler, P., Abkürzungslexikon,
2007 (vom Verlag zurückgezogen); Frenz, T., Abkürzungen. Die Abbreviaturen der
lateinischen Schrift, 2010
Ablass ist
die im 11. Jh. (u. a. Clermont 1095 Ablass für Teilnahme am Kreuzzug, 1187 für
geldliche Förderung eines Kreuzzugs, um 1300 von Verbindung zu Kreuzzügen
gelöst) in der christlichen →Kirche aus der Bitte um Vergebung und
Nachlass einer Folge (Buße) entstehende, auch vor Gott verbindliche Befreiung
von zeitlichen Sündenfolgen. Die ältesten Ablässe begnügen sich mit einem
Erlass von 20 oder 40 Tagen Buße. Die zahlenmäßige und artmäßige Erweiterung
führt bereits im 13. Jh. zu scharf gerügten Missständen. Der Kauf von A. (auch
für Verstorbene) wird ein wichtiger Anlass für die reformatorischen Ziele (John
Wyclifs, Johannes Hus’ und) Martin →Luthers. Nach gegenwärtigem
Verständnis der katholischen Kirche ist A. Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott
für Sünden, deren Schuld bereits getilgt ist (can. 992 CodIurCan 1983).
Lit.: Paulus, N., Geschichte des Ablasses im Mittelalter,
Bd. 1f. 1922f.; Köhler, W., Dokumente zum Ablassstreit von 1517, 2. A. 1934;
Poschmann, B., Der Ablass, 1948; Bornkamm, H., Thesen, 1967; Ehlers, A., Die
Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter, 2007
Ablösungsgesetzgebung ist die Gesetzgebung des 19. Jh.s zur Beseitigung grundherrschaftlicher
Rechte bzw. aufgespalteten Eigentums mit oder ohne Entschädigung zwecks
Förderung wirtschaftlicher Entwicklung und aufgeklärter Gedanken. Dazu erlässt
nach der Aufhebung aller Frondienste, Zehnten und anderen Feudalrechte durch
die Nationalversammlung Frankreichs am 4. 8. 1789 der Staat →Preußen am
9. 10. 1807 das Edikt betreffend den erleichterten Besitz des Grundeigentums
sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner, das die persönliche Abhängigkeit
der →Bauern von den →Grundherren entschädigungslos aufhebt. Dem
folgen am 14. 9. 1811 zwecks Aufhebung der auf privatrechtlichen Titeln
beruhenden dinglichen Abhängigkeit das Edikt, die Rechte der gutsherrlichen und
bäuerlichen Verhältnisse (Regulierungsedikt) betreffend und das Edikt zur
Beförderung der Landeskultur (Landeskulturedikt), nach denen der Bauer auf
Antrag eines Beteiligten Eigentum an dem von ihm bewirtschafteten Hof erhält,
wofür er als erblicher Besitzer ein Drittel, als nichterblicher Besitzer die
Hälfte des Grundes dem Grundherrn überlassen oder eine dauernde Rente zahlen
muss. Dadurch werden viele Bauern überfordert, so dass sie ihr neues Eigentum
aufgeben müssen. Um dies zu vermeiden, richten Sachsen und Kurhessen (1832)
öffentliche →Rentenbanken ein, die dem Grundherrn den Ablösungsbetrag in
Rentenbriefen entrichten und dadurch den Bauern die Tilgung der Ablöseschuld in
40 bis 60 Jahren ermöglichen. Abgelöst werden auf Grund wirtschaftlicher
Überlegungen auch die Nutzungsrechte der Bauern in staatlichen oder
grundherrschaftlichen Wäldern (Hessen 1814, Preußen 1821).
Lit.: Danckelmann, B., Die Ablösung der
Waldgrundgerechtigkeiten, Bd. 1f. 1880ff.; Knapp, G., Die Bauernbefreiung, 1887
Abmeiern ist
das (vorzeitige) Beendigen des grundherrschaftlichen →Meierrechts durch
den Grundherrn in Niedersachsen und Ostwestfalen seit dem 14. Jh. Seit 1597
(Salzduhmscher Landtagsabschied) wird das A. vor allem aus fiskalischen
Überlegungen verrechtlicht (Meierordnungen, z. B. Calenberg 1772), mit der →Bauernbefreiung
durch Ersetzung des Meierrechts durch Eigentum beseitigt.
Lit.: Pfeiffer, B., Das deutsche Meierrecht, 1855; Wittich,
W., Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896; Mohr, W., Die
Abmeierung, 1942; Turner, G., Das Calenberger Meierrecht, 1961
Abschichtung ist
die (dem römischen Recht unbekannte) vermögensrechtliche Verselbständigung
eines Kindes bei (tatsächlichem) Ausscheiden aus dem Hausverband. Sie betrifft
im Mittelalter fast nur Söhne. Der Sohn kann A. verlangen, sobald er „zu seinen
Jahren kommt“ (d. h. mündig wird). Regelmäßig wird der Sohn abgeschichtet, wenn
er bei Eheschließung einen selbständigen Haushalt gründet. Mit der A. erlischt
die väterliche Herrschafts- und Schutzgewalt. Die Teilungsquote ist
unterschiedlich (z. B. Kopfteil vom Ganzen, Sohneskopfteil von der Hälfte). Die
A. wird in Österreich durch (den Codex Theresianus von 1766 und) das Allgemeine
Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 (vollständig 1919), im deutschen Reich durch
das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896/1900 und im Schweizer Recht durch das
Zivilgesetzbuch von 1907/1911 durch das Erreichen der Vogtbarkeit bzw. der
Großjährigkeit bzw. der Volljährigkeit ersetzt
Lit.: Hübner 702; Adler, S., Eheliches Güterrecht und
Abschichtungsrecht, 1893; Knothe, H., Die Geschäftsfähigkeit der
Minderjährigen, 1980; Schumacher, S., Das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und
Kindern, 1999
Absetzung ist
die Entfernung eines Menschen aus einer Tätigkeit und eines Wertes aus einem
Vermögen (z. B. Absetzung für Abnutzung). Die A. eines Amtsträgers begegnet
schon früh (z. B. Vertreibung des römischen Königs). Sie wird in der Neuzeit
verrechtlicht.
Lit.: Bund, K., Thronsturz und Herrscherabsetzung im
Frühmittelalter, 1979; Krah, A., Absetzungsverfahren, 1987; Rexroth, F.,
Tyrannen und Taugenichtse, HZ 278 (2004), 27; Wallner, M., Zwischen
Königsabsetzung und Erbreichsplan, 2004; Schubert, E., Königsabsetzung im
deutschen Mittelalter, 2005
Absicht ist
der unmittelbar auf den Erfolg als Ziel gerichtete Wille des Täters. Das
römische Recht kennt den (lat. [M.]) dolus als Bezeichnung eines Verschuldens.
Im Mittelalter wird der auf den Erfolg als Ziel gerichtete Wille oft durch
(lat.) animo deliberato, cum deliberato consilio, contumaciter, dolose und
(mhd.) geverlich oder mutwillig beschrieben. Folgen zieht in erster Linie das
im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gewollte Unrecht nach sich. Im 20. Jh.
wird die für den deliktischen Vorsatz das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit
verlangende Vorsatztheorie (Binding 1877) im Strafrecht durch die als subjektive
Voraussetzung der Rechtswidrigkeit bereits die Möglichkeit der Einsicht in das
Verbotensein der Tat genügen lassende Schuldtheorie (Kohlrausch 1903, Carl
Schmitt 1910) verdrängt.
Lit.: Mayer, M., Die schuldhafte Handlung und ihre Arten im
Strafrecht, 1901; Schmitt, C., Über Schuld und Schuldarten, 1910 His, R., Das
Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, Neudruck 1964, 68ff.; Beul,
C., Si mensor falsum modum dixerit, 1998
absolut (Adj. bzw. Adv.) vollständig, unbedingt, uneingeschränkt, gegen
jedermann wirkend (Gegensatz relativ)
absolutio (F.) ab instantia →Instanzentbindung
Absolutismus ist
die im Einzelnen sehr vielfältige Regierungsform, bei welcher der Inhaber der
Herrschaftsgewalt (Monarch) dem Untertanen gegenüber grundsätzlich unbedingte
(absolute, unbeschränkte) Macht hat. Der frühe A. entwickelt sich in Spanien,
Frankreich und England bis zum Ende des 15. Jh.s. Unterstützt wird der A. durch
theoretische Ansichten, welche die Enttheologisierung der Herrschaft und die
Unteilbarkeit der Staatsgewalt fordern (→Machiavelli, Nicolò [1469-1527],
Il principe, 1513, →Bodin, Jean [1529-1596], Les six livres de la
République, 1576, [lat.] maiestas est summa in cives ac subditos legibusque
soluta potestas, die maiestas ist die [zeitlich unbegrenzt] gegenüber den Bürgern
und Untertanen bestehende höchste und von den Gesetzen [nicht aber von
göttlichem Recht, Naturrecht, Fundamentalgesetzen] losgelöste Gewalt).
Begünstigt wird der A. dadurch, dass die Stände vielfach konfessionell
gespalten sind und deswegen den Frieden in einem Land nicht sichern können.
Mittel zur Durchsetzung der absoluten Herrschaft werden die Aufstellung eines
stehenden Heeres, der Aufbau einer allein vom Herrscher abhängigen
Beamtenschaft und die Einführung eines Staatswirtschaftssystems. Voraussetzung
des A. ist die Entmachtung des →Adels hinsichtlich der Mitwirkung (bzw.
formaler Mitspracherechte [Ersetzung durch informale Verständigung]) bei der →Landesherrschaft
(in der Regel ohne Änderung der förmlichen Rechtsgrundlage der Herrschaft, z.
B. Habsburg bzw. Österreich seit 1620). Der Höhepunkt des A. wird unter Ludwig
XIV. (1643-1715) in →Frankreich erreicht. Im Heiligen römischen Reich
eifern dem viele Landesfürsten nach (z. B. Friedrich Wilhelm [1620-1688] von
Brandenburg bzw. Preußen, August der Starke [1670-1733] von Sachsen bzw. Polen,
Maria Theresia in Österreich). In der Mitte des 18. Jh.s (Friedrich II. in
Preußen, Joseph II. in Österreich, Anna Amalia und Carl August in
Sachsen-Weimar, Peter Leopold in Toskana, Gustav III. in Schweden, Katharina
II. in Russland) setzt im aufgeklärten A. (Reformabsolutismus) der Fürst als
erster Diener des Staates wohlfahrtsstaatliche Änderungen in Gang
(Bildungspolitik, Bauernbefreiung, Gerichtsorganisation). In Frankreich
beendet die Revolution des Jahres 1789 den als Anspruch bedeutsamen, als
Wirklichkeit kaum tatsächlich durchgesetzten A.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Bodin, J., Les six livres de la
république, 1576, http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BodinJeanLesSixLivresDeLaRepublique1576.pdf;
Hobbes, T., Leviathan 1651; Feine, H., Einwirkungen des absoluten Staatsgedankens
auf das deutsche Kaisertum, ZRG GA 42 (1921), 474; Fehr, H., Der Absolutismus
in der Schweiz, ZRG GA 69 (1952), 182; Sturmberger, H., Kaiser Ferdinand II.
und das Problem des Absolutismus, 1957; Carsten, F., Princes and parliament in
Germany, 1959; Conrad, H., Rechtsstaatliche Bestrebungen, 1961; Schnur, R.,
Individualismus und Absolutismus, 1962; Oestreich, G., Geist und Gestalt des
frühmodernen Staates, 1969; Conrad, H., Staatsgedanke und Staatspraxis, 1971;
Dreitzel, H., Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat, 1970;
Absolutismus, hg. v. Hubatsch, E., 1973, 2. A. 1988; Der aufgeklärte
Absolutismus, hg. v. Aretin, K. Frhr. v., 1974; Anderson, P., Lineages of the
Absolutist State, 1974; Aufklärung, hg. v. Hinrichs, E., 1985; Hubatsch, W.,
Das Zeitalter des Absolutismus 1600-1789, 4. A. 1975; Anderson, P., Die
Entstehung des absolutistischen Staates, 1979; Aspekte des europäischen
Absolutismus, hg. v. Patze, H., 1979; Reinalter, H., Aufgeklärter Absolutismus
und Revolution, 1979; Mousnier, R., La monarchie absolue en Europe, 1982;
Meyer, J., Frankreich im Zeitalter des Absolutismus, 1990; Henshall, N., The
Myth of Absolutism, 1992; Dreitzel, H., Absolutismus und ständische Verfassung
in Deutschland, 1992; Cornette, J., Absolutisme et Lumières, 1993, 2. A. 2000,
3. A. 2003, 4. A. 2005, 5. A. 2008; Der Absolutismus – ein Mythos?, hg. v.
Duchhardt, H., 1996; Vec, M., Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat, 1998;
Reformabsolutismus und ständige Gesellschaft, hg. v. Birtsch, G. u. a., 1998;
Duchhardt, H., Das Zeitalter des Absolutismus, 3. A. 1998 (mit rund 1400
Literaturnachweisen); Hinrichs, E., Fürsten und Mächte, 2000; Der aufgeklärte
Absolutismus im europäischen Vergleich, hg. v. Reinalter, H. u. a., 2002; Seif,
U., Recht und Justizhoheit, 2003, (Müßig, U., Recht und Justizhoheit,) 2. A.
2009; Reinalter, H., Lexikon zzum aufgeklärten Absolutismus, 2005; Absolutismus,
ein unersetzliches Forschungskonzept?, hg. v. Schilling, L., 2008; Feist, D., Absolutismus,
2008; Blänkner, R., „Absolutismus“, 2011 (= Dissertation von 1990)
Abstimmung ist
das durch Abgabe einzelner Entscheidungen (Zustimmung, Ablehnung, Enthaltung)
erfolgende Verfahren zur Ermittlung des Willens (Gemeinwillens) einer
Gesamtheit von zu einer Entscheidung zugelassenen Menschen oder Personen
hinsichtlich einer bestimmten Frage. Als eine besondere Form der A. ist bereits
im antiken Athen der Ostrazismus bekannt, bei dem der Angehörige des Volkes
mittels je eines Tonscherbens (griech. ostrakon) darüber abstimmen kann, ob ein
Bürger, der die politische Ordnung gefährdet, für 10 Jahre ohne Verlust des
Vermögens und seiner sonstigen Rechtsstellung verbannt werden soll. Im
Einzelnen erfolgen dann Abstimmungen nach ziemlich unterschiedlichen Regeln (z.
B. Stimmzählung und Mehrheitsentscheidung in der Goldenen Bulle 1356,
Willensbildung nach Kurien im Reichstag des Heiligen römischen Reiches), bis in
der Mitte des 19. Jh.s sich die Einheitlichkeit des Abstimmungskörpers mit
grundsätzlich gleichem Stimmrecht (Verfassung des deutschen Reiches von 1848)
durchzusetzen beginnt. Im 20. Jh. ist die A. des Volkes über eine politische
Frage ein Entscheidungsverfahren unmittelbarer Demokratie. Eine Sonderform
der A. stellt die →Wahl dar.
Lit.: Stutz, U., Die
Abstimmungsordnung der Goldenen Bulle, ZRG GA 43 (1922), 217; Stutz, U., Der
Jüngste stimmt zuerst, ZRG GA 49 (1929), 435; Schubert, F., Die deutschen Reichstage, 1966; Scheuner, U.,
Das Mehrheitsprinzip, 1973; Heun, W., Das Mehrheitsprinzip, 1983; Bleicken, J.,
Die Verfassung der römischen Republik, 2000
Abstraktion (1571) ist die Lösung eines allgemeine Merkmale enthaltenden Umstands
von einzelnen Erscheinungsformen. Im 19. Jh. setzt die →Pandektistik auf
der Grundlage einer Entscheidung des römischen Juristen Julian/Iulianus
(Hadrumetum um 100-um 170) die Trennung des →Verfügungsgeschäfts (→Übereignung,
→Abtretung) von dem ihm als Grund (lat. [F.] causa) zugehörigen →Verpflichtungsgeschäft
und die Trennung des Innenverhältnisses (Auftrag) vom Außenverhältnis
(Vollmacht) mit Hilfe des Prinzips der A. durch (Abstraktionsprinzip).
Lit.: Buchholz, S., Abstraktionsprinzip und
Immobiliarrecht, 1978; Landwehr, G., Abstrakte Rechtsgeschäfte, (in)
Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 173; Eisenhardt, U., Die Entwicklung
des Abstraktionsprinzips, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997;
Ferrari, F., Vom Abstraktionsprinzip und Konsensualprinzip zum
Traditionsprinzip, ZEuP 1993, 52; Rodríguez-Rosado, B., Abstraktionsprinzip und
redlicher Erwerb als Mittel zum Schutze des Rechtsverkehrs, 2010; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Abt (Lehnwort
lat. abbas, abbatem [Akk.] 4. Jh., „Abt, Vater“, Lehnwort gr. ábba, aram. abba,
„Vater“, Lallwort) ist seit dem 4. Jh. der Leiter einer rechtlich selbständigen
Niederlassung eines christlichen →Ordens des weströmischen Gebiets. Er
wird als geistlicher Vater (lat. pater [M.] spiritualis) verstanden. Die auf
den Kirchenvater Augustinus (354-430) zurückgehende Ordensregel Benedikts von
Nursia (480-547) legt Einzelheiten der Stellung genauer fest. Demnach erfordert
die Weihe zum anfangs vom Bischof eingesetzten, nach den Novellen Justinians
von sämtlichen Mönchen gewählten A. vorbildliche Lebensführung und Weisheit.
Der A. hat gegenüber den Mönchen Rechte wie ein Vater gegenüber Kindern.
Deshalb schulden die Mönche Gehorsam und Ehrerbietung. Im fränkischen Reich
tritt neben das freie Wahlrecht der Mönche das Einsetzungsrecht eines
jeweiligen Herrn (einer Gründerfamilie). Seit karolingischer Zeit wird der A.
auch mit weltlichen Aufgaben betraut. Synoden von Rom (826) und Poitiers (1078)
sowie das Konzil von Vienne (1311/2) legen die Voraussetzung der Weihe zum
Priester für den A. fest. Im 11. und 12. Jh. dringt der Grundsatz der freien
Wahl für kurze Zeit wieder vor.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Hegglin, B., Der
benediktinische Abt, 1961; Salmon, P., L’abbé dans la tradition monastique,
1963; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Seibert, H.,
Abtserhebungen, 1995; Wiech, M., Das Amt des Abtes im Konflikt, 1999
Abtei (lat.
[F.] abbatia) ist seit der frühen Neuzeit die von der Stellung und Tätigkeit
eines Abtes übernommene Bezeichnung für die von einem →Abt geleitete,
rechtlich selbständige Niederlassung eines christlichen Ordens. Die A. kann →Reichsabtei,
landsässige A. oder der römischen Kirche unterstellte freie A. sein.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Blume, K., Abbatia, 1919; Wehlt,
H., Reichsabtei und König, 1970; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5.
A. 1972; Brandstetter, A., Die Abtei, 1999
Äbtissin ist
die Leiterin einer rechtlich selbständigen Niederlassung eines christlichen
Frauenordens (des weströmischen Gebiets). →Abt
Abtreibung ist
der künstlich herbeigeführte vorzeitige Abgang der (beseelten) menschlichen
Leibesfrucht aus dem Mutterleib. Die A. ist nach römischem Recht zeitweise
zulässig. Die →Kirche wertet sie zunächst in jedem Fall als →Mord,
Gratian (um 1140) beurteilt aber die A. vor dem 40. Tag der Schwangerschaft auf
Grund von Exodus 21,22-23 milder. Die Aufklärung lehnt die kirchliche Lehre ab.
Seit etwa 1970 (z. B. Österreich 1974) wird die kirchliche Auffassung im
weltlichen Recht zunehmend eingeschränkt und der medizinisch einfach gewordene
Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft als
(nach einer Beratung in Deutschland seit 1995 zwar rechtswidrig, aber)
straffrei zugelassen.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Lewin, L., Die
Fruchtabtreibung, 4. A. 1925; Huser, R., The Crime of Abortion, Diss. Washington
1942; Noonan, J., The Morality of Abortion, 1970; Jerouschek, G., Lebensschutz
und Lebensbeginn. Kulturgeschichte des Abtreibungsverbots, 1988; Gante, M., §
218 in der Diskussion, 1991; Geschichte der Abtreibung, hg. v. Jütte, R., 1993;
Onstein, H., Die Entwicklung der Straftatbestände der Abtreibung, Diss. jur.
Münster 1996; Müller, P., Die
Abtreibung, 2000; Jerouschek, G., Lebensschutz und Lebensbeginn, 2002; Bett,
J., Die Beurteilung der embryopathischen Indikation zum Schwangerschaftsabbruch,
Diss. jur. Tübingen 2003; Putzke, S., Die Strafbarkeit der Abtreibung in der
Kaiserzeit, 2003; Koch, C., Schwangerschaftsabbruch, 2004; Behren, D. v., Die
Geschichte des § 218 StGB, 2004; Usborne, C., Cultures of Abortion in Weimar
Germany, 2007
Abtretung (lat. [F.] cessio) (1360) ist die Übertragung einer Forderung von einem bisherigen →Gläubiger
(Zedenten) auf einen anderen (Zessionar), der damit neuer Gläubiger wird. Sie
ist im römischen Recht ausgeschlossen, weil die Verbindlichkeit als
höchstpersönliches Band zwischen Gläubiger und Schuldner betrachtet wird. Erst
spät lässt das römische Recht mit Hilfe der Einrichtung des Prozessmandats
(Geltendmachung der Forderung des Gläubigers durch einen Beauftragten) und der
Novation in Form einer Stipulation zwischen Schuldner und Neugläubiger
wenigstens die Übertragung eines selbständigen Rechtes zu, eine fremde
Forderung auszuüben. Im Gegensatz hierzu entwickelt sich wohl in den
mittelalterlichen Städten die rechtsgeschäftliche Übertragung von Forderungen,
die zunächst grundsätzlich der Mitwirkung des Schuldners durch Einwilligung
gegenüber dem bisherigen Gläubiger oder durch Gelöbnis gegenüber dem neuen
Gläubiger bedarf (ausgenommen gerichtlich festgestellte Forderungen). Vereinzelt
bestehen auch Verbote von Abtretungen. Das Zustimmungserfordernis entfällt
seit dem Spätmittelalter (letztlich) unter dem Einfluss des gemeinen Rechtes,
in dem das deutschrechtliche Gedankengut die Übertragung der Forderung auch
der Substanz nach eröffnet, so dass bereits der →Codex Maximilianeus
Bavaricus civilis von 1756 (II 3 § 8) die A. aufnimmt (ALR I 11 §§ 376ff., Code
civil Art. 1689ff., ABGB §§ 1392ff.). Im 19. Jh. unterliegt die einschränkende
Lehre Christian Mühlenbruchs (1817) der durch Windscheid und Bähr geprägten
Vorstellung von der Abtretung als einem abstrakten Verfügungsgeschäft (§§
398ff. BGB, Art. 183ff. bzw. 164ff. Obligationenrecht der Schweiz). In England
gilt die Forderung als solche bis 1873 als nicht übertragbar.
Lit.: Kaser § 55; Köbler, DRG 127, 165, 214; Mühlenbruch,
C., Die Lehre von der Zession, 1817; Buch, G., Die Übertragbarkeit von
Forderungen im deutschen mittelalterlichen Recht, 1912; Schumann, H., Die
Forderungsabtretung im deutschen, französischen und englischen Recht, 1924;
Luig, K., Zur Geschichte der Zessionslehre, 1966; Huwiler, B., Der Begriff der
Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht, 1975; Coing, H.,
Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Hoop, G., Kodifikationsgeschichtliche
Zusammenhänge des Abtretungsverbotes, 1992; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Scheffzek, S., Der
Einfluss der Mühlenbruch’schen Zessionslehre auf ausgeählte Gerichte, 2011;
Ebinger, B., Die Forderungsübertragung nach Code civil und badischem Landrecht,
Diss. jur. Mannheim 2011
Abtriebsrecht ist das Recht der Angehörigen einer Siedlungsgemeinschaft, den Zuzug
eines Fremden zu verhindern. Es ist im Titel XLV (De migrantibus) des
fränkischen Volksrechts (lst. [M.] Pactus legis Salicae, 507-511) bezeugt und besteht bis in das 19.
Jh. Allerdings kann ein Herr einem Fremden ein Niederlassungsprivileg gewähren.
Lit.: Bader, K.,
Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff.
Abzahlung (1530) ist die planmäßig in kleineren Raten oder Teilbeträgen erfolgende
Zahlung einer Schuld.
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Abzahlungsgesetz ist das deutsche Gesetz vom 16. 5. 1894, das außerhalb des
1896/1900 geschaffenenen Bürgerlichen Gesetzbuchs die nach dem Vorbild der
Vereinigten Staaten von Amerika seit etwa 1835 vom Handel umworbenen
mittellosen Käufer beweglicher Sachen, die aus wirtschaftlichen Gründen etwa
Nähmaschinen, Möbel oder Kleidung nur gegen Zahlung des Preises in Raten
kaufen können, vor Benachteiligung (z. B. durch Verfall d. h. Rücknahme der
Kaufsache bei Zahlungsversäumnis und Fortbestehen der Zahlungspflicht)
schützen will. Es wird mit Wirkung vom 1. 1. 1991 durch das Verbraucherkreditgesetz
abgelöst, das zum 1. 1. 2002 in das Bürgerliche Gesetzbuch eingearbeitet wird.
In Österreich wird 1896 ein Ratengesetz, 1979 ein Konsumentenschutzgesetz
erlassen.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Benöhr, H., Konsumentenschutz
vor 80 Jahren, ZHR 138 (1974), 492; Schubert, W., Das Abzahlungsgesetz von
1894, ZRG GA 102 (1985), 130; Fendel, R., Der Berliner Möbelleihvertrag, 1991
Abzahlungskauf →Abzahlungsgesetz
Abzugsrecht ist das Recht zum Abzug des Einzelnen
aus seinen bisherigen unfreien Rechtsverhältnissen, gegebenenfalls unter einer
Geldleistung. Der Abzug findet sich in vielen spätmittelalterlichen Weistümern
mit unterschiedlichen Regelungen. Mit der Bauernbefreiung des 19. Jh.s wird
das A. überflüssig.
L.: Möhlenbruch, R., Freier Zug,
ius emigrandi, Auswanderungsfrieheit, Diss. jur. Bonn 1977
acceptatio (lat.
[F.]) Annahme
acceptilatio (lat.
[F.]) Empfangnahme →stipulatio
accessio (lat. [F.]) Hinzutreten, Zuwachs
accessio cedit principali (lat) - Zuwachs folgt rechtlich der Hauptsache. →Verbindung
Accursius (Bagnolo
[Certaldo] bei Florenz 1182 oder 1185-Bologna 1260 oder 1263) wird in einer
bäuerlichen Familie geboren und lehrt nach dem Studium des römischen Rechtes in
Bologna (Azo, Jacobus Balduinus) und der Promotion seit etwa 1215. Bis kurz
nach 1230 legt er (in Bearbeitung eines unvollendeten Werkes Azos?)
fünfbändige, durch etwa 1200 Handschriften überlieferte Erklärungen
(Kommentare) zu allen Teilen der justinianischen Kompilation in Form von
Glossenapparaten (lat. glossa [F.] ordinaria) mit insgesamt 96940 Einzelglossen
(22365 zum Digestum vetus, 17969 zum Infortiatum, 22243 zum Digestum novum
17814 zum Codex, 4737 zu den Institutionen, 7013 zum Authenticum und 680 zu den
libri feudorum, Summe dieser Zahlen 92811) vor, in denen er Problemlösungen
unter umfangreicher Verwertung der vorangehenden Literatur bietet. Außerdem
sind 8 seiner Gutachten (Konsilien) erhalten, während eine bezeugte Summe nicht
überliefert ist. Zu seinen Schülern zählen Odofredus und Papst Innozenz IV.
Lit.: Söllner § 25; Köbler, DRG 106; Genzmer, E., Zur
Lebensgeschichte des Accursius, FS L. Wenger, Bd. 2 1945, 223; Atti del
convegno internazionale di studi accursiani, ed. Rossi, G., Bd. 1ff. 1968;
Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997, 335; Jakobs, H., Magna
Glossa, 2006
Achilleisches Hausgesetz →Dispositio Achillea
Achramire (lat.-afrk.),
adchramire, ist die frühmittelalterliche Bezeichnung für das Versprechen
(Geloben), einen Gerichtstag wahrzunehmen, einen Eid zu leisten oder einen
Bürgen oder Zeugen zu stellen (Lex Salica [507-511] 62 u. ö.). Das a. erfolgt
unter Übergeben oder Zuwerfen eines (gekerbten) Stäbchens (lat. [F.] →festuca,
vielleicht ursprünglich mit der [lat., F.] framea, Lanze).
Lit.: Köbler, LAW; Daberkow, M., Adhramire und die
germanische framea, Z. f. d. P. 49 (1923), 229
Acht ist im
mittelalterlichen deutschen Recht die als Unrechtsfolge (Strafmittel oder Verfahrensmittel)
mögliche allgemeine Verfolgung. Die A. folgt auf verschiedene Taten, die eine
niedrige Gesinnung widerspiegeln (z. B. Mord, Treubruch). Wird der Täter in der
Tat ergriffen, so kann er folgenlos getötet werden. Im Übrigen bedarf es eines besonderen
Verfahrens, in dem die A. erklärt wird. Der Geächtete steht außerhalb des Rechtes,
ist Feind aller und kann von jedem folgenlos getötet werden. Das bewegliche
Vermögen des Geächteten wird verteilt, die Liegenschaft verwüstet. Mindere
Formen der A. sind zeitlich (z. B. auf ein Jahr) befristet. Bei fruchtlosem
Ablauf einer damit verbundenen Gestellungsfrist (Ungehorsamsacht) verfällt der
Betreffende in →Aberacht. Die vom König oder seinem Gericht verhängte A.
gilt als →Reichsacht im gesamten Reich. Lösung aus der A. ist möglich.
Im Laufe des Mittelalters entwickelt sich die A. zu einer differenzierten
Rechtsfigur, die mit Erstarkung der staatlichen Gerichtsherrschaft
verschwindet (wegen der Vollstreckungsschwäche des Reiches vom Reichskammergericht
zuletzt noch 1698, vom Reichshofrat zuletzt noch 1709 ausgesprochen).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Eichmann, E., Acht und Bann,
1909; Künßberg, E. Frhr. v., Acht, 1910; Heusler, A., Das Strafrecht der
Isländersagas, 1911; Poetsch, J., Die Reichsacht, 1911; Ruf, F., Acht und
Ortsverweis im alten Land- und Stadtgericht Nürnberg, Mitteilungen des Vereins
für Geschichte der Stadt Nürnberg 46 (1955), 1; Siuts, H., Bann und Acht, 1959;
Landes, D., Das Achtverfahren, Diss. jur. Frankfurt am Main 1964; Jacoby, M.,
Wargus, 1974; Kampmann, C., Reichsrebellion und kaiserliche Acht, 1992; Weber,
M., Zur Bedeutung der Reichsacht in der frühen Neuzeit, ZHF Beiheft 19 (1997),
55
Achtbuch ist
das über die von einem Gericht ausgesprochene →Acht (und dadurch die Geächteten)
geführte Buch (Register), wie es anscheinend erstmals der Reichslandfriede des
Jahres 1235 vorsieht (z. B. Lübeck 1243, Iglau 1249, Rostock 1258, Rothenburg
ob der Tauber 1274, Nürnberg 1285, Achtbuch der Reichshofgerichtsschreiber
Petrus Wacker und Johann Geisler zwischen 1417 und 1445 mit fast 600 Einträgen
u. a.).
Lit.: Schultheiß, W., Nürnberger Rechtsquellen, Bd. 1f. 1960,
16; Battenberg, F., Das Achtbuch der Könige Sigmund und Friedrich III., 1986
Achtklausel ist die in mittelalterlichen Verträgen
enthaltene Vereinbarung, sich für den Fall der Vertragsverletzung der →Acht zu unterwerfen.
Lit.: Battenberg, F., Reichsacht
und Anleite im Spätmittelalter, 1987´6, 288
acta (lat.
[N.Pl.]) →Akten
acta municipalia (lat. [N.Pl.]) Gemeindeakten
Actio (lat.
[F.]) ist im römischen Recht die
Möglichkeit, vor Gericht zu verlangen, was einem zusteht (Klaganspruch). Im →Formularprozess
trägt der Kläger in Gegenwart des Beklagten das Begehren vor dem
Gerichtsmagistrat vor und beantragt die Erteilung einer bestimmten a. Ergibt
sich, dass der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt keine bereits anerkannte a.
rechtfertigt, entfällt der Antrag. Allerdings kann der Gerichtsmagistrat,
wenn er das Begehren des Klägers gleichwohl als rechtsschutzbedürftig erachtet,
eine a. in factum in Aussicht stellen. Die zugelassenen actiones, von denen
jede ihre eigene Formel hat, werden vor allem im 4. Buch der Institutionen
Justinians im Titel (lat.) De actionibus (Von den Klagansprüchen)
zusammengestellt. Im Hochmittelalter anerkennt beispielsweise Johannes
Bassianus 169 verschiedene actiones. Im 19. Jh. (Windscheid 1856) wird aus der
römischrechtlichen a. der materiellrechtliche →Anspruch.
Lit.: Kaser § 82; Söllner § 9; Köbler, LAW; Windscheid, B.,
Die actio des römischen Civilrechts, 1856; Bethmann Hollweg, C. v., Der
Civilprozess des gemeinen Rechts, Bd. 6 1874, 16; Peter, H., Actio und writ,
1957; Kriechbaum, M., Actio, ius und dominium in den Rechtslehren des 13. und
14. Jahrhunderts, 1996; Kollmann, A., Begriffs- und Problemgeschichte des
Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, 1996; Gröschler, P.,
Actiones in factum, 2002; Artner, M., Agere praescriptis verbis, 2002
Actio (F.) ad exhibendum (lat.), Klaganspruch auf Vorlegung, Vorweisung (vor dem
Prätor), Herausgabe, Exhibitionsklage (vgl. § 809 BGB, Klage auf Besichtigung)
ist eine (lat.) actio in personam, durch die der bei einer (lat.) actio in rem
fehlende Einlassungszwang umgangen werden kann.
Lit.: Kaser §§ 26 III 3, 27 I 5, 34 II 3
actio (F.) adiecticiae qualitatis (lat.) Klaganspruch aus Haftung für Gewaltunterworfene
Lit.: Kaser §§ 11, 15, 49, 60, 83; Wacke, A., Die
adjektizischen Klagen, ZRG RA 111 (1994), 280
actio (F.) aestimatoria (lat.) Klaganspruch zur Schätzung (aus Trödelvertrag)
Lit.: Köbler, DRG 48
actio (F.) arbitraria (lat.) Klaganspruch zur Schätzung bzw. zum Ermessen
Lit.: Kaser §§ 8 IV, 83 II, 87 II
Actio (F.) auctoritatis (lat.), Klaganspruch wegen Eviktion (Entwerung) gegen den
Verkäufer, Gewährschaftsklage, ist im römischen Recht der Klaganspruch eines
wegen einer durch Manzipation erworbenen Sache von einem Dritten
angegriffenenen und vom Veräußerer nicht geschützten oder unterliegenden
Käufers auf den doppelten Kaufpreis.
Lit.: Kaser §§ 7, 27, 32, 51; Söllner §
8; Brägger, R., Actio auctoritatis, 2013
Actio (F.) certae creditae pecuniae (lat.) ist im
römischen Recht der Klaganspruch auf eine bestimmte Gelddarlehensschuld.
Lit.: Kaser §§ 39, 83
actio (F.) civilis (lat.) Klaganspruch nach dem Zivilrecht
actio (F.) commodati (lat.) Klaganspruch aus Leihvertrag
Lit.: Kaser § 39 II
Actio (F.) communi dividundo (lat.) ist im römischen Recht der wohl im 3./2. Jh. v.
Chr. durch eine (lat.) lex (F.) Licinnia geschaffene Teilungsklaganspruch
mindestens eines Angehörigen einer Vermögensgemeinschaft.
Lit.: Kaser §§ 23 IV 83
actio (F.) conducti (lat.) Klaganspruch des Mieters u. s. w.
Lit.: Kaser §§ 42, 83
actio (F.) confessoria (lat.) Servitutenklaganspruch, Nießbrauchsklaganspruch
Lit.: Kaser §§ 28, 29
actio (F.) contraria (lat.) Gegenklaganspruch (bei unvollkommen zweiseitig
verpflichtenden Verträgen z. B. Aufwandsersatzklageanspruch des Entleihers,
Verwahreres, Beauftragten oder Pfandgläubigers)
Lit.: Kaser § 38 IV 2
Actio (F.) de deiectis vel effusis (lat.), Klageanspruch wegen hinausgeworfener oder
ausgeschütteter (Sachen), ist im römischen Recht der gegen den Inhaber von
Räumen wegen eines durch Hinauswerfen oder Ausgießen von Sachen aus den Räumen
entstandenen Schadens gerichtete, verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch
eines Verletzten auf das Doppelte des Schadens (Quasidelikt, Erfolgshaftung?).
Actio (F.) de dolo (lat.), Klaganspruch wegen Arglist, ist im römischen Recht
der auf Anregung des C. Aquilius Gallus im 1. Jh. v. Chr. vom Prätor bei Fehlen
einer anderweitigen actio gewährte, binnen Jahresfrist geltend zu machende Klaganspruch
des durch einen Betrug Geschädigten gegen den Täter auf Ersatz des Schadens,
der durch Wiedergutmachung abgewendet werden kann, andernfalls Infamie nach
sich zieht.
Lit.: Kaser §§ 8, 83; Söllner § 9
Actio (F.) de in rem verso (lat.), Klage wegen des auf eine Sache Verwendeten,
Klaganspruch wegen eingetretener Bereicherung, ist im römischen Recht der
Klaganspruch gegen einen Gewalthaber auf Herausgabe des Wertes, den ein Gewaltunterworfener
aus einem Verpflichtungsgeschäft erlangt und zu einer Bereicherung des
Vermögens des Gewalthabers verwendet. Das nachklassische römische Recht
erweitert den Anwendungsbereich auf Geschäftsführung durch Freie, das gemeine
Recht entwickelt die a. zu einem allgemeinen Bereicherungsanspruch wegen
nützlicher Verwendung.
Lit.: Kaser § 49; Söllner § 12; Chiusi, T., Die actio de in
rem verso, 2001
actio (F.) de pauperie (lat.) Klaganspruch wegen Minderung durch Schaden seitens
eines vierfüßigen Nutztiers, den der Eigentümer durch Herausgabe des Tieres
abwenden kann
Lit.: Kaser § 50 II 4
actio (F.) de peculio (lat.) Klaganspruch über das Sondergut eines
Gewaltunterworfenen gegen den Gewalthaber wegen vom Gewaltunterworfenen
begründeter Geschäftsverbindlichkeiten bis zur Höhe des Wertes des Sonderguts
im Verurteilungszeitpunkt
Lit.: Kaser §§ 49 II, 83 II; Söllner §
12
Actio (F.) depositi (lat.) ist im römischen Recht der Klaganspruch des
Hinterlegers auf Rückgabe der hinterlegten Sache gegen den Verwahrer.
Lit.: Kaser §§ 39, 83; Walter, T., Die
Funktionen der actio depositi, 2012
actio (F.) de recepto (lat.) Klaganspruch aus Garantieerklärung
Lit.: Kaser § 46 III 3
actio (F.) de tigno iuncto (lat.) (schon im Zwölftafelgesetz enthaltener)
Klaganspruch des römischen Rechtes über den bei einem Hausbau rechtswidrig
verwendeten Balken oder später eines anderen Gegenstand eines andern, den der
Verwender nicht lostrennen, sondern nur mit dem doppelten Wert ersetzen muss
Lit.: Kaser § 26 III 3; Köbler, DRG 25; Hinker, H., Tignum
iunctum, ZRG RA 108 (1991), 41
actio (F.) empti
(lat.) Kaufklaganspruch
Lit.: Kaser §§ 51, 83 II; Söllner § 9
actio (F.) exercitoria (lat.) Klaganspruch gegen den Reeder für Geschäfte des
Kapitäns bei dem Betrieb eines Schiffes
Lit.: Kaser § 49
II 3; Wacke, A., Die adjektizischen Klagen, ZRG RA 111 (1994), 280
Actio (F.) ex stipulatu (lat.) ist im römischen Recht der Klaganspruch des
Gläubigers gegen den Schuldner, der in der einseitig verpflichtenden
Stipulation eine unbestimmte Leistung versprochen hat.
Lit.: Kaser §§ 40, 83; Söllner §§ 9, 24
actio (F.) ex testamento (lat.) Klaganspruch aus Testament
Lit.: Kaser §§ 32 II 4, 76 II
actio (F.) familiae erciscundae (lat.) Erbteilungsklaganspruch
Lit.: Kaser §§ 65, 66, 73, 81; Söllner
§§ 8, 9
actio (F.) fiduciae (lat.) Klaganspruch aus Sicherungsübereignung
Lit.: Kaser §§ 24, 31, 38, 83; Söllner §
9
actio (F.) finium regundorum (lat.) Grenzfeststellungsklaganspruch
Lit.: Kaser § 23
Actio (F.) furti non manifesti (lat.) ist im römischen Recht der Klaganspruch gegen den
nicht handhaften Dieb auf das Doppelte des Wertes der entzogenen Sache, während
die actio furti manifesti auf das Vierfache des Sachwerts gerichtet ist.
Lit.: Kaser § 83; Kaser, M., Die actio furti, ZRG RA 96
(1979), 89
actio (F.) honoraria (lat.) prätorischer Klaganspruch
Lit.: Kaser § 4 II 1
actio (F.) in factum (lat.) auf den Sachverhalt zugeschnittener Klaganspruch
des Prätors bei Fehlen einer actio im Edikt und Anerkennung eines
Rechtsschutzbedürfnisses (z. B. bei von der lex Aquilia nicht erfassten
mittelbaren Schädigungen)
Lit.: Söllner § 15; Gröschler, P., Actiones in factum, 2002
actio (F.) iniuriarum (lat.) Schadensersatzklaganspruch
Lit.: Kaser §§ 34, 35, 83; Söllner § 8; Moosheimer, T., Die
actio iniuriarum aestimatoria, 1998; Balthasar, S., Der Schutz der Privatsphäre
im Zivilrecht, 2006
actio (F.) in personam (lat.) persönlicher Klaganspruch (wegen Forderungen aus
einem Schuldverhältnis auf Leistung, wobei Einlassungszwang des Gegners
besteht)
Lit.: Kaser § 4 I, II, 82 II; Söllner §
9
actio (F.) in rem (lat.) sachverfolgender Klaganspruch (zur Durchsetzung von absoluten
Rechten auf eine [ursprünglich in der Gerichtsstätte vorhandene] Sache gegenüber
einem sich in Widerspruch zu den Rechten des Klägers Setzenden, wobei kein
Einlassungszwang des Gegners besteht)
Lit.: Kaser §§ 4, 83 II; Söllner § 9
Actio (F.) institoria (lat.) ist im römischen Recht der Klaganspruch gegen einen
Unternehmer aus einer von seinem Angestellten eingegangenen Verbindlichkeit.
Lit.: Kaser § 49; Wacke, A., Die
adjektizischen Klagen, ZRG RA 111 (1994), 280; Hamza, G., Bemerkungen zur actio
ad exemplum institoriae im römischen Recht (in) Seminariios Complutenses de
derecho Romano, 25 (20129, 175
actio (F.) iudicati (lat.) Vollstreckungsklaganspruch
Lit.: Kaser §§ 32, 85
actio (F.) legis Aquiliae (lat.) Schadensersatzklaganspruch
Lit.: Kaser § 51; Söllner § 8; Kaufmann, H., Rezeption und
usus modernus der actio legis Aquiliae, 1958
actio (F.) locati (lat.) Klaganspruch des Vermieters u. s. w.
Lit.: Kaser §§ 42, 83 II
actio (F.) mandati (lat.) Klaganspruch aus Auftrag
Lit.: Kaser §§ 56, 57, 83
actio (F.) mixta
(lat.) gemischter Klaganspruch (zugleich sachverfolgender und pönaler
Klaganspruch)
Actio (F.) negatoria (lat.) ist im römischen Recht der Klaganspruch, mit dem
der zivile Eigentümer sich dagegen wehren kann, dass ein anderer sich ein nicht
bestehendes Recht zur Einwirkung auf die Sache (z. B. Dienstbarkeit, Recht auf
Immission) anmaßt.
Lit.: Kaser § 27 II; Ogorek. R., Actio negatoria und
industrielle Beeinträchtigung des Grundeigentums, (in) Wissenschaft und
Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 4 1979, 40; Thier, A., Zwischen actio
negatoria und Aufopferungsanspruch, (in) Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine
Richter, 2000, 407; Kawasumi, Y., Von der römischen actio negatoria zum
negatorischen Beseitigungsanspruch, 2001
actio (F.) negotiorum gestorum (lat.) Klaganspruch aus Geschäftsführung
Lit.: Kaser §§ 38, 44, 56, 64, 83
actio (F.) noxalis (lat.) Schadensersatzklaganspruch wegen Noxalhaftung des
Gewalthabers
Lit.: Köbler, DRG 27
Actio (F.) nullitatis (lat.) ist der mittelalterliche Nichtigkeitsklaganspruch
Lit.: Köbler, DRG 117
actio (F.) operarum (lat.) Klaganspruch auf versprochene Dienste
Lit.: Kaser §§ 16 II, 39 II
Actio (F.) Pauliana (lat.) ist die unter Justinian (527-565) die (lat.) restitutio in
integrum und das (lat.) interdictum fraudatorium aufnehmende Gläubigeranfechtungsklage
gegen den unentgeltlichen oder wissenden Erwerber aus gläubigerbenachteiligenden
Rechtsgeschäften des Schuldners.
Lit.:
Willems, C., Actio Pauliana und fraudulent conveyances, 2012
actio (F.) pigneraticia (lat.) Pfandklaganspruch (in rem oder in personam)
Lit.: Kaser §§ 31, 39
actio (F.) poenalis (lat.) Strafklaganspruch
actio (F.) popularis (lat.) Popularklaganspruch, von jedermann aus dem Volk
erhebbarer Klaganspruch (z. B. actio de deiectis verl effusis), bei dem die
Buße an den Kläger, die Gemeinekasse bzw. Staatskasse oder an beide fällt
Lit.: Kaser § 50 I 1
actio (F.) praescriptis verbis (lat.) Klaganspruch der (vom Prätor in der
Klaganspruchsformel genau) vorgeschriebenen Worte (z. B. bei
Innominatkontrakt)
Lit.: Kaser § 45 II; Kranjc, J., Die actio praescriptis
verbis, ZRG RA 106 (1989), 434; Artner, M., Agere praescriptis verbis, 2002
actio (F.) praetoria (lat.) prätorischer Klaganspruch
Lit.: Kaser § 4 II
actio (F.) pro socio (lat.) Klaganspruch gegen den Gesellschafter
Lit.: Kaser § 43 I
Actio (F.) Publiciana (lat.) ist im römischen Recht der wohl im letzten
vorchristlichen Jahrhundert vom Prätor geschaffene sachverfolgende Klaganspruch
des besseren Besitzers (z. B. Ersitzungsbesitzers, bonitarischen Eigentümers)
gegen den schlechteren Besitzer (also nicht gegen den zivilen Eigentümer) auf
Herausgabe der Sache (vgl. § 1007 BGB, 372 ABGB).
Lit.: Kaser §§ 27, 83; Söllner § 9; Apathy, P., Die
publizianische Klage, 1981
actio (F.) quanti minoris (lat.) Minderungsklaganspruch (binnen einem Jahr geltend
zu machen)
Lit.: Kaser § 41 VI 4; Söllner § 9
Actio (F.) quod iussu (lat.) (Geheißklage) ist im römischen Recht der
Klaganspruch gegen den durch Geheiß (lat. [N.] iussum) zu Rechtsgeschäften
ermächtigenden Hausvater bzw. Gewalthaber wegen des Geschäfts eines Haussohns
bzw. Gewaltunterworfenen.
Lit.: Kaser §§ 49, 83; Schleppinghoff, A., Actio quod
iussu, Diss. jur. Köln 1996
actio (F.) redhibitoria Wandelungsklaganspruch (binnen sechs Monaten geltend zu
machen)
Lit.: Kaser §§ 34, 41; Söllner § 9
actio (F.) rei uxoriae (lat.) Klaganspruch auf Herausgabe des Heiratsguts der
Frau
Lit.: Kaser §§ 33, 34, 36; Söllner §§ 9, 24; Söllner, A,
Zur Vorgeschichte und Funktion der actio rei uxoriae, 1969
actio (F.) Serviana (lat.) Pfandklaganspruch des Pfandgläubigers (anfangs nur
des Verpachtenden) auf Herausgabe der Pfandsache von jedem Besitzer
Lit.: Kaser § 31 III
actio (F.) stricti iuris (lat.) strengrechtlicher Klaganspruch
Lit.: Kaser §§ 33 IV, 36 III, 37 I
actio (F.) tutelae (lat.) Klaganspruch gegen den Vormund
Lit.: Kaser §§ 62 IV 4, 83 II 3
actio (F.) utilis (lat.) (vom Präter im Einzelfall) brauchbar (anwendbar) gemachter
allgemeiner Klaganspruch (z. B. Anwendbarmachung der actio legis Aquiliae des
Eigentümers auf andere dinglich Berechtigte oder auf den Hausvater eines
verletzten Hauskinds)
Lit.: Kaser § 55 II 3; Stolmar, R., Die Genesis der actio
utilis, 1988; Stolmar, R., Die formula der actio utilis, 1992
actio (F.) venditi (lat.) Kaufpreisklaganspruch des Verkäufers
Lit.: Kaser §§ 41 III 2, 83 II 3
actus (lat.
[N.]) Trift →Dienstbarkeit
actus (M.) iuridicus (lat.) →Rechtsgeschäft
Lit.: Köbler, DRG 164
actus (M.) legitimus (lat.) bedingungsfeindliches Rechtsgeschäft
Lit.: Kaser §§ 34, 41
Additio (F.) sapientium (lat.) ist die innerhalb der →Lex Frisionum
überlieferte Niederschrift über Rechtsmitteilungen zweier Männer namens
Wlemarus und Saxmundus.
Lit.: Heck, P., Die Entstehung der Lex Frisionum, 1927;
Siems, H., Studien zur Lex Frisionum, 1980
Adel ist
die Gesamtheit der erblich bevorrechtigten Familien einer Gesellschaft. Derartige
Erscheinungen treten in verschiedenen Kulturen auf. Sie sind Wandlungen
unterworfen. Die Herkunft des mittelalterlichen deutschen Adels ist ungeklärt.
Neben wirtschaftlichen Gesichtspunkten (ererbter Boden?) spielt wohl auch die
Herrschaft über Menschen eine Rolle. Nicht sicher feststellbar ist die
Bedeutung charismatischer Elemente (Heil, Behauptung göttlicher Abkunft). Die
germanischen (lat. [M.Pl.]) principes (Ersten, Anführer) lassen sich nicht als
A. sichern. Das salfränkische Volksrecht (507-511?) kennt noch keine rechtliche
Aussonderung erblich bevorrechtigter Familien, doch ist es nicht
ausgeschlossen, dass der aus der spätrömischen Reichsbeamtenschaft hervorgegangene
römische Senatorenadel vergleichbare fränkische Strukturen als Gegenstück
findet. Mit den fränkischen Königen steigen viele ihrer Anhänger über die
Zuteilung von wichtigen Aufgaben auf. Infolge von Heiratsverbindungen und
militärischen Erfolgen entwickelt sich ein engerer Kreis bedeutender Familien,
denen zunehmend die höchsten Ämter des Reiches vorbehalten werden (Reichsadel).
Weil ihre Lehen seit dem Ende des 9. Jh.s erblich werden, festigt sich ihre
örtliche Bindung zu bestimmten Gebieten. Diese oberste Schicht des bereits in
den karolingischen Volksrechten durch ein besonderes →Wergeld sowie im
Übrigen durch →Ebenburt (Ebenbürtigkeit) und später →Pairsgericht
gekennzeichneten Adels wird seit dem Hochmittelalter zu den →Landesherren
bzw. →Reichsfürsten. Demgegenüber tritt der vielfach der Unfreiheit
entstammende, durch Herrendienst entstandene →niedere Adel in den Dienst
der Landesherren ein. Seit 1346 kann der A. (vom König) durch Urkunde an Bürger
verliehen werden (Briefadel). Mit dem Absolutismus wird die politische
Bedeutung des Adels im Land beschnitten. Durch Säkularisation, Mediatisierung,
Beseitigung der Grundherrschaft und Einführung des 1789 in Frankreich revolutionär
verwirklichten Gleichheitsgrundsatzes wird der rechtliche Vorrang des Adels
(im deutschen Gebiet) in der jüngeren Neuzeit (bis 1918) beseitigt (Österreich
3. 4. 1919 Gesetz über die Aufhebung des Adels, Führung verwaltungsstrafbar).
Mit der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone (1945-1949) werden ihm
dort auch die wirtschaftlichen Grundlagen entzogen.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Köbler, DRG 78, 87, 98, 111,
120, 132, 135, 149, 206, 225; Guilhermoz, P., Essai sur l’origine de la
noblesse en France, 1902; Wittich, W., Altfreiheit und Dienstbarkeit des
Uradels in Niedersachsen, Vjschr. für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1906;
Schulte, A., Der Adel und die deutsche Kirche, 1910; Mayer, E., Der germanische
Uradel, ZRG GA 32 (1911), 1;
Mayer, E., Zur Lehre vom germanischen Uradel, ZRG GA 37 (1916), 93; Ernst, V., Die
Entstehung des niederen Adels, 1916; Lintzel, M., Die Stände der deutschen
Volksrechte, 1933; Dungern, O. v., Adelsherrschaft im Mittelalter, 1927,
Neudruck 1967; Otto, E., Adel und Freiheit, 1937; Stutz, U., Zum Ursprung und
Wesen des niederen Adels, 1937; Bader, K., Zur Lage und Haltung des
schwäbischen Adels am Ende des alten Reiches, Zs. f. württ. LG. 5 (1941), 335;
Tellenbach, G., Vom karolingischen Reichsadel zum deutschen Reichsfürstenstand,
1943; Hiesel, R., Die staatsrechtliche und soziologische Stellung des
Stadtadels, 1952; Sprandel, R., Der merovingische Adel, 1957; Bergengruen, A.,
Adel und Grundherrschaft im Merovingerreich, 1958; Kläui, P.,
Hochmittelalterliche Adelsherrschaften im Zürichgau, 1960; Deutscher Adel
1430-1555, hg. v. Rößler, H., 1965; Deutscher Adel 1555-1740, hg. v. Rößler,
H., 1965; Störmer, W., Früher Adel, 1973; La noblesse, hg. v. Contamine, P.,
1976; Fleckenstein, J., Die Entstehung des niederen Adels und das Rittertum,
1977; Sablonier, R., Adel im Wandel, 1979; Lemmel, H., Die genetische
Kontinuität des mittelalterlichen Adels, 1980; Werner, M., Adelsfamilien im
Umkreis der frühen Karolinger, 1982; Barbero, A., L’aristocrazia, 1987;
Europäischer Adel 1750-1950, hg. v. Wehler, H. u. a., 1990; Althoff, G.,
Verwandte, Freunde und Getreue, 1990; Ritterorden und Adelsgesellschaft im
spätmittelalterlichen Deutschland, hg. v. Kruse, H. u. a., 1991;
Hoyningen-Huene, I. Frfr. v., Adel in der Weimarer Republik, 1992; Adel in der
frühen Neuzeit, hg. v. Endres, W., 1993; Spieß, K., Familie und Verwandtschaft
im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, 1993; Ranft, A.,
Adelsgesellschaften, 1994; Fehrenbach, E., Adel und Bürgertum im deutschen
Vormärz, HZ-258 (1994), 1; Jackman, D., Das Eherecht und der frühdeutsche Adel,
ZRG GA 112 (1995), 158; The European Nobilities in the Seventeenth and
Eighteenth Centuries, Bd. 2 1995, 2. A. 2007; Geschichte des sächsischen Adels,
hg. v. Keller, K. u. a., 1997; Contamine, P., La noblesse au royaume de France,
1997; Nobilitas, hg. v. Oexle, G. u. a., 1997; Dumoulin, K., Die Adelsbezeichnung
im deutschen und ausländischen Recht, 1997; Rösener, W., Adelsherrschaft als
kulturhistorisches Phänomen, HZ 268 (1998), 1; Werner, K., Naissance de la
noblesse, 1998; Peters, U., Dynastiegeschichte und Verwandtschaftsbilder, 1999;
Reif, H., Adel im 19. und 20. Jahrhundert, 1999; Baudisch, S., Lokaler Adel in
Nordwestsachsen, 1999; Binder-Krieglstein, R., Österreichisches Adelsrecht
1868-1918/19, 2000; Nobles and Nobility in Medieval Europe, hg. v. Duggan, A.,
2000; La noblesse dans les territoires angevins, hg. v. Coulet, N. u. a., 2000;
Conze, E., Vom deutschen Adel – Die Grafen von Bernstorff im zwanzigsten
Jahrhundert, 2000; Stockert, H., Adel im Übergang, 2000; Der europäische Adel
im Ancien Régime, hg. v. Asch, R., 2001; Schmilewski, U., Der schlesische Adel,
2001; Janse, A., Ridderschap in Holland, 2001; Zwischen Nicht-Adel und Adel,
hg. v. Andermann, K. u. a., 2001; Mauerer, E., Südwestdeutscher Reichsadel im
17. und 18. Jahrhundert, 2001; Pečar, A., Die Ökonomie der Ehre. Der
höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711-1740), 2003; Zunker, D., Adel in
Westfalen, 2003; Malinowski, S., Vom König zum Führer, 2003; Hengerer, M.,
Kaiserhof und Adel, 2004; Adel und Moderne, hg. v. Conze, E./Wienfort, M.,
2004; Schneider, J., Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel, 2003;
Theilemann, W., Adel im grünen Rock, 2004; Funck, J., Feudales Kriegertum und
militärische Professionalität, 2004; Hechberger, W., Adel, Ministerialität und
Rittertum im Mittelalter, 2004, 2. A. 2010; Hechberger, W., Adel im
fränkisch-deutschen Mittelalter, 2005; Crouch, D., The Birth of Nobility, 2005;
Kleines Lexikon des Adels, hg. v. Conze, E., 2005; Dendorfer, J., Adelige
Gruppenbildung und Königsherrschaft, 2005; Barth, T., Adelige Lebenswege im alten Reich, 2005;
Fried, J., Konradiner und kein Ende, ZRG GA 123 (2006), 1; Hochmittelalterliche
Adelsfamilien in Altbayern, Franken und Schwaben, hg. v. Kramer, F. u. a.,
2006; Adel im Wandel, hg. v. Bumiller, C., 2006; Adel im Wandel, hg. v.
Hengerer, M. u. a., 2006; Ruppel, S., Verbündete Rivalen, 2006; Matzerath, J.,
Adelsprobe an der Moderne, 2006; Adel in Sachsen-Anhalt, hg. v. Labouvie, E.,
2007; Votypka, V., Böhmischer Adel, 2007; Adel und Nationalsozialismus im
deutschen Südwesten, hg. v. Haus der Geschichte u. a., 2007; Adel in Bayern,
hg. v. Haus der bayerischen Geschichte, 2008; Sikora, M., Der Adel in der
frühen Neuzeit, 2009; Adel im „langen“ 18. Jahrhundert, hg. v. Haug-Moritz, G.
u. a., 2009; Adel in Schlesien, hg. v. Harasimowicz, J. u. a., 2010; Adel in
Hessen, hg. v. Conze, E. u. a., 2010; Risch, H., Der holsteinische Adel im
Hochmittelalter, 2010; Adel verbindet, hg. v. Van Driel, M. u. a., 2010; Groß,
O., Die Debatten über den Adel im Spiegel der Grundrechtsberatungen in den
deutschen Parlamenten 1848/1849, 2013
Ädile sind
im römischen Recht zunächst die beiden Vorsteher des plebejischen
Sonderheiligtums (lat. [F.] aedes [sacra], Tempel), die auch die Aufsicht über
die dort stattfindenden Märkte haben. Im Jahre 367 v. Chr. wird ihnen die
allgemeine Polizeigewalt übertragen. Ihnen werden zwei weitere Ä. zur Seite
gestellt, die abwechselnd aus Patriziern und Plebejern gewählt werden sollen.
Sie erhalten die Marktgerichtsbarkeit, in deren Rahmen sie ein eigenes Edikt aufstellen. Außer in Rom gibt es
Ä. später auch in anderen Gemeinden.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein
§§ 8, 15; Söllner §§ 6, 8; Köbler, DRG 18; Wieacker, F., Römische
Rechtsgeschichte, Bd. 1 1988
aditio (lat.
[F.]) Antritt
adiudicatio (lat.
[F.]) Zuspruch
adjektizisch (hinzukommend, erstreckend) z. B. im römischen Recht Klagansprüche gegen
den Gewalthaber auf Grund von Geschäften Gewaltunterworfener (z. B. actio de in
rem verso, actio de peculio, actio quod iussu, actio tributoria) oder gegen den
Geschäftsherrn auf Grund von Geschäften von Geschäftsführern (z. B. actio
institutoria, actio exercitoria), die keine selbständigen Verbindlichkeiten begründen,
sondern die Verbindlichkeiten des Schuldners (Gewaltunterworfenen, Geschäftsführers)
nur auf einen anderen (z. B. Gewalthaber, Geschäftsherrn) erstrecken
Adler ist
der Vogel, der als König der Vögel bereits im Altertum als Begleitzeichen des
höchsten Gottes (Zeus, Jupiter) erscheint und bald als Zeichen der römischen
Weltherrschaft verwendet wird. Diese Symbolik übernimmt anscheinend Karl der
Große. Unter Friedrich I. Barbarossa wird der goldene A. auf farblosem Grund
zum Reichswappen, das im 13. Jh. schwarz auf goldenem Grund gestaltet wird. Am
Ende des 12. Jh.s tritt der ebenfalls schon antike Doppeladler in Siegeln von
Reichsstädten neben den einfachen A. Um 1230 geben die Reichsfürsten den bis
dahin wegen ihrer königlichen Lehen geführten A. fast durchweg auf. Unter
Kaiser Sigismund wird 1433 der schwarze Doppeladler im goldenen Feld Reichswappen,
neben dem der König bis zum Ende des Heiligen römischen Reiches den einfachen A. führt. 1848 erklärt die
Bundesversammlung den Doppeladler zum Wappen des geplanten Deutschen Reiches,
1871 das Deutsche Reich den einköpfigen schwarzen A. in Gold mit aufgelegtem
preußischem Adlerschild, 1919 den einköpfigen schwarzen A. in Gold, der 1950
von der Bundesrepublik Deutschland übernommen wird. Österreich verwendet 1804
den Doppeladler als Reichswappen, versieht ihn aber mit je einer Krone und
führt 1919 den einköpfigen schwarzen A. mit Hammer und Sichel in den Fängen
ein, der von 1934 bis 1945 durch einen Doppeladler ersetzt, 1945 aber mit einer
zusätzlichen gesprengten Eisenkette wieder aufgenommen wird. Preußen führt
seit 1320 zusätzlich den kaiserlichen A., der 1525 als schwarzer A. in Silber
gestaltet und mit einer goldenen Krone um den Hals und einem silbernen
S(igismund) auf der Brust versehen wird. 1701 wird der gekrönte schwarze A. in
Silber Wappen des Königreichs.
Lit.: Gritzner,
E., Symbole und Wappen des alten deutschen Reiches, 1902; Korn, H., Adler und
Doppeladler, Diss. phil. Göttingen 1969, Neudruck 1976; Hattenhauer, H.,
Deutsche Nationalsymbole, 1984; Hattenhauer, H., Geschichte der deutschen
Nationalsymbole, 2. A. 1990; Hattenhauer, H., Deutsche Nationalsymbole, 3. A.
1998; Reichel, P., Schwarz Rot Gold, 2005
admallatio (lat. [F.]) Ladung
administratio (lat. [F.]) Verwaltung
Lit.: Busch, J.,
Administratio in der frühen Stauferzeit, ZRG GA 122 (2005), 42; Busch, J., Vom
Amtswalten zum Königsdienst, 2007
Administrativjustiz (F.) durch die Verwaltung wahrgenommene Gerichtsbarkeit in
Verwaltungsangelegenheiten (im 19. Jh.)
Lit.:
Pahlow, L., Administrativjustiz versus Justizstaat, ZNR 2000, 11
Administrator ist seit dem Ende des 13. Jh.s der Verwalter eines Bistums.
Lit.:
Busch, J., Administratio in der frühen Stauferzeit, ZRG GA 122 (2005), 43
admonitio (lat. [F.]) Ermahnung (z. B. Kapitular
admonitio generalis vom 23. 3. 789)
Lit.: Buck, T., Admonitio und
Praedicatio, 1997; Die Admonitio generalis Karls des Großen, hg. v. Mordek, H.
u. a., 2012
adoptio (lat.
[F.]) Annahme an Kindes Statt →Adoption
Adoption ist
die Annahme eines Menschen als Kind unabhängig von der tatsächlichen
Verwandtschaft. Das römische Recht kennt in diesem Zusammenhang neben der (lat.
[F.]) adrogatio eines Menschen sui iuris und verschiedenen testamentarischen
Geschäften in Anknüpfung an die Zwölftafelgesetzgebung die (lat. [F.]) adoptio
eines Menschen alieni iuris, bei der ein Vater seinen Sohn dreimal (bzw. eine
Tochter oder einen Enkel einmal) dem künftigen Adoptivvater zu treuen Händen
durch →Manzipation (lat. [F.] →mancipatio) überträgt, dieser ihn
dreimal (bzw. einmal) freilässt, der Adoptierende vor dem Gerichtsmagistrat
behauptet, dass das Kind das seine sei, der Vater nicht widerspricht und der
Magistrat den Menschen dem Adoptivvater zuteilt. Das frühmittelalterliche
Recht nimmt mit ähnlicher Zielsetzung die →Affatomie bzw. das
Speergedinge vor. Zu Beginn der Neuzeit wird die römischrechtliche A. in eingeschränkter
Form an einzelnen Stellen aufgenommen (Freiburg im Breisgau 1520) und findet
erst danach allgemein (entweder als adoptio plena d. h. volle Verwandtschaft
oder als adoptio minus plena Erbberechtigung des Adoptierten nach dem
Adoptierenden) Eingang in die vernunftrechtlichen Kodifikationen (CMBC 1756 I,
4, § 5; I, 5 § 12, ABGB 1811 §§ 181ff., Code civil Art. 343ff., Bad LR Art.
343ff.). Wie schon im römischen Recht, so sollte auch im Allgemeinen Landrecht
(II 2 §§ 666ff. Preußens die A. vor allem Kinderlosen einen Erben verschaffen.
In Deutschland wird sie 1900 in das Bürgerliche Gesetzbuch übernommen und 1976
neu gefasst, in Großbritannien 1926 eingeführt. Sie dient zunehmend der
Kinderfürsorge und der Befriedigung ideeller Wünsche.
Lit.: Kaser § 60; Söllner §§ 8, 25;
Hübner; Köbler, DRG 21, 268; Pappenheim, M., Über künstliche Verwandtschaft im
germanischen Rechte, ZRG GA 29 (1908), 304; Pitzorno, B., L’adozione privata,
1914; Eichmann, E., Die Adoption des deutschen Königs durch den
Papst, ZRG GA 37 (1916), 291; Kuhn, H., Philologisches zur Adoption
bei den Germanen, ZRG GA 56 (1947), 1; Wackernagel, W., Die rechtliche Stellung
der Nachkommen des Adoptivkindes, Diss. jur. Basel 1953; Diederichsen, U.,
Wandlungen des Adoptionsrechts, StAZ 1977, 301; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Schubert, W., Die Projekte der Weimarer Republik
zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts,
1986; Haibach, U., Familienrecht in der Rechtssprache, 1991; Jussen, B.,
Patenschaft und Adoption, 1991; Knütel, R., Zur Adoption im römischen Recht,
(in) Familienrecht in Geschichte und Gegenwart, 1992, 3; Schoenenberger, M.,
Histoire du droit de l’adoption, (Diss. jur. Freiburg i. Ü.) 1995; Sturm, F.,
Die Aufnahme der Adoption in den Code civil, (in) Wirkungen europäischer
Rechtskultur, 1997, 1305ff.; L’adoption dans le droit savant, hg. v. Roumy, F.
u. a., 1998; Neukirchen, C. Die rechtshistorische Entwicklung der Adoption,
2004; Kurtz, D., Das Institut der Adoption im preußischen Allgemeinen Landrecht
und im französischen Code civil, 2006; Wesener, G., Adoptio, FS Wilhelm
Brauneder, 2008, 699; Schott, C., Kindesannahme - Adoption - Wahlkindschaft,
2009; Warnecke, M., Zwangs-Adoptionen in der DDR, 2009
advocatus (lat.
[M.]) Herbeigerufener (Rechtsbeistand) →Advokat, (mlat.) →Vogt
Advokat (lat.
[M.] advocatus) ist seit dem 5. Jahrhundert in der christlichen Kirche ein
Funktionsträger. Im 8. Jh. schreibt die Kirche die Zuziehung solcher (lat.)
advocati (M.Pl.) in weltlichen Streitigkeiten der Geistlichen vor. Bis 1340
wird ihr Aufgabenkreis durch päpstliche Dekrete näher bestimmt. Am Ende des 14.
Jh.s findet das Wort als Fremdwort Eingang in das Deutsche. Im Prozess verfasst
der A. als Berater und Vertreter einer Partei Klageschriften und andere
Stellungnahmen und trägt sie in seinem Plädoyer vor Gericht mündlich vor. Mit
der Rezeption übernimmt zeitweise (KGO 1421, RKGO 1495) der →Prokurator
den Vortrag vor Gericht. In Preußen wird 1793 kurzfristig die Advokatur
abgeschafft. 1878 wird der Ausdruck A. im Deutschen Reich durch →Rechtsanwalt
ersetzt.
Lit.: Söllner §§ 9, 11;
Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 56, 86, 117, 153; Fournier, P., Les
officialités au Moyen Age, 1880; Hogan, J., Judicial Advocates and Procurators,
1941; Hermesdorf, B., Licht en schaduw in de advocatuur der Lage Landen, 1951;
Gänßlen, G., Die Ratsadvokaten und Ratskonsulenten der Reichsstadt Ulm, 1966;
Grahl, C., Die Abschaffung der Advokatur, 1993; Siegrist, H., Advokat, Bürger
und Staat, 1996; Scherner, K., Advokaten, Revolutionäre, Anwälte, 1997;
Neschwara, C., Die Entwicklung der Advokatur in Cisleithanien, ZRG GA 115
(1998), 441; Officium advocati, hg. v. Mayali, L., 2000; Baumann, A., Advokaten
und Prokuratoren, 2006; 200 jaar orde van Advocaten te Antwerpen, hg. v.
Bogaerts, P. u. a., 2012
aedilis (lat. [Adj.]) Haus-, s. Ädil
AEIOU ist
die von dem der Buchstabenmagie
zugetanen Kaiser Friedrich III. (1440-1493) von Habsburg seit 1437 verwendete
Zeichenfolge, deren vielfache lateinische und deutsche Erklärungen (z. B.
[lat.] Austriae est imperare orbi universo, Alles Erdreich ist Österreich
untertan, [lat.] Austria est inter omnes universa, Österreich ist unter allen
das vielseitigste) erst später erscheinen.
aequitas (lat.
[F.]) Billigkeit, Gerechtigkeit
Lit.:
Rühl, P., Das aequitatis iudicium im fränkischen Königsgericht, ZRG GA 20
(1899), 207; Kirn, P., Aequitatis iudicium, ZRG GA 52 (1932), 53; Ostwaldt, L.,
Aequitas und Justitia, 2009
Aequitas (F.) canonica (lat.) ist die aus den Umständen des Einzelfalls eine
Abweichung vom geltenden Recht begründende kanonische Billigkeit. Auf Grund
von antiken Vorläufern (griech. epicheia, lat. supraiustitia) und kirchenrechtlichen
Sammlungen des 10. und 11. Jh.s wird sie von Gratian (1140) verwendet. Ziel ist
die praktische Verwirklichung des Gerechtigkeitsideals. Hauptsächlich
dient die a. c. der Auslegung und Ergänzung rechtlicher Regeln.
Lit.: Wohlhaupter,
E., Aequitas canonica, 1931; Maitland, F., Equity, 1936; Hering, C., Die
aequitas bei Gratian, (in) Studia Gratiana Bd. 2 1954, 96; Horn, N., Aequitas
in den Lehren des Baldus, 1968; Caroni, P., „Aequitas“ romana, „misericordia“
patristica ed „epicheia“ aristotelica nella dottrina dell’ „aequitas canonica“,
1971; Equity in the World’s Legal Systems, hg. v. Newman, A., 1973; Maifeld,
J., Die aequitas bei L. Neratius Priscus, 1991; Landau, P., Der Einfluss des kanonischen
Rechtes, (in) Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, hg. v. Schulze,
R., 1991, 39; Wesener, G., Aequitas naturalis, (in) Der Gerechtigkeitsanspruch
des Rechts, 1996, 82
aequus (lat. [Adj.]) eben, gleich, billig, gerecht
aerarium (lat.
[N.]) Staatskasse, Staatsschatz
aestimatum (lat. [N.]) Trödelvertrag
Affatomie ([F.]
„Indenschoßsetzung“) ist das förmliche Verfahren des altfränkischen Rechtes
(fränkische Volksrechte, Kapitularien, Formeln), durch das Güter eines
kinderlosen Erblassers in drei zeitlich getrennten Handlungen im Ding, im Haus
und im Königsding Dritten zugewendet werden können.
Lit.: Hübner; Pactus legis Salicae, hg. v. Eckhardt, K.,
1962, Tit. 46, §§ 1-6, Tit. 105, § 1; Schmidt, R., Die Affatomie der lex
Salica, 1891; Sousa Costa, A. de, Studien zu volkssprachigen Wörtern in
karolingischen Kapitularien, 1993, 162; Schmidt-Recla, A., Mancipatio familiae
und Affatomie, (in) Leges – Gentes – Regna, hg. v. Dilcher, G. u. a., 2006, 461
Affektion (F.) Zuneigung, Liebhaberei
Affektionsinteresse (N.)
Liebhaberwert
Lit.:
Kindler, M., Vom Ursprung des Affektionsinteresses im römischen Recht und
seiner Rezeption, 2013
Africanus (Sextus Caecilius Africanus) ist der als Schüler des →Julian bekannte hochklassische
römische Rechtskundige des 2. Jh.s n. Chr. († 175?), von dem Epistulae und Quaestiones
bezeugt sind (insgesamt 35 Spalten in Otto Lenels Palingenesie).
Lit.: Schulz, F., Geschichte der römischen Rechtswissenschaft,
1961; Africani quaestiones. Studien zur Geschichte und Dogmatik des
Privatrechts, hg. v. Harke, J., 2011
Afrika ist der
südlich Europas gelegene Kontinent, dessen günstige klimatische Gegebenheiten
die Entwicklung des modernen Menschen ermöglichen, dessen Nordrand schon dem
römischen Reich angehört, dessen südliche Teile aber erst mit dem Beginn der
Neuzeit in das europäische Gesichtsfeld treten und dann als Kolonien durch
Portugal, England, Frankreich, Belgien und Deutschland in Besitz genommen
werden, bis sie sich nach der Mitte des 20. Jh.s zu verhältnismäßig
selbständigen Staaten befreien können.
Lit.: Davidson, B., Old Africa rediscovered, 1959;
Davidson, B., Urzeit und Geschichte Afrikas, 1961; Strauch, H., Afrikas Weg zur
Einheit, Diss. jur. Zürich (um 1965); Zimmermann, R., Der Einfluss Pothiers auf
das römisch-holländische Recht in Südafrika, ZRG GA 102 (1985), 168; Davidson,
B., The Black Man’s Burden, 1992; Iliffe, J., Geschichte Afrikas, 2. A. 2003;
Harding, L., Geschichte Afrikas im 19. und 20. Jahrhundert, 1999, 2. A. 2010;
Hazdra, P., Afrikanisches Gewohnheitsrecht, 1999; Wesseling, H., Teile und
herrsche, 1999; Afrika, hg. v. Grau, I. u. a., 2000; Das Afrika-Lexikon, hg. v.
Mabe, J., 2001; Ansprenger, F., Geschichte Afrikas, 2002; Fage, J./Oliver, R.,
Kurze Geschichte Afrikas, 2002; Giliomee, H., The Afrikaners, 2003; Kleines
Afrika-Lexikon, hg. v. Hofmeier, R. u. a., 2004; Marx, C., Geschichte Afrikas,
2004; Guérivière, J. de la, Die Entdeckung Afrikas, 2004; Koloniale und
postkoloniale Konstruktionen von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in
der deutschen Alltagskultur, hg. v. Bechhaus-Gerst, M. u. a., 2006; Schuerkens,
U., Geschichte Afrikas, 2009; Schicho, W., Geschichte Afrikas, 2010; Harding,
L., Das Königreich Benin, 2010; Weckner, F., Strafrecht und Strafrechtspflege
für Afrikaner und ihnen gleichgestellte Farbige in Deutsch-Ostafrika, 2010; Wllace,
M., History of Namibia, 2011; Thornton, J., A Cultural History of the Atlantic
World 1250-1820, 2012; Brett, M., Approaching African History, 2ß13; Marx, C.,
Südafrika, 2012
Afterlehen ist
die seit dem Anfang des 14. Jh.s entstandene Bezeichnung für das von einem
Lehnsmann in einem weiteren, von ihm begründeten Lehnsverhältnis an einen
(Unter-)Lehnsmann (Aftervassallen) weitergegebene Lehen. Im Gegensatz zu
England und der Normandie ist in Deutschland und Frankreich der Empfänger des
Afterlehens dem (Ober-)Lehnsherrn nicht zu Dienst und Treue verpflichtet.
Lit.: Diestelkamp, B., Das Lehnrecht der Grafen von
Katzenelnbogen, 1969
Agnat ist
der über Männer Verwandte. Im römischen Recht sind adgnati (M.Pl.) alle freien
Menschen, die in demselben Hausverband (oder in manus) stehen oder noch
ständen, wenn ihr gemeinsamer Stammvater noch lebte. Im germanisch-deutschen
Sprachbereich sind die Agnaten die Verwandten, die sich in rein männlicher
Linie auf einen gemeinsamen Stammvater zurückführen lassen (→Schwertmagen).
Der verschiedentlich behauptete Vorrang des agnatischen Prinzips vor dem
kognatischen Prinzip ist nicht nachweisbar.
Lit.: Kaser §
12; Kroeschell, DRG 1; Schmid, K., Zur Problematik von Familie, Sippe und
Geschlecht, Haus und Dynastie, ZGO 105 (1957), 1; Dölling, H., Haus und Hof in
westgermanischen Volksrechten, 1958
Agrarverfassung ist die (rechtliche) Grundordnung der landwirtschaftlich genutzten
Grundstücke einer Allgemeinheit. Die römische A. ist zunächst durch kleinbäuerliche
naturale Hauswirtschaft gekennzeichnet, doch bewirkt die Entwicklung Roms zu
einer Weltmacht den Übergang der römischen Kleinbauern in das Proletariat,
während die Patrizier durch Sklaven Plantagenwirtschaft betreiben können. Die
A. der Germanen ist umstritten. Eher unwahrscheinlich ist die durch Berichte
Caesars und Tacitus’ nahegelegte urkommunistische A. mit jährlicher
Ackerverlosung. Vielmehr dürften Haus und umliegendes Ackerland oder Weideland
bereits familienmäßig zugeordnet gewesen sein. Vielleicht als Folge der
Landnahme in der Völkerwanderung und der Begegnung mit provinzialrömischen
Zuständen entsteht die →Grundherrschaft als überwiegende Form des
Betriebs der →Landwirtschaft. Mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft im
Hochmittelalter werden Naturalabgaben der abhängigen bäuerlichen Hintersassen
in Geldleistungen umgewandelt. Östlich von Elbe und Saale setzt sich vor allem
seit der frühen Neuzeit die Gutsherrschaft durch, die abhängige Bauern zu
Tagelöhnern macht. An die Stelle von Rentengrundherrschaft und Gutsherrschaft
tritt nach der von der Aufklärung verursachten französischen Revolution von
1789 im 19. Jh. (1807-1848) das →Eigentum des einzelnen (befreiten)
Bauern. Im 20. Jh. führt die politische, wirtschaftliche und technische
Entwicklung zur Zerschlagung des Großgrundeigentums einerseits und zur Notwendigkeit
der Bildung größerer Wirtschaftseinheiten (landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften
in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR, Landpacht) andererseits. Nach
dem zweiten Weltkrieg wird die A. von Industrialisierung, Europäisierung und
Globalisierung geprägt, die das Ende des kleinbäuerlichen Familienbetriebs
einleiten. Gleichwohl gilt noch zu Beginn des 21. Jh.s Sonderrecht für das
landwirtschaftliche Grundeigentum.
Lit.: Köbler,
DRG 133, 174; Maurer, G. v., Geschichte der Markenverfassung in Deutschland,
1856; Knapp, G., Die Bauernbefreiung, 1887; Wittich, W., Die Grundherrschaft in
Nordwestdeutschland, 1896; Weber, M., Agrarrecht, Agrargeschichte,
Agrarpolitik - Vorlesungen 1894-1899, hg. v. Aldenhoff-Hübinger, R., 2007;
Dopsch, A., Die Wirtschaftsentwicklung der Karolingerzeit, 2. A. 1921; Weber,
M., Wirtschaftsgeschichte, 1923; Kötzschke, R., Allgemeine Wirtschaftsgeschichte
des Mittelalters, 1924; Wührer, K., Beiträge zur ältesten Agrargeschichte des
germanischen Nordens, 1935; Lütge, F., Die Agrarverfassung des frühen
Mittelalters im mitteldeutschen Raum, 1937, 2. A. = Neudruck 1966; Bader, K.,
Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff.;
Lütge, F., Geschichte der deutschen Agrarverfassung, 1963; Blaschke, K.,
Grundzüge und Probleme einer sächsischen Agrarverfassungsgeschichte, ZRG GA 82
(1965), 223; Wege und Forschungen der Agrargeschichte (FS Günther Franz), hg.
v. Haushofer, H. u. a., 1967; Groß, R., Die bürgerliche Agrarreform in Sachsen,
1968; Jamin, R., Aufbau, Tätigkeit und Verfahren der Auseinandersetzungsbehörden
bei der Durchführung der preußischen Agrarreformen, 1985; Brakensiek, S.,
Agrarreform und ländliche Gesellschaft, 1991; Rösener, W., Agrarwirtschadt,
Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter, 1992; Achilles, W.,
Deutsche Agrargeschichte im Zeitalter der Reformen und der Industrialisierung,
1993; Corni, G. u. a., Blut und Boden, 1996; Agrargeschichte, hg. v. Troßbach,
W. u. a., 1998; Kluge, U., Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft im 20.
Jahrhundert, 2005; Agrarreformen und ethnodemographische Veränderungen - Südosteuropa
vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, hg. v. Krauss, K., 2008;
Oberkrone, W., Ordnung und Autarkie, 2009
Agustín,
Antonio (Saragossa 1516-Rom 1586) schafft nach Studien in Alcala, Salamanca,
Padua und Bologna (Alciat) im päpstlichen Dienst die Grundlage für die
geschichtliche Bearbeitung der Quellen des kirchlichen Rechtes.
Lit.: Bernal Palacios, A., Antonio Agustín y su „Recollecta
in iure canonico“, (in) Revista española de derecho canonico 45 (1988), 487
Ägypten ist
das sich längs des unteren Nils erstreckende Gebiet Ägyptens, in dem seit dem
Ende des 4. Jt.s v. Chr. eine Hochkultur erkennbar ist, deren Rechtssätze nur
wenig bekannt sind. 30 v. Chr. fällt Ä. (nach mehr als 330 Königen aus 30
Dynastien) an die Römer, später wird es rasch vom →Islam erfasst. Aus dem
Erbe des osmanischen Reiches wird es 1882 von Großbritanien besetzt, zwischen
1922 und 1946 aber schrittweise verselbständigt.
Lit.: Grünau, W. v., Die staats- und völkerrechtliche
Stellung Ägyptens, 1903, Neudruck 2013; Friedell, E., Kulturgeschichte Ägyptens
und des Alten Orients, 1936, Neudruck 1998; Seidl, E., Einführung in die
ägyptische Rechtsgeschichte, 2. A. 1951; Otto, E., Ägypten, 1953, 5. A. 1959; Seidl,
E., Ägyptische Rechtsgeschichte 2. A. 1968; Goedicke, H., Die privaten
Rechtsinschriften, 1970; Lurje, M., Studien zum altägyptischen Recht, 1971;
Seidl, E., Rechtsgeschichte Ägyptens als römischer Provinz, 1973; Wolff, H.,
Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens, Bd. 2 1978; Vercoutter, J.,
L´Egypte, Bd. 1 1992; Hölbl, G., Geschichte des Ptolemäerreiches, 1994;
Assmann, J., Ägypten, 1996; Wesel, U., Geschichte des Rechts, 3. A. 2006;
Reclams Lexikon des alten Ägypten, hg. v. Shaw, I. u. a., 1998; Boochs, W.,
Altägyptisches Zivilrecht, 1998; Huß, W., Ägypten in hellenistischer Zeit,
2001; Clauss, M., Das alte Ägypten, 2001; Wolff, H., Das Recht der griechischen
Papyri Ägyptens, hg. v. Rupprecht, H., Bd. 1 2002; Hölbl, G., Altägypten im
römischen Reich, 2005; Capponi, L., Augustan Egypt, 2005; Langner, U.,
Forschungsarbeiten zur frühen Kultur der Menschhheit, 2007; Bingen, J.,
Hellenistic Egypt, 2007; Ägypten unter fremden Herrschern, hg. v. Pfeiffer, S.,
2007; Hornung, E., Einführung in die Ägyptologie, 6. A. 2008, 7. unv. A. 2010;
Booth, C., Das alte Ägypten, 2009; Cities and Urbanism in Ancient Egypt, hg. v.
Bietak, M. u. a.,, 2010; Kubisch, S. u. a., Kleopatra, 2011; Clauss, M., Der
Pharao, 2011; Rupprecht, H., Recht und Rechtsleben im ptolemäischen und
römischen Ägypten, 2011; Bauschtz, J., Law and Enforcement in Ptolemaic Egypt,
2013; Jin, S., Richten und Schlichten, 2013; History and Society during the
Mamluk Period (1250-1517), hg. v. Conerman, S., 2014
Ahnengrab
Lit.:
Meier, J., Ahnengrab und Brautstein, 1944; Meier, J., Ahnengrab und
Rechtsstein, 1950
Ahnenprobe ist der
Nachweis der (adeligen) Abkunft vom 12. bis 19. Jh.
Lit.: Langer, C., Die Ahnen- und Adelsprobe, 1862; Klocke,
F. v., Westdeutsche Ahnenproben, 1940; Medien der Kommunikation im Mittelalter,
hg. v. Spieß, K., 2003, 139ff.
Ahrweiler
Lit.: Krahforst, P.,
Stadtverfassung und Gerichtswesen im mittelalterlichen Ahrweiler, Diss. jur.
Bonn 1962; Inventar des Archivs der Stadt Ahrweiler 1228-1795, bearb. v.
Zimmer, T., 1965
Akademie ist
die bei dem Hain des griechischen Helden Akademos in Athen von Plato (428/427-348/347
v. Chr.) gegründete, griechische, 529 n. Chr. vom oströmischen Kaiser Justinian
verbotene Philosophenschule, deren Grundgedanke 1454 in Italien
(Terranuova/Florenz) wiederbelebt wird. Seitdem versammeln sich nach dem
Kooptationsprinzip bedeutende universitäre Gelehrte in außeruniversitären Akademien
(Accademia dei Lincei 1603, Accademia del Cimento 1657, Leopoldina Schweinfurt
1652) vor allem zwecks Netzwerkbildung. Der entscheidende Anteil an der
Entwicklung der modernen Welt kann aber eher den Universitäten (z. B. Halle
1694, Göttingen 1737, Berlin 1810) als den Akademien (Preußen 1700, Österreich
1847) als Wissenschaftsnetzwerken zugesprochen werden.
Lit.: Electoralis academiae scientiarum Boicae primordia,
Briefe aus der Gründungszeit, 1959; Lepper, H., Die Einheit der Wissenschaften,
1987; Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin, hg. v.
Kocka, J., 1999; Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin
1914-1945, hg. v. Fischer, W., 2000; Göttinger Gelehrte, hg. v. Arndt, K. u.
a., 2001; Hammerstein, N., Innovation und Tradition, HZ 278 (2004), 591;
Kopetz, H., Die österreichische Akademie der Wissenschaften, 2006; Die Gründung
der Leopoldina, hg. v. Toellner, R. u. a., 2008; Bolewski, H., Die Idee der
Akademie, hg. v. Bolewski, M., 2009; Denker, Forscher und Entdecker, hg. v. Willoweit,
D., 2009 (22 Lebensbilder); Joos, K., Gelehrsamkeit und Machtanspruch um 1700,
2012
Akademie für deutsches Recht ist die am 26. Juni 1933 auf Einladung des Staatsministers
Hans Frank im Justizministerium Bayerns von Wilhelm Kisch, Otto von Zwiedineck-Südenhorst,
Wilhelm Heuber, August von Finck, Wilhelm Arendts, Wilhelm Kißkalt, Karl Lasch
und Hans Frank vorbereitete, durch bayerisches Gesetz vom 22. September 1933
als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannte außeruniversitäre
wissenschaftliche Einrichtung der nationalsozialistischen Zeit (1933-1945)
zur weltanschaulichen Umgestaltung des Rechtes (mit anfangs 95 Mitgliedern).
Die A. f. d. R. wird mit verschiedenen Gesetzesvorhaben befasst (u. a. Volksgesetzbuch).
Ihr wissenschaftlicher Ertrag bleibt vor allem aus zeitlichen Gründen
notwendigerweise eher gering. Mitglieder sind (nach Pichinot) Albert, Anders,
Arendts Carl, Arendts Wilhelm, Becker, Belitz, Berckemeyer, Bertram,
Bilfinger, Bilke, Blomberg, Böhringer, Bohne, Bormann, Bosch, Bouhler, Brand,
Brandt, Braunmühl, Breska, Bruns, Buch, Buchner, Bühler, Bürckel, Bumke,
Bussmann, Buttmann, Buzengeiger, Calker, Correll, Dahm, Darré, Denzler, Dersch,
Dierig, Dietrich, Ditten, Dorpmüller, Droege, Duisberg, Ebbecke, Eckhardt,
Emge, Engert, Epp, Eschstruth, Exner, Fabian, Feder, Feise, Fiehler, Finck,
Firle, Fischer, Flick, Florian, Forster, Freisler Oswald, Freisler Roland,
Freytag-Loringhoven, Frick, Fritzsche, Frowein, Frundt, Gaertner, Gaus,
Geffroy, Geldmacher, Gelpcke, Gerdes, Gleispach, Glück, Goebbels, Goerdeler,
Göring, Goltz, Gonella, Gottl-Ottilienfeld, Grau, Grauert, Grimm, Grohé,
Gürtner, Haushofer, Heckel, Hedemann, Helfferich, Hellmuth, Henkel, Herle, Heß,
Heuber, Heymann, Hierl, Hildebrandt, Hilgard, Hilland, Himmler, Huber, Hueck,
Huecking, Hühnlein, Jessen, Jordan, Jung, Kaufmann, Keppler, Kerrl, Kilpper,
Kisch, Kißkalt, Klagges, Klausing, Klauer, Kleiner, Kleinmann, Klitzsch, Kluge,
Koch, Koellreutter, Kohlrausch, Krämer, Krohn, Krupp von Bohlen und Halbach,
Kyser, Lammers Clemens, Lammers Hans-Heinrich, Lange Heinrich, Lange Karl,
Lechner, Lehmann, Lehnich, Lent, Lenz, Ley, Linde, Linz, Lippert, Lohse,
Luetgebrune, Lüer, Lutze, Madaus, Mansfeld, Meerwald, Meißner, Menge, Merck,
Meyer Alfred, Meyer Herbert, Meyer Karl, Mezger, Mikorey, Minoux, Mitteis,
Mönckmeier, Mößmer, Moritz, Müller-Erzbach, Mutschmann, Nagler, Neef, Neubert,
Neurath, Nicolai, Niemczyk, Nipperdey, Noack, Noell, Noetzel, Oberlindober,
Oboussier, Oertel, Oetker, Olscher, Opel, Oppikofer, Palandt, Papen, Pfundtner,
Poensgen, Popitz, Popp, Pschorr, Racke, Ranz, Reemtsma, Reinhardt, Reinhart,
Reusch, Ribbentrop, Rienhardt, Röhm, Rohde, Römer, Rößner, Roselius, Rosenberg,
Rothenberger, Röver, Rühle, Rust, Sack, Sahm, San Nicolo, Sauckel, Saure,
Schacht, Schaeffer, Schaffstein, Scheurl-Defersdorf, Schieck, Schippert,
Schirach, Schlegel, Schlegelberger Franz, Schlegelberger Paul, Schmidt, Schmitt
Carl, Schmitt Kurt, Schmitz, Schnauß, Schoetensack, Schraut, Schreyer,
Schröder, Schroer, Schüßler, Schuhmann, Schultze, Schwarz F. X., Schwarz Otto,
Schwarz, Schwede, Schwerin, Schwerin von Krosigk, Selchow, Seldte, Sellier,
Sibeth, Siebert Ludwig, Siebert Wolfgang, Siemens, Simon Gustav, Simon H. A.,
Simons, Singer, Specht, Spiethoff, Sprenger, Springorum, Stauß, Steinaecker,
Steyrer, Stock, Stoll, Stolleis, Streicher, Stuckart, Stutz, Teichler,
Telschow, Terboven, Tewaag, Thierack, Thyssen, Tiemessen, Tischbein, Todt,
Töwe, Tribius, Ullrich Arthur, Ullrich Hans, Ulrich, Vögler, Volkmar, Wagner
Adolf, Wagner Josef, Wagner Robert, Wahl, Waldeck und Pyrmont, Waldmann, Walz,
Weidemann, Wein, Weinrich, Weiß, Wirth, Witte, Wolpers, Wolff, Würdinger,
Wüstendörfer, Zangen, Zarnack, Zwiedeneck-Südenhorst, als korrespondierende
Mitglieder u. a. Fehr, als Ausschußvorsitzende u. a.Dersch, Kunkel,
Felgentraeger, Schmidt-Rimpler, Lehnich, Ulmer, Blomeyer, Wieacker, Scheuner,
in Arbeitsgemeinschaften Lang, Predöhl, Boesler, Moeller, Schmölders, Gerhardt,
Helander, Beckenrath, Brinkmann und Lampe.
Lit.: Kroeschell,
DRG 2; Pichinot, H., Die Akademie für deutsches Recht, 1981; Akademie für
Deutsches Recht, 1933-1945, Protokolle der Ausschüsse, hg. v. Schubert, W., Bd.
1ff. 1986ff.; Anderson, D., The Academy for German Law 1933-1944, 1987; Wacker,
G., Der Erbrechtsausschuss, 1997
akademisch (Adj.) die Akademie oder Universität betreffend (z. B. akademische
Gerichtsbarkeit der Universität über Professoren, Studenten, Angehörige,
Bedienstete bis zum 19. Jh.)
Akklamation (F.)
Zuruf, Zustimmung
Akkreszenz (F.) →Anwachsung
Akkusation (F.) Anklage
Akkusationsprozess ist der durch Akkusation (Anklage) seitens eines
(privaten) Anklägers begründete, seit dem 4. Jh. (Konstantin) aus dem römischen
Recht in das kirchliche Recht (6./7. Jh.) übernommene Prozess. Er erfordert
eine →Anklage (lat. [F.] accusatio). Kennzeichnend sind die dem Anklageschriftsatz
beizufügende Verpflichtung des Anklägers zum →Talion für den Fall der
Falschanklage und der →Kalumnieneid. Im Hochmittelalter wird der A. auf
den →Strafprozess eingeschränkt. Die Constitutio Criminalis Carolina
(Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.) von 1532 behandelt den A. in Art.
6 noch, doch hat er bereits zu dieser Zeit keine wirkliche Bedeutung mehr. Ein
Gegensatz zum A. ist der →Inquisitionsprozess. Seit dem 19. Jh. (1848)
ist öffentlicher Ankläger der Staatsanwalt. →Anklageprozess
Lit.: Köbler,
DRG 156; Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899; Herde, P., Audientia litterarum
contradictarum, Bd. 1 1970; Kleinheyer, G., Zur Rechtsgestalt von
Akkusationsprozess und peinlicher Frage, 1971
Akten ist
die seit dem 15. Jh. (1500 acten) gelegentlich erscheinende Bezeichnung der in
Gericht und Verwaltung in einer Angelegenheit entstehenden Schriftstücke.
Solche A. kennt schon die Antike (59 v. Chr. [lat. N. Pl.] acta senatus). Nach
dem frühmittelalterlichen Rückgang des Schriftwesens werden sie erst im 14.
Jh. wieder bedeutsamer.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 3, 5, 105, 145; Neuss,
E., Aktenkunde der Wirtschaft, 1954; Dülfer, K., Urkunden, Akten und Schreiben
in Mittelalter und Neuzeit, Archival. Z. 53 (1957), 11; Schellenberg, T., Akten- und Archivwesen in der Gegenwart, 1961; Weitzel,
J., Das Inventar der Akten des Reichskammergerichts, ZNR 1999, 408;
Prozessakten als Quellen, hg. v. Baumann, A. u. a., 2001; Zala, S., Geschichte
unter der Schere politischer Zensur, 2001; Als die Welt in die Akten kam, hg.
v. Lepsius, S. u. a., 2007; Hochedlinger, M., Aktenkunde, 2009
Aktenversendung (lat. transmissio [F.] actorum) ist die in der frühen Neuzeit verbreitete Übung der
Gerichte, in einem anhängigen Verfahren (auf Antrag oder von Amts wegen) die
Akten mit der Bitte um ein(en) Urteil(svorschlag) an eine rechtskundige Stelle
zu versenden, um danach die Antwort als eigenes Urteil zu verkünden. Sie baut
auf dem mittelalterlichen →Oberhof auf, bezieht aber nach italienischem
Vorbild Juristen und deren →Fakultäten immer stärker ein (vgl. Art. 219
CCC). Seit der Mitte des 18. Jh.s schränken staatliche Gesetze die A. ein
(Preußen 1746, Bayern 1753). Mit den Reichsjustizgesetzen der Jahre 1877/1879
(§ 16 GVG) endet die der Unmittelbarkeit des Richters widersprechende A. im
Deutschen Reich.
Lit.: Kroeschell,
DRG 2, 3; Köbler, DRG 155, 201; Bülow, O., Das Ende des Aktenversendungsrechts,
1881; Löning, G., Spätes Lob der Aktenversendung, ZRG GA 63 (1943), 333; Ebel,
W., Studie über ein Goslarer Ratsurteilsbuch des 16. Jahrhunderts, 1961;
Baumgärtel, G., Die Gutachter- und Urteilstätigkeit der Erlanger
Juristenfakultät, 1962; Gehrke, H., Die privatrechtliche
Entscheidungsliteratur, 1974; Lorenz, S., Aktenversendung und Hexenprozess,
1983
Aktenwesen →Akten
Aktie (1492) ist der Anteil an der →Aktiengesellschaft. Im 15. Jh. ist A. in Amsterdam
und Brügge der klagbare Anspruch und das diesen verbriefende Papier, in
Zeugnissen von 1606/1607 (niederländisch-ostindische Handelscompagnie, VOC)
vielleicht der Anspruch auf Dividende (aus dem Anteilsschein des Kapitalgebers)
und im Code de commerce Frankreichs von 1807 ein Teil des Kapitals einer
Handelsgesellschaft.
Lit.: North, M., Von Aktie bis Zoll, 1995; Aktienrecht im
Wandel, hg. v. Bayer, W. u. a., Bd. 1f. 2007; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Aktiengesellschaft (1828) ist die Gesellschaft mit
eigener Rechtspersönlichkeit (juristische Person), die ein in Aktien zerlegtes
Grundkapital hat und für deren Verbindlichkeiten den Gläubigern nur das (gesamte)
Gesellschaftsvermögen (unbeschränkt) haftet (nicht auch der Gesellschafter mit
ihrem sonstigen Vermögen). Auf der Grundlage erster Durchbrechungen des
Grundsatzes der persönlichen Haftung des handelnden Kaufmanns infolge des
wachsenden Kapitalbedarfs in Bergbau und Fernhandel im 15. Jh. entsteht (auf
römischen Grundlagen) nach Vorläufern (Genua 1407 St. Georgsbank) die A. aus
den Bedürfnissen der Beschaffung hohen Kapitals und der Streuung großen Risikos
im Kolonialhandel am Beginn des 17. Jh.s (English East India Company 1600
zunächst als Rahmen für auf einzelne Unternehmungen beschränkte terminated
stock companies, Vereinigte [Niederländische] ostindische Handelscompagnie
VOC 20. 3. 1602, Schweden 1615, Dänemark 1616, Brandenburgisch-Ostindische
Compagnie 1651, Niederlande Österreichs 1719). Sie wird mehr und mehr als
Zusammenschluss mit eigenem Vermögen angesehen. Sie beruht zunächst auf einem
einzelnen Privileg (Oktroisystem). Gesetzlich wird die A. im französischen
Code de commerce (1807, 14 Artikel, „anonyme Gesellschaft“), (im
Eisenbahngesetz Preußens von 1838,) im Gesetz über die Aktiengesellschaften
für die königlich preußischen Staaaten vom 9. November 1843 (Konzession als
Verwaltungsakt auf der Grundlage eines Gesetzes [Konzessionssystem],
Vorstand und Generalversammlung, Verwaltungsratsmodell) und im Allgemeinen
Deutschen Handelsgesetzbuch (1861, Kombinationsmodell aus Aufsichtsrat und Verwaltungsrat,
Konzessionssystem 1870 durch System der Normativbestimmungen mit Anspruch auf
Erteilung bei Vorliegen der Voraussetzungen ersetzt), danach in Deutschland
(nach zwei Notverordnungen von 1930 und 1931) 1937 in einem eigenen, 1938 auf
Österreich erstreckten, 1945 geringfügig entnazifizierten, 1965 und 1994
novellierten Aktiengesetz (ab 1931 Abschlussprüfermodell, 1937 Aufsichtsrat
als [nachträgliches] Kontrollorgan, 1998 ex-ante-Überwachung) geregelt.
Lit.: Kroeschell,
DRG 2, 3; Köbler, DRG 167, 217, 242, 272; Gesetz über die Aktiengesellschaften
vom 9. November 1843, hg. v. Baums, T., 1981; Lehmann, K., Die geschichtliche
Entwicklung des Aktienrechts, 1895; Cohn, G., Die Aktiengesellschaft, Bd. 1
1921; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Aktiengesetz1937.pdf; Schumacher,
H., Die Entwickelung der inneren Organisation der Aktiengesellschaft, 1937;
Lévy-Bruhl, H., Histoire juridique des sociétés de commerce en France, 1938;
Bösselmann, K., Die Entwicklung des deutschen Aktienwesens, 1939; Rauch, K.,
Die Aktienvereine in der geschichtlichen Entwicklung des Aktienrechts, ZRG GA
69 (1952), 238; Reich, N., Die Entwicklung des deutschen Aktienrechts, Ius
commune 2 (1969), 239; Gmür, R., Die Emder Handelscompagnien, FS H. Westermann
1974, 167; Großfeld, B., Die rechtspolitische Bedeutung der Aktiengesellschaft
im 19. Jahrhundert, (in) Wissenschaft und Kodifikation, hg. v., Coing, H. u.
a., Bd. 4 1979, 236ff.; Baums-Stammberger, B., Der Versuch einer Aktiengesetzgebung
in Sachsen 1836/37, 1989; Landwehr, G., Die Organisationsstruktur der
Aktienunternehmen, (in) Vom Gewerbe zum Unternehmen, 1982, 251; Landwehr, G.,
Die Verfassung der Aktiengesellschaft, ZRG GA 99 (1982), 1; 100 Jahre modernes
Aktienrecht, hg. v. Schubert, W. u. a., 1984; Schubert, W., Die Entwürfe der
Weimarer Republik zur Reform des Aktienrechts, ZRG GA 103 (1986), 140; Akademie
für deutsches Recht 1933-1945. Protokolle der Ausschüsse 1 Ausschuss für
Aktienrecht, hg. v. Schubert, W., 1986; Die Aktienrechtsreform am Ende der
Weimarer Republik. Die Protokolle der Verhandlungen im Aktienrechtsausschuss
des vorläufigen Reichswirtschaftsrats, hg. v. Schubert, W. u. a., 1987;
Gaastra, F., De geschiedenis van de VOC, 1991; Nörr, K., Zur Entwicklung des
Aktien- und Konzernrechts, ZHR 150 (1986), 155; Frey, M., Die spanische Aktiengesellschaft,
1999; Hartung, W., Geschichte und Rechtsstellung der Compagnie in Europa, 2000;
Bahrenfuss, D., Die Entstehung des Aktiengesetzes von 1965, 2001; Kalss, S./Burger,
C./Eckert, G., Die Entwicklung des österreichischen Aktienrechts. Geschichte
und Materialien, 2003; Söhnchen, M., Die historische Entwicklung der
rechtlichen Gründungsvoraussetzungen, 2005; VOC 1602-2002 400 Years of Company
Law, hg. v. Gepken-Jager, E. u. a., 2005; Thiäner, F., Das Verhältnis von
Aufsichtsrat und Abschlussprüfern, 2007; Aktienrecht im Wandel, hg. v. Bayer,
W. u. a., Bd. 1f. 2007; Velte, P., Das aktienrechtliche Verwaltungs- und
Aufsichtsratsmodell, ZRG GA 127 (2010), 188; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Fleckner, A. Antike
Kapitalvereinigungen - ein Beitrag zu den konzeptionellen und historischen
Grundlagen der Aktiengesellschaft, 2010; Ellenberg, S., Herrschaft und Reform,
2012
Aktiengesetz ist das die Aktie bzw. →Aktiengesellschaft betreffende Gesetz. (z. B. Deutsches Reich 1937)
Aktienrecht (1873) ist das die Aktie betreffende Recht.
Lit.:; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Borgers, T., Das Oberappellationsgericht zu
Lübeck und seine Rechtsprechung zum Aktienrecht, 2012
Aktionär ist der Gesellschafter der →Aktiengesellschaft.
Aktionensystem ist das auf die (lat. [F.]) actio (z. B. im römischen Recht die
Rechtsschutzverheißung im edictum perpetuum) als Klaganspruch ausgerichtete
Rechtssystem, das den Sachverhalt nicht unter einen Tatbestand subsumiert,
sondern auf seine Klagbarkeit untersucht. Bernhard Windscheid (1817-1892)
trennt den materiellen Anspruch von der verfahrensrechtlichen (lat.) actio.
Damit endet im deutschen Recht das A.
Aktivlegitimation (F.) Klagebefugnis
Akzeptation (Annahme, Anerkennung) ist die meist durch Überleitungsgesetz umgesetzte
weltliche Anerkennung (Transformation) kirchlichen Rechtes im Spätmittelalter
(z. B. Pragmatische Sanktion von Bourges 1438, Mainzer Akzeptation 1439).
Lit.: Hürten, H., Die Mainzer
Akzeptation, 1955
Akzessorietät (F.) Abhängigkeit eines rechtlichen Umstands von einem anderen, zu lat. [M.]
accessor, Hinzutretender
Lit.: Gerhold, S., Die Akzessorietät der Teilnahme an Mord und
Totschlag, 2014
Akzise (zu lat. [V] accidere, auferlegen, cisa,
Einschnitt [auf dem Kerbholz]) ist die
im 11. Jh. in Spanien (1001) und Venedig, im 13. Jh. im deutschen Reich (Köln
1206, Stendal 1314 Bierziese) bezeugte, ursprünglich städtische, meist am
Stadttor erhobene →Verbrauchsteuer (auf z. B. Wein, Bier, ausgedehnt auf
Salz, Getreide, Fleisch). In den zusätzliche Einkünfte benötigenden Ländern
wird die auf die reine Warenbewegung abstellende A. nach niederländischem
Vorbild im 17. Jh. bedeutsam (Württemberg 1633, Sachsen 1641, Brandenburg 1641,
Kurpfalz 1699), deren Einführung die Landstände noch bewilligen. Im 19. Jh.
tritt die A. gegenüber der Einkommensteuer zurück (abgeschafft in Bayern 1808,
im Wesentlichen in Preußen 1820, in Sachsen 1834), wird aber in der Form der
alle Bereiche des Warenumsatzes erfassenden Umsatzsteuer (oder später der auf
den jeweils erzielten Mehrwert beschränkten Mehrwertsteuer) im 20. Jh. (1916
bzw. 1918) wieder belebt.
Lit.: Köbler, DRG 113; Der Akzisenstreit, hg. v. Blesgen,
D. u. a., 1717, Neudruck 2006; Knipping, R., Die Kölner Stadtrechnungen des
Mittelalters, 1897; Mit dem Zehnten fing es an, hg. v. Schultz, U., 3. A. 1992;
Schomburg, W., Lexikon der deutschen Steuer- und Zollgeschichte, 1992;
Schwennicke, A., Ohne Steuer kein Staat, 1996; Ullmann, H., Der deutsche
Steuerstaat, 2005
Alarich →Breviarium
Alarici
Albanien ist
der südosteuropäische, nördlich Griechenlands an der Adria gelegene Staat mit
einer Fläche von 28748 qkm und rund 3,1 Millionen überwiegend muslimischer
Einwohner (Skipetaren oder Albaner), deren seit dem 15. Jh. schriftlich
bezeugte Sprache zum albanischen Zweig der indogermanischen Sprachenfamilie
zählt. Das von Menschen streitiger Herkunft bewohnte Gebiet wird im 1. Jt. v.
Chr. griechisch beeinflusst und gerät 168 v. Chr. unter römische Herrschaft,
unter der es 395 n. Chr. Ostrom zugeteilt wird. Am Ende des Mittelalters wird
das von 1392 bis 1479 Venedig unterstehende A. von den Osmanen erobert. Am 28.
11. 1912 erklärt sich A. für unabhängig, 1928 zum von 1939 bis September 1943
in Personalunion mit Italien verbundenen Königreich. Am 11. 1. 1946 entsteht
die Volksrepublik A., die sich zunehmend abschließt. Im Dezember 1990 endet
die kommunistische Einparteienherrschaft. Seit freien Wahlen vom März 1991
bemüht sich A. um eine Öffnung. Das albanische Recht ist dementsprechend im
Wandel der Zeiten griechisch, römisch, osmanisch (Geltung der →Megelle
[1869-1876] bis 1928), westlich, sozialistisch und demokratisch geprägt. Das
mehrheitlich von Albanern bewohnte Gebiet Kosovo kann sich 2008 mit
internationaler Hilfe von Serbien verselbständigen.
Lit.: Frasheri,
K., The History of Albania, 1964; Skendi, S., The Albanian National Awakening,
1967; Ruß, W., Der Entwicklungsweg Albaniens, 1979; Lendvai, P., Das einsame
Albanien, 1985; Albanien im Umbruch, hg. v. Altmann, F., 1990; Albanien, hg. v.
Neuwirth, H. u. a., 1995; Mustafaj, B., Albanien, 1997; Kohl-Libal, C. v.,
Albanien, 1998; Schmitt, O., Das venezianische Albanien, 2001; Kohl, C. v.,
Albanien, 2. A. 2003; Albanien, hg. v. Jordan, P. u. a., 2003; Schubert, P.,
Albanische Identitätssuche, 2005; Köbler, G., Rechtsalbanisch, 2008 (Internet);
Ordolli, S., Histoire constitutionelle de l’Albanie, 2008; Albanische
Geschichte, hg. v. Schmitt, O., 2009; Löhr, H., Die Gründung Albaniens, 2010;
Schmitt, O., Die Albaner, 2012; Morscher, L., Albanien 2013
Albericus (de porta Ravennate) ist ein zwischen 1165
und 1194 bezeugter Glossator (Glossen, Summula de testibus).
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 200
Albericus de Rosate ist ein in Rosciate bei Bergamo
aus vornehmer Familie um 1290 geborener, in Padua ausgebildeter, praktisch
tätiger, im September 1360 verstorbener Jurist (Kommentare zu Codex und
Digesten, alphabetum bzw. dictionarium utriusque iuris, opus statutorum,
kleinere Schriften).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 665; Albericus de Rosate, Dictionarium, per Decianum,
F., 1581, Neudruck 2008 (372 Blätter)
Albertiner →Wettin
Albertus Gandinus s. Gandinus, Albertus
Albigenser
Lit.: La
Croisade albigeoise, hg. v. Roquebert, M., 2004
Albrecht, Wilhelm Eduard (Elbing 4. 3. 1800-Leipzig
22. 5. 1876) wird nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Königsberg und
Göttingen und der Promotion (1822) und Habilitation (1824) in Königsberg 1829
Professor für deutsches Recht. 1830 wird er Nachfolger seines Lehrers Karl
Friedrich Eichhorn in Göttingen, wo er in einer Rezension den Staat als
juristische Person erklärt und 1837 (als einer der Göttinger Sieben) entlassen
wird. Ab 1838 wirkt er in Leipzig, ist Vertreter Oldenburgs, Schwarzburgs und
Anhalts im Bundestag des Deutschen Bundes und nimmt für Harburg an der
deutschen Nationalversammlung von 1848 teil.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/AlbrechtWilhelmEduard-DieGewerealsGrundlagedesaelterendeutschenSachenrechts1828.pdf
Albrecht, W., Die Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts,
1828; Kück, H., Die Göttinger Sieben, 1935; Borsdorff, A., W. E. Albrecht, 1993
Alcala de
Henares ist die östlich Madrids in Spanien gelegene Stadt, die auf römische
Grundlagen zurückgeht und 1118 den Mauren wieder abgewonnen wird. 1348 wird
dort durch die Cortes ein bedeutendes Rechtsbuch verkündet. 1498/1508 wird eine
1836 nach Madrid verlegte Universität gegründet.
Alciat,
Andreas (Alzate bei Como 1492-Pavia 1550), Kaufmannssohn, wird nach dem Studium
(Latein, Griechisch, 1507 Rechtswissenschaft) in Pavia und Bologna(, 1516
Promotion Universität Ferrara, Advokat Mailand,) 1518 nach Avignon berufen,
(1522 Advokat Mailand, 1527 an die Universität Avignon zurückgekehrt,) und 1529
nach Bourges sowie 1533 nach Pavia berufen, (1541-1546 Ferrara). Er begründet
mit Budé und Zasius die vom →Humanismus geprägte Rechtswissenschaft
([lat.] Paradoxa [N.Pl.] iuris civilis, 1518, De verborum significatione,
1530), die im (lat.) →mos (M.) Gallicus zum Ausdruck kommt. Zeitlebens
ist er auch ein geschätzter Gutachter.
Lit.: Köbler,
DRG 143; Omnia … opera, 1557, Neudruck 2004; Moeller, E. v., Andreas Alciat,
1907; Viard, P., André Alciat, 1926; Osler, D., Development in the text of
Alciatus’ Dispunctiones, Ius commune 19 (1992), 219; Troje, H., Humanistische
Jurisprudenz, 1993; Belloni, A., L’amministrazione della giustizia a Milano,
(in) Cunabula iuris, 2002, 1ff.
Aldermann
(ae. ealdorman) ist seit dem Mittelalter an verschiedenen Stellen (z. B.
Hamburg 1266, London 13. Jh.) ein Funktionsträger mit unterschiedlichen Befugnissen.
Lit.:
Dollinger, P., Die Hanse, 5.A. 1998; Wormald, P., The making of English law,
Bd. 1 1999
Aldricus ist ein zwischen 1154 und 1177 bezeugter
Glossator, von dem vielleicht eine Schrift über anwendbares Ortsrecht stammt.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 202
Alemanne ist
der Angehörige eines wohl am Ende des 2. Jh.s n. Chr. vor allem aus
elbgermanischen Sueben gebildeten, im 3. Jh. erstmals erwähnten germanischen
Stammes, der 259/260 den römischen Limes durchbricht und das Gebiet am oberen
Rhein besiedelt (am Anfang des 4. Jh.s im Breisgau). 496/497 unterliegen die
von einem König geführten Alemannen den →Franken. Etwa zu dieser Zeit
setzt die sich über Jahrhunderte hinziehende Christianisierung ein. Zu Beginn
des 7. Jh.s zeichnen die Alemannen ihr Recht im →Pactus Alamannorum und
zu Beginn des 8. Jh.s in der →Lex Alamannorum auf. 746 wird ihr Herzogtum
vom fränkischen König endgültig beseitigt. Im fränkisch-deutschen Reich lebt
das Volk der Alemannen in den Ländern Schwaben (Baden, Württemberg), Elsass,
Kantonen der Schweiz, Liechtenstein und Vorarlberg fort.
Lit.: Kroeschell,
DRG 1; Cramer, J., Die Geschichte der Alamannen, 1899; Grundfragen der
alemannischen Geschichte, hg. vom Institut für geschichtliche Landesforschung,
1955; Die Alemannen in der Frühzeit, hg. v. Hübener, W., 1974; Zur
Frühgeschichte der Alemannen, hg. v. Müller, W., 1975; Beiträge zum frühalemannischen
Recht, hg. v. Schott, C., 1978; Borgolte, M., Die Geschichte der Grafschaften
Alemanniens in fränkischer Zeit, 1984; Borgolte, M., Die Grafen Alemanniens,
1986; Geuenich, D., Geschichte der Alemannen, 1997, 2. A. 2004; Die Alamannen,
hg. v. archäologischen Landesmuseum, 1997; Hellmuth, D., Frau und Besitz, 1998;
Franks and Alamanni, hg. v. Wood, I., 1998; Bücker, C., Frühe Alemannen im
Breisgau, 1999; Siegmund, F., Alemannen und Franken, 2000; Hartung, W., Die
Alamannen, 2003; Die Alemannen und das Christentum, hg. v. Lorenz, S. u. a.,
2003; Krapp, K., Die Alamannen, 2007; Drinkwater, J., The Alamanni and Rome
213-496, 2007; Alamannen zwischen Schwarzwald, Neckar und Donau, hg. v. Ade, D.
u. a., 2008; Tarodunum/Zarten - Brigobanis/Hüfingen, hg. v. Kleiber, W., 2009;
Alemannische Dialektologie, hg. v. Huck, D., 2014
Alemannien →Alemanne,
→Schwabe
Alexander III.,
der (um 1120?) als Roland (Bandinelli?) in Siena geboren wird und in Bologna
(vor 1142) Theologie und die Rechte lehrt (wohl verschieden von dem Dekretisten
magister Rolandus), veranlasst als Papst (1159-1181) und Gegner Friedrichs I.
Barbarossa bedeutsame →Dekretalen (insgesamt mehr als 700, u. a. zur
Papstwahl [Zweidrittelmehrheit der wählenden Kardinäle] und zur
Eheschließung).
Lit.: Pacaut,
M., Alexandre III, 1956; Baldwin, M., Alexandre III and the XIIth century,
1968; Weigand, R., Magister Rolandus und Papst Alexander III., AKKR 149 (1980),
3; Laudage, J., Alexander III. und Friedrich Barbarossa, 1997
Alexander der Große (Pella/Makedonien 20. 7. 356 v. Chr.-Babylon 10. 6. 323 v. Chr.) ist der
das von seinem Vater geerbte Reich Makedonien zeitweise bis Indien ausdehnende
König, mit dem die Zeit des Hellenismus beginnt.
Lit.: Barceló,
P., Alexander der Große, 2007; Demandt, A., Alexander der Große, 2009
Alexander von Roes (2.
H. d. 13. Jh.s, um 1225-vor 1300) ist Kanoniker in Köln und weilt nach 1280
mehrfach in Italien. Er verfasst dort drei Werke. In ihnen setzt er sich
zugunsten des deutschen Königs gegen Ansprüche des französischen Königs ein
([lat.] Memoriale [N.] de prerogativa Romani imperii, 1281).
Lit.: Schraub,
W., Jordan von Osnabrück und Alexander von Roes, 1910; Alexander von Roes,
Schriften, hg. v. Grundmann, H. u. a., 1958; Horst, H., Weltamt und Weltende
bei Alexander von Roes, 2002
Alfenus Varus (um 39. v. Chr.) ist ein römischer Rechtskundiger.
Lit.:
Liebs, D., P. Alfenus Varus, ZRG GA 127 (2010), 32
Aller guten Dinge sind drei (d. h. der Kläger muss dem Beklagten in drei
Gerichtsterminen die Möglichkeit zur Gegenwehr geben).
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 76 (Henisch 1616)
Allgäu
Lit.: Wiedemann, R., Der
„Allgäuische Gebrauch einer Gerichtsbarkeit nach Personalitätsprinzip, 1932;
Zinsrodel des Klosters Mehrerau 1290-1505, bearb. v. Bilgeri, B., 1940
Allgemeine Deutsche Civilprozessordnung ist das 1866 Entwurf gebliebene zivilprozessuale
Gesetzgebungsprojekt des Deutschen Bundes, dem die Bürgerliche Prozessordnung
(1850) Hannovers des Ministerialbeamten Adolf Leonhardt zugrunde liegt.
Lit.: Kroeschell,
DRG 3; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ProtokollederCommissionzurBeratungeinerAllgemeinenCivilprozessordnungfuerdiebundesdeutschenBundesstaaten1865.pdf
Protocolle der Com-mission zur Beratung einer allgemeinen Civilprozessordnung,
1862ff., Neudruck 1985
Allgemeine Deutsche Wechselordnung ist das auf Grund eines 1847 von allen Mitgliedstaaten des →Deutschen
Bundes ausgearbeiteten Entwurfs von der Frankfurter verfassungsgebenden
Nationalversammlung angenommene, am 27. 11. 1848 verkündete Gesetz zur Vereinheitlichung
des partikularen Wechselrechts, das nach Scheitern der Einigungsbestrebungen
des Jahres 1848 in den einzelnen Mitgliedstaaten durch Landesgesetz (als
gleichlautendes allgemeines deutsches Recht) in Kraft gesetzt wird.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 182; Protocolle der
zur Beratung einer Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung in der Zeit vom 20.
October bis zum 9. December in Leipzig abgehaltenen Conferenz, 1848; Huter, U.,
Das Reichsgesetz über die Einführung einer allgemeinen Wechselordnung, JZ 1978,
77ff.; Schubert, W., Die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung
und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs, ZHR 144 (1980), 484;
Pannwitz, K. v., Die Entstehung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung, 1998;
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/AllgemeineDeutscheWechselordnung1848.pdf
Allgemeine Gerichtsordnung (Österreichs) ist das (nach ersten Ansätzen der Jahre 1709 und 1753 vor
allem von April 1774 bis September 1775 von Joseph Hyazinth Froidevo [Arlesheim
1735-Weidling 15. 8. 1811] in Fortschreibung des vom gemeinen Recht stark
geprägten Prozessrechts Böhmens ausgearbeitete,) 1781 in Österreich zwecks
Rechtsvereinheitlichung kompilatorisch geschaffene Gesetz (Publikation 1. Mai
1781, JGS 13, Einführung mit Patent vom 9. 4. 1782) zur Regelung des
gemeinrechtlichen Zivilprozesses (geheimes Aktenverfahren mit Verhandlungsmaxime,
Eventualmaxime, grundsätzlicher Anwaltszwang,
mittelbarer Beweisaufnahme und gebundener Beweisregel), das 1796
abgeändert in Westgalizien (Westgalizische Gerichtsordnung), später in
Ostgalizien, der Bukowina, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Dalmatien und Istrien
in Kraft tritt und erst durch die
ältere Allgemeine Gerichtsordnung und erweiterte Westgalizische
Gerichtsordnung vereinheitlichende österreichische Zivilprozessordnung
von 1895 abgelöst wird.
Lit.: Köbler, DRG 155; Baltl/Kocher; Loschelder, M., Die
österreichische Allgemeine Gerichtsordnung von 1781, 1978
Allgemeine Gerichtsordnung (Preußens) ist die 1793 (Sanktionierung, Ende 1794/Anfang
1795 Druckfassung) bzw. 1795 für Preußen auf der Grundlage (des Projects des
Codicis Fridericiani Marchici von 1748 mit Anhängen von 1761 und 1769) und) des
(lat.) Corpus Juris Fridericianum Erstes Buch von der Prozessordnung von 1781
(Patent vom 26. 4. 1781) in Anpassung an das Allgemeine Landrecht geschaffene
Zivilprozessordnung (1822 gegenüber der ursprünglichen Fassung unverändert,
aber um Anhang von 1815 erweitert), die in vernunftrechtlicher Prägung
(Erforschung der Wahrheit) eine Abkehr vom gemeinrechtlichen, als zu
langwierig empfundenen Zivilprozess versucht, ohne ihre Ziele wirklich
erreichen zu können.
Lit.: Köbler, DRG 141, 155; Nörr, K., Reinhardt und die
Revision der Allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten, 1975;
Eckert, J., Die Entstehung der Allgemeinen Gerichtsordnung, (in) Das Preußische
Allgemeine Landrecht, hg. v. Wolff, J., 1995; Busch, S., Die Entstehung der
Allgemeinen Gerichtsordnung für die preusßischen Staaten, 1999
Allgemeine Geschäftsbedingung (Wort bei Hinrichs, ZHR 20 [1875], 391) ist die allgemein
verwendete Geschäftsbedingung. Allgemeine Geschäftsbedingungen entstehen (nach
Vorläufern in [mittelalterlichen Formelsammlungen und] Policen von Versicherungen
im ersten Drittel des 18. Jh.s) als Folge der Massengeschäfte nach der industriellen
Revolution am Ende des 19. Jh.s (Eisenbahnbetriebsreglements, Postordnungen,
1919 Berliner Spediteurbedingungen), werden trotz der erkennbaren Vorteilssicherung
der Verwender (mittels Haftungsbeschränkungen, Beweislast-umkehrungen, Gerichtsstandsklauseln,
Rücktrittsvorbehalten und Verfallklauseln) zunächst nur vorsichtig im
Einzelfall gerichtlich kontrolliert, am 9. 12. 1976 in Deutschland aber in
einem eigenen Gesetz über das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen
gesetzlich geregelt, das 2002 als §§ 305ff. in das Bürgerliche Gesetzbuch
aufgenommen wird.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Kroeschell, 20. Jh.; Raiser,
L., Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, 2. A. 1961; Pohlhausen,
R., Zum Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1978; Nörr, K., Zwischen
den Mühlsteinen, 1988; Helm, J., AGB-Regelungen im Transportrecht des ADHGB, FS
E. Brandner, 1996, 219; Prang, T., Der Schutz der Versicherungsnehmer, 2003;
Röder, T., Rechtsbildung im wirtschaftlichen Weltverkehr, 2006; Hellwege, P,
Allgemeine Geschäftsbedingungen, 2010; Webersberger, M., Freizeichnungsklauseln
in allgemeinen Konossementsbedingungen, 2014
Allgemeine Gütergemeinschaft →Gütergemeinschaft
Allgemeiner Teil (1807)
ist der die allgemeinen Erscheinungen besonderer Teile zusammenfassende (und
voranstellende) Teil einer Gesamtheit. Eine Unterscheidung zwischen Gattung
([lat.] genus, N., Geburt, Geschlecht, Gattung) und Art ([lat.] species, F., Sehen,
Anblick, Gestalt, Bild, Stück) sowie zwischen (lat.) generalis (zum Geschlecht
gehörig, zur Gattung gehörig, allgemein) und (lat.) specialis (besondere) ist
bereits dem lateinischen Altertum bekannt. Allgemeine Einführungen in das Recht
werden in den Versuchen des Franciscus Connanus (1508-1551) und Hugo Donellus
(1527-1591), sich von der wenig systematischen Reihenfolge der Bestimmungen
der justinianischen Kompilation(en) zu lösen, sichtbar. Johannes Althusius
(Diedenshausen 1557-Emden 1638) überschreibt im Index capitum seiner
Dicaelogicae (1618) den ersten Teil des ersten Buches mit (lat.) agit de
generalibus (handelt von den allgemeinen [Angelegenheiten]), doch wird dies
nicht weiter beachtet. Im Gefolge naturrechtlicher Systematisierungsansätze
(Erhard →Weigel [1625-1699], Samuel →Pufendorf [1632-1694],
allgemeine Einleitung in das Recht und seine Anwendung sowie Auslegung in Jean
Domats [1625-1695] Loix civiles dans leur ordre naturel [1689-1695], Christian
Wolff [1679-1754] 1711 [Jus naturae, Band 1 De obligatione et iure hominum
universali]) veröffentlicht Christian Wolffs Schüler Georg Darjes 1740 (lat.)
Institutiones jurisprudentiae universalis (Einrichtungen der universellen
Jurisprudenz), in denen er in einer (lat. [F.]) pars generalis (einem allgemeinen
Teil) de iurium atque obligationum objecto (von der Rechte und
Verbindlichkeiten Gegenstand), de iurium atque obligationum diversitate (von
der Rechte und Verbindlichkeiten Verschiedenheit) und de acquisitione iurium
et obligationum generatim (vom Erwerb der Rechte und Verbindlichkeiten im Allgemeinen)
handelt. 1749 legt Christian Wolffs weiterer Schüler Daniel Nettelbladt
(Rostock 1719-Halle 1791) ohnvorgreifliche Gedancken, den heutigen Zustand der
bürgerlichen und natürlichen Rechtsgelehrtheit in Teutschland, deren nöthige
Verbesserung und dazu dienliche Mittel betreffend vor, in denen er eine vom
Demonstrieren der Rechtssätze nach Gründen ausgehende straffe Definitionen
verwendende Darstellung des positiven Rechtes verlangt, in der alles
systematisch so geordnet werden soll, dass das Allgemeine vor dem Besonderen
und das Zusammengehörige beieinander steht. Nach erfolgreichen
Elementarsystemen des gleichen Jahres verfasst er 1761 eine (lat.) Introductio
(F.) in jurisprudentiam positivam Germanorum communem (Einleitung in die
allgemeine positive Jurisprudenz der Deutschen), die neben einem allgemeinen
Teil eine kurze Enzyklopädie und Methologie sowie eine straffe Rechts- und Literärgeschichte
enthält. 1767 entsteht Johann Stephan Pütters Versuch einer juristischen
Enzyklopädie und Methodologie, die eine systematische, durch einen allgemeinen
Teil grundgelegte Darstellung des römischen Rechtes verlangt. 1772 bietet
Daniel Nettelbladt in seiner (lat.) Nova introductio (F.) in jurisprudentiam
positivam Germanorum communem wohl erstmals einen ausgeführten allgemeinen
Teil in zwei Büchern mit 7 bzw. 5 Sektionen über allgemeine rechtliche Fachwörter,
Personen, Tatsachen, Sachen, Rechtshandlungen, Begründen, Auflösen,
Bestätigen von Verbindlichkeiten, Stellvertretung, Anfechtung, Erwerb,
Verlust und Bewahrung von Rechten, Eigentum, Schadensersatz, Sicherheitsleistung,
Arrest, Sequestration, Protest, Besitz und Rechtsmittel. Nach weiteren
ähnlichen Werken (Hofacker 1773, Habernickel 1776) ordnet (der Hallenser
Schüler Daniel Nettelbladts) Gustav →Hugo in seinen (lat.) Institutionen
des heutigen römischen Rechtes 1789 das Privatrecht noch klarer ([Einleitung in
7 Paragraphen über Gegenstand der bürgerlichen Rechtspflege, Entscheidungsgrundlagen
des Richters, Unmöglichkeit der Vorausbestimmtheit der Entscheidung, römisches
Recht in Deutschland, Justinians Leistung, teilweise Unbrauchbarkeit durch
Änderung der Verhältnisse, Vereinfachung durch Vorausschickung des
Allgemeinen,] Realrechte, persönliche Obligationen, Familienrechte, Verlassenschaften,
Prozess). Christoph Christian Dabelow (Neu-Buckow 1767-Dorpat 1830), ebenfalls
Schüler Nettelbladts in Halle, bietet 1793 eine Einleitung in die deutsche
positive Rechtswissenschaft und 1794 ein System der heutigen Civilrechtsgelahrtheit,
die beide 1796 eine zweite Auflage erfahren, wobei das System des gesamten
heutigen Zivilrechts von 1796 in seinem allgemeinen Teil Personen, Sachen,
Handlungen, Zeit, rechtliche Geschäfte, Eide, Wahrheit, Rechte, Verbindlichkeiten,
Sicherheiten, Besitz, Verjährung, Rechtsmittel, Schaden, Schadensersatz, Verwaltung
fremder Sachen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfasst. Hugos
Erkenntnisse vertieft sein Göttinger Schüler Georg Arnold Heise in seinem
Grundriss eines Systems des gemeinen Zivilrechts zum Behuf von Pandektenvorlesungen
(1807, allgemeine Lehren [Von den Quellen des Rechtes, Von den Rechten im
Allgemeinen, Von Verfolgung und Schützung der Rechte, Von den Subjecten und
Objecten des Rechtes], dingliche Rechte, Obligationen-Recht, jura potestatis,
das gesamte Erbrecht, Restitutio in integrum) zu einem allgemeinen Teil des
Privatrechts. Durch →Savigny erlangt diese Vorstellung allgemeine
Verbreitung und erfasst später über das Privatrecht hinaus auch Strafrecht und
Verwaltungsrecht und andere Rechtsgebiete.
Lit.: Köbler, DRG 158, 199, 206, 213, 237; Schwarz, A., Zur
Entstehung des modernen Pandektensystems, ZRG RA 42 (1921), 578; Wieacker, F.,
Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Jakobs, H./Schubert, W.,
Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB - Allgemeiner Teil, 1985;
Lehmann, A., Nettelbladt und Dabelow als die eigentlichen Begründer eines
allgemeinen Teiles, FS G. Maier, 1994, 39; Jacoby, S., Allgemeine
Rechtsgrundsätze, 1997; Hollstein, T., Die Verfassung als „Allgemeiner Teil“,
2007; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010; Der Allgemeine Teil des Privatrechts, hg. v. Baldus, C. u. a., 2013
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) ist die →Kodifikation des Privatrechts in →Österreich.
Sie wird mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung der verschiedenen
habsburgischen Herrschaftsgebiete schon von Gottfried Wilhelm Leibniz
(1646-1716) als Codex Leopoldinus Leopolds I. (1640-1705) ohne Erfolg angeregt.
1709 setzt Joseph I. (erfolglos) Kompilationskommissionen in Prag und Brünn
ein, (nach der 1749 die österreichische Monarchie mit Ausnahme der ungarischen
Länder von einer Länderunion in eine Einheit umwandelnden Reform Maria
Theresias) 1753 Maria Theresia eine Kommission (Kompilationskommission [Joseph
von Azzoni], 1756 Aufgabe auf die 1755 gebildete Revisionskommission
übertragen) zur Abfassung ([einer allgemeinen Gerichtsordnung und] eines
gleichen Landrechts in allen benachbarten österreichisch-deutschen Erblanden
bzw.) eines (lat.) →Codex (M.) Theresianus (Theresianisches Gesetzbuch),
der (die) Provinzialrechte, das gemeine Recht, die Gesetze anderer Staaten und
das allgemeine Recht der Vernunft berücksichtigen soll. Der umfangreiche, in
drei Teilen 1766 fertiggestellte, vor allem auf dem gemeinen Recht beruhende
Entwurf (ein vierter Teil sollte das Zivilprozessrecht enthalten) wird lediglich
als brauchbare Materialsammlung angesehen (und deswegen 1770 von Maria Theresia
nicht sanktioniert und 1772/1773 von der geplanten Verbindung mit dem Zivilprozessrecht
gelöst). Der bis 1774 auf etwa die Hälfte gekürzte Entwurf Johann Bernhard
Hortens (Entwurf Horten) wird 1776 nicht weiter beraten, (nach Ehepatenten vom
16. 1. 1783 und 3. 5. 1786) in seinem die gesetzliche Erbfolge betreffenden
Teil 1786 aber als Erbfolgepatent vom 11. 5. 1786 und in seinem
personenrechtlichen Teil am 1. 11. 1786 zum 1. 1. 1787 als Allgemeines Bürgerliches
Gesetzbuch, ErsterTeil (bzw. [später so genanntes] →Josephinisches
Gesetzbuch) Josephs II. in den deutschen Erblanden (Österreichs bzw. Habsburgs)
in Kraft gesetzt, doch verzögern sich die Arbeiten an den übrigen Teilen durch
die nunmehr geplante Einbeziehung Ungarns und unterbricht der Tod Josephs II.
(20. 2. 1790) den weiteren Fortgang. Ab 1793 bzw. 1794 arbeitet Karl Anton von
→Martini an Hand der Benützung des Entwurfs Hortens und des (1794) in
Kraft gesetzten Allgemeinen Landrechts Preußens einen neuen, etwas stärker
naturrechtlich geprägten Entwurf (1796 Entwurf Martini mit 8859 Wortformen)
aus, der (nach Inkraftsetzung der Zivilprozessordnung und des Strafgesetzes
1796 und geringer Umarbeitung) durch Patent vom 13. 2. 1797 als Bürgerliches
Gesetzbuch für Westgalizien (→Westgalizisches Gesetzbuch) für das von
den Habsburgern aus der dritten Teilung Polens 1795 erworbene Erbland Westgalizien
und durch Patent vom 18. 9. 1797 auch für das bereits 1772 erlangte Ostgalizien
kundgemacht wird (Bürgerliches Gesetzbuch für Galizien [und Bukowina] 1. 1.
1798). Dieses Bürgerliche Gesetzbuch für Galizien wird als sog. Urentwurf
unter der Leitung Franz von →Zeillers zwischen 1801 und 1810 in drei
Lesungen (unter Abbau der naturrechtlichen Prägung wegen der französischen
Revolution) beraten und nach kaiserlicher Sanktion vom 7. Juli 1810 (ohne Darlehensbestimmungen)
bzw. 29. 4. 1811 (Darlehensbestimmungen) als Anlage zum kaiserlichen Patent
vom 1. 6. 1811 (JGS 94) kund gemacht und zum 1. 1. 1812 (mit 7344 Wortformen
und 4313 Lemmata) unter Aufhebung des gemeinen Rechtes und grundsätzlich der
Privatrechtsgesetze (als allgemeines, d. h. einheitlich für alle Einwohner ohne
örtliche und ständische Unterschiede bzw. für den gesamten Bereich der
Rechtsvereinheitlichung geltendes, als neuständisches Gesetzbuch ständische
Unterschiede nur formal nicht berücksichtigendes und damit verdeckendes) für
die gesamten deutschen Erblande des österreichischen Kaisers (Resolution vom
18. 8. 1810) (zunächst nur in Niederösterreich, Oberösterreich [ohne Innkreis
und Teile des Hausruckkreises], Böhmen [einschließlich Marktredwitz und sog.
Fraischbezirk in der Oberpfalz, in
Geltung bis 31. 12. 1899], Mähren, Schlesien, Galizien und Lodomerien
[z. T., ohne Bezirke Wieliczka, Podgorze und Tarnopoler Landschaft], Bukowina,
Teile des Hausruckkreises, Steiermark, Kärnten [ohne Oberkärnten], Militärgrenze
[17. 7. 1811] [mit Warasdiner, slavonischer, siebenbürgischer und banatischer
Militärgrenze], nicht aber in Ungarn, Kroatien-Slawonien, Siebenbürgen) als
reines, aber nicht vollständiges Privatrechtsgesetzbuch (mit drei Teilen und
1512 Paragraphen, deutscher Text authentisch, 7344 Wortformen von 4313 verwendeten
Wörtern) in Kraft gesetzt und zwischen 1815 und 1820 nach und nach auch in den
Gebieten eingeführt, die durch den Frieden von Paris oder die Akte des Wiener
Kongresses an die Monarchie zurückfielen oder von ihr erworben wurden (z. B. 1815
bzw. 1816 Lombardo-Venetien, [Lombardei 1816-1865, Venetien 1816-1871], 1815 Tirol
mit Vorarlberg, 1817 Salzburg, Brixental, Zillertal, Innviertel,
Hausruckviertel, 1820 Karlstädter Kreis, 1878 partiell-subsidär Bosnien-Herzegowina).
Der (nicht eindeutig bekannte, vielleicht durch Abstände des Wappens auf dem
Titelblatt im Ausmaß von 47 bzw. 7. bzw. 9 Millimetern erkennbare, anscheinend
in § 591 die Zeichenfolge … Ordens; Jünglinge unter 18 Jahren, Frauenspersonen,
Sinnlose, Blinde, Taube, oder Stumme … aufweisende) Erstdruck wird dem Kaiser
am 24. Juni 1811 überreicht (amtlich publizierter Text in Justizgesetzsammlung
1817, Nr. 946). Inhaltlich beruht das A. B. G. auf dem römisch-gemeinen Recht
bzw. dem jüngeren (lat.) usus (M.) modernus pandectarum (Schuldrecht, gewillkürtes
Erbrecht), (wenigen Einschüben aus dem) einheimischen Recht (Sachenrecht,
Erbvertrag), kirchlichen (kanonischen), durch die Grundsätze des späten
Vernunftrechts gefilterten Recht (Eherecht für Katholiken) und dem Naturrecht
(Systematik mit Einteilung nach Person und Sache, angeborene, schon durch die
Vernunft einleuchtende Rechte des Menschen in § 16, Auslegungsregeln z. B. §
7, angeborene Freiheit der Inbesitznahme freistehender Sachen § 381, Parentelenordnung).
Von Savigny wird es 1814 in seiner Schrift vom Beruf als misslungen bewertet.
Durch Patent vom 29. 11. 1812 bzw. 1846 (Erbrecht) wird es von Liechtenstein
übernommen (, wo der Text um zwei Fünftel gekürzt und seit dem 20. Jh. an das
Recht der Schweiz angeglichen wird, so dass um 2010 dort nur noch etwa 40
Prozent der ursprünglichen Paragraphen gelten). In Moldau wird es 1817 im
Wesentlichen in den Codex Callimachus übersetzt. 1852 wird es (mit Anpassungen
vor allem im Eherecht und ohne tatsächliche öffentliche Anwendung) in Ungarn (im
Neoabsolutismus gegen den Willen der Ungarn 1853-23. 6.1861, danach aber
freiwillige Kryptorezeption), Kroatien und Slawonien (bis 1918, ohne Novellierungen),
in der Woiwodschaft Serbien und im Temescher Banat, durch Patent vom 29. 5.
1853 in Siebenbürgen und 1855 in Krakau eingeführt. Bern (1824/1830, Luzern
(1831/1839), Solothurn (1841/1847) und Aargau (1847/1855), Bayern (Entwürfe
von 1832/1834), Sachsen (Entwurf 1852), Serbien (1844) und Montenegro (1888
Code Bogisic) dient es als Vorbild, Bosnien und Herzegowina seit 1878 als
subsidiäre Rechtsquelle nach dem einheimischen (z. B. ottomanischen) Recht. Nach
verschiedenen Veränderungen bereits durch Hofdekrete vor 1848 wird das A. B.
G. (1855 Ehegesetz für Katholiken mit Geltung nur von 1856 bis 1868,) 1914 (Personenrecht, Familienrecht, Vormundschaftsrecht,
gesetzliches Erbrecht), 1915 (Grenzberichtigung),
1916 (Eigentumsvorbehalt,
Belastungsverbot, Schuldübernahme, Auslobung, Schadensersatz, Verjährung)
unter dem vor allem durch Joseph Unger (1818-1913) vermittelten Einfluss der
deutschen historischen Rechtsschule in drei durch kaiserliche Notverordnung
in Kraft gesetzten Teilnovellen pandektistisch novelliert (rund 15 Prozent
der nun 1511 Paragraphen, 51 Paragraphen neu geschaffen, vom alten Bestand
199 mehr oder weniger stark verändert). Berücksichtigt werden dabei außer dem
Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches von 1900 die Vorarbeiten des Obligationenrechts
(1881) und des Zivilgesetzbuchs (1907/1911) der Schweiz, das Allgemeine
Deutsche Handelsgesetzbuch (1861) und das deutsche Handelsgesetzbuch (1897)
sowie der Entwurf eines Zivilgesetzbuchs Ungarns (1900/1913). Erfasst werden
verschiedene Sachgegenstände (Verkürzung der Verschollenheitsfristen bei der
Todeserklärung, Verbesserung der Rechtsstellung der Frau und des unehelichen
Kindes und der unehelichen Mutter, Begrenzung der gesetzlichen Erbfolge der
ehelichen Verwandten, Ehegattenerbrecht zu Eigentum statt zu Nießbrauch,
Nachbarrecht, Eigentumsvorbehalt an Maschinen, Realverkehr, Realkredit, Angebot
und Annahme von Verträgen, unerlaubte Verträge, Verträge zu Gunsten Dritter,
Gewährleistung, Schadensersatz, Auslobung, Gastaufnahme, Anweisung, Schuldübernahme
bei Übernahme eines Vermögens oder Geschäfts, Lohnzahlungszeitpunkt, Lohnfortzahlung
bei unverschuldeter Verhinderung des Arbeitnehmers, Kündigungsfristen und
Fürsorgepflichten des Arbeitgebers. Seit 15. 6. 1922 gilt es im Burgenland
(zunächst ohne Eherecht). Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938
wird das Eherecht durch das Ehegesetz (Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechtes
der Eheschließung und der Ehescheidung), das Personenrecht durch das Personenstandsgesetz
und vorübergehend bis 1947 das Testamentsrecht durch das Testamentsgesetz (Gesetz
über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen vom 31. 7. 1938) des Deutschen
Reiches geändert, seit den 70er Jahren des 20. Jh.s durch mehrfache
Novellierung das gesamte Familienrecht. Seit 1896 (Ratengesetz, Mietengesetz
1923, Konsumentenschutzgesetz 1979) wird es durch Nebengesetze ergänzt.
Nach 1945 ist es im sozialistischen Rechtskreis außer Kraft gesetzt. Das
Familienrecht wird auf Grund des Gleichheitsgrundsatzes vollständig verändert.
1984 wird die Sachwalterschaft aufgenommen. In Nebengesetzesn sind etwa das
Recht des Wohnens, der Verbraucherschutz, das internationale Privatrecht, die
Haftpflicht, die Patientenverfügung (2006) und die eingetragene Partnerschaft
(2010) geordnet. Vielleicht steht bzw. stehen in der Gegenwart noch die Hälfte
oder drei Fünftel (Ogris) oder zwei Drittel (Brauneder) der ursprünglichen Paragraphen
in Geltung (am 14. 2. 2011 861 von einst 1502 Paragraphen [1-3, 5-20, 22-23,
26-28, 33, 38-42, 44-46, 162, 286-299, 302-309, 311-356, 361-363, 365-366,
369-385, 387, 398, 400-421, 423-430, 438-450, 452-455, 457-468, 473-480,
482-484, 486-539, 542, 544-550, 552-565, 567, 570-573, 575-578, 580, 582-583,
588-589, 594-596, 601-614, 617, 647-668, 672-699, 701-715, 717, 719-721,
723-729, 733-737, 738-740, 750, 761, 763-764, 766, 770-778, 782, 786, 790-791,
793-795, 797-798, 802-804, 808-809, 812-814, 816-818, 820-821, 823-827,
829-843, 846, 854-858, 867, 869, 872, 874, 877, 880, 883, 888-901, 904,
907-913, 915, 923, 929-930, 934, 936-950, 952-969, 971-982, 1002-1020, 1023,
1025-1028, 1030-1033, 1035-1046, 1048-1051, 1053-1058, 1060-1069, 1071-1079, 1083-1095,
1099, 1103, 1106, 1108, 1110-1116, 1118-1120, 1176-1195, 1197-1209, 1211-1216,
1234-1236, 1246-1254, 1262, 1267-1277, 1279-1294, 1296-1297, 1299-1304, 1306,
1309-1313, 1317-1318, 1321-1326, 1331-1332, 1337-1338, 1340-1345, 1347-1355,
1357, 1359-1373, 1375-1399, 1411-1419, 1424-1438, 1441-1445, 1447-1457,
1459-1466, 1468, 1470-1473, 1475-1477, 1479, 1481-1484, 1488, 1491-1493,
1496-1502,] entfernt sind etwa Erbzinsvertrag, Widerlage, Morgengabe oder
Obereigentum und Untereigentum).
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 141, 185, 205;
Banniza, J. Gründliche Anleitung zu dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuche,
Bd. 1 1787; Wildner von Maithstein, I., Lexikon sämtlicher Worte des
österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, 1843; Harras von Harrasowsky,
P., Geschichte der Kodifikation des österreichischen Civilrechtes, 1868; Pfaff,
L., Über die Materialien des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches,
Grünhuts Zs. 2 (1875), 254; Ofner, J., Der Ur-Entwurf, Bd. 1f. 1889; Festschrift
zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, 1911;
Slapnicka, H., Österreichs Recht außerhalb Österreichs, 1945; Dölemeyer, B.,
Die Revision des ABGB durch die drei Teilnovellen von 1914, 1915 und 1916, Ius
commune 6 (1977), 274; Ogris, W., 175 Jahre ABGB, 1986/7; Caroni, P., Der
unverstandene Meister, FS H. Baltl, 1978, 107; Seemann, O., Die mit „1811“
datierten Drucke des ABGB, 1995; Neschwara, C., Die Geltung des
österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches in Ungarn und seinen
Nebenländern von 1853 bis 1861, ZRG GA 113 (1996), 362; Frohnecke, E., Die
Rolle des ABGB in Gesetzgebung und Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts,
2001; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ABGB1811.htm;
Österreichs Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 3 hg. v. Berger, E., 2010;
200 Jahre ABGB (1811-2011). Die österreichische Kodifikation im internationalen
Kontext, hg. v. Dölemeyer, B./Mohnhaupt, H., 2012 (darin S. 367 Deutsch, A.,
Billig streitet die Vermuthung ... - Zu Wortwahl und Gesetzesspreche im AbGB);
Festschrift 200 Jahre AGBG, hg. v. Fischer-Czermak u. a., 2011; 200 Jahre ABGB
- Ausstrahlungen, hg. v. Geistlinger u. a., 2011 (u. a. besonders Ogris, W.,
Das ABGB innerhalb und außerhalb Österreich, 2011); 200 Jahre ABGB -
Richterinnenwoche, 2012; 200 Jahre ABGB 1811-2011, hg. v. Barta, H., 2012; Mattiangeli,
D., Die Anwendung des ABGB in Italien im 19. Jahrhundert und seine historischen
Aspekte, 2012; 200 Jahre ABGB, hg. v. Fenyves, A. u. a., 2012; Zweihundert
(200) Jahre Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) und europäisches
Vertragsrecht, hg. v. Kodek, G., 2012; Vom ABGB zum europäischen Privatrecht,
hg. v. Welser, R., 2012; Die ältesten Quellen zur Kodifikationsgeschichte des
österreichischen ABGB, hg. v. Neschwara, C., 2012; Das ABGH in den
„vaterländischen Blättern“, hg. v. Kohl, G. u. a., 2012;
Allgemeines Deutsches Gesetz über Schuldverhältnisse ist das seit 1863 von den Mitgliedstaaten des →Deutschen
Bundes zwecks Rechtsvereinheitlichung bzw. Rechtsangleichung beratene (allgemeine
deutsche) Gesetz, dessen (→Dresdener) Entwurf im Jahre 1866 gerade der
Bundesversammlung zugeleitet ist, als der Deutsche Bund am Gegensatz zwischen
Österreich und Preußen zerbricht, so dass der Entwurf dieses Gesetzes nicht
weiter behandelt wird.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 182; Hedemann, J., Der
Dresdener Entwurf von 1866, 1935; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der
Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Dresdener Entwurf eines allgemeinen deutschen
Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1866, hg. v. Francke, B., 1973; Protocolle
der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen deutschen Obligationenrechts,
1866, 1984
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch ist das auf Grund des Vorbilds des französischen →Code
de commerce (1808) nach Scheitern eines 1848 auf Anregung der deutschen
Nationalversammlung (Frankfurter Paulskirchenversammlung eingesetzten Gesetzgebungsausschusses
seit 1856 von einer Kommission des Deutschen Bundes vorbereitete, nach
preußischer (1850-1856) und österreichischer (1842, 1853, 1857) Vorlage(n) 1861
im (Nürnberger) Entwurf entstandene Handelsgesetzbuch, das die Mitgliedstaaten
des →Deutschen Bundes auf Empfehlung der Bundesversammlung vom 31. 5. 1861
durch übereinstimmende Einzelstaatsgesetze (u. a. Preußen 1. 3. 1862, Österreich 1. 7. 1863 Allgemeines
Handelsgesetzbuch, Anlage zum Gesetz 17. 12. 1862 RGBl. 1863, 1, [ohne
Seerecht] in Geltung bis 1938, Württemberg 15. 12. 1865, Schaumburg-Lippe 1. 1.
1870) ab 1862 als als allgemeines deutsches Recht in Kraft setzen. An
seine Stelle tritt im Deutschen Reich 1897
das →Handelsgesetzbuch (Österreich
24. 12. 1938).
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 182; Protokolle der Kommission zur
Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, hg. v. Lutz, J., Bd.
1ff. 1958ff., Neudruck 1984; Thöl, H., Zur Geschichte des Entwurfes eines
allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, 1861; Goldschmidt, L., Der
Abschluss und die Einführung des allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs, ZHR
5 (1862), 204ff.; Lindau, L., Register zu dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch,
1867; Schubert, W., Die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung und
des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, ZHR 144 (1980), 484; Wild, P.,
Der Einfluss des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs auf die
Privatrechtsdogmatik, Diss. jur. Saarbrücken 1966; Wieacker, F.,
Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/AllgemeinesDeutschesHandelsgesetzbuch1861.htm
Allgemeines deutsches Recht ist das in der Mitte des 19. Jh.s durch
Parallelgesetzgebung der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes entstandene
Recht. →Allgemeine Deutsche Wechselordnung, →Allgemeines Deutsches
Handelsgesetzbuch
Lit.: Köbler, DRG 182
Allgemeines Gesetzbuch für die preußischen Staaten (1791) ist eine älteren gescheiterten Versuchen folgende
Vorstufe für die Kodifikation →Allgemeines Landrecht für die preußischen
Staaten (1794). Vorausgeht eine Kabinettsordre des Königs vom 14. 4. 1780, nach
der „alle Gesetze für unsere Staaten und Untertanen in ihrer eigenen Sprache
abgefasst, genau bestimmt und vollständig gesammelt werden“, „nur das
Wesentliche mit dem Natur-Gesetz und der heutigen Verfassung Übereinstimmende
aus dem römischen Recht abstrahirt, das Unnütze weggelassen, Unsere eigene
Landes-Gesetze am gehörigen Ort eingeschaltet und solchergestalt ein
subsidiarisches Gesetz-Buch, zu welchem der Richter beim Mangel der
Provinzial-Gesetze recurriren kann, angefertigt“ werden soll. Eine
Kabinettsordre vom 27. 7. 1780 konkretisiert den Auftrag, dem das Corpus iuris
Justinians zu Grund gelegt werden soll. Der unter Leitung Johann Casimir von
Carmers hauptsächlich von Carl Gottlieb Svarez und Ernst Ferdinand Klein auf
der Grundlage von Auszügen aus dem Corpus iuris civilis Justinians nach einer
systematischen natürlichen Ordnung erarbeitete Entwurf eines allgemeinen
Gesetzbuchs für die preußischen Staaten wird seit 1784 in sechs Abteilungen
gedruckt (Erster Teil Personenrecht, erste Abteilung von dem Hausstand 1784,
zweite Abteilung von den Rechten und Pflichten der verschiedenen Stände des
Staates 1785, dritte Abteilung Rechte und Pflichten des Staates gegen die
Bürger 1786, zweiter Teil Sachenrecht), erste Abteilung Titel 1-6 1787, zweite
Abteilung Titel 7-13 1787, dritte Abteilung Titel 14-22 1788). Die nach der
Veröffentlichung eingereichten Vorschläge (Monita) werden verwertet und in
einer Svarezschen Revision 1790/1791 genutzt. Am 20. 3. 1791 reicht von Carmer
das Publikationspatent für das Allgemeine Gesetzbuch für die preußischen
Staaten ein, dessen Inkrafttreten zum 1. 6. 1792 geplant wird. Am 18. 4. 1792
verschiebt der König die Geltung aus politischen Gründen bis auf Weiteres.
Wegen des Gebietsgewinns Preußens aus der zweiten Teilung Polens (1793) wird
das im Privatrecht einem abgewandelten Institutionensystem folgende Werk am
1. 6. 1794 als Allgemeines Landrecht für alle preußischen Staaten in Kraft
gesetzt.
Lit.:
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/EntwurfeinesallgemeinenGesetzbuchesfuerdiepreussischenStaaten1Theil1Abtheilung1784.pdf
u. a. Svarez, Carl Gottlieb, Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuches für die
preußischen Staaten, hg. v. Krause, P., Bd. 1ff. 1996ff.; Register zum
allgemeinen Gesetzbuch für die preußischen Staaten (1792), hg. v. Krause, P.,
2004; Finkenauer, T., Vom Allgemeinen Gesetzbuch zum Allgemeinen Landrecht, ZRG
113 (1995), 40; Barzen, C., Die
Entstehung des „Entwurf(s) eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen
Staaten“, 2000
Allgemeines Gesetzbuch über Verbrechen und derselben
Bestrafung ist das unter Joseph II.
gewisse aufgeklärte Grundsätze verwirklichende Strafgesetzbuch Österreichs von
1787, das noch vom Strafzweck der Abschreckung ausgeht.
Lit.: Baltl/Kocher;http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Strafgesetz1787.pdf
Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) ist das als →Kodifikation zum 1. 6. 1794 in
Kraft gesetzte umfassende Vernunftrechtsgesetzbuch →Preußens. Ihm gehen
als ältere, im Ergebnis erfolglose Versuche der Rechtsvereinheitlichung der
rechtlich ganz verschieden geordneten Teile Brandenburg-Preußens ein Ersuchen
Friedrich Wilhelms I. von Preußen an die juristische Fakultät der Universität
Halle an der Saale (1714) und das von Samuel von →Cocceji bearbeitete
Projekt eines Corpus juris Fridericiani Friedrichs des Großen (Teilentwürfe
1749, 1751) voraus. Als Folge des sog. →Müller-Arnold-Prozesses (1. 1.
1780) erarbeiten nach einer Kabinettsorder Friedrichs des Großen (14. 4. 1780
betreffend die Verbesserung des Justizwesens bezüglich der Gerichtsverfassung,
des Prozessrechts und des materiellen Rechtes) der neu berufene Großkanzler
Johann Heinrich Casimir von →Carmer und Carl Gottlieb →Svarez
(außer dem Corpus juris Fridericianum von 1781 für das Verfahrensrecht und
einer Hypothekenordnung von 1783) an Hand des römischen Rechtes nach
natürlicher Ordnung und der Sonderrechte der einzelnen Provinzen einen vom
König (1785) als zu weitläufig zurückgewiesenen Entwurf aus (1783-1788,
zwischen 1784 und 1788 in sechs Bänden veröffentlicht). Nach Überarbeitung an
Hand zahlreicher eingegangener Monita und Denkschriften wird 1791 ein Entwurf
eines →allgemeinen Gesetzbuchs für die preußischen Staaten vorgelegt,
(nach Einreichen des Publikationspatents am 20. 3. 1791) sein Inkrafttreten zum
1. 6. 1792 verfügt, aber nach nicht mehr vollständig aufklärbaren Vorgängen am
18. 4. 1792 auf unbestimmte Zeit suspendiert. 1794 wird das Gesetzbuch nach dem
1793 bei der zweiten Teilung Polens erfolgten Erwerb umfangreicher Gebiete
(Südpreußen, Neu-Ostpreußen) unter geringer Umarbeitung (Aufhebung des Verbots
der Machtsprüche und einiger Bestimmungen über die Ehe zur linken Hand) als A.
L. R. erlassen (Anlage zum königlich preußischen Patent vom 5. 2. 1794). Das
Gesetz umfasst in zwei Teilen („Eigentum“, „Gesellschaft“) mit 23 und 20 Titeln
sowie 19194 Paragraphen (fast) das gesamte private und öffentliche Recht
(Privatrecht, Gemeinderecht, Beamtenrecht, Staatsrecht, Kirchenrecht,
Lehnrecht, Strafrecht), das es fürsorglich und kasuistisch abhandelt. Sein vom
Einzelnen (über Ehe, Familie und Stände) zum Staat fortschreitender Aufbau ist
vernunftrechtlich. Anknüpfungspunkt ist (noch) nicht der Mensch als ohne
weiteres rechtsfähiges Wesen, sondern der Mensch, soweit er nach Geburt, persönlichen
Verhältnissen und Stand Rechte und Pflichten hat. Inhaltlich stellt es in
seiner Ausrichtung auf das gemeine Wohl einen Ausgleich zwischen altständischer
Gesellschaft und aufgeklärter Freiheit dar, der die fortschrittlichen Ideen
des Bürgertums nur eingeschränkt verwirklicht. Im Privatrecht folgt es einem
abgewandelten Institutionensystem. Von Savigny wird es abgelehnt (1816
„Sudeley“), aber ab 1819 in Vorlesungen an der Universität vorgetragen. In den
1815 auf dem Wiener Kongress gewonnenen Rheinlanden, in denen Frankreich
1806/1807 seinen 1804 geschaffenen Code civil in Kraft setzt, und in den 1866
bei Auflösung des Deutschen Bundes erlangten Gebieten wird es nicht eingeführt.
Durch das Strafgesetzbuch von 1851, das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch
von 1861 und schließlich durch das →Bürgerliche Gesetzbuch (1896/1. 1.
1900) wird es Stück für Stück abgelöst.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 140, 184, 151, 160,
198; Eggers, C. v., Lehrbuch des Natur- und allgemeinen Privatrechts und
gemeinen preußischen Rechts, 1797; Thieme, H., Die preußische Kodifikation, ZRG
GA 57 (1937), 355; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2.
A. 1967; Conrad, H., Die geistigen Grundlagen des ALR, 1958; Allgemeines
Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, hg. v. Hattenhauer, H., 1970,
2. A. 1994, 3. A. 1996; Allgemeines Landrecht für die
Preußischen Staaten von 1794, Register 1973; Koselleck, R., Preußen
zwischen Reform und Revolution, 1975; Das nachfriderizianische Preußen
1786-1806, hg. v. Hattenhauer, H. u. a., 1988; Mühleisen, H., Zur Ordnung der
Akten und Materialien des Allgemeinen Landrechts, ZRG GA 108 (1991), 194;
Schwennicke, A., Die Entstehung der Einleitung des preußischen Allgemeinen Landrechts
von 1794, 1993; Friedrich Carl von Savigny, Landrechtsvorlesung 1824, hg. v.
Wollschläger, C. u. a., 1994ff.; Gemeinwohl - Freiheit - Vernunft -
Rechtsstaat, hg. v. Ebel, F., 1995; Das Preußische Allgemeine Landrecht, hg. v.
Wolff, J., 1995; 200 Jahre allgemeines Landrecht, hg. v. Dölemeyer, B. u. a.,
1995; Kodifikation gestern und heute, hg. v. Merten, D. u. a., 1995; Entwurf
eines allgemeinen Gesetzbuches für die Preußischen Staaten, hg. v. Krause, P.,
Bd. 1ff. 1996ff.; Finkenauer, T., Vom Allgemeinen Gesetzbuch zum Allgemeinen
Landrecht, ZRG GA 113 (1996), 40; Benthaus, R., Eine „Sudeley“?, Diss. jur.
Kiel 1996; Reformabsolutismus und ständische Gesellschaft, hg. v. Birtsch, G.,
1998; Zur Ideen- und Rezeptionsgeschichte des preußischen Allgemeinen
Landrechts, hg. v. Gose, W. u. a., 1999; Dilcher, G., Forschungen zum
ALR-Jubiläum, ZNR 2001, 285; Steinbeck, J., Die Anwendung des allgemeinen
Landrechts in der richterlichen Praxis, 2004; Benöhr, H., Die Urheber des ALR,
ZRG GA 121 (2004), 493; Register zum allgemeinen Gesetzbuch, hg. v. Krause, P.,
2004; Albrecht, M., Die Methode der preußischen Richter, 2005; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ALR1fuerdiepreussischenStaaten1794teil1.htm;http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ALR2fuerdiepreussischenStaaten1794Teil2.htm;
Hilgenstock, C., Die Anwendung des Allgemeinen Landrechts in der richterlichen
Praxis, 2009; Bitter, A. v., Das Strafrecht des preußischen Allgemeinen
Landrechts von 1794, 2013; Stegmaier, W., Das preußische Allgemeine Landrecht
und seine staatsrechtlichen Normen, 2013
Allgemeines Persönlichkeitsrecht ist das einer Person an ihrer Persönlichkeit insgesamt
zustehende Recht. Erste Ansätze hierfür finden sich bei Donellus (Doneau
1527-1591), Pufendorf, Thomasius und Wolff (vgl. § 83 Einl. ALR, § 16 ABGB),
doch lehnt Friedrich Carl von Savigny ein a. P. ab, weil Injurienstrafenklage
und Strafrecht genügenden Schutz bieten. Demgegenüber treten später Otto von
Gierke und Josef Kohler für ein a. P. ein. Bei der Schaffung des Bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) wird auf ein a. P. bewusst verzichtet, nur der Namensschutz
in § 12 geregelt und der Schadensersatz bei immateriellen Schäden
eingeschränkt (§ 253 BGB, anders Art. 28 ZGB Schweiz 1907/1911). Seit 1954
wird ein a. P. in Deutschland durch die Rechtsprechung (BGHZ 13, 334, 1958
BGHZ 26, 349, 1974 BVerfGE 34, 269, vgl. 1956 BGHZ 20, 345 pönale Geldentschädigung)
anerkannt. Als Rechtsgrund wird Art. 2 Iff. GG angesehen (vgl. BGHZ 128,1).
Beachte auch § 201a StGB.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Hedemann, J., Die Fortschritte
des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, Teil 1 1910, 58; Irmscher, K., Der
privatrechtliche Schutz der Persönlichkeit in der Praxis des gemeinen und
partikularen Rechts, 1953; Scheyhing, R., Zur Geschichte des
Persönlichkeitsrechts im 19. Jh., AcP 158 (1959/1960), 503; Leuze, D., Die
Entwicklung des Persönlichkeitsrechts im 19. Jh. 1962; Simon, J., Das
allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine gewerblichen Erscheinungsformen,
1981; Gottwald, S., Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, 1996; Goebel, J.,
Allgemeines Persönlichkeitsrecht, 2004; Kastl, K., Das allgemeine
Persönlichkeitsrecht, 2004; Martin, K., Das allgemeine Persönlichkeitsrecht,
2007
Allgemeines Vermögensgesetzbuch für das Fürstentum
Montenegro ist das vor allem unter der
Mitarbeit Baltazar →Bogisics (1834-1908) 1888 in Kraft gesetzte
Privatrechtsgesetzbuch Montenegros (ohne Familienrecht und Erbrecht).
Lit.: Zimmermann, W., Valtazar Bogisic (1834-1908), 1962;
Hamza, G., Bemerkungen zur Privatrechtsentwicklung in Montenegro (in Spomenica
Valtazara Bogišića, 1011, 315
Allgemeinverfügung ist die zu Beginn des 19. Jh.s entstandene, lange zwischen Verordung
und Verwaltungsakt stehende, zuletzt dem Verwaltungsakt zugeordnete Einrichtung
des allgemeinen Verwaltungsrechts.
Lit.:
Wandschneider, S., Die Allgemeinverfügung, 2009
Alliierte →Alliierte
Hohe Kommandantur
Alliierte hohe Kommandantur Berlin ist das gemeinsame Organ der Vereinigten Staaten von
Amerika, der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs für Berlin seit Juli
1945. Nach dem Auszug des sowjetischen Stadtkommandanten am 16. Juni 1948
tagen die drei westlichen Stadtkommandanten allein. Die Hoheitsgewalt über →Berlin
(West) wird bis zur Vereinigung Berlins (1990) von den drei Westalliierten
ausgeübt.
Lit.: Kroeschell,
20. Jh.; Schiedermair, H., Der völkerrechtliche Status Berlins, 1975; Grant,
H., Die Alliierten und die Teilung Deutschlands, 1985
Alliierte hohe Kommission ist das oberste Organ der Vereinigten Staaten von Amerika,
Großbritanniens und Frankreichs für die Bundesrepublik Deutschland
einschließlich der westlichen Sektoren Berlins vom 21. 9. 1949 bis 5. 5. 1955.
Die A. H. K. hat ihren Sitz auf dem Petersberg bei Königswinter. Sie besteht
aus den 3 Hohen Kommissaren der beteiligten Mächte.
Lit.:
Vogt, H., Wächter der Bonner Republik, 2004
Alliierter Kontrollrat ist das am 30. 7. 1945 errichtete Organ der Vereinigten
Staaten von Amerika, der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs für die
Ausübung der obersten Gewalt in Deutschland, insbesondere die Entscheidung aller
Deutschland als Ganzes betreffenden Fragen. Der Alliierte Kontrollrat erlässt
auch Gesetze. Am 20. 3. 1948 stellt er wegen der gegensätzlichen Ansichten der
westlichen Mächte einerseits und der Sowjetunion andererseits seine Tätigkeit
ein. In Österreich werden nach dem ersten alliierten Kontrollabkommen vom 4. 7.
1945 ein aus den vier militärischen Kommissaren der vier Besatzungsmächte gebildeter
Alliierter Rat und ein Exekutivkomitee mit Stäben (insgesamt als Alliierte
Kommission bezeichnet) eingerichtet, deren oberste Gewalt durch das zweite
alliierte Kontrollabkommen vom 28. 6. 1946 abgeschwächt wird.
Lit.: Kroeschell,
20. Jh.; Köbler, DRG 245; Jaenicke, G., Der Abbau der Kontrollratsgesetzgebung,
1952; Etzel, M., Die Aufhebung von nationalsozialistischen Gesetzen, 1992; Schmoeckel, M., Die Aufhebung von
nationalsozialistischen Gesetzen, ZRG 112 (1994), 431; Mai, G., Der
Alliierte Kontrollrat in Deutschland, 1995
Alliiertes Recht ist das von den alliierten
Besatzungsmächten (in Deutschland nach 1945) geschaffene oder veranlassete
Besatzungsrecht.
Allmende (mhd. almende) ist die mehreren zur allgemeinen Nutzung zustehende
Wirtschaftsfläche (einer Gemeinde oder ähnlichen Körperschaft). Es ist mehr als
zweifelhaft, ob die Anfänge der vor allem im Hochmittelalter bezeugten A. in
die germanische Landnahme zurückreichen. Inhaltlich besteht die A. aus Wäldern,
Weide und Ödland. Nutzungsberechtigt sind regelmäßig die Inhaber mehrerer (nahe
liegender) Hofstellen bestimmter Größe (Markgenossen). Schon früh versucht der
König und später auch der Landesherr, ein Allmendregal durchzusetzen. Das 19.
Jh. strebt nach Beseitigung der A. zugunsten von Alleineigentum. →Alm
Lit.: Kroeschell,
DRG 1, 2; Köbler, DRG 96, 121; Maurer, G. v., Geschichte der Markenverfassung
in Deutschland, 1856; Weiss, J., Die Hackwaldallmende der Stadt Eberbach, ZRG
GA 17 (1896), 77; Rüttimann, K., Die zugerischen Allmendkorporationen, 1904;
Rennefahrt, H., Die Allmend im Berner Jura, 1905; Wopfner, H., Das Almendregal
des Tiroler Landesfürsten, 1906; Omlin, H., Die Allmendkorporationen der
Gemeinde Sarnen, 1913; Litscher, M., Die Alpkorporationen des Bezirkes
Werdenberg, 1919; Meyer, E., Die Nutzungskorporationen im Freiamt, 1919;
Haff, K., Überbleibsel strenger Feldgemeinschaft auf friesischen und
skandinavischen Inseln, ZRG GA 46 (1926), 378; Haff, K., Die alten Feld- und
Wiesengemeinschaften der Insel Föhr und ihre Erbbücher, ZRG GA 47 (1927), 673;
Bergdolt, W., Badische Allmenden, ZRG GA 48 (1928), 466; Weber, K., Zur
Rechtsgeschichte der Wiesengemeinschaften der Hallig Hooge, 1931; Plett, E.,
Zur Rechtsgeschichte des Spätlandes auf Osterlandföhr, 1931; Kirchner, R., Die
Allmende und ihre Schicksale in Unterfranken, Diss. jur. Würzburg 1931; Mantel,
K., Der Gemeindewald in Bayern, Diss. jur. Würzburg 1933; Rynning, L., Bidrag
til norsk almenningsrett I, 1934; Brinkmann, O., Die Bedeutung der Allmende im
neuen Deutschland, 1935; Grass, N., Beiträge zur Rechtsgeschichte der
Alpwirtschaft, 1948; Fischer, H., Zum Gebietsrecht der Stadtallmende, ZRG GA 71
(1954), 209; Sidler, R., Die schwyzerische Unterallmeindkorporation, Diss.
jur. Zürich 1956; Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen
Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff.; Wehrenberg, D., Die wechselseitigen Beziehungen
zwischen Allmendrechten und Gemeindefronverpflichtungen, 1969; Schildt, B.,
Bauer - Gemeinde - Nachbarschaft, 1996; Below, S. v. u. a., Wald, 1998;
Zückert, H., Allmende und Allmendaufhebung, 2003; Schmidt-Wiegand, R.,
Allmende, (in) Worte des Rechts, 2007, 347
Allod ist
das keinen zusätzlichen Beschränkungen unterliegende Familiengut (19. Jh.,
vgl. Lex Salica 59). Es steht insbesondere im Gegensatz zu →Lehen. In Deutschland
gibt es immer A., während in Frankreich (wegen der Vermutung nulle terre sans
seigneur) A. eher selten und in England A. seit 1066 (Domesdaybook)
verschwunden ist. A. kann zu Lehen gemacht werden und Lehen in A. verwandelt
werden. Mit dem 19. Jh. geht A. in →Eigentum auf.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, WAS; Chenon, E., Étude sur
l’histoire des alleux en France, 1888; Rauch, K., Die Übertragung der
steirischen Allode an das österreichische Herzogsgeschlecht der Babenberger,
ZRG GA 58 (1938), 448; Ebner, H., Das freie Eigen, 1969; Spieß, K., Das
Lehnswesen, 2002, 2. A. 2009
Allodifikation ist die (ausdrückliche oder stillschweigende) Umwandlung
von Lehen in →Allod. Tatsächlich findet in der Neuzeit eine allmähliche
A. der deutschen Landesfürstentümer statt (bis 1806). Innerhalb der
Landesfürstentümer erfolgt (nicht zuletzt aus steuerlichen Überlegungen) eine
A. der Lehen von 1702 (Preußen) bis 1919 (Mecklenburg).
Lit.: Köbler,
DRG 211; Loewe, V., Die Allodifikation der Lehen unter Friedrich Wilhelm I.,
(in) Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 11 1898;
Deter, G., Allodifikation, ZRG GA 130 (2013), 205
Allthing ist
die vielleicht 930 eingerichtete politische Versammlung der seit der 2. Hälfte
des 9. Jh.s vor allem von Westnorwegen aus besiedelten Insel →Island. Das
A. wird in der zweiten Junihälfte jedes Jahres im Südwesten abgehalten.
Teilnahmeberechtigt ist jeder thingsteuerfähige Freie, teilnahmeverpflichtet
jeder Häuptling (Gode) und jeder neunte Mann. Auf dem A. hat der Gesetzessprecher
oder Rechtssprecher (lögsögumadr) das Recht vorzutragen, ist Recht zu setzen
und zu klären und müssen Urteile gefällt werden. 1271/81 endet diese ältere
Gestaltung. 1798 wird das A. aufgelöst.
Lit.: Kuhn, H., Das alte Island, 1971
Alm →Almrecht
Almrecht ist
das Recht der Alp oder (aus alben kontrahiert) Alm als der hochgelegenen,
vielleicht seit 3000 Jahren in den Sommermonaten bewirtschafteten Weidefläche
(vor allem des Alpenraums). Diese gehört teils Genossenschaften, teils
Grundherren. Das Eigentum an den Grundstücken ist oft durch besondere Rechte
und Dienstbarkeiten eingeschränkt (z. B. Schneefluchtrecht auf unteren Almen).
Lit.: Weiß, R., Das Alpwesen Graubündens, 1941; Grass, N.,
Beiträge zur Rechtsgeschichte der Alpwirtschaft, 1948; Moritz, A., Die
Almwirtschaft im Stanzertal, 1956; Grass, N., Forschungen zur Alpwirtschaft,
ZRG GA 81 (1964), 368; Ramseyer. R., Das altbernische Küherwesen, 1961;
Gietzen, H., Die Almen des Stubaitales, 1964; Schweizerischer Alpkataster, hg.
v. d. Abteilung für Landwirtschaft des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements
in Bern, 1962ff.; Hägele, E., Die Hinterriss, Diss. staatswiss. Innsbruck 1967;
Edelmann, M., Die Almen im Tegernseer Tal, 1966; Werner, K., Die Almwirtschaft
des Schnalstales, 1969; Starz, R., Die Almwirtschaft in der Wildschönau, Diss.
staatswiss. Innsbruck 1970; Carlen, L., Das Recht der Hirten, 1970; Schenk, P.,
Die Almwirtschaft im Alpbachtal (Tirol), 1974; Zwittkovits, F., Die Almen
Österreichs, 1974; Grass, N., Oswald von Wolkenstein und die Almwirtschaft, ZRG
GA 92 (1975), 105; Tremel, F., Zur Rechtsgeschichte des Almwesens, FS N. Grass
Bd. 2 1975, 3; Untersuchungen zur eiszeitlichen und frühmittelalterlichen Flur,
hg. v. Beck, H., 1980; Arnold, G., Die Korporation Ursern, 1990; Grass, N., Alm
und Wein, 1990 (Aufsätze)
alodis (lat.-afränk.)
→Allod
Alp →Alm
Alpen ist der Name des Italien von Frankreich und
Deutschland trennenden europäischen Gebirges.
Lit.: Die Alpen in der
europäischen Geschichte des Mittelalters, 1965; Die Alpen, hg. v. Mathieu, J.
u. a., 2005; Wege über die Alpen, hg. v. Oster, U., 2006; Le Alpi porta d’Europa, hg. v. Pani, L. u. a., 2009; Winckler,
K., Die Alpen im Frühmittelalter, 2012
Altar ist der in der christlichen Kirche für
geistliche Handlungen verwendete Tisch, mit dem auch Rechtshandlungen (z. B.
Stiftungen, Eide, Gottesurteile) verbunden werden können.
Lit.: Carlen, L., Orte,
Gegenstände, Symbole kirchlichen Rechtslebens, 1999; Viek, S., Der
mittelalterliche Altar als Rechtsstätte, Mediävistik 17 (2004)
Alsfeld in Oberhessen übernimmt nach 1556
weitgehend wörtlich das Frankenberger Stadtrechtsbuch.
Lit.: Gerhardt, H., Das Alsfelder Stadtrechtsbuch, Diss. Freiburg
im Breisgau 1993
Altdorf bei Nürnberg, 1504 von der Pfalz an Nürnberg
gelangt, 1553 sehr zerstört, ist von 1575 an Sitz des 1526 nach Vorschlägen
Melanchthons im Egidienkloster Nürnbergs eingerichteten Gymnasiums und von 1622
bis 1809 Sitz einer Universität (Donellus, Rittershusius, 1599 Wallenstein,
1667 Leibniz).
Lit.: Will, G., Geschichte und
Beschreibung der nürnbergischen Universität Altdorf 1796, Neudruck 1975; Die
Matrikel der Universität Altdorf, hg. v. Steinmeyer, E. v., 1812, Neudruck
1980; Mummenhoff, G., Die Juristenfakultät Altdorf in den ersten fünf Jahrzehnten
ihres Bestehens, Diss. jur. Erlangen 1957; Loiermann, H., Die Altdorfer
Juristen, FS K. S. Bader 1965, 267; Mährle, W., Academia Norica (1575-1623),
2000
alte Kulm →Kulm
Altena
Lit.: Lappe, J., Die Freiheit
Altena, 1929
Altenteil ist
die einem Bauern und seinem überlebenden Ehegatten nach Übergabe seines Hofes
an seinen Nachfolger zustehende Versorgung. Das seit der Mitte des 14. Jh.
nachweisbare A. wird bei freien Bauern durch (seit dem 16. Jh. nachweisbaren)
Vertrag vereinbart (und in neuerer Zeit im Grundbuch dinglich gesichert), bei
grundherrschaftlichen Bauern auch in Hofrechten festgelegt. Es haftet am
Hofgrundstück. Die Anerbengesetzgebung des 19. Jh.s kennt eine gesetzliche
Regelung, deren Ausgestaltung der Vereinbarung überlassen ist. Art. 96 EGBGB
verweist für den schuldrechtlichen Vertrag auf das Landesrecht.
Lit.: Piepenbrock, J., Die Entwicklung des Altenteils oder
der Leibzucht, 1925 (Diss.); Weiland, H., Die geschichtliche Entwicklung des
bäuerlichen Altenteils, 1940; Weber, H., Der deutsche bäuerliche
Übergabevertrag, 1941; Czerannowski, B., Das bäuerliche Altenteil in Holstein,
Lauenburg und Angeln 1650-1850, 1988; Schäfer, A., Übernahme und Altenteil,
Diss. jur. Bonn 1994
Alter ist
die für das Recht in verschiedener Hinsicht bedeutsame, durch die dem Menschen
vorgegebene Dimension Zeit bedingte Erscheinung menschlichen Lebens. Schon das
römische Recht unterscheidet zwischen Kleinkindern (lat. [M.Pl.] infantes),
Nochnichtgeschlechtsreifen (lat. [M.Pl.] impuberes) und Geschlechtsreifen
(lat. [M.Pl.] puberes), wobei der Eintritt der Reife bei Männern mit
vollendetem 14., bei Frauen mit vollendetem 12. Lebensjahr angenommen wird und
volle Geschäftsfähigkeit bedeutet. Allerdings besteht (wohl schon früh) bis zur
Vollendung des 25. Lebensjahrs ein besonderer Schutz bei Rechtsgeschäften. Nach
den frühmittelalterlichen Volksrechten tritt Mündigkeit zunächst nach der
jeweiligen einzelnen Geschlechtsreife ein, später mit der Vollendung des 10.
Lebensjahrs (angelsächsisches Recht vor 1000) oder 12. Lebensjahrs (Edictus
Rothari [643] 155, Leges Liutprandi [721] 18). Der Unmündige kann bestimmte
Handlungen nicht vornehmen, andere nach Erreichen der Mündigkeit widerrufen.
Die väterliche Gewalt dauert aber bis zur →Abschichtung fort. Nach dem
Sachsenspiegel kann diese Rechtsstellung des Unmündigen freiwillig bis zum
Ablauf des 21. Lebensjahrs und nach dem 60. Lebensjahr fortgeführt werden. Mit
der Rezeption seit dem späteren Mittelalter dringt die römische Regelung der
(lat. [F.]) infantia (Kindheit) ein (Geschäftsunfähigkeit). Wer älter als
sieben Jahre alt ist, kann zwar Rechte erwerben, aber bis zur Geschlechtsreife
keine Pflichten begründen bzw. bis zur Volljährigkeit (meist 25 Jahre) das
Vermögen nicht ohne Zustimmung eines Kurators verringern, allerdings auf Antrag
diese Rechtsstellung bereits mit 20 bzw. für Frauen mit 18 Jahren erreichen
(lat. sog. [F.] venia aetatis, Erlaubnis des Alters). Nach dem österreichischen
Codex Theresianus von 1766 (V § IV 98), dem preußischen Allgemeinen Landrecht
von 1794 (II 18 § 696) und dem österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen
Gesetzbuch von 1811/1812 (§ 21) tritt die Volljährigkeit mit 24 Jahren ein, im
Deutschen Reich seit 1875 mit 21 Jahren, in der Deutschen Demokratischen
Republik und in der Bundesrepublik Deutschland (1975) mit 18, in Österreich
(1919) mit 21, dann (1973) mit 19 und danach (2001) auch mit 18 Jahren. Daneben
gibt es die Schulpflicht mit 6 Jahren, die Religionsmündigkeit mit 14 Jahren,
die beschränkte Ehemündigkeit, Testierfähigkeit und Eidesfähigkeit mit 16
Jahren und den Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren im Strafrecht bzw. Jugendstrafrecht.
Lit.: Kaser § 14; Hübner 63ff.; Wackernagel, W., Die
Lebensalter, 1862; Eckhardt, K., Die Volljährigkeitsgrenze von 24 Jahren, ZRG
GA 61 (1941), 1; Helfenstein, U., Beiträge zur Problematik des Lebensalters in
der mittleren Geschichte, 1952; Luther, G., Ehemündigkeit, Volljährigkeit,
Strafmündigkeit, 1961; Cromberg, H., Die Knabenschaftsstatuten der Schweiz,
1970; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Aging and the Ages,
hg. v. Sheehan, M., 1990; Alter und Gesellschaft, hg. v. Borscheid, P., 1995;
Schäfer, D., Alter und Krankheit in der frühen Neuzeit, 2004; Schlegel-Voß, L.,
Alter in der Volksgemeinschaft, 2005; Generationengerechtigkeit?, hg. v. Brakensiek,
S. u. a., 2006; Timmer, J., Altersgrenzen politischer Partizipation in antiken
Gesellschaften, 2008; Lebensalter und Recht, hg. v. Ruppert, S. 2009; Youth and
Age in the Medieval North, hg. v. Lewis-Simpson, S., 2008; Brunozzi, K., Das
vierte Alter im Recht, 2012; Wagner-Hasel, B., Alter in der Antike, 2012
Alteri stipulari nemo potest (lat.). Für einen anderen kann man sich nichts versprechen
(bzw. sich versprechen lassen).
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Ulpian 170-223)
Alternativentwurf zur Strafrechtsreform ist der 1966 von reformfreudigen
deutschen Strafrechtsprofessoren vorgelegte Entwurf, der die Liberalisierung
des deutschen Strafrechts in der anschließenden Novellierung maßgeblich
mitbestimmt.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.
Altershilfe für
Landwirte ist eine durch Gesetz vom 27. 7. 1957 (zum 1. 10. 1957) in
Deutschland errichtete Abteilung der Sozialversicherung, die von Alterskassen
bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften betrieben wird.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.
Altersversicherung →Sozialversicherung
Altertum ist
der mit den ersten schriftlichen Aufzeichnungen (3000-2800 v. Chr.) bzw. dem
11. Jh. v. Chr. beginnende, vor allem die Völker der Gegend vom Mittelmeer
(Griechen, Römer) bis zum Zweistromland erfassende und mit der Völkerwanderung
(476 Eroberung Westroms durch die Germanen) allmählich endende geschichtliche
Abschnitt der menschlichen Kulturentwicklung. →Antike
Lit.: Der Kleine Pauly, hg. v. Ziegler, K. u. a., Bd. 1ff.
1975ff.; Buchwald, W. u. a., Tusculum-Lexikon griechischer und lateinischer
Autoren, 3. A. 1982; Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft,
Gesamtregister I, II, 1997ff. (mit CD-ROM); Ott, M., Die Entdeckung des
Altertums, 2002; Piepenbrink, K., Das Altertum, 2006
Althochdeutsch ist die normalisierende Bezeichnung der zwischen (500 bzw.)
750 und 1050 als der alten deutschen Sprachperiode im südlichen (hochgelegenen)
Deutschland (Alemannen, Bayern, Franken) gesprochenen, dem Germanischen
folgenden und dem →Mittelhochdeutschen vorausgehenden Sprachen (z. B.
althochdeutsches Lex-Salica-Bruchstück).
Lit.: Baesecke, G.,
Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums (2, 1), 1950; Schützeichel,
R., Die Grundlagen des westlichen Mitteldeutschen, 1961; Schützeichel, R.,
Althochdeutsches Wörterbuch 1969, 6. A. 2004; Sonderegger, S., Althochdeutsch
als Anfang, 1977; Köbler, G., Wörterbuch des althochdeutschen Sprachschatzes,
1993; Köbler, G., Taschenwörterbuch des althochdeutschen Sprachschatzes, 1994;
Meinecke, E./Schwerdt, J., Einführung in das Althochdeutsche, 2001;
http://www.koeblergerhard.de/ahdwbhin.html; Nievergelt, A., Althochdeutsch in
Runenschrift, 2009,
Althusius (Althaus), Johannes (Diedenshausen bei Berleburg 1557
[oder um 1563]-Emden 12. 8. 1638), Hofpredigerssohn, wird nach dem Studium in
Marburg (Pädagogium), Köln (1581) Basel (Amerbach, 1586 Promotion) und Genf (D.
Gothofredus) nach Herborn (1588) berufen (1592-1596 Steinfurt). Von 1604 bis
1638 wirkt er in Emden als Ratssyndikus. Sein Hauptwerk (lat. [F.] Politica
methodice digesta, Politik methodisch behandelt, 1603) ist der erste deutsche
Versuch einer systematischen Staatslehre, den A. zu einer allgemeinen, mit noch
mittelalterlicher Naturrechtsvorstellung behafteten Rechtslehre ausbaut, der
aber im beginnenden Absolutismus letztlich von beschränkter Wirkung bleibt.
Lit.: Köbler, DRG 148; Gierke, O. v., Johannes Althusius,
1880, 2. A. 102, 3. A. 1913, 4. A. 1929, 5. A. 1958, 6. A. 1968, Neudruck 1980,
7. A. 1981; Reibstein, E., Johannes Althusius als Fortsetzer der Schule von
Salamanca, 1955; Winters, P., Die „Politik“ des Johannes Althusius und ihre
zeitgenössischen Quellen, 1961; Althusius-Bibliographie, hg. v. Scupin, H. u.
a., Bd. 1f. 1973; Friedrich, C., Johannes Althusius und sein Werk, 1975;
Politische Theorie des Johannes Althusius, hg. v. Dahm, G. u. a., 1988;
Wyduckel, D., J. Althusius - Die deutsche Literatur zwischen 1450 und 1620,
1991; Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice
digesta, hg. v. Bonfatti, E. u. a., 2002; Althusius, J., Politik, übers. v.
Janssen, H., hg. v. Wyduckel, D., 2003; Jurisprudenz, politische Theorie und
politische Theologie. Beiträge des Herborner Symposions zum 400. Jahrestag der
Politica des Johannes Althusisus 1603-2003, hg. v. Carney, F. u. a., 2004
Altmärkische Glosse zum Sachsenspiegel →Stendaler Glosse
Altniederfränkisch ist die im Nordwesten des
fränkischen Reiches in der altdeutschen Zeit des Frühmittelalters gesprochene
Sprache, aus der sich das Mittelniederländische und das Niederländische entwickeln.
Lit.: Köbler, G., Sammlung
altniederfränkischer Tradition – Texte – Glossen, 2002
Altona
Lit.: Maertens, R., Das
Landgericht Altona (1879-1937) und die Anfänge des Landgerichts Itzehoe
(1937-1945), 2011
Altsächsisch ist
die zwischen (500 bzw.) 750 und 1200 als der alten deutschen Sprachperiode von
den Sachsen gesprochene, dem Mittelniederdeutschen vorausgehende Sprache (z.
B. →Heliand).
Altzelle
Lit.: Urkundenbuch des
Zisterzienserklosters Altzelle, Teil 1 1162-1249, bearb. v. Graber, T., 2006;
Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken, hg. v. Graber, T. u. a., 2008
Alzey
Lit.: 1750 Jahre Alzey, hg. v.
Becker, K., 1973
Amberg in der Oberpfalz wird erstmals 1034 in einer Gabe Konrads II. an das
Hochstift Bamberg erwähnt. Spätestens 1242 ist es Stadt. Die älteste erhaltene
(deutsche) Bestätigung des Stadtrechts stammt von 1294.
Lit.:
Denkmäler des Amberger Stadtrechts, hg. v. Laschinger, J., Bd. 1ff. 1994ff.
Amerbach,
Bonifacius (Basel 1495-1562), Schüler Zasius’ und Alciats, Freund des Erasmus
von Rotterdam, Professor der Pandekten in Basel und Anwalt (Familie aus
Amorbach, ursprünglicher Name Welcker).
Lit.: Die Amerbachkorrespondenz, hg. v. Hartmann, A. u. a.,
Bd. 1ff. 1942ff.; Kisch, G., Humanismus und Jursprudenz, 1955; Troje, H.,
Graeca leguntur, 1971; Hagemann, H., Die Rechtsgutachten des Bonifacius
Amerbach, 1997; Hagemann, H., Die Rechtsgutachten des Basilius Amerbach, 2001
Amerika ist der wohl frühgeschichtlich (um 13000 v. Chr.,
Prä-clovis-Funde bei Austin in Texas) von Sibirien aus (über eine Landbrücke
nach Alaska von Asiaten/Indianern) besiedelte, um die erste Jahrtausendwende
von Wikingern und 1492 von Kolumbus auf der von Europa aus nach Westen
gerichteten Suche nach Indien (nochmals) entdeckte, von Amerigo Vespucci (Florenz
1451?-Sevilla 1512) im Gefolge der Entdeckung der Amazonasmündung (1502) als
verschieden von Indien erkannte, am 25. 4. 1507 von Martin Waldseemüller und
Matthias Ringmann in der (lat.) Cosmographiae Introductio (F., Einleitung in
die Weltbeschreibung) als Amerika benannte, im Süden von Spanien und Portugal
und im Norden vor allem von England (und Frankreich) in Besitz genommene Kontinent,
dessen verschiedene Kolonien bzw. Staaten sich seit dem 18. Jahrhundert von den
Kolonialmächten lösen, aber im 20. Jahrhundert von den 1776 von
Großbritannien verselbständigten →Vereinigten
Staaten von A. stark geprägt werden.
Lit.: Bravo Lira, B., Beziehungen zwischen den
europäischen und ibero-amerikanischen Kodifikationen, ZRG GA 103 (1986), 294;
Die neue Welt, hg. v. Edelmayer, F. u. a., 2001; Semper, F., Die Rechte der
indigenen Völker in Kolumbien, 2003; Weber, K., Deutsche Kaufleute im
Atlantikhandel 1680-1830, 2004; Arens, W./Braun; H., Die Indianer Nordamerikas,
2004; Depkat, V., Geschichte Nordamerikas, 2004; König, H., Kleine Geschichte
Lateinamerikas, 2006; Gemegah, H., Die Suche nach den ersten Amerikanern, 2007;
Klemke, U., Die deutsche politische Emigration nach Amerika 1815-1848, 2007;
Taladoire, E./Courau, J., Die Maya, 2007; Winfield, A., Eugenics and Education
in America, 2007; Place and Native American Indian History and Culture, hg. v.
Porter, J., 2007; Borge, F., A New World for a New Nation, 2007; Gemegah, H.,
Die Suche nach den ersten Amerikanern, 2007; Amerika, hg. v. Lehmkuhl, U. u.
a., 2008; The Cambridge History of Law in America, hg. v. Grossberg, M. u. a.,
Bd. 1ff. 2008; Rinke, S., Revolutionen in Lateinamerika, 2010; Lerg, C.,
Amerikqa als Argument, 2011; The Oxford Encyclopedia of American Political and
Legl History, hg. v. Critchlow, D., 2012; Campbell, J., Crime and Punishment in
African American History, 2012; Rinke, S., Lateinamerika und die USA, 2012
Amira, Karl
von (Aschaffenburg 8. 3. 1848-München 22. 6. 1930), Richterssohn, wird nach dem
Studium in München (Konrad Maurer) 1875 ordentlicher Professor in Freiburg im
Breisgau und 1892 in München. Seine Hauptwerke betreffen Nordgermanisches
Obligationenrecht (1882ff., unvollendet), die Dresdener
Sachsenspiegelbilderhandschrift (1902, 1925/6) und die germanischen
Todesstrafen (1922).
Lit.: Amira, K., Über Zweck und Mittel der germanischen
Rechtsgeschichte, 1876; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/AmiraKarlvonGrundrissdesgermanischenRechts3A1913.pdf
Amira, K. v., Grundriss des germanischen Rechts, 1890, 2. A. 1897, 3. A. 1913;
Puntschart, P., Karl von Amira und sein Werk, 1932; Karl von Amira zum Gedächtnis, hg. v. Landau, P. u. a., 1999; Hein,
O., Vom Rohen zum Hohen, 2001, 313ff.
Amnestie (griech. amnestia, F., Nichterinnerung)
ist im Strafrecht die Begnadigung einer Mehrheit von Straftätern (in Griechenland
seit dem 6. Jh. belegt, Athen 403 v. Chr., erstmals 196 v. Chr. A. benannt). Im
16./17. Jh. wird die Bezeichnung in das Deutsche aufgenommen. Im 19. Jh. wird
im deutschen Sprachraum für eine A. ein formelles Gesetz erforderlich. A. kann
Rechtssicherheit und Rechtsstaat gefährden.
Lit.: Usteri, P., Ächtung und
Verbannung im griechischen Recht, 1903; Waldstein, W., Untersuchungen zum
römischen Begnadigungsrecht, 1964; Hammel, F., Innerstaatliche Amnestien, 1993;
Süß, F., Studien zur Amnestiegesetzgebung, 2001
Amortisation (F.) Tilgung
Amortisationsgesetz ist das weltliche Gesetz, das die Freiheit des kirchlichen
(oder auch jüdischen) Grunderwerbs und die Zunahme des abgabenfreien Kirchenguts
einschränkt (z. B. Lübeck 1220/1226, Judenburg 1269, Österreich 1303, vgl. Ssp
LR I 25 § 1, ALR II 11 § 1199) (, weil die tote Hand das einmal Ergriffene
nicht mehr hergibt). Das österreichische Konkordat von 1855 und Art. 137 III
WRV beseitigen diese wenig wirksamen Beschränkungen endgültig.
Lit.: Moshamm, F. v., Über die Amortisationsgesetze
überhaupt, 1798; Kahl, W., Die deutschen Amortisationsgesetze, 1879; Lea, H.,
The Dead Hand, 1900; Borries, A. v., Die Erwerbsbeschränkungen der manus mortua
in Preußen, Diss. jur. Leipzig 1904; Olivier-Martin, F., Histoire du droit
français, 2. A. 1951, 483f.; Haegele, K., Die Beschränkungen des
Grundstücksverkehrs, 3. A. 1970; Schmidt, P., Die Privatisierung des Besitzes
der toten Hand in Spanien, 1990
Amsterdam an
der Mündung der Amstel in das Ijsselmeer entsteht um 1270 und erhält um 1300
Stadtrecht. 1632 wird eine Universität eingerichtet.
Lit.: Koning, H., Amsterdam 1977
Amt (Wort um 765) ist die
Aufgabe oder der Dienst. Im römischen Recht hat nach dem Sturz des Königs vom
Jahr 510 v. Chr. der Höchstmagistrat (lat. consules [M. Pl.] Berater) das
höchste A. der Republik. Hieraus entwickelt sich durch Schaffung weiterer
Magistraturen ein nach Zuständigkeiten gegliedertes System der Träger
herrschaftlicher Gewalt (mit einem vielleicht seit dem 2. J. v. Chr. regelmäßigen
[lat.] cursus [M.] honorum). Dieses wird durch die Einführung des Prinzipats
abgeändert (Ressortbezogenheit, auf den Kaiser ausgerichtete Hierarchie,
Rangklassen, Qualifikationskriterien, Besoldung). Zu den leitenden Ämtern
treten zahlreiche nachgeordnete Dienststellen hinzu. Bereits bei Caesar ist
dabei keltisch-lat. (M.) ambactus als Bezeichnung für die gallische Adlige
umgebenden Männer bezeugt (Commentarii de bello Gallico VI, 15). In der
fränkischen Zeit wird das System der Römer zwar grundsätzlich übernommen, aber
erheblich vereinfacht. Hinzu kommt eine verstärkte personelle Bindung durch die
Belehnung. Insbesondere das A. (Dienst, Dienstverhältnis, Herrschaft, lat. [N.]
ministerium) des Grafen wird als Lehen übertragen. Bald danach werden die dem
Adel verliehenen Ämter vielfach durch ihre Inhaber dem König entzogen und zu
eigenem Recht behauptet. In den seit dem 12. Jh. dementsprechend entstandenen
Ländern ersetzt der Landesherr die Lehnsmannen durch festbesoldete absetzbare
Amtsträger und macht das A. wieder zur staatlichen Einrichtung. Das örtliche
Tätigkeitsgebiet wird zum A. im räumlichen Sinn. Wer mit einem A. betraut ist,
ist Beamteter und wird zum →Beamten. Seit dem 17. Jh. entstehen
Verzeichnisse der Ämter (Amtskalender z. B. in England, Frankreich, dem
Kirchenstaat um 1670, in Österreich um 1690 [1692], in Kursachsen 1702, in
Preußen 1704 oder in Nürnberg 1705). Seit dem ausgehenden 19. Jh. ist das
öffentliche A. ein Kernbegriff der Verwaltung. Das A. im öffentlichen Dienst
wird bestimmt durch seine Bezeichnung, die Laufbahn und die damit verbundene
Besoldung.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein;
Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 111, 197, 258; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd.
7 1992, 1; Conrat, M., Ein Traktat über romanisch-fränkisches Ämterwesen, ZRG
GA 29 (1908), 239; Conrat, M., Ein Traktat über romanisch-fränkisches
Ämterwesen, ZRG GA 30 (1909), 326; Keutgen, F., Ämter und Zünfte, 1903; Lappe,
J., Geschichte des Amtes Waltrop, 1938; Beyerle, D., Das frühmittelalterliche
Schulheft vom Ämterwesen, ZRG GA 69 (1952), 1; Grube, W., Vogteien, Ämter,
Landkreise, 1960; Scheyhing, R., Eide, Amtsgewalt und Banngewalt, 1960;
Richardson, H./Sayles, G., The Governance of Medieval England, 1963; Forsthoff,
E., Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. A. 1973; Bauer, V., Repertorium
territorialer Amtskalender, Bd. 1f. 1997ff.; Brommer, P., Die Ämter Kurtriers,
2003; Beck, H., Karriere und Hierarchie, 2005; Löffler, U., Dörfliche
Amtsträger im Staatswerdungsprozess, 2005; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen
des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ämtertraktat →Decurio
de gradus
Amtmann ist
der Inhaber eines Amtes. Im Mittelalter ist A. (ahd. ambahtman als Wiedergabe
von lat. villicus, officialis, procurator) vor allem der Verwalter eines
grundherrlichen Hofverbands (im Südwesten auch der Dorfvorsteher) und danach
der Leiter eines landesherrlichen Amtsbezirks. Seit 1921 ist A. (unter Lösung
von einem bestimmten Amtsgebiet) ein Beamter des gehobenen Dienstes.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 113, 151; Bader,
K., Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff.
1957ff.; Agena, K., Der Amtmann im 17. Jahrhundert, 1972; Kroeschell, K., Der
Amtmann, http://www.rewi.hu-berlin.de/FHI/zitat/0201kroeschell.htm;
Klingebiel, T., Ein Stand für sich? Lokale Amtsträger in der frühen Neuzeit,
2002
Amtsanwalt ist
(seit 1877/1879) der Vertreter des Staates vor dem Amtsgericht.
Lit.: Rüping, H., Polizeianwalt - Amtsanwalt -
Staatsanwalt. Zur Geschichte der Amtsanwaltschaft in Deutschland, FS Wolfgang
Sellert, 2000, 537
Amtsbuch (19. Jh.) ist das aus Lagen zusammengesetzte Buch (oder die Rolle),
das (bzw. die) zur Ausübung eines →Amtes gehörige Eintragungen enthält.
Solche Amtsbücher sind seit dem Ende der römischen Republik die (lat. [M.Pl.])
commentarii der Magistrate und Priester sowie später des Kaisers. Im
Mittelalter entsteht im 9. Jh. das Traditionsbuch und werden seit dem 12. Jh.
viele Amtsbücher (Grundbuch, Lagerbuch, Schreinsbuch, Stadtbuch, Kopialbuch,
Register, Imbreviaturbuch) eingerichtet. →Stadtbuch
Lit.: Der kleine Pauly, hg. v. Ziegler, K. u. a., Bd. 1 1986,
1257ff.; Reetz, J., Hamburgs mittelalterliche Stadtbücher, Z. d. Ver. f.
hamburg. Gesch. 44 (1958), 95; Pätzold, S., Amtsbücher des Mittelalters,
Archivalische Zeitschrift 81 (1998), 87; Kreter, K., Stadtbücher und Register
1289-1533, Hannoversche Geschichtsblätter 48 (1994), 47; Verwaltung und
Schriftlichkeit in den Hansestädten, hg. v. Sarnowski, J., 2006
Amtsgericht ist
das seit der frühen Neuzeit partikular für den Umfang eines →Amtes
(Verwaltungsbezirkes) eingerichtete, beispielsweise in Baden durch Verordnung
vom 22. Juli 1857 zum 1. September 1857 an die Stelle der Ämter gesetzte →Gericht,
das durch das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz 1877/1879 zum einheitlichen
Eingangsgericht (1893 im Deutschen Reich 1924 Amtsgerichte mit 4409 Richtern,
42% Einmannamtsgerichte) der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestimmt wird.
Lit.: Köbler, DRG 200, 261; Kern, E., Geschichte des
Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Steinbach, E./Kniffka, R., Strukturen des
amtsgerichtlichen Zivilprozesses, 1982; 150 Jahre Amtsgericht Diepholz, hg. v.
Kruthaup, E. u. a., 2002; 150 Jahre Amtsgericht Soltau, hg. v. Rundt, S., 2002;
150 Jahre Amtsgerichte im Bereich des ehemaligen Königreichs Hannover, 2002; 125
Jahre rheinische Amtsgerichte, hg. v. Lünterbusch, A. u. a., 2003; Fischer, D.,
150 Jahre badische Amtsgerichte, 2007; Dee Gerichtsbarkeit wird ausgeübt durch
Amtsgerichte - 150 Jahre Amtsgerichte im Oldenburger Land, red. v. Welp, J.,
2008; 100 Jahre Amtsgericht Elmshorn, 2010
Amtshaftung ist die neben den Ersatzansprüchen des
Einzelnen für die Aufopferung seiner Rechtsgüter für das allgemeine Wohl
stehende Art der →Staatshaftung.
Ihr geht vor allem die spätmittelalterliche Syndikatsklage gegen einen
absichtlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Urteil fällenden Richter
voraus. Im späten 18. und im 19. Jh. wird allgemeiner eine Haftung jedes
Beamten für eine Verletzung seiner Amtspflichten anerkannt (II 10 § 89 ALR für
jede Fahrlässigkeit), wobei jede den Dienstvertrag verletzende Handlung dem
Herrscher bzw. dem Staat nicht zugerechnet werden kann und deshalb eine private
Ersatzpflicht des Beamten auslösen muss. Seit 1831 wird vereinzelt eine
Ersatzpflicht des Staates geschaffen (Sachsen-Altenburg, 1852 Sachsen-Coburg-Gotha).
Das Bürgerliche Gesetzbuch des deutschen Reiches von 1900 hat für eine
öffentlichrechtliche Ersatzpflicht des Staates keine Zuständigkeit und bestimmt
deshalb in § 839 nur eine deliktische Ersatzpflicht des Beamten. Demgegenüber
sehen Bayern 1899, Preußen 1909 und § 1 des Reichsbeamtenhaftungsgesetzes vom
22. 5. 1910 eine zwar mittelbare, aber primäre Haftung des Staats vor. Art.
131 WRV leitet die Haftung reichseinheitlich vom Beamten auf den Staat über.
Dem schließt sich Art. 34 GG an. Das eine unmittelbare, verschuldensunabhängige
Staatshaftung für Amtspflichtverletzung festlegende Staatshaftungsgesetz der
Bundesrepublik Deutschland ist wegen (seinerzeit) fehlender (, inzwischen in
Art. 74 I Nr. 25 GG geschaffener) Zuständigkeit nach einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 19. 10. 1982 nichtig. Die 1969 im
Staatshaftungsgesetz der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
geschaffene unmittelbare, vom Verschulden unabhängige Staatshaftung für
rechtswidriges hoheitliches Handeln ist zwar im Einigungsvertrag von 1990
aufrechterhalten, aber inzwischen durch Landesgesetz abgeschafft oder
eingeschränkt. Das Recht Österreichs kennt eine vergleichbare A., das Recht
der Schweiz eine mittelbare, meist verschuldensunabhängige Haftung des Staates.
Lit.:
Loening, E., Die Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner
Beamten, 1879; Heidenhain, M., Amtshaftung und Entschädigung aus
enteignungsgleichem Eingriff, 1965; Kohl, J., Die Lehre von der
Unrechtsunfähigkeit des Staates, 1977; Henne, T., Verwaltungsrechtsschutz im
Justizstaat, 1995; Haaf, T., Das Tonabbau-Urteil des Reichsgerichts (1912),
2012
Amtsherzogtum ist das als königliches Amt vergebene →Herzogtum (9. Jh.) im
Gegensatz zu dem aus der Heerführerschaft eines Volkes erwachsenden →Herzogtum.
Lit.: Goetz, H., „Dux“ und „ducatus“,
1974
Amtshilfe ist die auf Ersuchen einer Behörde von
einer anderen Behörde geleistete ergänzende Hilfe. Sie entwickelt sich im 19.
Jh. und wird von der Rechtshilfe durch Gerichte erst in der 2. H. des 20. Jh.s
abgegrenzt. Sie beruht anfangs auf Übung, Vertrag oder Einzelgesetz. Im
späteren 20. Jh. ist sie durch Verwaltungsverfahrensgesetze allgemein geregelt.
Lit.: Dreher, M., Die Amtshilfe,
1959; Schlink, B., Die Amtshilfe, 1982
Amtskalender →Amt
Amtspflicht (Wort 1499)
Lit.:Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Amtspflichtverletzung (Wort 1896) ist die Verletzung
einer einem Amtsträger gegenüber einem Dritten obliegenden Pflicht. Sie
begründet nach § 839 BGB (1900) einen Schadensersatzanspruch (Amtshaftung,
Staatshaftung).
Lit.: Köbler, DRG 217; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Amtsrecht ist
im römischen Recht das vom Amtsträger geschaffene Recht (lat. →ius [N.]
honorarium).
Lit.: Wieacker,
F., Römische Rechtsgeschichte, Bd. 1 1988
Amtssasse ist
der im Gerichtsstand erster Instanz dem örtlichen Amt zugeordnete →Landsasse.
Amtsverfolgung ist die Verfolgung eines Unrechtserfolgs durch die
Allgemeinheit bzw. den Staat von Amts wegen ohne Antrag des Verletzten. Sie
findet sich bereits in Rom und erscheint seit dem Frühmittelalter. →Offizialmaxime
Amtsvergehen ist
das in einem →Amt begangene Vergehen. Als gedankliche Einheit werden die
A. erst gegen Ende des 17. Jh.s erkannt. Noch das preußische Allgemeine
Landrecht (1794) behandelt im Abschnitt Verbrechen der Diener des Staates strafrechtliche
und disziplinare Sanktionen nebeneinander. Unter französischem Einfluss wird
danach das Standesdisziplinarrecht der Beamten vom Strafrecht geschieden (in
Preußen 1849 zwei Verordnungen über das Disziplinarrecht). Im preußischen
Strafgesetzbuch von 1851 werden Verbrechen und Vergehen im Amt als
Sonderdeliktsgruppe zusammengefasst (§§ 309-331).
Lit.: Stock, U., Entwicklung und Wesen der Amtsverbrechen,
1932; Sturm, W., Die Entwicklung der Sonderverbrechen, 1939; Schmitt-Weigand,
A., Rechtspflegedelikte in der fränkischen Zeit, 1962; Lüpkes, H., Die
Verbrechen der Diener des Staats, 2004
Amtsvormundschaft ist die durch den Staat von Amts wegen übernommene →Vormundschaft.
Analogie ist
der bereits der griechischen Philosophie bekannte Schluss von der
(eigentlichen) Gleichheit mindestens zweier zunächst (nach dem Wortlaut des
Gesetzes) rechtlich verschieden behandelter Tatbestände auf die (wegen der
Gleichheit notwendige) Ausdehnung der Rechtsfolge eines (ersten) Tatbestands
auf den zweiten oder weiteren Tatbestand. Der Begriff analogisch taucht in der
juristischen Literatur im 16./17. Jh. auf, wobei man unter analogischer
Interpretation die Beseitigung von Widersprüchen versteht. Im frühen 19. Jh.
wird auf Grund von Immanuel Kants Überlegungen zur Systematisierbarkeit des
empirischen Wissens die alte Verbindung von ausdehnender Auslegung und Ähnlichkeitsschluss
aufgelöst und die A. als „rein logische“ (wissenschaftliche bzw. gerichtliche) Ergänzung
des Rechtes aus dem – nur noch positiven und in sich geschlossenen –
Rechtssytem verstanden (Feuerbach, Hufeland, Savigny). Zwischen
Gesetzesanlogie und Rechtsanalogie wird seit dem ersten Drittel des 19.
Jahrhunderts unterschieden.
Lit.: Falk, J., Die Analogie im Recht. Eine Studie zur
neueren Rechtsgeschichte, Diss. jur. Gießen, 1906; Diedenhofen, P., Die Artikel
104/105 der peinlichen Gerichtsordnung, 1938; Steinwenter, A., Prolegomena zu
einer Geschichte der Analogie, FS F. Schulz 2 (1951), 345; Langhein, A., Das
Prinzip der Analogie als juristische Methode, 1992; Chanos, A., Begriff und
Geltungsgrundlagen der Rechtsanalogie, 1994; Raisch, P., Juristische Methoden,
1995, 78; Schröder, J., Zur Analogie, ZRG GA 114 (1997), 1; Höltl, J., Die
Lückenfüllung der klassisch europäischen Kodifikationen - Zur Analogie im ALR,
Code civil und ABGB, 2006
Analogieverbot ist das Verbot für alle im Strafverfahren beteiligten
staatlichen Stellen, →Analogie eines Strafgesetzes zu Ungunsten des
Handelnden (Angeschuldigten) vorzunehmen, und damit die strenge Bindung des
Richters an den Wortlaut des Gesetzes. Seit dem späten 18. Jh. wird Analogie zu
Ungunsten Handelnder verboten (Österreich 1787). Im Deutschen Reich wird am 28.
6. 1935 das A. aufgehoben, nach Ende der nationalsozialisitschen Herrschaft (1945)
aber wieder hergestellt. →Nullum crimen, nulla poena sine lege.
Lit.: Köbler, DRG; Schottlaender, A., Die geschichtliche
Entwicklung, 1911; Kleinheyer, G., Vom Wesen der Strafgesetze, 1968; Schreiber,
H., Gesetz und Richter, 1976; Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss der
Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007; Weber, W., Analogie- und Rückwirkungsverbot,
Diss. jur. Bonn 1998
Analytical jurisprudence ist die von John →Austin (1790-1859) begründete
Strömung der englischen Rechtswissenschaft.
Anarchie (F.) Herrschaftslosigkeit
Lit.: Der Anarchismus, hg. v.
Oberländer, E, 1972; Lösche, P., Anarchismus 1977; Anarchismus, hg. v.
Diefenbacher, H., 1996
Ancien régime
ist die Bezeichnung für die monarchisch-feudale Regierungsform (in Frankreich
vor der französischen Revolution des Jahres 1789 bzw. allgemein) zwischen etwa
1650 und 1800.
Lit.: Köbler, DRG 129, 132; Fehrenbach, E., Vom ancien
régime zum Wiener Kongress, 5. A. 2008
Andelang ist
der bei der Übereignung von Grundstücken im fränkisch-alemannischen Gebiet bis
zum Ende des 11. Jh.s verwendete, nicht sicher bekannte Gegenstand (Handschuh?).
Lit.: Goldmann, E., Der andelang, 1912; Frommhold, G., Das
andelang-Rätsel, ZRG GA 35 (1914), 426; Balon, J., L’andelangus, ZRG GA 79
(1962), 32
Andernach am
Rhein führt von 1173 bis 1256 einen den Schreinskarten von Köln ähnlichen
Rotulus (→Grundbuch).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Inventar des Archivs der Stadt
Andernach, Bd. 1ff., bearb. v. Heyen, F., 1965ff.
Andlau →Peter
von
Andorra ist
die aus sechs Tälern zu politischer Einheit (Principat d’Andorra)
zusammengefasste Tallandschaft im Südosten der ibero-baskisch besiedelten
Pyrenäen. Seit dem späten 9. Jh. lassen sich dort Abgabenrechte der Grafen von
Urgel und der Bischöfe von Urgel feststellen. Im 11. Jh. treten die
verschiedenen Täler zu einer Einheit zusammen. Am 8. 9. 1278 werden durch
Schiedsspruch (Paréage) Unklarheiten beseitigt. Die Rechte der Grafen fallen
über Zwischenstufen 1607 bzw. 1620 an Frankreich. Das ursprüngliche Recht
Andorras nimmt römische und katalanische Sätze auf. 1748 wird das
Gewohnheitsrecht aufgezeichnet. In der Gegenwart ist A. ein Fürstentum, dessen
von den Souveränen (Staatspräsident Frankreichs, Bischof von [La Seu d’] Urgel)
delegierte Rechte durch einen französischen Departementspräfekten und einen
spanischen Provinzzivilgouverneur bzw. ihre Vikare (Viguier, Viguer) wahrgenommen
werden (Kondominium). Die Verfassung vom 14. 3. 1993 schafft einen Consell
General (Generalrat, Parlament) mit je 7 Abgeordneten aus jeder der vier
Gemeinden, dem der Ministerpräsident verantwortlich ist, dem gegenüber aber die
beiden coprínceps noch Einspruchsrechte haben. Seit 1. 7. 1991 besteht ein Handelsabkommen
mit der Europäischen Gemeinschaft, seit 28. 7. 1993 ist A. Mitglied der
Vereinten Nationen und seit November 1994 Mitglied des Europarats.
Lit.: Guilera, J., Una història d’Andorra, 1960; Engels,
O., Schutzgedanke und Landesherrschaft, 1970; Belinguier, B., La condition
juridique des vallées d’Andorre, 1970; Ourliac, P., La jurisprudence civile
d’Andorre, 1972; Valls Taberner, F., Privilegis i ordinacions de les valls
d’Andorra, 1990; Gergen, T., Sprachengesetzgebung in Katalonien, 2000; Consell
General, Die Verfassung des Fürstentums Andorra, 2002
Andreas de Isernia ist ein in Isernia im Süden der
Apenninen wohl nach 1220 geborener, in Neapel ausgebildeter und lehrender,
vielleicht 1316 verstorbener Jurist ([lat.] commentaria [N. Pl.] in usus
feudorum, lectura [F.) zu den sizilianischen Konstitutionen, ritus [M.] regiae
summariae regni Neapolitani bzw. de iure Dohanarum).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 507
Anefang ist
das rechtsförmliche Anfassen einer abhandengekommenen und vom Verfolger
wiedergefundenen beweglichen (, durch Kennzeichen erkennbaren) Sache unter der
Behauptung des besseren Rechtes an ihr (lat. [F.] intertiatio). Der (z. B. in
der Lex Ribvaria 37, 1 [7. Jh.] schon und im Sachsenspiegel, Landrecht II, 36
[1221-1224] noch belegte) A. bedeutet eine Klageerhebung gegen den Besitzer,
der sich im nachfolgenden Verfahren verteidigen muss. Vor Gericht kann der
Besitzer sich insbesondere dadurch vor dem Diebstahlsvorwurf befreien, dass er
die Sache dem übergibt, von dem er sie erhalten hat. Führt dies zur Entdeckung
des Diebes, so muss dieser die Sache herausgeben und Diebstahlsbuße leisten.
Kann der Angegriffene sein besseres Recht darlegen, muss der Angreifer eine
Buße wegen unrechten Anefangs leisten. Seit dem Hochmittelalter geht der A.
allmählich in die Herausgabeklage (bzw. den →Herausgabeanspruch) bzw. für
alle auf freiem Markt erworbene Sachen in einen Lösungsanspruch über.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 86, 91; Köbler,
WAS; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd. 1 1879,
824ff.; Meyer, H., Entwerung und Eigentum, 1902; Rauch, K., Spurfolge und
Anefang, 1908; Meyer, H., Gerüft, Handhaftverfahren und Anefang, ZRG GA 37
(1916), 382; Goldmann, E., Tertia manus und Intertertiation, ZRG GA 39 (1918),
145, 40 (1919), 199; Rauch, K., Spurfolge und Dritthandverfahren, ZRG GA 68
(1951), 1; Anners, E., Hand wahre Hand, 1952; Scherner, K., Salmannschaft,
Servusgeschäft und venditio iusta, 1971
ane geværde (mhd.) ohne Gefährdung, aufrichtig
Aneignung (Wort 1800) ist der (originäre)
Erwerb des Eigentums an einer herrenlosen (eigentümerlosen) Sache durch
Inbesitznahme (lat. [F.) occupatio]). Die ersten Aneignungen fallen in die
Anfangszeit des Rechtes überhaupt. Im römischen Recht wird an aufgegebenen
(lat. [F. Pl.]) res mancipi mit Inbesitznahme nur bonitarisches Eigentum
erworben, während der zivile Eigentumserwerb Ersitzung verlangt. Im Laufe der
Geschichte wird die A. vom abgeleiteten Eigentumserwerb (→Übereignung)
zurückgedrängt, so dass A. ziemlich selten wird.
Lit.: Kaser § 26
I 1; Köbler, DRG 24, 40, 73, 90, 124; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd.
1f. 1985ff.; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Anerbe ist
der durch das →Anerbenrecht begünstigte →Erbe.
Lit.: Köbler, DRG 123, 162, 175, 210
Anerbenrecht ist
das Recht des Übergangs eines landwirtschaftlichen Betriebs auf einen einzelnen
von mehreren vorhandenen Erben. Eine derartige Gestaltung fehlt noch in den
frühmittelalterlichen Volksrechten, bildet sich aber spätestens im
spätmittelalterlichen deutschen Reich aus, wobei grundherrschaftlicher
Einfluss (Interesse an einem einzigen Verpflichteten) gestaltend gewesen sein
kann. Daneben ist aber (freiere) Realteilung in Mitteldeutschland und Süddeutschland
verbreitet. Der Liberalismus lehnt das A. als freiheitsfeindlich ab, weshalb
die Verfassung Preußens die Teilbarkeit des Grundeigentums sichert. Aus wirtschaftlichen
Gründen sehen partikulare Gesetze aber seit dem späteren 19. Jh. A. vor, das
dann zur Anwendung kommt, wenn der Hofinhaber (bestimmter großer oder
eingetragener Höfe) nicht durch letztwillige Verfügung einen Hoferben auswählt
(Österreich 1. 4. 1889, Tirol Höfegesetz 12. 6. 1900, Kärnten Erbhofgesetz).
Das Reichserbhofgesetz des Jahres 1933 verallgemeinert die
Anerbenrechtsregelung des Höfegesetzes Hannovers (1909). 1947 treten in der
französischen und amerikanischen Besatzungszone die alten Anerbengesetze
wieder in Kraft. In der britischen Besatzungszone wird eine Höfeordnung
erlassen, die das Bundesverfassungsgericht, wegen der Bevorzugung der Söhne,
1963 als verfassungswidrig ansieht, worauf eine verfassungsgemäße gesetzliche
Regelung am 24. 8. 1964 erfolgt.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Miaskowski, A. v., Das Erbrecht
und die Grundeigentumsverteilung im deutschen Reiche, 1882ff.; Hagmeister Meyer
zu Rahden, G., Die Entwicklung des ravensbergischen Anerbenrechts, 1936; Mauß,
H., Anerbenrecht im niederrheinisch-westfälischen Grenzgebiet, 1938;
Mayer-Edenhauser, T., Untersuchungen über Anerbenrecht und Güterschluss in
Kurhessen, 1942; Gebb, J., Über den Versuch des deutschen Anerbenrechts, Diss.
jur. Greifswald 1955; Bischoff, W., Die Geschichte des Anerbenrechts in
Hannover, Diss. jur. Göttingen 1966; Kroeschell, K., Geschichtliche Grundlagen
des Anerbenrechts, Agrarrecht 6 (1978), 147; Deutsches Agrarrecht, hg. v.
Kroeschell, K., 1983; Brauneder, W., Studien II 1994, 357ff.; Buchenroth, A.,
Die Heimatzuflucht, 2004; Wöhrmann, H., Das Landwirtschaftserbrecht, 9. A. 2007
Anerkenntnis →Schuldanerkenntnis
Anerkennungszins ist der wegen seiner geringen Höhe wirtschaftlich
bedeutungslose, aber als erkennbares Zeichen eines bestehenden
Abhängigkeitsverhältnisses rechtlich bedeutsame Zins (z. B. Freigelassener,
Erbbauberechtigter u. s. w.).
Lit.: Schröder, R./Künßberg, E. v., Lehrbuch der deutschen
Rechtsgeschichte, 7. A. 1932, Neudruck 1966
Anfechtung (Wort 1261) ist die nachträgliche
Beseitigung einer eingetretenen Rechtswirkung durch Willenserklärung und bzw.
oder Verfahrenshandlung des durch die Rechtswirkung Betroffenen. In diesem
Sinne ermöglicht bereits die →(lat.) querela [F.] inofficiosi testamenti
(Beschwerde des pflichtwidrigen Testaments) des klassischen römischen Rechtes
die Entkräftung eines Testaments, das bestimmte nahe Angehörige des Erblassers
übergeht. Im spätantiken Recht werden auch die Fälle der (lat.) →in
integrum restitutio (F.) so verstanden. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch
(1900) ordnet die A. im allgemeinen Teil ein.
Lit.: Kaser § 9 I 1; Hübner; Kroeschell, 20. Jh.; Köbler,
DRG 209; Schultze, A., Über Gläubigeranfechtung und Verfügungsbeschränkungen
des Schuldners nach deutschem Stadtrecht des Mittelalters, ZRG GA 41 (1920),
210; Harder, M., Die historische Entwicklung der Anfechtbarkeit von
Willenserklärungen, AcP 173 (1973), 209; Düwel, L., Die Nichtigkeit und
Anfechtbarkeit der Ehe, 2006; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Anfechtungsklage ist die Klage, die auf die nachträgliche Beseitigung
bestimmter Rechtsfolgen durch Urteil gerichtet ist. Im 19. Jh. gibt es eine A.
gegen den Beschluss auf Eröffnung des Konkurses oder gegen polizeiliche
Verfügungen. In Deutschland ist seit 1960 eine A. gegen einen (rechtswidrigen)
Verwaltungsakt statthaft.
Lit.: Köbler, DRG 263
angariae (lat.
[F.Pl.], aus dem Persischen, Abgaben an reisende Boten des Königs Persiens)
Spanndienste, Beherbergungspflichten in Antike und Frühmittelalter, seit 1789
weitgehend abgeschafft
Lit.: Köbler, LAW; Brunner, H., Deutsche Rechtsgeschichte,
2. A. Bd. 2 1928, 308
Angebot (Wort 1783) ist die auf den
Abschluss eines →Vertrags gerichtete →Willenserklärung. Das im
Wesentlichen im Naturrecht seit Hugo Grotius als allgemeine Erscheinung
herausgearbeitete A. ist im älteren gemeinen Recht und im angloamerikanischen
Recht nicht bindend, nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1896/1900)
aber verbindlich. Wird das Angebot von dem Empfänger angenommen, so entsteht
ein Vertrag unter den Beteiligten. Dem Gläubiger vom Schuldner angeboten wird
auch die Leistung.
Lit.: Zimmermann, R., The Law of Obligations, 1996; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Angelsachse ist
der Angehörige der im 5./6. Jh. unter den sagenhaften Führern Hengist und Horsa
von Norddeutschland auf die britischen Inseln auswandernden, seit etwa 775
(Beda, Paulus Diaconus) mit der Sammelbezeichnung Angelsachsen (lat. [M.Pl.]Angli
Saxones) benannten →Sachsen, Angeln (aus Schleswig) und Jüten. Die
Angelsachsen bilden unter Verdrängung der einheimischen →Kelten mehrere
Kleinkönigreiche (Kent, Sussex, Wessex, Essex, East Anglia, Mercia,
Northumbria), in denen sie von römischen und von schottischen Missionaren zum
Christentum bekehrt werden. Den Königen von Wessex gelingt im 9. Jh. die
Einigung, doch werden die Angelsachsen 1016-1042 von den Dänen beherrscht und
1066 bei Hastings von dem →Normannen Wilhelm dem Eroberer unterworfen.
Aus der Zeit bis 1066 ist mit insgesamt rund 1500-1800 Urkunden zu rechnen, von
denen mehr als 1150 vom Herrscher ausgestellt sind (von etwa 670 bis 900 rund
450 Urkunden, davon 2-3 Originale aus dem 7. Jh., 17-18 aus dem 8. Jh. und etwa
55 aus dem 9. Jh.).
Lit.: Köbler, DRG 81; Schmid, R., Die Gesetze der
Angelsachsen, 1858; Liebermann, F., Die Gesetze der Angelsachsen, Bd. 1ff. 1898ff.,
Neudruck 1960; Attenbourgh, F., Laws of the Earliest English Kings, 1922;
Robertson, A., Laws of the Kings of England, 1925; Braude, J., Die
Familiengemeinschaften der Angelsachsen, 1932; Wilson, D., The Anglo-Saxons, 2.
A. 1970; Vollrath-Reichelt, H., Königsgedanke und Königtum bei den
Angelsachsen, 1971; Wallace-Hadrill, J., Early Germanic Kingship, 1971; Torkar,
R., Eine altenglische Übersetzung von Alcuins de virtute et vitiis Kap. 20,
1981; Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3.
A. 1990,;4. A. 2002; The Anglo-Saxons, hg. v. Hines, J., 1997; Dunn, M., The
Christianization of the Anglo-Saxons c. 597-c. 700, 2009; Kleinschmiedt, H.,
Die Angelsachsen, 2011; Bihrer, A., Die Angelsachsen, 2014
Angelsächsisches Recht
ist das Recht der →Angelsachsen (zwischen der Mitte des 5. Jh.s und etwa
1066). Es ist überliefert durch Rechtsbücher (lat. [F.Pl.] leges, Gesetzbücher)
der angelsächsischen Könige des 7. bis 11. Jh.s, durch allgemeine Rechtsaufzeichnungen
unbekannter Verfasser und durch Urkunden und allgemeine Geschichtsquellen. Den
Beginn bilden die in der Volkssprache niedergeschriebenen Rechtssätze Aethelberhts
von Kent (597-616) und in jüngerer Überlieferung Ines von Wessex (688-694). Von
Alfred dem Großen von Wessex stammt ein (ae.) domboc (887-899), von König Knut
eine weitere umfangreiche Sammlung (1018-1023). Nichtoffizielle Kompilationen
stellen der →Quadripartitus, die Leis Willelme (A. 12. Jh.), die
Consiliatio Cnuti (12. Jh.) und die →Leges Henrici Primi (1114-1118) dar,
mit denen das angelsächsische Recht noch weit in die normannische Zeit Englands
reicht. Die Überlieferung ist auf wenige Handschriften beschränkt, so dass mit
deutlichen Verlusten zu rechnen ist. Christlicher Einfluss ist unübersehbar.
Die Abgrenzung von aufgezeichnetem Gewohnheitsrecht und neuem, gemeinsam
mit Bischöfen und Adel gesetztem Recht (z. B. Todesstrafe für Diebstahl
925-939) bereitet Schwierigkeiten. Hauptgegenstand der Rechtsbücher („Gesetzbücher“)
ist zunächst der Ausgleich von Unrechtserfolgen durch Buße an den Verletzten.
Unter König Alfred nehmen kirchlicher Einfluss und königliche Anordnung zu. Ein
Bezug auf geschriebenes Recht findet sich in den überlieferten Rechtsfällen,
die vor dem vom reeve, ealdorman oder scirman des Königs geleiteten örtlichen
Gericht verhandelt werden, nicht.
Lit.: Schmid, R., Die Gesetze der Angelsachsen, 1858;
Liebermann, F., Zu den Gesetzen der Angelsachsen, ZRG GA 5 (1884), 198;
Liebermann, F., Die Gesetze der Angelsachsen, Bd. 1f. 1998ff., Neudruck 1960;
Brunner, H., Geschichte der englischen Rechtsquellen im Grundriss, 1909;
Liebermann, F., The national assembly in the Anglo-Saxon period, 1913;
Attenborough, F., Laws of the Earliest English Kings, 1922; Bechert, R., Die
Einleitung des Rechtsgangs nach angelsächsischem Recht, ZRG GA 47 (1927), 1;
Würdinger, H., Einwirkungen des Christentums auf das angelsächsische Recht, ZRG
GA 55 (1935), 105; Goebel, J., Felony and Misdemeanour, 1937; English
Historical Documents I, hg. v. Whitelock, D., 1955; Sawyer, P., Anglo-Saxon
Charters, 1968; Harding, A., Law Courts of medieval England, 1973; Korte, D.,
Untersuchungen zu Inhalt, Stil und Technik angelsächsischer Gesetze und
Rechtsbücher des 6.-12. Jahrhunderts, 1974; Rivers, T., A Reevaluation of
Aethelberht 31, ZRG GA 93 (1976), 315; Scharer, A., Untersuchungen zu den
angelsächsischen Königsurkunden des 7. und 8. Jahrhunderts, Diss. phil. Wien
1978 (masch.schr.); Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971,
2. A. 1979, 3. A. 1990, ;4. A. 2002; Wormald, P., The Making of English Law, 1999;
Scharer, A., Herrschaft und Repräsentation, 2000; Oliver, L., The Beginnings of
English Law, 2002; Palmer, J., Anglo-Saxons in an Frankish World, 690-900, 2009
Anger
Lit.: Brednich, R., Tie und Anger,
2007
Angers
Lit.: Lange,
H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 138
Angestellter ist
der Arbeitnehmer, der vorwiegend geistige Arbeit leistet. Die Gruppe der
Angestellten wird im 19. Jh. als besonderer Teil der Arbeitnehmer erkannt.
Lit.: Dittrich, M., Die Entstehung der Angestelltenschaft
in Deutschland, 1939; Hromadka, W., Das Recht der leitenden Angestellten, 1979;
Bichler, B., Die Formierung der Angestelltenbewegung, 1997; Schulz, G., Die
deutschen Angestellten, 2000
Anhalt über
dem Selketal ist die vielleicht um 1050 errichtete Burg (in der Gegenwart
Ruine), nach der sich ein seit etwa 1000 erkennbares Geschlecht (→Askanier)
benennt (1215 [lat.] princeps [Fürst] in Anahalt), dessen Angehörige als
einzige Grafen seit 1218 dem Reichsfürstenstand angehören. Nach vielen Teilungen
kommen die Güter 1863 im Herzogtum A. (1807) der Linie Anhalt-Dessau wieder
zusammen, das am 12. 11. 1918 Freistaat wird (Verfassung 18. 7. 1919). Am 9. 7.
1945 wird A. innerhalb der sowjetischen Besatzungszone mit der Provinz Sachsen
→Preußens vereinigt und 1947 dem neugebildeten Land →Sachsen-Anhalt
eingegliedert (1990-2003 Regierungsbezirk Dessau).
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Schrecker, U., Das
landesfürstliche Beamtentum in Anhalt, 1906; Schröder, A., Grundzüge der
Territorialentwicklung der anhaltinischen Lande, Anhalt. Geschichtsbll. 2
(1926); Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,3,2895; Marcus,
P., Herzog Bernhard von Anhalt, 1993; Die Fürsten von Anhalt, hg. v. Freitag,
W. u. a., 2003; Rheinbündischer Konstitutionalismus, hg. v. Brandt, H. u. a.,
2007; 800 Jahre Anhalt, hg. v. Anhaltischen Heimatbund, 2012
animo (lat.)
durch Beherrschungswillen, →possessio, →animus
animus (lat.
[M.]) →Wille
animus (M.) domini (lat.) Eigentümerwille
animus (M.) donandi (lat.) Schenkungswille →Schenkung
animus (M.) novandi (lat.) Abänderungswille →Novation
Anjou ist
die Seitenlinie der →Kapetinger (erstes Haus begründet von [lat.]]vicecomes
[M.] Fulco dem Roten um 898, Verlust der Grafschaft 1214/1259 an den König von
Frankreich, 1154 Königtum in England mindestens bis 1399, 1499 Hinrichtung des
letzten männlichen Plantagenet Earl Eduard von Warwick, zweites Haus
1246-1328/1351 als Apanage nach Übernahme der Grafschaft durch den König von
Frankreich, drittes Haus 1351-1480), welche die Grafschaft Provence, Sizilien
(1265-1282, Sizilien-Trinakria), Neapel (1265-1435, Sizilien-Neapel), Ungarn
(1308-1386) und Polen (1370-1386) sowie in einer jüngeren Linie Lothringen
(1431-1473) beherrscht. Die Landschaft A. (der keltischen Andekaver) um Angers
zählt von 1154 bis 1204 unter dem Haus →Plantagenet zu →England.
1480/1481 fallen A. und Provence an den König von →Frankreich.
Anklage ist
die vor Gericht gegen eine bestimmte Person wegen einer bestimmten Straftat
erhobene Anschuldigung. Sie tritt erst mit der Entstehung allgemeiner Streitbeendigungseinrichtungen
auf. In Rom erfolgt der Übergang zu einer allgemeinen staatlichen Strafverfolgung
seit dem 2. vorchristlichen Jh. Danach erscheint eine Popularanklage bei
Verfolgung gemeiner Verbrechen. Jeder Bürger kann durch Anzeige die A.
vorbringen und erhält im Falle des Erfolgs einen Lohn. Im deutschen Mittelalter
bildet die A. die Voraussetzung für den besonderen, seit dem 14. Jh. sichtbaren
→Anklageprozess, bei dem der Betreiber Sicherheit stellen und im Fall des
Unterliegens die Kosten tragen und den Angeklagten entschädigen muss. Im mehr
und mehr vorherrschenden Inquisitionsprozess erfolgt die A. durch den Richter
auf dem endlichen Rechtstag. Im 19. Jh. wird nach dem Vorbild Frankreichs die
öffentliche A. durch eine vom Gericht unabhängige Behörde eingeführt (Baden
1832 und Württemberg 1843 für Pressevergehen, Preußen 1846 für Kammergericht,
1849 allgemein). Seitdem gibt es eine private A. nur noch bei (wenigen)
Privatklagedelikten.
Lit.: Köbler, DRG 156, 202, 118; Planck, J., Das deutsche
Gerichtsverfahren im Mittelalter, 1879; His, R., Strafrecht des deutschen
Mittelalters, 1920; Grossmann, S., Masken des Anklägers – Geschichte des Anklägers
im amerikanischen Strafprozess, Diss. jur. Frankfurt am Main 2000
Anklagegrundsatz ist der Grundsatz, dass ein Strafverfahren nur auf Grund
einer Anklage betrieben werden kann.
Anklageprozess ist der Strafprozess, der eine →Anklage (insbesondere
seit dem 19. Jh. eine Anklage durch eine besondere öffentliche Anklagebehörde)
(→Staatsanwaltschaft) voraussetzt. Er ist in Frankreich eine
unmittelbare Folge der französischen Revolution von 1789. In Deutschland setzt
Baden 1832 erstmals Staatsanwälte ein. 1848 wird der A. von der (gescheiterten)
Verfassung der Frankfurter Paulskirche vorgesehen. →Akkusationsprozess
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Schmidt, E., Einführung in die
Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 1947, 3. A. 1965; Kern, E.,
Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954
Anklam ist
die am Unterlauf der Peene vor 1243 von deutschen Siedlern angelegte Stadt, die
vor 1283 der Hanse beitritt und spätestens 1292 Lübecker Stadtrecht übernimmt.
Sie überliefert ein bedeutsames →Stadtbuch.
Lit.: Das Stadtbuch von Anklam, bearb. v. Bruinier, J., Bd.
1ff. 1960ff.
Anleite ist
seit dem Hochmittelalter im deutschen Recht die Einweisung in ein fremdes Gut,
insbesondere die Einweisung des Klägers in die Güter eines wegen Prozessungehorsams
geächteten Beklagten in einem sich über rund 10 Termine erstreckenden Verfahren
vor dem Reichshofgericht (Reichskammergericht und Reichshofrat bis 1654) oder
einem kaiserlichen Landgericht vor 1784. Sachlich wird es durch das
Versäumnisverfahren ersetzt.
Lit.: Kohler, J., Acht und Anleite des königlichen
Hofgerichts, FS G. Cohn, 1915, 1; Battenberg, F., Reichsacht und Anleite im
Spätmittelalter, 1984
Annahme →Vertrag
Annahmeverzug (M.) Gläubigerverzug, Verzug des Gläubigers mit der
Annahme der Leistung des Schuldners
Annalen (Jahrbücher)
sind in möglicher Parallele zu spätantiken Konsullisten seit dem 8. Jh.
erscheinende, chronologisch geordnete Aufzeichnungen über denkwürdige Begebenheiten
(z. B. Quedlinburger Annalen Sankt Servatiusstift Quedlinburg 1008-1030 [ab
Schöpfung]).
Lit.: Poole, R., Chronicles and Annals, 1926; Caenegem, R.
van/Ganshof, F., Kurze Quellenkunde des westeuropäischen Mittelalters, 1964; Mc
Cormick, M., Les annales, 1975; Hay, D., Annalists and Historians, 1977; Die
Annales Quedlinburgenses, hg. v. Giese, M., 2004
Annahme (Wort 1715) ist die ein Angebot uneingeschränkt bejahende Willenserklärung
des Angebotsadressaten sowie die Entgegennahme der Leistung des Schuldners
durch den Gläubiger im Zeitpunkt der Leistung (andernfalls Annahmeverzug, Gläubigerverzug).
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Annaten (14. Jh.) sind gewohnheitsmäßig entwickelte, seit der Mitte des 13.
Jh.s bei der Verleihung freier nichtkonsistorialer Benefizien allgemein an den
Papst geleistete Abgaben in Höhe eines ganzen oder halben Jahresertrags, die
seit dem Konzil von Basel (1435) abkommen und seit 1917 grundsätzlich untersagt
sind.
Lit.: Kirsch, J., Die päpstlichen Annaten, 1903; Hoberg,
H., Die Einnahmen der apostolischen Kammer, Bd. 1f. 1955ff.; Denzel, M.,
Kurialer Zahlungsverkehr, 1991; Camera apostolica, hg. v. Ansani, M., 1994
Annweiler
Lit.: Seebach, H.,
Kleine Geschichte des Trifels und der Stadt Annweiler, 2009
Anschluss ist
die von dem in Braunau gebürtigen Österreicher Adolf →Hitler 1938 nach
mehrjähriger Vorbereitung durch politischen Druck herbeigeführte Vereinigung →Österreichs
mit dem Deutschen Reich. Dem A. geht 1918 der von den alliierten Siegermächten
des ersten Weltkriegs verhinderte Versuch der aus den meisten deutschsprachigen
Gebieten Österreich-Ungarns gebildeten Republik →Deutschösterreich voraus,
sich mit dem →Deutschen Reich zu vereinigen, wofür sich in Tirol 98,8
und in Salzburg 99,1 Prozent der Abstimmungsberechtigten aussprechen. Nach
seiner Bestellung zum Reichskanzler im Deutschen Reich will Hitler dieses Ziel
politisch erreichen. Am 12. 2. 1938 zwingt Hitler den österreichischen
Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg (im Berchtesgadener Abkommen), den nationalsozialistischen
Sympathisanten Seyss-Inquart als Sicherheitsminister zu bestellen, die freie
Betätigung der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei innerhalb der
vaterländischen Front zuzulassen und alle Nationalsozialisten zu amnestieren.
Eine für den 12. 3. 1938 von Schuschnigg angesetzte Volksabstimmung für ein
„freies und deutsches, unabhängiges und soziales, christliches und einiges
Österreich“ unterbleibt wegen des am 11. 3. 1938 von Hitler erzwungenen Rücktritts
des Bundeskanzlers Schuschnigg. Auf Anforderung (Bitte um „Hilfe“)
Seyss-Inquarts an Hitler kommen deutsche Truppen. Danach bestellt der Bundespräsident
Österreichs (Miklas) Seyss-Inquart zum Bundeskanzler und tritt am 13. 3. 1938
zurück. Die Bundesregierung Österreichs beschließt auf der Grundlage des
Ermächtigungsgesetzes von 1934 ein Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung
Österreichs mit dem Deutschen Reich (BGBl. 1938, 75), auf Grund dessen
Österreich ein Land des Deutschen Reiches wird. Eine Volksabstimmung vom 10.
4. 1938 bejaht den A. zu 99,73%, doch wird dies nach 1945 verdrängt.
Lit.: Köbler, DRG 223; Baltl/Kocher; Kleinwächter,
F./Paller, H., Die Anschlussfrage, 1930; Tirol und der Anschluss, hg. v.
Albrich, T. u. a., 1988; Botz, G., Die Eingliederung Österreichs in das
Deutsche Reich, 1972, 3. A. 1988; Jung, O., Plebiszit und Diktatur, 1995;
Roesler, J., Der Anschluss von Staaten, 1999; Krämer, K., Die Bestrebungen für
einen Zusammenschluss zwischen Österreich und Deutschland 1918 bis 1921, Diss. phil..
Hannover 2003
Anschütz,
Gerhard (Halle an der Saale 10. 1. 1867-Heidelberg 14. 4. 1948) wird nach dem
Rechtsstudium Professor in Tübingen (1899), Heidelberg (1900), Berlin (1908)
und Heidelberg (1916) und 1933 mit 66 Jahren auf Antrag emeritiert. Er ist
Verfechter des demokratischen Gedankens und verfasst auf gesetzespositivistischer
Grundlage den mit 14 Auflagen erfolgreichsten Kommentar zu der von ihm lose
mitgestalteten Verfassung der →Weimarer Republik.
Lit.: Anschütz,
G., Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. A. 1933; Forsthoff, E., Gerhard
Anschütz, Der Staat 6 (1967), 139; Gerhard Anschütz, Aus meinem Leben, hg. v.
Pauly, W., 1993, 2. A. 2008; Dreier, H., Ein Staatsrechtslehrer, ZNR 20 (1998)
Ansegis (bei
St. Rambert bei Lyon um 770-St. Wandrille/Fontenelle 20. 7. 833) ist der
fränkische Benediktinerabt (823) von St. Wandrille bzw. Fontenelle in der
Erzdiözese Rouen, der 827 in seinem vier Bücher (Karl der Große, Ludwig der
Fromme, Weltliches, Kirchliches) umfassenden (lat.) Legiloquus liber (M.) in
einfacher Ordnung 29 (von etwa 90 heute bekannten) →Kapitularien Karls d.
Großen und Ludwigs des Frommen zusammenstellt, deren zwei Redaktionen (?) durch
mehr als 60 (63), in vier Gruppen einteilbare Handschriften überliefert
werden.
Lit.: Ganshof, F., Was sind die Kapitularien?, 1961; Die
Kapitulariensammlung des Ansegis, hg. v. Schmitz, G., 1996
Anselm von Lucca verfasst zwischen 1081 und 1083
eine Sammlung (lat. [F.) Collectio) von Papstbriefen, Canones, patristischen
Texten und römischen Rechtsquellen.
Lit.: Szuromi, S., Anselm von
Lucca as Canonist, 2006
Anspruch (Wort 1291) ist das Recht, von einem
anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 BGB) bzw. die von einem
Kläger an einen Beklagten gerichtete Behauptung eines Rechtes mit einem
bestimmten Inhalt. Im römischen Recht ist beides in der (lat. [F.]) →actio (Klaganspruch) enthalten, wobei im
Legisaktionenverfahren die Beachtung eines genauen Wortlauts erforderlich ist
und im Formularverfahren nur verfahrensrechtlich durchsetzbare Rechte
anerkannt werden (aktionenrechtliches Denken), wovon sich das spätantike
Verfahren je nach Zweckmäßigkeit löst. Im Spätmittelalter werden die Anforderungen
an die Geltendmachung von Ansprüchen eher abgeschwächt. Der (lat.) usus
modernus begnügt sich mit der Erkennbarkeit einer (lat.) actio. Savigny
versteht die (lat.) actio als Klagerecht, das aus der Verletzung eines
subjektiven Rechtes erwächst, als ein Recht im Zustand der Verteidigung. Nach
Bernhard Windscheid (1856) ist dagegen der A. unabhängig von der jeweiligen Entscheidung
eines Gerichts ein Recht.
Lit.: Windscheid, B., Die actio
des römischen Civilrechts, 1856; Nörr, K., Das Aktionrenrecht bei Savigny, Ius
commune 8 (1879), 110; Simshäuser, W., Zur Entwicklung des Verhältnisses von
materiellem Recht und Prozessrecht seit Savigny, 1965; Vossius, O., Zu den
dogmengeschichtlichen Grundlagen der Rechtsschutzlehre, 1985; Kriechbaum, M.,
Actio, ius und dominium, 1996; Kollmann, A., Begriffs- und Problemgeschichte
des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht, 1996; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Anstalt (Wort 1250) ist die von einem
Träger öffentlicher Verwaltung seit dem 18. Jh. zur Erfüllung einer besonderen
Verwaltungsaufgabe errichtete, verwaltungsorganisatorisch oder rechtlich verselbständigte
Verwaltungseinheit von persönlichen oder sachlichen Mitteln.
Lit.: Gerstlacher, C., Sammlung aller Baden-Durlachischen
Anstalten und Verordnungen, Bd. 1ff. 1772f.; Weber, W., Die Entwicklung der
Sparkassen, 1985; Dorn, U., Öffentliche Armenpflege in Köln, 1991; Alexander,
L., Anstalten und Stiftungen. Verselbständigte Vermögensmassen im römischen
Recht, 2003; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Anstiftung ist
die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zu einer vorsätzlich begangenen
rechtswidrigen Tat (Versuch genügt). Als allgemeine Grundfigur des →Strafrechts
wird die A. unter Herauslösung aus der Urheberschaft (intellektuelle
Urheberschaft, so noch Feuerbach 1801) des (lat. [M.]) auctor erst im 19. Jh.
ausgebildet (§ 34 I StGB Preußens 1851).
Lit.: Schaffstein, F., Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen,
1930, Neudruck 1973; Ebrahim-Nesbat, S., Die Herausbildung der strafrechtlichen
Teilnahmeformen im 19. Jahrhundert, 2006
Anthropologie (F.) Menschenkunde
Lit.: Dülmen, R.
van, Historische Anthropologie, 3. A. 2001; Hoßfeld, U., Geschichte der biologischen
Anthropologie in Deutschland, 2005
Antichrese ist
das aus dem hellenistischen Bereich in das klassische römische Recht
eingeführte Nutzpfand, bei dem der Pfandgläubiger mit Erlaubnis des Verpfänders
die Früchte der Pfandsache ziehen darf.
Lit.: Kaser § 31; Hübner
Antike ([3000/2800
v. Chr. bzw.] 11. Jh. v. Chr.-4./6. Jh. n. Chr.) ist der vor allem durch die
Kultur der (Sumerer, Assyrer, Ägypter, Juden,) Griechen und Römer gekennzeichnete,
durch die Eroberung Westroms durch Germanen im Jahre 476 abgeschlossene
geschichtliche Abschnitt der menschlichen Kulturentwicklung. →Altertum
Lit.: Der Kleine Pauly, hg. v. Ziegler, K. u. a., Bd. 1ff.
1986; Selb, W., Antike Rechte im Mittelmeerraum, 1993; The Cambridge Ancient
History, 2. A. Bd. 6, hg. v. Lewis, D., 1994; Dahlheim, W., Die Antike, 6. A.
2002; Löwe, G./Stoll, H, Lexikon der Antike, 1997; Wesel, U., Geschichte des
Rechts, 3. A. 2006; Gehrke, H., Kleine Geschichte der Antike, 1999; Metzler
Lexikon Antike, hg. v. Brodersen, K./Zimmermann, B., 1999; Lexikon der
christlichen Antike, hg. v. Brauer, J./Hutter, M., 1999; Nickel, R., Lexikon
der antiken Literatur, 1999; Geschichte der Antike, hg. v. Gehrke, H. u. a.,
2000; Brandt, H., Das Ende der Antike, 2001; Grziwotz, H./Döbertin, W.,
Spaziergang durch die Antike, 2002; Die Rechtskulturen der Antike, hg. v.
Manthe, U., 2003; Lexikon der antiken Gestalten in den deutschen Texten des
Mittelalters, hg. v. Kern, M. u. a., 2003; Pöhlmann, E., Einführung in die Überlieferungsgeschichte
und in die Textkritik der antiken Literatur, Bd. 1 2. A. 2003; Personen der
Antike, hg. v. Brodersen, K. u. a., 2004; Herrscherchronologien der antiken
Welt, 2004; Höhepunkte der Antike, hg. v. Brodersen, K., 2006; Erinnerungsorte
der Antike, hg. v. Stein-Hölkeskamp, E. u. a., 2006; Troianer sind wir gewesen,
hg. v. Olshausen, E. u. a., 2006; Sonnabend, H., Die Grenzen der Welt, 2007;
Geschichte der Antike – Quellenband, hg. v. Gehrke, H. u. a., 2007; Geschichte
der antiken Texte – Autoren- und Werklexikon, hg. v. Egger, B., 2007;
Historischer Atlas der antiken Welt, hg. v. Wittke, A. u. a., 2007; Baltrusch,
E., Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 2008; Mann, C.,
Antike, 2008; Stangl, G., Antike Populationen in Zahlen, 2008; Die Ideale der
Alten, hg. v. Rosenberger, V., 2008; Antike - Recht - Geschichte, hg. v. Benke,
N. u. a., 2009; Antike Oldenburg Geschichte Lehrbuch hg. v. Wirbelauer, E.,
2009, 3. A. 2010; Leppin, H., Das Erbe der Antike, 2010
Antiochia (Kreuzfahrerfürstentum)
Lit.: Mayer, H., Varia Antiochena,
1993
Antisemitismus ist die die Juden (Semiten)
ablehnende Haltung. Sie entsteht nach antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen
Vorläufern in der 2. Hälfte des 19. Jh.s (in Preußen Sozialkonservative wie
Hermann Wagener seit der liberalen neuen Ära von 1858, in Österreich um 1885)
neu. In dieser Zeit gelten Juden als Modernisierungsgewinner des Liberalismus,
wobei auch die katholische Kirche ihr Unbehagen über die gesellschaftlichen
Veränderungen am steigenden Einfluss der Juden zum Ausdruck bringt.→Jude
Lit.: Badinter, R., Un antisémitisme ordinaire, 1997;
Scheil, S., Die Entwicklung des politischen Antisemitismus in Deutschland
zwischen 1881 und 1912, 1999; Walter, D., Antisemitische Kriminalität, 1999;
Katholischer Antisemitismus, hg. v. Blaschke, A. u. a., 2000; Kertzer, D., Die
Päpste gegen die Juden, 2001; Bergmann, W., Geschichte des Antisemitismus,
2002; Ferrari Zumbini, M., Die Wurzeln des Bösen - Gründerjahre des
Antisemitismus, 2002; Haury, T., Antisemitismus von links, 2002; El olivo y la
espada, hg. v. Joan i Tous, P. u. a., 2003; Ley, M., Kleine Geschichte des
Antisemitismus, 2003; Der Berliner Antisemitismusstreit 1879-1881, bearb. v.
Krieger, K., 2003; Benz, W., Was ist Antisemitismus?, 2004; Wladika, M.,
Hitlers Vätergeneration, 2005; Terwey, S., Moderner Antisemitismus in
Großbritannien 1899-1919, 2006; Mittmann, T., Vom Günstling zum Urfeind der
Juden, 2006; Volkov, S., Germans, Jews and Antisemites, 2006; Sieg, U.,
Deutschlands Prophet - Paul de Lagarde und die Ursprünge des modernen
Antisemitismus, 2007; Nonn, C., Antisemitismus, 2008; Brügmann, C., Flucht in
den Zivilprozess, 2009; Herholt, v., Antisemitismus in der Antike, 2009: Antisemitische
Geschichtsbilder, hg. v. Bergmann, W. u. a., 2009; Herbeck, U., Das Feindbild
vom „jüdischen Bolschewiken“, 2009; Handbuch des Antisemitismus, hg. v. Benz,
W., Bd. 1ff. 1209ff.; Albrecht, H., Antiliberalismus und Antisemitismus, 2010;
Antisemitism in Eastern Europe, hg. v. Petersen, H. u. a., 2010; Imperien in
der Antike, hg. v. Harrison, T., 2010; Bergmann, W. u. a., Antisemitismus in
Zentraleuropa, 2011; Hofer, S., Richter zwischen den Fronten, 2011; Jahr, C.,
Antisemitismus vor Gericht, 2011; Nicosia, F., Zionismus und Antisemitismus,
2012
Antitribonianus ist das 1603 posthum erschienene Werk François →Hotmans,
das im Angriff auf →Tribonian die Anwendbarkeit des (lat. [N.])Corpus
iuris civilis in der Neuzeit bestreitet und die Schaffung eigener Gesetzbücher
empfiehlt.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/HotmanFranz(HotomanusFranciscus)Antitribonian1603.pdf
Baron, J., Franz Hotmans Antitribonian, 1888
Antrag (Wort 1325) ist das →Angebot auf Abschluss eines →Vertrags.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Antrustio (lat.
[M.], zu afrk. druht, lat.-afrk. trustis, M., bewaffnete Schar) ist der im
Volksrecht der →Franken durch dreifaches Wergeld des Freien
ausgezeichnete, auch in Kapitularien und Formeln erwähnte freie Königsmann.
Lit.: Bergengruen, A., Adel und Grundherrschaft im
Merovingerreich, 1958; Olberg, G. v., Die Bezeichnungen für soziale Stände,
1991
Antwerpen an
der Schelde wird 726 erstmals urkundlich erwähnt. 1291 erhält es Stadtrecht.
1852 wird eine Universität eingerichtet.
Anwachsung (Wort 1453, Anwachsungsrecht 1721)
ist die Erhöhung der Anteile anderer
Berechtigter an einer (gesamthänderischen) Gesamtheit im Wege der
Gesamtnachfolge bei Wegfall eines Mitberechtigten. Sie hat wohl in alten gesamthänderischen
Gesamtheiten (z. B. Hausgemeinschaft, Akkreszenz im klassischen römischen
Erbrecht) Bedeutung und wird später eher zurückgedrängt (z. B. durch Eintrittsrechte,
Realteilung). Durch das Bürgerliche Gesetzbuch (1900) gewinnt sie mit dem
Gesamthandsprinzip an Gewicht.
Lit.: Kaser §§ 73 III, 76 III 1 154ff.; Hübner; Breuel, F.,
Geschichte des Anwachsrechts in Ostfriesland, 1954; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Meyer, H., Anwachs und Insel im
hochmittelalterlichen Recht der Grafschaft Flandern, ZRG GA 113 (1996), 333;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Anwalt ist
der Vertreter eines anderen (im Recht). Im römischen Recht ist Vertretung
grundsätzlich ausgeschlossen. Im deutschen Bereich begegnen die ersten Anfänge
im fränkischen Reich. Zum Hochmittelalter hin erscheinen Vertreter für Bischöfe
(Vögte), Äbte, Gemeinden oder Genossenschaften. Bis zur zweiten Hälfte des 15.
Jh.s setzt sich neben dem Fürsprecher als Vertreter im (loßen) Wort (Mund der
Partei) die inhaltliche Vertretung der Partei in der Sache im bürgerlichen
Rechtsstreit durch. Mit der Rezeption des römisch-kanonischen Prozessrechts
wird am Ende des 15. Jh.s der meist rechtsgelehrte, praktisch geschulte →Prokurator
zum Vertreter der Partei vor Gericht, der rechtsgelehrte →Advokat zum
außergerichtlichen Berater (1495 am Reichskammergericht acht Prokuratoren,
zwei Advokaten, seit 1500 bzw. 1530 Prüfungen), doch verwischen sich in
Deutschland die Unterschiede trotz Fortführung der verschiedenen Benennungen
schon seit dem 16. Jh. wieder. Bedeutung hat der A. vor allem im Zivilprozess.
In Preußen wird 1725 die Prokuratur abgeschafft und 1780 die Advokatur als
freier Beruf beseitigt (Assistenzrat, Justizkommissar). Im 19. Jh. werden auch
in Preußen wieder frei wählbare Prozessvertreter zugelassen, die seit 1849
(1878 im Deutschen Reich) Rechtsanwälte heißen (Österreich Advokatenordnungen
von 1849 und 1868). Neben ihnen dürfen in Deutschland seit 2008 (Rechtsdienstleistungsgesetz)
auch Nichtjuristen eingeschränkt Rechtsberatung durchführen.
Lit.: Kaser § 87 II IV; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 155,
202; Weißler, A., Geschichte der Rechtsanwaltschaft, 1905; Kübl, F., Geschichte
der österreichischen Advokatur, 1925; Bader, K., Vorsprecher und Anwalt in den
fürstenbergischen Gerichtsordnungen, 1931; Böhm, O., Die nürnbergische
Anwaltschaft um 1500 bis 1806, 1949; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege,
1953; Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Schlosser, H.,
Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971; Failenschmid, H., Anwalt und
Fürsprech, 1981; Holly, G., Geschichte der Ehrengerichtsbarkeit der deutschen Rechtsanwälte,
1989; Krach, T., Jüdische Rechtsanwälte in Preußen, 1991; Grahl, C., Die
Abschaffung der Advokatur unter Friedrich dem Großen, 1994; Siegrist, H.,
Advokat, Bürger und Staat, 1996; Krug, G., Die Advokat-Anwälte, Diss. jur.
Mannheim 1996; Die Geschichte des Deutschen Anwaltvereins, hg. v. Deutschen
Anwaltverein, 1997; Nirk, R., 50 Jahre NJW. Die Entwicklung der Anwaltschaft,
NJW 1997, 2625; Scherner, K., Advokaten, Revolutionäre, Anwälte, 1997; Treve,
W., Rechts-, Wirtschafts- und Steuerberatung in zwei Jahrhunderten, 3. A. 1998;
Klas, A., Standes- oder Leistungselite?, 2002; Wiedemann, A., Preußische
Justizreformen, 2003; Reichspersonal, hg. v. Baumann, A., 2003
Anwaltszwang ist
die (tatsächliche oder) rechtliche Verpflichtung, im →Prozess einen →Anwalt
zu verwenden.
Anwartschaft ist
die einer bestimmten Person zustehende rein tatsächliche Aussicht auf ein
später zu erwartendes Amt oder Recht. Im deutschen Mittelalter hat der nahe
Verwandte ein Anrecht auf den Nachlass (→Erbenwartrecht). Im 20. Jh.
setzt sich die A. als werdendes Recht, das dem Vollrecht wesensgleich ist,
beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt durch.
Lit.: Kaser § 10 I; Hübner; Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG
269; Berger, W., Eigentumsvorbehalt und Anwartschaftsrecht, 1984
Anweisung (Wort 1271/1286) ist die
schriftliche Aufforderung eines Teiles (Anweisender, Wort 1863) an einen
anderen Teil (Angewiesener) (Deckungsverhältnis), Geld, Wertpapiere oder andere
Sachen an einen die Anweisung dem Angewiesenen vorlegenden Dritten (Anweisungsempfänger,
Wort 1809) zu leisten (lat. [F.] delegatio zwischen Delegant, Delegat und
Delegatar, Verhältnis zwischen Angewiesenem und Anweisungsempfänger
Valutaverhältnis). Sie hat römische Grundlagen. Sie gehört in die Frühzeit des →Wertpapiers
(13./14. Jh.). Die pandektenwissenschatliche Erörterung des 19. Jh. bereitet
die Gestaltung im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896/1900 vor. Die A. kann
Zahlungsanweisung oder Verpflichtungsanweisung sein.
Lit.: Eisenried,
U., Die bürgerlich-rechtliche Anweisung und ihre Entstehung, 2010; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Anwenderecht ist
das in die Anfänge des dichteren Ackerbaus zurückreichende, seit dem 13. Jh.
vielfach schriftlich bezeugte Recht, zur Bestellung des eigenen Feldes
kurzzeitig ein Nachbargrundstück zu betreten und dadurch zu benutzen. Das
Bürgerliche Gesetzbuch (1900) lässt das landesrechtlich vorhandene A. als
Teil des Nachbarrechts bestehen.
Lit.: Hübner 281; Götz, A., Das Anwenderecht, 1925;
Schmidt-Wiegand, Anwende, Text und Sprachbezug in der Rechtssprachgeographie,
1985, 146
Anzeige ist
die Mitteilung eines rechtlich erheblichen Vorgangs oder Zustands. Sie ist in
verschiedenen Formen dem römischen Recht bekannt. Eine Verpflichtung zu einer
A. bestimmter Handlungen stellt die Rügepflicht dar. Der hochmittelalterliche
kanonische Prozess unterscheidet im 12. Jh. die A. von der (lat. [F.])
accusatio. In der frühen Neuzeit genügt im Strafverfahren statt der Klage eines
einzelnen Klägers die A. beim Richter zur Ingangsetzung des Verfahrens.
Lit.: Köbler, DRG 157; Kisker, S., Die Nichtanzeige
geplanter Straftaten - §§ 138, 139 StGB, 2002
Aostatal
Lit.: Roddi, G., Il Coutumier
Valdostano (1588), 1994 (Diss. jur. Freiburg im Üchtland)
Apanage ist
die Ausstattung eines nachgeborenen Sohnes, Bruders oder sonstigen Mitglieds
eines landesherrlichen Hauses zur Sicherung des standesgemäßen Unterhalts. Sie
entwickelt sich nach älteren Vorläufern (Bretagne 990?, Dreux 1137?) im 13. Jh.
in Frankreich. Einen Rechtsanspruch auf A. gibt es nur bei Vorliegen eines
entsprechenden Hausgesetzes. Die meist bei Eintritt der Volljährigkeit fällige
A. kann auf eine Person oder auf eine Linie bezogen sein.
Lit.: Schulze, H., Das Recht der Erstgeburt, 1851; Wood,
C., The French Apanages, 1966
Apel,
Johann (Nürnberg 1486-27. 4. 1536) wird nach dem Rechtsstudium in Wittenberg
1524 Rechtslehrer, 1530 Kanzler in Preußen und 1534 Rechtsberater in Nürnberg.
1535 schlägt er eine dialektische Lehrmethode für die Rechtswissenschaft vor.
Außerdem bietet er erste systematische Ansätze.
Lit.: Köbler, DRG 144; Muther, T., Doctor Johann Apell,
1861; Wieacker, F., Einflüsse des Humanismus auf die Rezeption, Z. f. d. ges.
Staatswiss. 100 (1940), 423
Apokalypse
Lit.: Fried, J., Aufstieg aus dem Untergang, 2001
Apostasie (F.) ist der von der Spätantike bis zur
Aufklärung geahndete Abfall vom Glauben.
Lit.: Hinschius, P., System des
katholischen Kirchenrechts, 1888ff.; Schauf, H., Einführung in das kirchliche
Strafrecht, 1952
Apostelbrief ist
im gelehrten Verfahrensrecht des Mittelalters der Bericht, den der untere
Richter (lat. iudex [M.] a quo) auf die Bitte einer Partei, die →Appellation
gegen seine Entscheidung erhebt, an den oberen Richter (lat. iudex [M.] ad
quem) sendet. Er enthält eine Schilderung des bisherigen Verfahrensablaufs und
eine Beurteilung der Berechtigung der Appellation sowie später auch die
bisherigen Prozessakten.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Sägmüller, J., Lehrbuch des
katholischen Kirchenrechts, Bd. 2 3. A. 1914, 342
Apotheke („Aufbewahrungsort“, für Heilmittel zunächst in Klöstern, um 1241
verbietet Friedrich II. im Edikt von Salerno das Betreiben von Apotheken durch
Ärzte, 1241 Löwenapotheke in Trier bezeugt) ist das Unternehmen des
wissenschaftlich ausgebildeten, staatlich zu Herstellung und Verkauf von
Arzneimitteln Berechtigten (Apothekers). Seit etwa 1850 gründen Apotheker
Drogerien mit einem breiten Warenangebot, darunter auch Arzneimittel. 1935
wird eine deutsche Apothekerschaft geschaffen, 1937 eine Reichsapothekenkammer
eingerichtet. 1961 ergeht ein Arzneimittelgesetz.
Lit.:
Schröder, G., NS-Pharmazie - Gleichschaltung des deutschen Apothekerwesens im
Dritten Reich, 1988; Schlick, C., Apotheken im totalitären Staat, 2008;
Schäfer, C., Apotheker und Drogist, 2009
Apothekenurteil ist die in drei Stufen nach dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Einschränkung von Grundrechten (z. B.
Berufsfreiheit) ordnende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Deutschlands
vom 11. 6. 1958 über die Zulassung eines Apothekers in Traunreut.
Lit.: Henne, T., Das Lüth-Urteil,
hg. v. Henne, T. u. a., 2004
appellatio (lat.
[F.]) Anrufung, Berufung, →Appellation
Appellation ist
im spätrömischen Verfahrensrecht das aufschiebend wirkende Rechtsmittel zur
Überprüfung der Entscheidung eines unteren Richters durch einen höheren
Richter, das mit einem Urteil endet (Berufung). Die A. ist bei dem unteren Richter
mündlich oder binnen 10 Tagen schriftlich einzubringen. Die A. wird im frühen
Mittelalter in vereinfachter Form in der Kirche und in Oberitalien bewahrt. Im
hohen Mittelalter wird die A. (mittels →Apostelbriefs), die seit dem 12.
Jh. im kirchlichen Prozessrecht erscheint, aus dem oberitalienisch-kanonischen
Prozessrecht in Deutschland zuerst in geistlichen Gerichten aufgenommen. In
Italien und Frankreich dringt sie rascher vor. Im Heiligen römischen Reich, in
dem zwischen 1200 und 1450 (lat. [F.]) appellatio sehr unterschiedliche
Einrichtungen benennen kann, ersetzt die A., die sich vor 1451 nur in einzelnen
besonderen Fällen vor dem um 1450 grundsätzlich noch unmittelbar angerufenen,
aber auch im älteren Rechtszugverfahren kaum eine nennenswerte Rolle spielenden
König findet, in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s allmählich die ältere
Urteilsschelte in weltlichen Verfahren. Die Appellationsverfahren verdrängen
bald die erstinstanzlichen Rechtszugverfahren. Das 1495 eingerichtete
Reichskammergericht ist vielfach Appellationsgericht (am Ende des 15. Jh.s zu
80%). Zur Eindämmung der A. wird dort 1521 eine Appellationssumme von 50 Gulden
festgelegt, die über 150 (1570) und 300 (1600) Gulden bis 1654 auf 600 Gulden
bzw. 400 Reichstaler steigt, und wird 1530 dem Reichskammergericht die
Annahme einer A. in Strafsachen verboten. In die gleiche Richtung wirken die
Nichtappellationsprivilegien (1470-03-21 Reichsstadt Nürnberg, 1480-07-10
Bayern Herzog, 1482-05-08 Augsburg Reichsstadt, 1485-11-05Augsburg Reichsstadt,
1493-04-27 Köln Stadt, 1495-08-24 Nürnberg Reichsstadt, 1499-05-21 Windsheim, Nassau
1804-06-28, insgesamt (77) Aachen, Augsburg, Baden, Bayern, Biberach,
Brandenburg, Brandenburg-Ansbach-Bayreuth, Braunschweig-Lüneburg, Bremen
Stadt, Bremen Erzstift, Brixen, Dinkelsbühl, Donauwörth, Esslingen, Frankfurt
am Main, Giengen, Hamburg, Hanau-Münzenberg, Herford Stadt, Hessen-Kassel,
Hessen-Darnstadt, Hessen-Rheinfels, Hessen-Marburg, Hildesheim Bischof,
Holstein, Ingelheim Freiherr, Jülich Kleve Berg, Kaufbeuren, Kempten Stadt,
Köln Kurfürst, Köln Stadt, Lindau, Lippe Graf, Lübeck Stadt, Lüttich Bischof,
Magdeburg Erzbischof, Mainz Kurfürst, Manderscheid Graf, Mecklenburg Herzöge,
Memmingen Stadt, Merseburg Bischof, Mübster Stadt, Nassau, Neuenahr und Moers
Graf, Nördlingen, Nürnberg Stadt, Öttingen Graf, Oldenburg und Delmenhorst
Graf, Passau Bischof, Paumgarten Freiherr, Pfalz Kurfürst, Pommern, Rantzau,
Regensburg Stadt, Reußen von Plauen Graf, Reutlingen, Rosheim Stadt, Rothenburg
ob der Tauber, Rügen, Sachsen Kurfürst, Salzburg Erzbischof, Schwäbisch Hall,
Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Schweden König, Schweinfurt,
Speyer Stadt, Straßburg Stadt, Trient Bischof, Trier Kurfürst, Ulm, Verden
Bischof, Vorpommern, Waldeck Graf, Windsheim, Wismar, Worms Stadt, Württemberg,
Würzburg Bischof). Am Reichshofrat ist die A. vor allem wegen der
Appellationsprivilegeien nicht sehr häufig. 1879 wird die teuere und schwierige
A. im Deutschen Reich durch die →Berufung ersetzt, in England erst 1875
wirklich zugelassen. →Konzil
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 34, 56, 114, 117,
152; Köbler, LAW; Perels, K., Die allgemeinen Appellationsprivilegien für
Brandenburg-Preußen, 1908; Stölzel, A., Geding, Appellation, Hof, Hofgericht
und Räte, 1912; Kaser, M., Das römische Zivilprozessrecht, 1966; Blaschke, K.,
Das kursächsische Appellationsgericht 1559-1835 und sein Archiv, ZRG GA 84
(1967), 329; Eisenhardt, U., Die Rechtswirkungen der in der Goldenen Bulle
genannten privilegia de non evocando et appellando, ZRG GA 86 (1969), 75;
Weitzel, J., Zur Zuständigkeit des Reichskammergerichts als
Appellationsgericht, ZRG GA 90 (1973), 213; Broß, S., Untersuchungen zu den
Appellationsbestimmungen der Reichskammergerichtsordnung von 1495, 1973;
Weitzel, J., Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, 1976; Die
kaiserlichen privilegia de non appellando, hg. v. Eisenhardt, U., 1980;
Weitzel, J., Über Oberhöfe, Recht und Rechtszug, 1981; Rechtsbehelfe, Beweis
und Stellung des Richters im Spätmittelalter, hg. v. Sellert, W., 1985; Becker,
H., Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil, 1988; Kern, B., Die
Appellation in Kurpfälzer und verwandten Rechtsquellen des 15. Jahrhunderts,
ZRG GA 106 (1989), 115; Seeger, T., Die Extrajudizialappellation, 1993;
Morhard, A., Die gerichtliche Berufung, 1995; Diestelkamp, B., Die Durchsetzung
des Rechtsmittels der Appellation, 1998; Szidzek, C., Das frühneuzeitliche
Verbot der Appellation in Strafsachen, 2002; Strauch, D./Arntz, J./Schmidt-Troje,
J., Der Appellhof zu Köln, 2002; Kannowski, B., Zwischen Appellation und
Urteilsschelte - Über das Rechtsdenken des Johann von Buch, ZRG 123 (2006), 110;
Hugo,.L., Vom Missbrauch der Appellation, hg. v. Oestmann, P., 2012;
Appellation und Revision im Europa des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit,
hg. v. Auer, L. u. a., 2013
Appellationsgericht (N.) Berufungsgericht (z. B. Österreich 1782 Erhebung der von den
Gubernien getrennten Justizsenaten zu Appellationsgerichten durch Joseph II.,
1852 Oberlandesgerichte)
Appellationsprivileg ist das Privileg des deutschen Königs an Landesherren, das
eine →Appellation aus dem jeweiligen Gebiet an den König ausschließt
(Nichtappellationsprivileg). Es betrifft anfangs wohl nur den Rechtszug nach
einer Urteilsschelte und erst in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s die
eigentliche Appellation. 1356 verleiht die →Goldene Bulle den Kurfürsten
ein unbeschränktes A., dessen Bedeutung deswegen umstritten ist, weil die
Appellation 1356 noch nicht allgemein aufgenommen worden war (z. B. in Sachsen
erst seit dem 16. Jh.).
Lit.: Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts,
1954; Bross, S., Untersuchungen zu den Appellationsbestimmungen der
Reichskammergerichtsordnung von 1495, 1972; Eisenhardt, U., Die kaierlichen
privilegia de non appellando, 1980
Appenzell erscheint
1071 erstmals als Abbacella. Das zunächst unter der Herrschaft der Abtei Sankt
Gallen stehende Gebiet gewinnt zwischen 1377 und 1429 Selbständigkeit. Seit
1411 ist A. zugewandter Ort der Eidgenossenschaft der →Schweiz, seit 17.
12. 1513 dreizehntes Mitglied. A. besteht aus einem evangelischen Halbkanton
(Außerrhoden) und einem katholischen Halbkanton (Innerrhoden).
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Benz, R., Die
rechtlichen Zustände im Lande Appenzell, Appenzellische Jahrbücher 46 (1918),
1; Wirz, H., Die Grundlagen der Appenzeller Freiheit, Appenzellische Jahrbücher
56 (1929); Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,461; Die Land-
und Alpwirtschaft in Außerrhoden, 1974; Blickle, P., Verfassung und Religion –
Voraussetzungen und Folgen der Landteilung des Appenzell 1597, ZRG GA 115
(1998), 339; Die Appenzellerkriege, hg. v. Niederhäuser, P. u. a., 2006
Approbation (F.) Billigung, Bestätigung (z. B.
einer klösterlichen Genossenschaft, einer Verehrung oder einer Königswahl)
Lit.: Deußen, W., Die Approbation
der deutschen Königswahl, 1879; Unverhau, D., Approbatio - Reprobatio, 1973 Aprilverfassung ist die am 25. 4.
1848 von Kaiser Ferdinand I. erteilte, vom Innenminister Franz Xaver von →Pillersdorff
geformte, nach dem 15. 5. 1848 zurückgezogene, erste formelle Verfassung
Österreichs mit Gewaltenteilung, Reichstag und Grundrechten, aber ohne
praktische Bedeutung.
Lit.: Köbler, DRG 194; Baltl/Kocher; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/VerfOeAprilverfassung1848.doc
apud iudicem
(lat.) vor dem Richter, →Prozess, Verfahren
Apulien im
Süden Italiens gerät seit dem 9. Jh. v. Chr. unter den Einfluss der Griechen,
wird 317 v. Chr. von Rom erobert und gehört nach dem Untergang Westroms über
die Herrschaft von Ostgoten und Oströmern im Norden seit 570 zum Herzogtum
Benevent der Langobarden. In der Mitte des 11. Jh.s fällt es an die Normannen
(1130 Sizilien), 1282 an das Königreich Neapel.
Lit.: Palumbo, P., Medio evo
meridionale, 1978
aquae ductus
(lat. [M.]) Wasserleitung(srecht), →Dienstbarkeit
aquae haustus
(lat. [M.]) Wasserschöpfung(srecht)recht,→Dienstbarkeit
Aquileia nahe
der Adria wird 181 v. Chr. als römische Kolonie (lat. [F.] colonia) gegründet.
Der seit spätestens 314 nachweisbare Bischof beansprucht seit 558/568 den
Titel eines Patriarchen. 1077 wird der Patriarch Reichsfürst. Seit 1418
gelangt A. an Venedig, im 16. Jh. an Österreich und mit Venetien (1866) an
Italien.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Gamber, K., Das
Patriarchat Aquileja, 1987; Härtel, R., Die älteren Urkunden des Klosters S.
Maria zu Aquileja (1036-1250), 2005
Aquilius →lex
Aquilia
Aquitanien ist
das Gebiet nördlich der Pyrenäen. Es wird seit 71 v. Chr. römisch, 418
westgotisch und 507 fränkisch. Im 7. Jh. entsteht ein fast selbständiges
Herzogtum (bis 768), das im 9. Jh. erneuert wird. Durch Heirat der Erbtochter
mit Heinrich II. →Plantagenet (1152) gelangt A. beim Thronantritt
Heinrichs II. in England in eine Personalunion mit →England. Am Ende des
hundertjährigen Krieges (1453/75) fällt A. von England an →Frankreich.
Lit.: Histoire de l’Aquitaine, hg. v. Higounet, C., 1971;
Trabut-Cussac, J., L’administration anglaise en Gascogne, 1972
Äquivalenzprinzip ist der im 20. Jh. ausgebildete Grundsatz, dass zwischen
dem Wert einer einzelnen Leistung der Verwaltung und der für diese geforderten
Gebühr ein ausgewogenes Verhältnis bestehen muss.
Araber ist
der Angehörige des in den mittelalterlichen lateinischen Quellen meist als
(lat. [M.Pl.]) Saraceni bezeichneten semitischen Volkes, das zunächst auf der
arabischen Halbinsel siedelt (853 v. Chr. in mesopotamischen Keilschriften
erstmals erwähnt). Die A. erobern nach der Bekehrung zum →Islam im
frühen Kalifat (632-692) Ägypten, (638 Jerusalem,) Syrien, Irak und Persien.
711 wird Gibraltar erreicht, 716/717 Konstantinopel belagert und 732 ein
Spanien einnehmender Vorstoß erst bei Tours und Poitiers von den Franken unter
Karl Martell zurückgeschlagen. Im 9. Jh., in dem griechische und indische
Schriften in die arabische Sprache übertragen werden, setzt der Zerfall des
bald auf Bagdad (762, um 1000 Kalifenbibliotheken mit vielleicht 100000 Bänden,
seit dem 12. Jh. Übersetzungen aus dem Arabischen und Griechischen in die
lateinische Sprache) ausgerichteten Reiches in mehrere Einzelherrschaften ein.
1260 können die Mongolen abgewehrt werden. Das im 15. Jh. unter muslimisch gewordenen
Osmanen gebildete osmanische Reich fasst die A. nochmals zusammen, doch geht
1492 mit Granada die letzte Herrschaft in Spanien verloren und werden im 19.
Jh. die arabischen Länder mit dem Zerfall des osmanischen Reiches Gegenstand
der Kolonialpolitik europäischer Staaten. Ein unmittelbarer Einfluss der A.
auf das Recht Europas ist nicht nachweisbar, doch finden sich ausgehend von den
wichtigsten Berührungsorten gewisse, Handel und Verwaltung betreffende
mittelbare Auswirkungen (Kaufhöfe in Venedig, Seezoll in Pisa, Gesundheitsrecht
in Sizilien, lat. contractus [M.] mohatrae). Im Übrigen geben die A. allgemein
auch antikes Gedankengut und eigene Gelehrsamkeit fruchtbringend an das
europäische Mittelalter weiter.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Amari, M., Storia
dei Musulmani di Sicilia, Bd. 1ff. 1854ff.; Geschichte der arabischen Welt, hg.
v. Haarmann, U./Halm, H., 4. A. 2001; Crespi, G., Die Araber in Europa, 1992; Halm, H., Die Araber, 2004; Walther, W.,
Kleine Geschichte der arabischen Literatur, 2004; Steinberg, G., Saudi-Arabien,
2004; Katzer, A., Araber in deutschen Augen, 2008; Schlicht, A., Die Araber und
Europa, 2008; Ambrosetti, N., L’eredità arabo-islamica nelle scienze e nelle
arti del calcolo dell’Europa medievale, 2008Burnett, C., Arabic into Latin in
the Middle Ages, 2009; Thorau, P., Lawrence von Arabien, 2010; Schlicht, A.,
Geschichte der arabischen Welt, 2013
Aragonien (Aragón)
im Nordosten Spaniens gelangt am Ende des 3. Jh.s v. Chr. von den Puniern an
die Römer, im 5. Jh. n. Chr. an die Westgoten und 713 an die Araber. Kurz nach
800 wird es eine Grafschaft der Franken, die eine eigene (lat. [F.])
convenientia (958) hat und sich im Zuge der Rückeroberung der von den Arabern
beherrschten Gebiete 1035 und 1134 zum Königreich entwickelt, in dem der →Fuero
von →Jaca (1064) besondere Bedeutung hat. Dieses A. wird 1137 mit
Katalonien und 1238 mit Valencia verbunden. Seit dem 13. Jh. dringt römisches
Recht ein. 1247 werden die in 8, später in 12 Bücher gegliederten, vielleicht
auf Vidal de Cañellas zurückgehenden, ausschließliche Geltung beanspruchenden
Fueros de Aragón (Fori Aragonum) in Huesca verkündet. Unter die Herrschaft
Aragoniens gelangen auch Sizilien (1282), Sardinien (1323) und Neapel (1442).
Seit 1469 tritt A. hinter →Kastilien (1474 Personalunion) zurück und
verliert die 1707 zunächst noch gewahrten Sonderrechte. Der Verlust der
selbständigen Verwaltung (1833) wird erst 1982 wieder aufgehoben. Das
überlieferte besondere Privatrecht gilt seit 1889 im Rahmen des Código Civil
Español fort.
Lit.: Fori Aragonum 1476/1477, Neudruck 1979; Schwarz, K.,
Aragonische Hofordnungen, 1914; Klüpfel, L., Verwaltungsgeschichte des
Königreichs Aragon, 1915; Vidal mayor, hg. v. Tilander, G., 1956; Lalinde
Abadía, J., Virreyes y lugartenientes, Cuadernos de historia de España 1960,
98; Lalinde Abadía, J., La gobernación general en la corona de Aragón, 1963;
Molho, M., El Fuero de Jaca, 1964; Lalinde Abadia, J./Fairen Guillen, V., Die
aragonesischen Verfassungsprozesse, ZRG GA 91 (1974), 116; Los Fueros de Aragón,
1976; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte,
hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,258
Arba ‘at ha-Turim →Jakob Ben Ascher
Arbeit (Wort bereits germanisch) ist die
auf Schaffung von Werten gerichtete körperliche oder geistige Tätigkeit des
Menschen. Steht ursprünglich die damit verbundene Mühe im Mittelpunkt, so
verlagert sich der Bedeutungskern besonders seit dem 19. Jh. auf die
Unselbständigkeit und Fremdbestimmtheit der Tätigkeit. Hinsichtlich der A.
treten deshalb, obwohl bereits im Mittelalter das dauernde Vorkommen
vertraglich vereinbarter Arbeitsverhältnisse in Stadt und Land und die
beständige Sorge der Obrigkeit für Reglementierung der Entlohnung bezeugt sind,
erst seit etwa 1840 Arbeitgeber und Arbeitnehmer einander gegenüber. Bezüglich
der A. schließen sie den →Arbeitsvertrag, dessen Gestaltung Teil des →Arbeitsrechts
ist, für das sich das besondere →Arbeitsgericht ausbildet. Bereits im
19. Jh. wird auch die Sicherung eines Rechtes des Einzelnen auf A. verlangt.
Lit.: Künßberg, E. Frhr. v., Arbeit und Rhythmus im
Rechtsleben, ZRG GA 41 (1920), 370; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972,
154; Schröder, R., Zur Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984; Le travail
au Moyen Age, hg. v. Hamesse, J. u. a., 1990; Jansen, R., Die
Arbeitsverhältnisse an den deutschen Porzellanmanufakturen, 1990; Benöhr, H.,
Das Recht auf Arbeit in Frankreich 1848, ZRG GA 109 (1992), 179; Ritter, G.,
Arbeiter, Arbeiterbewegung und soziale Idee in Deutschland, 1996; Sellier, U.,
Die Arbeiterschaftgesetzgebung, 1998; Brückner, W., Arbeit macht frei, 1998;
Brandt, P., Geschichtliche Entwicklung und heutige Bedeutung des Begriffs der
gefahrgeneigten Arbeit, 1998; Geschichte und Zukunft der Arbeit, hg. v. Kocka,
J. u. a., 2000; Fossier, R., Le travail au moyen âge, 2000; Schaller, K.,
Einmal kommt die Zeit, 2001; Guinand, C., Die Internationale
Arbeitsorganisation (ILO), 2003; Postel, V., Arbeit im Mittelalter, 2006; Steinfeld,
R., Free Wage Labor and the Suffrage in Nineteenth Century England, ZRG GA 123
(2006), 267; Postel, V., Arbeit und Willensfreiheit im Mittelalter, 2009;
Rijkers, F., Arbeit - ein Weg zum Heil, 2009; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Meskill, D., Optimizing
the German Workforce, 2010; Humann, D., „Arbeitsschlacht“ Arbeitsbeschaffung
und Propaganda in der NS-Zeit 1933-1939, 2011; Keiser, T., Vertragszwang und
Vertragsfreiheit im Recht der Arbeit von der frühen Neuzeit bis in die Moderne,
2013
Arbeiter (Wort 1233-1267) ist der körperliche Arbeit verrichtende Arbeitnehmer.
Lit.: Kulemann, W., Der Arbeiterschutz,
1893, Neudruck 2013; Bödiker, T., Die Arbeiterversicherung, 1895, Neudruck
2013; Lorenz, A., Kleine Geschichte der
Arbeiterbewegung in Deutschland von 1848 bis heute, 2009; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010;
Arbeiterkammer ist die in Österreich ab 1872 geplante, mit Gesetz vom 26. 2. 1920
eingerichtete, 1938 aufgelöste, durch Gesetz vom 20. 7. 1945 wiedererrichtete
Vertretung der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten), die maßgeblich bei
der Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts mitgewirkt hat.
Arbeitnehmer (Wort 1848) ist der im
Arbeitsverhältnis die Arbeit ausführende Beteiligte im Gegensatz zum
Arbeitgeber (Wort 1847).
Lit.: Pflaume, H., Organisation
und Vertretung der Arbeitnehmer in der Bewegung von 1848/1849, 1934; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Arbeitsgericht ist das im Deutschen Reich 1926 für die erste Instanz
(RGBl. 1926, 507, Inkrafttreten am 23. 12. 1926 bzw. 1. 7. 1927) geschaffene
Eingangsgericht der vor allem auf Wunsch der Arbeitnehmerseite für
Streitigkeiten aus Arbeitsverträgen zuständigen, 1946/1953 gänzlich von der
ordentlichen Gerichtsbarkeit verselbständigten Arbeitsgerichtsbarkeit (1927
Reichsarbeitsgericht). Vorläufer des Arbeitsgerichts ist ein besonderes, mit
Arbeitgeberbeisitzern und Arbeitnehmerbeisitzern besetztes Gewerbegericht
(1890, Österreich 1898). Es geht seinerseits auf den in Frankreich (Lyon 1806)
von Napoleon auf Wunsch der Arbeitnehmer errichteten Conseil de prud’hommes
zurück, der linksrheinisch nachgebildet (1808 Aachen-Burtscheid) und später in
Preußen (1845) und im Norddeutschen Bund (1869) beibehalten wird. Noch früher
gibt es in Preußen im 18. Jh. Fabrikdeputationen und im Mittelalter allgemein
auch Entscheidungen innerhalb der Zünfte.
Lit.: Köbler, DRG 234, 261; Kaskel, W., Die
Arbeitsgerichtsbarkeit 1929; Globig, K., Gerichtsbarkeit als Mittel sozialer
Befriedung, 1985; Linder, M., The Supreme Labor Court, 1987; Brand, J.,
Untersuchungen zur Entstehung der Arbeitsgerichtsbarkeit, Bd. 1 1990;
Schöttler, P., Zur Mikrogeschichte der Arbeitsgerichtsbarkeit,
Rechtshistorisches Journal 9 (1990), 127; Weiß, J., Arbeitsgerichtsbarkeit,
1994; 50 Jahre saarländische Arbeitsgerichtsbarkeit, hg. v. Präsidenten des
Landesarbeitsgerichts, 1997; 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit des Landes
Schleswig-Holstein, 1997; Brand, J., Untersuchungen zur Entstehung der Arbeitsgerichtsbarkeit
in Deutschland, Bd. 2 2002, Bd. 3 2008; Bachem-Rehm, M., Die katholischen
Arbeitervereine im Ruhrgebiet 1870-1914, 2004; Zimmermann, U., Die Entwicklung
der Gewerbegerichtsbarkeit in Deutschland, 2005
Arbeitsgesetzbuch ist das für das →Arbeitsrecht geschaffene Gesetzbuch
(z. B. Deutsche Demokratische Republik 12. 4. 1961, 23. 11. 1966, 1977).
Lit.: Kroeschell, DRG 3
Arbeitskampf (nach Kittner erster bekannter
Arbeitskampf auf deutschem Boden Breslau 1329) →Aussperrung, Streik
Lit.: Die Entwicklung des Arbeitskampfrechts, hg. v. Pohl,
H., 1980; Sieg’l, C., Arbeitskämpfe seit dem Spätmittelalter, 1993; Schröder,
R., Der gewerbliche Kampf, (in) Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter,
2000, 533; Dallmann, C., Die Anfänge des französischen Arbeitskampfrechts,
Diss. jur. Würzburg 2002; Kittner, M., Arbeitskampf, 2005 (61
Fallschilderungen zwischen 1155 v. Chr. und 2003 n. Chr.); Weber, P.,
Gescheiterte Sozialpartnerschaft - Gefährdete Republik, 2010; Arbeitskämpfe im
Zeichen der Selbstermächtigung, hg. v. Leder, A., 2012
Arbeitslosenversicherung ist die bescheidenen gemeindlichen Anfängen (1913 in 13
deutschen Gemeinden eine Arbeitslosenunterstützung vorhanden) folgend von
1918 an geschaffene, 1927 einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes zur
Selbstverwaltung übertragene, 1969 aufgabenerweiternd im Arbeitsförderungsgesetz
geregelte und zum 1. 1. 1998 in das Sozialgesetzbuch (III) überführte →Sozialversicherung
gegen die wirtschaftlichen Folgen des Mangels einer Erwerbstätigkeit.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 233, 241;
Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, hg. v. Benöhr, H., 1991;
Führer, K., Arbeitslosigkeit und die Entstehung der Arbeitslosenversicherung,
1990; Lewek, P., Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung, 1992; Dorn,
U., Arbeitslosigkeit, ZNR 1993, 12; Fukuzawa, N., Staatliche Arbeitslosenunterstützung
in der Weimarer Republik, 1995; Raithel, T. u. a., Die Rückkehr der
Arbeitslosigkeit, 2009
Arbeitslosigkeit →Arbeitslosenversicherung
Arbeitsmündigkeit →Mündigkeit
Lit.: Gefaeller, W., Entstehung und Bedeutung der
Arbeitsmündigkeit, 1968
Arbeitsrecht ist
das die →Arbeit betreffende Recht. Es wird trotz der bereits im
Hochmittelalter vorhandenen und seit dem 16. Jh. auch von den Landesherren geordneten
Tätigkeiten als Gesinde, Seemann, Bergmann, Kaufmannsdiener oder
Handwerksgeselle als Rechtsgebiet erst am Beginn des 20. Jh.s verselbständigt
(Stadthagen 1895 Arbeiterrecht, Sinzheimer 1907f./1914, Potthoff 1925), nachdem
sich im 19. Jh. die obrigkeitlichen und genossenschaftlichen Bindungen infolge
des Liberalismus lösen (z. B. Bauernbefreiung) und →Arbeit zum
Gegenstand freier vertraglicher Vereinbarung wird. Als erste gesetzliche
Regelungen erscheinen Arbeitsschutzbestimmungen (England 1802, Preußen 1839,
Truckverbot 1849/1869, Frauenschutz 1878, Gewerbeaufsicht 1878), die das deutsche
Arbeiterschutzgesetz von 1891 verallgemeinert. Flankierend wirkt die →Sozialversicherung.
Die seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s allmählich entwickelte Kollektivierung
des Arbeitsrechts (1891 Arbeiterausschüsse, 1916 Hilfsdienstgesetz) findet einen
ersten Abschluss in der →Tarifvertragsverordnung (1918) und der zugehörigen
Schlichtungsverordnung (1923). Durch die nationalsozialistische Regierung
wird dann das kollektive A. durch eine autoritäre Arbeitsverfassung (1934
Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit) ersetzt, die nach 1945 wieder
beseitigt wird. 1949 wird das Tarifvertragsrecht neu gestaltet, 1951 die
Mitbestimmung in der Montanindustrie ausgedehnt, in den Folgejahren eine Reihe
weiterer Gesetze erlassen bzw. neu gefasst. Wo der Gesetzgeber nicht tätig zu
werden vermag, tritt ersatzweise die Arbeitsgerichtsbarkeit mit Richterrecht
ein. In der Deutschen Demokratischen Republik wird 1961 ein Gesetzbuch der
Arbeit erlassen, 1978 ein Arbeitsgesetzbuch. In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft,
Europäischen Gemeinschaft bzw. Europäischen Union gewinnt das europäische
Recht an Bedeutung (z. B. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
Europäische Sozialcharta 1961). Erste Darstellungen des Arbeitsrechts stammen
von P. Lotmar (1902/1908) und H. Sinzheimer (1907f./1914). Als Besonderheit
des Arbeitsrechts wird lange Zeit die Haftungseinschränkung bei →gefahrgeneigter
Tätigkeit angesehen.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 215, 227, 241;
Sinzheimer, H., Über den Grundgedanken und die Möglichkeit eines einheitlichen
Arbeitsrechts in Deutschland, 1914; Ebel, W., Gewerbliches Arbeitsvertragsrecht
im Mittelalter, 1934; Schmieder, E., Geschichte des Arbeitsrechts im deutschen
Mittelalter, 1939; Siebert, W., Die Entwicklung der staatlichen
Arbeitsverwaltung, 1943; Anton, G., Geschichte der preußischen
Fabrikgesetzgebung, 1953; Schmelzeisen, G., Polizeiordnungen und Privatrecht,
1955; Teuteberg, H., Geschichte der industriellen Mitbestimmung, 1961; Ebel,
W., Quellen zur Geschichte des deutschen Arbeitsrechts bis 1849, 1964; Mampel,
S., Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland, 1966; Wedderburn,
K., Cases and materials on labour law, 1967; Weidmann, P., Die soziale
Entwicklung des zürcherischen Arbeitsrechts von 1815-1870, Diss. jur. Zürich
1971; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,3,3635; Ramm, T.,
Die Arbeitsverfassung des Kaiserreichs, FS W. Mallmann, 1978; Ramm, T., Die
Arbeitsverfassung der Weimarer Republik, (in) In memoriam Sir Kahn-Freund,
1980; Umlauf, J., Die deutsche Arbeiterschutzgesetzgebung 1880-1980, 1980; Wege
zur Arbeitsrechtsgeschichte, hg. v. Steindl, H., 1984; Schröder, R., Zur
Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984; Tschudi, H., Geschichte des
schweizerischen Arbeitsrechts, 1987; Lewisch, P., Der Wandel von Arbeitsethos
und Arbeitsrecht in Österreich in der Zeit von Maria Theresia bis zum ABGB,
1988; Bohle, T., Einheitliches Arbeitsrecht in der Weimarer Republik, 1990;
Wahsner, R., Arbeitsrecht unter’m Hakenkreuz, 1994; Rückert, J., Beschreibende
Bibliographie zur Geschichte des Arbeitsrechts, 1996; Kim, Y., Die Entwicklung
des Rechts der Arbeitnehmerhaftung, Diss. jur. Freiburg im Breisgau 1996;
Benöhr, H., Fast vier Tropfen sozialen Öls, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G.
u. a., 1997; Sellier, U., Die Arbeiterschutzgesetzgebung im 19. Jahrhundert,
1998; Die Entstehung des Arbeitsrechts in Deutschland, hg. v. Nutzinger, H.,
1998; Rudischhauser, S., Vertrag, Tarif, Gesetz. Der politische Liberalismus
und die Anfänge des Arbeitsrechts in Frankreich 1890-1902, 1999; Thiele, M.,
Die Auflösung von Arbeitsverhältnissen, 1999; Steinmetz, W., Begegnungen vor
Gericht, 2001; Bornheim, S., Die arbeitsrechtliche Normsetzung des
Reichskommissariats in den Niederlanden, 2002; Böhm, A., Arthur Philipp
Nikisch, 2003; Hermel, M., Karl Flesch, 2004; Schmoeckel, M., Rechtsgeschichte
der Wirtschaft, 2008; Däumichen, N., Erich Molitor - Mitbegründer der neueren
Arbeitsrechtswissenschaft, 2012; Pierson, T.,
Die juristische Implementation und (De-)Regulierung des sogenannten
Normalarbeitsverhältnisses nach 1949, ZRG GA 129 (2013), 305
Arbeitsverfassung →Arbeitsrecht
Arbeitsvertrag (Wort) 1793) ist der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die entgeltliche
Leistung von →Arbeit geschlossene →Vertrag. Anfangs individuell
ausgehandelt wird sein Inhalt unter Einschränkung der individuellen
Vertragsfreiheit zunehmend kollektiv gestaltet (Tarifvertrag). Seit 1995 wird
grundsätzlich die Schriftform angestrebt.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Lotmar, P., Der Arbeitsvertrag,
2. A. hg. v. Rehbinder, M., 2001; Europäisches Arbeitsvertragsrecht, hg. v.
Molitor, E. u. a., 1928ff.; Ebel, W., Gewerbliches Arbeitsvertragsrecht im
deutschen Mittelalter, 1934; Schmieder, E., Geschichte des Arbeitsrechts im
deutschen Mittelalter, 1939; Gellbach, H., Arbeitsvertragsrecht der Fabrikarbeiter
im 18. Jahrhundert, 1939; Kaiser, A., Zum Verhältnis von Vertragsfreiheit und
Gesellschaftsordnung während des 19. Jahrhunderts, insbesondere in den
Auseinandersetzungen über den Arbeitsvertrag, 1972; Söllner, A., Der
industrielle Arbeitsvertrag in der deutschen Rechtswissenschaft des 19.
Jahrhunderts, (in) Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 1972, 288;
Vietinghoff-Scheel, E. v., Gewerbliche Arbeitsverhältnisse in Preußen, Diss.
jur. Göttingen 1972; Ebert, K., Der industrielle Arbeitsvertrag in der
österreichischen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, ZRG
GA 92 (1975), 143; Söllner, A., Entwicklungslinien im Recht des Arbeitsverhältnisses,
(in) NS-Recht in historischer Perspektive, hg. v. Institut für Zeitgeschichte,
1981, 135; Alonso Olea, M., Von der Hörigkeit zum Arbeitsvertrag, 1981; Wild,
T., Die Entwicklung des Gesamtarbeitsvertragsrechts, 1984; Klippel, D., Der
Lohnarbeitsvertrag in Naturrecht und Rechtsphilosophie, (in) Geschichtliche
Rechtswissenschaft, hg. v. Köbler, G., 1990; Entwürfe zu einem deutschen
Arbeitsvertragsgesetz mit dem Arbeitsgesetzbuch der DDR von 1990 und dem
österreichischen Entwurf einer Teilkodifikation des Arbeitsrechts von 1960,
hg. v. Ramm, T, 1992; Becker, M., Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis, 1995;
Thiele, A., Die Auflösung von Arbeitsverhältnissen, 2000; Becker, M.,
Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis während der Weimarer Republik und in der
Zeit des Nationalsozialismus, 2005; Bausback, M., Der Bestandsschutz des
Arbeitsverhältnisses, 2007; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010; Totseva, M., Grundlagen der
Arbeitsvertragstheorie im 19. Jahrhundert in Deutschland und England, 2013
Arbeitszeit ist
die für →Arbeit aufzuwendende Zeit des Arbeitnehmers. Ihre Bestimmung
ist Ausfluss der Verrechtlichung des Arbeitsverhältnisses. Im Zug der Industrialisierung
verlängert sich die A. durch Wegfall von Feiertagen erkennbar (um 20 Prozent?).
Am 23. 11. 1918 wird im →Deutschen Reich der Achtstundentag angeordnet
und am 21. 12. 1923 die A. durch die Arbeitszeitordnung sowie 1994 durch das
Arbeitszeitrechtsgesetz allgemein geregelt.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Bischoff, S., Arbeitszeitrecht in
der Weimarer Republik, 1987; Grabherr, S., Das Washingtoner
Arbeitszeitübereinkommen von 1919, 1992; Voth, H., Time and Work in England
1750-1830, 2000
arbiter (lat.
[M.]) Schiedsrichter, →Schiedsgericht
Lit.: Kampmann, C., Arbiter und
Friedensstiftung, 2001
arbiträr (Adj.) willkürlich, nach Ermessen (z. B. Strafe [lat. poena arbitraria],
möglich nach der Constitutio Criminalis Carolina 1532, ausgedehnt durch
Benedikt Carpzov 1595-1666, eingeschränkt durch das Strafgesetzbuch Josephs
II. von 1787 bzw. das Strafgesetzbuch Bayerns von 1813).
Arbitrium (lat. [N.])
Ermessen, Gutachten, Entscheid, Schiedsspruch
Lit.:
Meccarelli, M., Arbitrium iudicis und officialis im ius commune, ZRG GA 115
(1998), 552
archaisch (Adj.) altertümlich (anschaulich, einfach, mündlich)
Archäologie (Altertumskunde)
ist die Wissenschaft von den gegenständlichen Hinterlassenschaften (z. B.
Bauwerke, Geräte, Münzen, Knochen) von Menschen, die bei günstigen
Voraussetzungen auch ethnische Unterschiede (z. B. im Frühmittelalter) wahrscheinlich
machen kann.
Lit.: Amira, K. v./Schwerin, C. Frhr. v.,
Rechtsarchäologie, 1943; Niemeyer, H., Einführung in die Archäologie, 3. A.
1983; Enzyklopädie der Archäologie, hg. v. Daniel, G., 1996; Fehring, G., Die
Archäologie des Mittelalters, 3. A. 2000; Sinn, U., Einführung in die
klassische Archäologie, 2000; Halle, U., Die Externsteine sind bis auf weiteres
germanisch!, 2002; Martini, W., Sachwörterbuch der klassischen Archäologie,
2003; Bäbler, B., Archäologie und Chronologie, 2004; Die Aktualität des Archäologischen,
hg. v. Ebeling, K. u. a., 2004; Frommer, S., Historische Archäologie, 2007;
Eberhardt, G., Spurensuche in der Vergangenheit, 2010; Ickerodt, U.,
Einführung in das Grundproblem des archäologisch-kulturhistorischen
Vergleichens und Deutens, 2010
Archidiakon ist
seit etwa 365 der Leiter der →Diakone einer Bischofskirche, der sich zum
Stellvertreter des →Bischofs entwickelt, ehe er bis zum 19. Jh.
weitgehend verschwindet.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Reinhardt, R., Das
Archidiakonat auf dem Konzil von Trient, ZRG KA 61 (1975), 84
Archipresbyter ist der seit Anfang des 5. Jh.s nachweisbare Stellvertreter
des →Bischofs bei Messfeier und Spendung der Sakramente, im frühen
Mittelalter der Leiter der Priester einer Taufkirche.
Lit.: Faure, J., L’archiprêtre, 1911
Archiv ist
die Einrichtung zur (geordneten) Sammlung und Aufbewahrung sowie Verwertung von
Schriftgut (z. B. Akten, Urkunden, Karten, Pläne, Bilder, Dateien, Programme).
Archive sind bereits in der Antike dort vorhanden, wo (umfangreiches)
Schriftgut anfällt. Hieran schließt sich seit dem 3. Jh. die christliche Kirche
an, deren frühmittelalterliches Schriftgut gleichwohl zu großen Teilen verloren
ist. Im weltlichen Bereich werden Archive mit dem 12. Jh. sichtbar. Für das
Heilige römische Reich setzt eine dauerhafte zentrale Archivierung erst mit
König bzw. Kaiser Maximilian am Übergang zur Neuzeit ein. Das Hauptproblem der
Gegenwart ist die große Menge des Schriftguts, das nach dem Grundsatz der
Archivwürdigkeit von wissenschaftlich ausgebildeten Archivaren (München 1821,
Marburg 1894) gesichtet werden muss.
Lit.: Köbler, DRG 105, 145; Goldinger, W., Geschichte des
österreichischen Archivwesens, 1957; Schellenberg, T., Akten- und Archivwesen,
1961; Kleinau, H., Übersicht über die Bestände des niedersächsischen
Staatsarchivs in Wolfenbüttel, 1963; Meisner, H., Archivalienkunde, 1969;
Papritz, J., Archivwissenschaft, 1976; Gesamtarchiv Schenk von Stauffenberg,
Herrschaft Wilflingen, hg. v. Becker, O., 1981; Archiv der Freiherren von
Woellwarth. Urkundenregesten 1359-1840, bearb. v. Hofmann, N., 1991; Die
Bestände des Generallandesarchivs Karlsruhe, Teil 7 Spezialakten der badischen
Ortschaften (229), bearb. v. Rupp, R., 1992; Franz, E., Einführung in die
Archivkunde, 4. A. 1993, 5. A. 1999, 8. unv. A. 2010; Gaisberg-Schöckingensches
Archiv, bearb. v. Müller, P., 1993; Füchtner, J., Quellen rheinischer Archive
zur neuzeitlichen Personen- und Familiengeschichte, 1995; Bayerisches
Hauptstaatsarchiv, red. Liess, A., 1996; Musial, T., Staatsarchive im Dritten
Reich, 1996; Strauch, D., Das Archivalieneigentum, 1998; Weiser, J., Geschichte
der preußischen Archivverwaltung, 2000; Handbuch der bayerischen Archive, hg.
v. bayerischen Archivtag, 2001; Die archivalischen Quellen, hg. v. Beck, F. u.
a., 2002, 4. A. 2004, 5. A. 2012; Brenner-Wilczek, S. u. a., Einführung in die
moderne Archivarbeit, 2006; Schoch, F. u. a., Archivgesetz, 2007; Schenk, D.,
Kleine Theorie des Archivs, 2008; Schreyer, H., Das staatliche Archivwesen der
DDR, 2008; Les archives dans l’université, hg. v. Robert, O., 2009; Staatliche
Archive als landeskundliche Kompetenzzentren, hg. v. Kretzschmar, R., 2010;
Archivische Informationssysteme, hg. v. Maier, G. u. a., 2010; Rechtsfragen
der Nutzung von Archivgut, hg. v. Rehm, C. u. a., 2010; Archivpflege und
Archivalienschutz. Das Beispiel der Familienarchive und „Nachlässe“, hg. v.
d. Generaldirektion, 2011; Gewalt der Archive, hg. v. Weitin, T., 2012; Vogt,
A., Archivführer zur Wissenschaftsgeschichte, 2013; Stadtgedächntis
Stadtgewissen Stadtgeschichte, 2013; Friedrich, M., Die Geburt des Archivs,
2013; Hochedlinger, M., Österreichische Archivgeschichte, 2013
Arco
Lit.: Waldstein-Wartenberg, B.,
Geschichte der Grafen von Arco, 1971
Arelat (N.) Gebiet bzw. Reich um Arles in Burgund im Mittelalter
Arenga ist
die der spätrömischen Rhetorik entstammende Einleitungsformel mittelalterlicher
Urkunden, die mit meist sehr allgemeinem Inhalt vom Protokoll (Urheber,
Empfänger u. s. w.) zum Text (Inhalt)
überleitet.
Lit.: Fichtenau, H., Arenga, 1957
argentarius (lat.
[M.]) Bankier, →receptum (argentarii)
Ärgere Hand
(lat. conditio [F.] vilior) ist die Kurzfassung des aus dem Grundsatz der
Ebenburt (→Ebenbürtigkeit) an manchen Stellen folgenden mittelalterlichen
Rechtssatzes, dass Kinder aus Ehen von Angehörigen unterschiedlicher Stände
dem Stand des schlechter geborenen Elternteils angehören. Dieser Grundsatz
nimmt vielleicht seinen Ausgang bei Ehen zwischen Unfreien und Freien. Mit der
Durchsetzung der Gleichheitsidee (1789) verliert er seine Bedeutung.
Lit.: Hübner 104; Kroeschell, DRG 1; Fehr, H., Die
Rechtsstellung der Frau und der Kinder, 1912; Binder-Krieglstein, R.,
Österreichisches Adelsrecht, 2000
Arglist (Wort um 1000, arglistig um 1300) ist
die hinterhältige Gesinnung. Im klassischen römischen Schuldrecht verletzt jedes
auf A. (lat. dolus [M.] malus) beruhende Verhalten ohne weiteres die
Vertragstreue, so dass die Einrede (lat. [F.] exceptio) der A. auch ohne
besondere Vereinbarung offensteht. In der Neuzeit bewirkt A. bei Täuschung die
Anfechtbarkeit der dadurch beeinflussten Willenserklärung und kann arglistige
Täuschung Strafbarkeit wegen Betrugs nach sich ziehen.
Lit.: Kaser § 8 V; Köbler, DRG 42, 49; Braun, F., Ohne
Arglist, ZRG GA 54 (1934), 246; Raschke, M., Der Betrug im Zivilrecht, 1900;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Arianer ist
der Angehörige der 325 auf dem Konzil von Nizäa verworfenen Lehre des
alexandrinischen Priesters Arius, nach der Christus Gott nicht wesensgleich
ist. Goten, Vandalen und Langobarden sind bis ins 6. Jh. A., die Franken
dagegen von Anfang an Athanasianer.
Lit.: Courtois, C., Les Vandales et L’Afrique, 1955;
Meslin, M., Les Ariens, 1967; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A.
1972
Arier ist
der Angehörige eines arisch (indoiranisch) sprechenden, seit der Mitte des 2.
Jt. v. Chr. geschichtlich nachweisbaren, auf die →Indogermanen
zurückführbaren Volkes. Seit dem 19. Jh. wird zunächst A. mit Indogermane
gleichgesetzt und dann allmählich A. als Angehöriger der nordischen →Rasse
verstanden. Im Dritten Reich bedeutet A. in antijüdischer Veränderung den
Nichtjuden.
Lit.: Bajohr, F., „Arisierung“ in
Hamburg, 1997
Arimanne (Heermann,
lat. [M.] exercitalis) ist bei den Langobarden im Frühmittelalter der vollfreie
Krieger, insbesondere möglicherweise der auf Königsland angesiedelte, dem König
verpflichtete Krieger. Unklar sind die Bezüge zu einer vom 10. bis zum 13. Jh.
belegten Abgabe arimannia.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Cavanna, A., Fara sala arimannia,
1967; Jarnut, J., Beobachtungen zu den langobardischen arimanni und
exercitales, ZRG GA 88 (1971), 1; Jarnut, J., Prosopographische und
sozialgeschichtliche Studien zum Langobardenreich in Italien, 1972; Strukturen
und Wandlungen der ländlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert,
hg. v. Dilcher, G. u. a., 2000
Arisierung ist im Dritten Reich
(Adolf →Hitlers) die überwiegend rechtswidrige Verdrängung der →Juden
aus dem Berufsleben und der Wirtschaftstätigkeit des Deutschen Reiches (u. a.
Verordnungen vom 26. 4. 1938, 25. 11. 1941), die nach 1945 nur teilweise
ausgeglichen wird.
Aristokratie (F.) Adelsherrschaft, Adel (im
Gegensatz zu Monarchie und Demokratie sowie auch zu Oligarchie)
Aristoteles (Stageira 384 v. Chr.-Chalkis/Euböa 322 v. Chr.)
Schüler Platos
Lit.: Jaeger, W., Aristoteles,
1923; Düring, I., Aristoteles, 1966; Flashar, H., Aristoteles. Lehrer des
Abendlandes 2013
Armenier ist der Angehörige des armenisch
sprechenden, indogermanischen Volkes (10,4 Millionen), das zu Beginn des 20.
Jh.s von Türken bekämpft wird.
Lit.: Der Genozid an den
Armeniern, hg. v. Kieser, H. u. a., 2006
Armenrecht ist
die einstweilige Befreiung einer armen (unbemittelten) Partei von den Kosten
eines Rechtsstreits. Sie ist eine besondere Ausprägung der Bevorzugung wegen
Armut, wie sie bereits von der mittelalterlichen Kirche gefordert wird. Sie
findet sich etwa in der Kammergerichtsordnung bzw. Reichskammergerichtsordnungen
von 1471 (§ 7), 1495 (§ 27), 1555 (1, 41) oder in der Constitutio Criminalis
Carolina (Art. 47 CCC). In Deutschland wird 1980 das A. durch die →Prozesskostenhilfe
(1981 §§ 114ff. ZPO) ersetzt.
Lit.: Köbler, DRG 155, 263; Schott, C., Armenfürsorge,
Bettelwesen und Vagantenbekämpfung in der Reichsabtei Salem, 1978; Mollat du
Jourdin, M., Die Armen im Mittelalter, 2. A. 1987; Scherner, K., Arme und
Bettler, ZNR 1988, 129; Dorn, U., Öffentliche Armenpflege in Köln, 1991; Krauß,
M., Armenwesen und Gesundheitsfürsorge in Mannheim vor der Industrialisierung,
1993; Tierney, B., Medieval poor law, 1995; Hippel, W. v., Armut,
Unterschichten, Randgruppen in der frühen Neuzeit, 1995, 2. A. 2013; Eser, S.,
Verwaltet und verwahrt, 1996; Hudemann-Simon, C., L’État et les pauvres, 1997;
Hartlief, E., Die Düsseldorfer Armenversorgungsanstalt, Diss. jur. Köln 1998;
Wohlrab, K., Armut und Staatszweck im deutschen Naturrecht, 1998; Sachße, C. u.
a., Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, 2. A. 1998; Humborg, M., Das
Armenrecht, Diss. jur. Münster 1999; Rosenbaum, U., Liebestätigkeit und
Armenpflege in der Stadt Zwickau, 1999; Jütte, R., Arme, Bettler,
Beutelschneider, 2000; Gerhold, W., Armut und Armenfürsorge im
mittelalterlichen Island, 2002; Armut im Mittelalter, hg. v. Oexle, O., 2004;
Armut und Armenfürsorge in der italienischen Stadtkultur, hg. v. Helas, P. u.
a., 2006; Being poor in modern Europe, hg. v. Gestrich, A. u. a., 2006; Norm
und Praxis der Armenfürsorge in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hg. v.
Schmidt, S. u. a., 2006; Armenfürsorge und Wohltätigkeit - Ländliche Gesellschaften
in Europa 1850-1930, hg. v. Brandes, I. u. a., 2008; Ludyga, H., Obrigkeitliche
Armenfürsorge im deutschen Reich, 2010; Wagner, A., Gleicherweiß als wasser,
2011; Schallmann, J., Arme und Armut in Göttingen 1860-1914, 2014
Armesünder ist
ursprünglich der in der Kirche bemitleidenswerte Sünder (lat. miser peccator),
in der frühen Neuzeit der dem peinlichen Gericht überantwortete Täter,
insbesondere wenn er bereits (zum Tod) verurteilt ist.
Lit.: Künßberg, E. Frhr. v., Rechtliche Volkskunde, 1936;
Radbruch, G., Elegantiae iuris criminalis, 2. A. 1950, 163
Arnstein
Lit.: Heinrich, G., Die Grafen von Arnstein, 1961
Arnulfinger ist der Angehörige der nach Bischof
Arnulf von Metz benannten Familie der Pippiniden oder späteren Karolinger. Von
den Arnulfingern sind (ab etwa 650) 34 Urkunden und ein Brief überliefert
(davon elf Fälschungen oder starke Verfälschungen), zu denen 56 verlorene
Urkunden hinzuzrechnen sind (90 Privaturkunden) (2011 23 echte Urkunden, ein
Brief, 12 mittelalterliche Fälschungen, [vier moderne Fälschungen,] 56
verlorene Urkunden?).
Lit.: Die Urkunden der Arnulfinger,
hg. v. Heidrich, I., 2001, vgl. http://www.igh.histsem.uni-bonn.de; Die Urkunden
der Arnulfinger, hg. v. Heidrich, I., 2011
arra (lat.
[F.]) Angeld, →arrha
Arras
Lit.: Kéry, L., Die Errichtung des
Bistums Arras 1093/1094, 1994
Arrest ist
die Verhaftung (eines Menschen oder einer Sache) oder Beschlagnahme und
insbesondere das Eilverfahren des Zivilprozesses zur Sicherung der Zwangsvollstreckung
wegen einer Geldforderung oder wegen eines Anspruchs, der in eine Geldforderung
übergeht. Im römischen Recht fehlt eine solche Einrichtung. Die Bezeichnung A.
erscheint seit dem Anfang des 13. Jh.s in französischen Quellen und wenig
später auch in lateinischen Texten (arrestare, arrestum, Frankfurt am Main
1297, Liber Sextus 1298, Sachsenspiegelvulgatfassung um 1340, wissenschaftlich
erörtert von Andreas Gail 1586, David Mevius 1674). Seit dem 17. Jh. verdrängen
arrestieren und Arrest allmählich die ältere deutsche Bezeichnung Kummer für
ein wohl schon seit dem frühen Mittelalter bekanntes, (nach Hans Planitz aus
einem Handhaftverfahren erwachsenes,) seit dem späteren 12. Jh. (Köln 1178, beschleunigtes
gerichtliches Verfahren Hagenau 1164) durch Privilegien und Verträge urkundlich
bezeugtes Verfahren, bei dem vielleicht anfangs der Personalarrest als
außergerichtliche Selbsthilfemaßnahme des Gläubigers im Vordergrund steht, aber
schon seit dem 13. Jh. von dem Sacharrest zurückgedrängt wird. Seit dem Ende
des 13. Jh.s macht der Gläubiger bei Gericht seinen Anspruch glaubhaft und der
Richter ordnet die Anlegung des Arrests (meist bei Gericht) an., wobei erst
nach Durchführung eines ordentlichen Verfahrens eine Zwangsvollstreckung
erfolgen kann.
Lit.: Köbler, DRG 116, 202; Briegleb, H., Arrest und Kummer
- Vermischte Abhandlungen I 1868, 1; Wach, A., Der italienische Arrestprozess,
1868, Neudruck 1973; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter,
1879; Rudorff, H., Zur Rechtsstellung der Gäste im mittelalterlichen
städtischen Prozess, 1907; Kisch, G., Der deutsche Arrestprozess, 1914;
Planitz, H., Studien zur Geschichte des deutschen Arrestprozesses, ZRG GA 34
(1913), 49; Kisch, G., Der deutsche Arrestprozess, 1914; Planitz, H., Studien
zur Geschichte des deutschen Arrestprozesses – Der Fremdenarrest, ZRG GA 39
(1918), 223, 40 (1919), 87; Planitz, H., Grundlagen des deutschen
Arrestprozesses, 1922; Mahnke, H., Das Arrestverfahren in den Lübecker Ratsurteilen,
Diss. jur. Kiel 1961; Kraß, G., Das Arrestverfahren in Frankfurt am Main, 1996
Arrha (lat.
[F.] arra, arrabon) ist die nach semitischem Vorbild („altorientalischer
Arrhalvertrag“) im hellenistischen Recht bekannte, im entwickelten römischen
Recht entbehrliche Draufgabe (Angeld) bei einem Vertragsschluss. Wer
abredeuntreu wird, verwirkt im spätantiken Recht als Geber die a. an den Gegner
und muss sie als Nehmer in doppelter Höhe zurückgeben. Im Frühmittelalter
(Codex Euricianus 297, Lex Baiwariorum 16, 10, Lex Visigothorum 3, 1, 3-4 [für
Verlobung]) soll mit der Hingabe einer Teilleistung ein Vertrag geschlossen
worden sein, der vielleicht anfangs nur den Empfänger verpflichtet. Vielfach
wird die a. nur als Symbol gegeben, das von den Beteiligten sofort verschenkt
oder vertrunken wird. Seit dem Spätmittelalter verliert die auch als Weinkauf
(Worms 1498), Angeld (ABGB § 908 [1811]) oder Draufgabe (ALR I 5 § 207 [1794],
BGB § 337 [1896/1900]) bezeichnete a. außerhalb des Gesinderechts (Handgeld)
ihre schuldbegründende Bedeutung und nähert sich dem →Reugeld. In jedem
Fall hat die a. eine gewisse Beweisfunktion.
Lit.: Kaser § 41; Hübner 535ff.; Köbler, DRG 64, 91, 127;
Köbler, LAW; Stobbe, O., Zur Geschichte des deutschen Vertragsrechts, 1855;
Gierke, O., Schuld und Haftung, 1910; Calogirou, G., Die Arrha im
Vermögensrecht, 1911, Neudruck 2013; Gastreich, F., Die Draufgabe, 1933; Siems,
H., Handel und Wucher im Spiegel frühmittelalterlicher Rechtsquellen, 1992
Arrhalvertrag ist der aus dem Orient in das spätrömische Recht eindringende, unter
notwendiger Verwendung einer →arrha (Hingabe unter Anrechnung auf die Gesamtleistung
oder ohne Anrechnung) entstehende, vom Formalvertrag und vom Realvertrag zu
trennende →Vertrag.
Lit.: Köbler, DRG 91, 126, 164
Arrogation (F.) Annahme
Lit.: Seelentag, A., Ius pontificium cum
iure civili coniunctum - Das Recht der Arrogation in klassischer Zeit, 2013
Ars (F.) dictandi (lat.) ist die seit dem 12. Jh. auftretende Bezeichnung
für die Lehre vom Abfassen von Briefen und Urkunden, die auf Grund der antiken
Rhetorik und Grammatik am Anfang des 12. Jh.s in Oberitalien ausgebildet wird
([lat.] Praecepta [N.Pl.] dictamina 1111?).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Rockinger, L., Über Briefsteller
und Formelbücher, 1861; Schmale, F., Die Bologneser Schule der ars dictandi, DA
13 (1967); Schaller, D., Baldwin von Viktring, DA 35 (1979)
Ars (F.) notaria (lat.) ist die auf Grund antiker Vorläufer am Beginn des
13. Jh.s (ars notaria 1221) in Oberitalien (Bologna) verselbständigte Lehre
von der Beurkundung von Rechtshandlungen ([lat.] Formularium [N.] tabellionum
1200/1205, Rainerius Perusinus 1226-1233, Rolandus Passagerii [Summa Rolandina,
1255ff.]).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Anselmi, A., Le scuole di
notariato in Italia, 1926
Artes (F.Pl.) liberales (lat., Sg. ars liberalis) sind die in der römischen Antike
auf der Grundlage der griechischen Philosophie von Bürgern gepflegten
Wissenschaftsfächer (Grammatik, Rhetorik, Dialektik als sog. Trivium,
Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik als sog. Quadrivium), die im
Mittelalter den Gegenstand der artistischen Fakultät der Universität bilden
(schätzungsweise 200000 Studierende in Deutschland im Mittelalter ohne
späteren Übertritt in eine der drei höheren Fakultäten, 50-70 Prozent ohne
Graduierung).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Meyer, G., Die sieben freien Künste
im Mittelalter, 1886; Glorieux, P., La faculté des arts et ses maîtres aux
XIIIe siècle, 1971; Curtius, E., Europäische Literatur und lateinisches
Mittelalter, 9. A. 1978; Englisch, B., Die artes liberales im frühen
Mittelalter, 1994; Artisten und Philosophen, hg. v. Schwinges, R., 1999; Haage,
B./Wegner, W., Deutsche Fachliteratur der artes in Mittelalter und früher
Neuzeit, 2007
Articuli (M.Pl.) reprobati (lat., Sg. articulus reprobatus) sind die von Papst Gregor
XI. am 8. 4. 1374 auf Betreiben des Augustinermönchs Johannes →Klenkok
(Dekadikon, Magdeburg 1369) ohne wesentliche Auswirkung für nichtig erklärten
14 Artikel des →Sachsenspiegels, die kirchliches Verfassungsrecht
(Landrecht I 3 § 3, III 57 § 1, III 63 § 2), Verfahrensrecht (Landrecht I 18
§§ 2, 3, I 39, I 63 § 3, I 64, II 12 § 10) und Privatrecht (Landrecht I 6 § 2,
I 37, I 52 §§ 1, 2) betreffen.
Lit.: Köbler, DRG 117; Homeyer, C., Johannes Klenkok wider
den Sachsenspiegel, Abh. d. Ak. d. Wiss. Berlin, phil.-hist. Kl. 1855, 1856,
377; Böhlau, H., Zur Chronologie der Angriffe Klenkoks, ZRG GA 4 (1883), 118;
Brünneck, W. v., Zur Geschichte der articuli reprobati im Ermlande, ZRG GA 31
(1910), 426; Kirche und Staat, hg. v. Eichmann, E., Bd. 2 1914, Neudruck 1968,
159ff.; Kullmann, J., Klenkok und die „articuli reprobati“ des Sachsenspiegels,
Diss. jur. Frankfurt am Main 1959; Oppitz, K., Deutsche Rechtsbücher des
Mittelalters, Bd. 1 1990, 28; Der Sachsenspiegel als Buch, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R. u. a., 1991; Ocker, C., Johannes Klenkok, 1993
articulus (lat.
[M.]) Artikel
Artikel (M.) Gliedchen, Abschnitt
Artikelbrief ist der in Abschnitte gegliederte
Brief (z. B. Dienstvertrag für Söldner, Kriegsartikel, Zunftbrief, Forderungen
der Bauern 1525).
Lit.: Pelz, S., Die preußischen
und reichsdeutschen Kriegsartikel, Diss. jur. Hamburg 1979; Seebass, G.,
Bundesordnung und Verfassungsentwurf, 1988
Artikelprozess ist der im Spätmittelalter entwickelte römisch-kanonische
Zivilprozess, bei dem der Kläger nach der Erhebung der Klage und nach Durchführung
der Streitbefestigung seinen Vortrag in scharf abgegrenzte Behauptungen
einzelner Tatsachen ([lat. F.Pl.] positiones [bzw. articuli]) zerlegen (wahr,
dass) und der Beklagte dazu einzeln Antworten ([lat. F.Pl.] responsiones,
glaubt wahr bzw. glaubt nicht wahr) geben muss, so dass sich (aus diesen auch
als Artikel bezeichneten Positionen und Responsionen) leicht(er) das
Bestrittene und vom Kläger zu Beweisende ermitteln lässt. Der A. wird bereits
von der Reichskammergerichtsordnung des Jahres 1496 (Art. 12, ähnlich 1555,
1570) übernommen, wegen seiner Schwerfälligkeit unter dem Einfluss des
sächsischen Prozesses durch den jüngsten Reichsabschied von 1654 aber bis auf
die noch im 19. Jh. erlaubten Beweisartikel wieder aufgegeben (vgl. aber
Obliegenheit der Darlegung der Bestrittenheit oder Nichtbestrittenheit von
Tatsachen für den Beklagten der Gegenwart).
Lit.: Linde, v., Lehrbuch des deutschen gemeinen
Zivilprozesses, 7. A. 1850; Wetzell, G., System des ordentlichen
Zivilprozesses, 1861, 3. A. 1878; Budischin, J., Der gelehrte Zivilprozess,
1974; Wiegand, W., Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit, 1977;
Oestmann, P., Rechtsvielfalt vor Gericht, 2002; Lepsius, S., Von Zweifeln zur
Überzeugung, 2003
Artushof ist das von dem sagenhaften britischen
König Artus (um 500) abgeleitete gesellschaftliche Bürgernetzwerk in Hansestädten
(z. B. Danzig 1350) bzw. das ihm dienende Gebäude.
Lit.: Selzer, S., Artushöfe im
Ostseeraum, 1996
Arumaeus (van
Arum), Dominikus (Leeuwarden 1579-Jena 24. 2. 1637) wird nach Studien in
Franeker, Oxford, Rostock und Jena dort 1600 promoviert und 1602 zum
außerordentlichen Professor (1605 ordentlicher Professor) ernannt. Er
begründet die sich an deutschen Quellen ausrichtende, methodisch
gemeinrechtlich arbeitende Reichsstaatsrechtslehre, innerhalb deren er das
Reich als eine ständisch mitbestimmte Monarchie ansieht.
Lit.: Arumaeus, D., Commentarius de comitiis
Romano-Germanici Imperii, 1630; Hoke, R., Die Reichsstaatsrechtslehre des
Johannes Limnaeus, 1968; Stolleis, M., Geschichte des öffentlichen Rechts in
Deutschland, Bd. 1 1988; Friedrich, M., Geschichte der deutschen
Staatsrechtswissenschaft, 1997
Arzt ist der wissenschaftlich vorgebildete
Heilkundige.
Lit.: Niederhellmann, A., Arzt und
Heilkunde in den frühmittelalterlichen Leges, 1983; Täterschaft, Strafverfolgung,
Schuldentlastung, hg. v. Böhm, B. 2007; Laufs, A./Katzenmeier, C./Lipp, V.,
Arztrecht,
6. A. 2009; Tascher, G., Staat, Macht und ärztliche Berufsausbildung 1920-1956,
2010; Höftmann, D., Der
Vergütungsanspruch des Kassenarztes, 2013
As (lat.
[N.]) ist eine römische Geldeinheit.
Asega ist
eine Figur der (hoch)mittelalterlichen altfriesischen (Hunsigoer, Emsigoer,
Fivelgoer, Rüstringer und Westerlauwerschen) Rechtsquellen (17 Küren und 24
Landrechte), deren Alter (vorfränkisch?, nachkarolingisch?) und Bedeutung
(Gesetzessprecher?, Urteilsfinder?, Rechtskenner) umstritten sind.
Lit.: Jaekel, H., Abba, asega und redjeva, ZRG GA 27
(1906), 114; Gerbenzon, P., Der altfriesische asega, der altsächsische eosago
und der althochdeutsche esago, TRG 41 (1973), 75; Köbler, G., Zu Alter und
Herkunft des friesischen asega, TRG 41 (1973), 93
Asien ist der von Europa bis zum Pazifik reichende,
u. A. Indogermanen, Mongolen, Chinesen und Japaner beherbergende Kontinent.
Lit.: Nissen, H., Geschichte Altvorderasiens, 1999, 2. A. 2013; Krieger,
M., Geschichte Asiens, 2003; Mann, M., Geschichte Südasiens 1500 bis heute,
2010; Ostasiatisches Strafrecht, hg. v. Hilgendorf, E., 2010;
Askanier ist
der Angehörige eines ursprünglich alemannisch-fränkischen Geschlechts, das um
1000 am Harz erscheint. Unter Albrecht dem Bären († 1170) betreibt es die
Ostsiedlung und erwirbt 1180 das Herzogtum Sachsen (Gebiet um Wittenberg). Die
brandenburgischen Güter der A. fallen 1319 an die →Wittelsbacher, die
wittenbergischen 1422 (mit der 1356 in der Goldenen Bulle gesicherten
Kurfürstenwürde) an die →Wettiner und die lauenburgischen 1689 an die →Welfen.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, Historisches Lexikon;
Diederichs, A., Erbe und Erben Albrechts des Bären, VuG 28 (1938); Schmidt, E.,
Die Mark Brandenburg unter den Askaniern, 1973; Marcus, P., Herzog Bernhard von
Anhalt, 1993; Partenheimer, L., Albrecht der Bär, 2001
assecuratio (lat.
[F.]) →Versicherung
Assekuranz ist
die wohl im 17. Jh. aus Italien übernommene, im 19. Jh. verdrängte Bezeichnung
für die →Versicherung.
Assessor ist in der Spätantike der Rechtsberater hoher
Amtsträger, seit dem 15. Jh. (?) der
rechtsgelehrte Beisitzer eines Gerichts (z. B. des königlichen Kammergerichts
oder seit 1495 des Reichskammergerichts), seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s
der Anwärter auf eine feste Anstellung im höheren Staatsdienst.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 153; Smend, R., Das
Reichskammergericht, 1911; Jahns, S., Das Reichskammergericht und seine
Richter, Bd. 1f. 2003ff.; Mader, E., Die letzten Priester der Gerechtigkeit,
2005
Assise (mlat.
[F.] assisa) ist die Versammlung und die Gesamtheit der dort beschlossenen
Rechtssätze vor allem in Frankreich und England (z. B. Assise regum regni
Sicilie [von Ariano] 1140, Assise sur la ligece um 1165, Assize of Clarendon
1166 Assize of novel disseisin, Assize of Northampton 1176, Grand Assize 1179,
Assize of Woodstock 1184). In England entwickelt sich daraus die Laienjury, die
in Frankreich nach 1789 übernommen wird. Demgegenüber sind die Assisen von
Jerusalem private Sammlungen von Abhandlungen über das Recht des Königreichs
Jerusalem und Zyperns in französischer Sprache des 13. Jh.s.
Lit.: Köbler, DRG 108; Stenton, D., The Earliest Northamptonshire
Assize Rolls, 1940; Grandclaude, M., Étude critique sur les livres des Assizes
de Jérusalem, 1923; Dilcher, H., Normannische Assisen und römisches Recht,
1966; Dilcher, H., Die sizilianische Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II., 1975;
Jenks, S., Die Assisen von Clarendon (1166) und Northampton (1176), Ius commune
21 (1994), 149
Asso y del Río,
Ignacio (1742-1804) begründet 1771 mit den (span.) Instituciones (F.Pl.) del
derecho civil de Castilla ein aus partikularer Rechtssatzung schöpfendes, neben
das römische Recht tretendes gemeines spanisches (kastilisches) Privatrecht,
das begrifflich und systematisch noch römischrechtlich geprägt ist.
Lit.: Mora, C., Vida y obra de Don Ignacio de Asso y del
Río, 1972
Assyrer ist der Angehörige des im vorderen Orient
(mittleres und nördliches Zweistromland bzw. Irak) vom 2. Jahrtausend v. Chr.
an bedeutenden, das semitische Akkadische sprechenden, im späten 7. Jh. v.
Chr. den Medern und Persern unterliegenden Volks.
Lit.: Chicago
assyrian Dictionary, Bd. 1ff. 1921ff. (21 Bände mit 10000 S.); Cancik-Kirschbaum,
E., Die Assyrer, 2003
Asyl (N.) unverletzlich(er Ort), Zuflucht →Asylrecht
Asylrecht ist
das Recht der geschützten Zuflucht (politisch) Verfolgter. In griechischer und
späterer römischer Zeit besteht das sakral-magisch geprägte Recht, einem Täter
an einem heiligen Ort vorübergehend Schutz zu gewähren, für Tempel und wird von
dort im 5. Jh. auf christliche →Kirchen übertragen. Ob eine ähnliche
Einrichtung auch den Germanen bekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die
wohl durch römisch-christliches Vorbild geprägte karolingische Zeit schränkt
das A. auf noch nicht verurteilte Täter und auf bestimmte Fristen ein. Örtlich
wird später die Möglichkeit des Asylrechts auf Friedhof, Kloster, Pfarrhaus,
Richterhaus u. s. w. erweitert. Der
neuzeitliche Staat schafft das A. bis zum Ende des 18. Jh.s als geordneter
Rechtspflege entbehrlich bzw. entgegenstehend ab (Frankreich 1539, England
1625, Österreich 1787). Danach gewährt er aber selbst politisch Verfolgten
Schutz vor Verfolgung in einem Verfolgerstaat (Art. 16 GG 1949).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 259; Bindschedler, R.,
Kirchliches Asylrecht (Immunitas ecclesiarum localis) und Freistätten in der
Schweiz, 1906; Mittermaier, H., Die geschichtliche Entwicklung des Asylrechts,
Diss. jur. München 1950; Henßler, O., Formen des Asylrechts, 1954; Kimminich,
O., Die Geschichte des Asylrechts, 1978; Siems, H., Zur Entwicklung des
Kirchenasyls, (in) Libertas, 1991, 139; Reiter, H., Politisches Asyl im 19.
Jahrhundert, 1992; Theler, J., Asyl in der Schweiz, 1995; Gamauf, R., Ad
statuam licet confugere, 1999; Backsmann, K., Das Asylrecht in Preußen, Diss.
jur. Bonn 2000; Fruscione, D., Das Asyl bei den germanischen Stämmen im frühen
Mittelalter, 2003; Bammann, K., Im Bannkreis des Heiligen, 2002; Das antike
Asyl, hg. v. Dreher, M., 2003; Derlien, J., Die religiöse und rechtliche
Begründung der Flucht zu sakralen Orten, 2003; Traulsen, C., Das sakrale Asyl
in der alten Welt, 2004; Shoemaker, K., Sanctuary and Crime, 2011
Aszendent (M.) Verwandter in aufsteigender Linie (z. B. Vater, Großmutter,
Urgroßtante), Gegensatz Deszendent
Atheismus (M.) Gottlosigkeit bzw.
„Ungöttigkeit“
Lit.:
Welteke, D., Der Narr spricht: Es ist kein Gott. Atheismus, Unglauben und
Glaubenszweifel, 2011
Athen ist
der griechische, seit dem 7. Jh. v. Chr. erkennbare Stadtstaat in Attika, in
dem Drakon (624) und Solon (594) gesetzgeberisch tätig werden. 508/507 geht A.
zur →Demokratie über. Im 4. Jh. könnte A. rund 30000 erwachsene Bürger
gehabt haben. In den Gerichten geht es weniger um Recht und mehr um Öffentlichkeit
für Streit um Ehre. 338 wird A. von Makedonien besiegt. 86 v. Chr. fällt es
unter Sulla an die Römer, 1456 an die Osmanen (Türken). Nach dem griechischen
Befreiungskampf wird es 1834 Hauptstadt Griechenlands und erhält 1837 eine
Universität.
Lit.: Lipsius, J., Das attische Recht, Bd. 1ff. 1905ff.,
Neudruck 1984; Meyer-Laurin, H., Gesetz und Billigkeit im attischen Prozess,
1965; Wolff, H., „Normenkontrolle“ und Gesetzesbegriff, 1970; Mac Dowell, D.,
The Law in Classical Athens, 1978, 4. A. 1995; Bötig, K., Athen, 3. A. 1981;
Rhodes, P., The Athenian Boule, 2. A. 1985; Welwei, K., Athen, 1992; Bleicken,
J., Die athenische Demokratie, 2. A. 1994; Die athenische Demokratie, hg. v.
Eder, W., 1995; Hansen, M., Die athenische Demokratie, 1995; Habicht, C.,
Athen, 1995; Cohen, D., Democracy and individual rights in Athens, ZRG RA 114
(1997), 27; Wesel, U., Geschichte des Rechts, 3. A. 2006; Lehmann, G.,
Oligarchische Herrschaft im klassischen Athen, 1997; Figueira, T., The Power of
Money, 1998; Hurwit, J., The Athenian Acropolis, 1999; Welwei, K., Das
klassische Athen, 1999; Funke, P., Athen in klassischer Zeit, 1999; Dreyer, B.,
Untersuchungen zur Geschichte des spätklassischen Athen, 1999; Knell, H., Athen
im 4. Jahrhundert, 2000; Große Prozesse im antiken Athen, hg. v. Burckhardt,
L./Ungern-Sternberg, J. v., 2000; Law and Social Status in Classical Athens,
hg. v. Hunter, V. u. a., 2000; Cohen, E., The Athenian Nation, 2000; Dreher,
M., Athen und Sparta, 2001; Wilson, P., The Athenian Institution of the
Khoregia, 2002; Tießler-Marenda, E., Einwanderung und Asyl bei Hugo Grotius,
2002; Demokratie, Recht und soziale Kontrolle im klassischen Athen, hg. v.
Cohen, D., 2002; Schulz, R., Athen und Sparta, 2003; Pabst, A., Die athenische
Demokratie, 2003; Schubert, C., Athen und Sparta, 2003; Goette,
H./Hammerstaedt, J., Das antike Athen, 2004; Sinn, U., Athen, 2004; Flaig, E.,
Der verlorene Gründungsmythos der athenischen Demokratie, HZ 279 (2004), 36; Lanni,
A., Law and Justice in the Courts of Classical Athens, 2006; Karakostas, I.,
König Otto, die Otto-Universität von Athen und ihre juristische Fakultät, 2007;
Ober, J., Democracy and Knowledge, 2008; Lehmann, G., Perikles, 2008; Osborne,
R., Athens and the Athenian Democracy, 2010;Stability and Crisis in the
Athenian Democracy, hg. v. Herman, G., 2011; Lambert, S., Inscribed Athenian
Laws and Decrees 352/2-322/1 BC, 2012
Atlantikcharta ist die am 14. 8. 1941 von dem amerikanischen Präsidenten
Wilson und dem britischen Premierminister Churchill auf einem Schiff im
Atlantik vereinbarte Erklärung über die Grundsätze der Politik (Verzicht auf
Aggression, Entwaffnung von Aggressionsstaaten, Selbstbestimmungsrecht der
Völker, Gleichberechtigung im Welthandel, Freiheit der Meere), die von den
Vereinten Nationen übernommen wird.
Atomrecht ist
die Gesamtheit der Atome besonders betreffenden Rechtssätze (z. B. Deutschland 23.
12. 1959 Atomgesetz).
Lit.: Winters, K., Atom- und Strahlenschutzrecht, 1978;
Geier, S., Schwellenmacht, 2013; Göppner, N., Vorgeschichte und Entstehung des
Atomgesetzes vom 23. 12. 1959, 2013
Attentat ist der
gewaltsame Angriff Einzelner auf einen Staat aus politischen Gründen.
Lit.: Kellerhoff, S., Attentäter, 2003;
Mühlnikel, M., Fürst, sind Sie unverletzt?, 2014
Aubry,
Charles (1803-1883) übersetzt 1838 als Professor in Straßburg zusammen mit
Frédéric Charles Rau die vierte Auflage von Karl-Salomon Zachariäs Handbuch des
französischen Zivilrechts (1837) aus dem Deutschen ins Französische und
entwickelt hieraus in der Folge die führende Darstellung des französischen
Privatrechts des 19. Jh.s.
Lit.: Beudant, C./Gaudemet, E., Inauguration d’un moment à
la mémoire de Aubry et Rau, 1923
Auctor (lat.
[M.]) ist im römischen Recht der Vormann eines Gewalthabers einer Sache, auf
den sich dieser berufen kann, wenn ein anderer als Eigentümer von ihm die Sache
verlangt. Scheitert die Verteidigung durch den a., kann der angegriffene
Gewalthaber vom a. den doppelten Kaufpreis verlangen.
Lit.: Kaser § 25; Söllner § 8; Köbler, DRG 24; Köbler, LAW
auctoritas (lat.
[F.]) Ansehen, Zustimmung, (z. B. eines [lat., M.] tutor zu einem Geschäft
eines [lat., M.] pupillus bei Vornahme des Geschäfts)
Auctor (M.) vetus de beneficiis (lat.) ist das in lateinischer Reimprosa abgefasste
Rechtsbuch mit Grundsätzen des Lehnrechts, das (in wortgetreuer Übersetzung) in
der ersten Hälfte des 14. Jh.s (um 1300?) die Grundlage des mitteldeutschen →Görlitzer
Rechtsbuchs bildet. Es ist streitig, ob der A. v. die Urfassung des Lehnrechts
des Sachsenspiegels (oder eine im frühen 14. Jh. aus einer deutschen Fassung
entstandene lateinische Übersetzung) darstellt oder auf sie unmittelbar
zurückgeht. Alle Handschriften sind verschollen. Die Überlieferung besteht in
Drucken von 1569 (Havichorst), 1692 (Auszüge, Freher) und 1708 (Thomasius).
Möglicherweise enthält der A. v. ursprünglich auch Landrecht in lateinischer
Fassung. Der A. v. kennt ein Volljährigkeitsalter von 24 Jahren (I 65), während
der Sachsenspiegel im Landrecht eine Volljährigkeit von 21 Jahren aufweist (I
42 § 1). Ihm fehlen Sätze späterer Ergänzungen des Sachsenspiegels in jüngeren
Bearbeitungsstufen.
Lit.: Köbler, DRG 103; Moeller, R., Noch einmal der Vetus
auctor de beneficiis und der Sachsenspiegel, ZRG GA 38 (1917), 309; Eckhardt,
K., Die Volljährigkeitsgrenze von 24 Jahren, ZRG GA 61 (1941), 4; Auctor vetus
de beneficiis, hg. v. Eckhardt, K., 1964; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des
Mittelalters, Bd. 1 1990, 27; Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter
zur Neuzeit, hg. v. Boockmann, H. u. a., 1 1998
Audiatur et altera pars (lat.). Auch die andere Seite muss (gerechterweise stets)
gehört werden (vorrömisch, belegt 1580).
Lit.: Rüping, H., Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs,
1976; Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007; Coenraad, L., Het
beginsel van hoor en wederhoor in het Romeinse procesrecht, 2000; Zur Erhaltung
guter Ordnung, hg. v. Hausmann, J. u. a., 2000
Auditor (M.) Zuhörer, Hörer
Lit.: Hülle, W., Das Auditoriat in
Brandenburg-Preußen, 1971
Aufgebot ist
allgemein die öffentliche Aufforderung zu einem Verhalten (z. B. A. zum
Heeresdienst), insbesondere die (mehrfache) öffentliche, vielfach gerichtliche
Aufforderung an unbekannte oder an unbekanntem Ort weilende Beteiligte, zwecks
Verhinderung eines Rechtsverlusts vor einer beabsichtigten Änderung der
Rechtslage Tatsachen anzugeben oder Rechte geltend zu machen. Ähnliche
Vorgangsweisen erscheinen bereits in fränkischer Zeit (z. B. bei Vollstreckung
in Grundstücke). Im Mittelalter finden sie vermehrt Anwendung (z. B. bei
Aneignung gefundener beweglicher Sachen oder bei der Suche nach unbekannten
Erben). Ein A. vor einer Eheschließung fordert nach älteren Ansätzen das vierte
Laterankonzil 1215. Mit der Rezeption römischrechtlicher Regelungen entwickelt
sich die →Ediktalzitation, bei der jemand binnen einer Frist Klage zu
erheben hat, wenn er sein Recht nicht verlieren will. Allgemein geordnet wird
das A. in der preußischen →Allgemeinen Gerichtsordnung (1793) und in der
deutschen Zivilprozessordnung (1877/1879). Das A. vor einer weltlichen
Eheschließung wird in Deutschland und Österreich am Ende des 20. Jh.s beseitigt
bzw. eingeschränkt.
Lit.: Haase, E., Über Ediktalladungen und Ediktalprozess,
1871; Daude, E., Das Aufgebotsverfahren, 5. A. 1930, VIII
Aufklärung ist
allgemein die Aufhellung eines dunkleren Zustands. Unter Bezugnahme auf einen
auf Befreiung von nicht vernunftgemäß zu begründenden Ansichten gerichteten
Erkenntnisvorgang durch selbständiges unvoreingenommenes Denken wird die
gesellschaftskritische Geistesbewegung des 17./18. Jh.s A. genannt (frühe
Anfänge im letzten Drittel des 17. Jh.s). Vorbereitend hierfür wirken
Renaissance, Humanismus und Reformation. Als Denkverfahren werden →Empirismus
und →Rationalismus verwendet. Bewusst wird die Einbeziehung immer
breiterer Kreise (des Publikums) gesucht. Im Recht entsprechen dem Gedankengang
der A. die Anerkennung eines weltlichen →Naturrechts (→Vernunftrechts),
das in die Kodifikationen des →Allgemeinen Landrechts Preußens (1794),
des →Code civil Frankreichs (1804) und des →Allgemeinen
Bürgerlichen Gesetzbuchs Österreichs (1811/1812) Eingang findet, und die Ablehnung
von Folter, Hexenprozess, Leibesstrafen einerseits sowie das Verlangen nach
Gewaltenteilung, Teilhabe an der Macht, Grundrechten, Verfassung und
Volkssouveränität andererseits. In der Verwaltung entsteht aus der A. die
Funktionalität anstrebende Kameralwissenschaft. In der Wirtschaft geht es in
der A. um größtmöglichen Wohlstand. Politisch führt die A. zum aufgeklärten →Absolutismus
(Friedrich der Große in Preußen, Joseph II. in Österreich, Großherzog Leopold
in Toskana) bzw. zur Revolution in Frankreich vom 14. 7. 1789. Die vollständige
Umsetzung aller Ziele in politische Handlung gelingt nicht.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 136, 157, 161, 206;
Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972, 243; Valjavec, F., Geschichte der
abendländischen Aufklärung, 1961; Schulze, R., Policey und Gesetzgebungslehre
im 18. Jahrhundert, 1982; Bosshard, H., Pestalozzis Staats- und
Rechtsverständnis und seine Stellung in der Aufklärung, 1983; Aufklärung, hg.
v. Hinrichs, E., 1985; Aufklärung als Politisierung - Politisierung der
Aufklärung, hg. v. Bödeker, H. u. a., 1987; Aufklärung und
Geheimgesellschaften, hg. v. Reinalter, H., 1989; Im Hof, U., Das Europa der
Aufklärung, 1993; Böhme, H., Politische Rechte des Einzelnen in der
Naturrechtslehre, 1993; Lexikon der Aufklärung, hg. v. Schneiders, W., 1995;
Vierhaus, R., Was war Aufklärung?, 1995; Universitäten der Aufklärung, hg. v. Hammerstein,
N., 1996; Schneiders, W., Das Zeitalter der Aufklärung, 1997; Der
Illuminatenorden (1776-1785/87), hg. v. Reinalter, H., 1997; Cattaneo, M.,
Aufklärung und Strafrecht, hg. v. Vormbaum, T., 1998; Sweetman, J., The
Enlightenment and the Age of Revolution, 1998; The Enlightenment, hg. v.
Williams, D., 1999; Toleration in Enlightenment Europe, hg. v. Grell, O. u. a.,
1999; Aufklärung – Vormärz – Revolution, hg. v. Reinalter, H., 2000; Böning,
H./Siegert, R., Volksaufklärung, Bd. 2 2000; Alt, P., Aufklärung, 2. A. 2001;
Lexikon der Aufklärung, hg. v. Schneiders, W., 2001; The Enlightenment in
Europe, hg. v. Schneiders, W., 2003; Bürgerliche Freiheit und christliche
Verantwortung, hg. v. De Wall, H., 2003; Les Lumières et leur combat, hg. v.
Mondot, J., 2004; Borgstedt, A., Das Zeitalter der Aufklärung, 2004;
Goldenbaum, U., Appell an das Publikum, 2004; Asbach, O., Staat und Politik
zwischen Absolutismus und Aufklärung, 2005; Fichte und die Aufklärung, hg. v.
De Pascale, C., 2005; Körber, E., Die Zeit der Aufklärung, 2006; Israel, J.,
Enlightenment Contested, 2006; Feiner, S., Haskala - Jüdische Aufklärung, 2007;
Sorkin, D., The Religious Enlightenment, 2008; Lauer, G., Die Rückseiute der
Haskala, 2008; Strukturen der deutschen Frühaufklärung (1680-1720), hg. v.
Bödeker, H., 2008; Meyer, A., Die Epoche der Aufklärung, 2010; Schenk, T.,
Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des aufgeklärten
Absolutismus, 2010; Krünes, A., Die Volksaufklärung in Thüringen im Vormärz
(1815-1848), 2013
Auflassung (Wort 1279 mittelniederdeutsch) ist
die Öffnung eines Grundstücks für einen Erwerber. Sie erfolgt zunächst durch
tatsächliches, möglicherweise rechtsförmliches Eröffnen des Grundstücks, später
durch eine Erklärung vielleicht unter notwendiger Wahrung bestimmter Formen
(außerhalb des Grundstücks, wissenschaftlich als zweiter Teil der Investitur
eingeordnet, Besitzaufgabe). Seit dem 13. Jh. wird A. zur Bezeichnung für die
Grundstücksübereignung insgesamt. Häufig erfolgt sie gerichtlich. Während der
Aufnahme des römischen Rechtes in der frühen Neuzeit wird die A.
zurückgedrängt. Im 19. Jh. dringt sie wieder vor. Im deutschen bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) ist sie die Bezeichnung für den von Savigny (1779-1861) entwickelten
dinglichen Vertrag über den Eigentumsübergang an Grundstücken, zu dem die
Eintragung der Eigentumsänderung in das Grundbuch hinzukommen muss, wobei die
gesamte Übereignung bei Fehlen eines Grundgeschäfts als ungerechtfertigte Bereicherung
rückgängig gemacht werden kann.
Lit.: Hübner 205, 259f., 262; Kroeschell, DRG 1, 2; Stobbe,
O., Die Auflassung des deutschen Rechtes, Jh. Jb. 22 (1873), 137; Lehmann, K.,
Die altnordische (altnorwegisch-altisländische) Auflassung, ZRG GA 5 (1884),
84; Lehmann, K., Zur nordgermanischen Auflassung, ZRG GA 11 (1890), 255;
Schmidt, W., Die Auflassung im Mittelalter, Diss. jur. München 1932; Voser, P.,
Die altdeutsche Leigenschaftsübereignung, 1952; Köbler, G., Verzicht und
Renuntiation, ZRG GA 85 (1968); Buchholz, S., Abstraktionsprinzip und
Immobiliarrecht, 1978; Joswig, D., Die germanische Grundstücksübertragung,
1984; Steppan, M., Das bäuerliche Recht an der Liegenschaft, 1995; Wieling, H.,
Wie Kaiser Konstantin die germanische Auflassung erfand, ZRG GA 124 (2007), 287;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Aufnehmen des
Kindes (in die Familie) ist der in frühmittelalterlichen Volksrechten erkennbare,
nach der Geburt vielleicht notwendige förmliche Rechtsakt, durch den ein
neugeborenes Kind Mitglied der Rechtsgemeinschaft wird und deshalb danach
nicht mehr ausgesetzt werden kann. Unter dem Einfluss des Christentums
verschwindet dieses besondere A.
Lit.: Hübner 52f., 699; Coulin, A., Der nasciturus, ZRG GA
31 (1910), 131
Aufopferung ist
die Beseitigung eines einzelnen Rechtes zugunsten der Allgemeinheit oder eines
begünstigten Dritten, für die seit der Aufklärung Ersatz zu leisten ist (vgl. §
75 Einl. ALR).
Lit.: Köbler, DRG 259; Niesler, A., Aufopferung und
Enteignung vom ALR bis zur WRV, Juristische Zeitgeschichte 8 (2007), 128ff.
Aufrechnung (Wort 1372) ist die schon der römischen klassischen Jurisprudenz als
prozessual geltend zu machende (lat. [F.]) →compensatio bekannte,
wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüberstehender gleichartiger
Forderungen durch Verrechnung (Verurteilung nur auf einen vorhandenen
Überschuss bzw. [lat.] exceptio [F.] doli zur Überprüfung der Gegenforderung).
Das ältere deutsche Recht kennt anscheinend einen besonderen
Aufrechnungsvertrag. Eine A. durch einseitige Erklärung entsteht wohl unter
römischrechtlichem Einfluss im Spätmittelalter. Später genügt auf Grund eines
Ansatzes des Glossators Martinus eine bloße Aufrechnungslage für das Erlöschen
der gegenüberstehenden Ansprüche (ALR I 16 § 301, Cc 1290, ABGB § 1348). Seit
dem späteren 19. Jh. wird die A. als einseitiges Rechtsgeschäft eingeordnet
und wieder eine Aufrechnungserklärung verlangt.
Lit.: Kaser § 53; Köbler, DRG 43, 125; Dernburg, H.,
Geschichte und Theorie der Compensation, Neudruck 1965, 2. A. 1968; Prausnitz,
O., Die Geschichte der Forderungsverrechnung, 1928; Pielemeier, K., Das
Aufrechnungsverbot des § 393 BGB, 1988; Halbwachs, V., Ipso iure compensatur,
hg. v. Thier, A. u. a., 1999; Pichonnaz, P., La compensation, 2001; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Aufsicht (Wort 1483) ist allgemein der übergeordnete Blick auf eine
Angelegenheit, der Rechte und Pflichten begründen kann.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Auftrag (Wort 1532) ist im römischen
Recht die als (lat. [N.]) →mandatum bezeichnete Übernahme der
unentgeltlichen Besorgung eines fremden Geschäfts (eines Auftraggebers oder Mandanten
durch einen Auftragnehmer oder Mandatar), die wohl auf sittliche Pflichten zum
Tätigwerden für einen Nachbarn zurückgeht, wobei diesem A. mangels der
Möglichkeit unmittelbarer Stellvertretung keine Vollmacht entspricht (höchstpersönlicher
Konsensualkontrakt). Im deutschen Recht scheint der A. zunächst keine besondere
Rolle gespielt zu haben. Nach der Rezeption des römischrechtlichen Mandats
wird am Ende des 19. Jh.s zwischen A. als Innenverhältnis und Vollmacht als
Rechtsmacht gegenüber Dritten (Außenverhältnis) unterschieden (§ 788 SächsBGB
1863, § 662 BGB 1896).
Lit.: Kaser § 4; Söllner §§ 9, 17, 18; Hübner; Kroeschell,
DRG 3; Müller, U., Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, 1969;
Albrecht, G., Vollmacht und Auftrag, 1970; Coing, H., Europäisches Privatrecht,
Bd. 1f. 1985ff.; Amann, P., Abgrenzung und Anwendungsbereich von Dienstvertrag,
Werkvertrag und Auftrag in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen
Gesetzbuches, Diss. jur. Bielefeld 1987; Grau, U., Historische Entwicklung und
Perspektiven des Rechts der öffentlichen Aufträge, 2004; Köbler, U., Werden,
Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Principles of
European Law Mandate Contracts, prepared by Loos, M., 2013
Aufwendung (Wort 1542) ist der Einsatz von Mitteln zur Erlangung eines Wertes.
Lit.:; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Aufwertung ist
die Erhöhung eines Wechselkurses einer Währung im Verhältnis zum Goldwert oder
zu anderen Währungen. Daneben wird auch die Erhöhung des Nennbetrages einer
Geldschuld, die in Einheiten einer entwerteten Währung ausgedrückt ist,
entsprechend der Kaufkraft bei der Begründung des Schuldverhältnisses als A.
bezeichnet (z. B. Aufwertungsentscheidung des Reichsgerichts vom 28. 11.
1923, 3. Steuernotverordnung vom Februar 1924 auf Grund der Inflation,
Aufwertungsgesetz vom Juli 1925) im Deutschen Reich.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh. 50; Mügel, O., Die Entwicklung
der Aufwertungslehre des Reichsgerichts, DJZ 1928, 29ff.; Klemmer, M.,
Gesetzesbindung und Richterfreiheit in den Entscheidungen des Reichsgerichts
in Zivilsachen, 1996; Scholz, R., Analyse der Entstehungsbedingungen der
reichsgerichtlichen Aufwertungsrechtsprechung, 2001; Chlosta, C., Nur dem
Gesetz unterworfen?, 2005
Aufzeichnung ist die Umwandlung von Gedachtem oder
Gesprochenem in Schrift oder andere weniger schnell vergängliche Mittel. →Schriftlichkeit
Auge ist das dem Sehen dienende Sinnesorgan von
Tieren und Menschen, das auch als Zeichen der alles sehenden Gerechtigkeit
verwendet werden kann.
Lit.:
Deonna, W., Le symbolisme de l’oeil, 1965; Jaeger, W., Augenvotive, 1979;
Schleusener-Eichholz, G., Das Auge im Mittelalter, 1980; Geissmar, C., Das Auge
Gottes, 1993; Stolleis, M., Das Auge des Gesetzes, 2004
Augenschein ist
die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung. Der A. ist als Beweismittel bereits
dem römischen Prozessrecht bekannt und findet auch im mittelalterlichen
deutschen Prozess (insbesondere im Inquisitionsprozess) Verwendung (mhd.
blickender schin, lat. evidentia ocularis). Seit dem 17. Jh. wird der A.
wissenschaftlich erörtert.
Lit.: Kaser § 84; Hänel, A., Das Beweissystem des
Sachsenspiegels, 1858; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im
Mittelalter, Bd. 2 1879; Holdefleiß, E., Der Augenscheinbeweis im
mittelalterlichen deutschen Strafverfahren, 1933
Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 39 (2. Moses 21, 22-25, Körte 1837)
Augen auf, Kauf ist Kauf ist wohl ein erst im 19.
Jh. geschaffenes Rechtssprichwort, das der Begründung des Ausschlusses der Sachmangelhaftung
im deutschen Recht dient.
Lit.: Vgl.
Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v. Schmidt-Wiegand, R.,
1996, 2002, 38f.
Augsburg geht auf den 45 n. Chr. auf einem Bergsporn zwischen Lech und Wertach
gegründeten Vorort Augusta Vindelicum der römischen Provinz Rätien zurück (um
121 n. Chr. [lat. N.] municipium). Vielleicht ist es seit dem 4. Jh. (oder 5.
Jh.) trotz Zerstörung durch Germanen (5. Jh. Alemannen) Sitz eines seit dem 7.
Jh. bzw. 738 nachweisbaren Bischofs. 1156 grenzt eine Urkunde Kaiser Friedrichs
I. Barbarossa die Rechte des Bischofs und die Rechte der Bürger voneinander ab.
1167/1168 lässt sich der Kaiser die Hochstiftsvogtei und die
Blutgerichtsbarkeit in A. übertragen. 1273 kommt die Vogtei an das Reich. 1276
zeichnet die Stadt ein eigenes, vom König bestätigtes Stadtrecht in
mittelhochdeutscher Sprache auf. Zu dieser Zeit entsteht wohl in A. eine
mittelhochdeutsche Fassung des Sachsenspiegels, die zu Deutschenspiegel und
sog. Schwabenspiegel weiterbearbeitet wird. 1294 erhält A. ein
Nichtevokationsprivileg König Adolfs von Nassau. An der Wende des Mittelalters
zu Neuzeit wirkt von A. aus die Kaufmannsfamilie Fugger. 1555 wird in A. der
Augsburger Religionsfriede geschlossen. Bis 1805 bleibt das zu einem
europäischen Handelsmittelpunkt aufsteigende A. danach Reichsstadt, bis es am
26. 12. 1805 durch den Vertrag von Pressburg an Bayern fällt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Das Stadtbuch von
Augsburg, hg. v. Meyer, C., 1872; Urkundenbuch der Stadt Augsburg, hg. v.
Meyer, C., 1874ff.; Berner, E., Zur Verfassungsgeschichte der Stadt Augsburg,
1876; Hellmann, F., Das Konkursrecht der Reichsstadt Augsburg, 1905; Wolff, A.,
Gerichtsverfassung und Prozess im Hochstift Augsburg in der Rezeptionszeit,
Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augsburg 4 (1913), 129; Steiger, H.,
Geschichte der Stadt Augsburg, 1941; Augusta 955-1955, 1955; Liedl, E.,
Gerichtsverfassung und Zivilprozess der freien Reichsstadt Augsburg, 1958;
Batori, J., Die Reichsstadt Augsburg im 18. Jahrhundert, 1969; Zorn, W.,
Augsburg, 2. A. 1972, 4. A. 2001; Schröder, D., Stadt Augsburg 1975; Geschichte
der Stadt Augsburg, hg. v. Gottlieb, G., 2. A. 1985; Fassl, P., Konfession,
Wirtschaft und Politik, 1988; Roeck, P., Eine Stadt in Krieg und Frieden, 1989;
Dietrich, R., Die Integration Augsburgs in den bayerischen Staat, 1993; Hecker,
H., Das Recht der Reichsstadt Augsburg, ZRG GA 113 (1996), 391; Augsburger
Buchdruck und Verlagswesen, hg. v. Gier, H. u. a., 1997; Künast, H., Getruckt
zu Augspurg, 1997; Müller, F., Bürgerliche Herrschaft in Augsburg, 1998; Schorer,
R., Die Strafgerichtsbarkeit in der Reichsstadt Augsburg, 2001; Roeck, B.,
Geschichte Augsburgs, 2005
Augsburger Konfession
(Bekenntnis) ist die von Philipp Melanchthon für den Reichstag zu Augsburg
verfasste, am 25. 6. 1530 verlesene Bekenntnisschrift der lutherischen Kirche
mit 2 Teilen zu 21 und 7 Artikeln (im Gegensatz zum Helvetischen Bekenntnis).
Lit.: Hoffmann, G., Entstehungsgeschichte der Augustana, Z.
f. systemat. Theologie 15 (1938), 419
Augsburger Religionsfriede ist der im Reichsabschied des Heiligen römischen Reiches vom 25. 9. 1555 zwischen König Ferdinand I.
(für Karl V.) und den deutschen Reichsständen in Bezug auf die Religion nach
dem Stand vom 2. 8. 1552 geschlossene Friede, der die freie Religionsausübung
für Katholiken und Lutheraner gewährleistet. Er sichert den Reichsständen
(nicht aber ihren Untertanen) die Freiheit der Bekenntniswahl zu ([lat.] →cuius
regio, eius religio). Gibt ein geistlicher Reichsstand den katholischen Glauben
auf, verliert er Gebiet und Kirchenamt ([lat.] →reservatum [N.]
ecclesiasticum). Das Auswanderungsrecht von Untertanen bereitet die
Religionsfreiheit vor. Der lückenhafte, widersprüchliche und auch mehrdeutige
A. R. kann weder die geistliche Einheit herstellen noch den Frieden dauerhaft
sichern, bildet aber die Grundlage des paritätischen Reichskirchenrechts bis
1806.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 130; Brandi, K., Der
Augsburger Religionsfriede, 2. A. 1927; Simon, M., Der Augsburger
Religionsfriede, 1955; Walder, E., Religionsvergleiche des 16. Jahrhunderts, 3.
A. 1974; Rabe, H., Der Augsburger Religionsfriede und das Reichskammergericht
1550-1600, 1976; Heckel, M., Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 2. A.
2001; Gotthard, A., Der Augsburger Religionsfrieden, 2004; Heckel, M.,
Konfessionalisierung in Koexistenznöten, HZ 280 (2005), 647; Heckel, M.,
Politischer Friede, HZ 282 (2006), 391; Der Augsburger Religionsfriede, hg. v.
Schilling, H. u. a., 2007
Augsburger Vertrag
(Augsburger Transaktion) →Niederlande
Augustiner ist
der Anhänger des nach der im 8. Jh. entstandenen sog. Regel Augustins (354-430)
lebenden kirchlichen Ordens. Zu den Augustinern gehören die Augustiner-Eremiten
(Orden zwischen 1244 und 1256), während Augustinerchorherren (11. Jh.),
Prämonstratenser und Dominikaner nur auch nach der Regel Augustins leben.
Lit.: Verheijen, L., La règle de St. Augustin, 1967; Feine,
H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Gutiérrez, D. u. a., Geschichte
des Augustinerordens, 1975ff.; Cremona, C., Augustinus, 2. A. 1995; Mönchtum,
Orden, Klöster, hg. v. Schwaiger, G., 2003
Augustinus (354-430)
Lit.: Fuhrer, T., Augustinus, 2004; Augustin Handbuch, hg.
v. Drecoll, V., 2007; Chadwick, H., Augustine of Hippo, 2009; Drecoll, V. u.
a., Augustin und der Manichäismus, 2011
Augustus (Rom
23. 9. 63 v. Chr.–Nola bei Neapel 19. 8. 14 n. Chr.) Sohn einer Nichte Caesars,
44 n. Chr. Adoptivsohn Caesars (ursprünglich Gaius Octavius, seit Adoption
Gaius Iulius Caesar, Ehrenname griech. sebastos, lat. augustus, Erhabener, der
vom Beginn seines Aufstiegs lernen musste, zu lügen und zu betrügen, wo immer
es ihm nützlich erschien) verfolgt die Mörder Caesars und wird 36 v. Chr.
Herrscher im westlichen und 30 v. Chr. Herrscher auch im östlichen Teil des
römischen Reiches. Äußerlich stellt er die republikanischen Zustände wieder
her. Tatsächlich leitet er (27 v. Chr.) mit seinem Prinzipat den zentrierenden
und dadurch stabilisierenden Übergang zum Kaisertum ein. Seine Herrschaft wird am
Ende auf Grund weitreichender Zustimmung als (lat.) pax (F.) Augusta
(augusteische Friedenszeit) erklärt. Für die Ehe erlässt er gesetzliche Gebote
und Verbote.
Lit.: Kienast, D., Augustus, 1982, 3. A. 1999, 4. A. 2009;
Eck, W., Augustus und seine Zeit, 1998; Bleicken, J., Augustus, 1998;
Bringmann, K./Schäfer, T., Augustus und die Begründung des römischen
Kaisertums, 2002; Schlange-Schöningen, H., Augustus, 2005; Bringmann, K.,
Augustus, 2007, 2. A. 2012; Augustus, Schriften, Reden und Aussprüche, hg. v.
Bringmann, K. u. a., 2008; Dahlheim, W., Augustus, 2010; Cooley, A., Res Gestae
Divi Augusti, 2009
Auktion ist
die schon der Antike bekannte, dort rechtlich nicht besonders beachtete
Veräußerung einer (beweglichen) Sache an den Meistbietenden durch öffentlichen
Aufruf. Sie erhält sich in der Form der Vergabe von Steuern, Ämtern und
Nutzungen an den Meistbietenden in den romanischen Ländern. Im 13. Jh. dringt
die A. gepfändeter Güter eines nichtzahlenden Schuldners nach Mitteleuropa ein.
Daneben findet sich seit dem 14. Jh. die A. von Waren durch Großhändler, seit
der Mitte des 17. Jh.s die A. fremdländischer Waren durch Kolonialgesellschaften.
Wegen der damit möglichen Missstände entstehen Ordnungsvorschriften, die mit
Einführung der Gewerbefreiheit im 19. Jh. wieder aufgegeben werden. Wegen der
damit wieder möglichen Missstände greift der Gesetzeber seit 1883 wieder ein
(in Deutschland u. a. 1960 § 34b GewO).
Lit.: Süßheim, M., Das moderne Auktionsgewerbe, 1900;
Durach, H., Die deutschen Großhandelsauktionen, 1960; Thielmann, G., Die
römische Privatauktion, 1961; Marx, H./Arens, H., Der Auktionator, 1992;
Schneider, A., Auktionsrecht, 1999; Spindler, G./Wiebe, A., Internet-Auktion,
2001
Aurich
Lit.: Conring, W., Die Stadt- und
Gerichtsverfassung der ostfriesischen Residenzstadt Aurich, Diss. jur.
Göttingen 1965
Ausbildung
Lit.: Elementarbildung und
Berufsbildung zwischen 1450 und 1750, hg. v. Hanschmidt, A. u. a., 2005
Ausbildungsförderung ist die Förderung der allgemeinen und beruflichen Bildung
durch Geldleistungen seitens der Allgemeinheit. Sie ist eine Folge des
Sozialstaatsgrundsatzes. Sie ist auf Herstellung der Chancengleichheit im
Ausbildungsbereich gerichtet (in Deutschland 1957-1971 Honnefer Modell, 1971ff.
Bundesausbildungsförderungsgesetz).
Lit.: Köbler, DRG 261
Ausbluten(lassen)
Lit.: Rau, K., Augsburger
Kinderhexenprozesse, Diss. jur. Zürich 2003
Ausbürger ist
der außerhalb der →Stadt lebende →Bürger.
Lit.: Domsta, H., Die Kölner Ausbürger,
1973
Auschwitz ist der Ort eines Konzentrationslagers in
der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft des Deutschen Reiches. Ab 1963
werden in der Bundesrepublik Deutschland Strafverfahren wegen dort verübter
Verbrechen durchgeführt. Dabei werden 22 Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt,
3 freigesprochen.
Lit.: Langbein, H., Der
Auschwitzprozess, 1995; Werle, G./Wandres, T., Auschwitz vor Gericht, 1995;
Meyer, A., Das Wissen um Auschwitz, 2010; Klee, E., Auschwitz, 2013, Pilecki, W., Freiwillig nach
Auschwitz, 2013; Pendas, D., Der Auschwitz-Prozess, 2013
Ausdärmen ist das gelegentlich angedrohte, kaum
tatsächlich ausgeführte Töten eines Menschen durch Herausziehen des Darmes aus
dem Körper als Strafe.
Lit.: His, R., Das Strafrecht des
deutschen Mittelalters, 1920ff.; Rehfeldt, B., Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte,
1942
Ausgleich ist
die 1867 unter maßgeblicher Beteiligung Franz Deáks (Söjtör 17. 10.
1803-Budapest 28. 1. 1876) für die Selbständigkeitsbestrebungen →Ungarns
innerhalb der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gefundene Lösung
(ungarischer Gesetzesartikel XII:1867, österreichisches Delegationsgesetz vom
21. 12. 1867, RGBl. 1867, 146, betreffend die allen Ländern der
österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung,
Umwandlung des Kaisertums Österreich in die österreichisch-ungarische
Monarchie). Auf der Grundlage der kaiserlichen Anerkennung der Selbständigkeit
und Unabhängigkeit Ungarns und der ungarischen Anerkennung der →Pragmatischen
Sanktion (1723) wird dort festgelegt, dass den österreichischen und ungarischen
Ländern der Herrscher, die auswärtigen Angelegenheiten, die Armee und das
Finanzwesen (mit gewissen Einschränkungen) unter einem einheitlichen
Ministerium gemeinsam sein sollen (gemeinsame pragmatische Angelegenheiten und
dualistische Angelegenheiten, Trennung in kaiserlich und königliche k. u. k.,
kaiserlich-königliche k. k. und königlich ungarische k. ung. Organe). Das
daraus erwachsende staatsrechtliche Verhältnis zu →Österreich wird teils
als Gesamtreich oder Personalunion, teils als Realunion erklärt. 1918 wird
Ungarn souverän.
Lit.: Köbler, DRG 265; Baltl/Kocher; Der
österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867, 1967; Olechowski-Hrdlicka, K.,
Die gemeinsamen Angelegenheiten der österreich-ungarischen Monarchie, 2001
Aushebung (F.) Auswahl von Soldaten bei Wehrpflicht
Lit.: Schulze, W., Landesdefension
und Staatsbildung, 1973
ausheischen (V.) herausverlangen, verlangen, dass
ein Streit von einem Gericht vor einem Oberhof (z. B. Ingelheim) zur Sprache gebracht
wird
Lit.: Gudian, G., Ingelheimer
Recht im 15. Jahrhundert, 1968; Weitzel, J., Der Kampf um die Appellation an
das Reichskammergericht, 1976
Ausländer ist
der aus einem anderen Land kommende und deswegen einem anderen Land angehörige →Fremde.
Der A. erscheint als Folge der Bildung besonderer Länder im 13. Jh. Seit der
zweiten Hälfte des 20. Jh.s (um 1960) erweisen sich besondere Gesetze für A.
(18. 4. 1965) als erforderlich (1991 Schengener Abkommen der Europäischen
Gemeinschaften).
Lit.: Söllner §§ 6, 7, 8, 9; Kanein, W./Renner, G.,
Ausländerrecht, 5. A. 1992; Herbert, U., Geschichte der Ausländerpolitik in
Deutschland, 2001
Auslegung ist
die Ermittlung und Klarlegung des Bedeutungsgehalts eines Umstandes, insbesondere
einer Erklärung. Sie ist bereits Bestandteil der römischen Jurisprudenz, die
das Zwölftafelgesetz ebenso auslegt wie einzelne Verträge oder Erklärungen.
Justininian verbietet 529/530/533 die A. seiner Kompilation (Const. 1, 14, 12,
Deo auctore 12, Const. Tanta 21). Nach der vorkritischen Hermeneutik der
Aufklärung und des Vernunftsrechts ist Verstehen die Regel und Missverstehen
die Ausnahme, weswegen die A. klarer und eindeutiger Rechtssätze ausgeschlossen
ist. Zulässig ist vor allem die erklärende Auslegung, während ausdehnende und
einschränkende A. ausgeschlossen sein können (z. B. Forster, V., Interpres,
1613, 2, 4). In der Neuzeit, vor allem seit dem 18. Jh. erscheinen vermehrt
Verbote der A. (Stadtrechtsreformation Nürnberg 1479/1484, Landrechtsreformation
Bayern 1518, Papst Pius IV. Benedictus Deus 1654, Ordonnance Frankreichs 1667,
Preußen 1746, 1794, ähnlich Österreich Codex Theresianus 1758 fertiggestellter
Teil, Frankreich Gesetze von 1790/1793). Nach der modernen Hermeneutik ist
Missverstehen die Regel, so dass auch scheinbar klare und eindeutige
Rechtssätze der A. bedürfen. In seinen methodologischen Darlegungen
unterscheidet am Beginn des 19. Jh.s Savigny vier Arten von A. (grammatisch,
historisch, systematisch und teleologisch).
Lit.: Kaser §§ 2 II 2, 3 V 1, 8 I; Kroeschell, 20. Jh.;
Köbler, DRG 2, 17, 146, 229; Müller, H., Zur Geschichte der bindenden
Gesetzesauslegung, 1939; Schumacher, D., Das rheinische Recht in der
Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts, 1970; Conrad, H., Richter und Gesetz,
1971; Rüthers, B., Die unbegrenzte Auslegung, 1968, 6. A. 2005, 7. A: 2012;
Schott, C., Rechtsgrundsätze und Gesetzeskorrektur, 1975; Hübner, H.,
Kodifikation und Entscheidungsfreiheit des Richters, 1980; Schröder, J.,
Gesetzesauslegung und Gesetzesumgehung, 1985; Ogorek, R., Richterkönig oder
Subsumtionsautomat?, 1986, Neudruck 2007; Savignyana, Bd. 2 Vorlesungen über
juristische Methodologie 1802-1842, hg. v. Mazzacane, A., 1993; Baldus, C.,
Regelhafte Vertragsauslegung, 1998; Bergfeld, C., Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts
und des Reichsgerichts zur Auslegung von Rechtsgeschäften, (in) Das Bürgerliche
Gesetzbuch und seine Richter, 2000, 625; Miersch, M., Der sog. référé
législatif, 2000; Vogenauer, S., Die Auslegung von Gesetzen in England und auf
dem Kontinent, 2001; Meder, S., Missverstehen und Verstehen, 2004; Haspl, R.,
Die Kontrolle der tatrichterlichen Auslegung von individuellen
Willenserklärungen durch die Rechtsmittelinstanz, 2008; Baldus, C., Historische
Auslegung in Rom?, Seminarium Complutense 20/21 (2007/2008), 85; Kosche, K.,
Contra proferentem und das Transparenzgebot im Common Law und Civil Law, 2011;
Interpretation of Law in the Age of Enlightenment, hg. v. Morigiwa, Y. u. a.
2011
Auslieferung ist die Beförderung von Sachen oder
Menschen von einem Ort an einen anderen Ort oder die Überlassung an andere,
meist gefährlichere Gegebenheiten. Das römische Recht kennt die A. von Tieren
oder Sklaven in der Form der Preisgabe zwecks Haftungsfreiheit des Berechtigten
oder Herren ([lat.] noxae datio [F.]). In der Neuzeit ist vor allem die A.
eines Straftäters von einem Staat an einen anderen Staat zwecks Strafverfolgung
oder Strafvollzug bedeutsam.
Lit,: His, R., Das Strafrecht im
deutschen Mittelalter, 1920; Stüdemann, A., Die Entwicklung der zwischenstaatlichen
Rechtshilfe in Strafsachen im nationalsozialistischen Deutschland, 2009
Auslobung (Wort 1767) ist
das durch öffentliche Bekanntmachung erfolgende (seit dem 18. Jh.) einseitige
Versprechen einer Belohnung für die Vornahme einer Handlung, das im 18. Jh.
so benannt wird. Ursprünglich wird die Erklärung des Auslobens als Angebot an
unbestimmte Personen angesehen.
Lit.: Dreiocker, K., Zur Dogmengeschichte der Auslobung,
Diss. jur. Kiel 1969; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Ausmärker ist
der außerhalb einer →Mark Wohnende, der nur ausnahmsweise an einer Mark
berechtigt ist. Seit dem Spätmittelalter wird eine Verfügung über Allmendrechte
ohne Zustimmung der anderen Berechtigten möglich. Dadurch wird die
Allmendberechtigung verkehrsfähig.
Lit.: Hübner 137f.; Maurer, G. v., Geschichte der
Markenverfassung in Deutschland, 1856; Bader, K., Das mittelalterliche Dorf,
1957ff.
Ausnahmegericht ist das besonders gebildete und zur
Entscheidung besonderer Fälle bestimmte Gericht. Es findet sich beispielsweise
als Star Chamber oder Court of High Commission in England, als Justizkommission
im Absolutismus in Frankreich oder als Zentraluntersuchungskommission im
Deutschen Bund. Ausgehend von England (Bill of Rights 1689) wird das A. in den
Verfassungen verboten (Frankreich 1791, Deutsches Reich 1849).
Lit.: Pollard, A., Council, Star
Chamber and Privy Council under the Tudors, EHR 37 (1922), 516; Menzel, W.,
Ausnahmegericht und gesetzlicher Richter, 1925; Schmidt, J., Rechtssprüche und
Machtsprüche der preußischen Könige des 18. Jahrhunderts, 1943; Andrieux, C.,
Les Commissions Extraordinaires, 1955 (Diss. Paris); Seif, U., Recht und
Justizhoheit, 2003
Ausnahmezustand ist der in der Mitte des 19. Jh.s als solcher erkannte
Zustand des Staates in einer außergewöhnlichen Notlage, in der grundsätzlich
die Regel gilt Not kennt kein Gebot. Nach rechtsstaatlichem Verständnis bedarf
auch der A. einer (vorherigen gesetzlichen) Regelung (z. B. Gesetz über
den Belagerungszustand vom 4. 6. 1851 Preußen, Reichstagsbrandverordnung vom
28. 2. 1933 Deutsches Reich, Art. 87a, 91, 115aff. GG). Im Zweifel entscheidet der souveräne Staat über das
anzuwendende Mittel.
Lit.: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972, 343;
Schneider, P., Ausnahmezustand und Norm, 1957; Boldt, H., Rechtsstaat und
Ausnahmezustand, 1967; Trotter, M., Der Ausnahmezustand, Diss. jur. Heidelberg,
1997; Ausnahmezustand - Carl Schmitts Lehre von der kommissarischen Diktatur,
hg. v. Voigt, R., 2013
Ausschlagung (Wort 1445) ist die bereits dem
römischen Recht bekannte Willenserklärung des vorläufigen Erben, die
Erbschaft nicht anzunehmen (lat. repudiare).
Lit.: Kaser § 71 II 3; Hübner; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ausschuss ist allgemein das aus einer Gesamtheit
Ausgesonderte wie z. B. eine Untergliederung einer Einrichtung zur einfacheren
Erfüllung einer Aufgabe (z. B. Untersuchungsausschuss).
Lit.: Schmitt, C.,
Verfassungslehre 1928; Schönberger, C., Parlament im Anstaltsstaat, 1997
Außenerbe (lat.
heres [M.] extraneus) ist im altrömischen Recht der bei Fehlen von Hauserben
(lat. sui heredes [M.Pl.]) eintretende Erbe (Agnat, Gentile, Patron, beliebiger
Hausfremder), der die Vermögensrechte durch eine besondere Handlung ergreifen
muss.
Lit.: Kaser § 65
Außenminister - > Minister
Lit.: Hampe, K., Das Auswärtige Amt
in wilhelminischer Zeit, 2001; Die Außenpolitik der deutschen Länder im
Kaiserreich, hg. v. Auswärtigen Amt, 2012
Außerstreitverfahren →freiwillige Gerichtsbarkeit
Aussetzung ist
die bewusste Verbringung eines Menschen in eine Lage, in der ihr eine besondere
Gefahr für das Leben droht. Nach dem römischen Zwölftafelgesetz ist die A.
einer Missgeburt geboten, nach späterem römischem Recht und nach einzelnen
frühmittelalterlichen Volksrechten ist die A. eines neugeborenen Kindes
anscheinend erlaubt, doch lehnt die christliche Kirche die A. ab. Ob es A. als
Strafe gegeben hat, ist streitig. Im Übrigen ist A. eine Straftat.
Lit.: Kaser § 60; Hübner 52; Amira, K. v., Die germanischen
Todesstrafen, 1922; Schwarz, H., Der Schutz des Kindes im Recht des frühen
Mittelalters, 1993
Aussperrung ist
die von Arbeitgeberseite seit dem 19. Jh. unter Verweigerung der Lohnzahlung
planmäßig vorgenommene Nichtzulassung einer Gruppe von Arbeitnehmern zur
Dienstleistung. Sie ist ein Mittel des Arbeitskampfes. Ihre Zulässigkeit ist
nicht unbestritten.
Lit.: Wege zur Arbeitsrechtsgeschichte, hg. v. Steindl, H.,
1984; Kalbitz, R., Die Arbeitskämpfe in der Bundesrepublik Deutschland, Diss.
phil. Bochum 1972
Ausstattung ist
die über den gewöhnlichen Unterhalt hinausgehende, mit Rücksicht auf die
Verheiratung oder die Erlangung einer selbständigen Lebensstellung erfolgende
Zuwendung der Eltern an ein Kind. Sie geschieht im Wesentlichen als →Abschichtung
bei Verheiratung oder sonstiger Verselbständigung. Einen eindeutigen Rechtsanspruch
auf A. gewähren das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 (II 2 §§ 232ff.)
und das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (§§ 1220, 1231).
Lit.: Hübner; Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsches
Privatrecht, 9. A. 1981; Torp, S., Das Rechtsverhältnis zwischen den Eltern und
ihren Kindern, 2000
Ausstäupen ist
das mittels Rute, Stock oder Peitsche erfolgende Schlagen (an einem Pfahl
[Staupe]?). Es findet sich als Rechtsfolge einer Tat früh für Unfreie, seit dem
Hochmittelalter als Strafe des Diebstahls von geringerem Wert. Die Aufklärung
erreicht bis 1848 die Beseitigung des Ausstäupens.
Lit.: Breithaupt, W., Die Strafe des Staupenschlags, 1938
Aussteller (Wort 1719)
Lit.: Köbler, U., Werden,
Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Aussteuer ist
die in weitem Umfang übliche Zuwendung der zur angemessenen Einrichtung eines
Haushalts gehörenden Gegenstände (an eine Tochter durch die Eltern oder
näheren Verwandten), die auch als Heimsteuer, Brautschatz und Mitgift
bezeichnet werden kann. Sie ist wohl nur ausnahmsweise rechtlich notwendig (z.
B. § 1220 ABGB, §§ 1620ff. BGB [1957 aufgehoben], nicht II 2 §§ 231ff. ALR). In
der Gegenwart wird die A. vor allem durch die Gewährung einer Ausbildung
verdrängt.
Lit.: Hübner 664; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd.
1f. 1985ff.; Schumacher, S., Das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern,
1999; Torp, S., Das Rechtsverhältnis zwischen den Eltern und ihren Kindern, 2000
Austin,
John (1790-1859), von 1826 bis 1832 Professor in London, ist als Begründer der
englischen analytischen Jurisprudenz (Recht als eine Form des Befehls) einer
der bedeutendsten englischen Rechtstheoretiker (The Province of Jurisprudence,
1832).
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Austin
JohnTheprovinceofjurisprudencedetermined1832.pdf, Austin, John, The
Province of Jurisprudence determined, 1832, Löwenhaupt, W., Politischer
Utilitarismus und bürgerliches Rechtsdenken, 1972; Morison, W., John Austin,
1982
Austrägalinstanz (Austrägal latinisiert aus
Austrag) ist seit dem 13./14. Jh. ein
zunächst einzeln vereinbartes, und durch die Reichskammergerichtsordnung von
1495 für Gefürstete, seit 1521 auch für den übrigen reichsunmittelbaren Adel
anerkanntes Schiedsgericht für Streitigkeiten zwischen Reichsfürsten. Gegen die
Entscheidungen der bis 1806 bestehenden A. ist die Appellation an das →Reichskammergericht
zulässig. Der Deutsche Bund kennt nach Art. XI der Deutschen Bundesakte bzw.
Art. XXII der Wiener Schlussakte ebenfalls eine A. für die Entscheidung von
Streitigkeiten zwischen Bundesstaaten bzw. Streitsachen der Bundesglieder. Für
die Vollstreckung der Urteile dieser 1866 endenden A. ist die Bundesversammlung
zuständig. Vergleichbare Einrichtungen im Deutschen Reich (1871-1918) und in
Österreich (bis 1918) sind von geringer Bedeutung.
Lit.: Köbler, DRG 153, 200; Leonhardi, P. v., Das
Austrägalverfahren des Deutschen Bundes, Bd. 1f. 1838ff.; Stein, A., Die
Austragsgerichtsbarkeit des deutschen Bundes, 1950; Frühauf, G., Die Austrägalgerichtsbarkeit
im Deutschen Reich und im Deutschen Bund, Diss. jur. Mainz 1976; Meurer, N.,
Die Entwicklung der Austrägalgerichtsbarkeit bis zur Reichskammergerichtsordnung
von 1495, (in) Prozesspraxis im alten Reich, hg. v. Baumann, A. u. a., 2005
Australien ist der im Südosten Asiens (südlic Indonesiens) gelegene, vor etwa 50000 Jahren besiedelte,
vermutlich bereits im 16. Jh. auch von Europäern entdeckte, in der Gegenwart
von 22 Millionen Menschen bewohnteKontinent.
Lit.: Voigt, J., Geschichte Australiens, 1988; Hughes, R.,
Australien, 1992; Babeck, W., Einführung in das australische Recht, 2011; Voigt,
J., Geschichte Australiens und Ozeaniens, 2011; Gleeson, J. u. a., Historical
Foundations of Australian Law, Bd. 1f. 2013
Austrasien ist
zeitweise ein besonderer (östlicher) Teil des fränkischen Reichs.
Lit.: Parisse, M., Austrasie, Lotharingie, Lorraine, 1990
Austria ist
die am Ende des Frühmittelalters in Parallele zu →Austrien erscheinende
Bezeichnung für ein Gebiet im Osten (des fränkischen oder deutschen Reiches z.
B. 996 →ostarrihhi, 1156 marchia Austrie, woraus sich →Österreich
entwickelt).
Lit.: Köbler, DRG 76; Baltl/Kocher; Floßmann, U., Regnum
Austriae, ZRG GA 89 (1972), 78; Krasa-Florian, S., Die Allegorie der Austria,
2007
Austrien ist
vom 6. bis 8. Jh. eine Bezeichnung für östliche Teile des Reiches der Franken.
Lit.: Lugge, M., Gallia und Francia im Mittelalter, 1960;
Parisse, M., Austrasie, Lotharingie, Lorraine, 1990
Austrofaschismus ist eine Bezeichnung für das Herrschaftssystem Österreichs zwischen
1933/1934 und 1938.
Auswanderung ist
das Verlassen eines Landes auf Dauer (durch einen Freien). 1555 erlaubt der →Augsburger
Religionsfriede die A. (lat. [F.) emigratio) bei Religionswechsel des
Landesherrn. Der absolute Staat schränkt die Freiheit der A. aus
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überlegungen ein. Nach dem Vorbild
Frankreichs (1789) lassen die Mitgliedstaaten des →Deutschen Bundes 1815
die A. in einen anderen Mitgliedstaat und um 1848 die A. überhaupt zu (§ 136
der gescheiterten Reichsverfassung), wobei zwischen 1816 und 1914 5,5 Millionen
Deutsche vor allem nach Amerika auswandern (1897 gesetzliche Regelung).
Teilweise wird bei A. eine →Steuer verlangt (u. a. 1931 Reichsfluchtsteuer,
1953 aufgehoben).
Lit.: Scheuner, U., Die Auswanderungsfreiheit, FS R. Thoma,
1950, 199ff.; Vom Reichskommissar für das Auswanderungswesen zum
Bundesverwaltungsamt, 1989; Mußgnug, D., Die Reichsfluchtsteuer 1931-1953,
1993; Straten, A. v. d., Die Rechtsordnung des zweiten Kaiserreiches und die
deutsche Auswanderung nach Übersee 1871-1914, 1997; Migration in der europäischen
Geschichte, hg. v. Bade, K., 2002; Migration steuern, hg. v. Oltmer, J., 2003
Ausweis
s. Pass
Ausweisung ist die Anordnung zum Verlassen eines Gebiets
(Landes, Stadt). Wegen ihrer geringen Kosten und ihrer befreienden Wirkung
verbreitet sich die A. seit dem späten Mittelalter rasch. Von der Aufklärung
wird die A. von Straftätern seit dem 17. Jh. zugunsten des Zuchthauses zurückgedrängt.
Lit.: Grenzen und
Raumvorstellungen, hg. v. Marchal, G., 1996; Schnabel-Schüle, H., Überwachen
und Strafen im Territorialstaat, 1997; Schuster, P., Eine Stadt vor Gericht,
2000; Reiter, I., Ausgewiesen, abgeschoben, 2000
Authenticae (lat.
[F.Pl.]) sind die vielleicht von oder seit →Irnernius wahrscheinlich
unter Verwendung der Epitome Juliani geschaffenen, im 13. Jh. in den ersten
neun Büchern des →Codex →Justinians eingefügten (362 bzw. 212)
Auszüge aus der →Authenticum genannten Sammlung der →Novellen sowie
(seit dem 14. Jh.) die (2) Konstitutionen Sacramenta puberum (nach C 2. 27 bzw.
28. 1) und Habita (nach C 4. 13. 5) Friedrichs I. Barbarossa und die (durch
Aufteilung eines umfangreichen Gesetzes entstehenden 11) Konstitutionen
(Navigia, Omnes peregrini, Agricultores u. s. w.) Friedrichs II. (Ad decus), die bis
zu →Accursius (um 1230) in den Codex aufgenommen werden. Eine
Konstitution Heinrichs VII. von 1312 (Ad reprimendum) und der Friede von
Konstanz sind nicht in den Codex, sondern als Extravaganten hinter die (lat.
[M.Pl.]) libri feudorum (Lehnbücher) eingefügt. Nicht glossiert werden die A.
zu den letzten drei Büchern des Codex. Erst am Beginn der Neuzeit werden alle
Novellen wieder zu einer Einheit verbunden.
Lit.: Savigny, F., Geschichte des römischen Rechtes im
Mittelalter, 2. A. Bd. 3f. 1834ff.; Wesenberg, G., Die Privatrechtsgesetzgebung
des Heiligen römischen Reiches, Studi P. Koschaker Bd. 1 1954, 187; Troje, H.,
Graeca leguntur, 1971; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997
Authenticum (lat.
[N.]) ist die Bezeichnung für eine um 1100 in Bologna erscheinende, 134 in das
Lateinische übersetzte Stücke umfassende, in neun (lat. [F. Pl.]) collationes
geteilte Sammlung unbekannter Herkunft der seit 535 n. Chr. unter dem
oströmischen Kaiser →Justinian ergangenen (168 griechisch gehaltenen) →Novellen,
die der Zeit als authentische Fassung gilt. →Authenticae
Lit.: Söllner § 22; Savigny, F., Geschichte des römischen
Rechtes im Mittelalter, 2. A. Bd. 3f. 1834ff.; Lange, H., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 1 1997
Autobahn ist die nur
für den Automobilverkehr zugelassene, vierspurige, kreuzungsfrei ausgebaute
Straße. In Berlin wird 1921 die Avus eröffnet, der oberitalienische Autobahnen
und im August 1932 die Strecke Köln-Bonn folgen. Nach Plänen Fritz Todts (1891-1942)
entscheidet sich Adolf Hitler für Reichsautobahnen, von denen mittels gewagter
Kreditaufnahmen (viereinhalb Milliarden Reichsmark Schulden) zwischen 1933 und
1945 rund 3860 Kilometer errichtet werden.
Lit.:
Hartmannsgruber, F., …ungeachtet der noch ungeklärten Finanzierung, HZ 278
(2004), 625; Reitsam, C., Reichsautobahn-Landschaften, 2009
Autograph (N.) vom Autor selbst geschriebenes Schriftstück
(kein Werk der antiken Literatur als A. erhalten)
Lit.: Hoffmann, H.,
Autographa im früheren Mittelalter, DA 57 (2001), 1
Automat ist
die mechanische, nach Aufheben einer Hemmung einen Vorgang selbsttätig
ausführende Einrichtung. Größere tatsächliche Bedeutung gewinnt der A. mit dem
Vordringen der elektronischen Datenverarbeitung am Ende des 20. Jh.s. Für
Rechtsfolgen wird dessenungeachtet auf das hinter dem A. stehende menschliche
Verhalten abgestellt.
Autonomie ist
das (vom Staat gewährte) Recht zur Selbstgesetzgebung innerhalb einer
anderweitigen Gesetzgebungshoheit. Die A. gewinnt mit der Entstehung des
staatlichen Gesetzgebungsmonopols im Absolutismus an Bedeutung. A. haben
beispielsweise Städte, Universitäten, Religionsgemeinschaften,
Sozialversicherungsträger, Vereine u. s.
w.
Lit.: Wicki, A., Zur Dogmengeschichte der Parteiautonomie
im internationalen Privatrecht, 1965; Steffen, W., Die studentische Autonomie
im hochmittelalterlichen Bologna, 1981; Mizia, R., Der Rechtsbegriff der
Autonomie und die Begründung des Privatfürstenrechts, 1995; Lim, M., Der
Begriff der Autonomie und des Menschenrechts bei Kant, 2002
Autor →Urheber
Auvergne ist
die durch Cäsar ins römische Reich gelangte Landschaft um das Zentralmassiv in
Frankreich. Sie wird 507 fränkisch (Mitte 8. Jh. [lat.] Formulae [F.Pl.]
Arvernenses) und kommt 955 an Poitou. Seit 1189 geht sie vom König zu Lehen.
Ein Teil fällt 1527/1531 an den König, der gräfliche Rest 1609. Der Advokat
Jean Masuer († 1450) zeichnet in seiner (lat.) Practica (F.) forensis
(Gerichtliche Praxis) das zuvor ganz zersplitterte Recht erstmals umfassender
auf. 1510 wird die Coutume d’Auvergne wirksam.
Lit.: Massé, E., La coutume d’Auvergne, Diss. jur. Toulouse
1913; Histoire d’Auvergne, hg. v. Manry, A., 1974
Averani,
Giuseppe (1662-1738), seit 1685 Professor des römischen Rechtes in Pisa,
übernimmt die humanistischen Gedanken des (lat.) →mos (M.) Gallicus in
die Rechtswissenschaft Italiens und bereitet dadurch den Boden für die
Aufklärung (in Toskana) vor ([lat.] Interpretationum iuris libri [M.Pl.] duo u. s. w., 1713).
Lit.: Dizionario Biographico degli Italiani, 1960ff., 4,
658f.
Avignon in Südfrankreich ist von 1309 bis 1378 Sitz des von Frankreich gefangen
gehaltenen Papstes und von 1378 bis 1417 Sitz eines Gegenpapsts.
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 149
Aware,
Avare, ist der Angehörige eines um 460 aus Zentralasien nach Westen vorstoßenden,
um 566 an Donau und Theiß siedelnden, 822 aus der Überlieferung verschwindenden
Steppenvolks.
Lit.: Pohl, W., Die Awaren, 2. A. 2002
Aymar du Rivail
(Aymarus Rivallius) (1490?-1560), Sohn eines (lat.) legum doctor (M.) und
Richters, wird nach dem Rechtsstudium in Avignon und Pavia (Mayno, Alciat?)
1521 königlicher Rat im Parlament von Grenoble. Mit Druckerprivileg vom 8. 8.
1515 veröffentlicht er in Valence (lat.) Libri (M.Pl.) de historia iuris
civilis et pontificii mit 129 numerierten und 19 unnumerierten Blättern, welche
die erste umfassende Rechtsgeschichte (des römischen und kirchlichen Rechtes)
darstellen.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Aymar
duRivailLibridehistoriaiuriscivilisetpontificii1515.pdf , Aymar du Rivail,
Libri de historia iuris civilis et pontificii, 1515, Moeller, E. v., Aymar du
Rivail, 1907; Köbler, G., Zur Geschichte der römischen Rechtsgeschichte, (in)
Geschichtliche Rechtswissenschaft, hg. v. Köbler, G., 1990, 220
Aytta,
Wigle (Viglius) van (Barrahuis bei Leeuwarden 1507-Brüssel 1577) wird nach dem
Studium in Löwen, Dôle und Valence Schüler →Alciats in Bourges und 1532
Professor des römischen Rechtes in Padua, 1537-1542 in Ingolstadt. Er verwertet
in seinen Veröffentlichungen auch byzantinische Rechtsquellen.
Lit.: Postma, F., Viglius van Aytta als humanist en
diplomaat 1507-1549, 1983; Sprenger, R., Viglius von Aytta, 1988
Azo (Bologna
1150?-1220 [vor 1190-1220/1230]) lehrt nach dem Studium in Bologna (u. a.
Johannes Bassianus) spätestens seit 1190 dort weltliches Recht. Seine
bedeutendsten Leistungen bestehen in der Herstellung von (weitgehend
ungedruckten) Glossenapparaten zu allen Teilen der justinianischen Gesetzgebung
(die glossa ordinaria verweist auf ihn 3600mal) sowie in (lat.) Summae (F.Pl.)
Codicis (1208-1210), Lectura (F.) Codicis (durch Vorlesungsnachschrift erhalten),
Summae (F. Pl.) Institutionum und Summae Digestorum (str.) (daneben Quästionen,
Distinktionen, Brocardica, Consilia und Definitionen). Insbesondere im 16. Jh.
erfahren seine Werke weiteste Verbreitung. Er ist Lehrer z. B. des →Accursius,
Jacobus Balduini, (Martinus de Fano,) Roffredus Epiphanii, Jacobus de Ardizone,
(Goffredus de Trano,) und Johannes Teutonicus. Seine Arbeiten werden u. a.
verwendet von Henry de Bracton (vielleicht nach 1230), vom Klagspiegel ([Conrad
Heyden] um 1436) und wohl auch vom (lat. [M.]) Vocabularius utriusque iuris
(Wörterbuch beider Rechte) des Jodocus aus Erfurt (1452).
Lit.: Köbler, DRG 107; Belloni, A., Le questioni
civilistiche del secolo XII, 1989; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter,
Bd. 1 1997, 255
B
Baar ist
die in Urkunden des 8. und 9. Jh.s bezeugte, bisher nicht sicher erklärte
Bezeichnung des Gebiets an der obersten Donau bei Donaueschingen (z. B. Adalhartespara).
Nach den Herzögen von Zähringen erscheint 1264 Konrad von Wartenberg als Landgraf
in der B., 1304 eine Landgrafschaft B., die denen von Fürstenberg zukommt.
Lit.: Bader, K., Zur politischen und rechtlichen
Entwicklung der Baar, 1937; Bader, K., Kloster Amtenhausen in der Baar, 1940;
Beyerle, F., Zum Problem der alamannischen Baaren, ZRG GA 62 (1942), 305;
Bohnenberger, K., Zu den Baaren, ZRG GA 63 (1943), 319; Bader, K., Die
Landgrafschaft Baar, 1960; Leiber, G., Das Landgericht der Baar, 1969; Banse,
H., Ein neuer Ansatz, Alemann. Jb. 1997/1998, 27
Babelsberger Konferenz
ist die in Babelsberg am 2./3. 4. 1958 tagende Konferenz, in der Walter
Ulbricht von der Rechtswissenschaft der →Deutschen Demokratischen
Republik eine stärkere marxistisch-leninistische Durchdringung sowie eine
bessere Verbindung mit der Praxis des sozialistischen Aufbaus fordert.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Mollnau, K., Implementationsmechanismen
der Babelsberger Konferenz, (in) Staat und Recht in den neuen Bundesländern,
Sonderheft Oktober 1991, 175; Die Babelsberger Konferenz, hg. v. Eckert, J.,
1993; Güpping, S., Die Bedeutung der „Babelsberger Konferenz“, 1997
Babenberger ist
der Angehörige eines in der Mitte des 11. Jh.s nach der Burg Babenberg
(Bamberg) benannten, vor allem in Ostfranken begüterten, 945 letztmalig
bezeugten Adelsgeschlechts (Popponen, Adalbert von Bamberg bei Haßfeld am 9. 9.
906 enthauptet). Als erster, wohl mit ihnen (oder nach Scheibelreither
vielleicht mit den Liutpoldingern) verwandter jüngerer B. erscheint 976 ein
Markgraf Liutpald der Mark an der Donau. 1156 erreichen die B. (Leopold I.
976-994, Heinrich I. 994-1018, Adalbert 1018-1055, Ernst 1055-1075, Leopold II.
1075-1095, Leopold III 1095-1136, Leopold IV. 1136-1141, Heinrich II.
Jasomirgott 1141-1177) im sog. (lat. [N.]) privilegium minus als Ausgleich für
die Rückgabe des 1138 von den Staufern den Welfen entzogenen und 1139 den
Babenbergern übertragenen Herzogtums →Bayern die Erhebung ihrer Mark zum
selbständigen, von Bayern gelösten Herzogtum →Österreich des deutschen
Reiches. Die (nach Leopold V. 1177-1194, Friedrich I. 1195-1198, Leopold VI.
1198-1230 und Friedrich II. 1230-1246) zunächst an Baden (1248-1251) und dann
an Böhmen gelangten Güter des 1246 im Mannesstamm erloschenen Geschlechts
verlehnt König Rudolf von Habsburg nach dem →Interregnum (1282)
innerfamiliär an die →Habsburger. Die Benennung als B. wird erst im 15.
Jh. allgemein üblich.
Lit.: Köbler, DRG 76, 94; Rauch, K., Die Erwerbung des
Herzogtums Steiermark durch die Babenberger, ZRG GA 38 (1917), 269; Rauch, K.,
Die Übertragung der steirischen Allode an das österreichische Herzogsgeschlecht
der Babenberger, ZRG GA 58 (1938), 448; Urkundenbuch zur Geschichte der
Babenberger in Österreich, Bd. 1ff. 1950ff.; Appelt, H., Privilegium minus,
1973, 2. A. 1977; Lechner, K., Die Babenberger, 1976, 4. A. 1985, 6. A. 1996; Tausend
Jahre Babenberger in Österreich, 1976; Weller, T., Die Heiratspolitik, 2004;
Dienst, H., Die Babenberger 976-1246, 2005; Brunner, K., Leopold der Heilige,
2009; Scheibelreiter, G., Die Babenberger, 2010; Hanko, H., Herzog Heinrich II.
Jasomirgott, 2012
Babylon
Lit.: Jursa, M., Die Baylonier, 2004
Baccalaureus (9.
Jh. baccalarius, [lat., M.], Knecht) ist seit dem 13. Jh. (1231) der unterste
akademische Grad (vgl. angloam. bachelor).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Leff, G., Paris and Oxford in the
13th and 14th Centuries, 1968; Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 63
Bacharach
Lit.: Wagner, F., Stadt Bacharach und Samtgemeinde der
Viertäler, 1956
Bachofen,
Johann Jakob (Basel 22. 12. 1815-Basel 25. 11. 1887), Seidenbandfabrikantensohn,
wird nach dem Studium von Philologie, Geschichte und Recht in Basel, Berlin
(Savigny) und Göttingen 1841-1844 Professor für römisches Recht in Basel und
1842 Richter (1844 Appellationsrat). Auf rechtsethnologischer Grundlage
entwickelt er die Vorstellung eines ursprünglichen Mutterrechts (Über das
Weiberrecht, 1856, Das Mutterrecht, 1861). Bei seinen Zeitgenossen findet er
hierfür kein Verständnis.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Bach-ofenJohannJakobDasMutterrecht1861.pdf
Bachofen, J., Eine Selbstbiographie, Zeitschrift für vergleichende
Rechtswissenschaft 34 (1917); Bernoulli, C., Johann Jakob Bachofen und das
Natursymbol, 1924; Müllenbach, B., Johann Jakob Bachofen als Rechtshistoriker,
ZRG GA 105 (1988), 17
Bacon,
Francis (London 22. 1. 1561-Highgate bei London 9. 4. 1626), Sohn des englischen
Lordsiegelbewahrers, wird nach dem Studium in Cambridge und der Berufsausbildung
in Gray’s Inn 1583 Anwalt, 1607 Kronanwalt, 1613 Justizminister, 1617 Lordsiegelbewahrer
und 1618 Lordkanzler. Wegen des Verdachts der Bestechlichkeit verliert er 1621
alle öffentlichen Ämter. Als Jurist bemüht er sich besonders um Klarheit und
Wissenschaftlichkeit. Außerrechtliche Bekanntheit gewinnt er durch die
Forderung, dass die Wissenschaft nur aus einzelnen Erfahrungen allgemeine
Folgerungen ziehen dürfe (→Empirismus, →Locke).
Lit.: Köbler, DRG 136; Bock, H., Staat und Gesellschaft bei
Francis Bacon, 1937; Anderson, F., Francis Bacon, 1962; Krohn, W., Francis
Bacon, 1988; Wormald, B., Francis Bacon, 1993; Zagorin, P., Francis Bacon,
1998; Keller, S., Experiment versus Dogma, 2005
Baculus (M.) iudicii secularis (lat.) in Frankenford ist das in 88 Artikeln gegliederte
Werk über Gerichtsverfassung und Verfahren in Frankfurt am Main, das zwischen
1400 und 1430 von einem unbekannten Stadtschreiber verfasst worden sein könnte.
Lit.: Coing, H., Die Rezeption des römischen Rechtes in
Frankfurt am Main, 1939, 15
Bad
Lit.: Gail, W., Die
Rechtsverfassung der öffentlichen Badstuben, 1940
Baden im
Oostal erscheint nach einem römischen Aquae Aureliae 987. Nach ihm benennt sich
seit 1112 eine mit Markgraf Hermann († 1074) erkennbare, von den Herzögen von →Zähringen
abstammende Familie. Sie gewinnt umfangreiche Güter, die nach Vervierfachung
unter Napoleon am Beginn des 19. Jh.s (1806) bis zur Abdankung am 22. 11. 1918
gehalten werden können. 1951/1952 geht B. in Baden-Württemberg auf.
Lit.: Kroeschell, DRG 186, 192, 201,
156; Köbler, Historisches Lexikon; Meyer, E., Badisches Volksleben im
neunzehnten Jahrhundert, 1900; Carlebach, R., Badische Rechtsgeschichte Bd. 1f.
1906ff.; Andreas, W., Die Einführung des Code Napoléon in Baden, ZRG GA 31
(1910), 182; Lenel, P., Badens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung unter
Markgraf Karl Friedrich (1738-1803), 1913; Andreas, W., Geschichte der
badischen Verwaltungsorganisation und Verfassung in den Jahren 1802-1818,
1913; Windelband, W., Die Verwaltung der Markgrafschaft Baden zur Zeit Karl
Friedrichs, 1916; Krieger, A., Badische Geschichte, 1921; Strobel, E.,
Neuaufbau der Verwaltung und Wirtschaft der Markgrafschaft Baden-Durlach, 1935;
Hofmann, K., Die germanische Besiedelung Nordbadens, 1937; Wahle, E., Vorzeit
am Oberrhein, 1937; Beinert, B., Geheimer Rat und Kabinett in Baden, 1937; Badisches
Wörterbuch, bearb. v. Ochs, E. u. a., Bd. 1ff. 1940 ff.(2011 bis Lieferung
82/83, Abschluss in 5 Bänden geplant für 2015); Baden im 19. und 20.
Jahrhundert, Bd. 1f. 1948ff.; Rheinbaben, G. v., Die erste Kammer in Baden,
Diss. jur. Freiburg im Breisgau 1949; Bader, K., Der deutsche Südwesten in
seiner territorialstaatlichen Entwicklung, 1950; Armbruster, F., Die Freiburger
Talvogtei, 1950; Arndt, E., Vom markgräflichen Patrimonialstaat zum großherzoglichen
Verfassungsstaat Baden, Diss. jur. Freiburg 1952 = ZGO 101 (1953), 157, 436;
Haebler, R., Badische Geschichte, 1951, Neudruck 1987; Wielandt, F., Badische
Münz- und Geldgeschichte, 1955; Leiser, W., Der gemeine Zivilprozess in den
badischen Markgrafschaften, 1961; Rummer, J., Die Pforzheimer Prob, 1963;
Sütterlin, B., Geschichte Badens, 1967; Gut, J., Die Landschaft auf den
Landtagen der markgräflich badischen Gebiete, 1970; Blickle, P., Landschaften
im alten Reich, 1973; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
3,2,2626, 3,3,2855,3696; Hahn, W., Die Entwicklung der Laiengerichtsbarkeit im
Großherzogtum Baden-Baden, 1974; Vogteien, Ämter, Landkreise in
Baden-Württemberg 1, 2, hg. v. Landkreistag, 1975; Theil, B., Das älteste
Lehnbuch der Markgrafen von Baden, 1974; Krimm, K., Baden und Habsburg, 1976;
Stiefel, K., Baden 1648-1952, 1978; Boelcke, W., Handbuch Baden-Württemberg,
1982; Badische Biographien, neue Folge, Bd. 1ff. 1982ff.; Real, W., Die
Revolution in Baden 1848/49, 1983; Das Großherzogtum Baden zwischen Revolution
und Restauration 1849-1851, hg. v. Real, W., 1983; Pforzheim in der frühen
Neuzeit, hg. v. Becht, H., 1989; Gross, N., Der Code civil in Baden, 1993;
Muscheler, K., Die Rolle Badens in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen
Gesetzbuchs, 1993; Die badische Verfassung von 1818, hg. v. Bräunche, E. u. a.,
1996; Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, hg. v. Schwarzmaier, H.
u. a., Bd. 1ff. 1998ff.; Baldes, A., Die Entstehung des Strafgesetzbuches,
1999; Quellen zur Entstehung der Verfassung des Landes Baden, bearb. v.
Feuchte, P., 1999; Kißener, M., Richter zwischen Diktatur und Demokratie, 2003;
Holenstein, A., Gute Policey und lokale Gesellschaft, 2003; Festschrift 200
Jahre Badisches Oberhofgericht – Oberlandesgericht Karlsruhe, hg. v. Münchbach,
W., 2003; Würtz, C., Johann Niklas Friedrich Brauer (1754-1813), 2005;
Schwarzmaier, H., Baden, 2005; Engehausen, F., Kleine Geschichte des
Großherzogtums Baden 1806-1918, 2005; Die Protokolle der
Regierung von Baden, Bd. 1 bearb. v. Hochstuhl, K., 2006; Kohnle, A.,
Kleine Geschichte der Markgrafschaft Baden, 2007; Pätzold, S., Kleine
Geschichte der Stadt Pforzheim, 2007; Laufs, A. u. a. Das Eigentum an badischen
Kulturgütern, 2008; Becht, H., Badischer Parlamentarismus 1819 bis 1870, 2009;
Maciejewski, J., Amtsmannvertreibungen in Baden im März und April 1848, 2010;
Leschhorn, K., Die Städte der Markgrafen von Baden, 2010; Engehausen, F.,
Kleine Geschichte der Revolution 1848/49 in Baden, 2010; Borgstedt, A.,
Badische Anwaltschaft und sozioprofessionelles Milieu in Monarchie, Republik
und totalitärer Diktatur, 2012; Weinacht, P., Politische Kultur am Oberrhein,
2012
Baden-Württemberg ist das 1951/1952 (25. April 1952) aus Württemberg-Baden
(Nordbaden, Nordwürttemberg), Baden (Südbaden) und Württemberg-Hohenzollern
(Südwürttemberg, Hohenzollern) gebildete Bundesland der Bundesrepublik
Deutschland.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Deutsches Städtebuch,
Baden-Württemberg 1959; Landesgeschichtliche Vereinigungen in
Baden-Württemberg, bearb. v. Gönner, E., 1987; Boelcke, W., Handbuch
Baden-Württemberg, 1982; Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, hg.
v. d. Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Bd. 1ff.
1990ff.; Weber, R./Wehling, H., Geschichte Baden-Württembergs, 2007; Wilhelm,
B., Das Land Baden-Württemberg, 2007; Meier-Braun, K. u. a., Kleine Geschichte
der Ein- und Auswanderung in Baden-Württemberg, 2008
Bader, Karl Siegfried (Waldau/Schwarzwald 27. 8. 1907-Zürich 13. 9. 1998, Vater
Hauptlehrer) wird nach dem Rechtsstudium in Tübingen, Wien, Heidelberg und
Freiburg im Breisgau 1931 in Notariat und Staatsanwaltschaft in Freiburg im
Breisgau tätig, aber zum 1. 10. 1933 trotz Beitritts zur NSDAP wegen nicht
vollarischer Abstammung seiner in Wien kennengelernten Ehefrau (Grete Weiss)
entlassen und deswegen Rechtsanwalt und Leiter des fürstenbergischen Archivs in Donaueschingen.
1945 wird er Generalstaatsanwalt und außerordentlicher Professor für
Rechtsgeschichte und Kirchenrecht in Freiburg in Breisgau, 1951 ordentlicher
Professor in Mainz und 1953 als Nachfolger Heinrich Mitteis‘ in Zürich (1975
emeritiert). Sein bekanntestes Werk seiner rund 1200 Veröffentlichungen sind
dreibändige Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes
(1957-1973).
Lit.: Zwei Jahrzehnte
Rechtsgeschichte an der Universität Zürich, 1975; Bader, K., Ausgewählte
Schriften, 1983; Schott, C., Karl Siegfried Bader, ZRG GA 119 (2002), 1
Badisches Landrecht von
1588 ist das von Markgraf Philipp II. am 2. 1. 1588 erlassene, 1805 erstmals
gedruckte, bis Ende 1809 bzw. bis 1810 geltende Landrecht für die
Markgrafschaft Baden-Baden (Landesordnung), das in seinen drei ersten Teilen
(Untergerichtsordnung, Kontrakte, Testamente) auf dem württembergischen
Landrecht von 1567 beruht, im vierten Teil das Intestaterbrecht selbständig
behandelt und in seinem fünften Teil (Strafrecht) (über das Kurpfälzer
Landrecht von 1580 bzw. 1582) auf die kursächsischen Konstitutionen (1572)
zurückgeht.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Leiser, W., Der gemeine
Zivilprozess in den badischen Markgrafschaften, 1961, 86
Badisches Landrecht
von 1654 ist das seit 1604 vorbereitete, für 1619 geplante, 1622 (und 1710,
1715 sowie 1773) gedruckte, ursprünglich für ganz Baden (Baden-Baden und
Baden-Durlach) gedachte, aber wegen der (bis 1771 dauernden) Landesteilung nur
in Baden-Durlach von 1654 bis 1810 gültige Landrecht, das auf der Grundlage
älterer Einzelgesetze sowie des kurpfälzischen Landrechts und des
württembergischen Landrechts in sieben Teilen (Untergerichtsordnung,
Hofgerichtsordnung, Ehe- und Ehegerichtsordnung, Verträge, Testamente, Intestaterbrecht,
Strafrecht und Strafprozessrecht) fast das gesamte Recht ordnet (ausgenommen
das Verwaltungsrecht).
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Carlebach, R., Badische
Rechtsgeschichte, Bd. 1f. 1906ff., 2, 20
Badisches Landrecht
von 1809 ist der zum 1. 1. 1810 als Landrecht für das Großherzogtum Baden
eingeführte, durch Johann Nikolaus Friedrich Brauer unter Ausschluss von
Fremdwörtern wortnah in die deutsche Sprache übersetzte Code Napoléon (→Code
civil, 2281 Artikel) Frankreichs mit (270) Zusätzen und Handelsgesetzen, dessen
Geltung (revidierte Fassungen von 1846, 1874 und 1899) durch die Inkraftsetzung
des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. 1. 1900 endet.
Lit.: Brauer, J., Erläuterungen über den Code Napoléon,
1809ff.; Carlebach, R., Badische Rechtsgeschichte, Bd. 2 1909; Schubert, W.,
Französisches Recht in Deutschland, 1977; Fehrenbach, E., Traditionale
Gesellschaft und revolutionäres Recht, 3. A. 1983; Gross, N., Der Code Napoléon
in Baden und sein Verleger C. F: Müller, 1997; Code Napoleon - Badisches
Landrecht, (hg. v. Müller-Wirth, C.,) 1997; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CodeNapoleonBaden1809.pdf;
Schroeder, K., Hier ist eine baldige aber Radicale Kur nothwendig, NJW 2010,
731; Rabaa, A., Die Ehe als Rechtsinstitut im Badischen Landrecht von 1810,
2011; 200 Jahre Badisches Landrecht von 1809/1810, hg. v. Hattenhauer,
C./Schroeder, K., 2011; Sturm, F., 200 Jahre Badisches Landrecht, 2011
Bagarottus ist ein zwischen 1170 und 1180
geborener, wohl in Piacenza anässiger Jurist.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 297
Bähr, Otto
(Fulda 2. 6. 1817-Kassel 17. 2. 1895), Sohn eines Regimentsarzts, wird nach dem
Rechtsstudium in Marburg, Göttingen und Heidelberg Richter in Kassel (1849), (1851
strafverstzt in) Fulda, Kassel und (nach der Annexion Hessen-Kassels durch
Preußen) 1866) Berlin (1879-1881 Reichsgericht, Aufgabe des Amtes wegen
Nervenleidens). Als nationalliberaler Rechtspolitiker setzt er sich für die
gerichtliche Überprüfbarkeit des Verwaltungshandelns ein (Der Rechtsstaat,
1864). In der Untersuchung Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund entwickelt
er den selbständig (abstrakt) verpflichtenden Schuldvertrag.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Baehr
OttoDerRechtsstaat1864.pdf , Bähr, Otto, Der Rechtsstaat, 1864, Weber, D., Die
Lehre vom Rechtsstaat, Diss. jur. Köln 1968; Binder, B., Otto Bähr, 1983
Bahrprobe ist
das wohl erst seit dem 12./13. Jh. in literarischen Texten (Nibelungenlied)
bezeugte, zunächst außergerichtliche, in dem Rechtsbuch Ruprechts von Freising
von 1328 (Art. 278) auch für gerichtliche Verwendung nachgewiesene Verfahren,
bei dem bei Fehlen anderer Beweismöglichkeiten ein einer Tötung Beschuldigter
an die Totenbahre des Getöteten treten und seine Unschuld beschwören muss oder
auch darf. Veränderungen der Leiche (z. B. Bluten) werden als Hinweis auf die
Täterschaft des Beschuldigten angesehen. Herkunft (vgl. 1. Moses 4,10 [lat.]
vox sanguinis fratris tui clamat ad me de terra, die Stimme des Blutes deines
Bruders ruft zu mir von der Erde) und Wesen des Verfahrens sind unklar. Mit der
Aufklärung verschwindet die in der Neuzeit als Indiz für die Anwendbarkeit der Folter
gebrauchte B., mit dem 19. Jh. der Glaube an sie.
Lit.: Christensen, C., Baareprøven, 1900; Kolb, F., Das
alte Bahrrecht in Tirol, Tiroler Heimat 13/14 (1949/1950), 7; Ewers, H., Die
Bahrprobe, Diss. jur. Bonn 1951; Fehr, H., Das Bahrrecht, Dt. Jb. f. Volkskunde
6 (1960), 85
Balduinus →Baudoin
Baldus de Ubaldis
(Perugia 2. 10. 1327-Pavia 28. 4. 1400), Sohn eines adligen Professors der
Medizin, wird nach dem Studium in Perugia (Bartolus) Professor des römischen
Rechtes in Perugia (1347-1357), Pisa (1357/1358), Florenz (1358-1364), Perugia
(1364-1376), Padua (1376-1379), Perugia (1379-1390) und Pavia (1390-1400). Auf
Grund der vollständigen Beherrschung des gesamten geltenden Rechtes gelingt ihm
die selbständige Weiterbildung vieler Einzelheiten (Wechselrecht, Gesellschaftsrecht,
internationales Privatrecht, Prozessrecht, Staatsrecht, Strafrecht,
Privatrecht) in rund 2800 (d. h. fast 70 je Jahr) Gutachten (lat. [N.Pl.]
consilia) und verschiedenen (lückenhaften) Kommentaren (lectura Codicis,
Kommentar zum digestum vetus, lectura trium librorum Codicis, lectura super
usibus feudorum, Kommentar zu acta pacis Constantiae, Kommentar zum liber
extra) und Traktaten.
Lit.: Söllner § 25; Kisch, G., Bartolus und Baldus, 1960;
Horn, N., Aequitas in den Lehren des Baldus, 1968; Lange, H., Die Consilien des
Baldus, 1974; Maffei, D., Giuristi medievali, 1979; Danusso, C., Ricerche sulla
lectura feudorum di Baldo, 1991; Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 749
Balkan (Berg
in Bulgarien) ist die aus dem Türkischen kommende, zusammenfassende Bezeichnung
für die südosteuropäische Halbinsel, auf der das römische Recht nach dem Ende
der Antike in Form des byzantinisch-römischen Rechtes fortwirkt, seit dem 14. Jh.
aber durch den Nomokanon des Pseudo-Phótios vom Ende des 9. Jh.s, das Syntagma
tón theión kai hierón nomón des Mönches Matthaios Blastarés (1335) und den
Hexabiblos des Konstantinos Harmenpoulos (1345) bereichert wird.. →Griechenland,
Albanien, Bulgarien, Jugoslawien.
Lit.: Weithmann, M., Balkan-Chronik, 1995; Hösch, E.,
Geschichte der Balkanländer, 4. A. 2002; Der Balkan, hg. v. Elvert, J., 1997;
Der Balkan, hg. v. Heuberger, V. u. a., 1998; Südosteuropa, hg. v. Hatschikjan,
M. u. a., 1999; Der Balkankrieg, hg. v. Hofbauer, H., 1999; Mennel, R., Der
Balkan, 1999; Razumovsky, D. Gräfin, Der Balkan, 1999; Pavlowitsch, S., A
History of the Balkans 1804-1945, 1999; Todorova, M., Die Erfindung des
Balkans, 1999; Hösch, E., Geschichte des Balkans, 2004; Europe and the
Historical Legacies in the Balkans, hg. v. Detrez, R. u. a., 2008; Am Rande Europas?,
hg. v. Chiari, B. u. a., 2009
Ballei (zu
mlat. [M.] ballivus) ist seit dem 14. Jh. nach sizilianischem Vorbild die Bezeichnung
für die Provinz des →Deutschen Ordens (außerhalb des Preußenlands) mit
dem Landkomtur (als Vertreter des Hochmeisters) an der Spitze (z. B. Utrecht,
Alten-Biesen, Westfalen, Sachsen, Hessen, Thüringen, Franken, Koblenz,
Elsass-Schwaben-Burgund, Lothringen, Österreich, An der Etsch und im Gebirge,
Lamparten, Apulien, Sizilien, Böhmen, Armenien und Zypern, Romanien).
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Voigt, J., Geschichte
des Deutschen Ritter-Ordens, Bd. 1f. 1857ff.; Militzer, K., Die Entstehung der
Deutschordensballeien im deutschen Reich, 2. A. 1981; Militzer, K., Von Akkon
zur Marienburg, 1999
Ballivus (zu
lat. baiulus [M.] Lastträger) ist ein herrschaftlicher Amtsträger im mittelalterlichen
Frankreich (um 1150) sowie später in Süditalien und als bailiff im hochmittelalterlichen
England mit meist auch niedergerichtlichen Aufgaben.
Lit.: Nowé, H., Les baillis comtaux de Flandre, 1929;
Rompaey, J. v., Het grafelijk baljuwsambt in vlaanderen, 1967
Balte ist
der Angehörige eines baltisch sprechenden indogermanischen Volkes (Preußen,
Kuren, Letten, Litauer).
Baltikum ist
die neuzeitliche Sammelbezeichnung (seit dem 16. Jh. sind baltische Länder
Estland, Livland mit Lettgallen im Südosten, Semgallen und Kurland, während
Litauen erst seit dem 19. Jh. zu dem B. gezählt wird) für die spätestens seit
dem ausgehenden Frühmittelalter von ugro-finnischen und balto-slawischen
Stämmen (Esten, Liven, Kuren, Lettgaller, Selen, Semgaller) besiedelten Gebiete
am östlichen Rand der südlichen Ostsee. Das B. wird seit dem Ende des 12. Jh.s
von Deutschen (Riga 1201) und Dänen (Reval 1219) beeinflusst. Die Bischöfe von
Riga (1255 Erzbistum), Dorpat, Ösel, Kurland und Reval sowie der
Deutschordensmeister von Livland erlangen die Stellung von Fürsten des Heiligen
römischen Reiches. Sie finden sich im 15. Jh. in einer altlivländischen
Konföderation mit alljährlichen Landtagen zusammen. Das aufgezeichnete, neben
ungeschriebenen Gewohnheitsrechten der Bauern bestehende Recht ist (von
Dänemark und) vom Heiligen römischen Reich beeinflusst (1315
waldemar-erichsches Lehnrecht [beeinflusst vom Dienstrecht des Hochstifts
Hildesheim], ältestes livländisches Ritterrecht, livländischer Spiegel [als
Überarbeitung des →Sachsenspiegels], [kompiliert als] wiek-öselsches
Lehnrecht, mittleres livländisches Ritterrecht [15. Jh.], umgearbeitetes Ritterrecht
[systematisiert], Bauernrechte [mit Bußbestimmungen], lübisches Stadtrecht
[Reval] und hamburgisches Stadtrecht [Riga, Dorpat, Libau]). Das römische Recht
wirkt sich nur wenig aus. 1561 kommt das Gebiet an Polen (Livland, Kurland) und
Schweden (Estland, 1621 auch Livland), 1710 fallen Estland und (mittleres)
Livland (sowie das seit 1559 dänische Ösel), 1772 bei der ersten Teilung Polens
Lettgallen und 1795 bei der dritten Teilung Polens Kurland an Russland, wobei
augsburgische Konfession, deutsches Recht, deutsche Verwaltung und Amtssprache
zugesichert bleiben. 1816/1819 erfolgt (innerhalb Russlands) die
Bauernbefreiung, danach die Festlegung des Provinzialrechts (1864
Zivilgesetzbuch [mit etwa 4600 Artikeln], liv-, est- und kurländisches
Privatrecht, wobei der Kern des inhaltlichen baltischen Privatrechts als aus
deutschen [40 Prozent livländisches, estländisches, lübisches, russisches
Recht, kurländische Statuten, baltische Bauernverordnungen, Gewohnheitsrecht]
und römischen Wurzeln [57 % römisch-rechtlichen Ursprungs] erwachsenen
gemeinen Rechtes örtlicher Prägung erhalten bleibt), 1877 die Einführung der
Städteordnung Russlands von 1870, 1889 die Einführung des russischen
Gerichtsverfassungsrechts und Prozessrechts. 1918 werden Estland (24. 2. 1918)
und Lettland von Russland bzw. der Sowjetunion unabhängig und selbständig, am
6. 8. 1940 bzw. 5. 8. 1940 der Sowjetunion unter Aussiedlung der Deutschen auf
Grund des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 gewaltsam eingegliedert und am 6. 9.
1991 wieder unabhängig. 2004 werden Estland, Lettland und Litauen Mitglieder
der Europäischen Union.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon;
Ziegenhorn, C. v., Staatsrecht der Herzogtümer Curland und Semgallen, 1772,
Neudruck 1973; Bunge, F. v., Einleitung in die liv-, est- und kurländische
Rechtsgeschichte, 1849; Bunge, T. v., Der baltische Civilprozess nach der
Justizreform vom Jahre 1889, 1890f.; Schmidt, O., Rechtsgeschichte Liv-, Est-
und Curlands, 1894, Neudruck 1968; Schilling, C., Die lehn- und erbrechtlichen
Satzungen des waldemar-erich’schen Rechtes, (o. J.); Wittram, R., Baltische
Geschichte, 1954; Blaese, H., Einflüsse des römischen Rechtes in den baltischen
Gebieten, 1964; Von den baltischen Provinzen zu den baltischen Staaten, hg. v.
Hehn, J. v. u. a., 1977; Hehn, J. v., Die Umsiedlung der baltischen Deutschen,
1984; Ludwig, K., Das Baltikum, 2. A. 1992; Schmidt, A., Geschichte des
Baltikums, 1992; Baltische Länder, hg. v. Pistohlkors, G. v., 1994; Die
baltischen Sprachen, hg. v. Eckert, R., 1994; Der Aufbau der
freiheitlich-demokratischen Ordnung in den baltischen Staaten, hg. v. Meissner,
C. u. a., 1995; Norgaard, O. u. a., The Baltic States after Independence, 1996;
Die baltischen Staaten, hg. v. Scholz, F. u. a., 1997; Baltistik, hg. v.
Bammesberger, A., 1998; Handbuch Baltikum heute, hg. v. Graf, H. u. a., 1998;
Die Deutschbalten und der Nationalsozialismus, Bd. 1, hg. v. Garleff, M.,
2000; Roth, M., Der Einfluss des Europarats auf die demokratische und
menschenrechtliche Transformation der baltischen Staaten, 2004; Tuchtenhagen,
R., Geschichte der baltischen Länder, 2005; Garber, K., Schatzhäuser des Geistes,
2006; Lange,
H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 982; Tuchtenhagen, R., Zentralstaat und Provinz im
frühneuzeitlichen Nordosteuropa, 2008; Baltisch-europäische
Rechtsgeschichte und Lexikographie, hg. v. Kronauer, U. u. a., 2009;
Rechtswissenschaft in Osteuropa, hg. v. Pokrovac, Z., 2010; Aufklärer im
Baltikum, hg. v. Kronauer, u., 2011
Baluze,
Etienne (Tulle 24. 11. 1630-Paris 28. 7. 1718) veröffentlicht nach dem Rechtsstudium
in Toulouse als Bibliothekar Colberts 1677 die erste große Ausgabe der frühmittelalterlichen
→Kapitularien (einschließlich der Volksrechte) des fränkischen Reiches
(Capitularia regum Francorum).
Lit.: Ganshof, F., Was waren die Kapitularien?, 1961
Bamberg ist
der als Burg Babenberg (→Babenberger) erstmals zum Jahre 902 genannte Ort
am oberen Main, der 973 von Kaiser Otto II. an den verwandten Herzog von Bayern
gegeben und 1007 unter dessen Erben König Heinrich II. Sitz eines Bistums wird.
Um 1060 erfolgt eine Aufzeichnung des Dienstrechts der Dienstmannen. 1507
schafft der bischöfliche Hofmeister Johann von →Schwarzenberg die
Bamberger Halsgerichtsordnung (Constitutio Criminalis Bambergensis). 1735
wird für kurze Zeit eine juristische Fakultät (Gönner) an der von 1648 bis 1803
bestehenden Universität eingerichtet. 1769 wird ein Landrecht erlassen (nur Teil
1 Civil- oder bürgerliche Sachen betreffend). 1803 fällt das Fürstbistum B. an
Bayern. Kirchlich wird das seit dem 13. Jh. von Mainz exemte Bistum 1818/1821
Erzbistum mit den Bistümern Eichstätt, Speyer und Würzburg. Seit 1923 besteht
eine philosophisch-theologische Hochschule mit (1946) rechtswissenschaftlichem
Studiengang, seit 1972 eine Gesamthochschule (1979 Universität) mit einer
wirtschaftswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Fakultät.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 94, 138; Köbler,
Historisches Lexikon; Zöpfl, H., Das alte Bamberger Recht, 1839; Jaffé, P.,
Monumenta Bambergensia, 1869; Güterbock, C., Zur Redaktion der Bambergensis,
1910; Ament, W., Bamberg, 1929; Das (exemte) Bistum Bamberg, hg. v. Guttenberg,
E. v. u. a., 1937ff.; Weiß, H., Stadt- und Landkreis Bamberg, 1974; Hoffmann,
H., Bamberger Handschriften, 1995; Moser, P., Bamberg, 1998; Pflefka, S., Das
Bistum Bamberg, 2005; Das Bistum Bamberg um 1007, hg. v. Urban, J., 2006;
Festschrift 200 Jahre Appellationsgericht/Oberlandesgericht Bamberg, hg. v.
Meisenberg, M., 2009; Missionierung und Christianisierung im Regnitz- und
Obermaingebiet, hg. v. Bergmann, R. u. a., 2007; Siewert, U., Das Bamberger
Kollegiatstift St. Stephan, 2007; Staudenmaier, J., Gute Policey in Hochstift
und Stadt Bamberg, 2012
Bamberger Halsgerichtsordnung →Bamberg
Bande ist der Zusammenschluss mehrerer Menschen zur
grundsätzlich gemeinsamen Begehung von Straftaten. Bekannte geschichtliche Beispiele
sind etwa die B. Robin Hoods, des Schinderhannes oder der Roten Armee Fraktion.
Lit.:
Die Entwicklung der Strafpraxis bei Bandenkriminalität, 2010; Gerstenmayer,
C., Spitzbuben und Erzbösewichter, 2012
Bank ist
allgemein die breite Sitzgelegenheit und rechtlich das Unternehmen, dessen
Inhaber mindestens eine Art von Bankgeschäften in einem Umfang betreibt, der
einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Nach
antiken Vorläufern in Ägypten, Griechenland und Rom (lat. [M.Pl.] argentarii,
mensarii) entwickeln sich seit dem 12. Jh. berufsmäßige, jeweils auf einer
hölzernen oder steinernen Bank tätige Geldwechsler zuerst in Italien
(Lombarden), wobei wegen der Nähe von Geldwechsel und Darlehen auf Grund des
kanonischen Zinsverbots Juden geschäftliche Vorteile erwachsen. Seit dem 15.
Jh. entstehen halböffentliche Banken und danach öffentliche Banken (Barcelona
1401, Genua 1409, Amsterdam 1609, Hamburg 1619, Nürnberg 1621, Bank of England
1694). Seit etwa 1835 beginnen die Banken mit der Finanzierung industrieller
Unternehmen, die bereit sind, Fremdkapital aufzunehmen (Paris 1852 Aktienbank).
Seit dem ausgehenden 19. Jh. werden die (zu etwa der Hälfte von jüdischen
Inhabern betriebenen rund 1000 deutschen) Privatbanken (Sal. Oppenheim in Köln,
M. Warburg in Hamburg) von den von ihnen zur Gefahrenverringerung entwickelten
Aktienbanken allmählich zurückgedrängt, zwischen 1933 und 1945 auch
geschlossen oder enteignet. In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s werden die
Banken zu bedeutenden Dienstleistungsunternehmen, deren Recht zunehmend
europäisiert wird. Im Herbst 2008 entsteht auf Grund ungesicherter Darlehensvergabe
weltweit eine Bankenkrise.
Lit.: Köbler, DRG 176; Günther, K., Die städtischen
Wechselbanken Deutschlands, Diss. jur. Münster 1932; Trusen, W., Die Anfänge
öffentlicher Banken und das Zinsproblem, FS J. Bärmann, 1975, 113; Born, K.,
Geld und Banken im 19. und 20. Jahrhundert, 1976; Poeschel, H., Die Statuten
der Banken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften in Hamburg und Altona von
1710-1889; Wissenschaft und Kodifikation Bd. 5 1980; Klein, E., Deutsche
Bankengeschichte, 1982; L’alba della banca, 1982; Gabler Banklexikon, hg. v.
Grill, W. u. a., 11. A. 1995, 13. A. 2002; Lane, F./Mueller, R., Money and
Banking, 1985; Ruland, A., Zur Entwicklung des Bankaufsichtsrechts, Diss. jur.
Münster 1987; Kluge, A., Zur Geschichte der deutschen Bankgenossenschaften,
1991; Wandel, E., Banken und Versicherungen, 1997; Europäische Bankgeschichte,
hg. v. Pohl, H., 1997; Banking, Trade and Industry, hg. v. Teichova, A., 1997;
Fuchs, R., Die Wiener Stadtbank, 1998; North, M., Kommunikation, Handel, Geld
und Banken, 2000; A History of European Banking, hg. v. Kurgan, G. u. a., 2000;
James, H., Verbandspolitik im Nationalsozialismus, 2001; Kahmann, H., Die
Bankiers von Jacquier & Securius 1933-1945, 2002; Distel, J., Die
Errichtung des westdeutschen Zentralbanksystems mit der Bank deutscher Länder,
2003; Der Privatbankier, hg. v. Institut für bankhistorische Forschung, 2003;
James, H., Die Deutsche Bank im Dritten Reich, 2003; Die Commerzbank und die
Juden, hg. v. Herbst, L. u. a., 2004; Linder, N., Die Berner Bankenkrise von
1720, 2004; Liedtke, R., N M Rothschild & Sons, 2006; Deutsche Bankiers des
20. Jahrhunderts, hg. v. Pohl, H., 2008; Scholtysek, J., Die Geschichte der
National-Bank, 2011; Rosenberg, H. u. a., Die deutschen Banknoten ab 1871, 18.
A. 2011, 19. A: 2014; Denzel, M., Der Nürnberger Banco Publico, seine Kaufleute
und ihr Zahlungsverkehr (1621-1827), 2012; Backhaus, F., Mayer Amschel
Rothscild, 2012; Schlüsselereignisse der deutschen Bankengeschichte, hg. v.
Lindenlaub, D., 2013
Bankert (mhd.
Banchart [M.] auf der Bank Gezeugter) ist die ältere deutsche Bezeichnung für
das seit dem 8. Jh. von der Kirche abgelehnte →nichteheliche Kind.
Bankrott ist das vollständige Scheitern des
Unternehmers, das im Spätmittelalter bei den Bankinhabern zum Zerstören ihrer
Bank (ital. banca rotta [F.] zerbrochene Bank) führt, wobei die Bezeichnung
über das Niederländische und das Französische im 16. Jh. in das
Neuhochdeutsche eindringt. Für die Abwicklung des Bankrotts setzt sich seit dem
späteren 16. Jh. das Verfahren des Konkurses durch. Der betrügerische B. ist
Straftatbestand.
Lit.: Meier, A., Die Geschichte
des deutschen Konkursrechts, 2003
Bann ist
die Möglichkeit eines Amtsträgers, Gebote und Verbote unter Anordnung
gewichtiger Rechtsfolgen im Fall der Nichtbeachtung auszusprechen (lat. bannus
Gregor von Tours [538/539-594], Historiae 5, 26). In diesem Sinn kann bereits
der jüdische Rabbi den uneinsichtigen Sünder zum Heiden erklären (vgl. Matthäus
18,15-17). Dementsprechend schließt das Christentum (Elvira 306) Sünder in
bestimmten Fällen aus der kirchlichen Gemeinschaft (lat. [F.] excommunicatio
Ausschluss aus der Gemeinschaft im 4./5. Jh. gebildet) aus (nicht auch aus der
Kirche insgesamt). In Fällen geringerer Sünde werden nur der Empfang der
Sakramente und das kirchliche Amt abgesprochen. Vom kirchlichen B. kann der
Papst lösen. Im weltlichen Bereich kennt das fränkische Recht den B. des Königs
oder Grafen. Wer dagegen verstößt, muss 60 bzw. 15 Schilling leisten. Seit dem
Hochmittelalter gehen die Bannrechte des Königs auf den Landesherrn über und
werden dann durch das Hoheitsrecht des Landesherrn bzw. später des Staates
ersetzt. Der kirchliche B. wird unter dem Einfluss der Aufklärung im 18. Jh.
vielfach verboten, im 19. Jh. aber häufig wieder eingeführt.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 83, 130; Sickel, W.,
Zur Geschichte des Bannes, 1886; Koehne, C., Studien über die Entstehung der
Zwangs- und Bannrechte, ZRG GA 25 (1904), 172; Eichmann, E., Acht und Bann,
1909; Eichholzer, E., Über Zwangs- und Bannrechte, 1914; Voltelini, H. v.,
Königsbannleihe und Blutbannleihe, ZRG GA 36 (1915), 290; Heck, P., Die
Bannleihe im Sachsenspiegel, ZRG GA 37 (1916), 260; Ganahl, K., Der Fürbann im
bayerischen Rechtsgebiet, ZRG GA 54 (1934), 257; Fehr, H., Zur Geschichte des
Bannes, ZRG GA 55 (1935), 237; Wießner, H., Twing und Bann, 1935; Stutz, U.,
Zur Herkunft von Zwing und Bann, ZRG GA 57 (1937), 289; Siuts, H., Bann und
Acht, 1959 (Diss. phil. Kiel 1956); Doskucil, W., Der Bann in der Urkirche, 1958;
Scheyhing, R., Eide, Amtsgewalt und Bannleihe, 1960; Tiefenbach, H., Studien zu
Wörtern volkssprachiger Herkunft, 1973; Vodola, E., Excommunication in the
Middle Ages, 1986; Schneider, J./Erb, T., Bannus, Archivum latinitatis medii
aevi 64 (2006), 57
Banner ist
die vielleicht schon in germanischer Zeit als Zeichen dienende Fahne
(Heerfahne, Gerichtsfahne). Seit dem 11. Jh. werden Fahnen mit einem Fahnenwagen
in die Schlacht gefahren. Seit Friedrich I. Barbarossa (1122-1190, König 1152)
führt der König ein B. mit schwarzem Adler auf gelbem Grund mit sich.
Lit.: Amira, K. v./Schwerin, C. Frhr. v.,
Rechtsarchäologie, 1943, 34; 75 (Fünfundsiebzig) Jahre Reichsbanner Schwarz -
Rot - Gold, red. v. Grimm, U., 1999
bannitio (lat.
[F.]) öffentliche Ladung
Bannleihe ist die Vergabe (Leihe) eines Bannes
durch den König. Sie wird 1149 zu Gunsten der Kirche sichtbar. Im Sachsenspiegel
ist die B. eine grundlegende Erscheinung der Gerichtsbarkeit, doch verliert
die königliche B. mit dem Übergang der Gerichtsbarkeit auf die Landesherren
ihre Bedeutung.
Lit.: Scheyhing, R., Eide,
Amtsgewalt und Bannleihe, 1960; Reynolds, S., Fiefs and Vassals, 1994
Bannmeile ist
die örtlich auf eine (oder auch mehrere) Meilen festgelegte Reichweite eines →Bannes
oder einer Herrschaftsgewalt. Seit dem Hochmittelalter werden insbesondere
Burgen, Städte (z. B. Lechenich 1279 banmile sive bivanc), Märkte, Mühlen oder
Brauhäuser mit einer B. ausgestattet. In der Gegenwart beschreibt die B. eines
Staatsorgans den räumlichen Bereich, in dem keine Versammlungen abgehalten
werden dürfen.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Hirsch, H., Die Klosterimmunität
seit dem Investiturstreit, 1913; Küchler, W., Das Bannmeilenrecht, 1964
Bannwald ist der durch Bann des Königs oder sonstigen
Herren der allgemeinen Nutzung entzogene Wald (7. Jh. lat. [F.] silva regis,
forestis, 1251 banholz, 1280 banforst).
Lit.: Mantel, K., Wald und Forst
in der Geschichte, 1990; Dasler, C., Forst und Wildbann, 2001
barbarus (lat.
[M.]) plappernder (Nichtrömer)
Lit.: Köbler, LAW; Rugullis, S., Die Barbaren in den
spätrömischen Gesetzen, 1992
Barbeyrac,
Jean de (1674-1744), 1697-1710 Professor für alte Sprachen in Berlin, 1711-1717
für Geschichte und Naturrecht in Lausanne, 1717-1744 für öffentliches und privates
Recht in Groningen, verbreitet naturrechtliches Gedankengut durch französische
Übersetzungen von Werken Pufendorfs, Grotius’ und Cumberlands.
Lit.: Othmer, S., Berlin und die Verbreitung des
Naturrechts in Europa, 1970
Bargilde →Biergelde
Barock
Lit.: Methoden und Probleme der
Alltagsforschung im Zeitalter des Barock, hg. v. Pickl, O. u. a., 1992
Baron ist
die über das Mittellateinische und Mittelfranzösische von ahd. (M.) baro Mann
abgeleitete Bezeichnung für eine Gruppe Adliger (1595 für Freiherr).
Barrister ist
der vor Gericht ([engl.] bar) auftretende Anwalt des englischen Rechtes.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Baker, J., An Introduction to
English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990,;4. A. 2002; Baker, J., The
Common Law Tradition, 2000
Barschalk ist
eine Bezeichnung für bestimmte Halbfreie im frühmittelalterlichen Bayern (8./9.
Jh., auch 13. Jh.).
Lit.: Köbler, WAS; Janda, A., Die Barschalken, 1926; Mayer,
T., Baar und Barschalken, FS I. Zibermayr, 1954, 143
Bartholomäus de Capua ist ein in Capua am 12. 8.
1248 als Sohn eines Juristen geborener, in Neapel ausgebildeter und 1278
promovierter, 1328 verstorbener neapolitanischer Jurist (Glossen, Quästionen,
Reden).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 499
Bartholomäusnacht ist die Nacht zum 24. August
(1572), in der nach der Hochzeit (Bluthochzeit) des Protestanten Heinrich von
Navarra mit Margareta von Valois in Paris und Umgebung mehr als 3000 Menschen
(meistens Hugenotten) getötet werden.
Bartolus de Saxoferrato (aus bäuerlicher Familie, Venatura bei
Sassoferrato/Saxoferrato nahe Ancona 1313? oder 1314?-Perugia 13. 7. 1357)
lehrt nach dem in Perugia (1327, Cinus de Sighibuldis) und Bologna (1330?,
1333?) betriebenen Rechtsstudium und der nach der Disputation von 1333
(baccalaureus) am 10. 11. 1334 in Bologna erlangten Promotion zum (lat.)
doctor (M.) iuris civilis und einer Tätigkeit als Assessor des Podestà in Todi,
Cagli und Pisa seit Winter 1338/1339 in Pisa und Perugia (1342) weltliches
Recht. Neben vielleicht mehr als 400 gedruckten und weiteren rund 200
ungedruckten Gutachten verfasst er bedeutende Kommentare zu Digesten und Codex
Justinians sowie Glossen, additiones, 22 gedruckte quaestiones und etwa 45 (28
gedruckte) wichtige Traktate (z. B. zum Markenrecht und Wappenrecht) in klarer,
aber trotz freierer Auslegung noch an der Scholastik ausgerichteter Denkweise.
Seine Werke bilden neben der Glosse des Accursius an vielen Orten die Grundlage
des juristischen Studiums bis weit in die Neuzeit ( [lat.] Nemo bonus iurista,
nisi Bartolista, niemand ist guter Jurist, wenn er nicht Bartolist ist). Sein
wohl bekanntester Schüler ist Baldus de Ubaldis.
Lit.: Söllner § 25; Bartolus, Opera
omnia, Drucke seit 1525; Savigny, F., Geschichte des römischen Rechtes im
Mittelalter, 2. A. Bd. 3ff. 1834ff.; Woolf, C., Bartolus of Sassoferrato, 1913.
Neudruck 2012; Bartolo da Sassoferrato, Bd. 1f. 1962; Merzbacher, F., Bartolo
de Sassoferrato, (in) Recht - Staat - Kirche, hg. v. Köbler, G. u. a., 1989,
559; Kisch, G., Bartolus und Baldus, 1960; Cavallar, O. u. a., A Grammar of
Signs, 1994; Lepsius, S., Der Richter und die Zeuge, 2003; Lange, H./Kriechbaum,
M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 682
Basel am Rhein
(Basilia 374 n. Chr.) wird auf keltisch-römischer Siedlungsgrundlage (keltische
Rauriker 1. Jh. v. Chr., römisches Kastell um 15 v. Chr.) nach dem Übergang an
die Alemannen (6./7. Jh.) vielleicht im 7. Jh. Sitz eines Bischofs (zunächst
von Augst und B.). Seit 1362 zählt es sich nach dem Kauf wichtiger Rechte des
Bischofs zu den freien Städten im Heiligen römischen Reich und erwirbt Gebiete zum Jura hin. 1431-1437
ist es Tagungsort eines Konzils. 1459 (4. 4. 1460) erlangt es eine (bald
verbaselete) Universität (mit rund 2200 Promotionen zwischen 1558 und 1818 d.
h. jährlich etwa 9). Am 13. 7. 1501 schließt sich B. als neunter Ort der
Eidgenossenschaft der →Schweiz an und löst sich 1648 förmlich vom
Heiligen römischen Reich. Die Stadtgerichtsordnung von 1719 schöpft
hauptsächlich aus dem württembergischen Landrecht von 1555. 1832/1833 trennt
sich Basel-Land von Basel-Stadt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Heusler, A.,
Verfassungsgeschichte der Stadt Basel, 1860; Concilium Basiliense, hg. v.
Haller, J., Bd. 1ff. 1896ff.; Wackernagel, R., Geschichte der Stadt Basel, Bd.
1ff. 1907ff.; Bruder, H., Die Lebensmittelpolitik der Stadt Basel, 1909;
Mulsow, H., Maß und Gewicht der Stadt Basel, 1910; Festschrift zur Feier des
450jährigen Bestehens der Universität Basel, 1910; His, E., Geschichte des
Basler Grundbuchs, 1915; Wackernagel, R., Geschichte der Stadt Basel, Bd. 1f.
1907ff.; Heusler, A., Geschichte der Stadt Basel, 1917; Ribeaud, A., Le moulin
féodal, 1920; Heusler, A., Basels Gerichtswesen im Mittelalter, 1922; His, E.,
Zur Geschichte des Basler Notariats, Basler Zeitschrift für Geschichte und
Altertumskunde 20 (1922), 1; Saxer, E., Das Zollwesen der Stadt Basel, 1923;
Roth, P., Die Organisation der Basler Landvogteien, 1922; His, E., Eine
historische Staatsteilung, GF Fritz Fleiner 1927; Membrez, A., Die Burgvogtei
Binzen, 1928; Metzger, K., Die Verbrechen und ihre Straffolgen im Basler Recht
des späteren Mittelalters, 1931; Koelner, P., Die Safranzunft zu Basel, 1935;
Mayer-Edenhauser, T., Zur Territorialbildung der Bischöfe von Basel, ZGO 52
(1938), 226; Die Matrikel der Universität Basel, hg. v. Wackernagel, H., Bd.
1f. 1951ff.; Staehelin, A., Geschichte der Universität Basel 1632 bis 1818,
1957; Hagemann, H., Rechtswissenschaft und Basler Buchdruck, ZRG GA 77 (1960),
241; Hagemann, H., Basler Stadtrecht im Spätmittelalter, ZRG GA 78 (1961), 140;
Professoren der Universität Basel, 1960; Kisch, G., Die Anfänge der
juristischen Fakultät der Universität Basel 1459-1529, 1962; Baerlocher, R.,
Das Rechtsmittelsystem des baselstädtischen Zivilprozessrechts, 1964; Bühler,
T., Andreas Heusler und die Revision der Basler Stadtgerichtsordnung 1860-1870,
1963; Staehelin, A., Sittenzucht und Sittengerichtsbarkeit in Basel, ZRG GA 85
(1968), 78; Christ, B., Die Basler Stadtgerichtsordnung von 1719, 1969;
Abplanalp, F., Zur Wirtschaftspolitik des Fürstbistums Basel, 1971; Bühler, T.,
Gewohnheitsrecht und Landesherrschaft im ehemaligen Fürstbistum Basel, 1972;
Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte,
hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,443, 3,2,1958; Mommsen, K., Katalog der
Basler juristischen Disputationen 1558-1818, 1978; Simon, C.,
Untertanenverhalten und obrigkeitliche Moralpolitik, 1981; Hagemann, H.,
Basler Rechtsleben im Mittelalter, Bd. 1f. 1981ff.; Kern, B., Die juristische
Gesellschaft zu Basel, ZRG GA 100 (1983), 145; Röthlin, N., Die Basler
Handelspolitik, 1986; Münch, P., Aus der Geschichte des Basler Privatrechts im
19. Jahrhundert, 1991; Basel, hg. v. Kreis, G. u. a., 2000; Hirsch, V., Der Hof
des Basler Bischofs Johannes von Venningen, 2004; Hagemann, H., Laiengericht
und gelehrtes Recht am Beispiel des Basler Stadtgerichts, ZNR 27 (2005), 1;
Gröbli, F., Bibliographie von Basel, 2005; Suter, S., Die strafrechtlichen
Bedenckhen, 2006; Immenhauser, B., Bildungswege – Lebenswege, 2007; Steinbrink,
M., Ulrich Meltinger, 2008; Berner, H. u. a., Kleine Geschichte der Stadt
Basel, 2008; Hagemann, Hans-Rudolf, Vielschichtiges Recht - Zivilrechtspflege
im neuzeitlichen Basel, 2009; Kunz, R., Geschichte der Basler juristischen
Fakultät 1835-2010, hg. v. Hafner, F. u. a. 2011
Basiliken (griech.
[ta[] basilika [nomima], kaiserliche [Bücher bzw. Gesetze]) ist der Name für
die (von Kaiser Basilius I. 867-886 geplanten) 60 Bücher, in denen unter Kaiser
Leon VI. (886-912) in →Byzanz die lateinischen Rechtstexte (Codex und Digesten)
Kaiser →Justinians (528-534) auf der Grundlage wohl alter griechischer
Paraphrasen ins Griechische übersetzt, gestrafft und vereinfacht werden
(Digestenparaphrase des Anonymus, Codexparaphrase des Thaleleios). Später
kommen Randbemerkungen (Scholien) hinzu. Um 1345 bearbeitet →Harmenopoulos
die B. im →Hexabiblos. Die unmittelbare Geltung der B. endet mit der
Einnahme Ostroms durch die Türken 1453 n. Chr., doch bleiben die B. in Zusammenfassungen
und Auszügen für Griechenland bis zum Zivilgesetzbuch des Jahres 1946
bedeutsam.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 44 I 6; Basilicorum
libri LX, hg. v. Scheltema, J., u.a, Bd. 1ff. 1953ff.
Baske ist
der Angehörige eines vorindogermanischen, um die Pyrenäen siedelnden Volkes. Im
10. Jh. deckt sich das Land der Basken mit dem Königreich →Navarra. 1939
beseitigt der spanische Diktator Franco die Vorrechte der ihm ablehnend
gegenüberstehenden Basken. 1979 erhalten die Basken (wieder) Autonomie.
Lit.: Ortots, H., Die Basken, 1979; Handbuch der Quellen
und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing,
H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,247; Kasper, M., Baskische Geschichte, 1997, 2. A.
2008; Kurlansky, M., Die Basken, 2000
Baudoin (Balduinus),
François (Arras 1520-Paris 1573), Fiskaladvokatensohn, lehrt nach dem Studium
in Löwen (Mudaeus) kurz in Paris (Du Moulin), seit 1548 in Bourges, seit 1555
in Straßburg, seit 1556 in Heidelberg, nach einiger Unterbrechung seit 1566 in
Besançon und seit 1569 in Angers. Innerhalb der französischen Humanisten bemüht
er sich um die von der einfachen Überlieferung gelöste zusammenfassende
Behandlung verschiedener Textschichten (z. B. der Codexfragmente Konstantins).
Lit.: Erbe, M., François Baudoin, 1978
Bauer ist
der Angehörige des die Landwirtschaft betreibenden Berufsstands. Sachlich entsteht
der B. mit der Sesshaftwerdung, mit welcher der Ackerbau neben die Viehzucht
tritt. Im Frühmittelalter gerät der B. vielfach in grundherrschaftliche
Abhängigkeit. Seit der Aussonderung der Bürger und Ritter etwa im 11. Jh.
bilden die verbleibenden Mitglieder der Gesellschaft den Berufsstand der
Bauern. Namengebend wird das bloße Nebeneinanderwohnen (ahd. būan).
Möglich ist unter bestimmten Umständen der Erwerb von Freiheit (z. B.
Rodungsfreiheit). Zu Beginn des 16. Jh.s lehnen sich die Bauern erfolglos gegen
ihre Herren auf (→Bauernkrieg). Im dreißigjährigen Krieg (1618-1648) wird
vielleicht die Hälfte der Bauern getötet. Im 19. Jh. erlangen die Bauern
Freiheit und Eigentum (→Bauernbefreiung) und werden den (anderen) Bürgern
grundsätzlich gleichgestellt. Seit der 2. Hälfte des 20. Jh.s nimmt die Zahl
der Bauern wegen der günstigeren Lebensbedingungen in anderen Erwerbszweigen
sehr stark ab und verliert die Landwirtschaft überhaupt ihre wesentliche
wirtschaftliche Bedeutung an die Dienstleistung.
Lit.: Köbler, DRG 79, 98, 111, 135; Heusler, A., Der Bauer
als Fürstengenoss, ZRG GA 7 (1886), 235; Wittich, W., Die Frage der Freibauern,
ZRG GA 22 (1901), 245; Fehr, H., Das Waffenrecht der Bauern im Mittelalter, ZRG
GA 35 (1914), 111; Urkunden zur deutschen Agrargeschichte, hg. v. Wopfner, H.,
1925; Barth, F., Der baaremer Bauer, Schriften des Vereins für Geschichte und
Naturgeschichte der Baar 17 (1928); Weller, K., Die freien Bauern in Schwaben,
ZRG GA 54 (1934), 178; Bader, K., Die freien Bauern im Breisgau, 1936; Mayer,
T., Die Entstehung des „modernen“ Staates im Mittelalter und die freien Bauern,
ZRG GA 57 (1937), 210; Bader, K., Das Freiamt im Breisgau und die freien Bauern
am Oberrhein, 1936; Veltzke, G., Der gebundene bäuerliche Besitz, 1938;
Arbusow, L., Das Bauernrecht des sog. budberg-schraderschen Landrechtsentwurfs
von 1740, Mitteilungen aus der livländischen Geschichte 25 (1937), 377;
Huppertz, B., Räume und Schichten bäuerlicher Kulturformen in Deutschland,
1939; Höffner, J., Bauer und Kirche 1939; Dopsch, A., Herrschaft und Bauer,
1939; Deutsches Bauerntum, Bd. 1f. hg. v. Franz, G., 1939f.; Möller, K., Das
Vierländer Bauernrecht, 1940; Lütge, F., Die landesherrlichen Urbarsbauern in
Ober- und Niederbayern, 1943; Adel und Bauern im Staat des deutschen
Mittelalters, hg. v. Mayer, T., 1943; Grass, N., Zur Kontinuität im bäuerlichen
Rechte der Alpenländer, ZRG GA 66 (1948), 516; Haff, K., Der freie Bergbauer
als Staatsgründer, ZRG GA 67 (1950), 394; Dollinger, P., L’évolution des
classes rurales en Bavière, 1949; Das Problem der Freiheit in der deutschen und
schweizerischen Geschichte, 1955; Niederer, A., Gemeinwerk im Wallis, 1956;
Lehmann, R., Die Verhältnisse der niederlausitzischen Herrschafts- und
Gutsbauern, 1956; Hofmann, H., Freibauern, Freidörfer, Zeitschrift für
bayerische Landesgeschichte 23 (1960), 195; Wopfner, H., Bergbauernbuch,
1951ff.; Henning, F., Herrschaft und Bauernuntertänigkeit, 1964; Achilles, W.,
Vermögensverhältnisse braunschweigischer Bauernhöfe im 17. und 18. Jahrhundert,
1965; Henning, F., Dienste und Abgaben der Bauern im 18. Jahrhundert, 1969;
Grüll, G., Der Bauer im Lande ob der Enns, 1969; Bauer, Wort und Begriff, hg.
v. Wenskus, R. u. a., 1975; Deutsches Bauerntum im Mittelalter, hg. v. Franz,
G., 1976; Kuchenbuch, L., Bäuerliche Gesellschaft und Klosterherrschaft im 9.
Jahrhundert, 1978; Dollinger, P., Der bayerische Bauernstand vom 9. bis zum 13.
Jahrhundert, 1982 (franz. 1949); Fossier, R., Paysans d’Occident, 1984;
Rösener, W., Bauern im Mittelalter, 1985, 4. A. 1987; Blickle, P., Studien zur
geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes, 1989; Rösener, W.,
Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter,
1992; Trossbach, W., Bauern 1648–1806, 1993; Rösener, W., Die Bauern in der
europäischen Geschichte, 1993; Wopfner, H., Tiroler Bergbauernbuch, hg. v.
Grass, N., Bd. 1ff., 1995ff.; Epperlein, S., Bäuerliches Leben im Mittelalter,
2003; Wiese, M., Leibeigene Bauern und römisches Recht im 17. Jahrhundert,
2006; Kissling, P., Freie Bauern und bäuerliche Bürger, 2006; Kofler, A.,
Bauernleben in Südtirol, 2010
Bauerbrief →Dorfordnung
Bauergericht ist
unter verschiedenen Namen das unter Vorsitz eines Bauermeisters in Flursachen
tagende Gericht des mittelalterlich-frühneuzeitlichen Dorfes.
Lit.: Wiemann, H., Der Heimbürge in Thüringen und Sachsen,
1962
Bauernbefreiung (F. Knapp 1887) ist die Befreiung der gebietsmäßig durchaus verschieden
gestellten Bauern aus der grundherrlichen Abhängigkeit an der Wende des 18.
Jh.s zum 19. Jh., die von Staatsmännern, Wirtschaftsdenkern und aufgeklärten
Bürgern mit dem Ziel der Modernisierung der Landwirtschaft nach dem Vorbild
Englands auch zwecks Ertragssteigerung angeregt wird. Sie beginnt nach
Verbesserungen des Bauernschutzes in Preußen (1749) und Österreich (1751) in
Savoyen (1761, 1771). Reformen Josephs II. in Österreich werden abgesehen von
der Aufhebung der Erbuntertänigkeit nach 1789 wieder abgeschafft. In Baden wird
1787 die Leibeigenschaft aufgehoben. In Preußen erhalten von 1799 bis 1805
50000 Domänenbauern persönliche Freiheit und freies Eigentum. Im Oktober 1807
verschafft ein preußisches Edikt bis zum Martinitag 1810 allen Bauern
persönliche Freiheit, das Regulierungsedikt von 1811 auch Eigentum gegen
Entschädigung. Im Laufe des 19. Jh.s dringt die B. vor allem seit 1848
(Österreich Aufhebung der Robot, Grundentlastung) allgemein durch (z. B.
Russland 1861). Entgegen den Zielsetzungen bewirkt die B. keine allgemeine
Verbesserung der Lage der Bauern.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 174; Knapp, G., Die
Bauernbefreiung, 1887; Grünberg, C., Die Bauernbefreiung in Böhmen, Mähren und
Schlesien, Bd. 1f. 1893, Neudruck 2013; Darmstädter, P., Die Befreiung der
Leibeigenen (Mainmortables) in Savoyen, 1897; Vogt, G., Die Bauernbefreiung in
Mecklenburg, 1937; Conze, W., Die liberalen Agrarreformen Hannovers im 19.
Jahrhundert, 1947; Conze, W., Quellen zur Geschichte der Bauernbefreiung, 1957;
Engels, W., Ablösungen und Gemeinheitsteilungen in der Rheinprovinz, 1957;
Schremmer, E., Die Bauernbefreiung in Hohenlohe, 1963; Winkel, H., Die
Ablösungskapitalien aus der Bauernbefreiung in West- und Süddeutschland, 1968;
Hippel, W. v., Die Bauernbefreiung im Königreich Württemberg, Bd. 1f. 1977;
Dipper, C., Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790-1850, 1980; Kreutzkamp, F.,
Bauernbefreiung auf Cappenberg, 2003; Schneider, K., Geschichte der
Bauernbefreiung, 2010
Bauernkrieg ist
der (zwischen 1300 und 1800) von den →Bauern gegen die →Grundherrn
geführte (einzelne) Krieg. Der B. von 1525 gründet sich auf eine als Folge der
Pest am Ende des Mittelalters entstandene Agrarkrise und auf die von Martin
Luther (Von der Freiheit eines Christenmenschen) genährte Hoffnung auf
Besserung der Lage der Unterdrückten. Nicht zuletzt wegen Luthers baldiger
Stellungnahme gegen die mörderischen Rotten der Bauern enden die Bauernkriege
mit Niederlagen (bei Frankenhausen, Zabern, Böblingen und Würzburg) der
Bauern (etwa 100000 Tote), ohne dass diese sich jedoch vollständig entrechten
lassen.
Lit.: Zimmermann, W., Allgemeine Geschichte des großen
Bauernkrieges, 1841ff.; Franz, G., Der deutsche Bauernkrieg, 1933, Aktenband
1935, 14. A. 1984; Blickle, P., Die Revolution von 1525, 1975; Struck, W., Der
Bauernkrieg am Mittelrhein und in Hessen, 1975; Waas, A., Der Bauernkrieg,
1995; Blickle, P., Der Bauernkrieg, 1998, 2. A. 2002; Blickle, P., Unruhen in
der ständischen Gesellschaft, 1988, 2. A. 2010, 3. A. 2012; Strunz-Happe, A.,
Wandel der Agrarverfassung, 2003; Fink, B., Die Böhmenkircher Bauernrevolte
1580-1582/83, 2004; Hohn, M., Die rechtlichen Folgen des Bauernkrieges von
1525, 2004; Bundschuh, hg. v. Blickle, P. u. a., 2004; Bauernkrieg zwischen
Harz und Thüringer Wald, hg. v. Vogler, G., 2008; Der Oberrheinische Revolutionär,
bearb. v. Lauterbach, K., 2009; Die Zwölf Artikel von 1525 und das „göttliche
Recht“ der Bauern, hg. v. Hasselhoff, G. u. a., 2012
Bauernlegen ist das im Hochmittelalter bei Orden
(z. B. Zisterziensern) und dann in England im 15. Jh. beginnende Einziehen wüst
liegender Bauernhöfe und Aufkaufen freier Bauernhöfe durch Grundherren zwecks
Vergrößerung von Grundherrschaften (z. B. Rittergütern in Mecklenburg und
Vorpommern), das seit 1709 bzw. 1749 in Preußen verboten wird.
Lit.: Nichtweiß, J., Das
Bauernlegen in Mecklenburg, 1954; Zientara, B., Die Agrarkrise in der
Uckermark, (in) Feudalstruktur, Lehnbürgertum und Fernhandel 1967, 221ff.
Bauernlehen ist das vereinzelt an einen Bauern
gelangte kleine Lehen, das zwischen Lehen und Leihe steht und in das
Lehensrecht nur in einzelnen Hinsichten einbezogen wird.
Bauermeister (1159 mnd. burmester) ist vom
Hochmittelalter (bis zum Ausgang der frühen Neuzeit) der (gebietlich auch
anders bezeichnete) Leiter örtlicher, meist bäuerlicher Gemeinden mit auch
gerichtlichen Aufgaben.
Lit.: Schildt, B., Bauer Gemeinde
Nachbarschaft, 1996
Bauerschaft ist die als Einheit verstandene
Nachbarschaft, vor allem auf dem Land, aber zeitweise auch in niederdeutschen
Städten.
Lit.: Lappe, J., Die Bauerschaften
der Stadt Geseke, 1908; Lappe, J., Eine „untergegangene“ Bauerschaft, ZRG GA 32
(1911), 229; Lappe, J., Die Bauerschaften und Huden der Stadt Salzkotten, 1912
Bauersprache (mnd.
bursprake) ist die Versammlung der Nachbarn in Stadt und Dorf, in der das
geltende Recht verkündet wird und bei Bedarf allgemeine Angelegenheiten beraten
werden.
Lit.: Kroeschell, DRG 1
Baulast ist
im späten 20. Jh. in Deutschland das sich nicht bereits aus
öffentlichrechtlichen Vorschriften ergebende, also freiwillig gegenüber der
Bauaufsichtsbehörde übernommene, ein Grundstück betreffende Tun, Dulden oder
Unterlassen eines Eigentümers. →Kirchenbaulast
Lit.: Döring, C., Die öffentliche
Baulast, 1994; Grahm, Nicole, Kommunale Kirchenbaulasten im Gebiet des
ehemaligen Großherzogtums Baden, 2012
Baurecht ist
objektiv die Gesamtheit der Rechtssätze, die sich auf die Zulässigkeit und die
Grenzen bzw. die Ordnung und die Förderung der Errichtung und wesentlichen
Veränderung von baulichen Anlagen sowie auf deren bestimmungsgemäße Nutzung
beziehen. Ursprünglich gilt für das B. der Grundsatz der Baufreiheit des
Grundstücksberechtigten (so noch das preußische Allgemeine Landrecht von 1794
in I 8 § 65). Seit dem Hochmittelalter finden sich erste Einschränkungen in
den verdichtet besiedelten Städten. Dem folgen allmählich zahlreiche einzelne
Polizeiverordnungen, Erlässe und Entschließungen der Landesherren. Sie werden
in der Mitte des 19. Jh.s durch allgemeine Regelungen ersetzt (München 1863,
Bayern 1864, Baden 1868, Sachsen 1868/1869, Preußen 1871, Württemberg 1872,
Sachsen Baugesetz 1900, Bayern Bauordnung 1901, Preußen Wohnungsgesetz 1918,
Deutsches Reich Baugestaltungsverordnung 1936), die mit zunehmender Besiedlungsdichte
immer stärkere Beschränkungen aufnehmen, so dass der Grundsatz der Baufreiheit
in erheblichem Umfang zum bloßen Grundsatz eingeengt wird (Bundesbaugesetz
1960, Baunutzungsverordnung 1962, Städtebauförderungsgesetz 1971,
Baugesetzbuch 1986, Arbeitsstättenverordnung 2004). Als B. wird in Österreich
das →Erbbaurecht bezeichnet.
Lit.: Köbler, DRG 152, 198, 259, 269; Grein, F., Baurecht
nach den Vorschriften des allgemeinen Landrechts, 1863; Urschlechter, A., Das
Baurecht der Stadt Nürnberg, Diss. jur. Erlangen 1940; Gönnenwein, O., Die
Anfänge des kommunalen Baurechts, FG H. Fehr, 1948, 71; Pirson, D., Das
Baurecht des fürstlichen Absolutismus im hohenzollerischen Franken, 1961; Buff,
A., Die bestimmenden Faktoren der deutschen Bauordnungen, 1970; Deutsche
Verwaltungsgeschichte, hg. v. Jeserich, K. u. a., Bd. 1ff. 1983ff.; Ries, P.,
Bauverträge im römischen Recht, Diss. jur. München 1989; Bauer, C., Anspruch
und Wirklichkeit landesherrlicher Baugesetzgebung, Diss. jur. Marburg 1991; 100
Jahre Allgemeines Baugesetz Sachsen, hg. v. Bauer, H. u. a., 2000; Binding,
G./Linscheid-Burdich, S., Planen und Bauen im frühen und hohen Mittelalter,
2002; Bauen nach Vorschrift?, hg. v. Spohn, T., 2002; Kocken, E., Van bouwen,
2004; Untermann, M., Architektur im frühen Mittelalter, 2006; Sokull, J.,
Baurecht und kommunale Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, Diss. jur. Bonn
2010 (im Druck erschienen 2012); Feldmann, E., Bauordnungen und Baupolizei,
2011
Bausparkasse ist
die genossenschaftlich organisierte →Sparkasse, die Darlehen zu
Bauzwecken an Genossen vergibt. Die erste B. wird 1775 in Birmingham gegründet
(Ketley’s Building Society, 1831 Oxford Provident Building Association in Frankfort/Pennsylvania).
In Deutschland stammt die älteste B. von 1885 (Bielefeld, B. für jedermann,
1924 Bausparkasse Wüstenrot).
Lit.: Köbler, DRG 241; Lehmann, W., Die Bausparkasse, 5. A.
1977
Bautzen
Lit.: Eide, Statuten und Prozesse,
hg. v. Schwerhoff, G. u. a., 2002
Bayer ist
der Angehörige des aus streitigen Grundlagen (Bojern, Alemannen, Walchen)
erwachsenden, zum 6. Jh. (Jordanes) erstmals genannten, zwischen Alpen und
Donau siedelnden Volkes. Die Bayern geraten schon früh unter die Herrschaft der
→Franken. Um 740 werden für die Bayern von Bonifatius Bistümer
eingerichtet (Passau, Salzburg, Freising, Regensburg, Eichstätt). Vielleicht
vor 743 zeichnen die Bayern nach dem Vorbild der Alemannen ihr Recht auf (→Lex
Baiwariorum). Ihr dem bereits im 6. Jh. nachweisbaren Geschlecht der
Agilolfinger angehörender König Tassilo III. wird 788 von Karl dem Großen
abgesetzt. Später gelangen die Bayern (bzw. gelangt das Gebiet der Bayern als
Herzogtum) nacheinander an die Luitpoldinger (Anfang 10. Jh.), das sächsische
(bzw. ottonische) und salische Königshaus (größte Ausdehnung um 950), die
Welfen (1070-1138), die Babenberger (1139-1156), die Welfen (1156) und nach dem
Sturz Heinrichs des Löwen (1180) an die →Wittelsbacher.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 3; Köbler, Historisches Lexikon;
Köbler, DRG 75, 131, 139, 192, 256; Monumenta Boica, ed. Academia Scientiarum
Boica, Bd. 1ff. 1763ff.; Rosenthal, E., Geschichte des Gerichtswesens und der
Verwaltungsorganisation Baierns, Bd. 1f. 1889ff.; Gutmann, F., Die soziale
Gliederung der Bayern zur Zeit des Volksrechtes, 1906; Stölzel, A., Die
Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, Bd. 1f. 1901ff.; Stowasser, O., Das
Land und der Herzog in Bayern und Österreich, 1925; Spindler, M., Die Anfänge
des bayrischen Landesfürstentums, 1937; Wörterbuch der bairischen Mundareten in
Österreich, 1970ff. (2012 -eig); Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
3,2,1472,2634, 3,3,3697; Handbuch der bayerischen Geschichte, hg. v. Spindler,
M., Bd. 1ff. 2. A. 1981, z. T. 3. A.ff. 1995ff.; Schmid, A., Das Bild des
Bayernherzogs Arnulf (907-937), 1976; Conversio Bagoariorum et Carantanorum,
hg. v. Wolfram, H., 1979, 2. A. 2012; Kraus, A., Geschichte Bayerns, 1983, 3.
A. 2004; Jahn, J., Ducatus Baiuvariorum, 1989; Hartmann, P., Bayerns Weg in die
Gegenwart, 1989, 2. A. 1992; Wolf, G., Bemerkungen zur Geschichte Herzog
Tassilos III. von Bayern (748-788), ZRG GA 109 (1992), 353; Prinz, F., Die
Geschichte Bayerns, 1997; Liebhart, W., Bayerns Könige, 1997, 2. A. 1997; Fait,
B., Demokratische Erneuerung, 1998; Sagstetter, M., Hoch- und
Niedergerichtsbarkeit im spätmittelalterlichen Herzogtum Bayern, 2000;
Volkert, W., Geschichte Bayerns, 2001; Störmer, W., Die Baiuwaren, 2002;
Bayerische Verfassungsurkunden, bearb. v. Wenzel, A., 4. A. 2002; Schauplätze
der Geschichte der Bayern, hg. v. Schmid, A. u. a., 2003; Holzfurtner, L.,
Gloriosus dux, 2003; Freund, S., Von den Agilolfingern zu den Karolingern, 2004
Bayerisches Landrecht
von 1616 ist das von Herzog Maximilian (1597-1651) seinem Land →Bayern
gegebene einheitliche →Landrecht.
Lit.: Schuppenies, P., Die Bürgschaft im bayerischen
Landrecht, Diss. jur. Mannheim 1975
Bayerisches Oberstes Landesgericht ist das in Wahrung der Erinnerung an Bayern als
unabhängigen deutschen Staat (1806-1871) beibehaltene, über mehreren
bayerischen Oberlandesgerichten (München, Nürnberg, Bamberg) stehende oberste
Gericht (Oberappellationsgericht) der ordentlichen Gerichtsbarkeit in
Bayern. Es geht auf das auf Grund eines kaiserlichen, vom Reichskammergericht
befreienden Privilegs am 18. 4. 1625 verfügte Revisorium (Revisionsgericht)
Bayerns zurück. Eingerichtet wird es durch das bayerische Ausführungsgesetz zum
Gerichtsverfassungsgesetz vom 23. 2. 1879. Vom 1. April 1935 bis 1948 war es
aufgehoben. Ab 1. Januar 2005 ist es für Neueingänge durch die
Oberlandesgerichte München, Nürnberg und Bamberg ersetzt, zum 30. 6. 2006 auch
für anhängige Sachen aufgehoben.
Lit.: Merzbacher, F., 350 Jahre Bayerisches Oberstes
Landesgericht, (in) Recht - Staat - Kirche, hg. v. Köbler, G. u. a., 1989, 509;
Das Bayerische Oberste Landesgericht, hg. v. Herbst, G., 1993; Demharter, J.,
375 Jahre Bayerisches Oberstes Landesgericht, NJW 2000, 1154; Hettler, F., Das
bayerische oberste Landesgericht, (in ) Bayern und Europa, 2005; Hirsch, G.,
Die Auflösung des bayerischen obersten Landesgerichts, NJW 2006, 3255
Bayerisches Strafgesetzbuch von 1813 ist das von →Feuerbach erarbeitete Strafgesetzbuch
→Bayerns, das unter der Theorie des psychologischen Zwanges die wechselseitige
Freiheit aller Bürger dadurch schützen will, dass es den Straftatbestand
möglichst genau festlegt.
Lit.: Feuerbach, P., Lehrbuch des gemeinen, in Deutschland
geltenden peinlichen Rechts, 1801, 14. A. 1847; Schubert, G., Feuerbachs
Entwurf zu einem Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern, 1978
Bayerische Zivilprozessordnung vom 29. 4. 1869 ist das am 1. 7. 1870 den älteren (lat.) →Codex
(M.) iuris Bavarici iudiciarii (von 1753) ablösende, bis 1879 geltende
Zivilprozessgesetz →Bayerns.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ZPOBay
ern1869.pdf, Bayerische Zivilprozessordnung, 1869
Bayern ist
das von den Bayern (→Bayer) bewohnte Gebiet. Seit 1255 wird das mit dem
(lat. [N.]) privilegium minus von 1156 bei der Abteilung Österreichs als
eigenes Territorialherzogtum erkennbare, 1180 an die Wittelsbacher verlehnte,
1214 um die Pfalzgrafschaft bei Rhein erweiterte, durch die Ausbildung der
Hochstifte Augsburg, Passau, Freising, Regensburg und Salzburg aber
geschmälerte Land B. mehrfach geteilt (1255 Oberbayern mit Pfalzgrafschaft, Niederbayern,
bis 1346). 1329 werden im Hausvertrag von Pavia (aus Oberbayern) Oberpfalz
(im Nordgau) und Pfalz einer eigenen Linie überantwortet (mit Kurwürde seit
1356). 1335/1346 gibt Kaiser Ludwig der Bayer dem Teil Oberbayern ein
Landrecht. Nach seinem Tode (1347) wird das um Holland und Brandenburg
vergrößerte Land erneut geteilt. 1474 gibt Herzog Ludwig der Reiche, der
Gründer der Universität Ingolstadt (1472, 1800 Landshut, 1826 München), Niederbayern
eine Landesordnung, die 1501 ergänzt wird (vgl. auch das Landgebot von Bayern-München
von 1500). Nach dem Landshuter Erbfolgekrieg wird nach Schaffung des
Fürstentums Pfalz-Neuburg (junge Pfalz) 1506 die Unteilbarkeit des wiedervereinigten
Landes festgelegt, 1516 eine Landesfreiheitserklärung, 1516/1520 eine
(vielleicht von Augustin Köllner endredigierte, 1520 um 20 Seiten gekürzte)
Landesordnung, 1518 eine Landrechtsreformation (zum Landrecht von 1335/1346),
1520 eine Gerichtsordnung, 1553 eine Landesordnung und 1616 durch den die
Landstände weiter zurückdrängenden, aber nicht entmachtenden Herzog Maximilian
(1598-1651) ein einheitliches Landrecht geschaffen. 1623 wird B.
Kurfürstentum. 1669 findet der letzte Landtag in B. statt. In der Mitte des 18.
Jh.s wird das Recht unter Wiguläus von Kreittmayr im (lat.) →Codex (M.)
iuris Bavarici criminalis (1751), im →Codex iuris Bavarici iudiciarii
(1753) und im →Codex Maximilianeus Bavaricus civilis (1756)
zusammengefasst. 1777 kommen Pfalz (abgesehen von der Nebenlinie
Pfalz-Zweibrücken) und Bayern in der Pfälzer Linie (Carl Theodor aus der
Nebenlinie Sulzbach-Hilpoltstein, der 1742 Jülich und Berg erheiratet und
zudem Bergen op Zoom, Pfalz-Sulzbach, Neuburg und die Kurpfalz erbt) wieder
zusammen. 1799 erbt die Nebenlinie Pfalz-Zweibrücken (Max Joseph) alle Güter
Zwischen 1803 und 1816 gewinnt das zum 1. 1. 1806 zum Königreich aufgestiegene,
dem Rheinbund angeschlossene und zum 6. 8. 1806 souverän gewordene Bayern
große schwäbische und fränkische Gebiete (Würzburg, Bamberg, Augsburg,
Freising, Teile von Eichstätt und Passau, 1806 Ansbach, Bayreuth). Am 1. 5.
1808 entsteht zwecks Verhinderung einer zentralistischen Gestaltung des Rheinbundstatuts
und einer Einmischung Napoleons in die inneren Angelegenheiten Bayerns eine Verwaltung
und Gerichtsbarkeit umfassend modernisierende, von 23 Edikten und
Verordnungen ergänzte Konstitution, 1813 ein Strafgesetzbuch, am 26. 5. 1818
eine Verfassung (mit Kammer der Reichsräte und Kammer der Abgeordneten). 1871
wird B. Teil des deutschen Reiches. 1918 wird das Königreich zum Freistaat, an
den 1920 Coburg angegliedert wird, der aber 1945 alle linksrheinischen Gebiete
(Pfalz) an das neue Rheinland-Pfalz verliert. Am 1. 12. 1946 wird innerhalb der
Besatzungszone der Vereinigten Staaten von Amerika eine neue Verfassung für B.,
das einen besonderen Verfassungsgerichtshof erhält, angenommen. 1949 wird B.
ein Teil der Bundesrepublik Deutschland.
Lit.: Riezler, S. v. Geschichte Bayerns,
Bd. 1ff. 1880ff., Neudruck 1964; Gengler, H., Beiträge zur Rechtsgeschichte
Bayerns, 1889; Wohlhaupter, E., Hoch- und Niedergericht in der
mittelalterlichen Gerichtsverfassung Bayerns, 1929; Wüstendörfer, M., Das
baierische Strafrecht des 13. und 14. Jahrhunderts, 1942; Historischer Atlas
von Bayern, hg. v. d. Kommission für bayerische Landesgeschichte, Teil Altbayern
Heft 1ff. 1950ff., Teil Franken 1951ff., Teil Schwaben 1952ff.; Rall, H.,
Kurbayern in der letzten Epoche der alten Reichsverfassung, 1952; Lieberich,
H., Zur Feudalisierung der Gerichtsbarkeit in Bayern, ZRG GA 71 (1954), 243;
Wilhelm, R., Rechtspflege und Dorfverfassung nach niederbayrischen Ehehaftsordnungen,
1954; Fried, P., Herrschaftsgeschichte der altbayerischen Landgerichte Dachau
und Kranzberg, 1962; Grasser, W., Johann Freiherr von Lutz 1826-1890, 1967;
Hofmann, S., Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzoge von Bayern
und Pfalzgrafen bei Rhein von 1180/1214 bis 1255/1294, 1967; Handbuch der
bayerischen Geschichte, hg. v. Spindler, M., Bd. 1ff. 1967ff.; Dollinger, H.,
Studien zur Finanzreform Maximilians I. von Bayern in den Jahren 1598-1618,
1968; Peitzsch, Kriminalpolitik in Bayern, 1968; Ostadal, H., Die Kammer der
Reichsräte in Bayern von 1819-1848, 1968; Hüttl, L., Caspar von Schmid
(1622-1693), 1971; Weis, E., Montgelas, 1971; Mößle, W., Bayern auf den
Dresdener Konferenzen 1850/51, 1972; Repräsentation und Parlamentarismus in
Bayern, Bd. 1 1974; Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in
Bayern, hg. v. Bosl, K. u. a., Bd. 1ff. 1974ff.; Rankl, H., Staatshaushalt,
Stände und „gemeiner Nutzen“ in Bayern 1500 bis 1516, 1976; Was früher in
Bayern alles Recht war, v. Eberle, R., 1976; Kraus, A., Geschichte Bayerns,
1983; Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799-1980, hg. v.
Volkert, W. u. a., 1983; Demel, W., Der bayerische Staatsabsolutismus
1806/1808-1817, 1983; Kraus, A., Grundzüge der Geschichte Bayerns, 1984;
Sandberger, A., Altbayerische Studien zur Geschichte von Siedlung, Recht und
Landwirtschaft, 1985; Christoffer af Bayerns breve 1440-1448, hg. v. Olesen,
J., 1986; Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern
von 1811, hg. v. Demel, W. u. a., 1986; Sprinkart, P., Kanzlei, Rat und Urkundenwesen
der Pfalzgrafen, 1986; Weiß, J., Die Integration der Gemeinden in den modernen
bayerischen Staat, 1986; Fischer, S., Der geheime Rat und die geheime
Konferenz unter Kurfürst Karl Albrecht von Bayern 1726-1745, 1987; Rall, H.,
Kurfürst Karl Theodor, 1993; Bayerisches Wörterbuch, hg. v. d. Bayerischen
Akademie der Wissenschgaften, Bd. 1ff. 1995ff. (rund 25000 Stichwörter, 2011
von a bis bowidl/powidl); Der bayerische Landtag, hg. v. Ziegler, W. u. a.,
1995; Leeb, J., Wahlrecht und Wahlen zur zweiten Kammer, 1996; Regierungsakten
des Kurfürstentums und Königreichs Bayern 1799-1815, bearb. v. Schimke, M.,
1996; Treml, M., Geschichte des modernen Bayern, 2. A. 2000; Heydenreuter, R.,
Kriminalgeschichte Bayerns, 2003; Biebl, G., Bayerns Justizminister v(on)
Fäustle und die Reichsjustizgesetze, 2003; Franz, M., Die Landesordnung von
1516/1520, 2003; Die Protokolle des bayerischen Ministerrates, hg. v. d.
historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd.
1ff. 2003ff.; Fiedler, B., Der rheinbayerische Kassationsgerichtshof, 2004;
Hartmann, P., Bayerns Weg in die Gegenwart, 2. A. 2004; Kraus, A., Geschichte
Bayerns, 3. A. 2004; Schlosser, H., Agnes Bernauerin (1410-1435), ZRG GA 122
(2005), 263; Weis, E., Montgelas, 2005; Bayern mitten in Europa, hg. v. Schmid,
A. u. a., 2005; Krey, H., Herrschaftskrisen und Landeseinheit, 2005; Kummer, K.,
Landstände und Landschaftsverordnung unter Maximilian I. von Bayern
(1598-1651), 2005; Tassilo III. von Bayern, hg. v. Kolmer, L., 2005; Hesse, C.,
Amtsträger der Fürsten, 2005; Körner, H., Geschichte des Königreichs Bayern,
2006; Bayerisches Hauptstaatsarchiv, 2. A. neubearb. v. Wild, J. u. a., 2006;
Schwertmann, M., Gesetzgebung und Repräsentation im frühkonstitutionellen
Bayern, 2006; Handbuch der historischen Stätten, Bayern, 3. A., Bd. 1f., hg. v.
Körner, H. u. a., 2006; Volkert, W., Geschichte Bayerns, 3. A. 2007; Bayern –
Böhmen – 1500 Jahre Nachbarschaft, 2007; Rheinbündischer Konstitutionalismus,
hg. v. Brandt, H. u. a., 2007; Weiß, D., Kronprinz Rupprecht von Bayern, 2007;
Deutsches Verfassungsrecht, hg. v. Kotulla, M., Bd. 2 2007 (rund 340 Dokumente);
Landesordnung und gute Policey, hg. v. Gehringer, H. u. a., 2008; Häfner, H.,
Ein König wird beseitigt. Ludwig II. von Bayern, 2008; Die bayerische
Konstitution von 1808, hg. v. Schmid, A., 2009; Glasauer, B., Herzog Heinrich
XVI (1393-1450), 2009; Rumschöttel, H., Ludwig II. von Bayern, 2011; Bibliographie
zur Geschichte des bairischen Baierns, hg. v. Müller, M., Bd. 1ff. 2011ff.; Gahlen,
G., Das bayerische Offizierskorps 1815-1866, 2011; Faußner, H., Die römische generalstabsmäßige
Ansiedlung der Bajuwaren, 2013; Immler, G., Die Wittelsbacher, 2013; Hilmes,
O., Ludwig II. - Der unzeitgemäße König, 2013; Tauber, C., Ludwig II., 2013
Beamtenrecht ist
die sich als Rechtsgebiet seit dem 19. Jh. entwickelnde Gesamtheit der →Beamten
betreffenden Rechtssätze (Ansätze im 17. Jh. und in einem Reichshofratsprozess
von 1776, in dem der Reichshofrat seinen Schutz einem ohne gerichtliches Urteil
entschädigungslos und unehrenhaft entlassenen Beamten gewährt).
Lit.: Bader, K., Die Rechtsprechung des Reichshofrats und
die Anfänge des territorialen Beamtenrechts, ZRG GA 65 (1947), 363; Dold, I.,
Die Entwicklung des Beamtenverhältnisses im Fürstentum Fürstenberg, 1961;
Rejewski, H., Die Pflicht zur politischen Treue im preußischen Beamtenrecht,
1973
Beamter (Wort 1552) im beamtenrechtlichen
Sinn ist, wer unter Aushändigung einer Urkunde bei einer juristischen Person
des öffentlichen Rechtes in das Beamtenverhältnis als ein öffentliches
Dienstverhältnis und Treueverhältnis berufen worden ist. Insofern gibt es vor
dem im Mittelalter entstehenden Territorialstaat keine eigentlichen Beamten,
sondern nur Amtsträger. Für diese setzt sich im fränkischen Reich das
Lehnsprinzip durch. Vielleicht seit dem 13. Jh. (bzw. der ausgehenden
Stauferzeit) wird der belehnte Adlige durch den festbesoldeten, absetzbaren und
zunehmend fachlich geschulten Beamten ersetzt. Schon im 17. Jh. kann dieser
wegen seiner wohlerworbenen Rechte nicht mehr ohne gerichtliches Urteil
entschädigungslos seines Amtes enthoben werden. Im 18. Jh. werden Beamte in
Preußen zu Pflichtbewusstsein, Sachkenntnis, Pünktlichkeit und
Unbestechlichkeit erzogen. Allgemeine Regeln über die als Zivilbediente
bezeichneten Beamten enthält das preußische Allgemeine Landrecht von 1794 (II
10 §§ 68ff.). Dort ist der Beamte nicht länger Fürstendiener, sondern
Staatsdiener. 1850 schreibt die preußische Verfassungsurkunde in den Artikeln
87ff. für die richterlichen Beamten moderne Grundsätze fest, welche die
Weimarer Reichsverfassung in den Artikeln 128ff. auf alle Beamten erweitert. In
Österreich wird die dienstrechtliche Stellung allgemein durch die
Dienstpragmatik vom 25. 1. 1914 geregelt (RGBl. 1914, 15). Im Deutschen Reich
werden die Beamten 1933 auf die nationalsozialistische Ideologie ausgerichtet
(Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933,
maßregelt durchschnittlich 6-8 % der Beamten). 1949 werden die hergebrachten
Grundsätze des (wiederhergestellten) Beamtentums in Art. 33 GG aufgenommen.,
während die Deutsche Demokratische Republik den Beamten zum öffentlichen
Arbeitnehmer macht. Wichtigste Beamtengesetze der Bundesrepublik Deutschland
sind das Bundesbeamtengesetz und das Beamtenrechtsrahmengesetz. Österreich
schafft am 2. 6. 1977 ein Beamtendienstrechtsgesetz. Wegen der hohen Personalkosten
ist in der Gegenwart streitig, welche Staatstätigkeit von Beamten ausgeübt
werden muss.
Lit.: Köbler, DRG 151, 197, 217, 225, 233, 258;
Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7 1992, 1; Gönner, T., Der Staatsdienst,
1808; Isaacsohn, S., Geschichte des preußischen Beamtentums, Bd. 1ff. 1874ff.;
Cohn, W., Das Zeitalter der Hohenstaufen in Sizilien, 1925; Bader, K., Die
Rechtsprechung des Reichshofrates und die Anfänge des territorialen
Beamtenrechts, ZRG GA 65 (1947), 363; Wyluda, E., Lehnrecht und Beamtentum,
1969; Rejewski, H., Die Pflicht der politischen Treue im preußischen
Beamtenrecht (1850-1918). 1973; Wunder, B., Privilegierung und Disziplinierung,
1978; Hattenhauer, H., Geschichte des Beamtentums, 1980, 2. A. 1993;
Schimetschek, B., Der österreichische Beamte, 1984; Megner, K., Beamte, 1985;
Asch, R., Verwaltung und Beamtentum, 1986; Süle, T., Preußische
Bürokratietradition, 1988; Heindl, W., Gehorsame Rebellen, 1991; Kittel, E.,
From Ad Hoc to Routine, 1991; Mühl-Benninghaus, S., Das Beamtentum in der
NS-Diktatur, 1996; Wunder, B., Die badische Beamtenschaft, 1998; Heyen, E.,
Pastorale Beamtenethik 1650-1700, HZ 280 (2005) 345; Hesse, C., Amtsträger der
Fürsten im spätmittelalterlichen Reich, 2005 (7468 Kurzbiographien); Krause,
F., Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, 2008; Herlemann, H.,
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (BBG),
ZRG GA 126 (2009), 296; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Beati possidentes (lat. [M.Pl.]) die glücklichen Besitzenden (sind im Rechtsstreit im
Vorteil).
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Euripides 485/480-406 v. Chr.)
Beaumanoir,
Philippe de Rémi, Herr (Seigneur) von (um 1247-7. 1. 1296), nachgeborener Sohn
des bailli (Amtmanns) des Gâtinais, wird nach dem Studium des Rechtes in
Orléans und vielleicht Bologna 1279 bis 1283 bailli der Grafschaft Clermont in
Beauvaisis. Zwischen 1280 und 1283 verfasst er Li livres des coustumes et des
usages de Beauvoisins (Coutumes de Beauvaisis), die teils das Bestehende bewahren,
teils aber auch verändern. Später erhält er hohe königliche Ämter.
Lit.: Köbler, DRG 103; Philippe de Beaumanoir, Coutumes de
Beauvaisis, hg. v. Salmon, A., Bd. 1f. 1899, Neudruck 1970; Actes du colloque
international Philippe de Beaumanoir et les coutumes de Beauvaisis, 1283-1983,
hg. v. Bonnet-Laborderie, P., 1983
Beaumont bei
Reims ist die freie Siedlung, mit deren Recht viele Orte im Westen des
deutschen Reiches bewidmet werden. →Loi de Beaumont
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 221; Bonvalot, E., Le tiers état
d’après la charte de Beaumont, 1884
Bebenburg,
Lupold von (Bebenburg in Württemberg um 1297-Bamberg 28. 10. 1363),
Reichsministerialensohn, wird nach dem Studium des kirchlichen Rechtes in
Bologna (1316) Kanoniker in Würzburg und nach der Lösung (1351) des 1338 vom
Papst ausgesprochenen Bannes 1353 Bischof in Bamberg. In seinem
kaiserfreundlichen (lat.) Tractatus (M.) de iuribus regni et imperii (1340)
entwickelt er eine eigenständige Reichstheorie, in der er einem Reichskaisertum
ein auf göttliches Recht gegründetes Weltkaisertum gegenüberstellt.
Lit.: Wolf, E., Große Rechtsdenker, 1939, 4. A. 1963, 30
Beccaria,
Graf Cesare Bonesana von (Mailand 15. 3. 1738-28. 11. 1794), nach dem
Rechtsstudium (1754-1758) 1760-1771 Professor in Mailand, danach im Dienst der
österreichischen Lombardei, verfasst 1764 zunächst anonym (it.) Dei delitti e
delle pene (Von Verbrechen und Strafen). Darin verlangt er die Durchsetzung des
Grundsatzes (lat.) nulla poena sine lege (keine Strafe ohne Gesetz), die
regelmäßige Ersetzung der Todesstrafe durch lebenslängliche Zwangsarbeit, die
Abschaffung der Folter, die Öffentlichkeit der Strafgerichtsverhandlung, das
Verbot der Willkür bei Strafverfolgung, die Beachtung der Nützlichkeit
gegenüber der bloßen Vergeltung sowie die Bekämpfung des Verbrechens durch
aufgeklärte Bildung. Dies hat Auswirkungen auf das Erzherzogtum Toskana des
Habsburgers Leopolds II. Gegner Beccarias ist Immanuel Kant.
Lit.: http://koeblergerhard.de/Fontes/BeccariaCesareDeiDelittiEDellePene1764.htm;
Köbler, DRG 158; Cesare Beccaria, hg. v. Deimling, G., 1989; Weis, E., Cesare
Beccaria (1738-1794), 1992; Beccaria et la culture juridique des lumières, hg.
v. Porret, M., 1998
Bedarf (Wort 1616)
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Bede ist im
deutschen Mittelalter die im Hinblick auf eine bestimmte Notlage von einem
Herrn (durch Bitte) erbetene und von den Betroffenen durch Zustimmung
bewilligte, in ihrer Höhe vermögensabhängige →Abgabe in Geld seit etwa
dem 11. Jh. Innerhalb der als Einheit bedepflichtigen Stadt trifft die B. als
Umlage den Bürger. Später wird die B. von der Steuer verdrängt (z. B. Bayern
1292, 1295, 1304, 1309).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 113; Zeumer, K.,
Die deutschen Städtesteuern, 1878; Waas, A., Vogtei und Bede, 1919; Erler, A.,
Bürgerrecht und Steuerpflicht, 1939, 2. A. 1963; Schomburg, W., Lexikon der
deutschen Steuer- und Zollgeschichte, 1992
Bedingung (Wort 1302) ist das zukünftige ungewisse Ereignis, von dessen Eintritt
die Folgen einer menschlichen Erklärung abhängig gemacht werden. Die B. ist
aufschiebend oder auflösend bereits dem frühen römischen Privatrecht bekannt
(lat. [F.] →condicio). Mit diesem wird sie in weiten Teilen Europas seit
dem Mittelalter aufgenommen. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (1896/1900)
folgt dem von Windscheid (Die Wirkung der erfüllten Bedingung, 1851)
eingenommenen Standpunkt, dass die erfüllte aufschiebende Bedingung
regelmäßig keine rückwirkende Kraft hat und während der Schwebezeit eine
Gebundenheit des bedingt Verpflichteten zu Gunsten des bedingt Berechtigten für
den Fall des Eintritts der Bedingung besteht
Lit.: Kaser § 10; Schiemann, G., Pendenz und Rückwirkung
der Bedingung, 1973; Scheltema, A., De goederechtelijke werking van de
ontbindende voorwarde, 2003; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010
beerbt (Adj.),
mit einem (Abkömmling als) Erben versehen
Beeskow
Lit.:
Urkunden der Stadt Beeskow, bearb. v. Beck, F., 2003
Befangenheit ist
das Fehlen der Unvoreingenommenheit bzw. der sachlichen Einstellung
unabhängig von persönlichen Neigungen. Insbesondere von Richtern wird schon
früh verlangt, dass sie unparteilich vorgehen. Allgemein wird die B. erst im
18. Jh. erfasst.
Befestigung ist die künstliche Schutzvorrichtung
(z. B. durch Mauern) eines Ortes gegenüber anderen.
Befestigungsrecht ist das bei den Franken vom König beanspruchte Recht, einen
Ort mit einer künstlichen Schutzvorrichtung (z. B. Mauer) zu sichern. Mit der
Entstehung des →Landes geht das B. vom König auf den Landesherrn über
(1220 bzw. 1231). Danach erwerben auch die Städte ein B.
Lit.: Schrader, E., Das Befestigungsrecht in Deutschland,
1909; Coulin, A., Befestigungshoheit und Befestigungsrecht, 1911; Isenburg, G.,
Die Befestigung der mittelalterlichen Stadt, 1997
Begnadigung ist
der auf Gnade beruhende teilweise oder völlige Erlass der Strafe eines
einzelnen Täters nach Eintritt der Rechtskraft eines Strafurteils durch einen
Herrn. Sie ist vermutlich ähnlich alt wie die Strafe . Im 20. Jh. wird sie durch
Gnadenordnungen zunehmend verrechtlicht.
Lit.: Lueder, C., Das Souveränitätsrecht der Begnadigung,
1860; Beyerle, K., Von der Gnade im deutschen Recht, 1910; Köstler, R.,
Huldentzug als Strafe, 1919, Neudruck 1965; Grewe, W., Recht und Gnade, 1936;
Klees, K., Das Wesen der Gnade, 1953; Hupe, I., Das Gnadenrecht, 1954;
Waldstein, W., Untersuchungen zum römischen Begnadigungsrecht, 1964; Schätzler,
J., Handbuch des Gnadenrechts, 1976; Merten, D., Rechtsstaatlichkeit und Gnade,
1978; Mickisch, C., Die Gnade im Rechtsstaat, 1996; Bauer, A., Das Gnadenbitten
in der Strafrechtspflege, 1996; Dimoulis, D., Die Begnadigung in vergleichender
Perspektive, 1996; Vrolijk, M., Recht door gratie, 2004; Rehse, B., Die
Supplikations- und Gnadenpraxis in Brandenburg-Preußen, 2008
Begräbnis ist
das Verbringen eines Toten unter die Erdoberfläche. Es ist schon in frühen
Zeiten an vielen Orten üblich. Vielfach werden dem Begrabenen Beigaben für ein
anderweitiges Fortwirken mitgegeben. Im Anschluss an die jüdische Bibel
begraben die Christen ihre Toten im Hinblick auf die künftige Auferstehung des
verklärten Leibes (1. Moses 38,24, 1. Korinther 15,42), wobei allmählich der
Kirchhof zum wichtigsten Begräbnisplatz wird. Mit der zunehmenden Verdichtung
wird das B. verrechtlicht. Die vom Christentum abgelehnte Verbrennung wird seit
dem Ende des 18. Jh.s bedeutsamer.
Lit.: Körner, A., Das kirchliche Beerdigungsrecht, 1906;
Gaedke, J., Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 1963, 6. A. 1992, 9.
A. 2004, 10. A. 2010; Ili, M., Wohin die Toten gingen, 1992; Fischer, N., Vom
Gottesacker zum Krematorium, 1996; Bestattungsbefunde in ethnoarchäologischer
Perspektive, hg. v. Noll, E. u. a., Ethnograph.-archäolog. Zs. 38 (1997),
287ff.; Engels, J., Funerorum sepulcrorumque magnificentia, 1998; Hassenpflug,
E., Das Laienbegräbnis in der Kirche, 1999
Begriff ist die von
Sache und Wort zu trennende Vorstellung des Menschen von einer Gegegebenheit.
Lit.: Begriffsgeschichte, hg. v. Bödeker, H., 2002;
Koselleck, R., Begriffsgeschichten, 2006
Begriffsjurisprudenz (Jhering 1884) ist die Richtung der Rechtswissenschaft, die davon ausgeht,
dass die Rechtsordnung nicht eine zusammenhanglose Anhäufung einzelner
Vorschriften ist, sondern ein sinnvolles, zusammenhängendes Ganzes und damit
aus einem lückenlos geschlossenen System von Begriffen (Begriffspyramide)
besteht, aus dem vor allem unter Ausschluss aller außerrechtlichen politischen
und gesellschaftlichen Wertungen durch einen logischen Denkvorgang eine
Lösung des gesetzlich nicht eindeutig geregelten Einzelfalls ermittelt werden
könne und Lücken durch Begriffe und Grundsätze geschlossen werden, die aus dem
Gesetz oder Gewohnheitsrecht (z. B. aus den Regeln des römischen Rechtes über
den Irrtum bei dem Kauf) durch Abstraktion gewonnen werden (z. B. der
Grundsatz, dass ein Irrtum eine Willenserklärung nichtig macht). Sie beruht
geschichtlich auf der →historischen Rechtsschule (Savigny) und methodisch
auf dem →Naturrecht (Christian Wolff). Wichtigster Vertreter ist Georg
Friedrich →Puchta (1798-1846), der den Juristen auf ein hierarchisches
System von rein juristischen, positiven und von der gesellschaftlichen
Wirklichkeit (wie der Geschichte) gelösten Begriffen verpflichtet, aus dem
nach vorgegebener, den Naturwissenschaften verwandter geometrischer Art für
jede Frage konstruktiv die zutreffende Lösung gewonnen werden kann, ohne dass
freilich auf der Suche nach Gerechtigkeit andere Gesichtspunkte völlig
ausgeschlossen sind. Die B. wird in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s vor allem
von Rudolf von Ihering angezweifelt und danach allmählich von der →Interessenjurisprudenz
verdrängt.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 3; Köbler, DRG 188; Savigny, F.
v., Vorlesungen über juristische Methodologie 1802-1842, hg. v. Mazzacane, A.,
1993; Puchta, G., Cursus der Institutionen, 1841, Bd. 1, 9 A. 1881; Wilhelm,
W., Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, 1958; Krawietz, W.,
Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, 1976; Schlosser, H., Grundzüge
der neueren Privatrechtsgeschichte, 10. A. 2005, § 4; Bohnert, J., Über die
Rechtslehre Georg Friedrich Puchtas, 1975; Falk, U., Ein Gelehrter wie
Windscheid, 1989; Schröder, J., Recht als Wissenschaft, 2001, 2. A. 2012;
Haferkamp, H., Georg Friedrich Puchta und die Begriffsjurisprudenz, 2004;
Henkel, T., Begriffsjurisprudenz und Billigkeit, 2004
Begründung →Urteilsbegründung
Lit.: Horak, F., Rationes decidendi, 1969; Gudian, G., Die
Begründung in Schöffenspüchen des 14. und 15. Jahrhunderts, 1960; Begründungen
des Rechts, hg. v. Nembach, U. u. a., 1979; Köbler, G., Die Begründung von
Rechtssätzen im Hoch- und Spätmittelalter, Archival. Z. 75 (1979), 86; Köbler,
G., Die Begründungen der Lex Baiwariorum, Gedächtnisschrift W. Ebel, 1982, 69;
Hensche, M., Teleologische Begründungen, 1998; Die Begründung des Rechts als
historisches Problem, hg. v. Willoweit, D., 2000; Hocks, S., Gerichtsgeheimnis
und Begründungszwang, 2002; Ratio decidendi. Guiding Principles of Judicial
Decisions, hg. v. Bryson, W. u. a., 2006; Wunderlich, S., Über die Begründung
von Urteilen am Reichskammergericht im frühen 16. Jahrhundert, 2010; Von der
religiösen zur säkularen Begründung staatlicher Normen, hg. v. Siep, L. u. a.
2012; Harke, J., Argumenta Iuventiana - Argumenta Salviana - Entscheidungsbegründungen
bei Celssus und Julian, 2012
Begünstigung ist
die Hilfeleistung an einen anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, in
der Absicht, ihm die Vorteile der Tat zu sichern. Sie wird erst in der Neuzeit
als solche verselbständigt.
Lit.: Dersch, G., Begünstigung, Hehlerei und unterlassene
Verbrechensanzeige, 1980; Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss der
Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007; Wolff, B., Begünstigung, Strafvereitelung
und Hehlerei, 2002
Behörde ist
die organisatorisch selbständige Stelle, die (als unselbständiges Organ des
Staates oder sonstigen selbständigen Verwaltungsträgers) Aufgaben öffentlicher →Verwaltung
wahrnimmt. Dementsprechend entstehen Behörden, sobald die Verwaltung eine
gewisse Größe überschreitet. Dies ist insbesondere seit der Entwicklung des
modernen Staates im Spätmittelalter der Fall. Frühe Ansatzpunkte sind Kanzlei,
Hofgericht, und Raitkammer. Im 19. Jh. erfolgt ein rational-bürokratischer
Aufbau aller Behörden, wobei monokratische und kollegiale Behörden möglich
sind. →Bürokratie
Lit.: Köbler, DRG 150, 197, 233, 258; Biedermann, H.,
Geschichte der landesfürstlichen Behörden in und für Tirol, Archiv f. Gesch.
Tirols 2 (1866); Mommsen, T., Römisches Staatsrecht, Bd. 1ff. 3. A. 1887,
Neudruck 1963; Wintterlin, F., Geschichte der Behördenorganisation in
Württemberg, 1904; Walther, A., Die Ursprünge der deutschen Behördenorganisation,
1913; Walther, A., Die Ursprünge der deutschen Behördenorganisation im
Zeitalter Maximilians I., 1913; Bär, M., Die Behördenverfassung der
Rheinprovinz seit 1815, 1919; Freitag, D., Das schlesische Behördenwesen, Diss.
jur. Breslau 1937; Ohnsorge, W., Die Verwaltungsreform unter Christian, Neues
Archiv f. sächs. Gesch. 63 (1943), 26ff.; Bernhard, W., Die Zentralbehörden des
Herzogtums Württemberg und ihre Beamten 1520-1629, Bd. 1f. 1973; Histoire
comparée de l’administration, hg. v. Paravicini, W. u. a., 1980; Deutsche
Verwaltungsgeschichte, hg. v. Jeserich, K. Bd. 1ff.1983ff.
Beichtstuhljurisprudenz ist die sich auf die spätantike Ohrenbeichte (lat. [F.]
paenitentia privata, private Beichte) gründende, in Westeuropa seit dem 6. Jh.
(Toledo 589, Irland E. 6. Jh., Châlon-sur-Saône 644-656) sichtbare, seit dem
12. Jh. an Gewicht gewinnende Lehre vom Verhalten des christlichen Beichtvaters
gegenüber einem Sünder hinsichtlich der Entscheidung für und gegen die Lossprechung.
Hierzu entstehen im Frühmittelalter besondere Bußbücher (Columban, Liber
paenitentiarum mensura taxanda [Luxueil um 573], Iudicia Theodori Cantuariensis
[Canterbury? Ende 7. Jh.]) und im Hochmittelalter Beichtsummen (lat. Summae
[F.Pl.] confessorum) wie z. B. die Summa de poenitentia des Raymund von
Peñafort (vor 1238) oder die Summa confessorum des Johannes von Freiburg (vor
1290?). Die auftretenden Rechtsprobleme des sog. (lat.) →forum (N.)
internum werden dabei nach den Regeln des Rechtes bzw. der gelehrten Rechte
behandelt. Am päpstlichen Hof entwickelt sich die apostolische Poenitentiarie
als für Gewissenssachen und Gnadensachen zuständige Behörde. Während die
Reformation dem Beichtvater die Entscheidungsgewalt abspricht, stellt die
katholische Kirche die Entscheidung der Beichtväter (1551) einem Urteil gleich.
Nach 1558 wird das Beichtverfahren in die geistliche Gerichtsbarkeit überführt.
Lit.: Stintzing, R., Geschichte der populären Literatur des
römisch-kanonischen Rechtes in Deutschland, 1867, Neudruck 1959; Trusen, W.,
Anfänge des gelehrten Rechtes in Deutschland, 1962; Michaud-Quantin, P., Sommes
de casuistique et manuels de confession au moyen âge, 1962; Handbuch der
Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v.
Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,1,999; Trusen, W., Zur Bedeutung des geistlichen
forum internum und externum für die spätmittelalterliche Gesellschaft, ZRG KA
76 (1991), 254ff.; Prosperi, A., Tribunali della coscienza, 1996; Das Konzil
von Trient und die Moderne, hg. v. Reinhard, W., 2001; Alle origini del
pensiero giuridico moderno, hg. v. Cavina, M., 2004
Beichtsumme →Beichtstuhljurisprudenz
Lit.: Michaud-Quantin, P., Sommes de casuistique, 1962;
Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,1,1828
Beigeordneter ist in
einigen Bundesländern Deutschlands der vom zuständigen Organ einer kommunalen
Körperschaft auf Zeit gewählte führende →Beamte.
Lit.: Wolter, H., Der Beigeordnete, 1978
Beihilfe ist
die Unterstützung eines Menschen insbesondere bei einer Straftat oder
hinsichtlich einer Entlohnung für eine Tätigkeit. Zwischen Tätern und Gehilfen
wird erst im Spätmittelalter gelegentlich unterschieden. Danach wird die B. als
allgemeine Erscheinung erfasst. Die finanzielle B. entwickelt sich mit dem
Ausbau des Rechtes der →Beamten.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 119; His, R., Das
Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1f. 1920ff., Neudruck 1964; Deutsche
Verwaltungsgeschichte, hg. v. Jeserich, K. u. a., Bd. 1ff. 1983ff.
Beil ist das aus metallener Klinge und hölzernem
Griff zusammengesetzte, hauptsächlich einhändig dem Zerkleinern von Holz
dienende Gerät. Es ist in Altertum und Mittelalter auch ein Kennzeichen für
herrschaftliche Gewalt und wird zum Vollzug von Todesstrafen und Leibesstrafen
verwendet. Seit dem 14. Jh. erscheint das Fallbeil, das in Frankreich 1792 nach
Vorschlag des Arztes J. Guillotin zur Guillotine weiterentwickelt wird.
Lit.:
Funk, W., Alte deutsche Rechtsmale, 1940; Maisel, W., Rechtsarchäologie
Europas, 1992
Beilager ist
der Beischlaf bzw. die öffentliche Beschreitung des Ehebetts als Voraussetzung
für die vollzogene →Eheschließung, deren rechtliche Notwendigkeit in der
germanischen Zeit in der Wissenschaft streitig ist.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Eckhardt, K., Beilager und
Muntübergang zur Rechtsbücherzeit, ZRG GA 47 (1927), 174; Carlsson, L., Das
Beilager im altschwedischen Recht, ZRG GA 75 (1958), 348; Hemmer, R., Über das
Beilager im germanischen Recht, ZRG GA 76 (1959), 292; Carlsson, L., Vom Alter
und Ursprung des Beilagers im germanischen Recht, ZRG GA 77 (1960), 310;
Hemmer, R., Nochmals über das Beilager im germanischen Recht, ZRG GA 78 (1961),
298
Beirut →Berytos
Beisasse ist
(vor allem in der mittelalterlichen Stadt) der nicht vollberechtigte Bewohner
(Bürger).
Lit.: Planitz, H., Die deutsche Stadt im Mittelalter, 1954,
5. A. 1980, 275ff.; Vits, B., Hüfner, Kötter und Beisassen, 1993
Beisitz ist
eine mindere Form einer Beteiligung. Im mittelalterlichen Recht bleibt nach dem
Tode eines Hausvaters die Witwe mit den Kindern in ungeteilter Vermögensgemeinschaft
auf dem Gut sitzen. Sie erzieht die Kinder und nutzt deren Vermögen durch B.,
bis dieser durch Abschichtung, Wiederverheiratung oder Tod beendet wird. Mit
der Entwicklung des →Ehegattenerbrechts schwindet der noch im preußischen
Allgemeinen Landrecht (1794, II 1 § 645) enthaltene B.
Lit.: Hübner 693; Köbler, DRG 89; Brauneder, W., Die
Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich, 1973
Beisitzer →Assessor
Beispruch ist
im älteren deutschen Recht die Zustimmung des nächsten Erben des Veräußerers
eines Gutes zur Veräußerung. Das Beispruchsrecht beruht auf der ursprünglichen
Familiengebundenheit von Grund und Boden. Es ist zunächst ein vollständiges
Recht auf Herausgabe der veräußerten Sache (Rückrufsrecht), schwindet im Laufe
des Mittelalters aber in regionaler Verschiedenheit über ein Vorkaufsrecht
allmählich gegenüber der Verfügungsfreiheit des Eigentümers.
Lit.: Hübner 332; Fipper, C., Das Beispruchsrecht nach
altsächsischem Recht, 1879; Freytagh-Loringhoven, A. v., Beispruchsrecht und
Erbenhaftung, ZRG GA 28 (1907), 69; Agena, G., Grundbesitz, Beispruch und
Anerbenrecht in Ostfriesland, 1938; Forster, G., Mitwirkungsrechte, 1952
Beispruchsrecht →Beispruch
Belagerungszustand ist der seit dem 19. Jh. verrechtlichte Zustand der (ursprünglich
tatsächlichen) Belagerung (z. B. einer Stadt) durch einen Feind, in dem
bestimmte Rechte eingeschränkt und die Zuständigkeit von Gerichten abgeändert
werden kann.
Lit.:
Schudnagies, C., Der Kriegs- oder Belagerungszustand während des ersten
Weltkriegs, 1994
Beleidigung ist
die nach außen dringende Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung eines
anderen. Sie ist im altrömischen Recht in der (lat. [F.]) iniuria (Unrecht) des
Zwölftafelgesetzes mit der Folge der Leistung von 25 Pfund Kupfer enthalten,
die im klassischen römischen Recht zu einem Tatbestand erweitert wird, der jede
bewusste Missachtung der Persönlichkeit eines anderen in Wort und Tat umfasst.
Im Mittelalter hat die B. eher tatsächliche als rechtliche Folgen. Die
peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532 erfasst nur einzelne Sonderfälle.
Bei Thomasius (1655-1728) werden Körperverletzung und tätliche B. voneinander
geschieden. Im preußischen Allgemeinen Landrecht (1794) wird die B. als
Straftatbestand angesehen. Das frühe 19. Jh. sondert die Verleumdung von der
B., das Reichsstrafgesetzbuch des Jahres 1871 sieht B., Verleumdung und üble
Nachrede als B. in weiterem Sinn an.
Lit.: Köbler, DRG; Landsberg, E., Injuria und Beleidigung,
1886; Thieme, K., Iniuria und Beleidigung, 1905; Bartels, K., Die Dogmatik der
Ehrverletzung in der Wissenschaft des gemeinen Rechts, Diss. jur. Göttingen
1959; Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss der Strafrechtsgeschichte, 1981, 5.
A. 2007; Fuchs, R., Um die Ehre, 1998
Belgien ist
das Gebiet zwischen der kontinentalen Ärmelkanalküste und den Ardennen. Sein
Name geht auf 51 v. Chr. von Caesar unterworfene keltisch-germanische
Mischstämme zurück, die zusammenfassend als (lat. [M.Pl.]) Belgae bezeichnet
werden. Sie geraten in der Völkerwanderung unter den Einfluss der vom
Niederrhein einströmenden →Franken, die den nördlichen Teil sprachlich
assimilieren (altniederfränkisch, flämisch). 843/877 gelangt ein Teil an den
Westen (Frankreich), der übrige Teil an den Osten (Deutschland), 1384 das
gesamte Gebiet an →Burgund und über Maria von Burgund 1477 an Habsburg,
für das Karl V. 1531 die Aufzeichnung aller örtlichen Gewohnheitsrechte
(coutumes) binnen sechs Monaten anordnet ([1750] 691). Bei der Teilung im Hause
Habsburg (1521/1522/1526) fällt der Raum an →Spanien, ohne im
Freiheitskampf der →Niederlande mit diesen sich (tatsächlich 1571-1581
und rechtlich 1648) aus der spanischen Herrschaft lösen zu können (spanische
Niederlande). Nach dem spanischen Erbfolgekrieg (1713) wird das Gebiet an das
habsburgische →Österreich gegeben (österreichische Niederlande), nach der
Besetzung durch das bald seine Kodifikationen von 1804ff. unter Aufhebung
älterer Gewohnheitsrechte und Gesetze einführende Frankreich (1793, 1795
Batavische Republik, 1797 Teil Frankreichs) 1815 aber Österreich auch rechtlich
entzogen und mit den Niederlanden zum Königreich der Niederlande vereint.
Unter der Einwirkung der französischen Revolution des Jahres 1830 erklärt das
teils wallonische (romanische) Gebiet (im Südosten um [Brüssel,] Charleroi,
Namur, Bastogne, 40 Prozent), teils flämische (niederländischsprachige) Gebiet
(im Nordwesten um Ostende, Brügge, Gent, Antwerpen, Mechelen, 60 Prozent) am
18. 11. 1830 seine Unabhängigkeit. Die Verfassung vom 7. 2. 1831 legt eine
konstitutionelle Monarchie fest (Einheitsstaat). Das Recht ist deutlich von
Frankreich geprägt. Die 1831/1839 garantierte Neutralität ist seit 1914/1919
beendet bzw. aufgehoben. Seit 1951/1952 ist B., in dem die sog. flämische
Revolution die Vorherrschaft französischer Kultur mehr und mehr durchbricht,
Kernland europäischer Einigung (1951/1952 Montanunion, 1957 Euratom,
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft), entwickelt sich als Folge des inneren
sprachlichen Gegensatzes aber 1993 zu einem Bundesstaat. →Europäische
Union
Lit.: Recueil des anciennes ordonnances
de la Belgique; Recueil des anciennes coutumes de la Belgique; Pirenne, H.,
Histoire de Belgique, Bd. 1ff. 1899ff., Neudruck 1975; Errera, P., Das
Staatsrecht des Königreichs Belgien, 1909; Niemeyer, T., Belgien und seine
Neutralisierung, 1917, Neudruck 2013; Marez, G. des, Le droit privé à Ypres,
1927; Vercauteren, F., Étude sur les civitates de la Belgique seconde, Mémoires
publiés par l’académie royale de Belgique 1934; Niermeyer, J., Onderzoekingen
over Luikse en Maastrichtse oorkonden, 1935; Dievoet, E. van, Het burgerlijk
recht, 1943; Algemene Geschiedenis der Nederlanden, 1949ff.; Standen en Landen,
Bd. 1ff. 1950ff.; Génicot, L., L’économie rurale Namuroise, 1960; Verhulst,
A./Gysseling, M., Le compte général de 1187, 1962; Handbuch der Quellen und
Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H.,
Bd. 1ff. 1973ff. 3,1,1069, 3,2,2581, 3,3,3726,3794,3892,3973,4091; Ordonnances
et autres actes juridiques concernant le duché de Bouillon, Bd. 2 1977;
Gilissen, J., Introduction historique au droit, 1979; Smidt, J. de u. a.,
Chronologische Lijsten van de geentendeerde sententien, 1979; Gilissen, J.,
Historische Inleiding tot het recht, 1981; Liber sentenciarum van de
officialiteit van Brussel 1448-1459, hg. v. Vleeschouwers, C. u. a., 1982;
Cossart, A. v., Belgien, 1985; Dumont, G., Histoire de la Belgique, 1985;
Godding, P., Le droit privé dans les Pays-Bas méridionaux, 1987; Costumen van
de stad en van de kasselrij Kortrijk, hg. v. Monballyu, J., Bd. 2 1989; Schilling,
J./Täubrich, R., Belgien, 1990; Holthöfer, E., Beiträge zur Justizgeschichte
der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs im 19. und 20. Jahrhundert, 1993;
Hermsdörfer, W., Geschichte und Gegenwartsgestalt des Verhältnisses von Staat
und Kirche in Belgien, 1998; Cook, B., Belgium, 3. A. 2002ff.; Delpérée, F., Le
droit constitutionnel de la Belgique, 2000; Zedinger, R., Die Verwaltung der
österreichischen Niederlande in Wien (1714-1795), 2000; Uyttendaele, M., Précis
de droit constitutionnel belge, 2001; Geschiedenis van de Belgische Kamer van
Volksvertegenwoordigers, red. v. Gerard, E. u. a., 2003; Koll, J., Die
belgische Nation, 2003; Politieke en sociale geschiedenis van justitie in
Belgie, hg. v. Heirbaut, D. u. a., 2004; La Belgique, les petits Ètats et la
construction européenne, hg. v. Dumoulin, M. u. a., 2003; Napoleons
nalatenschap, hg. v. Heirbaut, D. u. a., 2005; Heirbaut, D., Hadden/hebben de
Belgische ministers van Justitie een civielrechtelijk beleid?, 2005;
Schaepdrijver, S. de, La Belgique et la première guerre mondiale, 2005;
Heirbaut, D., Privaatrechtsgeschiedenis van de Romeinen tot heden, 2005;
Vesentini, F., Pratiques pénales et structures sociales, 2005; Lejeune, C., Die
Säuberung, Bd. 1ff. 2005ff.; Monballyu, J., Zes eeuwen strafrecht, 2006;
Dupont-Bouchat, M. u. a., La Belgique criminelle, 2006; Lange, H./Kriechbaum, M.,
Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 971; Deferme, J., Uit de ketens van
de vrijheid, 2007; Verfassungsdokumente Belgiens, Luxemburgs und der
Niederlande 1789-1848, hg. v. Stevens, F., 2008; Heirbaut, D., Een beknopte
geschiedenis van het sociaal, het economisch en het fiscaal recht in Belgie,
2009; Horvat, S., De vervolging van militairrechtelijke delicten tijdens
Wereldoorlog I, 2009; Meinen, I., Die Shoah in Belgien, 2009; Monballyu, J., De
jacht op de flaminganten, 2010; Kakoschke, A., Die Personennamen in der
römischen Provinz Gallia Belgica, 2010; Debaenst, B., Een Proces van
Bloed, Zweet en Tranen!, 2011; Stevens, W., Het leenhof van Dendermonde, 2013
Belial (hebr.
Bosheit, Widersacher Christi) ist in der Bibel (2. Kor. 6, 15) ein Teufel und
im Spätmittelalter eine Lehrschrift ([lat.] Processus [M.] Luciferi contra
Jesum coram iudice Salomone, Prozess Luzifers gegen Jesus vor dem Richter
Salomo) des kanonistisch geschulten Archidiakons Jacobus (Paladinus) de Theramo
(Teramo, 1382 Archidiakon in Aversa, 1391 Bischof von Monopoli, später von
Florenz) von 1382. Ihre frühe deutsche Übersetzung ist ein Fall populärer, die
Rezeption der gelehrten Rechte beschleunigender Literatur.
Lit.: Hagemann, H., Der Processus Belial, FG M. Gerwig,
1960, 55; Ott, N., Rechtspraxis und Heilsgeschichte, 1983
Beliebung →Dorfordnung,
Siebenhardenbeliebung
Bellapertica →Petrus
de
Bello,
Andrés (1781-1865), der von 1810 an ein jahrelanges Rechtsstudium in London
betreibt, ist der Verfasser des auf dem europäischen Kodifikationsgedanken und
dem spanisch-römischen Sachmaterial eigenständig aufgebauten (span.) Codigo
civil (Bürgerliches Gesetzbuch) de la república de Chile von 1855.
Lit.: Nelle, D., Entstehung und Ausstrahlungswirkung des
chilenischen Zivilgesetzbuches von Andrés Bello, 1988
Bellot,
Pierre François (1776-1836), seit 1819 bzw. 1823 Professor in Genf, ist der
Redaktor des Zivilgesetzbuchs und Schöpfer des Prozessrechts in →Genf.
Lit.: Elsener, W., Die Schweizer Rechtsschulen, 1975, 446
bellum (lat. [N.]) Krieg
Benedictus de Isernia ist ein in Benevent kurz vor
1200 geborener, 1252 in Neapel noch bezeugter Jurist (Glossen, Summen).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 496
Benedictus Levita
ist der selbstgewählte Name des (unbekannten) Verfassers einer in drei Bücher
mit 405, 436 und 478 (bzw. insgesamt 1719 bzw. 1721) Kapiteln gegliederten, um
850 (vor 852?) wohl in der Erzdiözese Reims (nach eigenen Angaben im Archiv der
Kirche von Mainz) entstandenen, zum Teil (mehr als drei Vierteln?) gefälschten
oder verfälschten, zu einem beträchtlichen Teil aber echten, auf sehr guten
Vorlagen beruhenden, vollständig nur durch zwei Handschriften überlieferten,
nur mäßig erfolgreichen Rechtssammlung, die Kapitularien aus der Sammlung des
→Ansegis, Bibeltexte, Kirchenväter, Kanones und andere Quellen
kirchlichen wie weltlichen Rechtes (von den Volksrechten nur die [lat.] Lex
Baiwariorum, Volksrecht der Bayern) ohne jede erkennbare Ordnung aneinanderreiht.
Lit.: Ganshof, F., Was waren die Kapitularien? 1961;
Fälschungen im Mittelalter, hg. v. Fuhrmann, H., Bd. 1ff. 1988ff.; Schmitz, G.,
Die Reformkonzilien von 813 und die Sammlung des Benedictus Levita, DA 56
(2000), 1; Fortschritt durch Fälschungen?, 2002; Lukas, V., Eine Sammlung von
Kapitularien Karls des Großen bei Benedictus Levita, ZRG KA 90 (2004), 1
Benedikt XIV.
(Prospero Lambertini, Bologna 1694-1754), seit 1740 Papst, ist auf Grund seines
Werkes (lat.) De synodo dioecesana (Über die Diözesansynode) der früheste
Vertreter einer geschichtlichen Kirchenrechtswissenschaft.
Lit.: Haynes, R., Philosopher King. The Humanist Pope
Benedict XIV, 1970
Benediktiner ist
der Angehörige des von Benedikt von Nursia (um 480-547) zunächst in Subiaco und
nach 529 in Montecassino (bei Neapel) geleiteten ältesten abendländischen
Mönchsordens, der nach der von Benedikt verfassten, sich im fränkischen Reich
durchsetzenden Klosterregel lebt. Bedeutende Klöster der B. sind neben
Montecassino vor allem Luxeuil, Cluny, Corbie, Fontenelle, Stablo, Malmédy,
Bobbio, Farfa, Echternach, Prüm, Hirsau, Reichenau, Sankt Gallen, Weißenburg im
Elsass, Lorsch, Maria Laach, Fulda, Corvey, Benediktbeuern, Wessobrunn, Beuron,
Ettal, Tegernsee, Mondsee, Gorze, Melk, Bursfeld, Sankt Blasien, Weingarten,
Sankt Emmeram und Göttweig. Als Zweigorden der B. lassen sich Kamaldulenser,
Vallumbrosaner, Zisterzienser, Silvestriner, Cölestiner und Olivetaner
verstehen. In Frankreich werden alle Klöster der B. 1789 aufgehoben, im
Heiligen Reich alle Klöster 1803 säkularisiert, doch werden im 19. Jh. viele
wiederbegründet. Seit 1893 gibt es einen weltweiten Zusammenschluss mit derzeit
21 Kongregationen und rund 200 Klöstern.→regula Benedicti
Lit.: Hilpisch, S., Geschichte des benediktinischen
Mönchtums, 1929; Schmitz, P., Geschichte des Benediktinerordens, Bd. 1ff.
1947ff.; Holtz, L., Geschichte des christlichen Ordenslebens, 1986; Engelbert,
P., Geschichte des Benediktinerkollegs Sankt Anselm in Rom, 1988; Dartmann, C.,
Die Benediktiner, 2014
Benediktinerregel →regula Benedicti
Benediktion
Lit.: Franz, A., Die kirchlichen
Benediktionen im Mittelalter, 1909
Beneficium (lat.
[N.] Wohltat, gute Tat) ist im römischen Recht jede (, vor allem kaiserliche)
Gunst (z. B. Übertragung des Rechtes an einer Sache [u. a. b. excussionis sive
ordinis, b. divisionis, b. cedendarum actionum, b. dationis in solutum, b.
abstinendi, b. inventarii, b. separationis bonorum, b. cessionis bonorum, b.
competentiae]), im Frühmittelalter unter anderem die besonders vorteilhafte →Leihe.
Als solche gilt jedenfalls seit 743/744 auch die Leihe (z. B. säkularisierten
Kirchenguts) gegen Leistung von Kriegsdienst. Später werden als b. auch Ämter
und in Anerkennung an spätrömische Vorbilder sogar Kirchen oder Pfründengüter
(Amtspfründen) verliehen. Im Süden Frankreichs spricht man seit dem Ende des
9. Jh.s auch von fevum, feodum, feudum, später allgemein volkssprachig von →Lehen.
Im 13. Jh. tritt in Deutschland das Wort b. ebenfalls zurück. Im Rahmen des
römischen Rechtes wird es mit dessen Aufnahme seit dem Spätmittelalter wieder
verwendet.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, LAW; Stutz, U., Geschichte
des kirchlichen Benefizialwesens, 1895, Neudruck 1972; Mitteis, H., Lehnrecht
und Staatsgewalt, 1933; Ganshof, F., Was ist das Lehnswesen?, 1961, 6. A.
1983, 7. A. 1989; Wesener, G., Rechtswohltat, HRG Bd. 4 1986, 423; Reynolds,
S., Fiefs and Vassals, 1994; Mönchtum - Kirche - Herrschaft, hg. v. Bauer, D.
u. a., 1998; Erdmann, J., Quod non est in actis, 2007
beneficium (N.) cedendarum actionum (lat.) Wohltat der abzutretenden Ansprüche
Beneficium (N.) competentiae (lat.) (Rechtswohltat des Notbedarfs) heißt seit dem 16.
Jh. die schon im klassischen römischen Recht vorhandene Möglichkeit, gewisse
nahe Angehörige oder Mitgesellschafter nur zum Geldwert eines zur Urteilszeit
vorhandenen Vermögens zu verurteilen, um die mit der Vollstreckung verbundenen
Nachteile nicht eintreten zu lassen. Ein gewohnheitsrechtlich entstandenes, auf
Liber extra 3,23,3 gestütztes b. c. genießt auch der Klerus, dem das zum
standesgemäßen Unterhalt Notwendige zu belassen ist.
Lit.: Kaser §§ 32 III, 85; Wünsch, O., Zur Lehre vom
beneficium competentiae, Diss. jur. Leipzig 1897; Zipperling, O., Das Wesen des
beneficium competentiae, 1907; Gildemeister, J., Das beneficium competentiae im
klassischen römischen Recht, 1986
beneficium (N.) divisionis (lat.) Wohltat der Teilhaftung
Beneficium (N.) emigrationis (lat.) (Wohltat der Auswanderung) ist die nach der
Reformation Martin →Luthers von Landesherren und durch den Augsburger
Religionsfrieden vom 25. 9. 1555 reichsrechtlich gewährte Freiheit, in ein
Land auszuwandern, in dem die vom eigenen Landesherrn nicht geteilte Religion
eines auswanderungswilligen Untertanen gilt. Voraussetzung ist der Verkauf der
Güter und die Entrichtung einer Nachsteuer sowie einer möglichen Befreiungsabgabe.
Lit.: Zycha, A., Deutsche Rechtsgeschichte der Neuzeit, 2. A.
1949, 55
beneficium (N.) excussionis (lat.) Wohltat (Einrede) der Vorausklage
beneficium (N.) inventarii (lat.) Wohltat der Inventarerrichtung
Beneš-Dekrete
sind die von Edvard Beneš (28. 5. 1884-3. 9. 1948) als dem Präsidenten der
zweiten tschechoslowakischen Republik verfügten (insgesamt 143) Dekrete
(Dekret des Präsidenten vom 19. Mai 1945 über die nationale Verwaltung
[Enteignung) der Vermögenswerte von Deutschen und Madjaren, Verrätern und
Kollaborateuren, Dekret vom 19. Juni 1945 über die Bestrafung der nazistischen
Verbrecher, Verräter und ihrer Helfershelfer durch außerordentliche
Volksgerichte, Dekret vom 21. Juni 1945 über die Konfiskation und Aufteilung
des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Madjaren u. s. w., [Bekanntmachung des
Finanzministers vom 22. Juni 1945 über die Sicherstellung des deutschen Vermögens,]
Dekret vom 20. Juli 1945 über die Besiedlung des landwirtschaftlichen Bodens
der Deutschen, Madjaren und anderen Staatsfeinde durch Tschechen und Slowaken,
Verfassungsdekret vom 2. August 1945 über den Verlust der Staatsbürgerschaft
der Deutschen und Madjaren, Dekret vom 19. September 1945 über die
Arbeitspflicht der ausgebürgerten Menschen
(ohne Entlohnung und Lebensmittel), Dekret vom 18. Oktober 1945 über die
Auflösung der deutschen Universität Prag und der deutschen technischen
Hochschulen von Prag und Brünn, Dekret vom 25. Oktober 1945 über die
Konfiskation des feindlichen Vermögens, Dekret vom 27. Oktober 1945 über die
Einrichtung von Zwangsarbeitssonderabteilungen und Verfassungsdekret vom 27.
Oktober 1945 über die Sicherstellung der als unzuverlässig angesehenen
Menschen (sowie Erlass des Innenministeriums vom 26. November 1945 über die
Aussiedlung der deutschen Antifaschisten in die sowjetische Besatzungszone
Deutschlands und Gesetz vom 6. Mai 1946 über die Rechtmäßigkeit aller mit dem
Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zusammenhängenden
Handlungen [oder Straftaten]). Die B. entfalten noch in der Gegenwart
Wirksamkeit.
Lit.: Dokumente zur Diskussion über die Beneš-Dekrete, hg.
v. Slapnicka, H., 1999; Beneš, E., Benesovy dekrety, 2002; Mandler, E.,
Benesovy dekrety, 2002; Die Deutschen und Magyaren in den Dekreten des
Präsidenten der Republik. Studien und Dokumente 1940-1945, hg. v. Jech, K.,
2003; Perzi, N., Die Beneš-Dekrete, 2003; Bühler, K./Schusterschitz, G./Wimmer,
M., The Beneš-Decrees, Austrian Review of International and European Law 9
(2004), 1
Benin
Lit.: Harding, L., Das Königreich Benin, 2010 (Nigeria um
1200, 1898 von Großbritannien erobert)
Bentham,
Jeremy (London 15. 2. 1748-6. 6. 1832), Anwaltssohn, wird nach dem Studium in
Oxford und der Ausbildung in Lincoln’s Inn (1763) für kurze Zeit Anwalt. 1789
veröffentlicht er als Privatgelehrter (engl.) The Introduction of the
Principles of Morals and Legislation (Einführung in die Grundsätze von Moral
und Gesetzgebung), welcher der Gedanke zugrunde liegt, dass eine Handlung dann
richtig und ein Gesetz dann gerecht ist, wenn es das größte Glück der größten
Zahl von Menschen fördere (→Utilitarismus). Dazu strebt er eine
Kodifikation an. 1817 tritt er in (engl.) A Catechism on Parliamentary Reform
(Bekenntnis zur Reform des Parlaments) für jährliche Wahlen, einheitliche
Wahlbezirke, Ausdehnung des Wahlrechts und Geheimheit der Wahl ein. Er
beeinflusst John →Austins analytische Rechtswissenschaft. Die historische
Rechtsschule nimmt ihn nicht zur Kenntnis, doch gibt es einzelne Auswirkungen
seiner Vorstellungen im Prozess, Gefängniswesen und bei den Zinsen.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Bent-hamJeremyMoralsandLegislation1789.pdf
Köbler, DRG 139, 179; Bentham, J., A Comment on the Commentaries, hg. v.
Everett, C., 1928; Vanderlinden, J., Code et codification dans la pensée de J.
Bentham, TRG 32 (1974); Campos Boralevi, L., Bentham and the oppressed, 1984;
Postema, G., Bentham and the Common Law Tradition, 1986; Luik, S., Die
Rezeption Jeremy Benthams, 2003; Kramer-McInnis, G., Der „Gesetzgeber der
Welt“, 2008
Bentheim
Lit.: Köbler, G., Historisches
Lexikon der deutschen Länder, 7. A. 2007; Finkemeyer, E., Verfassung und
Verwaltung der Grafschaft Bentheim zur Zeit der hannoverschen Pfandschaft
1753-1804, 1967; Veddeler, P., Die territoriale Entwicklung der Grafschaft
Bentheim bis zum Ende des Mittelalters, 1970; Marra, S., Allianzen des Adels,
2006
Benutzungszwang ist der öffentlichrechtliche Zwang zur Benutzung einer
öffentlichrechtlichen Einrichtung, wie er im 19. Jh. durch die →Leistungsverwaltung
durchgesetzt wird (z. B. Preußen 1868 bezüglich der öffentlichen
Schlachthäuser).
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Deutsche Verwaltungsgeschichte,
hg. v. Jeserich, K. u. a., Bd. 1ff. 1983f.
Beratungshilfe ist die in Deutschland zusammen mit der Prozesskostenhilfe
das →Armenrecht 1980 ablösende Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten
außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens durch Rechtsanwälte.
Lit.: Köbler, DRG 263; Engels, C., Beratungshilfegesetz/Prozesskostenhilfe,
1990
Berber ist der Angehörige eines eine Berbersprache
sprechenden Volkes in Nordafrika (z. B. Tuareg, Kabyle, Wort vielleicht von gr.
barbaros?)
Lit.: Brandes, J., Geschichte der
Berber, 2004
Bereicherung (Wort 1785, Bereicherungsanspruch 1893) ist die Vermehrung eines Vermögens. Sie ist dann
herauszugeben, wenn sie nicht rechtlich begründet ist. In diesem Sinn kann
bereits im klassischen römischen Recht eine nichtgeschuldete Leistung (lat.
indebitum [N.] solutum) wohl wegen der Ähnlichkeit mit einem Darlehen mit der
besonderen Begehrensform der →Kondiktion (lat. [F.] condictio) zurückverlangt
werden. Über die Nichtschuld hinaus gilt diese Folge auch für Fälle nicht
eingetretener Erwartung oder sittenwidrigen Leistungszweckes. Herauszugeben
ist grundsätzlich der erlangte bestimmte Gegenstand. In nachklassischer Zeit
wird im Osten die Herausgabe aus grundloser Vorenthaltung mit der allgemein philosophisch-christlichen
Überlegung gerechtfertigt, dass niemand aus dem Nachteil eines anderen
reicher (lat. locupletior) werden dürfe. Im Mittelalter versuchen die Glossatoren
erstmals, die Kondiktion mit dem Grundsatz der Beschränkung der Herausgabepflicht
auf die noch vorhandene B. zu verbinden. Dem folgt →Duaren (1509-1559).
Von Hugo →Grotius wird der allgemeine Grundsatz aufgestellt, dass jemand,
der aus der Sache eines anderen, der sie nicht mehr hat, reicher geworden ist,
herauszugeben hat, worum er reicher geworden ist. Er wird aber nicht in die
vernunftrechtlichen Kodifikationen aufgenommen. Im 19. Jh. setzt sich wohl
auf Grund der von Glück übernommenen Vorstellung die Ansicht durch, dass nur
die noch vorhandene B. herauszugeben ist. Otto von Gierke bewirkt, dass im
deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) die Grundlosigkeit des Habens als
Leitgedanke der Ansprüche auf Herausgabe der B. vorangestellt wird.
Lit.: Kaser § 48; Söllner § 9; Köbler, DRG 166, 215, 271;
Coing, H., Zur Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung bei Accursius, ZRG
RA 80 (1963), 396; Schmitt, R., Die Subsidiarität der Bereicherungsansprüche,
1969; Feenstra, R., Die ungerechtfertigte Bereicherung in dogmengeschichtlicher
Sicht, (in) Ankara Universitesi Hukuk Fakültesi Dergise 29 (1972), 289; Misera,
K., Der Bereicherungsgedanke bei der Schenkung unter Ehegatten, 1974; Schubert,
W., Windscheid und das Bereicherungsrecht des ersten Entwurfs des BGB, ZRG RA
92 (1995), 186; Bauer, K., Ersitzung und Bereicherung im klassischen römischen
Recht, 1988; Schartl, R., Ungerechtfertigte Bereicherung nach deutschen Rechtsquellen
des Mittelalters, TRG 60 (1992), 109; Jakobs, H., Lucrum ex negotiatione, 1993;
Unjust Enrichment, ed. by Schrage, E., 1995; Hallebeek, J., The Concept of
unjust enrichment, 1995; Schäfer, F., Das Bereicherungsrecht in Europa, 2001;
Wernecke, F., Abwehr und Ausgleich aufgedrängter Bereicherungen, 2004;
Grundstrukturen eines europäischen Bereicherungsrechts, hg. v. Zimmermann, R.,
2005; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Berg an der
Dhün am Niederrhein ist im 11. Jh. der Sitz eines Geschlechts von Grafen, deren
Land 1614/1666 an Pfalz-Neuburg und 1777 mit der Pfalz an Bayern gelangt.
1805/1806 formt Napoleon hieraus und aus anderen Gebieten das Großherzogtum
Berg mit Verfassung und Verwaltung nach französischem Vorbild. 1813/1814
werden die französischen Einrichtungen aufgehoben. 1815 fällt B. an Preußen,
über das sein Gebiet (1946) zu →Nordrhein-Westfalen kommt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Stölzel, A., Die
Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, Bd. 1f. 1901ff.; Land im Mittelpunkt
der Mächte, 3. A. 1985; Kraus, T., Die Entstehung der Landesherrschaft der
Grafen von Berg, 1981; Francksen, M., Staatsrat und Gesetzgebung im
Großherzogtum Berg 1806-1813, 1982; Lohausen, H., Die obersten Zivilgerichte,
1995; Schmidt, C., Das Großherzogtum Berg, 1999; Hecker, M., Napoleonischer
Konstitutionalismus in Deutschland, 2005; Modell und Wirklichkeit, hg. v.
Dethlefs, G. u. a., 2008; Severin-Barboutie, B., Französische
Herrschaftspolitik und Modernisierung, 2008; Hentsch, C., Die Bergischen
Stahlgesetze, 2011
Berg,
Günther Heinrich von (Schwaigern bei Heilbronn 27. 11. 1765-9. 9. 1843), Amtmannssohn,
wird nach dem Rechtsstudium in Tübingen 1793 außerordentlicher Professor in
Göttingen und danach Hofrat (1800), Regierungspräsident, Bundestagsgesandter,
Oberappellationsgerichtspräsident und Staatsminister. Sein bekanntestes
Werk ist ein siebenbändiges Handbuch des →Polizeirechts (1799ff.).
Lit.: Köbler, DRG 152
Bergbau →Bergrecht
Lit: Bader, K., Zur Geschichte des
Eisenerzabbaues und des Hüttenwerks zu Blumberg, 1938; Schmidtill, E., Zur
Geschichte des Eisenerzbergbaues im südlichen Fichtelgebirge, 1963; Valentinitsch,
H., Das landesfürstliche Quecksilberbergwerk Idria 1575-1659, 1981;
Europäisches Montanwesen im Hochmittelalter. Das Trienter Bergrecht 1185-1214,
hg. v. Hägermann, D. u. a., 1986; Paul, R., Vorstudien für ein Wörterbuch zur
Bergmannssprache in den sieben niederungarischen Bergstädten, 1987; Wiesemann,
J., Steinkohlenbergbau in den Territorien um Aachen 1334-1794, 1995; Krenz, H.,
Lütticher Steinkohlen-Bergbau im Mittelalter, 2000
Bergelohn ist
die bei der Bergung eines in Seenot und zugleich aus der Verfügungsgewalt der
Schiffsbesatzung geratenen Schiffes geschuldete Vergütung. Ursprünglich
herrscht hier der Grundsatz des Strandraubs, dem der Grundsatz des Strandregals
des Landesherrn folgt. Seit dem frühen Mittelalter (Rhodos 600-800 n. Chr.,
Hamburg 1270, Ordonnance de la Marine 1681) wird dem Berger ein Anteil
zugesprochen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s wird für den Berger wie den
Hilfeleistenden ein gemäß den Umständen nach billigem Ermessen zu bestimmender
B. für richtig gehalten (Strandungsordnung 1874, §§ 740ff. HGB, Brüsseler
Übereinkommen 1910).
Lit.: Goldschmidt, L., Handbuch des Handelsrechts, 1864, 2.
A. 1875, darin Universalgeschichte des Handelsrechts, (Bd. 1 3. A.) 1891,
Neudruck 1957
Bergen („Bergweide“)
am Byfjord wird 1070 gegründet. Es ist seit dem 12. Jh. →Norwegens
Krönungsstadt. Um 1343 eröffnet dort die →Hanse eine Niederlassung.
Lit.: Bruns, F., Die Lübecker Bergenfahrer, 1900; Bergen,
hg., v. Friedland, K., 1971; Archiv der Bergenfahrerkompagnie zu Lübeck, bearb.
v. Asmussen, G. u. a., 2002; Ullrich, S., Untersuchungen zum Einfluss des
lübischen Rechts, 2008
Berggericht
Lit.: Huffmann, F., Über die
sächsische Berggerichtsbarkeit, 1935
Bergrecht ist
das Berge betreffende Recht, insbesondere das Recht des Bergbaus und damit der
Gewinnung von Bodenschätzen zunächst vor allem aus Bergen. Der dem antiken
folgende, mittelalterliche Bergbau beginnt um Goslar (Silber) im 9. Jh., an der
Südseite des Erzgebirges um 1140 und im Mansfelder Gebiet (Kupfer) um 1190.
Ausgangspunkt ist die Bergbaufreiheit des Grundeigentümers. Wohl bereits im
Frühmittelalter beansprucht aber der König die Herrschaft über den Bergbau,
durch welche die Stellung des Grundeigentümers beschränkt wird. 1158 verkündet
Friedrich I. Barbarossa zunächst für Italien in Roncaglia ([lat.] Constitutio
[F.] de regalibus, Gesetz über die königlichen Rechte) das Silberregal und das
Salzregal des Königs ([lat.] argentariae … et salinarum reditus, Abgaben aus
Silberwerken? und Salinen). Wenig später wird das B. erstmals ausführlicher
festgehalten (Trient 1185/1208, Iglau 1249, Goslar 1271, Freiberg 14. Jh.,
Schladming 1408). In der Folge darf auch gegen den Willen des Grundeigentümers
an jedem geeigneten Ort Bergbau betrieben werden (Bergfreiheit,
Bergbaufreiheit, Goldberg 1342), wobei der Finder Anspruch (Finderrecht) auf
Verleihung der Schürfrechte hat (Kulmer Handfeste 1233). 1356 geht das
Bergregal des Königs urkundlich auf die Kurfürsten und danach bis 1648 auf
andere Reichsfürsten über. Die Landesherren erlassen Bergordnungen
(Kuttenberg 1300-1305 als Vorläuferin, Schneeberg 1492, Annaberg 1509,
Joachimsthal 1518, Jülich-Berg 1542, Henneberg 1566). Die Bergbauunternehmer
arbeiten als bergrechtliche Gewerkschaft (Genossenschaft) mit Kuxen als
Anteilen. Arbeitgeber ist zunächst der einzelne Gewerke für seine allmählich in
verschiedenen Hinsichten geschützten Arbeiter (Knappe). In der Mitte des 18.
Jh.s wandelt sich der Bergbau zur Industrie. Der Staat greift durch Gesetze ein
(Loi relative aux mines 28. 7. 1791, Code des mines 1810, Österreich 1854,
Allgemeines Berggesetz für die preußischen Staaten 24. 6. 1865, Sachsen 16. 6.
1868), wobei an die Stelle des fürstlichen Bergregals die staatliche Berghoheit
tritt. Das Bundesberggesetz der Bundesrepublik Deutschland hebt die Gewerkschaften
alten Rechtes und die Gewerkschaften neuen Rechtes auf und verlangt eine Umwandlung
zum 1. 1. 1986.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Allge-meinesBerggesetzfuerdiepreussischenStaaten1865.pdf
Köbler, DRG 90, 97, 113, 167, 205, 218; Agricola, G. v., De re metallica libri
XII, 1556; Die Henneberger Bergordnung von 1566, hg. v. Lingelbach, G., 2002;
Achenbach, H., Das gemeine deutsche Bergrecht, 1871; Ermisch, H., Das
sächsische Bergrecht des Mittelalters, 1887; Abignente, G., La proprietà del
sottosuolo, 1888; Zycha, A., Das Recht des ältesten deutschen Bergbaues, 1899;
Zycha, A., Das böhmische Bergrecht des Mittelalters, 1900; Arndt, A., Noch einmal
der Sachsenspiegel und das Bergregal, ZRG GA 23 (1902), 112; Arndt, A., Einige
Bemerkungen zur Geschichte des Bergregals, ZRG GA 24 (1903), 59; Zycha, A.,
Über den Ursprung der deutschen Bergbaufreiheit, ZRG GA 24 (1903), 338; Arndt,
A., Zur Frage des Bergregals, ZRG GA 24 (1903), 465; Arndt, A., Zur Geschichte
und Theorie des Bergregals und der Bergbaufreiheit, 2. A. 1916; Möllenberg, W.,
Das Mansfelder Bergrecht und seine Geschichte, 1914; Müller-Erzbach, Das
Bergrecht, 1917; Stolz, O., Die Anfänge des Bergbaues und Bergrechtes in Tirol,
ZRG GA 48 (1928), 207; Schönbauer, E., Beiträge zur Geschichte des
Bergbaurechts, 1929; Weizsäcker, W., Das alte Zinnbergrecht von Graupen im
Erzgebirge, ZRG GA 50 (1930),
233; Weizsäcker, W., Sächsisches Bergrecht in Böhmen, 1929; Sehm, J., Der
Silberbergbau zu Annaberg, (1934); Silberschmidt, W., Zur Geschichte der
Bergfreiheiten, Zeitschrift für Bergrecht 75 (1935), 260; Silberschmidt, W.,
Das schwedische Bergrecht, Zeitschrift für Bergrecht 75 (1935), 442,
Krzyżanowski, J., Die Bergbaufreiheit in Polen, 1935 (polnisch); Sehm, J.,
Die Schreckenberger Bergordnung 1499/1500, 1936; Büchsel, H., Rechts- und
Sozialgeschichte des oberschlesischen Berg- und Hüttenwesens 1750 bis 1806,
1941, Thieme, H., Die Funktion der Regalien im Mittelalter, ZRG GA 62 (1942),
57; Löscher, H., Die erste Annaberger Bergordnung vom 11. Februar 1493, ZRG GA
68 (1951), 435; Isay, R., Vereinheitlichung des deutschen Bergrechts, 1952; Schneider,
H., Zur Geschichte des Bergrechts und der Bergverfassung im Siegerland, Diss.
jur. Bonn 1954; Schmelzeisen, G., Die Arbeitsordnung in den jüngeren
Berggesetzen, ZRG GA 72 (1955), 111; Schneider, H., Das ältere Siegerländer
Bergrecht, 1956; Clauss, H./Kube, S., Freier Berg und vermessenes Erbe, 1957;
Schrader, E., Zum Bergrecht und zum Schatzrecht im Sachsenspiegel I, 35, ZRG GA
74 (1957), 178; Löscher, H., Vom Bergregal im sächsischen Erzgebirge,
Freiberger Forschungshefte D 22, 1957; Willecke, R., Grundriss des Bergrechts,
1958; Ebel, W., Über das landesherrliche Bergregal, Zs. f. Bergrecht 109
(1968), 146; Löscher, H., Zur Frühgeschichte des Freiberger Bergrechts, ZRG GA
76 (1959), 343; Willecke, R./Turner, G., Grundriss des Bergrechts, 2. A. 1970;
Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte,
hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,2,1767; Strätz, H., Bergmännisches
Abbaurecht, FS N. Grass, 1974, 533; Willecke, R., Die deutsche
Berggesetzgebung, 1977; Boldt, G./Weller, H., Kommentar zum Bundesberggesetz,
1984; Europäisches Montanwesen im Hochmittelalter. Das Trienter
Bergrecht 1185-1214, hg. v. Hägermann, D. u. a., 1986; Tubbesing, G.,
Vögte, Froner, Silberberge, 1996; Steuer, H./Zettler, A., Der mittelalterliche
Bergbau und seine Bedeutung für Freiburg, 1996; Ecker, F., Die Entwicklung des
Bergrechts im Saarbrücker Steinkohlenrevier, 1997; Soestwöhner, M.,
Bergschadensrecht im 19. Jahrhundert, Diss. jur. Bochum 1997; Kranz, H.,
Lütticher Steinkohlen-Bergbau im Mittelalter, 2000; Pfeifer, G., Ius regale
montanorum, 2002; Thür, G., Gedanken zu Bergregal und Bergbaufreiheit in der
griechisch-römischen Antike, (in) Festschrift für Gernot Kocher, 2002, 317ff.;
Löscher, H., Das erzgebirgische Bergrecht des 15. und 16. Jahrhunderts, Bd. 1f.
2003ff.; Stadt und Bergbau, hg. v. Kaufhold, K. u. a., 2004
Bergregal →Bergrecht
Berlich(ius),
Matthias (Schkölen bei Weißenfeld 9. 10. 1586-Leipzig 8. 8. 1638),
Bürgermeisterssohn, wird nach dem Studium des Rechtes in Jena und Marburg
(Promotion 1610) 1611 in Leipzig Anwalt. In seinen (lat.) Conclusiones (F.Pl.)
practicabiles (Praktische Schlüsse) (1615ff.) stellt er das gemeine Recht nach
der Ordnung der kursächsischen Konstitutionen von 1572 dar. Auf seinem im
Strafrecht eine genauere Beschreibung der Straftatbestände anstrebenden Werk
baut Benedikt Carpzov auf.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BerlichMatthiasConclusionumpracticabilium...liber4A1644Bd1.pdf;
Stintzing, R./Landsberg, E., Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 1
1880, Neudruck 1957, 1978, 640, 736
Berlin erwächst
aus zwei älteren (um 1200 geplanten?), beiderseits eines Übergangs über die
untere Spree liegenden Siedlungen (Cölln [dendrologische Daten um oder nach
1171, Ersterwähnung 1237], Berlin [Sumpfort], slawische Besiedlung Berlins bis
ins 10. Jh. nachweisbar?, Ersterwähnung 1244), die um 1235 (Berlin um 1230?,
1253 an Frankfurt an der Oder übertragen) Stadtrecht erhalten und 1307
organisatorisch (zu einer Union) vereinigt werden. Am Ende des 14. Jh.s (1397)
entsteht das Berliner Stadtbuch (Berlin, Stadtarchiv, ohne Signatur), dessen
Schöffenrecht hauptsächlich auf dem →Sachsenspiegel aufbaut und durch die
Glosse Johanns von Buch, durch den Richtsteig Landrechts und durch das
Sächsische Weichbildrecht beeinflusst ist, aber auch brandenburgische
Gewohnheiten und gelegentlich gelehrtes Recht erkennen lässt. Unter den 1442/1448
den Widerstand der Stadt B. brechenden Hohenzollern (1415) wird B. 1470
Residenz der Markgrafen von Brandenburg, die hier 1516 das →Kammergericht
einrichten und sich seit 1701 Könige in Preußen nennen. 1709 wird aus B.,
Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt, Friedrichstadt und einigen
Vorstädten die einheitliche Königsstadt B. mit einem Magistrat gebildet. 1810
erhält B. eine Universität. 1871 wird B. Hauptstadt des Deutschen Reiches. 1878
findet dort ein internationaler Kongress über die Staatsverhältnisse auf dem
Balkan statt. 1912 wird der Zweckverband Groß-Berlin geschaffen. Am 27. 4.
1920 wird aus 8 Städten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken die zweistufig
gegliederte, in 20 Bezirke geteilte Einheitsgemeinde B. gebildet. 1945 wird
B. in vier Sektoren der Besatzungsmächte aufgeteilt, 1948 in Westberlin und
Ostberlin gespalten, von 1961 bis 1989 durch eine Mauer mit Schießbefehl
getrennt, 1990 aber wieder vereinigt und 1991 (mit rund 890 Quadratkilometern
Fläche und etwa 3,5 Millionen Einwohnern) statt Bonn zur Hauptstadt der
Bundesrepublik Deutschland bestimmt. Der Versuch der Vereinigung mit
Brandenburg scheitert bei einer Volksabstimmung am 5. 5. 1996.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 181, 245;
Berlinisches Stadtbuch, hg. v. Clauswitz, P., 1883; Das Stadtbuch des alten
Köln an der Spree, hg.v. Clauswitz, P., 1921; Gebhardt, P. v., Das älteste
Berliner Bürgerbuch 1453-1700, 1927; Seeboth, J., Das Privatrecht des Berliner
Stadtbuches, 1928; Die Bürgerbücher von Cölln an der Spree, hg. v. Gebhardt, P.
v., 1930; Latendorf, O., Die Entwicklung der städtischen Kassenorganisation
Berlins, 1931; Berliner Häuserbuch, bearb. v. Lüdicke, R., Bd. 1 1933; Steffen,
K., Das Berliner Stadtverfassungsrecht, 1936; Asen, J., Gesamtverzeichnis des
Lehrkörpers der Universität Berlin, Bd. 1 (1810-1945), 1955;
Berlin-Bibliographie, Bd. 1ff. 1965ff.; Schiedermair, H., Der völkerrechtliche
Status Berlins, 1975; Scholz, F., Berlin und seine Justiz, 1982; Festschrift
zum 125jährigen Bestehen der juristischen Gesellschaft zu Berlin, hg. v. Wilke,
D., 1984; Geschichte Berlins, hg. v. Ribbe, W., Bd. 1f. 1987, 3. A. 2002;
Rechtsentwicklungen in Berlin, hg. v. Ebel, F. u. a., 1988; Geschichte der
Berliner Verwaltungsbezirke, hg. v. Ribbe, W., Bd. 1ff. 1988ff.; Oppitz, U.,
Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 61; Schultz, H., Berlin
1650-1800, 2. A. 1992; Fijal, A., Die Geschichte der juristischen Gesellschaft
zu Berlin in den Jahren 1859 bis 1933, 1991; Schubert, W., Die Vorträge von
Reinhold Johow in der Berliner Mittwochs-Gesellschaft (1881-1897), ZRG GA 110
(1993), 458; Schröder, R./Bär, F., Zur Geschichte der juridischen Fakultät,
Kritische Justiz 1996, 447; Spree-Insel, hg. v. Haspel, J. u. a., 1998; Raiser,
T., Schicksalsjahre einer Universität, 1998; Lösch, A. Gräfin v., Der nackte
Geist, 1999; Berlin. Die Hauptstadt, hg. v. Süß, W., 2000; Fritze, W./Schich,
W., Gründungsstadt Berlin, 2000; Städtebuch Brandenburg und Berlin, hg. v.
Engel, E. u. a., 2000; Ribbe, W., Die historische Kommission zu Berlin, 2000;
Berlin, hg. v. Schoeps, J., 2001; Ziolkowski, T., Berlin, 2002; Large, D.,
Berlin, 2002; Engler, H., Die Finanzierung der Reichshauptstadt, 2004; Die
Berliner Universität in der NS-Zeit, hg. v. Bruch, R. vom u. a., 2005; Thies,
R., Ethnograph des dunklen Berlin, 2006; Regesten der Urkunden zur Geschichte
von Berlin/Cölln im Mittelalter (1237 bis 1499)., bearb. v. Huch, G. u. a.,
2008; Winter, A., Das Gelehrtenschulwesen der Residenzstadt Berlin, 2008; Geschichte
der Universität Unter den Linden 1810-2010, hg. v. Bruch, R. vom u. a., Bd.
1ff. 2010; Die Matrikel der Universität Berlin (1810-1850), hg. v. Bahl, P. u. a.,
2010; Die Berliner Universität im Kontext, hg. v. Bruch, R. vom, 2010; Die
Vorlesungen der Berliner Universität 1810-1834, hg. v. Virmond, W., 2010;
Festschrift 200 Jahre juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin,
hg. v. Grundmann, S., 2010; Kleibert, K., Die juristische Fakultät der
Humboldt-Universität zu Berlin im Umbruch, 2010; Pawliczek, A., Akademischer
Alltag zwischen Ausgrenzung und Erfolg, 2011; Die Berliner juristische Fakultät
und ihre Wissenschaftsgeschichte von 1810 bis 2010, hg. v. Schröder, R. u. a. 2011;
Markovits, I., Juristen - böse Sozialisten?, ZRG GA 129 (2012), 267; Berlin
1933-1945, hg. v. Wildt, M. u. a., 2012; Haase, S., Die Berliner Universität
und die nationale Bewegung 1800-1848, 2012; Geraubte Mitte - Die „Arisierung“
des jüdischen Grundeigentums, hg. v. Nentwig, F., 2013; Kraushaar, F.,
Aufbruch zu neuen Ufern - Die privatrechtlichen und rechtshistorischen
Dissertationen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, 2014
Bern wird
wohl unter Bezugnahme auf Verona 1191 vom Herzog von Zähringen auf
ursprünglichem Königsgut gegründet. 1218 gelangt es an das Reich zurück (Berner
Handfeste Kaiser Friedrichs II., in ihrer Echtheit umstritten) und wird 1274
Reichsstadt. Danach erwirbt B. umfangreiche Güter, verbindet sich 1353 mit der →Eidgenossenschaft
der Schweiz und entwickelt sich (1458 4500 Einwohner) zum größten Stadtstaat
nördlich der Alpen, der mit 130000 qkm rund ein Drittel der heutigen Schweiz
umfasst (etwa 100000 Untertanen). Seit 1848 ist B. Hauptstadt der Schweiz. Am
9. 9. 1886 wird in B. die völkerrechtliche Berner Übereinkunft des
Urheberrechts geschlossen, die alle Verbandsstaaten (nicht z. B. Vereinigte
Staaten von Amerika) zur Gleichbehandlung der Urheber aus Mitgliedstaaten mit
Inländern verpflichtet.
Lit.: Mutach, A. v., Revolutionsgeschichte der Republik
Bern 1789-1815, hg. v. Wirz, H., 1934; Die Rechtsquellen des Kantons Bern (Teil
1 Stadtrechte, Teil 2 Rechte der Landschaft), hg. v. Welti, E. u. a. 1902ff.;
Welti, F. u. a., Das Stadrecht von Bern, Bd. 1ff. 1902ff., Bd. 1f. 2. A. bearb.
v. Rennefahrt, H., 1971; Stürler, R. v., Die vier Berner Landgerichte Seftigen,
Sternenberg, Konolfingen und Zollikofen, Diss. jur. Bern 1920; Die historische
Entwicklung der Leinwandweberei im Kanton Bern, Diss. staatswiss. Bern 1920;
Audétat, E., Verkehrsstraßen und Handelsbeziehungen Berns (Diss. phil. Bern),
1921; Rennefahrt, H., Freiheiten für Bern aus der Zeit Friedrichs II.,
Zeitschrift für schweizerisches Recht N. F. 46 (1927); Rennefahrt, H.,
Grundzüge der bernischen Rechtsgeschichte, Bd. 1-4 1928ff.; Däppen, O.,
Verfassungsgeschichte der Berner Landstädte, Archiv des historischen Vereins
des Kantons Bern 30 (1929), 1; Strahm, H., Studien zur Gründungsgeschichte der
Stadt Bern, 1935; Die Rechtsquellen des Kantons Bern, Teil 2, Bd. 2 1937;
Schmid, B., War Bern in staufischer Zeit Reichsstadt?, Zeitschrift für
schweizerische Geschichte 20 (1940), 161; Feller, R., Geschichte Berns, 1946;
Roth, U., Samuel Ludwig Schnell und das Zivilgesetzbuch für den Kanton Bern von
1824-1830, 1948; Bader, K., Um Echtheit oder Fälschung der Berner Handfeste,
ZRG GA 72 (1955), 194; Sechshundert Jahre Inselspital (1354-1954), verf. v.
Rennefahrt, H. u. a., 1954; Dübi, A., Die Geschichte der bernischen
Anwaltschaft, 1955; Rennefahrt, H., Nochmals um die Echtheit der Berner
Handfeste, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 6 (1956), 145; Häusler,
F., Das Emmental im Staate Bern bis 1798, Bd. 1f. 1958ff.; Handbuch der Quellen
und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing,
H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,444, 3,2,1925; Soliva, C., Zur Berner Stadtrechtsreformation
von 1614, ZRG GA 92 (1975), 117; Bierbrauer, P., Freiheit und Gemeinde im
Berner Oberland 1300-1700, 1991; Gmür, R., Der alte bernische Stadtstaat
(1191-1798), ZRG GA 112 (1995), 366; Gerber, R., Gott ist Burger zu Bern, 2001;
Berns mutige Zeit, hg. v. Schwinges, R. 2003 Repertorium der Policeyordnungen
7, hg. v. Schott-Volm, C., 2006; Studer Immenhauser, B., Verwaltung zwischen
Innovation und Tradition, 2006; Rieder, K., Netzwerke des Konservativismus,
2008; 100 Jahre bernisches Obergericht in der vorderen Länggasse, hg. v. Obergericht
Bern, 2009
Bernardus Dorna ist ein aus der Provence
stammender, zeitweise in Bologna tätiger, 1222-1234 in Montpellier
nachweisbarer Jurist ([lat.] Summula [F.] de libellis et eorum compositione).
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 302
Bernardus Papiensis
(Pavia vor 1150-1213) wird nach dem Studium in Bologna Lehrer des geistlichen
Rechtes und 1187 Propst, 1198 Bischof von Pavia. Seine in fünf Bücher geteilte
systematische Dekretalensammlung (lat.) Breviarium (N.) extravagantium
(Kurzfassung der zusätzlichen [Dekretalen]) (1188/1190) wird (als [lat.]
compilatio [F.] prima, erste Sammlung) zum Vorbild aller späteren
Gesetzessammlungen (Dekretalensammlungen) des kanonischen Rechtes, das seit dem
späten 12. Jh. als sich ständig erneuernde Rechtsordnung in ihrem jeweils
neuesten Stand auf den Universitäten gelehrt wird.
Lit.: Landau, P., Die Entstehung der systematischen
Dekretalensammlungen, ZRG KA 65 (1979), 120
Berner,
Albert Friedrich (Straßburg/Uckermark 30. 11. 1818-Berlin 13. 1. 1907),
Justizratssohn, wird nach dem Studium von Philosophie und Recht in Berlin
(Savigny, Gans) 1848 außerordentlicher Professor und 1861 ordentlicher
Professor in Berlin. Sein vom Vergeltungszweck geprägtes Lehrbuch des →Strafrechts
erfährt 18 Auflagen.
Lit.: Schmidt, E., Einführung in die Geschichte der
deutschen Strafrechtspflege, 1947, 3. A. 1965
Bernstein
Lit.:
Die Bernsteinstraße, hg. v. Quast, D. u. a. 2013
Berthold von Henneberg →Henneberg
Beruf ist
die auf Dauer angelegte, die Arbeitskraft und Arbeitszeit überwiegend in
Anspruch nehmende Betätigung, die im allgemeinen mit dem Ziel betrieben wird,
daraus den Lebensunterhalt zu gewinnen, und die zugleich einen Beitrag zur
gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt (bloße gelegentliche Betrauung
eines ausnahmsweise als ao. Prof. titulierten Privatgelehrten mit einer
gutachterlichen Tätigkeit ist kein B.). Der B. entwickelt sich mit der
Entstehung besonderer Tätigkeitsfelder. Bedeutsam ist er bereits in der mittelalterlichen
Stadt. Verfassungsrechtlich geschützt wird der B. im späteren 20. Jh.
Lit.: Lange, H., Das Verbot der Berufsausübung im
Mittelalter, 1940; Richarz, M., Der Eintritt der Juden in die akademischen
Berufe, 1974; Henning, H., Die deutsche Beamtenschaft, 1984; Knörr, M., Die
Berufszulassung zum Handwerk, Diss. jur. Erlangen 1996; Eisenbach, U., Duale
Berufsausbildung in Hessen, 2010; Professionen, Eigentum und Staat, hg. v.
Müller, D. u. a., 2014
Berufsfreiheit ist die Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung, die
erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s grundrechtliche Bedeutung erlangt.
Lit.: Hege, H., Das Grundrecht der Berufsfreiheit, 1977
Berufsrichter ist der Richter, der seine Tätigkeit als Beruf ausübt. Er tritt als
gelehrter Offizial des Bischofs vereinzelt seit dem späten 12. Jh. (Reims,
Mainz), allgemeiner seit 1246 als ständiger, ordentlicher und selbst
entscheidender Einzelrichter der kirchlichen Gerichtsbarkeit auf. Bis zum 19.
Jh. setzt er sich unter Verdrängung des ungelehrten, ehrenamtlich tätigen
Schöffen auch im weltlichen Gericht durch, ehe ihm dann durch den Liberalismus
nach englischem (bzw. französischem) Vorbild erneut ehrenamtliche Laienrichter
zur Seite gestellt werden.
Lit.: Köbler, DRG 154, 234; Nörr, K., Zur Stellung des
Richters im gelehrten Prozess der Frühzeit, 1967; Müller-Volbehr, J., Die
geistlichen Gerichte in den braunschweig-wolfenbüttelschen Landen, 1972;
Budischin, H., Der gelehrte Zivilprozess in der Praxis geistlicher Gerichte,
1974; Horn, N., Bologneser doctores und iudices im 12. Jahrhundert, ZHF 3
(1976), 221
Berufsschule ist die in Deutschland im 19. Jh. zur
Verbesserung der beruflichen Ausbildung entwickelte öffentliche Schule.
Lit.:
Fischbach, R., Von der Sonntags- und Fortbildungsschule zur Berufsschule, 2004
Berufsverbot (seit 1933) ist das Verbot, einen
bestimmten Beruf auszuüben. Ihm geht die nach Einführung der Gewerbefreiheit im
19. Jh. geschaffene Möglichkeit voraus, ein aufgenommenes Gewerbe nachträglich
zu untersagen (Preußen Gewerbeordnung 1845, Norddeutscher Bund 1869, Deutsches Reich
1872). Das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher vom 24. 11. 1933
führt daneben als Maßregel der Sicherung und Besserung eine Untersagung einer
Gewerbeausübung im Rahmen eines Strafverfahrens bei Begehung einer Straftat
unter Missbrauch des Berufs ein (§ 42l StGB). Sie wird bald als B. bezeichnet.
Seit etwa 1970 wird auch das ablehnende Ergebnis einer politischen Überprüfung
von Bewerbern für die Einstellung in den öffentlichen Dienst B. genannt.
Lit.: Reinhard, E., Die
Entwicklung der Untersagung gewerblicher Unterehmen seit 1869, Diss. jur.
Heidelberg 1940
Berufung ist
das seit 1877/1879 grundsätzlich gegen Urteile des ersten Rechtzugs in
Deutschland gegebene Rechtsmittel. Es kommt sachlich mit der Aufnahme des römisch-kanonischen
Prozessrechts im Spätmittelalter als →Appellation an einen höheren
Richter ins Reich und verdrängt dort die ältere Urteilsschelte, die seit dem
Ende des 13. Jh.s aber schon in einem ziemlich allgemeinen Sinn B. genannt
werden kann. Gleichzeitig wird B. allmählich das allgemeine deutsche Wort für
die bis 1877/1879 als Rechtsmittel verwendete Appellation.
Lit.: Kaser § 65 IV; Köbler, DRG 116, 202, 235; Planck, W.,
Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd. 1 1879, 268; Weitzel, J.,
Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, 1976
Berytos (Beirut)
ist der Sitz einer bereits vor 238 n. Chr. berühmten Rechtsschule. Hier wie
später in Konstantinopel lehren besoldete Professoren (lat. [M.Pl.]
antecessores) in einem festen Studienplan in fünf Jahreskursen. Im ersten Jahr
beginnt man (als dupondius) mit den Institutionen des Gaius (Privatrecht,
Prozessrecht). Es folgen vier Teile (lat. libri singulares) zivilrechtlicher
Schriften ([vielleicht aus Ulpians Ad Sabinum libri] Mitgiftrecht,
Vormundschaftsrecht, Testamentsrecht, Vermächtnisrecht). Im zweiten und
dritten Jahr (edictalis, Papinianista) wird der Stoff des Jurisdiktionsedikts
der römischen Privatrechtsmagistrate (Stadtprätor, Provinzgouverneur bzw.
Legat) behandelt. Im zweiten Jahr studiert man wahrscheinlich nach Ulpians Ad
edictum praetoris libri aus dem Edikt (Buch 1-14) das Gerichtsverfassungsrecht
und Anfänge des Zivilprozessrechts (Allgemeines, Zuständigkeiten, Einleitung
des Verfahrens, Wiedereinsetzung, Haftung für Garantiezusagen, Sicherheitsleistung,
danach in der zweiten Jahreshälfte (Buch 15-25) Prozesseid, parteiliche
Richter, wichtige dingliche Ansprüche, einige deliktische Ansprüche), im
dritten Jahr (Ediktsstoff Buch 26-32) Kreditverträge, Leihe, Verpfändung,
Gehilfengeschäftehaftung, Verwahrung, Treuhand, Auftrag, Gesellschaft, Kauf,
Miete, Pacht, Dienstvertrag, Werkvertrag), in der zweiten Hälfte des dritten
Jahrs die (ersten 8 der 19) Responsen (Rechtsbescheide) Papinians. Im vierten
Jahr (lytes) und fünften Jahr (prolytes) beschäftigt man sich im Selbststudium
mit den Responsen des Paulus und den Konstitutionen der Kaiser (einschließlich
des Strafrechts und des sonstigen öffentlichen Rechtes), wobei bewusst die
klassischen Traditionen aufgegriffen werden. Erzeugnisse der Arbeit der Lehrer sind
nur vereinzelt überliefert. Justinian setzt 533 n. Chr. in erster Linie an die
Stelle der bisherigen Studientexte seine Institutiones und Digesten sowie
seinen Codex (im ersten Jahr Institutionen, Digesten 1-4 mit Rechtsphilosophie,
Rechtsgeschichte, Rechtsquellen, Grundbegriffe, Staatsrecht, Verwaltungsrecht,
Zivilprozessrecht, im zweiten Jahr Digesten 5-11 oder 12-19, Mitgift D. 23-29,
Vormundschaft D. 26-27, Testament D. 28-29, Vermächtnis D. 30-36, im dritten
Jahr vertragliches Schuldrecht D. 12-19 oder Gerichtsverfassung, Einleitung
eines Zivilprozesses, Sachenrecht aus Buch 5-11 der Digesten, dann Hypotheken
D. 20, Sach- und Rechtsmängel bei Marktkauf D. 21, Verzinsung, Seedarlehen,
Beweis und Irrtum D. 22, im vierten Jahr Mitgift, Vormundschaft, Testament,
Vermächtnis aus D. 24, 25, 27, 29 und 31-36 und im fünften Jahr den Codex
einschließlich von Wirtschaft, Verwaltung und Kirche).
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 39; Köbler, DRG 53;
Wieacker, F., Antecessores, FS H. Niederländer, 1991, 215
Besançon (mhd. Bisanz) am Doubs nördlich des Jura wird
1691 Sitz einer Universität (bis 1793).
Besatzung ist die zeitweise Übernahme der
Herrschaftsgewalt in einem fremden Gebiet durch einen an sich nicht zuständigen
Staat beispielsweise als Ergebnis eines Krieges (z. B. nach 1945 insgesamt 15
Millionen Soldaten und Angehörige der Vereinigten Staaten von Amerika im
Gebiet der späteren Bundesrepublik Deutschland).
Lit.: Marx, T., Zwischen Schwert
und Schild, 2004; Die besetzte res publica, hg. v. Meumann, M. u. a., 2006;
Löhnig, M., Zwischenzeit, 2011
Besatzungsstatut ist die 1949 von den drei westlichen Besatzungsmächten
Deutschlands einseitig erlassene Grundregelung des Verhältnisses ihrer
Hoheitsgewalt zu jener der Bundesrepublik Deutschland, die dieser grundsätzlich
die volle gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt überträgt.
1951 überarbeitet, wird es am 5. 5. 1955 mit Inkrafttreten der Pariser Verträge
beseitigt.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Pollock, J., Besatzung und
Staatsaufbau nach 1945, hg. v. Krüger-Bulcke, I., 1994; Waibel, D., Von der
wohlwollenden Despotie zur Herrschaft des Rechts, 1996; Deutschland unter
alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein Handbuch, hg. v. Benz, W., 1999
Besatzungsrecht →Besatzungszone
Lit.: Handbuch des
Besatzungsrechts, hg. v. Schmoller, G. v. u. a., 1957; Das geltende
Besatzungsrecht, hg. v. Schröder, D., 1990; Zwischen Kontinuität und
Fremdbestimmung, hg. v. Diestelkamp, B. u. a., 1996; Waibel, D., Von der
wohlwollenden Despotie zur Herrschaft des Rechts, 1996; Die volle Macht eines
souveränen Staates, hg. v. Haftendorn, H. u. a., 1996; Deutschland unter
alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein Handbuch, hg. v. Benz, W., 1999;
Walton-Jordan, U., Die britische Gerichtsbarkeit in Nordwestdeutschland 1945-1949,
ZRG GA 117 (2000), 362; Rensmann, M., Besatzungsrecht im wiedervereinigten
Deutschland, 2002; Zentz, F., Das amerikanische Strafverfahren als Element der
Besatzungspolitik, 2005
Besatzungszone ist das Gebiet (Zone), das einer von mehreren Besatzungsmächten
zugeteilt ist. 1945 werden das →Deutsche Reich (und das davon wieder
verselbständigte →Österreich) in je eine B. der Vereinigten Staaten von
Amerika, der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs aufgeteilt (Potsdamer
Abkommen vom 2. 8. 1945). Den Einwohnern werden von Frankreich täglich 900
Kalorien, von Großbritannien 1050, von der Sowjetunion 1080 und von den
Vereinigten Staaten von Amerika 1330 Kalorien zugebilligt (in Berlin 900). Am
5. 5. 1955 erklären die westlichen Besatzungsmächte die Bundesrepublik
Deutschland für souverän, am 25. 3. 1954/20. 9. 1955 die Sowjetunion die
Deutsche Demokratische Republik. Das in den Besatzungszonen von den alliierten
Stellen unmittelbar oder durch deutsche Stellen mittelbar gemeinsam oder
einzeln in fünf unterscheidbaren Phasen (1941-8. 5. 1945, 5. 6. 1945-30. 3.
1948, 30. 3. 1948-1951, 1951-1955, 1955-1990ff., abschließende Regelung in
Bezug auf Deutschland 12. 9. 1990) erlassene (deutsche) Recht (Besatzungsrecht
zur Sicherung der Interessen der Besatzungsmächte, zur Entmilitarisierung, Entnazifizierung
und Bestrafung von Kriegsverbrechern sowie zum allmählichen Wiederaufbau)
gilt auch über die Beendigung des Besatzungsregimes hinaus bis zu seiner
Aufhebung oder Abänderung.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh; Köbler, DRG 244, 245; Blomeyer,
A., Die Entwicklung des Zivilrechts, 1950; Overesch, M., Das besetzte
Deutschland, 1986, Neudruck 1992; Das geltende Besatzungsrecht, hg. v.
Schröder, 1990; Zwischen Kontinuität und Fremdbestimmung, hg. v. Diestelkamp,
B. u. a., 1996; Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein
Handbuch, hg. v. Benz, W., 1999; Lehmann, A., Der Marshall-Plan und das neue
Deutschland, 2000; Mußgnug, D., Alliierte Militärmissionen in Deutschland
1946-1900, 2001; Kriegsende und Neubeginn, hg. v. Hoser, P. u. a., 2003; Behling,
K., Spione in Uniform, 2004; Groß, J., Die deutsche Justiz unter französischer
Besatzung 1945-1949, 2007; Zwischenzeit, hg. v. Löhnig, M., 2011
Beschlagnahme (Anfang 19. Jh.) ist die zwangsweise Sicherstellung von Gegenständen zur
Sicherung öffentlicher oder privater Belange. Unterschiedliche Einzelfälle
dieser Art sind bereits in älteren Zeiten bekannt (z. B. römische [lat.] missio
[F.] in bona, Gütereinweisung). Im Rechtsstaat des 19. Jh.s wird die B. an
gesetzlich geregelte Voraussetzungen gebunden.
Lit.: Kaser §§ 85, 86; Mothes, R., Die Beschlagnahme nach
Wesen, Arten und Wirkungen, 1903; Planitz, H., Die Vermögensvollstreckung,
1912; Freyberg, R., Über die Beschlagnahme, Diss. jur. Frankfurt am Main 1971
Beschreien
der Wände ist die wahrnehmbare Lautgebung eines neugeborenen Menschen. Das B.
ist vom Sachsenspiegel (1221-1224) bis zum preußischen Allgemeinen Landrecht
(1794) bezeugt. Nach vielen Rechtsquellen ist es ausreichende Voraussetzung der
Rechtsfähigkeit.
Lit.: Brunner,
H., Die Geburt eines lebenden Kindes, ZRG GA 16 (1896), 63; Kuyk, I. van, Het
schreiend Kind, TRG 2 (1920/1921), 63ff.
Beschwerde (lat.
[N.] gravamen) ist die Belastung, aus der sich ein verfahrensmäßiger
Rechtsbehelf entwickelt (z. B. Italien 12. Jh.). Im Verhältnis zu Rechtsmitteln
wie Appellation bezieht sich die B. in der jüngeren Vergangenheit auf
Beschlüsse und Verfügungen. Eine neue Sonderform ist die →Verfassungsbeschwerde
in Deutschland. →Nichtigkeitsbeschwerde
Lit.: Bethmann Hollweg, M. v., Der germanisch-romanische
Zivilprozess, Bd. 1ff. 1868ff., Neudruck 1959; Kiefner, H., Zur
Divergenzjudikatur des Reichsgerichts, (in) Das Bürgerliche Gesetzbuch und
seine Richter, 2000, 585; Suppliche e <<gravamina>>, hg. v. Nubola,
C., 2002
Beseitigung ist
die Entfernung eines Umstands, insbesondere die Entfernung einer Störung. Auf
sie kann ein Anspruch bestehen. Er ist von einem möglichen Schadensersatzanspruch
unabhängig.
Lit.: Kawasumi,
Y., Von der römischen actio negatoria zum negatorischen Beseitigungsanspruch,
2001
Beseler,
Georg (Rödemis bei Husum 2. 11. 1809-Bad Harzburg 28. 8. 1888), Kammerratssohn,
wird nach dem Studium in Kiel, München, Göttingen und Heidelberg mit der streng
geschichtlich die Einrichtung von den Anfängen bis zur Gegenwart verfolgenden,
auch Urkunden berücksichtigenden Lehre von den Erbverträgen in Heidelberg 1835
habilitiert und nach Basel, Rostock (1837), Greifswald (1842) und Berlin
(1859) berufen. Sein System des gemeinen deutschen Privatrechts (1847ff.)
versucht ein dem gemeinen römischen Recht gegenüber gleichwertiges deutsches
System (allen nicht rein römischen Rechtes) zu entwickeln, in dem die
Genossenschaft besonders bedeutsam ist. Vor 1831 bzw. 1848ff. wirkt er auch
politisch (rechtsliberal).
Lit.: Beseler, G., System des gemeinen deutschen
Privatrechts, Bd. 1 1847, Bd. 2 1853, Bd. 3 1855, http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BeselerSystemdesgemeinendeutschenPrivatrechts1847Bd1.pdf,
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BeselerSystemdesgemeinendeutschenPrivatrechts1853Bd2.pdf,
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BeselerSystemdesgemeinendeutschenPrivatrechts1855Bd3.pdf,
Beseler, G., Erlebtes und Erstrebtes, 1884; Gierke, O., Georg Beseler, ZRG GA
10 (1889), 1; Kern, B., Georg Beseler, 1982 (mit Schriftenverzeichnis, 77
Titel); Kern, B., Georg Beselers Mitgliedschaft in der Berliner Mittwochs-Gesellschaft,
ZRG GA 113 (1996), 279
Besitz (10. Jh., Verb besitzen germanisch) ist die tatsächliche Gewalt einer Person über eine Sache. Das römische
Recht bezeichnet dies als (lat. [F.]) possessio, die auf die tatsächliche
Gewalt (lat. [M.] usus) und auf das Sitzen auf Land zurückgeht. Notwendig sind
Gewalt über eine Sache ([lat.] corpus) und (nicht notwendig rechtsgeschäftlicher)
Wille zur Herrschaft ([lat.] animus). Nach dem allgemeinen Recht (lat. ius [N.]
civile) muss die tatsächliche Gewalt auf einem Rechtsgrund beruhen, nach dem
Amtsrecht (lat. ius [N.] praetorium) wird der Besitz (Interdiktenbesitz) durch
bestimmte Klagen gegen Entziehung oder Störung geschützt (z. B. Eigenbesitzer
[Besitzer mit <lat.> animus <M.> domini, Eigenbesitzwillen wie
Eigentümer oder Ersitzungsbesitzer] und gewisse Fremdbesitzer [unter
Anerkennung eines fremden Besitzrechts besitzende Besitzer] wie Erbpächter, Prekarist,
Pfandgläubiger oder Sequester). Nicht B. (im rechtlichen Sinne, sondern nur
[lat.] possessio [F.] naturalis, natürlichen B.) hat der bloße Innehaber (z. B.
Mieter). Vom B. streng geschieden ist das Eigentum. Justinian schränkt den B.
auf den rechtlichen B. mit Eigentümerbesitzwillen ein, nähert diesen B. aber
einem Recht an. Im deutschen Recht steht ursprünglich das schlichte Haben (ahd.
haben, aigan) im Vordergrund. Später entwickelt sich die besondere Figur der →Gewere.
Vielleicht aus dem kirchlichen Recht stammt die Anerkennung des Besitzes auch
bestimmter Innehaber (z. B. Mieter, Pächter u. s. w.). Mit der Aufnahme des römischen
Rechtes verdrängt das Wort B. (Lehnübertragung?) das Wort Gewere. Sachlich
kommt es zu einer gegenseitigen, ziemlich verwirrenden Beeinflussung. In den
naturrechtlichen Kodifikationen ist B. grundsätzlich der Eigenbesitz, doch
gewährt das preußische Allgemeine Landrecht (1794) auch dem Mieter, Pächter
oder Pfandgläubiger Besitzschutz (nicht dem Prekaristen). Savigny versteht
(1803) den B. als Tatsache, stellt ihn dem Eigentum (Recht) gegenüber, ordnet
ihn in das Deliktsrecht ein und verrätselt das Recht des Besitzes hinsichtlich
der Folgen als das Recht eines Faktums. Das (tatsächliche Gewalt und in § 309
Eigenbesitzwillen verlangende, von einem sehr weiten Begriff der Sache
ausgehende) Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs (1811/1812) kennt
den Tabularbesitz des im Grundbuch Eingetragenen. Im deutschen Bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) ist unter Bruch mit dem gemeinen Recht der unmittelbare B.
die tatsächliche Herrschaft über eine Sache (z. B. des Mieters oder Diebes),
neben welcher der durch ein Rechtsverhältnis (Besitzkonstitut) vermittelte
mittelbare B. (z. B. des Vermieters) steht. Die Innehabung ist grundsätzlich
beseitigt, der Gegensatz zum Eigentum betont.
Lit.: Kaser § 19; Hübner 221; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler,
DRG 25, 39, 60, 140, 162, 211; Savigny, F., Das Recht des Besitzes, 1803, 7. A.
1875, Neudruck 1990; Bruns, K., Das Recht des Besitzes, 1848; Randa, A., Der
Besitz nach österreichischem Recht, 1865, 4. A. 1895; Pflüger, H., Die
sogenannten Besitzklagen des römischen Rechts, 1890, Neudruck 2013; Kaser, M.,
Eigentum und Besitz im älteren römischen Recht, 1943, 2. A. 1956; Schubert, W.,
Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung,
1966; Benöhr, H., Der Besitzerwerb durch Gewaltabhängige, 1972; Wacke, A., Das
Besitzkonstitut, 1974; Hofmeister, H., Die Grundsätze des Liegenschaftserwerbs,
1977; Diurni, G., Le situazioni possessorie nel Medioevo, età
langobardo-franca, 1988; Schnatenberg, P., Die Entstehung der Regeln des BGB
über den mittelbaren Besitz, Diss. jur. Köln 1994; Ernst, W., Eigenbesitz und
Mobiliarerwerb, 1992; Link, M., Possession, possessio und das Schicksal des
common law, 2003; Moriya, K., Savignys Gedanke im Recht des Besitzes, 2003;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010; Choi, Y., Der Besitzerwerb des Erben, 2013
Besitzdiener ist der die tatsächliche Gewalt für
einen anderen (d. h. einen Besitzer) in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft
oder in einem ähnlichen weisungsgeprägten Verhältnis Ausübende (z. B.
Chauffeur). Er ist nicht Besitzer. Er dient der Überbrückung der
Verschiedenheit von tatsächlichen Gegebenheiten und rechtlicher Bewertung.
Besitzeinweisung (Wort 1696) ist die Einweisung eines Menschen oder
einer Person in den Besitz einer Sache.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Besitzer (1290) ist die Besitz habende Person.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Besitzerwerb ist der Erwerb des Besitzes (Wort Besitzergreifung 1784). Er erfordert im
römischen Recht die Begründung der tasächlichen Gewalt über eine Sache und den
Willen, diese für sich zu beherrschen. Er kann ursprünglich (originär) oder
abgeleitet (derivativ) erfolgen.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Besitzkonstitut (Wort 1888, Besitzmittlungsverhältnis,
§ 868 BGB) ist das Verhältnis zwischen einem unmittelbaren Besitzer (nach dem
Bürgerlichen Gesetzbuch z. B. Mieter) und einem mittelbaren Besitzer (z. B.
Vermieter), in dem bzw. durch das der ursprüngliche Besitzer (z. B. Vermieter)
seinen Eigenbesitzwillen bezüglich einer Sache durch Fremdbesitzwillen (für
den Erwerber) ersetzt und der neue Besitzer (z. B. Mieter) Eigenbesitzwillen
begründet.→Besitz
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Besitzrecht →Besitz
Besitzschutz (Wort 1891) ist der dem zunächst
rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnis (Besitz) zugeordnete Schutz der
Rechtsordnung gegen unrechtmäßige Entziehung oder Störung. Hierzu gewährt das
römische Recht besondere →Interdikte gegen unerlaubte Eigenmacht (lat. vi
[gewaltsam], clam [heimlich], precario [Zurückbehaltung bei bloßer Bittleihe])
zu Gunsten des verhältnismäßig rechtmäßigen Besitzers (Verbot der
Gewaltanwendung und Gebot zur richterlich überwachten Rückstellung zu Gunsten
von Eigenbesitzer, Erbpächter, Prekarist, Faustpfandgläubiger und Sequester).
Das kanonische Recht des Mittelalters entwickelt dies zu einem vorläufigen
Besitzschutz weiter. Hierauf baut auch das Reichskammergericht (1495-1806)
auf, das aber bereits bei der vorläufigen Entscheidung nach einem bestandskräftigen
Ergebnis strebt. Die historische Rechtsschule erarbeitet einen rein possessorischen
Schutz der besonderen Besitzklagen, bei dem wie in Rom eine Einrede aus dem
Recht zum Besitz (z. B. Eigentum) ausgeschlossen ist. Er ist in das deutsche
Bürgerliche Gesetzbuch (1900) übernommen.
Lit.: Kaser § 21; Söllner §§ 9, 23; Hübner 221ff.;
Kroeschell, DRG 1; Wieling, H., Grund und Umfang des Besitzschutzes, FG U. v.
Lübtow, 1980; Dedek, H., Der Besitzschutz, ZEuP 1997, 342; Jacobi, J.,
Besitzschutz vor dem Reichskammergericht, 1998; Beermann, C., Besitzschutz,
2000; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Besitzstand (Wort 1787) ist der rechtlich in gewisser Weise geschützte
tatsächliche Stand der Verhältnisse, insbesondere des Beitzes.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Besitzstörung (Wort 1831) ist die rechtswidrige Störung des Besitzers
im Besitz.
Lit. :Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Besold,
Christoph (Tübingen 22. 9. 1577-Ingolstadt 15. 9. 1638), aus einer Juristenfamilie
(Hofgerichtsadvokatensohn), nach dem Rechtsstudium (1599 Tübingen Promotion)
1610 Professor in Tübingen, 1636 in Ingolstadt, entwickelt als Reichspublizist
innerhalb der politischen Wissenschaft eigene Vorstellungen im Bereich des
neuen öffentlichen Rechtes (Vorbereitung der Lehre vom Bundesstaat).
Lit.: Meyer, F., Christoph Besold als Staatsrechtler, Diss.
jur. Erlangen 1957; Stolleis, M., Geschichte des öffentlichen Rechts in
Deutschland, Bd. 1 1988, 120; Synopse der Politik, hg. v. Boehm, L., 2000,
291ff.
Besonderes Gewaltverhältnis ist das Verhältnis, das, im Gegensatz zum allgemeinen
Verhältnis des Inhabers von Hoheitsgewalt über den Bürger, zusätzliche
Einwirkungen ohne weitere Rechtsgrundlage ermöglicht (z. B. Staat -
Strafgefangener). Diese im 19. Jh. entwickelte Vorstellung wird im letzten
Drittel des 20. Jh.s zunehmend abgelehnt.
Lit.: Wenninger, L., Geschichte der Lehre vom besonderen
Gewaltverhältnis, 1982
Bessarabien (östlicher Teil der Moldau zwischen
Pruth und Dnjestr, in dem ab 1814 von Zar Alexander I. Deutsche angesiedelt
wurden, 1918 Rumänien, 1940 umgesiedelt, 1945 vertrieben)→Rumänien, Sowjetunion, Moldawien
Lit.: King, C., The Moldovans, 2000; Schmidt, U., Die
Deutschen aus Bessarabien, 2003, 2. A. 2004, 3. A. 2006
Besserung ist allgemein die Vermehrung der Güte
eines Zustands. Hierzu kann auch die wertsteigernde Aufwendung auf zur Leihe
überlassenem Land gezählt werden. Sie ist teilweise eigenständiges,
veräußerliches Gut.
Lit.: Arnold, W., Zur Geschichte
des Eigentums in den Städten, 1861; Wolf, M., Der Bau auf fremden Gut, 1900;
Stingel, M., Die bäuerliche Leihe im Recht des Würzburger Benediktinerklosters
Sankt Stephan in Würzburg, Diss. jur. Erlangen 1962
Bestand (Wort 1272) ist allgemein der Zustand, Bestandkontrakt (1740) bzw. Bestandvertrag
(1809) die deutsche Wiedergabe der (lat.) locatio conductio, Bestandteil (1811)
der zum Bestand einer Sache gehörige Teil.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Bestechung ist
die Gewährung eines Vorteiles an einen Amtsträger für eine Dienstpflichtverletzung.
Sie ist als Wahlbestechung bereits dem römischen Recht bekannt. Besondere
Bedeutung erlangt sie mit der Entwicklung des Beamtentums.
Lit.: Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss der
Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007; Kulesza, R., Die Bestechung im politischen
Leben Athens, 1995
Besthaupt ist
das beim Tode eines Bauern besonders in Grundherrschaften an einen Herrn
abzuliefernde beste Stück Vieh. Das B. begegnet in Flandern und Lothringen im
9. Jh. und ist im Hochmittelalter weit verbreitet. Bereits zu dieser Zeit
schwindet es aber in den Städten, wird allgemein jedoch erst am Beginn des 19.
Jh.s aufgegeben.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Bodmann, F.,
Historisch-juristische Abhandlung vom Besthaupte, 1794; Schultze, A., Seelgerät
und Besthaupt, ZRG GA 38 (1917), 301; Mayer, E., Seelgerät und Besthaupt, ZRG
GA 38 (1917), 301; Stutz, U., Zweitbesthaupt, ZRG GA 40 (1919), 282; Müller,
W., Die Abgaben von Todes wegen in der Abtei Sankt Gallen, 1961
Bestimmtheitsgebot ist
das Gebot (an den Gesetzgeber), einen Rechtssatz insbesondere im Strafrecht so
bestimmt zu fassen, dass der Betroffene Tragweite und Anwendungsbereich
erkennen kann. Es erwächst aus der Aufklärung. Es setzt sich seit dem 19. Jh.
durch.
Lit.:
Schreiber, H., Gesetz und Richter, 1976; Krey, V., Keine Strafe ohne Gesetz,
1983; Müller-Dietz, H., Abschied vom Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht? FS
T. Lenckner, 1998, 179
Bet, Josef →Karo
Betäubungsmittel ist das der Betäubung der menschlichen Sinne dienende Mittel (z. B.
Opium, Morphium, Heroin, Kokain, Cannabis und synthetische B.). Seit dem
16./17. Jh. wird die Sucht nach Betäubungsmitteln als Krankheit erkannt, seit
etwa 1850 breitet sich die Sucht allmählich, seit etwa 1965 rasch aus. Mit der
zweiten Hälfte des 19. Jh.s begint die gesetzliche Bekämpfung (Preußen,
kaiserliche Verordnung vom 25. 3. 1872, Opiumkonferenz von Schanghai 1909, Den
Haag, Ausführungsgesetz von 1921, Opiumgesetz vom 1. 1. 1930, Betäubungsmittelgesetz
1972).
Lit.: Wriedt, J., Von den Anfängen
der Drogengesetzgebung bis zum Betäubungsmittelgesetz vom 1. 1. 1972, 2006
Betreibung
Lit.: Malamud, S. u. a., Die
Betreibungs- oder Eingewinnungsverfahren der Stadt Zürich im Spätmittelalter,
ZRG GA 116 (1999), 87
Betreuung ist
in Deutschland seit 1. 1. 1992 die staatliche Fürsorge für die Person und das
Vermögen eines volljährigen Menschen, soweit er infolge einer Krankheit oder
Behinderung seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann, durch einen vom
zuständigen Vormundschaftsgericht bestellten Betreuer. Die B. ersetzt die
Entmündigung
Lit.: Köbler, DRG 268; Damrau, J./Zimmermann, W.,
Betreuungsgesetz, 1991; Müller, B., Rechtliche und gesellschaftliche Stellung
von Menschen mit einer geistigen Behinderung, 2001
Betrieb
Lit.:
Jakobi, C., Die vieldeutige Betriebsgemeinschaft, 2013
Betriebsrat ist
das Organ der Arbeitnehmer einer Betriebs, das in bestimmten Angelegenheiten
eines Betriebs mitwirkt und mitbestimmt. Der B. entwickelt sich am Ende des 19.
Jh.s (1905 Bergbau, 1916 Kriegswirtschaft). Nach dem Betriebsrätegesetz vom 4.
2. 1920 ist in Betrieben mit 20 und mehr Beschäftigten ein B. zu bilden
(Österreich 1919). Im Dritten Reich wird der B. beseitigt, 1946 (in Österreich
1947) aber wieder eingeführt und danach gestärkt (11. 10. 1952, 15. 1. 1972).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 241, 273; Oertzen,
P. v., Betriebsräte in der Novemberrevolution, 1963; Plumeyer, M., Die
Betriebsrätegesetze, Diss. jur. Hannover, 1992; Schaub, G., Der Betriebsrat,
1973, 7. A. 2002, 8. A. 2005; Raedel, C., Amtsenthebungen und Kündigungen von
Betriebsräten, 1999
Betriebsrisiko ist im Arbeitsrecht die im 20. Jahrhundert verrechtlichte
Gefahr des Erliegens bzw. Stillstands eines Betriebs ohne Verschulden eines
Beteiligten.
Lit.: Tamm, M., Die Entwicklung der Betriebsrisikolehre,
2001
Betriebsverfassung ist die Gesamtheit der Regeln, welche die Rechte des
Arbeitgebers, der Arbeitnehmer und ihrer Organe im Betrieb in Bezug auf das
Betriebsgeschehen ordnen. Die B. wird in Deutschland nach einzelnen Vorläufern
des späten 19. Jh.s durch das Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 1920 eingerichtet
und (nach Beseitigung während der nationalsozialistischen Herrschaft) durch
Gesetz vom 17. 4. 1946 wiederhergestellt.
Lit.: Köbler, DRG 273; Adelmann, G., Quellensammlung zur
Geschichte der sozialen Betriebsverfassung, Bd. 1f. 1960ff.; Reichold, H.,
Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, 1995; Mitbestimmung und
Betriebsverfassung, hg. v. Pohl, H., 1996
Betriebswirtschaft ist die Wirtschaft des einzelnen Betriebs (im Gegensatz zur
Wirtschaft des gesamten Volkes oder Staates), die seit 1898 (Leipzig, Aachen,
Wien) wissenschaftlich gelehrt wird und nach steilem Aufstieg (1923 23 Orte,
1924 43, 1939 70) derzeit jährlich 100000 Studierende für mehr als 1000
Professoren findet..
Lit.: Entwicklungen der Betriebswirtschaftslehre, hg. v.
Gaugler, E./Köhler, R., 2002; Burr, W./Wagenhofer, A., Geschichte des VHB, 2011
Betrug ist
die durch Täuschung verursachte Vermögensschädigung (z. B. der Universitätsassistent
I. lässt sich im öffentlichen Dienst jahrelang krank schreiben und betreibt in
dieser Zeit privatwirtschaftlich einen Verlag für Lügenbarone). Im römischen
Recht erfassen (lat. [N.]) falsum (Fälschung), stellionatus (M.)
(Hinterhältigkeit) und (N.) furtum (Wegnahme) einzelne Fälle des nicht als
solcher zusammengefassten Betrugs. Ähnlich verfährt auch das Mittelalter. Die
durch Täuschung verursachte Vermögensschädigung findet sich seit dem 16. Jh.,
ohne dass sie aber von der Fälschung bereits eindeutig geschieden werden kann.
Erst in der Mitte des 19. Jh.s bzw. 1871 gelingt unter dem Einfluss des Code
pénal (1810) Frankreichs eine klare Abgrenzung.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 158; Köstlin, C.,
System des deutschen Strafrechts, Bd. 2 1858, Neudruck 1978, 124ff.; Mommsen,
T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1955; His, R., Das Strafrecht des
deutschen Mittelalters, Bd. 2 1935, 318ff.; Naucke, W., Zur Lehre vom
strafbaren Betrug, 1964; Hupe, E., Falsum, fraus und stellionatus im römischen
und germanischen Recht bis zur Rezeption, Diss. jur. Marburg 1967; Kausch, W.,
Die Entwicklung des falsum, Diss. jur. Göttingen 1971; Schütz, S., Die
Entwicklung des Betrugsbegriffs, 1988; Roth, J./Sokolowsky, K., Lügner,
Fälscher, Lumpenhunde, 2000; Lügen und Betrügen, hg. v. Hochadel, O. u. a.,
2000; Freller, T., Die Welt will betrogen sein, 2001; Die Autobiographie des
Betrügers Luer Meyer 1833-1855, 2010
Betteln ist
das Bitten um unentgeltliche Leistungen zum Lebensunterhalt. Es wird seit dem
Hochmittelalter sichtbar. Zeitweise wird es mit polizeilichen Mitteln
entschieden bekämpft (Bettelordnungen Nürnbergs von 1370, 1478,
Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577, s. a. z. B. Graz 1996).
Lit.: Stamm, R., Theodor Konrad Hartleben (1770-1827) und
seine Allgemeine deutsche Justiz- und Polizey-Fama, ZGO 113 (1965), 45; Goglin,
J., Les miserables, 1976; Scherner, K., Arme und Bettler, ZNR 1988, 129;
Rudersdorf, M., Das Glück der Bettler, 1995; Bindzus, D./Lange, J., Ist Betteln
rechtswidrig? JuS 1996, 482; Bräuer, H., . und hat seit hero gebetlet, 1996;
Bettler in der europäischen Stadt der Moderne, hg. v. Althammer, B., 2007;
Wagner, A., Gleicherweiß als wasser, 2011
Betti,
Emilio (Camerino 1890-1968), nach juristischen Studien in Parma und philosophischen
Studien in Bologna seit 1917 Professor für römisches Recht in Camerino und in
Macerata, Messina, Parma, Florenz, Mailand und Rom, bemüht sich unter
Verknüpfung von Dogmatik und Geschichte vor allem um ein neues Verständnis der →Auslegung
und der Hermeneutik insgesamt.
Lit.: Betti, E., Die Hermeneutik als allgemeine Methodik
der Geisteswissenschaften, 1962; L’ermeneutica giuridica di Emilio Betti, hg.
v. Frosini, V./Riccobono, F., 1994
Beunde (963 ahd. piunta) ist das dorfnahe, durch
Einzäunung („Bewindung“?) aus der Allmende ausgeschiedene landwirtschaftliche
Grundstück.
Lit.: Bader, K., Studien zur
Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1 1957, Bd. 3 1973
Beutellehen ist
das an einen Bürger oder Bauern gelangende →Lehen (Bayern E. 13. Jh.),
bei dem statt Kriegsdienst bei Herrenfall und Mannfall eine erhöhte Abgabe in
den Beutel des Herrn zu leisten ist. Im 18. Jh. gibt es auch ritterliche B.
Durch Gesetz vom 17. 12. 1862 wird in Österreich das B. in Eigentum umgewandelt.
Lit.: Klein, H., Ritterlehen und Beutellehen, Mitteil. d.
Ges. f. Salzburger Landesk. 80 (1940), 87ff.; Spieß, K., Das Lehnswesen in
Deutschland, 2002, 2. A. 2009, 3. A: 2011
Beuterecht ist
das Recht auf Aneignung feindlichen Gutes im Krieg. Es besteht ursprünglich
gegenüber der gesamten gegnerischen Bevölkerung, wenn auch 1179 durch das
dritte Laterankonzil unter Christen die Versklavung verboten wird. Im 19. Jh.
setzt sich für den Landkrieg die Beschränkung auf das für Kriegszwecke
verwendbare Staatseigentum des Feindes durch (Haager Landkriegsordnung 1907).
Lit.: Redlich, F., De praeda militari, 1956; Ziegler, K.,
Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007; Praeda, hg. v. Coudry, M. u. a., 2009
bewegliche Sache (Wort
1784) →Sache
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Beweis ist
die Darlegung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Vorstellung durch ein
Verhalten. Besondere Bedeutung hat der B. in einem Streit zweier Personen. Im
altrömischen und im klassischen römischen Recht würdigt dabei der (lat. [M.])
iudex (Richter) frei die mit beliebigen Mitteln vorgebrachten Beweisversuche.
Demgegenüber dringt im spätantiken römischen Recht die Bindung an feste
Beweisregeln und Beweislastregeln vor. Bei den Germanen erfolgt wahrscheinlich
meist außerhalb der Versammlung ein B. mit Eid, Zeugen oder Augenschein, wobei
der Angegriffene ein Recht zum B. vor allem durch Eid (mit Eidhelfern) hat. Im
Frühmittelalter kann der in einem zweizüngigen Urteil auferlegte B. auch im
Gericht erbracht werden, wobei der B. durch eine Urkunde vordringt. Wahrscheinlich
unter christlichem Einfluss gewinnt zeitweise das Gottesurteil dann Bedeutung,
wenn ein anderer B. nicht möglich ist. Der Kläger kann allmählich das Beweisrecht
dadurch an sich ziehen, dass er ein stärkeres Beweismittel als den Eid
anbietet. Möglich wird der Gegenbeweis. Im spätmittelalterlichen Strafverfahren
bemüht sich der Richter von sich aus um die Ermittlung der Wahrheit. Als
sicherstes Beweismittel gilt dabei das Geständnis (lat. [F.] confessio). Zu
seiner Erreichung ist die Folter zulässig, wobei seit der Peinlichen
Gerichtsordnung Karls V. (1532) ihre Anwendung nur bei Vorliegen bestimmter
Indizien (z. B. Aufenthalt in Tatnähe) gestattet wird. Hinzu kommen feste
Beweisregeln. Das Gottesurteil verschwindet. Mit dem über die Kirche schon seit
dem Spätmittelalter eindringenden gelehrten Zivilprozess gelten unbestrittene
Tatsachen als zugestanden. Bestrittene Tatsachen sind vom Kläger durch Zeugen,
Parteieid, Urkunden, Augenschein oder Sachverständige zu beweisen (Beweislast,
s. [lat.] onus [N.] probationis reo non incumbit, Die Beweislast trifft nicht
den Beklagten, Gratian um 1140), wobei feste Beweisregeln gelten. Bereits der
(lat.) usus (M.) modernus (Cocceji, Leyer) befasst sich vertieft mit den
entsprechenden Fragen. Nach französischem Vorbild (1791) setzt sich im 19. Jh.
die freie richterliche Beweiswürdigung wieder allgemein durch (Berlin 1846,
Preußen 1849), wobei es auf die Überzeugung des Richters ankommt. Die Beweislast
im Zivilprozess trägt grundsätzlich jede Partei für die ihr günstigen Tatsachen,
doch kehrt die Rechtsprechung zu Gunsten schwacher Parteien verschiedentlich die
Beweislast zu Lasten des Gegners um.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 86, 116, 155, 167;
Savigny, C., Über Schwurgerichte und Beweistheorie, GA 6 (1858), 469; Hänel,
A., Das Beweissystem des Sachsenspiegels, 1858; Kries, A. v., Der Beweis im
Strafprozess des Mittelalters, 1878; Endemann, W., Die Entwicklung des
Beweisverfahrens im deutschen Civilprozess seit 1495, 1895; Haff, K.,
Beweisjury und Rügeverfahren im fränkischen und altdänischen Recht, ZRG GA 38
(1917), 130; Mayer-Homberg, E., Beweis und Wahrscheinlichkeit nach älterem
deutschem Recht, 1921; Stutz, U., Die Beweisrolle im altdeutschen Rechtsgang,
ZRG GA 49 (1929), 1; Bechert, R., Recht oder Pflicht zur Beweisführung?, ZRG GA
49 (1929), 26; La preuve, 1963; Kaser, M., Das römische Zivilprozessrecht,
1966; Nagel, H., Die Grundzüge des Beweisrechts im euopäischen Zivilprozess,
1967; Ziller, H., Private Bücher des Spätmittelalters und ihre rechtliche
Funktion, Diss. jur. Frankfurt am Main 1971; Langbein, J., Torture and the Law
of Proof, 1972; Walter, G., Freie Beweiswürdigung, 1979; Rechtsbehelfe, Beweis
und Stellung des Richters im Spätmittelalter, hg. v. Sellert, W., 1986;
Schmitt, B., Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozess, 1992;
Subjektivierung des justiziellen Beweisverfahrens, hg. v. Gouron, A. u. a.,
1994; Allen, C., The Law of Evidence in Victorian England, 1997; Wißgott, V.,
Das Beweisantragsrecht im Strafverfahren, 1998; Macnair, M., The Law of Proof
in Early Modern Equity, 1999; Stürner, R., Geschichtliche Grundlinien des
europäischen Beweisrechts, FS A Söllner, 2000; Nehlsen-von Stryk, K., Die Krise
des irrationalen Beweises im Hoch- und Spätmittelalter, ZRG GA 117 (2000), 1;
Sauer, M., Die Entwicklung des Ablehnungsgrundes der Wahrunterstellung, Diss.
jur. Köln 2002; Perband, M., Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung im
Zivilprozess (§ 286 ZPO), 2003; Lepsius, S., Von Zweifeln zur Überzeugung - Der
Zeugenbeweis im gelehrten Recht, 2003; Deppenkemper, G., Beweiswürdigung als
Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, 2004; Bausteine eines europäischen
Beweisrechts, hg. v. Marauhn, T., 2007; Mentz, D., Die Beweislastumkehr in der
Rechtsprechung des Reichsgerichts, 2010; Repgen, T., Qui dicit probare debet,
ZRG GA 129 (2012), 76
Beweisinterlokut ist im gemeinen deutschen Zivilprozessrecht eine
gerichtliche Zwischenentscheidung über Beweislast, Beweisthema und
Beweisfrist. Es trennt den Prozess in zwei Teile und bildet den Beginn des
besonderen Beweisverfahrens. Dessen Ergebnis bindet den Richter. Besonders
ausgestaltet ist das B. im sog. sächsischen Prozess (so noch Hannover 1850). Im
18. Jh. dringt das B. allgemein in den gemeinen Prozess ein. Die preußische
allgemeine Gerichtsordnung von 1793 kennt aber schon kein B. mehr, ebensowenig
das französische Zivilprozessrecht (1806) und die davon beeinflusste deutsche
Zivilprozessordnung von 1877/1879.
Lit.: Planck, J., Die Lehre vom
Beweisurteil, 1848
Beweislast →Beweis
Beweismittel →Beweis
Beweisurteil ist
das →Urteil über eine Beweisfrage. →Beweisinterlokut
Beyer,
Georg (Leipzig 10. 9. 1665-Wittenberg 21. 8. 1714), Aktuarssohn, wird nach den
Studien von Philosophie und Recht in Leipzig (Thomasius), Frankfurt an der Oder
und Leipzig 1706 Professor in Wittenberg. Dort hält er als einer der ersten
eine Vorlesung über deutsches Recht, die als Leitfaden des deutschen Rechtes
([lat.] Delineatio [F.] iuris Germanici, 1718) nach seinem Tod veröffentlicht
wird.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BeyerGeorgSpecimenIurisGermanici1718.pdf;
Köbler, DRG 144, 186, 205; Stintzing, R./Landsberg, E., Geschichte der deutschen
Rechtswissenschaft, Bd. 1ff. 1880ff., Neudruck 1957, 1978, III, 1 137f.
Beyerle, Franz (Konstanz 30. 1. 1885-Wangen 22. 10.
1977), Rechtsanwaltssohn, wird nach dem Austritt aus der katholischen Kirche
und dem Studium in Freiburg im Breisgau, Breslau (Konrad Beyerle) und Göttingen
(Promotion 1910, Frensdorff) sowie der Habilitation in Jena (1913, Rauch) 1918
Professor in Basel, 1929 Greifswald, 1930 in Frankfurt am Main, 1934 in Leipzig
und 1938 in Freiburg im Breisgau (bis 1953). Seine Arbeiten betreffen das
Stadtrecht Freiburgs, den Entwicklungsgang im Recht, die Treuhand und
Volksrechte.
Lit.: Dürselen, F., Franz Beyerle,
2005; Schützenmeister, A., Franz Beyerle, 2008; Jocus regit actum, hg. v.
Riosus, F., 2011
Beyerle, Konrad (Konstanz 14. 09. 1882-München 26.
4. 1933), Rechtsanwaltssohn, wird nach dem Rechtsstudium in Heidelberg, der
Promotion bei Richard Schröder (1895) und der Habilitation bei Ulrich Stutz
(1899) Professor in Freiburg im Breisgau (1900), Breslau (1903), Göttingen
(1906) und München (1918). Als Abgeordneter der bayerischen Volkspartei wirkt
er in der verfassunggebenden Nationalversammlung (1919) und im Reichstag. (bis
1924). Einzelne Arbeiten betreffen die Grundeigentumsverhältnisse in Konstanz,
die Lex Baiwariorum und die Kultur der Abtei Reichenau.
Lit.: Hense, T., Konrad Beyerle,
2002
Bezirk ist das abgegrenzte Gebiet. Preußen wird zwischen 1808 und 1816 in
(Provinzen und) Regierungsbezirke geteilt. Mit österreichisch-kaiserlicher
Entschließung vom 26. 6. 1849 (RGBl. 295) wird die Einteilung der Kronländer in
Kreise und darunter in Bezirke bestimmt, wobei an der Spitze des Bezirks ein
Bezirkshauptmann steht (1852-1868 Vereinigung der Bezirkshauptmannschaften
mit den Bezirksgerichten zu gemischten Bezirksämtern) und der B. 1925 von
einer Zentralstaatsbehörde zu einer Landesbehörde umgestaltet wird. Die
Deutsche Demokratische Republik ersetzt 1952 die Länder (bis 1990) durch 15
Bezirke.
Bibel ([griech.] Buch] ist die Sammlung der für
Juden und Christen das Wort (ihres) Gottes enthaltenden Schriften. Diese sind
zwischen 1200 v. Chr. (10. Jh. v. Chr.) und dem 2. Jh. n. Chr. (50-120 n. Chr.)
entstanden. Die jüdische B. gliedert sich in Tora (Weisung), Propheten und
Schriften, die christliche B. ergänzt dieses alte, um die Zeitenwende in seinem
Bestand abgeschlossene Testament um das nachchristliche, im 4. Jh. weitgehend
abgeschlossene neue Testament. Die Übertragung der ursprünglich aramäischen
bzw. hebräischen Texte in das Griechische erfolgt zwischen 250 v. Chr. und 100
n. Chr. (Septuaginta), die Übersetzung in das Lateinische im 4. Jh. n. Chr.,
die Übersetzung in germanistische Volkssprachen seit dem ausgehenden 4. Jh.
n. Chr. Das älteste erhaltene Handschriftenbruchstück stammt von etwa 125 n.
Chr. Die christliche B. ist das am weitesten verbreitete und am häufigsten
gedruckte Buch der Welt. Die B. enthält umfangreiches →biblisches Recht.
Lit.: Klauck, H., Die apokryphe
Bibel, 2008; The Biblical Models of Power and Law, hg. v. Biliarsky, I. u. a.,
2008; Bibel und Exegese der Abtei Saint Victor zu Paris, hg. v. Berndt, R., 2009;
The Cambridge Companion to the Bible, 2. A. hg. v. Chilton, B. u. a., 2008; Der
Pentateuch, hg. v. Dozeman, T. u. a., 2011; Schöpflin, K., Die Bibel in der
Weltliteratur, 2011; Die Septuaginta und das frühe Christentum, hg. v. Scott
Caulley, T. u. a., 2011; Die Septuaginta - Entstehung, Sprache, Geschichte,
2012; Jaroš, K., Die
ältesten griechischen Handschriften des Neuen Testaments, 2014 (weilt mehr als
5000 Handschriftenbekannt, hier 104 ediert)
Bibliothek ist die Sammlung von Büchern und das ihr
dienende Gebäude.
Lit.: Otto, J., Bibliothek des Bundesgerichtshofs,
1996 (rund 475000 Bände);, Portale zu Vergavgenheit und Zukunft, hg. v.
Seefeldt, J. u. a., 2003, 2. A. 2003, 3. A. 2007, 4. A. 2011; Rekonstruktion
und Erschließung mittelalterlicher Bibliotheken, hg. v. Rapp, A. u. a., 2008;
Jochum, U., Geschichte der abendländischen Bibliotheken, 2009; Zur Erforschung
mittelalterlicher Bibliotheken, hg. v. Rapp, A. u. a., 2009; Festschrift für
Dietrich Pannier, hg. v. Fischer, D. u. a., 2010
Biblisches Recht
ist das aus den in der jüdisch-christlichen →Bibel (vor allem in den
Büchern Moses) enthaltenen zahlreichen rechtlichen Sätzen gebildete Recht. Am
bekanntesten hiervon sind die zehn Gebote. Noch wichtiger ist vielleicht die
grundsätzliche Beschreibung des jüdisch-christlichen Gottes als eines Gottes
des Rechtes, der die Einhaltung von Recht gebietet und die Verletzung von Recht
verbietet. Dieser Grundgedanke beeinflusst die europäischen Rechte in
nachhaltiger Weise.
Lit.: Collatio legum Mosaicarum et Romanarum, (in) Fontes
iuris Romani antejustiniani, Bd. 2 1940, 541; Hohenlohe-Schillingsfürst, C. v.,
Der Einfluss des Christentums auf das Corpus Juris, 1937; Kisch, G.,
Sachsenspiegel and Bible, 1941; Biondi, B., Il diritto Romano Cristiano, Bd.
1ff. 1952ff.; Verdam, P., Mosaic Law in Practice and Study throughout the Ages,
1959; Heckel, J., Lex charitatis, 2. A. 1973; Wolter, U., Ius canonicum in iure
civili, 1975; Hattenhauer, H., Das Recht der Heiligen, 1976; Welch, J., A
biblical law bibliography, 1990; Bibel und Recht, hg. v. Eckert, J. u. a., 1994;
Calvocoressi, P., Who´s who in der Bibel, 1992, 5. A. 1994, 16. A. 2009; Brand,
J., Bibel und altes Recht im Bauernkrieg, 1996; Campenhausen, H. v., Die
Entstehung der christlichen Bibel, Neudruck 2003; Ohler, A., dtv-Atlas Bibel,
2004
Bielefeld
Lit.: Urkundenbuch der Stadt und
des Stiftes Bielefeld, hg. v. Vollmer, B., 1937; Flügel, A., Kaufleute und
Manufakturen in Bielefeld, 1990; Meineke, B., Die Ortsnamen der Stadt
Bielefeld, 2013
Bienenrecht ist
das die Bienen betreffende Recht. Dabei darf der (unverzüglich) verfolgende
Eigentümer (s)einen mit dem Schwärmen herrenlos werdenden Bienenschwarm auch
auf einem fremden Grundstück einfangen (Aneignungsrecht). Im deutschen →Bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) gelten für das B. die §§ 961ff.
Lit.: Rieth, J., Das gesamte deutsche Bienenrecht, 1910;
Schüßler, A., Deutsches Bienenrecht, 1934; Haff, K., Zum Bienenrecht in den
schwedischen und dänischen Landschaftsgesetzen, ZRG GA 60 (1940), 253; Schulz,
S., Die historische Entwicklung des Rechts an Bienen, 1990
Biener,
Friedrich August (Leipzig 5. 2. 1787-Dresden 1861) wird nach Rechtsstudien in
Leipzig und Göttingen 1810 Professor in Berlin.
Bier (vielleicht
zu lat. bibere trinken) ist das aus stärkehaltiger Substanz (z. B. Gerste,
Weizen) durch alkoholische Gärung gewonnene (gebraute) Getränk. Im Frühmittelalter
wird es von Frauen hergestellt, später entsteht in den Städten eine gewerbliche
Produktion, die seit etwa 1300 Hopfen als die Haltbarkeit erhöhenden Zusatz
verwendet. In der frühen Neuzeit setzt sich in Bayern ein auf das Jahr 1516
zurückgeführtes Reinheitsgebot (Malz, Hopfen, Hefe, Wasser) durch.
Lit.: Moldehauer, G., Das Göttinger Braurecht, Diss. jur.
Göttingen 1956; Schlosser, H., Braurechte, Brauer und Braustätten in München,
1981; Unger, R., A History of Brewing in Holland 900-1900, 2001; Blanckenbuerg,
C. v., Die Hanse und ihr Bier, 2001
Biergelde oder
Bargilde ist der im 8./9. Jh. erscheinende (freie, aber trotzdem pflichtige)
Mensch, der von der Forschung teils mit Wehrsiedlung, teils mit Rodungssiedlung
verbunden wird. Der Inhalt des Wortes ist nicht völlig klar („Abgabenleister“?),
obgleich die Biergelden noch im →Sachsenspiegel (1221-1224) als
besonderer Stand erfasst sind.
Lit.: Köbler, WAS; Metz, W., Zur Geschichte der Bargilden,
ZRG GA 72 (1955), 185; Hagemann, H., Die Stände der Sachsen, ZRG GA 76 (1959),
111; Olberg, G. v., Freie, Nachbarn und Gefolgsleute, 1983; Springer, M., Die
Sachsen, 2004
Bifang ist (im
Mittelalter) das von einem Berechtigten durch tatsächlichen Zugriff neu
(stärker) genutzte, meist eingefriedete Grundstück.
Lit.: Köbler, WAS; Bethge, O., Über Bifänge, VSWG 20
(1928), 139ff.; Sorhagen, I., Die karolingischen Koloniosationsprivilegien,
1976
Bigamie ist
die weitere Eheschließung eines bereits verheirateten Menschen in einer nur die
Einehe zulassenden Rechtsordnung. Das Christentum hält von Anfang an nur die
Einehe für zulässig. Als Folge der Christianisierung der römischen Gesellschaft
ist die B. seit Diokletian strafbar und als Folge der Christianisierung der
Germanen wird die bei ihnen erlaubte, tatsächlich aber wohl seltene Mehrehe von
der Kirche abgelehnt. Im Frühmittelalter ist die B. eine zunächst rein
kirchliche Frage, für die nur die kirchlichen Gerichte zuständig sind. Seit dem
Hochmittelalter sehen aber vor allem die Stadtrechte Enthaupten und Ertränken
als peinliche Strafe vor. Die →Constitutio Criminalis Bambergensis (1507,
Art. 146) behandelt unter dem Einfluss der augustinischen Ehebruchsgesetzgebung
eine Frau bei B. strenger als einen Mann, die →Constitutio Criminalis
Carolina (1532, Art. 121) ordnet die B. stets als qualifizierten Ehebruch ein.
Strafe ist zunächst die Todesstrafe, nach dem preußischen Allgemeinen Landrecht
von 1794 (II, 20 §§ 1066ff.) und nach dem deutschen Reichsstrafgesetzbuch von
1871 mehrjähriges Zuchthaus (§ 171 StGB, 5 Jahre Zuchthaus). Privatrechtlich
ist die B. Ehehindernis.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 56; Hälschner, H., Die
Lehre vom Ehebruch und der Bigamie, Gerichtssaal 22 (1870), 401; His, R.,
Geschichte des deutschen Strafrechts, 1928, 150f.; Erle, M., Die Ehe im
Naturrecht des 17. Jh.s, 1952; Buchholz, S., Der Landgraf und sein Professor,
FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Siebenhüner, K., Bigamie und
Inquisition in Italien 1600-1750, 2006
Bilanz ist
die zusammengefasste Gegenüberstellung der aktiven und passiven Vermögenswerte
einer Person. Sie entwickelt sich im spätmittelalterlichen Handelsgeschäft. Besonders
seit dem ausgehenden 20. Jh. werden die rechtlichen Vorschriften betreffend
eine B. angesichts der wachsenden Größe der Unternehmen immer dichter (1937
Richtlinien zur Vereinheitlichung des Buchhaltungswesens der Wirtschaft, § 266
HGB).
Lit.: Brönner, H., Die Bilanz nach
Handels- und Steuerrecht, 2. A. 1940, 9. A. 1991, 10. A. 2011
Bild ist die sichtbare Wiedergabe eines Umstands (durch
menschliches Tun).
Lit.: Goerlitz, T., Die rechtliche Behandlung
der gewerblichen Bildzeichen in Deutschland seit dem 14. Jahrhundert, ZRG GA 55
(1935), 216; Historische Bildkunde 2, 1935; Beyerle, F., Sinnbild und
Bildgewalt im älteren deutschen Recht, ZRG GA 58 (1938), 788; Troescher, G.,
Weltgerichtsbilder, Westdt. Jb. f. Kunstgeschichte 11 (1939), 139; Kisch, G.,
Recht und Gerechtigkeit in der Medaillenkunst, 1955; Brückner, W., Bildnis und
Brauch, 1966; Ebel, F. u. a., Römisches Rechtsleben im
Mittelalter, 1988; Köbler, G., Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte, 1988;
Bild und Abbild,
hg. v. Vavra, E., 1999; Schmoeckel, M., Auf der Suche nach der verlorenen
Ordnung, 2004; Zitzlsperger, P., Dürers Pelz und das Recht im Bild, 2008;
Poeschel, S., Handbuch der Ikonographie, 2. A. 2008; Boehme-Neßler, V.,
BilderRecht, 2010; Hayduk, H., Rechtsidee und Bild, 2011; Steinhauer, F., Das
eigene Bild, 2013; Rechtsikonographie geistlicher und weltlicher Macht, hg.
v. Gulczyński, A., 2012; Bild und
Konfession im östlichen Mitteleuropa, hg. v. Deiters, M. u. a., 2013
Bilderhandschrift ist die mit sachlich auf den Text bezogenen Bildern
ausgestattete Handschrift. Die umfänglichsten rechtlichen Bilderhandschriften
sind mit bis zu 924 Bildstreifen zum Sachsenspiegel überliefert (Vorbild eine
bebilderte Willehalmhandschrift? [1300 Miniaturen], 1270?/vor E. 13. Jh.
Harzvorland?, Stammhandschrift verloren, Anfang 14. Jh./um 1300 Heidelberger
B. [nur zu einem Drittel erhalten, Druck 1971], vielleicht Meißen wohl
1347-1363/M. 14. Jh. Dresdener B. [Druck 1902, 2002], drittes Viertel 14. Jh.
Wolfenbütteler B. [Tochterhandschrift der Dresdener Bilderhandschrift?, Druck
1993], 1336 Oldenburger B. [mittelniederdeutsch, nur Landrecht bebildert,
vielfach nur Vorzeichnungen, Druck 1995], insgesamt mindestens sieben
Bilderhandschriften anzunehmen). Die Bedeutung der Bilder ist streitig. Mehr
Bilderhanschriften als zum Sachsenspiegel gibt es zu dem Decretum Gratiani.
Lit.: Köbler, DRG 103; Amira, K. v., Die Dresdener
Bilderhandschrift, Bd. 1ff. 1902ff.; Koschorreck, W., Die Heidelberger
Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, 1970; Text – Bild – Interpretation, hg.
v. Schmidt-Wiegand, R., 1986; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des
Mittelalters, Bd. 1 1990, 24; Katalog der deutschsprachigen illustrierten
Handschriften des Mittelalters, hg. v. Ott, N., 1991ff.; Got ist selber Recht.
Die vier Bilderhandschriften des Sachsenspiegels Oldenburg, Heidelberg,
Wolfenbüttel, Dresden, hg. durch Schmidt-Wiegand, R. u. a., 1992; Scheele, F.,
die sal man alle radebrechen, 1992; Eike von Repgow Sachsenspiegel Die
Wolfenbütteler Bilderhandschrift, hg. v. Schmidt-Wiegand, R., 1993; Bloh, U.
v., Die illustrierten Historienbibeln, 1993; Der Oldenburger Sachsenspiegel,
hg. v. Schmidt-Wiegand, R., 1995; Bilderhandschriften des Sachsenspiegels,
1995; Repgow, Eike von, Sachsenspiegel. Die Wolfenbütteler Bilderhandschrift,
hg. v. Schmidt-Wiegand, R., 1998; Die Heidelberger Bilderhandschrift des
Sachsenspiegels als digitale Edition auf CD-ROM, hg. v. Hüpper, D. u. a., 1999;
Lück, H., Über den Sachsenspiegel, 1999, 2. A. 2005; Brunschwig, C.,
Visualisierung von Rechtsnormen, 2001; Die Dresdener Bilderhandschrift des
Sachsenpiegels. Interimskommentar, hg. v. Lück, H., 2002; Der Dresdener
Sachsenspiegel. Faksimile-Ausgabe, 2002; Schmidt-Wiegand, R., Rechtsbücher als
Ausdruck pragmatischer Schriftlichkeit, Frühmittelalterliche Studien 37 (2003),
435ff.; http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg164;
http://digital.slub-dresden.de/ppn272362328; http://www.sachsenspiegel-online.de/cms;
Eike von Repgow, Sachsenspiegel. Die Heidelberger Bilderhandschrift Cod. Pal.
Germ. 164, hg. v. Kocher, G., u. a., 2010
Bildnisstrafe ist die am Bild vollzogene Strafe.
Sie findet sich für die Majestätsbeleidigung beispielweise in Frankreich 1670
in Dänemark und Norwegen 1683 und 1687, in Brandenburg 1688 und 1717, in
Sachsen 1712, in Peußen 1721 und 1794, in Österreich 1768 und in Baden 1809,
wird aber nach 1848 beseitigt. Daneben bestehen verschiedene von der B. im
engeren Sinn verschiedene Einrichtungen.
Lit.: Hentig, H. v., Die Strafe,
Bd. 1 1954, 320
Bildung
Lit.: Handbuch der deutschen
Bildungsgeschichte, Bd. 5 1989, Bd. 2 18. Jahrhundert 2005; Nonn, U., Mönche,
Schreiber und Gelehrte, 2012; Bosse, H., Bildungsrevolution 1770-1830, hg. v.
Ghanbari, N., 2012
Billigkeit ist
die natürliche Gerechtigkeit vor allem im einzelnen Fall. Sie erscheint in der
römischen Antike teils als (lat. [F.]) benevolentia des Kaisers, teils bei den
nach der B. beurteilten Klagen oder Schuldverhältnissen (lat. →bonae-fidei-iudicia
[N.Pl.]). Im frühen Mittelalter bewirkt die Kirche die Aufnahme des Gedankens
der B. (lat. →aequitas [F.] canonica), wobei Streit darüber besteht, ob
der König nach B. urteilen konnte. Danach greift insbesondere das Naturrecht
verstärkt die B. auf. Die B. steht grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis
zur Gleichheit und zur Rechtssicherheit.
Lit.: Kaser §§ 3, 33; Köbler, DRG 86; Rühl, P., Das
aequitatis iudicium im fränkischen Königsgericht, ZRG GA 20 (1899), 207; Stölzel, A., Die
Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung, Bd. 1f. 1901ff.; Kirn, P., Über die
angebliche Billigkeitsjustiz des fränkischen Königs, ZRG GA 47 (1927), 115;
Wohlhaupter, E., Aequitas canonica, 1931; Kirn, P., Aequitatis iudicium, ZRG GA
53 (1932), 53; Lange, H., Ius aequum und ius strictum bei den Glossatoren, ZRG
RA 71 (1954), 319; Erler, A., Aequitas in Sprüchen des Ingelheimer Oberhofes FS
G. Kisch, 1955, 53; Kaufmann, E., Aequitatis iudicium, 1959; Schott, C.,
Billigkeit und Subjektivismus, FS M. Keller, 1989, 745; Wesener, G., Aequitas
naturalis, natürliche Billigkeit (in) Der Gerechtigkeitsanspruch des Rechts,
1996, 81ff.; Jacoby, S., Allgemeine Rechtsgrundsätze, 1997; Schröder, J.,
Aequitas und rechtswissenschaftliches System, ZNR 21 (1999), 29ff.; Schmidt,
R., Zur Rechtsprechung Regensburger Gerichte im 14. Jahrhundert, ZRG GA 125
(2008), 82; Zwischen Formstrenge und Billigkeit, hg. v. Oestmann, P., 2009
Bill of Rights
ist das englische Gesetz, das 1689 vom König angenommen und von einem
ordentlichen Parlament bestätigt wird. In 13 Artikeln verbietet es katholische
Thronfolge, Steuererhebung, Gesetze und Heer ohne Zustimmung des Parlaments
sowie geistliche Gerichte und gewährt Redefreiheit, Petitionsrecht und das
grundsätzliche regelmäßige Geschworenengericht. In den Vereinigten Staaten
von Amerika heißen B. o. R. die zehn Artikel, die 1791 der Verfassung von 1787
hinzugefügt werden. →Virginia Bill of Rights
Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal History,
1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; The complete Bill of Rights, hg. v.
Cogan, N., 1997
Billerbeck
Lit.: Geschichte der Stadt Billerbeck, hg. v. Freitag, W.,
2012
Binding,
Karl (Frankfurt am Main 4. 6. 1841-Freiburg im Breisgau 7. 4. 1920), aus einer
Juristenfamilie, wird nach dem Studium in Göttingen (1860-1863) Professor für
Strafrecht, Strafprozessrecht und Staatsrecht in Heidelberg (1865), Basel,
Freiburg im Breisgau, Straßburg und Leipzig (1913 emeritiert). Er vertritt auf
liberaler Grundlage ein formales Vergeltungsstrafrecht zwecks Aufrechterhaltung
staatlicher und gesetzlicher Autorität und bekämpft abweichende Auffassungen
(z. B. Franz von Liszt) entschieden. Nach seiner Normentheorie geht der
Rechtsregel eine Sozialnorm voraus, deren Befehlswirkung der Täter missachtet,
so dass er durch Bestrafung unter die Macht des Staates gebeugt werden muss
(Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 1ff. 1872ff.). Er lässt Analogie zu und
befürwortet die Vernichtung lebensunwerten Lebens (Binding, K./Hoche, A. Die
Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, 1920, posthum).
Lit.: Köbler, DRG 204; Binding, K., Die Geschichte des
burgundisch-romanischen Königreichs, 1868; Kaufmann, A., Lebendiges und Totes
in Bindings Normentheorie, 1954; Westphalen, D., Karl Binding, 1989;
Jerouschek, G., Carl Binding, JZ 2005, 514
Binnenmarkt ist der innere Markt, insbesondere der Markt innerhalb der sich aus der
europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (seit 1957) entwickelnden Europäischen Gemeinschaft und Europäischen Union (1992). In
ihm gibt es keine Grenzen und Binnenzölle, während der Außenhandel mit
Drittstaaten gemeinsam geregelt wird. In der Europäischen Union gelten
Warenverkehrsfreiheit, Personenverkehrsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit und
Dienstleistungsverkehrsfreiheit.
Binnenschifffahrt ist die Schifffahrt auf den schiffbaren
Binnenwasserstraßen. Sie geht bereits weit in die Zeit der alten Völker zurück,
wobei nach römischem Recht alle größeren Flüsse als öffentliche Sachen (lat.
[F.Pl.] res publicae) von jedem Bürger zur Schifffahrt benutzt werden dürfen.
Im Mittelalter ist die B. durch Zölle stark belastet. Im 19. Jh. sichern nach
dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und dem Wiener Kongress (1815)
besondere Schifffahrtsakten die freie Schifffahrt (1821 Elbe, 1823 Weser,
1831/1868 Rhein, 1857/1948 Donau). In Deutschland ist die B. in der Gegenwart
in einem besonderen Gesetz (1896) geregelt.
Lit.: Eckert, C., Rheinschifffahrt im 19. Jahrhundert,
1900; Rörig, F., Zur Rechtsgeschichte der Territorialgewässer, 1949; Wettstein,
L., Die Schifffahrtsfreiheit auf dem Rhein, Diss. jur. Mainz 1963; Gerber, S.,
Die Ordnung auf den Wasserwegen, Diss. jur. Würzburg 1975; Kischel, D., Die
Geschichte der Rheinschifffahrtsgerichtsbarkeit, 1990; Vortisch, O.,
Binnenschifffahrtsrecht, 4. A. 1991; Scherner, K., Handel, Wirtschaft und Recht
in Europa, 1999
Biographie ist die
Lebensbeschreibung eines Menschen. Aussagen über sich selbst (Autobiographien)
begegnen in Griechenland seit dem 7. Jh. v. Chr. (Hesiod, Xenophon, Isokrates,
Platon, Augustinus), wobei die Zeit um 300 v. Chr. für die griechische B.
besonders wichtig ist. Im deutschen Sprachraum entsteht seit der Mitte des 14.
Jh.s eine umfangreiche weltliche Autobiographik (z. B. Ulman Stromer, Nikolaus
Muffel, Anton Tucher, Elias Holl, Karl IV.).
Lit.: Berschin, W., Biographie und Epochenstil im
lateinischen Mittelalter, Bd. 1ff. 1986ff.; Varnhagen von Ense, K.,
Denkwürdigkeiten des eignen Lebens, hg. v. Feilchefeldt, K., Bd. 1ff. 1987;
Rüthers, B., Geschönte Geschichten – geschonte Biographien, 2001;
Biographisches Lexikon zur Weltgeschichte, hg. v. Danckelmann, O., 2001;
Sonnabend, H., Geschichte der antiken Biographie, 2002; Meisterdenker der Welt,
hg. v. Grabner-Haider u. a., 2004; Biographisches Handbuch der deutschen
Politik, bearb. v. Jahn, B., Bd. 1ff. 2004; Antike Autobiographien, hg. v.
Reichel, M., 2005; Schmid, B., Schreiben für Status und Herrschaft, 2006;
Hageneier, L., Jenseits der Topik, 2004; The Limits of Ancient Biography, hg.
v. McGing, B. u. a., 2006; Handbuch Biographie, hg. v. Klein, C., 2009; Henning,
E., Selbstzeugnisse, 2012
Birkarecht (biaerkeraett,
bjärköarätt) →Schonen, →Schweden
Bischof (griech.
episkopos [M.] Aufseher) ist in der katholischen Kirche der Obere, der in einem
bestimmten Teil der Kirche als Nachfolger der Apostel in Einheit mit dem Papst
das höchste Amt ausübt. Er setzt sich als Leiter einer Gemeinde von Kleinasien
aus allmählich durch und hat im 3. Jh. auch das Amt als Richter inne, wobei zu
innergemeindlichen Aufgaben auch weltliche Aufgaben kommen (lat. [F.]
episcopalis audientia). Sein Sitz innerhalb seines Bistums ist grundsätzlich
eine Stadt (lat. [F.] civitas). Ausgewählt wird er an sich durch Klerus und
Volk, tatsächlich aber im Einzelfall vom Vorgänger, durch das Priesterkollegium
der Bischofskirche, durch die Gemeinde oder durch den Erzbischof. Im
fränkischen Frühmittelalter wird der B. wichtiger Berater des Königs, wird
deshalb das Interesse des Adels an dieser Stellung geweckt und beginnt der
König allmählich mit der Einbeziehung der Bischöfe in sein Herrschaftssystem
durch Beauftragung der Bischöfe mit weltlichen Aufgaben, weshalb neben die Wahl
durch Klerus und Volk die Einsetzung durch den König tritt (ottonisch-salisches
Reichskirchensystem). Im Investiturstreit (ab 1073) setzt die Kirche (1122)
die Wahl durch Klerus und Volk durch. Bis 1215 wird das Domkapitel zum
Wahlgremium. Danach tritt neben den B. der vor allem mit geistlichen Aufgaben
betraute Weihbischof. Im Reich, für dessen Gebiet sich zwischen 1198 und 2001
rund 5500 Diözesanbischöfe (und seit der frühen Neuzeit Weihbischöfe und
Generalvikare) nachweisen lassen, wird der B. (seit dem Investiturstreit)
geistlicher Reichsfürst (bis zur Säkularisation 1803). Im evangelischen
Kirchenwesen verdrängt der Superintendent bis 1918 (teilweise) den B. Seit dem
19. Jh. sind Staat und Kirche grundsätzlich getrennt, doch gewähren Konkordate
(z. B. Österreich 1855, 1933) der Kirche noch verschiedene Einflussmöglichkeiten.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 56, 87, 115, 152; Friedberg,
E., Der Staat und die Bischofswahlen in Deutschland, 1874, Neudruck 2013; Stutz,
U., Der neuste Stand des deutschen Bischofswahlrechts, 1909; Feine, H., Die
Besetzung der Reichsbistümer, 1921; Hofmeister, P., Bischof und Domkapitel,
1931; Claude, D., Die Bestellung der Bischöfe im merowingischen Reiche, ZRG KA
80 (1963), 1; Vescovi e diocesi, 1964; Ganzer, K., Papsttum und
Bischofsbesetzungen, 1968; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A.
1972; Kaiser, R., Bischofsherrschaft, 1981; Scheibelreiter, G., Der Bischof in
merowingischer Zeit, 1983; Die Bischöfe des Heiligen römischen Reiches, hg. v.
Gatz, E., 1990; Landau, P., Der Papst und die Besetzung der Bischofsstühle, Z.
f. ev. Kirchenrecht 37 (1992), 241; Bührer-Thierry, G., Évêques et pouvoir dans
le royaume de Germanie, 1997; Die früh- und hochmittelalterliche
Bischofserhebung im europäischen Vergleich, hg. v. Erkens, F., 1998; Die
Bischöfe des Heiligen römischen Reiches, hg. v. Gatz, E., 2000; Die Bischöfe
der deutschsprachigen Länder 1945-2001, hg. v. Gatz, E., 2002; Freund, S., Von
den Agilolfingern zu den Karolingern, 2004; Die Wappen der Hochstifte, Bistümer
und Diözesanbischöfe im heiligen römischen Reich 1648-1803, hg. v. Glatz, E.,
2007; Norton, P., Episcopal Elections 250-600, 2007; Peltzer, J., Canon Law,
Carrers and Conquest, 2008; Patzold, S., Episcopus - Wissen über Bischöfe, 2009;
Christopher, P., L’élection des évêques, 2009; Thier, A., Hierarchie und
Autonomie, 2011; Patterns of episcopal power, hg. v. Körntgen, L. u. a., 2011;
Jégou, L., L’évêque, juge de pais, 2011
Bismarck,
Otto von (Schönhausen/Altmark 1. 4. 1815-Friedrichsruh 30. 7. 1898) wird nach
dem Studium der Rechtswissenschaft (1832-1835) in Göttingen und Berlin und
Tätigkeit im Staatsdienst Landwirt (1839) und 1849 für die Konservative Partei
Mitglied der zweiten preußischen Kammer, Vertreter Preußens im Deutschen Bund
(1851), Gesandter in Sankt Petersburg (1859) und Paris (1862) und am 23. 9./8.
10. 1862 preußischer Ministerpräsident. Im Deutschen Bund setzt er sich für
Preußen und damit gegen Österreich ein. Nach der Gründung des →Norddeutschen
Bundes (1867) und des (zweiten) Deutschen Reiches (1871) wird er bis 20. 3.
1890 Reichskanzler (meist gleichzeitig Ministerpräsident und Außenminister
Preußens) und betreibt eine Bündnispolitik (1879 Zweibund mit
Österreich-Ungarn, 1882 zum Dreibund mit Italien erweitert, 1915 von Italien
gekündigt). Besondere rechtliche Verdienste gewinnt er durch die Herstellung
der Rechtseinheit in Deutschland und durch die Einführung der →Sozialversicherung.
Im Mittelpunkt seines Denkens und Handelns steht der von einem Erbmonarchen mit
starker Bürokratie gelenkte Staat, nicht die Nationsidee.
Lit.: Köbler, DRG 171, 177, 183, 194; Meyer, A., Bismarcks
Kampf mit Österreich, 1927; Kober, H., Studien zur Rechtsanschauung Bismarcks,
1961; Wehler, H., Bismarck und der Imperialismus, 1969; Gall, L., Bismarck,
1980; Engelberg, E., Bismarck, 1985; Pflanze, O., Bismarck, Bd. 1f. 1997f.; Krockow,
C., Graf v., Bismarck, 1997; Thier, A., Steuergesetzgebung und Verfassung in
der konstitutionellen Monarchie, 1999; Otto von Bismarck und die Parteien, hg.
v. Gall, L., 2001; Schmidt. R., Otto von Bismarck (1815-1898), 2004; Brunck,
H., Bismarck und das preußische Staatsministerium 1862-1890, 2004; Otto von
Bismarck im Spiegel Europas, hg. v. Hildebrand, K. u. a., 2006; Gall, L.,
Bismarck, Preußen und die nationale Einigung, HZ 285 (2007), 355; Althammer,
B., Das Bismarckreich 1871-1890, 2008; Bismarcks Mitarbeiter, hg. v. Gall, L.
u. a., 2009; Kolb, E., Bismarck, 2009; Haffer, D., Europa in den Augen
Bismarcks, 2010; Thies, J., Die Bismarcks, 2013
Bistum ist der kirchliche Herrschaftsbezirk des →Bischofs. Seit dem 12. Jh. tritt ihm im Heiligen
römischen Reich das weltliche Hochstift bis 1803/1806 zur Seite. Neben dem
Bischof steht im B. der Kathedralklerus (mit Archidiakon, Archipresbyter,
Propst, Offizial, Generalvikar).
Lit.: Hinschius, P., Das System des katholischen
Kirchenrechts, 1878; Gatz, E., Die Bistümer des Heiligen römischen Reiches,
2003; Die Bistümer der deutschsprachigen Länder, hg. v. Gatz, E., 2005;
Bistümer und Bistumgsgrenzen, hg. v. Klueting, E. u. a., 2006
Bittleihe (lat. [N.] precarium) ist im römischen Recht die unentgeltliche, widerrufliche
Gebrauchsüberlassung einer Sache. Sie ist kein Rechtsverhältnis und begründet
keinen für eine Ersitzung ausreichenden Besitz, wohl aber Schutz gegenüber
Dritten.
Bizone ist
die Bezeichnung für den Zusammenschluss von amerikanischer und britischer
Besatzungszone in Deutschland (1. 1. 1947-8. 4. 1949).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Pünder, T., Das bizonale Interregnum,
1966; Hubert, G., Die Diskussion um die rechtliche Natur der Bizone, 1996
Bjärköarätt (N.)
→Birkarecht, →Schonen, →Schweden
Blackstone,
Sir William (London 10. 7. 1723-14. 2. 1780, aus Handwerker- und
Kaufmannsfamilie) wird nach Studien in Oxford (als Fünfzehnjähriger 1738-1741)
und einer Rechtsausbildung im Middle Temple in London 1746 Anwalt (barrister)
in London, 1753 Dozent und 1758 Professor für englisches Recht in Oxford, (eigenes
Netz wichtiger Kontakte, 1759 The Great Charter, 1761-1770 Unterhaus, Anhänger
des Hauses Hannover, Gegner der Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien) 1763
solicitor general to the Queen, 1766 Anwalt in London und 1770 Richter (Court
of common pleas). Seine vier, ihn als überzeugten Reformer ausweisenden Bände
Commentaries on the Laws of England (1765-1769, im letzten Kapitel eine
Geschichte der Entwicklung des englischen Rechtes) bieten (beeinflusst von
Matthew →Hale, Burlamaquis, Pufendorf, Locke und Montesquieu) in klarer
verständlicher Sprache und übersichtlicher Gliederung eine umfassende knappe
Darstellung des englischen Verfassungsrechts, Vermögensrechts, Schuldrechts
und Strafrechts bzw. Privatrechts, Staatsrechts, Prozessrechts und
Strafrechts (common law und equity), die sich in Anlehnung an ein Werk Hales in
Personen, Sachen, Delikte und Straftaten gliedert, früh in Göttingen und Frankreich
bekannt wird und bis in das 21. Jh. im angloamerikanischen Bereich von großer
Bedeutung bleibt.
Lit.: http://koeblergerhard.de/Fontes/BlackstoneWilliamCommentariesOnTheLawsOfEnglandBand1.pdf;
Holdsworth, W., A History of English Law, Bd. 12 1938, 702ff.; Benser, R., Die
Systematik des Privatrechts, 1938; Warden, L., The Life of Blackstone, 1938;
Simmonds, N., Reason, History an Privilege – Blackstone’s Debt to Natural Law,
ZRG GA 105 (1988), 200; Harman, C., Critical Commentaries on Blackstone, 2002;
Blackstone and his Commentaries, hg. v. Prest, W., 2009; Prest, W., William
Blackstone, 2009
Blasius de Morcono (in Morcone vielleicht zwischen
1283 und 1293 geboren, 1350 an Pest gestorben) ist der letzte Erläuterer des
langobardischen Rechtes als eines lebenden Rechtes (Tractatus de differentiis
inter ius Longobardorum et Romanorum, vielleicht zwischen 1323 und 1332
entstanden).
Lit.: Dom. Blasii de Morcono de
differentiis inter ius Longobardorum et ius Romanorum tractatus, cura
Abignente, J., 1912; Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter,
Bd. 2 2007, 513
Blasphemie ist
die Lästerung des christlichen Gottes. Seit dem 13. Jh. erscheint die B. auch
in weltlichen Strafrechtstexten. Kirchliche wie weltliche Folgen sind
vielfältig. Im 20. Jh. schwindet die Bedeutung.
Lit.: Volker, G., History of the Crime of Blasphemy, 1928;
Schwerhoff, G., Blasphemie vor den Schranken der städtischen Justiz, Ius
commune 25 (1998), 39; Cabatous, A., Geschichte der Blasphemie, 1999 (übersetzt
von Wilczek, B.); Schwerhoff, G., Zungen wie Schwerter, 2005
Bleichgericht
Lit.:
Das Chemnitzer Bleichgericht und die dortigen Bleichen vor 500 Jahren, ZRG GA
25 (1904), 345
Blendung (F.)
ist das Ausstechen oder Ausbrennen eines Auges oder beider Augen. B. ist eine
Leibesstrafe in Altertum und Mittelalter. Mit der Aufklärung wird sie beseitigt.
blickender Schein →Augenschein
Blijde Inkomst →Brabant
Blinder
Lit.: Laske, W., Zur Stellung des
Blinden im Recht des Mittelalters, ZRG GA 97 (1980), 27; Krüger, J., Blindheit und
Königtum, 1992
Blockade ist
die Absperrung eines Gebiets von anderen Gebieten vor allem im Seekrieg (aus
it. [F.] bloccata). 1584 verwenden die Holländer die B. als Kriegsmittel im
Freiheitskampf gegen Spanien. Die Pariser Seerechtsdeklaration vom 16. 4. 1856
und die nicht ratifizierte Londoner Deklaration vom 26. 2. 1909 legen das Recht
der B. fest, die Charta der Vereinten Nationen lässt die B als kollektive
Zwangsmaßnahme zu.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Hogan, A., Pacific blockade,
1908; Schenk, R., Seekrieg und Völkerrecht, 1958; Ziegler, K.,
Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007, §§ 42, 48
Blume des Sachsenspiegels (Di blume ubir der Sachsen spigel …) ist die in 8 bzw. 10
Handschriften überlieferte ungedruckte, ein Abecedar (Incipiunt regulae juris
Ad decus …) enthaltende Bearbeitung der →Blume von Magdeburg durch
Nikolaus →Wurm (um 1397).
Lit.: Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters,
Bd. 1 1990, 67; Leuchte, H., Das Liegnitzer Stadtrechtsbuch des Nikolaus Wurm,
1990
Blume von Magdeburg ist das von Nikolaus →Wurm am Ende des 14. Jh.s (um
1390) nach dem Vorbild des Richtsteig Landrechts unter Benutzung des
Sachsenspiegels und des Magdeburger Weichbilds verfasste, in zwei Teile
gegliederte, in einer Handschrift überlieferte Werk, das Sachsenrecht
(Weichbildrecht) und gelehrtes gemeines Recht (lat. [FPl.] leges und canones)
verbinden will.
Lit.: Böhlau, H., Die Blume von Magdeburg, 1868; Oppitz,
U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 66; Leuchte, H., Das
Liegnitzer Stadtrechtsbuch des Nikolaus Wurm, 1990
Bluntschli,
Johann Kaspar (Zürich 7. 3. 1808-Karlsruhe 21. 10. 1881) wird nach dem Studium
in Zürich, Berlin (1827-1829) und Bonn Gerichtsschreiber in Zürich (1830), dann
Professor in Zürich (1836), München (1848) und Heidelberg (1861). Auf der
Grundlage seiner Staats- und Rechtsgeschichte der Stadt und Landschaft →Zürich
(1838/1839, 2. A. 1856) führt er das in Personenrecht, Sachenrecht,
Obligationenrecht, Familienrecht und Erbrecht gegliederte Privatrechtliche
Gesetzbuch für den Kanton Zürich zum Abschluss (1853-1855), das bis zum
Zivilgesetzbuch von 1907/1911 (auch in Schaffhausen, Thurgau und Zug) gilt.
Lit.: Zürich,
Privatrechtliches Gesetzbuch von Bluntschli, Johann Kaspar, Bd. 1ff. 1854ff., http://www.koeblergerhard.de/Fontes/PrivatrechtlichesGesetzbuchfuerdenKantonZuerich1854Bd1.pdf
Briefwechsel
Johann Kaspar Bluntschlis mit Savigny, Niebuhr, Leopold Ranke, Jakob Grimm und
Ferdinand Meyer, hg. v. Oechsli, W., 1915; Vontobel, J., Die
liberal-konservative organische Rechts- und Staatslehre Joh(ann) Caspar
Bluntschlis, Diss. jur. Zürich 1954; Schmidt, S., Die allgemeine Staatslehre
Johann Caspar Bluntschlis, 1968 (Diss.); Elsener, F., Die Schweizer
Rechtsschulen, 1975; Affentranger, M., Besitz und Besitzschutz im Züricher
Privatrechtlichen Gesetzbuch Johann Caspar Bluntschlis, 1987; Senn, M.,
Rassistische und antisemitische Elemente im Rechtsdenken von Johann Caspar
Bluntschli, ZRG GA 110 (1993), 372; Röben, B., Johann Caspar Bluntschli,
Francis Lieber und das moderne Völkerrecht 1861-1881, 2003; Cavallar, G.,
Johann Caspar Bluntschlis europäischer Staatenbund in seinem historischen
Kontext, ZRG GA 121 (2004), 504; Metzner, C., Johann Caspar Bluntschli, 2009
Blut ist die das Leben von Wirbeltieren sichernde
Körperflüssigkeit, auf die einzelne Rechtswörter (z. B. Blutbann, Blutrache,
Blutschande) und Rechtsregeln (Das Gut fließt wie das B.) Bezug nehmen.
Lit.: Strack, H., Das Blut im
Glauben und Aberglauben, 7. A. 1900; Schenda, R., Gut bei Leibe, 1998; Schury,
G., Lebensflut, 2001
Blutbann ist
die Zuständigkeit zur Verhängung der Todesstrafe. →Hochgerichtsbarkeit
Blutrache ist
die im älteren Recht erlaubte eigenmächtige Vergeltung einer Verletzung
(Tötung) durch eine neue Verletzung (Tötung). Recht und Pflicht zur B. bzw.
Fehde oder Selbsthilfe verschwinden bis zur Neuzeit. Das Wort Bluträcher begegnet
erstmals bei Martin Luther in der ersten Hälfte des 16. Jh.s.
Lit.: Söllner § 8; Kroeschell, DRG 2; Heusler, A., Das
Strafrecht der Isländersagas, 1911; Vlavianos, B., Zur Lehre der Blutrache,
Diss. jur. München 1924; Zacharias, R., Die Blutrache im deutschen Mittelalter,
Z. f. d. A. 91 (1962), 167 (Diss. phil. Kiel 1961); Miller, W., Bloodtaking and
peacemaking, 1990; Diesselhorst, M., Die Fehde von Sichar und Chramnesind FS F.
Wieacker, 1991, 187ff.; Het recht in eigen hand, Tijdschrift voor Geschiedenis
123 (2010), Nummer 2; Karauscheck, E., Fehde und Blutrache, 2011
Blutschande (Inzest)
ist der Geschlechtsverkehr zwischen nahen (leiblichen) Verwandten, der sowohl
im Alten Testament wie auch bei den Römern verboten ist. Vom christlichen
Einfluss wird das Frühmittelalter erfasst, das als Folge die Tötung, die
Verknechtung, das Exil oder das Gefängnis kennt. Häufiger erscheint die B. am
Ende des Mittelalters wohl unter dem Einfluss des römischen Rechtes (1507
[Constitutio Criminalis Bambergensis] Enthauptung). Eine Einschränkung auf
die Verwandten und Verschwägerten aufsteigender und absteigender Linie bringt
das preußische Strafgesetzbuch von 1851.
Lit.: His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters,
Bd. 2 1935, 165f.; Siebert, M., Das Inzestverbot, Diss. jur. Berlin 1997
Bocksdorf,
Dietrich (Theoderich) von (Zinnitz bei Calau um 1405 (bzw. um 1410)-Zeitz 9. 3.
1466) wird nach dem Rechtsstudium in Leipzig (1425, 1426 baccalaureus) und
Perugia (1436/1437, Dr. iur. utr.) Professor des kirchlichen Rechtes in Leipzig
(1443-1463) und 1463 Bischof von Naumburg. Er verfasst wissenschaftliche
Arbeiten zum →Sachsenspiegel (Informaciones 1433, 1451, Sippschaftsregeln,
Erbschaftsregeln, Remissorium, Weise des Lehnrechts), nicht dagegen die sog.
Bocksdorfsche Erweiterung der Glosse zum Sachsenspiegel.
Lit.: Köbler, DRG 103; Distel, T., Eine Rechtsunterweisung
Dittrich von Bocksdorfs, ZRG GA 4 (1833), 234; Kisch, G., Zur sächsischen
Rechtsliteratur der Rezeptionszeit, Bd. 1 Dietrich von Bocksdorfs
„Informaciones“, 1923; Verfasserlexikon, 2. A. Bd. 2 1980, 110 (Ulmschneider,
H.); Wejwoda, M., Spätmittelalterliche Jurisprudenz zwischen Rechtspraxis,
Universität und kirchlicher Karriere, 2012; Wejwoda, M., Sächsische
Rechtspraxis und gelehrte Jurisprudenz, 2012
Bocksdorfsche Glosse
ist die wohl von Tammo von →Bocksdorf nur in einzelnen Besserungen
veränderte Erweiterung der buchschen Glosse des Sachsenspiegels.
Lit.: Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters,
Bd. 1 1990, 74
Bocksdorf,
Tammo von (um 1385-nach 1460, wohl Onkel Dietrich von Bocksdorffs), verfasst
nach dem Rechtsstudium in Prag als Domherr in Magdeburg 1426 ein →Remissorium
zum Sachsenspiegel und vielleicht die Bocksdorfschen (lat. [F.Pl.]) additiones
(Zusätze) zur Sachsenspiegelglosse.
Lit.: Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters,
Bd. 1 1990, 74; Wejwoda, M., Spätmittelalterliche Jurisprudenz zwischen
Rechtspraxis, Universität und kirchlicher Karriere, 2012
Bodenreform ist
die Umwandlung von Großgrundeigentum in bäuerliche Betriebe im Anschluss an
staatliche Umwälzungen teils liberalistischer, teils sozialistischer Zielsetzung
(z. B. Sowjetunion 1929, 1945 sowjetische Besatzungszone).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh., 121; Damaschke, A., Die
Bodenreform, 1902; Hedemann, J., Fortschritte des Zivilrechts im 19.
Jahrhundert, Teil 2 1930; Kippes, O., Die Bestrebungen der Bodenreform, 1933;
Weißbuch über die „Demokratische Bodenreform“, hg. v. Kruse, J., 1988; Werner,
J., Die Bodenreform, 1997; Oppenheimer, F., Großgrundeigentum und soziale
Frage, 1998; Fikentscher, R./Schmuhl, B./Breitenborn, K., Die Bodenreform in
Sachsen-Anhalt, 1999; Zahnert, D., Das Recht der Bodenreform der sowjetischen
Besatzungszone, 2000; Kempen, B./Dorf, Y., Bodenreform 1945-1949, 2004; Die
rechtsstaatliche Bewältigung der demokratischen Bodenreform, hg. v. Kempen, B.,
2005
Bodenregal ist
das vom König im Frühmittelalter grundsätzlich geltend gemachte →Regal
an herrenlosem Grund und Boden, das sich in Frankreich erhalten (domaine
public) und in Deutschland zum Aneignungsrecht des Staates (Fiskus) entwickelt
hat.
Lit.: Köbler, DRG 90; Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsches
Privatrecht, 9. A. 1981, § 27
Bodensee
Lit.: Stoffel, F., Die
Fischereiverhältnisse des Bodensees, 1906; Münch, W., Das Fischereirecht des
Bodensees im Mittelalter, Diss. jur. Graz 1943; Gönnenwein, O., Die
Rechtsgeschichte des Bodensees, Schriften des Vereins für Geschichte des
Bodensees 69 (1950); Der Bodensee, hg. v. Maurer, H., 1982
Bodin, Jean
(Angers 1530?-Laon 1596), Kaufmannssohn, wird nach dem Rechtsstudium (1548)
und einer Lehrtätigkeit in Toulouse 1561 Advokat am Parlament von Paris, 1571
Bediensteter des Herzogs von Alençon, 1576 Staatsanwalt in Laon und schließlich
königlicher Prokurator. In seinem empirisch entwickelten, für die politische
Festigung Frankreichs gedachten Hauptwerk (Les six livres de la République,
1576, Die sechs Bücher über die Republik) beschreibt er rationalistisch das auf
der von Gott gegebenen Souveränität (Unteilbarkeit, Unbeschränktheit,
Ständigkeit) aufbauende moderne Staatswesen, in dem der Souverän zum Erlass
des Gesetzes (lat. [F.] lex) befugt ist, aber den göttlichen und natürlichen
Gesetzen (lat. [N.] ius) unterliegt. Die Monarchie kann für B. den Religionsfrieden
und die Staatsordnung am besten wieder herstellen. Hexerei ist B. das schwerste
Verbrechen (De la démonomanie des sorciers, 1580). Streitig ist, inwieweit B.
den →Absolutismus begründet.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BodinJeanLesSixLivresDeLaRepublique1576.pdf;
Köbler, DRG 148f.; Fickel, G., Der Staat bei Bodin, 1934; Schmitz, A., Staat
und Kirche bei Jean Bodin, 1939; Bodin, Jean, hg. v. Denzer, H., 1973;
Goyard-Fabre, S., Jean Bodin et le droit de la république, 1989; Spitz, J.,
Bodin et la souverainieté, 1998; Couzinet, M., Jean Bodin, 2001; Mayer-Tasch,
P., Jean Bodin, 2. A. 2011
Bodman
Lit.: Bodman. Dorf, Kaiserpfalz,
Adel, hg. v. Berner, H., 1977
Bodmann, Franz Josef (Groß-Aura 3. 5. 1754-Mainz
21. 10. 1820) wird nach dem Studium des Rechtes in Würzburg und Göttingen
(Johann Stephan Pütter) 1780 außerordentlicher und 1783 ordentlicher Professor
in Mainz und von 1807 bis 1814 Konservator der ehemals kurfürstlichen Bibliothek
und Archivar. Er fälscht Quellen durch Änderung von Ort, Zeit und Namen (z. B.
sog. Rheingauer Landrecht). Wegen dieser seit 1903 aufgedeckten Fälschungen
sind alle nur durch ihn überlieferten Quellen verdächtig.
Lit.: Erler, A., Ingelheimer
Urteile als Quellen Franz Josef Bodmanns, ZRG GA 69 (1952), 74ff., 77 (1960),
345ff.; Büttner, H., Zum Bodmann-Problem, HJB 74 (1955), 363ff.
Bodmerei ist
die hochverzinste Beleihung eines Schiffes in der Form, dass mit seinem Verlust
die Zahlungspflicht entfällt und die Rückzahlung von der sicheren Ankunft des
Schiffes abhängt (seerechtliches Darlehen mit Gefahrtragung durch den
Darlehensgeber, reine Sachhaftung). Der B. geht das griechisch-römische
Seedarlehen voraus (lat. fenus [N.] nauticum), das möglicherweise durch
indische oder babylonische Vorläufer beeinflusst ist. Im Hochmittelalter wird
auf Grund unbekannter Entwicklung die Verpfändung des der Seegefahr
ausgesetzten Schiffes oder Schiffsteils (bodeme, Boden) vorausgesetzt (Rôles
d’Oléron 2. H. 13. Jh., Lübeck 1387, 1418 Bodmereiverbot der Hanse, 1591
Zulassung). Später wird sie durch die Seeversicherung verdrängt und auf die
Notbodmerei des Schiffes (durch den Kapitän in Notfällen) eingeschränkt (HGB
1897). Als Folge der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung wird die B.
durch Gesetz vom 21. 6. 1972 im Handelsgesetzbuch Deutschlands ganz
aufgehoben.
Lit.: Goldschmidt, L., Handbuch des Handelsrechts, 1864, 2.
A. 1875, darin Universalgeschichte des Handelsrechts, (Bd. 1 3. A.) 1891,
Neudruck 1957; Mathiass, B., Das foenus nauticum und die geschichtliche
Entwicklung der Bodmerei, 1881; Schuster, S., Das Seedarlehen in den
Gerichtsreden des Demosthenes, 2005
Böhmen ist
das nach den keltischen Boiern (latinisiert Boiohaemum) benannte Land östlich
des Bayerischen Waldes, in das seit dem 6. Jh. Slawen eindringen. Seit 800 wird
es christianisiert, wobei um 890 Herzog Boriwoi aus dem Geschlecht der →Przemysliden
getauft wird. Vom ottonischen König Heinrich I. wird B. unterworfen. Im 10. Jh.
wird der bisher nicht sicher gedeutete Name Čechy (Tschechen) erwähnt. 973
wird für das zunächst kirchlich Regensburg unterstellte Gebiet das Bistum Prag,
975 das Bistum Olmütz gegründet und Mainz unterstellt. B. entwickelt sich zum
Herzogtum (1085 Königstitel) im deutschen Reich (1114 Schenk, Reichserzschenk).
Seit dem 12. Jh. wandern deutsche Siedler in den Randgebieten und in den
Städten ein. 1198/1212 wird B. als Königreich ähnlich wie →Österreich im
Reich verhältnismäßig verselbständigt. Der Sachsenspiegel (1221-1224) zählt den
König von B. zu den Kurfürsten, lässt ihn aber bei der Königswahl als Nichtdeutschen
nicht wählen. Nach dem Aussterben der Babenberger in männlicher Linie in
Österreich (1246) wird Ottokar II. aus der Familie der Przemysliden (um
1232-26. 8. 1278) 1251 mit Zustimmung der Stände Herzog von Österreich (1252
Heirat mit der mehr als 30 Jahre älteren Margarete von Babenberg, 1261
annulliert zwecks Heirat mit möglicher Erbin Ungarns) und 1253 als Nachfolger
seines Vaters König von Böhmen. 1260 erzwingt er von Ungarn die Übergabe der
Steiermark. 1269 erwirbt er nach einem Erbvertrag die Herzogtümer Kärnten und
Krain. 1273 unterliegt er Rudolf von Habsburg bei der Wahl zum deutschen König.
1276 muss er auf seine Erwerbungen verzichten und Böhmen und Mähren von Rudolf
von Habsburg als Reichslehen nehmen. Am 26. 8. 1278 wird er bei dem Versuch der
gewaltsamen Rückgewinnung dieser Güter im Zuge der Schlacht von Dürnkrut (Marchfeld)
getötet, wodurch Österreich als Reichslehen wieder frei wird. 1306 sterben die
Przemysliden aus (1307 Habsburg, 1311 Luxemburg, 1438-1457 Habsburg). 1314
gewinnt Johann von Luxemburg als König von B. das Nichtappellationsprivileg.
Die Markgrafschaft Mähren und Fürstentümer in Schlesien werden angegliedert.
1344 wird Prag Erzbistum. 1348 erhält die Stadt eine Universität. Kaiser Karls
IV. Plan eines böhmischen Landrechts (→Maiestas Carolina) scheitert
1355. !356 betrifft die Goldene Bulle auch das Kurfürstentum B. 1415 wird der
tschechische Religionserneuerer Jan Hus hingerichtet. Im 15. Jh. wird B. zur
Adelsherrschaft. 1495 entsteht mit den Neun Büchern über die Rechtsordnung des
Landes Böhmen das bedeutendste Werk der tschechischen spätmittelalterlichen
Rechtswissenschaft. 1526 ernennt der Adel Ferdinand I. von Österreich auf
Grund von Erbansprüchen zum König. 1527 gründet Ferdinand I. auf Drängen der
böhmischen Stände eine böhmische Hofkanzlei. 1547 wird das Königreich B. für
Habsburg erblich und verselbständigt sich danach mehr und mehr vom Reich. 1564
wird eine Landesordnung erlassen, die nach Niederschlagung der mit dem Prager
Fenstersturz (1618) verbundenen Reformationsbewegung (1620, Winterkrieg,
Schlacht am Weißen Berg, Verlegung der böhmischen Hofkanzlei nach Wien) 1627
absolutisierend als (v)erneuerte Landesordnung umgestaltet wird. In
beachtlichem Umfang wird römisch-kanonisches Recht aufgenommen. Im 17. Jh.
versucht Österreich eine Zentralisierung. 1707 wird Böhmen in die
Halsgerichtsordnung Josephs I. von 1707 einbezogen. Maria Theresia hebt die
böhmische Hofkanzlei 1748/1749 auf (Directorium in publicis et cameralibus).
1761 entsteht die böhmisch-österreichische Hofkanzlei für die innere
Verwaltung der böhmischen und österreichischen Erbländer. Joseph II. beseitigt
die Leibeigenschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien. 1812 wird das Allgemeine
Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs auch in B. in Kraft gesetzt. Am 8. 4. 1848
verspricht der österreichische Kaiser Ferdinand I. eine eigene Verfassung (Böhmische
Charte), bezieht B. aber tatsächlich in die Geltung der pillersdorfschen
Aprilverfassung ein. Die böhmisch-österreichische Hofkanzlei wird zum
Innenministerium. 1918 löst sich das Kronland (Cisleithaniens) B., wie seit
1848 gefordert, in der →Tschechoslowakei von Österreich. Am 15. 3. 1939
errichtet das Deutsche Reich ein mit dem Ende des zweiten Weltkriegs
beseitigtes Protektorat Böhmen und Mähren. zum 1. 1. 1993 teilt sich die im
zweiten Weltkrieg aufgeteilte, danach wiederhergestellte Tschechoslowakei in
die Tschechische Republik (Tschechien) und in die Slowakei auf.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon;
Köbler, DRG 95, 109, 129; Palacky, F., Geschichte Böhmens, Bd. 1ff. 1836ff.;
Rössler, E., Deutsche Rechtsdenkmäler aus Böhmen und Mähren, 1845ff.; Schmidt
von Bergenhold, J., Geschichte der Privatrechtsgesetzgebung und
Gerichtsverfassung, 1866; Codex juris municipalis regni Bohemiae, 1886;
Werunsky, E., Die Maiestas karolina, ZRG GA 9 (1888), 64; Werunsky, E., Der
Ordo iudicii terre Boemie, ZRG GA 10 (1889), 98; Grünberg, C., Die
Bauernbefreiung in Böhmen, Bd. 1 1895; Lippert, J., Sozialgeschichte Böhmens in
vorhussitischer Zeit, 1896ff.; Schreuer, H., Untersuchungen zur
Verfassungsgeschichte der böhmischen Sagenzeit, 1901; Codex diplomaticus et
epistolaris regni Bohemiae, hg. v. Friedrich, G. u. a., Bd. 1ff. 1904ff.;
Bretholz, B., Geschichte Böhmens und Mährens, 1912; Köster, A., Die staatlichen
Beziehungen der böhmischen Herzöge und Könige zu den deutschen Kaisern, 1912;
Stieber, M., Böhmische Staatsverträge, 1912; Zycha, A., Über den Ursprung der
Städte in Böhmen, 1914; Peterka, O., Rechtsgeschichte der böhmischen Länder,
Bd. 1f. 1923ff., Neudruck 1965; Perels, E., Zur Geschichte der böhmischen Kur,
ZRG GA 45 (1925), 83; Weizsäcker, W., Die Fremden im böhmischen Landrechte, ZRG
GA 45 (1925), 206; Weizsäcker, W., Nárok und sok im böhmisch-mährischen
Landrecht, ZRG GA 53 (1933), 300; Stanka, R., Die böhmischen Konföderationsakte
von 1619, 1932; Diels, P./Koebner, R., Das Zaudengericht in Böhmen, Mähren und
Schlesien, 1935; Schubart-Fikentscher, G., Die Verbreitung der deutschen
Stadtrechte in Osteuropa, 1942; Wegener, W., Die Přemysliden, 1957;
Klabouch, J., (Die Rechtslehren des Aufklärungszeitalters in den böhmischen
Ländern), 1958; Wegener, W., Böhmen/Mähren und das Reich im Hochmittelalter,
1959; Das böhmische Staatsrecht in den deutsch-tschechischen
Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. v. Birke, E. u. a.,
1960; Nový, R., Libri civitatum Bohemiae, 1963; Markov, J., Das
landrechtliche Gerichtsverfahren in Böhmen und Mähren bis zum 17. Jahrhundert,
ZRG GA 83 (1966), 144; Cultus pacis, hg. v. Vaněček, V., 1966; Siedlung und Verfassung Böhmens
in der Frühzeit, hg. v. Graus, F./Ludat, H., 1967; Handbuch der Geschichte der
böhmischen Länder, hg. v. Bosl, K., Bd. 1ff. 1967ff.; Russocki, S., Protoparlamentaryzm Czech do
początku XV wieku (Der Protoparlamentarismus Böhmens bis zum Beginn des
15. Jahrhunderts), 1973; Procházka, R. Frhr. v., Genealogisches Handbuch
erloschener böhmischer Herrenstandsfamilien, 1973; Handbuch der
Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v.
Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,429; Hlavaček, I. u. a. Nichtbohemikale
Originalurkunden in den böhmischen Ländern, 1977; Eberhard, W.,
Konfessionsbildung und Stände in Böhmen 1478-1530, 1981; Sasse, B., Die
Sozialstruktur Böhmens in der Frühzeit, 1982, Hassenpflug-Elzholz, E., Böhmen
und die böhmischen Stände, 1982; Prinz, F., Böhmen im mittelalterlichen Europa,
1984; Eberhard, W., Monarchie und Widerstand, 1985; Hoensch, J., Geschichte
Böhmens, 3. A. 1997; Seltenreich, R., Das römische Recht in Böhmen, ZRG GA 110
(1993), 496; Čechura, J., Die Struktur der Grundherrschaften im
mittelalterlichen Böhmen, 1994; Rentzow, L., Die Entstehungs- und
Wirkungsgeschichte der Vernewerten Landesordnung für das Königreich Böhmen von
1627, 1998; Kadlecová, M., Verneuerte Landesordnungen, ZRG GA 120 (2003), 150;
Begert, A., Böhmen, die böhmische Kur und das Reich, 2003; Himl, P., Die armben
Leüte und die Macht, 2003; Malý, K., Die böhmische Konföderationsakte und die
verneuerte Landesordnung, ZRG GA 122 (2005), 285; Untertanen, Herrschaft und Staat
in Böhmen und im alten Reich, hg. v. Cerman, M. u. a., 2005; Küpper, H.,
Einführung in die Rechtsgeschichte Osteuropas, 2005; Votypka, V., Böhmischer
Adel, 2007; Lange,
H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 973; Kejř,
J., Die mittelalterlichen Städte in den
böhmischen Ländern, 2010; Schelle, K., Recht und
Verwaltung im Protektorat Böhmen und Mähren, 2009; Böhmen und das Deutsche
Reich, hg. v. Schlotheuber, E. u. a., 2009; Rechtswissenschaft in
Osteuropa, hg. v. Pokrovac, Z., 2010; Höbelt, L., Böhmen, 2012; Religion und
Politik im frühneuzeitlichen Böhmen - Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von
1609, hg. v. Hausenblasová, J. u. a., 2014; Deutschland und das Protektorat
Böhmen und Mähren, hg. v. Mund, G., 2014
Böhmer, Johann Friedrich (Frankfurt am Main 22. 4.
1795-Frankfurt am Main 22. 10. 1863), begüterter Kanzleidirektorssohn, wird nach dem Studium des Rechtes in Heidelberg und
Göttingen (1817 Promotion), Privatgelehrter, Stadtarchivar und
Stadtbibliothekar in Frankfurt am Main, als welcher er das Urkundenbuch
Frankfurts (Codex Diplomaticus Moeno-Francofurtanus), deutsche Kaiserurkunden
und die (lat. [N.Pl.] Regesta imperii (1831ff.) herausgibt.
Lit.: Jansen, J., Böhmers Leben,
1863; Kleinstück, E., Johann Friedrich Böhmer, 1959; Frankfurter Biographie 1,
1994, 84ff.
Böhmer,
Justus Henning (Hannover 29. 1. 1674-Halle 23. 8. 1749) wird nach dem Studium
in Jena (1693-1695) Anwalt in Hannover und Hofmeister, seit 1698 Lizentiat in
Halle, dann 1701 außerordentlicher und 1711 ordentlicher Professor. Hier
verfasst er 1704 das beste Lehrbuch des römischen Rechtes im 18. Jh. ([lat.]
Introductio [F.] in ius digestorum, Einführung in das Recht der Digesten, 14.
A. 1791), 1710 eine Einführung in das allgemeine öffentliche Recht bzw.
Staatsrecht (lat. Introductio [F.] in ius publicum universale) und 1714-1737
eine umfassende geschichtlich-dogmatische Gesamtdarstellung des protestantischen
Kirchenrechts ([lat.] Ius [N.] ecclesiasticum protestantium, z. T. 5. A.
1756ff.). Er präsidiert 139 Dissertationen, die mit der Einschränkung des
Vorrangs protestantischer Bekenntnisschriften auch der Übertragung des (lat.)
modernus usus (M.) pandectarum auf das Kirchenrecht dienen. Sein
zivilrechtliches Werk umfasst 175 Titel in 50 Bänden.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BoehmerJustusHenningIntroductioInIusDigestorum1704.pdf;
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BoehmerJustusHenningIntroductioInIusPublicumUniversale1710.pdf;
Köbler, DRG 144, 159; Rütten, W., Das zivilrechtliche Werk Justus Henning
Böhmers, 1981; Landau, P., Kanonistischer Pietismus bei Justus Henning Böhmer,
(in) Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft, 1994,
317; Wall, H. de, Zum kirchenrechtlichen Werk Justus Henning Böhmers, ZRG G‚KA
87 (2001), 455ff.; Schulze, R., Justus Henning Böhmer und die Dissertationen
seiner Schüler, 2009
Boissonade de Fontarabie, Gustave Emile (1825-1910), nach dem Rechtsstudium seit
1864 Lehrer des römischen Rechtes in Grenoble und 1867 Paris, wechselt 1873
nach →Japan, wo er als Berater der Regierung französisches Recht lehrt
und 1880 ein Strafgesetzbuch und eine Strafprozessordnung sowie 1890 einen
nicht Gesetz gewordenen Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs erarbeitet.
Lit.: Carbonnier, J. u. a., Boissonade et la réception du
droit français au Japon, Revue internationale du droit comparé 43 (1991), 327
Bologna ist
die auf etruskischen und römischen Grundlagen ruhende Hauptstadt der
oberitalienischen Landschaft Emilia am südöstlichen Rand der Po-Ebene, die sich
seit 1115 von den vom deutschen König eingesetzten Grafen von B. zu lösen
vermag (und aus der für das elfte Jh. 478 Urkunden und für die Zeit bis 1150
etwa 1300 städtische Urkunden erhalten sind). In B. wird vielleicht auf der
Grundlage einer im 11. Jh. bezeugten Artistenschule und wegen des
Wissensbedarfs zahlreicher Notare und Investitoren (1057) als Rechtsschule
(lat. [N.] studium) eine der ältesten Universitäten Europas gegründet. Ihr
bekanntester Lehrer ist (nach Albertus [1067], Arianus, Geminianus und Pepo)
zunächst →Irnerius mit der von ihm geprägten Schule der →Glossatoren
(Bulgarus, Martinus, Jacobus, Hugo und viele andere bis Accursius). Um 1140
kommt das Studium des kirchlichen Rechtes hinzu. Die fremden Studenten gründen
am Ende des 12. Jh.s als Mehrheit aus zwei (lat. [F.Pl.]) universitates eine →universitas.
Ihre Zahl wird zu dieser Zeit auf etwa 1000 beziffert. Bruchstücke von Statuten
der Universität sind aus dem Jahre 1252 überliefert. Zwischen 1265 und 1425
lassen sich rund 3600 deutsche, fast ausschließlich geistliche Rechtsstudenten
in B. nachweisen (durchschnittlich 23 Erstnennungen im Jahr mit rückläufiger
Tendenz).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 106, 159; Fitting,
H., Die Anfänge der Rechtsschule von Bologna, 1888; Dallari, U., I Rotuli dei
lettori, legisti e artisti dello studio bolognese dal 1384 al 1799, 1888ff.;
Knod, G., Deutsche Studenten in Bologna (1289-1562), 1899; Schelb, W.,
Staatsverwaltung und Selbstverwaltung, 1911; Handbuch der Quellen und Literatur
der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1 1973,
39; Zanella, G., Bibliografia (in) Studi e memorie per la storia
dell’università di Bologna N. S. 5, 1985; Wandruszka, N., Die Oberschichten
Bolognas, 1993; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997; Schmutz,
J., Juristen für das Reich, 2000; Le carte bolognesi del secolo XI, a cura di
Feo, G., 2001; Soetermeer, F., Utrumque ius in peciis, 2002; Le carte bolognesi
del secolo XI, Appendice hg. v. Modesti, M., 2005; Lange, H./Kriechbaum, M.,
Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 32; Bologna nel Medioevo, hg. v.
Capitani, O., 2007; Behle, T., Der Magister Walfred von Bologna, 2008; Wray,
S., Communities and Crisis, 2009; Blanshei, S., Politics and Justice in Late
Medieval Bologna, 2010
Bolschewismus ist die bis etwa 1953 übliche Bezeichnung des Kommunismus in der
Sowjetunion (zu Bolschewiki, russ., Mehrheitler).
Lit.: Köbler, DRG 226; Lösche, P., Der Bolschewismus im
Urteil der deutschen Sozialdemokratie, 1967; Rogalla von Bieberstein, J.,
Jüdischer Bolschewismus, (2. A.) 2010
Bonae-fidei-iudicium (lat. [N.], Klage nach Treu und Glauben) ist im
klassischen römischen Recht die nach der →Billigkeit beurteilte freiere
Klage bzw. das freier beurteilte Schuldverhältnis (z. B. Kauf, Miete, Leihe,
Pacht, Dienstvertrag, Werkvertrag, Gesellschaft, Auftrag, Geschäftsführung
ohne Auftrag, Verwahrung, Bruchteilsgemeinschaft [lat. fiducia], Vormundschaft
bzw. Tutel, Treuhandschaft, Mitgiftrückgabe, Pfand, Innominatkontrakt). Bei einem
b. ist zu leisten, was nach guter Treue (lat. ex fide bona) geschuldet wird.
Für die diesbezügliche Feststellung hat der (lat.) iudex (Richter) auf Grund
der Klagformel des Gerichtsmagistrats einen Ermessensspielraum. Er muss Nebenpflichten
aus Abreden, Schutzpflichten und Treuepflichten beachten und Arglist auch ohne
Einrede des Beklagten berücksichtigen. Der Gegensatz zum b. ist
das (lat.) iudicium (N.) stricti iuris (strengrechtliche Klage, z. B. →condictio).
Lit.: Kaser § 33; Wieacker, F., Zum Ursprung der
bonae-fidei-iudicia, ZRG RA 80 (1963) 1; Honsell, H., Quod interest im
bonae-fidei-iudicium, 1969; Platschek, J., Zur Rekonstruktion der bonae fidei
iudicia, ZRG RA 127 (2010), 275
Bona fides
(lat. [F.] gute Treue) ist im klassischen römischen Recht zunächst die Pflicht
zum Worthalten und danach ein Maßstab, nach dem der Richter das betreffende
Rechtsverhältnis zu beurteilen hat. Für den Inhalt des Schuldverhältnisses
findet dabei neben der formlosen Vereinbarung auch die Verkehrssitte Anwendung.
Bei der Ersitzung ist b. f. (Gutgläubigkeit hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des
Erwerbs) des Erwerbers ([lat.] bonae fidei possessor [M.]) im Zeitpunkt des
Erwerbs nötig ([lat.] mala fides superveniens non nocet, nachträgliche
Bösgläubigkeit schadet nicht).
Lit.: Kaser § 33; Söllner §§ 8, 9, 12, 18; Köbler, DRG 40,
42; Köbler, LAW; Lombardi, L., Dalla fides alla bona fides, 1961; Hausmaninger,
H., Die bona fides des Ersitzungsbesitzers im klassischen römischen Recht, 1965
Bonaparte (Buonaparte) s. Napoleon
Bonellus de Barulo, Andreas ist ein wohl vor 1250
in Barletta bei Bari geborener, vor oder nach 1291 verstorbener
neapolitanischer Jurist ([lat., N. .Pl.] Commentaria super postremis libris codicis,
commentaria in leges Longobardorum, Glossen zu den constitutiones Siculae).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 502
Bönhase ist
seit dem 15. Jh. die im Mittelniederdeutschen entstandene Bezeichnung für den
unzünftigen, bereits vereinzelt seit dem 14. Jh. von den Zünften bekämpften
Handwerker (wie ein Hase auf dem Boden arbeitend?, heimlich auf dem Dachboden
arbeitend?, außerhalb der „Hanse“ arbeitend?).
Lit.: Wissell, R./Hahm, K., Des alten Handwerks Recht und
Gewohnheit, 1928, 2. A. 1981; Ennen, R., Zünfte und Wettbewerb, 1971
Boni homines (lat.
[M.Pl.], Sg. bonus homo) oder auch (lat.) probi homines (M.Pl., frz.
prud’hommes) sind (in Frankreich, Spanien, Italien, dem Alpenraum und dem späteren
Heiligen römischen Reich) im Frühmittelalter (seit Anfang des 7. Jh.s) und bis
ins 13. Jh. Zeugen, Gerichtsbeisitzer, Schätzer oder Vermittler, die Freiheit,
guten Leumund sowie meist Grundeigentum und Ansässigkeit als Voraussetzung
ihrer jeweiligen Tätigkeit erfüllen, aber sich nicht einem bestimmten Stand
zuweisen lassen und kein bestimmtes Amt haben. Seit Ende des 12. Jh.s treten
sie in den oberitalienischen Städten als Vertreter der Konsuln auf.
Lit.: Köbler, LAW; Nehlsen-von Stryk, K., Die boni homines
des frühen Mittelalters, 1981
Bonifatius bzw. Wynfreth (Wessex 672/675-bei Dokkum
5. 6. 754), aus niederem Adel, im Kloster Exeter erzogen, wird zunächst Lehrer
und 718 Missionar im fränkischen Reich. In Rom am 30. 11. 722 zum Bischof
geweiht, missioniert er unter einem Schutzbrief Karl Martells von 723 bis 732
in Thüringen und Hessen (u. a. Fällung der Donareiche bei Geismar und Gründung
der Zelle Fritzlar). 732 wird er Erzbischof ohne besonderen Sitz, 737/738 Legat
für Germanien. 738/739 erneuert er die Bistümer Regensburg, Passau, Salzburg
und Freising. 741/742 gründet er die Bistümer Würzburg, Büraburg und Erfurt
(später Eichstätt), 744 das Kloster Fulda. 754 wird er in Friesland erschlagen.
Lit.: Schieffer, T.,
Winfrid-Bonifatius, 2. A. 1972; Schipperges, S., Bonifatius ac socii sui, 1996;
Padberg, L. v., Bonifatius, 2003; Heidrich, I., Fälschung aus gelehrtem Eifer,
DA 67 (2011), 625; Clay, J., In the
Shadow of Death, 2010
Bonifatius VIII (Benedetto Caetani, Anagni um
1235-Rom 11. 10. 1303) wird nach dem Studium vermutlich des kirchlichen Rechtes
in Todi, Spoleto und Bologna am 23. 1. 1295 Papst. 1298 lässt er die
päpstlichen Dekretalen ab 1234 im (lat.) Liber (M.) sextus decretalium
(sechsten Buch der Dekretalen) zusammenfassen. In der Dekretale (lat.) Unam
sanctam (eine heilige) vom 18. 11. 1302 fordert er die Unterordnung der
weltlichen Gewalt unter den Papst, wird aber am 7. 9. 1303 in Anagni verhaftet.
Lit.: Gagnér, S., Studien zur
Ideengeschichte der Gesetzgebung, 1960; Schmidt, T., Der Bonifaz-Prozess, 1989;
Politische Reflexion der Welt des späten Mittelalters, hg. v. Kaufhold, M.,
2004, 129ff.
bonitarisch auf (lat.) in bonis esse, „in den Gütern sein“ beruhend, im Gegensatz zu
zivil (z. B. die im römischen Recht durch bloße Übergabe einer mancipium-Sache
statt Manzipation seitens des Eigentümers erlangte, vom Prätor geschützte
Stellung des Erwerbers)
Bonn (Bonna 12-9 v. Chr.) am Rhein gegenüber der Einmündung der Sieg ist ein auf
keltisch-römischer Grundlage entstandener Ort, der im 11. Jh. (von den
Ezzonen) an das Erzstift →Köln gelangt. Im 16. Jh. wird er dessen
Hauptort und erhält 1777/1786 eine 1797 aufgehobene, 1815/1816 jedoch
wiedererrichtete Universität, in der 1928 die Staatswissenschaften fast
vollständig aus der philosophischen Fakultät in die juristische Fakultät
übergeführt werden. Vom 1. 9. 1948 bis 23. 5. 1949 tagt in B. der
Parlamentarische Rat zur Vorbereitung der Bundesrepublik Deutschland, weshalb
das →Grundgesetz auch als Bonner Grundgesetz bezeichnet wird. 1949 wird
B. bis zum Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik
Deutschland (1990) vorläufige Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon;
Wiedemann, A., Geschichte Godesbergs und seiner Umgebung, 1920; Niessen,
J./Ennen, E., Geschichte der Stadt Bonn, 1956ff.; Eisenhardt, U., Die weltliche
Gerichtsbarkeit der Offizialate, 1966; Hübinger, P., Das historische
Seminar, 1963; Schäfer, K., Verfassungsgeschichte der Universität Bonn
1818 bis 1960, 1969; Meier, J., Der Rechtsunterricht an den Universitäten Köln
und Bonn, Diss. jur. Köln 1987; Geschichte der Stadt Bonn, hg. v. Höroldt, D.
u. a., 1989ff.; 150 Jahre Landgericht Bonn, hg. v. Fassbender, H., 2000; Die
Juristen der Universität Bonn im Dritten Reich, hg. v. Schmoeckel, M., 2004;
75-Jahr-Feier der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät, 2004;
Schmoeckel, M. u. a., Stätten des Rechts in Bonn, 2004
Bonorum possessio
(lat. [F.] Güterbesitz, Nachlassbesitz) ist im klassischen römischen Erbrecht
die Stellung, die der →Prätor auf Antrag dem zuweist, den er im Fall des
Todes eines Erblassers am ehesten für berechtigt hält. Der damit erreichte
Schutz und die damit gewonnene Zuständigkeit für den Bereich des prätorischen Rechtes
können sich durch Ersitzung in Eigentum nach zivilem Recht wandeln.
Lit.: Kaser §§ 65, 71, 73; Söllner § 25; Köbler, DRG 38;
Ankum, H. u. a., Die verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks in bonis alicuius
esse, ZRG RA 107 (1990), 155
bonum (N.) commune (lat) gemeines Wohl,
Allgemeinwohl
bonus homo →boni
homines
Boppard
Lit.: Heyen, F., Reichsgut im
Rheinland, 1956
Borgarthingsbók ist ein norwegisches Rechtsbuch. →nordisches Recht
Lit.: Bruchstücke der Rechtsbücher des Borgarthings und des
Eidsivathings, hg. v. Meißner, R., 1942
Börse (zu lat. [F.] bursa, Beutel, Kasse?) ist die
regelmäßig an einem bestimmten Ort stattfindende, nur von Kaufleuten besuchte
Veranstaltung zum Zweck des Abschlusses von Gattungskäufen vertretbarer Sachen.
Geldbörsen entstehen seit dem 12. Jh. in Oberitalien und Südfrankreich, eine Warenbörse
ohne anwesende Waren ist in Antwerpen um 1500 bezeugt. Wichtige Börsen
bestehen in Antwerpen, Lyon, Amsterdam, Paris, London, Frankfurt am Main,
Berlin und Wien, später auch in New York oder Tokio. 2012 untersagt die
Europäische Kommission die Verbindung von Deutscher Börse und New York Stock
Exchange.
Lit.: Deutsche Börsengeschichte,
hg. v. Pohl, H., 1992; Blumentritt, J., Die privatrechtlich organisierte Börse,
2003
Börsengesetz ist
das am 22. 6. 1896 geschaffene, das Recht des Wertpapierhandels an der Börse
(Vorformen im 15. Jh. in Sevilla, Cadiz und Lissabon [16. Jh.]) regelnde
deutsche Gesetz.
Lit.: Meier, J., Die Entstehung des Börsengesetzes, 1992;
Schulz, W., Das deutsche Börsengesetz, 1994
Bösgläubigkeit ist das Wissen oder grobfahrlässige Nichtwissen um einen
rechtlich bedeutsamen Umstand. →guter Glaube
Bosnien ist
die östlich der mittleren Adria gelegene Landschaft, die 9 n. Chr. von den
Römern erobert wird (Dalmatia) und bei der Reichsteilung des 4. Jh.s an Ostrom
gelangt. Zu Beginn des 7. Jh.s siedeln sich Südslawen an. Das dort entstehende
Königreich (1377) gerät mit Herzegowina 1463/1482 durch Eroberung unter die
Herrschaft der Osmanen. Seit 1878 erlebt B. unter dem Einfluss (Besetzung und
Verwaltung) Österreichs (1883 HGB, ZPO, Wechselgesetz u. a.) einen Aufschwung.
1908 wird B. von →Österreich-Ungarn annektiert und als weitere
pragmatische Angelegenheit von Österreich und Ungarn gemeinsam verwaltet (1909
von der Türkei anerkannt). 1918 wird es Teil →Jugoslawiens (1941-1945
Kroatiens). Nach der Erklärung der Souveränität (1992) und einem Bürgerkrieg
wird es 1995/1996 als Bosnien-Herzegowina (zwischen Kroatien, Serbien,
Monenegro und Adria, 4,3 Millionen Einwohner, 51129 Quadratkilometer,
bosniakisch-kroatische Föderation und serbische Republik) verselbständigt.
Lit.: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
3,5,332; Balic, S., Das unbekannte Bosnien, 1992; Dzaja, S.,
Bosnien-Herzegowina, 1994; Bär, S., Der Zerfall Jugoslawiens, 1995; Babouna,
A., Die nationale Entwicklung der bosnischen Muslime, 1996; Haselsteiner, H.,
Bosnien-Hercegovina, 1996; Lovrenovic, I., Bosnien und Herzegowina, 1998;
Jäger, F., Bosniaken, Kroaten, Serben, 2001; Gabriel, K., Bosnien-Herzegowina
1878, 2003; Classen, L., Der völkerrechtliche Status von Bosnien-Herzegowina,
2004; Küpper, H., Einführung in die Rechtsgeschichte Osteuropas, 2005
Bote (lat.
[M.] nuntius) ist ein Mensch, der für einen anderen ohne eigene Willensbildung
eine Erklärung (wie ein Brief) empfängt oder abgibt.
Lit.: Kaser § 11; Kroeschell, DRG 2
Bourbone ist
der nach Bourbon-l’Archambault im heutigen Departement Allier benannte
Angehörige einer durch Graf Ludwig I. von Clermont (1270-1342, 1327 Herzog von
Bourbon) begründeten Seitenlinie der →Kapetinger. Die jüngere Linie
Bourbon-Vendôme erlangt von 1589 bis 1792 und von 1814 bis 1830 bzw. in der
1660 abgespaltenen Nebenlinie Orléans von 1830 bis 1848 das Königtum in →Frankreich.
In Spanien wird die Linie Bourbon-Anjou 1700 Königsgeschlecht (ausgenommen 1808-1814,
1868-1875, 1931-1975). Sie herrscht auch von 1735 bis 1860 in Neapel-Sizilien
sowie von 1748 bis 1802 und von 1847 bis 1859/1860 in Parma-Piacenza.
Lit.: Legual, A., Histoire du Bourbonnais, 1960; Malettke,
K., Die Bourbonen 1589-1848, Bd. 1ff. 2008f.
Bourges ist
die auf keltischen Grundlagen (Avaricum) beruhende zentralfranzösische Stadt am
Zusammenfluss von Yèvre und Auron. Ihre Universität ist zu Beginn des 16. Jh.s
Ausgangspunkt des →mos Gallicus (lat. [M.], gallische Art) der
Rechtswissenschaft. →Budé
Lit.: Devailly, G. u. a., Histoire du
Berry, 1980
Boutillier,
Jehan (Pernes/Pas-de-Calais vor 1350-Tournai [vor?] 24. 1. 1396) verfasst als
Berater des französischen Königs in Nordfrankreich (Tournai) wohl kurz vor 1396
das (französische) Rechtsbuch →Somme rural.
Lit.: Köbler, DRG 143; Dievoet, G. van, Jehan Boutillier en
de Somme rural, 1951
Boykott ist
die nach dem englischen Gutsbesitzer Charles Boycott (Irland 1880) benannte Ablehnung
aller Rechtsbeziehungen zu einem möglichen Vertragspartner, dem dadurch die
Möglichkeit zur Teilnahme am Rechtsverkehr abgeschnitten wird.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Ahlheim, H., Deutsche, kauft
nicht bei Juden, 2011
Boyneburg
Lit.:
Diehl, T., Adelsherrschaft im Werraraum, 2010; Eckhardt, W.,
Reichsministerialen der Boxneburg, ZRG GA 129 (2012), 377
Bozen
Lit.: Die Bozner Handelskammer vom
Merkantilmagistrat bis zur Gegenwart, 1981; Das Urbar des Heilig-Geist-Spitals
zu Bozen von 1420, bearb. v. Schneider, W., 2003; Obermair, H., Bozen Süd –
Bolzano Nord. Schriftlichkeit und urkundliche Überlieferung, Bd. 1 2005
Brabant ist
das aus dem fränkischen Gau Bracbantum im Nordwesten (um Brüssel) unter den
Grafen von Löwen (um 1188 Herzöge von B.) entstandene, sich vom Reich verselbständigende
(1349 Goldene Bulle von Brabant), den Einwohnern in der Blijde Inkomst 1356 die
Rechte des Fürsten begrenzende Herzogtum, das nach Johanna von B. (1355-1406)
1390/1430 an →Burgund und nach Maria von Burgund 1477 an →Habsburg
(Spanien) kommt. Nach dem spanischen Erbfolgekrieg gelangt es 1723 an
Österreich. Nach Ende der 1775 erfolgten Annexion durch Frankreich wird es 1815
Teil der →Niederlande, 1830 mit seinem südlichen Gebiet Teil →Belgiens.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon;
Moll, W., De rechten van den Heer van Bergen op Zoom, 1915; Lousse, E., Les
deux chartes romanes brabançonnes du 12 juillet 1314, Bulletin de la Commission
royale d’histoire 96 (1932), 1; Sturler, J. de, Les relations politiques et les
échanges commerciaux entre le duché de Brabant et l’Angleterre, 1936; Willem
van der Tanerijen, Boec van der loopender praktijken der raidtcameren van
Brabant, hg. v. Strubbe, E., 1952; Ganshof, F., Brabant, 1938; Middeleeuwe
rechtsbronnen van stad en heerlijkheid Breda, hg. v. Cerutti, F., Bd. 1f.
1956ff.; Nikolay, W., Die Ausbildung der ständischen Verfassung in
Geldern und Brabant während des 13. und 14. Jahrhunderts, 1985; Geschiedenis
van Noord-Brabant, hg. v. Van den Eerenbeemt, H., Bd. 1ff. 1996f; Godding, P., Le
Conseil de Brabant sous le règne de Philippe le Bon (1430-1467), 1999; Weller,
T., Die Heiratspolitik, 2004; Geschiedenis van Brabant, hg. v.
Van Uytven, R. u. a.,2004; Tigelaar, J., Brabants historie ontvouwd, 2006
bracchium (N.) saeculare (lat.) (der Staat als) weltlicher Arm (der Kirche) (kirchlicher Anspruch
auf staatliche Unterstützung 1983 aufgegeben)
Bracton,
Henry de (Bratton Fleming in Devon 1210-Exeter 1268) ist nach Ausbildung zum
Priester unter William Raleigh (und dem Studium des weltlichen und kirchlichen
Rechtes wohl an der Domschule von Exeter) seit etwa 1229 Schreiber (clerk)
eines Richters, seit 1245 reisender Richter, von 1247 bis 1257 Richter am
Gericht Coram rege (Court of King’s Bench) und seit 1264 Domkanzler in Exeter.
Sein vielleicht nach 1230 von ihm verfasstes oder auch von ihm nur
überarbeitetes, durch 48 Handschriften überliefertes, unvollendetes Werk (lat.)
→De legibus et consuetudinibus Angliae (Über Gesetze und Gewohnheiten
Englands) bietet auf Grund einer Sammlung von etwa 2000 am ehesten in die Jahre
zwischen 1220 und 1240 gehörenden Urteilen (precedents) des Königsgerichts die
beste Darstellung des englischen →common law des Mittelalters. Der
Traktat gliedert sich nach Personen, Sachen und Klagansprüchen. Im dritten Teil
behandelt er an Hand der verschiedenen Klageformeln (writs) das Privatrecht,
Strafrecht und Lehnrecht. Eine gezielte Romanisierung des englischen Rechtes
durch B. ist nicht erweislich.
Lit.: Bractons Note Book, hg. v. Maitland, F., 1887;
Holdsworth, W., A History of English Law, Bd. 2 4. A. 1936, 230; Peter H.,
Actio and writ, 1957; Fesefeldt, W., Englische Staatstheorie des 13. Jahrhunderts,
1962; Richardson, H., Bracton, the problem of his text, 1965; Bracton, hg. v.
Woodbine, G., übers. v. Thorne, S., 1968; Thorne, S., Henry de Bracton
1268-1968, 1970
Brand von Tzerstede (Lüneburg um 1400-Lünenburg 3.
10. 1451), Patrizierssohn, wird nach dem Studium des Rechtes in Leipzig (1414,
1417 baccalaureus) Ratsherr in Lüneburg. Er verfasst die in zwei Handschriften
und einem Fragment überlieferte, 1442 abgeschlossene Glosse zur Vorrede des
Sachsenspiegels von der Herren Geburt und nach eigener Angabe weitere
Glossierungen.
Lit.: Glossen zum
Sachsenspiegel-Landrecht Buch’sche Glosse, hg. v. Kaufmann, F., 2002, 124ff.
Brandenburg ist
die nach der slawischen Brennaburg (928/929, 948 Bistum, 983 Slawenaufstand)
benannte Mark ([3. 10.] 1157) östlich der Elbe. Nach den Askaniern (1134-1319,
1165 Wiederbegründung des Bistums), Wittelsbachern, Luxemburgern (1375 Landbuch
der Mark Brandenburg) gelangt es als Kurfürstentum (1356) an die Hohenzollern
(1411/1417). 1473 legt die →Dispositio Achillea des Markgrafen Albrecht
Achilles die Unteilbarkeit fest (1506 Universität Frankfurt an der Oder, 1516
Kammergericht in Berlin). 1614 fallen Kleve, Mark und Ravensberg an, 1618 →Preußen
als Lehen Polens. Seit 1701 tritt B. hinter den Namen Preußen zurück. 1947 wird
Preußen aufgelöst. Der 1945 unter Verwaltung Polens gestellte Teil Brandenburgs
östlich der Oder und Neiße wird 1990 Polen zugeteilt. Der Versuch der
Vereinigung des Bundeslands B. mit Berlin scheitert bei einer Volksabstimmung
am 5. 5. 1996.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Stölzel, H.,
Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung, Bd. 1f. 1888;
Urkundliches Material aus den Brandenburger Schöppenstuhlsakten, hg. v.
Stölzel, A., 1901; Stölzel, A., Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung,
1901f.; Spangenberg, H., Hof- und Zentralverwaltung der Mark Brandenburg im
Mittelalter, 1908; Perels, K., Die allgemeinen Appellationsprivlegien für
Brandenburg-Preußen, 1908; Altmann, W., Ausgewählte Urkunden zur
brandenburgisch-preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 2. A.
1914; Hintze, O., Die Hohenzollern und ihr Werk, 1915, Neudruck 1980;
Caemmerer, H. v., Die Testamente der Kurfüsten von Brandenburg, 1915; Luck, W.,
Die Prignitz, 1917; Werminghoff, A., Ludwig von Eyb der Ältere (1417-1502),
1919; Gley, W., Die Besiedlung der Mittelmark, 1926; Acta Brandenburgica, Bd.
1ff. 1927ff.; Tschirch, O., Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an
der Havel, 1928; Schulze, B., Brandenburgische Landesteilungen, 1928; Schulze,
B., Die Reform der Verwaltungsbezirke in Brandenburg und Pommern 1809-1918,
1931; Erläuterungen zur brandenburgischen Kreiskarte von 1815, v. Schulze, B.,
1933; Die alten und neuen brandenburgischen Kreise nach dem Stande von 1815,
bearb. v. Curschmann, F. u. a., 1933; Brandenburgische Ämterkarte, bearb. v.
Schulze, B., 1935; Schulze, B., Besitz- und siedlungsgeschichtliche Statistik
der brandenburgischen Ämter und Städte, 1935; Das Landregister der Herrschaft
Sorau von 1381, hg. v. Schultze, J., 1936; Oestreich, G., Der brandenburgisch-preußische
geheime Rat, 1937; Ruppel-Kuhfuß, E., Das Generaldirektorium unter der
Regierung Friedrich Wilhelms II., 1937; Das Landbuch der Mark Brandenburg von
1375, hg. v. Schultze, J., 1940; Buchda, G., Über die verlorenen hallischen
Konstitutionen zum Landrecht der Kurmark Brandenburg (1714), ZRG GA 69 (1952),
385; Die Mark Brandenburg, hg. v. Schultze, J., Bd. 1ff. 1961, 2. A. 1989, 3.
A. 2004, 4. A. 2010; Schultze, J., Forschungen zur brandenburgischen und
preußischen Geschichte, 1964 (Aufsätze); Hoppe, W., Die Mark Brandenburg,
Wettin und Magdeburg, 1965 (Aufsätze); Engel, E./Zientara, B., Feudalstruktur,
Lehnbürgertum und Fernhandel im spätmittelalterlichen Brandenburg, 1967;
Geschichte von Brandenburg und Berlin, Bd. 3, hg. v. Herzfeld, H., 1968;
Harnisch, H., Die Herrschaft Boitzenburg, 1968; Schmidt, E., Markgraf Otto I.
von Brandenburg, ZRG GA 90 (1973), 1; Schmidt, E., Die Mark Brandenburg unter
den Askaniern, 1973; Scholz, J., Der brandenburgische Landrechtsentwurf von
1594, 1973; Podehl, W., Burg und Herrschaft in der Mark Brandenburg, 1975; Ein
sonderbares Licht in Teutschland, hg. v. Heinrich, G., 1990; Brandenburgische
Geschichte, hg. v. Materna, I./Ribbe, W., 1995; Justiz in Stadt und Land
Brandenburg, hg. v. Clavée, K., 1998; Geschichte der brandenburgischen
Landtage, hg. v. Adamy, K. u. a., 1998; Pohl, D., Justiz in Brandenburg
1945-1955, 2001; Das Domstift Brandenburg und seine Archivbestände, bearb. v.
Schößler, W., hg. v. Neitmann, K., 2005; Beck, F., Regesten der Urkunden
Kurmärkische Stände (Rep. 23 A), 2006; Partenheimer, L., Die Entstehung der
Mark Brandenburg, 2007; Scheffczyk, F., Der Provinzialverband der preußischen
Provinz Brendenburg 1933-1945, 2008; Baumgart, P., Brandenburg-Preußen unter
dem Ancien régime, hg. v. Kroll, F., 2009; Wie die Mark entstand, hg. v.
Müller, J., 2009; Müller, M., Besiegelte Freundschaft - Die brandenburgischen Erbeinungen,
2010
brandenburgischer Landrechtsentwurf →Köppen
Brandileone,
Francesco (Buonabitacolo 1858-Neapel 1929) wird nach dem Studium der
Rechtswissenschaft in Neapel Professor für italienische Rechtsgeschichte in
Macerata, Sassari, Parma, Bologna und Rom.
Brandmarken ist
das schon den Römern (für Sklaven und Abhängige, Verbot der B. ins Gesicht
durch Kaiser Konstantin) bekannte Kennzeichnen eines Täters durch Brandzeichen
auf die Hand oder in das Gesicht (oder Verstümmeln), das sich 726 bei den
Langobarden (für rückfällige Diebe) und trotz Ablehnung durch die Aufklärung
noch 1787 in Österreich, 1813 in Bayern und 1810 und 1832 in Frankreich findet
(Verbot in England 1829, Frankreich 1834, Frankfurter Paulskirchenverfassung
1849 § 139).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Mommsen, T., Römisches Strafrecht,
1899, Neudruck 1961, 495; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters,
Bd. 1 1920, 530, Neudruck 1964; Chen, Y., Probleme der Strafe der Brandmarkung,
1948; Hentig, H. v., Die Strafe, Bd. 1 1954; Cate, C. ten, Tot glorie der
gerechtigheit, 1975; Hattenhauer, H., Die Brandmarkung in das Gesicht, 1994
Brandstiftung ist das Inbrandsetzen einer (fremden) Sache. Die B. ist in Rom eine
Straftat, auf die der Feuertod steht. Im Mittelalter wird sie wegen ihrer
Bedeutung in der →Fehde eher gering gebüßt. Gottesfrieden (z. B. 1083)
und Landfrieden lehnen sie ab. Der Sachsenspiegel (1221-1224) kennt Enthauptung
oder (bei Mordbrand) Rädern als ihre Strafen (ähnlich sog. Treuga He[i]nrici
von 1224), die (lat.) Constitutio (F.) Criminalis Carolina (1532, Art. 126)
Feuertod (bei boshaftiger B.), das preußische Allgemeine Landrecht (1794)
Enthauptung und Feuertod. Die fahrlässige B. wird schon früh gesondert
behandelt. Seit dem 19. Jh. werden allgemein unterschiedliche Begehungsformen
unterschieden.
Lit.: Kaser §§ 36, 50; Kroeschell, DRG 1, 2; Osenbrüggen,
E., Die Brandstiftung, 1854; Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck
1961; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 2 1935, 348;
Geerds, F., Die Brandstiftungsdelikte, 1962; Timcke, G., Der Straftatbestand
der Brandstiftung, Diss. jur. Göttingen 1965; Spicker-Beck, M., Räuber,
Mordbrenner, umschweifendes Gesind, 1995; Birklbauer, A. u.,a., Die Entwicklung
der Strafpraxis bei Brandkriminalität, 2010
Brant, Sebastian
(Straßburg 1457/1458-Straßburg 10. 5. 1521), Gastwirtssohn, wird nach dem
Rechtsstudium (1477) in Basel Professor (1489 Dr. iur. utr.), lehrt seit 1483
römisches Recht, kirchliches Recht und Poetik, wechselt aber als Folge der
Annäherung Basels an die Eidgenossen 1501 als Syndicus (bzw. 1503
Stadtschreiber) nach Straßburg. Neben (lat. [F.Pl.]) Expositiones [1490,
Ausstellungen, ein Anfängerlehrbuch], 36 Auflagen) veröffentlicht er im Rahmen
der populären Literatur eine Bearbeitung von Tenglers →Laienspiegel von
1495 (1509) und des →Klagspiegels (Conrad Heydens, † 1443/1444)
(Neuausgabe 1516) sowie die Satire Narrenschiff (1494).
Lit.: Köbler, DRG 143; Staehelin, A., Sebastian Brant, (in)
Professoren der Universität Basel, 1960, 18; Trusen, W., Anfänge des gelehrten
Rechtes in Deutschland, 1962, 127; Knape, J., Dichtung, Recht und Freiheit,
1992; Sebastian Brant, hg. v. Wilhelmi, T., 2002
Brasilien ist der portugiesischsprachige und größte Staat Südamerikas. Sein Recht
ist stark durch die Kodifikationen Frankreichs beeinflusst. 2002 wird ein
neues Zivilgesetzbuch geschaffen, welches das Handelrecht einbezieht, das
Verbraucherschutzrecht ausgliedert und einen Allgemeinen Teil voranstellt.
Lit.:
Schmidt, J., Zivilrechtskodifikation in Brasilien, 2009
Brauchtum ist
die Gesamtheit der tatsächlich innerhalb einer Menschenmehrheit geübten
sozialverträglichen Verhaltensweisen. Das B. weist viele Beziehungen zum
Recht auf (z. B. Weistümer). Insbesondere kann das Recht das B. beeinflussen.
Lit.: Köbler, DRG 5; Sartori, P., Sitte und Brauch, 1910;
Bächtold, H., Die Gebräuche bei Verlobung und Hochzeit, 1914; Künßberg, E.
Frhr. v., Rechtsbrauch und Kinderspiel, 1920 (SB Heidelberg), 2. A. 1952;
Künßberg, E. v., Rechtliche Volkskunde, 1936; Becker, A., Frühlingsbrauch und
Sonnenkult, 1937; Fehrle, E., Deutsche Hochzeitsbräuche, 1937; Zipperer, F.,
Das Haberfeldtreiben, 1938; Lippert, E., Glockenläuten als Rechtsbrauch, 1939;
Müller, G., Der Umritt, 1941; Dörrer, A., Brotspenden als Verlöbnis und
Gemeinschaftsbrauch, ZRG GA 74 (1957), 266; Erler, A., Burschenbrauchtum vor
den Schranken des Ingelheimer Oberhofes, ZRG GA 79 (1962), 254; Schädler, K.,
Die Lederhose in Bayern und Tirol, 1962; Brückner, W., Bildnis und Brauch, 1966;
Cromberg, H., Die Knabenschaftsstatuten der Schweiz, (um 1976); Schieder, E.,
Das Haberfeldtreiben, 1983; Deimling, B., Ad rufam ianuam, ZRG GA 115 (1988),
498; Becker-Huberti, M., Lexikon der Bräuche und Feste, 2000; Althoff, G., Die
Macht der Rituale, 2003; Rechtssymbole und Wertevermittlung, hg. v. Schulze,
R., 2004
Brauen ist das Herstellen von Bier aus Getreide und
Wasser(, 12. Jh. Hopfen und in der Neuzeit Hefe). Es ist bereits dem Altertum
bekannt und findet sich in den Grundherrschaften seit dem Frühmittelalter (1040
Bischof von Freising für Weihenstephan). In der hochmittelalterlichen Stadt
entwickelt es sich zum verrechtlichten Gewerbe. Die Herzöge von Bayern beschränken
die Bierherstellung auf Gerste, Hopfen und Wasser (1493/1516, Reinheitsgebot,
vgl. 1906 Biersteuergesetz § 9 I). Seit der Einführung der Gewerbefreiheit im
frühen 19. Jh. entstehen Bierfabriken, die als Großbrauereien die
Hausbrauereien verdrängen.
Lit.: Brinkmann, H., Das Brauwesen
der kaiserlich freien Reichsstadt Goslar, 1925; Schlosser, H., Braurechte,
Brauer und Braustätten in München, 1981; Heckel-Stehr, K., Brauwesen in Bayern,
1988; Blanckenberg, C. v., Die Hanse und ihr Bier, 2001
Braunschweig an
der Oker wird 1031 erstmals erwähnt und wächst aus fünf älteren Siedlungen
(Altstadt, Neustadt E. 12. Jh., Sack 2. H. 13. Jh., Hagen um 1160, Altenwiek)
zusammen. Schon früh steht der Ort unter der Herrschaft der Welfen, deren
Reichsfürstentum von 1235 nach B. und Lüneburg benannt wird. Die zeitweise
ziemlich selbständige Stadt, die 1227 das Hagenrecht und das sog. Ottonianum
(mnd.) aufzeichnet, 1402 den Rechtsstoff neu ordnet und 1532 ihre Statuten
einer 1675 aufgehobenen Reformation unterzieht, geht 1671 an das Fürstentum
Braunschweig-Wolfenbüttel über und gelangt, wirtschaftlich mehr und mehr von
Hannover und Magdeburg überholt, 1946 mit dem Land B. an Niedersachsen.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Urkundenbuch der Stadt
Braunschweig, bearb. v. Dolle, J. u. a., Bd. 1ff. 1874ff. (Bd. 5 1994, Bd. 8
1388-1400 2008); Hanselmann, L., Die ältesten Stadtrechte Braunschweigs, Hans.
Geschbll. 1892, 3; Frensdorff, F., Das braunschweigische Stadtrecht bis zur
Rezeption, ZRG GA 26 (1905), 195; Merkel, J., Der Kampf des Fremdrechtes mit
dem einheimischen Rechte in Braunschweig-Lüneburg, 1904; Fahlbusch, O., Die
Finanzverwaltung der Stadt Braunschweig, 1913; Busch, F., Beiträge zum
Urkunden- und Kanzleiwesen der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg, 1921;
Hüttebräuker, L., Das Erbe Heinrichs des Löwen, 1927; Wolters, G., Das Amt Friedland
und das Gericht Leineberg, 1927; Meier, P., Der Streit Herzog Heinrichs des
Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel mit der Reichsstadt Goslar, 1928;
Kleinau, H., Der Grundzins in der Stadt Braunschweig, 1929; Willecke, R., Das
eheliche Güterrecht im Braunschweiger Stadtrecht, 1929; Timme, F., Die
wirtschafts- und verfassungsgeschichtlichen Anfänge der Stadt Braunschweig,
1931; Germer, H., Die Landgebietspolitik der Stadt Braunschweig, 1937; Spieß,
W., Die Heerstraßen auf Braunschweig, 1937; Spieß, W., Die Ratsherren der
Hansestadt Braunschweig 1231-1671, 1940; Querfurth, H., Die Unterwerfung der
Stadt Braunschweig im Jahre 1671, 1953; Beiträge zur Geschichte des
Gerichtswesens im Lande Braunschweig, hg. v. Spieß, W., 1954; Piper, H.,
Testament und Vergabung von Todes wegen, 1960; Diestelkamp, B., Die
Städteprivilegien Herzog Ottos des Kindes, 1961; Moderhack, R., Hundert Jahre
Stadtarchiv und Stadtbibliothek, 1961; Spieß, W., Geschichte der Stadt
Braunschweig im Nachmittelalter, 1966; Kleinau, H., Geschichtliches
Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig, 1967, 1968 (2425 Namen); Pitz, E.,
Landeskulturtechnik, 1967; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
3,3,2903; Garzmann, M., Stadtherr und Gemeinde in Braunschweig, 1976; Lockert,
M., Die niedersächsischen Stadtrechte, 1978; Petersen, W., Verzeichnis der
Einblattdrucke und Handschriften, 1984; Rat und Verfassung im mittelalterlichen
Braunschweig, 1986; Bringmann, W., Die braunschweigische Thronfolgefrage,
1988; Henne, T., Verwaltungsrechtsschutz im Justizstaat, 1995; Hanse - Städte -
Bünde, hg. v. Puhle, M., 1996; Hackel, C., Der Untergang des Landes
Braunschweig, 2000; Die braunschweigische Landesgeschichte, hg. v. Jarck, H. u.
a., 2000; Ohm, M., Das Braunschweiger Altstadtrathaus, 2002; Justiz und
Anwaltschaft in Braunschweig, hg. v. Isermann, E. u. a., 2004; Die Wirtschafts-
und Sozialgeschichte des braunschweigischen Landes vom Mittelalter bis zur
Gegenwart, hg. v. Leuschner, J. u. a., 2008; Weglage, S., Menschen und
Vermächtnisse, 2011; Gudladt, K., Rechtswissenschaften an der Technischen
Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, 2013
Braurecht ist das das Brauen betreffende Recht.
Lit.: Peterka, O., Die bürgerlichen
Braugerechtigkeiten in Böhmen, 1917; Schlosser, H., Braurechte, Brauer und
Braustätten in München, 1981
Braut (8./9. Jh.) ist zunächst die neuvermählte junge Frau und erst in
jüngerer Zeit die durch ein Heiratsversprechen erst zur Eheschließung verpflichtete
Frau.
Lit.: Köbler, WAS; Opet, O., Brauttradition und
Konsensgespräch, 1910; Die Braut, hg. v. Völger, G. u. a., 1985
Brautkind ist das Kind einer (unverheirateten) Braut. Es ist unehelich, kann
aber innerhalb der unehelichen Kinder eine bessere Rechtsstellung haben.
Brautlauf ist
die im 13. Jh. im Deutschen erloschene Bezeichnung für die Hochzeit.
Lit.: Krogmann, W., Brautlauf und Braut, Wörter und Sachen
16 (1934), 81
Bregenz
Lit.: Helbok, A., Die Bevölkerung
der Stadt Bregenz, 1912
Breisach
Lit.: Beyerle, Franz, Das älteste
Breisacher Stadtrecht, ZRG GA 39 (1918), 318; Haselier, G., Geschichte der
Stadt Breisach am Rhein, 1969
Bremen (782) südlich
der Wesermündung wird 787/789 Sitz eines Bischofs bzw. 845/864 eines
Erzbischofs. Im 13. Jh. löst sich B. von der Herrschaft des Bischofs.
Wahrzeichen wird der Roland. B. wird Mitglied der Hanse. 1303/1304 wird das
Recht aufgezeichnet. 1541/1646 wird die Reichsfreiheit erlangt, die sich in
der Stellung als Mitglied des Deutschen Bundes (1815) und als Land im Deutschen
Reich (1871) und in der Bundesrepublik Deutschland (1949) fortsetzt. 1970
entsteht in B. eine Universität.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Bremisches
Urkundenbuch, Bd. 1ff. 1873ff.; Kühtmann, A., Die Romanisierung des
Zivilprozesses in der Stadt Bremen, 1891; Kühtmann, A., Geschichte der
bremischen Stadtvogtei, 1900; Rehme, P., Über das älteste bremische Grundbuch
(1438-1558), 1908; Gattjen, B., Der Rentenkauf in Bremen, 1928; Eckhardt, K.,
Die mittelalterlichen Rechtsquellen der Stadt Bremen, 1931; Das bremische
Stadtrecht von 1303/08, hg. v. Eckhardt, K., 1931; Haase, C., Untersuchungen
zur Geschichte des Bremer Stadtrechts, 1953; Hinte, P., Die hannoversche
Gerichtsbarkeit in der Stadt Bremen von 1720-1803, Diss. jur. Göttingen 1957;
Merker, O., Die Ritterschaft des Erzstifts Bremen im Spätmittelalter, 1969; 2;
Lorenz, G., Das Erzstift Bremen und der Administrator Friedrich, 1969; Handbuch
der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg.
v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,3,2905; Schwarzwälder, H., Geschichte der
freien Hansestadt Bremen, Bd. 1ff. 1975ff.; Barkhausen, W., Erzbischof Adaldag
und König Harald Gormsson, ZRG GA 111 (1994), 363; Kessler, A., Die Entstehung
der Landesverfassung, Diss. jur. Freiburg im Breisgau 1996; Bremer Freiheiten,
bearb. v. Gerstenberger, H., 1997; Schwarzwälder, H., Das große Bremen-Lexikon,
2000; 700 Jahre Bremer Recht 1303-2003, hg. v. Elmhäuser, K., 2003; Kähler, J., Französisches Zivilrecht und französische
Justizverfassung in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen (1806-1815),
2007; Elmshäuser, K., Geschichte Bremens, 2007
Bremgarten
Lit.: Bürgisser, E., Geschichte
der Stadt Bremgarten, 1937
Breslau an
der Oder erscheint im 10. Jh. als befestigte Siedlung und wird 1000 Sitz eines
Bischofs. Seit 1163 ist es in Niederschlesien Sitz eines Herzogs aus der
Familie der Piasten. 1225 erhält es eine Marktsiedlung nach deutschem Recht,
1241 deutsches Recht. (1261 Magdeburger Recht). 1335 gelangt B. an Böhmen. In der
Mitte des 14. Jh. wird ein zunächst unsystematisches, gegen 1370 systematisiertes
Stadtrechtsbuch zusammengestellt. Am Ende des 15. Jh. entstehen die
Rechtsbücher Der rechte Weg und Remissorium. B. wird Oberhof für mindestens 65
Städte. 1505 missglückt eine Universitätsgründung. 1526 fällt B. mit Böhmen an
Österreich. 1702 wird eine Universität eingerichtet (1811 zur Schlesischen
Universität umgestaltet). 1741 wird B. von Preußen erobert. Am Anfang des
Jahres 1933 waren an der juristischen Fakultät tätig Eugen Rosenstock-Huessy,
Ernst Cohn, Hans Albrecht Fischer, Theodor Süss, Walter Schmidt-Rimpler,
Johannes Nagler, Arthur Wegner, Hans Helfritz, Heinrich Pohl, Ludwig Waldecker
(Axel Freiherr von Freytag-Loringhoven und Friedrich Schöndorf). Über Preußen
gelangt B. nach 1945 an Polen. →Breslauer Landrecht
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Laband, P., Das
Magdeburg-Breslauer systematische Schöffenrecht, 1863; Breslauer Urkundenbuch,
hg. v. Korn, G., 1870; Goerlitz, T., Die Übertragung liegenden Gutes, 1906;
Rehme, P., Über die Breslauer Stadtbücher, 1909; Pfitzner, J., Besiedlungs-,
Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Breslauer Bistumslandes, 1926;
Pfeiffer, G., Das Breslauer Patriziat, 1929; Goerlitz, T., Die Breslauer
Rechtsbücher des 14. Jahrhunderts, ZRG GA 59 (1939), 136; Lindgren, E., Die
Breslauer Strafrechtspflege, 1939; Hermann, E., Das Abgabenrecht der Stadt
Breslau, 1941, Goerlitz, T., Verfassung, Verwaltung und Recht der Stadt
Breslau, hg. v. Petry, L., 1962; Rabe, C., Alma mater Leopoldina, 1999;
Encyklopedia Wroclawia (Enzyklopädie Breslaus), hg. v. Harasimowicz, J., 2000;
Der rechte Weg, hg. v. Ebel, F., 2000; Quellenbuch zur Geschichte der
Universität Breslau 1702 bis 1811, hg. v. Conrads, N., 2002; Davies, N. u. a.,
Die Blume Europas, 2002; Eschenloer, P., Geschichte der Stadt Breslau, hg. v.
Roth, G., 2003; Thum, G., Die fremde Stadt, 2003; Quellenbuch zur Geschichte
der Universität Breslau 1702 bis 1811, hg. v. Conrads, N. u. a., 2004; Ditt,
T., Die Stoßtruppfakultät Breslau, 2010; Garber, K., Das alte Breslau, 2014
Breslauer Landrecht
ist die durch König Johann von Böhmen veranlasste, in 351 Kapitel mit 13
Anhangskapiteln gegliederte, im Fürstentum Breslau und Teschen gebrauchte
Bearbeitung des Landrechts des →Sachsenspiegels (1346/1356).
Lit.: Köbler, DRG 103; Gaupp, E., Das schlesische
Landrecht, 1828, Neudruck 1966; Goerlitz, T., Die Breslauer Rechtsbücher, ZRG
59 (1934), 155; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990,
30
Bretagne ist
die schon früh von Kelten besiedelte westliche Halbinsel Westeuropas, die 56 v.
Chr. von Caesar unter die Herrschaft der Römer gebracht wird. Vom 5. Jh. n.
Chr. an wandern keltische Briten von Britannien aus ein, die unter die
Herrschaft der Franken geraten. Um 845/846 wird die B. vom fränkischen Reich unabhängig,
steht bald aber wieder unter französischer und seit 1113 englischer
Lehnsherrschaft. Zwischen 1312 und 1325 wird die (franz.) Très ancienne coutume
de B. (Sehr alte Gewohnheit der B.) aufgezeichnet. 1515 wird die B. Krondomäne
Frankreichs.
Lit.: La très ancienne coutume de Bretagne, hg. v. Planiol,
M., 1896; Poisson, H., Histoire de la Bretagne, 1966; Fleuriot, L., Les
origines de la Bretagne, 1980
Breviarium (N.) Alarici (lat.) ist die vom Westgotenkönig Alarich II. vor 507
geschaffene Kurzfassung des nachklassischen römischen Rechtes, die für die
Romanen im westgotischen Reich gilt und bis in das Hochmittelalter Bedeutung
behält. →Lex Romana Visigothorum
Lit.: Söllner § 20; Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 53, 82;
Buchner, R., Die Rechtsquellen, 1953
Brevium exempla
(lat. [N.Pl.]) ist die moderne Bezeichnung eines frühmittelalterlichen
Güterverzeichnisses (825-850) für königliche Güter in Staffelsee, Weißenburg
und bei Lille.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Metz, W., Das karolingische
Reichsgut, 1960, 18
Briand-Kellogg-Pakt →Kellogg-Pakt
Brief (aus lat. breve, kurze [Mitteilung]) ist die (kurze) schriftliche, später durch einen Umschlag
verschlossene Mitteilung. In Hessen wird 1831 das Briefgeheimnis erstmals durch
die Verfassung geschützt. Die unerlaubte Öffnung eines fremden Briefes ist ein
Straftatbestand.
Lit.: Die Tegernseer Briefsammlung des 12. Jahrhunderts,
hg. v. Plechl, H., 2002; Schaller, H., Handschriftenverzeichnis zur
Briefsammlung des Petrus de Vinea, 2002; Furger, C., Briefsteller, 2009
Briefadel ist
der durch Urkunde erlangte Adelsstand und die Gesamtheit der durch Urkunde in
den →Adel erhobenen Menschen. B. ist seit 1346 unter französischem
Einfluss möglich (bis 1918).
Lit.: Köbler, DRG 98
Briefgeheimnis ist die Geheimheit der in einem Brief (Schriftstück) niedergeschriebenen
Gedanken eines Menschen. Bereits im römischen Recht (Lex Cornelia) ist das
unbefugte Öffnen von Urkunden mit Strafe bedroht. Mittelalterliche Botenordnungen
und frühneuzeitliche Landesordnungen (Tirol 1532) schützen Briefe. II 10 §
1370 ALR (1794) stellt das unerlaubte Eröffnen von Briefen überhaupt unter
Strafe. Der verfassungsrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses ist eine
Errungenschaft des 19. Jh.s (Kurhessen 1831 § 38).
Lit.: Eisenhardt, U., Deutsche Rechtsgeschichte, 4. A.
2004; Geschichte der deutschen Post, hg. v. Sautter, K., Teil 1ff. 1928ff.; Krauß,
M., Das kursächsische Postrecht, 1998; Vellusig, R., Geschichte des Briefes,
2000
Briefmarke ist das als Quittung für vorausgezahlte
Postbeförderungsgebühr verkaufte aufklebbare Wertzeichen. Die B. ist
Inhaberpapier (Josef Kohler, § 807 BGB), wobei streitig ist, ob sie amtliches →Wertzeichen
(§ 148 StGB) ist. Rechtstatsächlich werden am 21. 9. 1847 die ersten (blauen)
Briefmarken der britischen Kornkolonie Mauritius ausgegeben, deren beide Exemplare für 1 Penny und 2 Pence 1993 für
etwa 5 Millionen Euro versteigert werden.
Lit.:
Weipert, S., Die Rechtsnatur der Briefmarke, Diss. jur. Kiel 1996; Bohnert,
J., Briefmarkenfälschung, NJW 1998, 2879
Bringschuld ist
die am Wohnsitz des Gläubigers zu erbringende Schuld. Da Abgaben in der Regel
beim Berechtigten abzuliefern sind, ist die B. schon im Frühmittelalter weit
verbreitet. Ihre Bedeutung wächst nach dem Aufkommen der Geldwirtschaft.
Lit.: Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsches Privatrecht, 9.
A. 1981, § 28
Brinz,
Alois Ritter von (Weiler im Allgäu 25. 2. 1820-München 13. 9. 1887), Sohn eines
Landgerichtsaktuars, wird nach dem Studium von Sprachen und Recht in München
und Berlin 1851 außerordentlicher Professor und 1854 ordentlicher Professor in
Erlangen, Prag (1857), Tübingen (1866) und München (1871). Sein wichtigstes
Werk ist ein Pandektenlehrbuch (1857ff.), in dem er die juristische Person als
Zweckvermögen versteht.
Lit.: Rascher, J., Die Rechtslehre des Alois von Brinz,
1975
Britannien →Brite
Brite ist
der Angehörige eines keltischen, die britischen Inseln bewohnenden Volkes, das
409 n. Chr. von römischer Herrschaft frei wird, aber wenig später aus nicht im
Einzelnen feststellbaren Gründen (Ausrottung bzw. Akkulturation?) gegenüber der
Bedrohung durch Angeln, Sachsen und Jüten in die →Bretagne bzw. nach
Wales, Cornwall und Schottland zurückweicht.
Lit.: Ross, A., Pagan Celtic Britain, 2. A. 1974;
Brodersen, K., Das römische Britannien, 1998; A Companion to Roman Britain, hg.
v. Todd, M., 2004; Birley, A., The Roman Government of Britain, 2005;
Creighton, J., Britannia, 2006; Britons in Anglo-Saxon England, hg. v. Higham,
N., 2007; Kleinschmidt, H., Migration und Identität, 2009; Hobbs, R./Jackson,
R., Das römische Britannien, 2011
Brite →England,
Großbritannien, Kelte
Britische Zone ist
die 1945 Großbritannien zugeteilte →Besatzungszone Deutschlands. Sie geht
am 1. 1. 1947 in der →Bizone auf. Von 1948 bis 1950 kennt sie einen
Obersten Gerichtshof.
Lit.: Trittel, G., Die Bodenreform in der britischen Zone
1945-1949, 1975; Zimmermann, R., Der oberste Gerichtshof für die britische
Zone, ZNR 3 (1981), 158
Brixen
Lit.: Fajkmajer, K., Studien zur
Verwaltungsgeschichte des Hochstiftes Brixen im Mittelalter, Forschungen und
Mitteilungen zur Geschichte Tirols und Vorarlbergs 6 (1909); Schwüppe, H., Das
Bürger- und Inwohnerbuch der Stadt Brixen 1500-1709, Diss. phil. Innsbruck 1955
(masch.schr.); Kustatscher, E., Die Städte des Hochstifts Brixen im
Spätmittelalter, 2007
Brocarda oder
Brocardica (lat. [F.], Herkunft streitig, zu Burchard?, zu pro - contra?, zu
mlat. broccus, Adj., hervorstehend, roman. Spieß?) ist im Hochmittelalter die
in der Kompilation Justinians noch nicht enthaltene, gelehrte Rechtsregel, aus
der man durch logisches Schließen Rechtsfolgen ableiten kann (Pilius, Damasus
Boemus um 1215).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Meyer, E.,
Brocardica, ZRG KA 69 (1952), 453; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter,
Bd. 1 1997
Brücke ist die auf Dauer angelegte Verbindung
zweier Landgebiete über ein Gewässer durch ein überirdisches Bauwerk. Sie
ersetzt die natürliche Furt und die nach Bedarf verkehrende Fähre. Bereits die
Römer hatten eine hoch entwickelte Brückenbaukunst.
Lit: Cooper, A., Bridges, Law and
Power in Medieval England, 2006
Bruderschaft (F.,
ahd.) ist der dem Verhältnis von Brüdern nachgebildete Verband von Priestern
oder Handwerkern
Lit.: Hinojosa, E. de., La fraternidad artificial en
España, Revista de Archivos 1905; Moeller, E. v., Die Elendenbrüderschaften
1906; Le mouvement confraternel, 1987; Einungen und Bruderschaften in der
spätmittelalterlichen Stadt, hg. v. Johanek, P., 1993; Rosenplenter, K.,
Saeculum pium, 2003; Mittelalterliche Bruderschaften in europäischen Städten,
hg. v. Escher-Apsner, M., 2009; Laqua, B., Bruderschaften und Hospitäler
während des hohen Mittelalters, 2011
Brügge in
Flandern wird trotz römischer Vorläufersiedlung erst im 11. Jh. als Sitz
flämischer Grafen bedeutsam. 1127 erhält es Stadtrechte. Im Hochmittelalter
wird es durch Handel reich. Trotz wirtschaftlichen Niedergangs wird es 1559
Bischofssitz.
Lit.: Van
Houtte, J., De geschiedenis van Brugge, 1982; Murray, J., Bruges, Cradle of
Capitalism, 2005
Brünn in
Südmähren ist der seit 800 erscheinende, im Hochmittelalter von Deutschen
aufgesiedelte Ort, der 1243 das Stadtrecht von →Iglau erhält. Brünner
Schöffenbuch ist ein von einem Stadtschreiber Johann(es) (von Gelnhausen) (1343-1387)
in Brünn um 1350 verfasstes, sachlich-alphabetisch von (lat. [F.Pl.]) actiones
(Klagansprüche) bis vulnera (Wunden) geordnetes →Rechtsbuch in 730
Artikeln, das (etwa mit der Wendung lex dicit, das Gesetz besagt) in das
einheimische deutsche Recht einzelne römisch-rechtliche Zutaten einfügt.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Bretholz, B., Geschichte der Stadt
Brünn, 1911, Schubart-Fikentscher, G., Das Brünner Schöffenbuch, DA 1 (1937),
457; Schubart-Fikentscher, G., Römisches Recht im Brünner Schöffenbuch, ZRG GA
65 (1947), 86; Weizsäcker, W., Wien und Brünn in der Stadtrechtsgeschichte, ZRG
GA 70 (1953), 125; Flódr, M., Právni kniha města Brna z poloviny 14.
století 1 (Das Rechtsbuch der Stadt Brünn aus der Mitte des 14. Jahrhunderts
1), 1990ff.; Der Brünner Todesmarsch 1945, hg. v. Hertl, H. u. a., 1998;
Lexikon bedeutender Brünner Deutscher, hg. v. Fehige, C. u. a., 2000; Pfeifer,
C., Jus regale Montanorum, 2002; Sulitková, L., Vyvoj mestskych knih v Brne,
2004; Flodr, M., Nálezy Brněnského městského práva, 2007; Jan z Gelnhausenu, Příručka práva
městského (Manipulus vel directorium iuris civilis). K vydání
připravil Flodr, Miroslav [Johann von Gelnhausen, Handbuch des
Stadtrechts >Manipulus vel directorium iuris civilis<, hg. v. Flodr, M.,
2008
Brunnemann, Johann (Cölln bei Berlin 7. 4.
1608-Frankfurt an der Oder 15. 12. 1672), Pfarrerssohn wird nach dem Studium
der Theologie in Wittenberg (1627) und in Frankfurt an der Oder (1632) dort
1636 ordentlicher Professor der Logik. 1638 promoviert er zum Dr. iur. utr. und
wird 1640 Professor der Institutionen, dann der Pandekten, des Codex und der
Dekretalen und 1653 Ordinarius. Bedeutsam ist sein Pandektenkommentar (1670).
Kennzeichnend ist sein Übergang von der exegetischen zur synthetisch-praktischen
Stoffdarstellung. Nachhaltige Wirkung erzielt er mit seinem (lat.) Tractatus
(M.) iuridicus de inquisitionis processu (Rechtlicher Traktat über den
Inquisitionsprozess) von 1648.
Lit.: Hornung-Grove, M.,
Beweisregeln im Inquisitionsprozess, Diss. jur. Göttingen 1974
Brunnen ist die meist eingefasste Stelle zur
Entnahme (möglichst reinen) Wassers. An Brunnen können unterschiedliche Rechte
bestehen. Seit dem 19. Jh. sind die einzelnen B. allmählich weitgehend durch
öffentlich verwaltete Wasserleitungen ersetzt.
Lit.: Spindler, H., Der Brunnen im
Recht, Diss. jur. Heidelberg 1938; zum allgemeinen statt nutzen, hg. v.
Rippmann, D. u. a., 2008
Brunner,
Heinrich (Wels 21. 6. 1840-Bad Kissingen 11. 8. 1915) wird nach dem Rechtsstudium
in Wien (1864 Institutsprüfungsarbeit über das gerichtliche Exemtionsrecht der
Babenberger, 1865 Habilitation über Zeugen und Inquisitionsbeweis der
karolingischen Zeit) Professor in Lemberg (ao. 1866, o. 1868), Prag (1870),
Straßburg (1872) und Berlin (1873, Nachfolge Homeyer). Unter genauer
Quellenkenntnis durchdringt er den geschichtlichen Stoff juristisch und legt
nach zahlreichen Einzelarbeiten (z. B. über Schwurgericht, Urkunde,
Landschenkung) 1887 den ersten Band seiner die germanische und fränkische Zeit
umfassenden deutschen Rechtsgeschichte vor.
Lit.: Köbler, DRG 221; Brunner, H., Forschungen zur
Geschichte des deutschen und französischen Rechtes, 1894; Festschrift Heinrich
Brunner, 1910; Brunner, H., Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte, 8. A.
1930; Brunner, H., Abhandlungen zur Rechtsgeschichte, hg. v. Rauch, K., 1931;
Stutz, U., Heinrich Brunner, ZRG GA 36 (1915), IX
Brunner, Otto (Mödling/Niederösterreich 21. 4.
1898-Hamburg 12. 6. 1982) wird nach dem Studium der Geographie und Geschichte
in Wien 1931 Professor und nach Erscheinen seines die Bedeutung des geltenden
Staatsrechts für das Mittelalter zurückdrängenden, auf Quellenbegriffe
setzenden Werkes Land und Herrschaft (1939, 5. A. 1965) von 1942 bis 1945
Leiter des Instituts für österreichische Geschichtsforschung. 1954 wechselt er
nach Hamburg. Gemeinsam mit W. Conze und R. Koselleck veröffentlicht er seit
1972 Geschichtliche Grundbegriffe.
Lit.: Algazi, G., Herrengewalt und
Gewalt der Herren im späten Mittelalter, 1996; Deutsche Historiker im
Nationalsozialismus, hg. v. Schulze, W. u. a., 1999; Alteuropa oder frühe
Moderne?, hg. v. Schorn-Schüttte, L., 1999
Brüssel an
der Zenne erscheint am Ende des 7. Jh.s. Es entwickelt sich zum Vorort der
burgundischen Niederlande. 1830 wird es Hauptstadt des neuen Königreichs →Belgien.
1834 erhält es eine Universität. Innerhalb der europäischen Gemeinschaften bzw.
der Europäischen Union ist die mehrheitlich frankophone Stadt Sitz der
Europäischen Kommission.
Lit.: Favresse, F., Le conseil de Bruxelles 1282-1521,
Revue Belge de Philologie 9 (1930), 139; Godding, P., Le droit foncier á
Bruxelles, 1960; Histoire de Bruxelles, hg. v. Martens, M., 2. A. 1979;
Majerus, B., Occupations et logiques policières, 2008; Coppein, B. u. a.,
Histoire du barreau de Bruxelles - Geschiedenis von de balie van Brussel
(1811-2011, 2012
buccellarius (lat. [M.]) „Bissennehmer“, freier
[grundsätzlich erblicher] Anhänger eines Herrn (Codex Euricianus [um 475?] 310,
Lex Visigothorum [7. Jh.?] V, 3. 1)
Lit.: Claude, D., Adel, Kirche und
Königtum im Westgotenreich, 1971; Wolfram, H., Die Goten, 4. A. 2001
Buch ist
das zu einem Band zusammengefasste Schriftstück. Sein Inhalt kann alle
Lebensbereiche erfassen. Rechtlich bedeutsam sind etwa Achtbuch, Gesetzbuch,
Grundbuch, Lehrbuch, Rechtsbuch oder Stadtbuch. Bereits in der Antike entstehen
Buchsammlungen oder Bibliotheken mit bis zu einer halben Million
katalogisierter Schriftrollen (Alexandria um 300 v. Chr., um 350 n. Chr.
vielleicht 30 öffentliche Bibliotheken in Rom). Mit dem Übergang (von der
vielfach in ausgeliehenen Lagen oder [lat.] peciis) abgeschriebenen Handschrift
zur Drucktechnik mit beweglichen Lettern (Johannes Gensfleisch genannt
Gutenberg [Mainz um 1400-Mainz 3. Februar 1468] in Mainz zwischen 1440 und
1454, 1448?, Beginn mit Kalenderblättern und Sibyllenweissagungen, ab 1451
42zeilige Bibel mit 48 erhaltenen von ursprünglich 180 mit Hilfe 20er
Mitarbeiter gedruckten Exemplaren zu je 1282 Seiten in Mons, Kopenhagen,
Aschaffenburg, Berlin, Frankfurt am Main, Fulda, Göttingen, Kassel, Leipzig,
Mainz, Mainz, München, Rendsburg, Schweinfurt, Stuttgart, Trier, Paris, Paris,
Paris, Saint Omer, Cambridge, Edinburgh, Eton, London, London, London,
Manchester, Oxford, Vatikan, Vatikan, Tokio, Wien, Pelplin/Polen, Lissabon,
Moskau, Moskau, Cologny/Schweiz, Burgos, Sevilla, Austin/Texas,
Cambridge/Massachusetts, New Haven/Connecticut, New York, New York, New York,
New York, Princeton, San Marino/Kalifornien, Washinghton D. C.) wird es (nach
Erstdrucken der Clementinae Mainz 1460, des Liber Sextus Mainz 1465, der
Institutiones Mainz 1468, des Liber Extra Straßburg 1468/1471, des Decretum
Straßburg 1471, des Sachsenspiegels Landrecht Basel 1474, des Codex Mainz
1475, des Digestum vetus Rom 1476 und des Infortiatum, Digestum novum 1476) zur
Massenware (um 1500 im deutschen Reich 62 Druckorte, rund 29000 Titel in Europa
- davon 6000 lateinisch, mit vielleicht 17 Millionen Exemplaren, davon etwa
520000 erhalten -, darunter viele Nachdrucke und Neuauflagen), wobei seit 1473
Bücherverzeichnisse geschaffen werden (Vocabularius juris utriusque [1473],
Bertachinus, J., Repertorium, 1481), seit etwa 1500 Auflagen sich im Inhalt
unterscheiden (sog. Inkunabeln, Wiegendrucke) und im 16. Jahrhundert (um 1525
Schwerpunktverlagerung nach Lyon, Paris, 1550 Basel, 1570 Frankfurt am Main,
Venedig) bereits 70 bis 90 Millionen einzelne Bücher (d. h. fast eine Million
einzelne Bücher im Jahr) im deutschen Sprachraum (durch [im 16. und 17.
Jahrhundert] mehr als 2662 Buchdrucker in 381 Druckorten mit rund 130000-150000
Drucken, seit 1530 Titelblatt mit Drucker und Druckort durch den Augsburger
Reichstag vorgeschrieben, seit 1548 Angabe des Verfassers) hergestellt werden.
Zur Sicherung gegen (billigere) Nachdrucke erstreben die Drucker Privilegien
von Landesherren mit strafbewehrten Verboten gegen den unerlaubten Nachdruck.
Der große Erfolg des Buches verstärkt seit der Reformation (1517) Martin
Luthers (1521) die im 13. Jh. beginnende Zensur (Vorzensur, im Heiligen
römischen Reich durch einen Bücherkommissar, in Frankfurt am Main 1579, ab
etwa 1700 in Leipzig). Die Zahl der Drucke des 17. Jahrhunderts wird auf 250000
geschätzt, die des 18. Jahrhunderts auf 600000, die des 19. Jahrhunderts auf rund
1,5 Millionen, so dass man mit 17,5 Millionen deutschsprachigen Drucken seit
dem 15. Jahrhundert (bis 2007) rechnet. 1871 werden im Deutschen Reich etwa
10750 Bücher und Karten verlegt. Von 1913 bis 2010 erscheinen rund 15 Millionen
Drucke, wobei (in Deutschland) 1901 27998 Neuerscheinungen veröffentlicht werden,
1990 45000 und 2007 96479. Die Zahl der Einzelexemplare beträgt dabei im Jahr
2005 rund 981 Millionen. Die Zahl allein der rechtswissenschaftlichen
Monographien steigt zwischen 1952 und 2002 von 667 auf 3634 pro Jahr.
Lit.: Schottenloher, K., Bücher bewegten die Welt - Eine
Kulturgeschichte des Buches, Bd. 1f., 1951f. 2. A. 1968; Bieber, H., Die
Befugnisse und Konzessionierungen der Münchner Druckereien und Buchhandlungen,
Diss. jur. München 1956; Hagemann, H., Rechtswissenschaft und Basler Buchdruck,
ZRG GA 77 (1960), 241; Fischel, L., Bilderfolgen im frühen Buchdruck, 1963;
Eisenhardt, U., Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse,
1970; Holthöfer, E., Funktionsweisen gemeinrechtlicher Kommunikation, 1972;
Presser, H., Buch und Druck, 1978; Eisenstein, E., The Printing Press as an
Agent of Change, Bd. 1f. 1979; Röhring, H. Wie ein Buch entsteht, 1983, 8. A.
2008, 9. A. 2011; Lexikon des gesamten Buchwesens, hg. v. Corsten, S., 2. A.
1987; Hoffmann, H., Buchkunst und Königtum, 1986; Bülow, M., Buchmarkt und
Autoreneigentum, 1990; Giesecke, M., Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, 1991;
Rationalisierung der Buchherstellung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, 1994;
Janzin, M./Güntner, J., Das Buch vom Buch, 1995; Laienlektüre und Buchmarkt im
späten Mittelalter, hg. v. Kock, T. u. a., 1997; Neddermeyer, U., Von der
Handschrift zum gedruckten Buch, 1998; Geschichte der Buchkultur, Bd. 1ff., hg.
v. Mazal, O. u. a., 1999; Füssel, S., Gutenberg und seine Wirkung, 1999;
Zimmer, D., Die Bibliothek der Zukunft, 2000; Osler, D., Catalogue of Books
printed, 2000; Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert,
hg. v. Jäger, G. u. a., 2001ff.; Haegen, P. van der, Der frühe Basler
Buchdruck, 2001; Soetermeer, F., Utrumque ius in peciis, 2002; Casson, L.,
Bibliotheken in der Antike, 2002; Antike Bibliotheken, hg. v. Hoepfner, W.,
2002; Hiller, H./Füssel, S., Wörterbuch des Buches, 6. A. 2002, 7. A. 2007; Juristische
Buchproduktion im Mittelalter, hg. v. Colli, V., 2002; Handbuch der
historischen Buchbestände in Deutschland, Handbuch der historischen
Buchbestände in Österreich, Handbuch deutscher historischer Buchbestände in
Europa, 1992ff., CD-ROM-Edition 2003; Agati, M., Il libro manoscritto, 2003;
Darnton, R., Die Wissenschaft des Raubdrucks, 2003; Meyer, S., Bemühungen um
ein Reichsgesetz gegen den Büchernachdruck, 2004; Wadle, E., Goethes Wünsche
zum Nachdruckschutz, ZRG GA 122 (2005) 301; Reclams Sachlexikon des Buches, hg.
v. Rautenberg, U., 2. A. 2003; Haus- und Familienbücher in der städtischen
Gesellschaft, hg. v. Studt, B., 2006; Verbergen – Überschreiben – Zerreißen,
hg. v. Körte, M. u. a., 2007; Reske, C., Die Buchdrucker des 16. und 17.
Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, 2007; Koppitz, H., Die kaiserlichen
Druckprivilegien, 2007; Empell, H., Gutenberg vor Gericht, 2008; Löhr, I., Die
Globalisierung geistiger Eigentumsrechte, 2010; Mintzel, A., Von der schwarzen
Kunst zur Druckindustrie, 2011; Eichacker, T., Die rechtliche Behandlung des Büchernachdrucks
im Nürnberg des 17. Jahrhunderts, 2013; Hauschild, S. Skriptorium - Die
mittelalterliche Buchwerkstatt, 2013
Buch,
Johann von (um 1290-nach 1356), aus einer seit 1194 als Herren von Buch (bei
Tangermünde) bezeugten altmärkischen ritterlichen Familie, ist nach dem Studium
in Bologna (1305) Ratgeber und Richter des Markgrafen von Brandenburg (1332
Hauptmann der Mark, 1336 [lat.] capitaneus [M.] generalis, Generalhauptmann,
zwischen 1321 und 1356 in zahlreichen Urkunden belegt). Er teilt das Landrecht
des →Sachsenspiegels in drei Teile, versieht es mit einer die
Übereinstimmung mit dem römischen und kirchlichen Recht darlegenden Glossierung
(buchsche Glosse, Konkordanzliteratur) und verfasst um 1335 den →Richtsteig
Landrechts.
Lit.: Steffenhagen, E., Die Entwicklung der
Landrechtsglosse des Sachsenspiegels, SB. d. Akad. Wien 114 (1887), 309;
Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 29; Kannowski,
B., Zwischen Appellation und Urteilsschelte - Über das Rechtsdenken des Johann
von Buch, ZRG 123 (2006), 110
Buchau
Lit.: Die Urkunden des Stifts Buchau. Regesten 819-1500,
bearb. v. Seigel, R. u. a., 2009
Buchda, Gerhard ([Stadt]Roda/Thüringen 22. 10.
1901-Stadtroda/Thüringen 20. 12. 1977), Verwaltungsamtmannssohn, wird nach kaufmännischer
Lehre und Studium der Rechtswissenschaft in Jena (1923-1926) 1930 promoviert
(Das Privatrecht Immanuel Kants) und 1934 habilitiert (Geschichte und Kritik
der deutschen Gesamthandslehre, betreut von Rudolf Hübner). 1937 wird er zum
außerordentlichen Professor an die Universität Halle-Wittenberg berufen und
1939 zum ordentlichen Professor ernannt, 1945 entlassen. 1949 wird er nach
Jena berufen, wo er 1967 emeritiert wird.
Lit.: Lieberwirth, R., Nachruf ZRG
GA 95 (1978), 492; Gedächtnisschrift für Gerhard Buchda, hg. v. Krahner, L. u.
a., 1997
Bücherkommissar ist der mit der Bücherzensur beauftragte Amtsträger
(Universität Köln 1479), dem päpstliche Beauftragte seit dem 13. Jh. (Paris
1323) vorausgehen. 1579 wird für das Reich ein ständiges Bücherkommissariat
(Reichsfiskalprokurator am Reichskammergericht) in Frankfurt am Main
eingerichtet (um 1725 dem Reichshofrat angegliedert), das ohne geringe tatsächliche
Bedeutung bis 1792 wirkt.
Lit.: Widmann, F., Geschichte des Buchhandels, 1952;
Eisenhardt, U., Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse,
1970
Buchführung →Buchhaltung
Buchhaltung ist
die Aufzeichnung von Geschäftsvorfällen eines Unternehmers in Büchern zur
Erlangung von Übersicht. Älteste Versuche in dieser Richtung finden sich
bereits im 3. vorchristlichen Jahrtausend im vorderen Orient. Im Mittelalter erscheinen
die ersten Anfänge unter byzantinisch-arabischem Einfluss in Venedig im 10. Jh.
(Genua 1157, Bologna, Lübeck 13. Jh., Regensburg 14. Jh.). Das älteste
erhaltene Kaufmannsbuch Oberdeutschlands ist das Schuldbuch der Familie
Holzschuher (Nürnberg 1304). Im 14. Jh. entwickelt sich die doppelte
Buchführung mit doppelter Eintragung unter Soll und Haben (Genua 1327).
Lehrwerke der B. erscheinen seit 1494 (Pacioli, Luca in Venedig). In Frankreich
schreiben Ordonnance du commerce (1673) und Code de commerce (1807) Art und
Weise der B. vor. Im 19. Jh. führt die Industrialisierung zur technischen
Verfeinerung und greift der Staat ordnend ein. Hinter dem privaten Kaufmann
bleibt dabei die öffentliche Verwaltung (kameralistische B., Österreich 18.
Jh.) jeweils deutlich zurück. Auf Grund Richtlinien der Europäischen
Gemeinschaften wird in Deutschland mit dem Bilanzrichtliniengesetz ein eigenes
Buch des Handelsgesetzbuchs für das Buchführungsrecht und Bilanzrecht
geschaffen. Daneben finden internationale Grundsätze vielfache Anerkennung
(Generally accepted accounting principles, International Accounting
Standards, International Financial Reporting Standards).
Lit.: Jäger, E., Beiträge zur Geschichte der
Doppelbuchführung, 1874; Penndorf, B., Geschichte der Buchhaltung in
Deutschland, 1913; Sykora, G., System und Methoden der Buchführung, 1952;
Melis, F., Aspetti della vita economica medievale, 1962; Thomson, H. u. a.,
Foreign Books in Bookkeeping and Accounts, 1968; Edwards, J., A History of
Financial Accounting, 1989; Weiss, S., Buchhaltung und Rechnungswesen des
Avignoneser Papsttums (1316-1378), 2003
Bückler, Johannes →Schinderhannes
Budaeus →Budé
Budapest an
der Donau entsteht 1872 durch Zusammenlegung der auf antiken Grundlagen
ruhenden, 1148 erstmals erwähnten Städte Buda (Ofen) und Pest (kurz nach 1230
deutsche Gründung), die 1526 bzw. 1541 von den Osmanen erobert werden (bis
1686). 1635 wird eine Universität eingerichtet. 1872 wird B. Hauptstadt der
transleithanischen Reichshälfte Österreich-Ungarns, 1918 Hauptstadt Ungarns.
Lit.: Das Ofner Stadtrecht, hg. v.
Mollay, K., 1959; Mesterházi, L., Tausendjähriges Budapest, 1970; Blazovich, L.
u. a., Buda város jogkönyve, 2001; Juristenausbildung in Osteuropa bis zum
ersten Weltkrieg, hg. v. Pokrovac, Z., 2007
Budé (Budaeus),
Guillaume (Paris 26. 1. 1468-23. 8. 1540) tritt nach dem Rechtsstudium in
Orléans (1483-86) in die Dienste des Königs von Frankreich. Nach einer Plutarchübersetzung
aus dem Spanischen (1503) legt er 1508 (lat.) Annotationes (F.Pl.) in pandectas
(Anmerkungen zu den Pandekten) vor, in denen er die Pandekten
philologisch-historisch untersucht und das erste Beispiel des (lat.) →mos
(M.) Gallicus (gallische Art) gibt. Die Anwendbarkeit der in sich
uneinheitlichen Rechtssammlung auf seine Gegenwart verneint er.
Lit.: Köbler, DRG 143; Delaruelle, L., Guillaume Budé, 1970
Buer 1003
erstmals erwähnt, 1911 Stadtrecht, 1928 mit Horst in Gelsenkirchen eingemeindet
Lit.:
Buer 1911, hg. v. Goch, s. u. a. 2013
Budgetrecht ist
das Recht, Einnahmen und Ausgaben im Staatshaushalt (Budget, zu lat. bulga, F.,
Tasche) durch Gesetz festzulegen. Es geht im 19. Jh. vom Landesherrn an das →Parlament
über (Preußen 1850).
Lit.: Eisenhardt, U., Deutsche Rechtsgeschichte, 4. A. 2004
Büdingen
Lit.: Philippi, H.,
Territorialgeschichte der Grafschaft Büdingen, 1954
Bugenhagen, Johannes (Wollin/Pommern 24. 6.
1485-Wittenberg 19. 4. 1558) wird nach artistischem Studium in Greifswald 1504
Rektor der Ratsschule in Treptow an der Rega, wird zum Priester geweiht und
amtet als Notar. 1517/1518 verfasst er die erste auf Quellen gestützte
Geschichte Pommerns. 1521 schließt er sich der Reformation Martin Luthers in
Wittenberg an und verfasst von Brauschweig (1528) aus Kirchenordnungen für
Hamburg (1528/1529), Lübeck (1530/1532), Pommern (1534/1535), Dänemark
(1537/1539), Holstein, Braunschweig-Wolfenbüttel und Hildesheim (1542).
Lit.: Sehling, E., Die evangelischen
Kirchenordnungen, 1ff. 1911ff.; Johannes Bugenhagen, hg. v. Leder, H., 1984;
Leder, H., Johannes Bugenhagen, 2002; Lorentzen, T., Johannes Bugenhagen als
Reformator der öffentlichen Fürsorge, 2008; Leder, H., Johannes Bugenhagen
Pomeranus, hg. v. Gummelt, V., 2002
Bukarest erscheint
auf antiken Siedlungsspuren im 13. Jh. als Marktflecken. 1862 wird es
Hauptstadt Rumäniens. 1864 erhält B. eine Universität.
Bukowina (Buchenland) am Osthang der Karpaten ist im Altertum von Dakern und
Bastarnen, seit dem 7. Jh. von Slawen besiedelt. Über das Reich von Kiew, und
das Fürstentum Halitsch-Wolhynien kommt das Gebiet seit dem 14. Jh. zum
Fürstentum Moldau, das ab 1512 unter den Einfluss des osmanischen Reiches
gerät. 1775 gelangt die B. nach Besetzung (1774) durch Vertrag an →Österreich
(Teil Galiziens), wo sie 1849 eigenes Kronland wird. 1919 fällt B. an →Rumänien,
1940 im Norden an die Sowjetunion, nach deren Auflösung 1991 an die Ukraine.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Röskau-Rydel, I.,
Galizien, Bukowina, Moldau, 1999; Scharr, K., Die Bukowina, 2007; Scharr, K.,
Die Landschaft Bukowina, 2010
Bulgarien südlich
der unteren Donau ist anfangs von Thrakern besiedelt, die im 5. Jh. v. Chr.
unter die Herrschaft der Makedonier, im 2. Jh. v. Chr. der Römer kommen. Im 7.
Jh. entsteht aus Slawen, Thrakern, Awaren und Turkvölkern das Volk der
Bulgaren, das 681 und 1185 zu einem eigenen Reich findet. 1393/1396 fällt B. an
die Osmanen (Türken). 1877/1878 löst sich B. teilweise, 1908 als eigenes
Zarenreich vollständig von der türkischen Herrschaft. 1892 wird eine
juristische Fakultät in Sofia gegründet. 1945 wird B. kommunistisch. Sein Recht
ist entsprechend dieser Entwicklung römisch, slawisch, osmanisch, westlich
(französisch, deutsch, aber auch russisch), sozialistisch (1951
Außerkraftsetzung aller vor 1944 verabschiedeten Gesetze) und nach 1990
demokratisch geprägt. 2007 wird B. Mitglied der Europäischen Union.
Lit.: Angelov, D. u. a., Istorija na bulgarskata feodalna
darzhava i pravo, 1972; Stefanov, I. u. a., Bulgarien, 1975; Handbuch der
Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v.
Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,5,243; Revolution auf Raten – Bulgariens Weg zur
Demokratie, hg. v. Höpken, W., 1996; Knaus, G., Bulgarien, 1997; Crampton, R.,
A Concise History of Bulgaria, 1997; Härtel, H. u. a., Bulgarien, 1998; 100
Jahre Handelsgesetzbuch, hg. v. Paschke, M. u. a., 1998; Manolova, M., Istorija
na darzhvata i pravoto, 2001; Tokuschev, D., Istorija na novobulgarskata
darzhava i pravo, 2001; Öffentlichkeit ohne Tradition, hg. v. Heppner, H.,
2003; Ziemann, D., Vom Wandervolk zur Großmacht, 2006; Köbler, G.,
Rechtsbulgarisch, 2006; Brunnbauer, U., Die sozialistische Lebensweise, 2007;
Ziemann, D., Vom Wandervolk zur Großmacht, 2007; Stepanov, C., The Bulgars,
2010
Bulgarus (Bologna? vor 1100?-1. 1. 1166?) ist ein
Glossen zu allen Teilen der justinianischen Kompilation, einen Apparat zu De
regulis iuris, einen Tractatus de iudiciis, Quaestiones, Summulae, Distinktionen,
Casus Codicis und anderes verfassender Glossator.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 162
Bulle ist
die ein Siegel umschließende Kapsel, das (vorwiegend päpstliche) Siegel (meist
aus Gold oder Blei) sowie die mit ihm versehene Urkunde (zwischen [lat. F.Pl.]
litterae und [N.] privilegium bzw. einfachem Brief und feierlichem Privileg).
Aus Byzanz kommt die Bleibulle im 6. Jh. in die päpstliche Kanzlei und von dort
am Ende des 8. Jh.s an den fränkischen Hof (1226 Goldene Bulle von Rimini, 1356
→Goldene Bulle Karls IV.). In der B. Unam sanctam begründet Papst Bonifaz
VIIII. einen Anspruch des Papstes auf Universalherrschaft auch in weltlichen
Angelegenheiten (Es ist zum Heile für jedes menschliche Wesen durchaus
unerlässlich, dem römischen Papst unterworfen zu sein).
Lit.: Eitel, A., Über Blei- und Goldbullen im Mittelalter,
1912; Ewald, W., Siegelkunde, 1914; Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. 1356,
bearb. v. Müller, K., 1970; Frenz, T., Papsturkunden, 2. A. 2000; Stieldorf,
A., Basiswissen Siegelkunde, 2004
Bund ist
die (gewollte) Verbindung von Menschen zu einer übergeordneten Einheit.
Politisch bedeutsam ist beispielsweise der →Deutsche B. Im Bundesstaat
kann auch der Gesamtstaat als B. bezeichnet werden.
Lit.: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972, 582; Bünde
- Städte - Gemeinden, hg. v. Freitag, W. u. a., 2009
Bundesakte →Deutsche
Bundesakte
Bundesarbeitsgericht ist das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland in
arbeitsrechtlichen Streitigkeiten mit Sitz in Kassel bzw. Erfurt (1996).
Lit.: 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, hg. v. Gamillscheg, F.
u. a., 1975; Grunsky, W., Arbeitsgerichtsgesetz, 6. A. 1990; 50 Jahre Bundesarbeitsgericht,
hg. v. Oetker, H. u. a., 2004
Bundesexekution ist im Deutschen Bund die Ausführung der Bundesakte, der
Bundesbeschlüsse und gerichtlicher und gerichtsähnlicher Entscheidungen durch
den Deutschen Bund gegenüber einem Bundesglied (z. B. 1830 gegen Braunschweig,
1834 gegen Frankfurt, 1864 gegen Dänemark sowie formlos 1866 gegen Preußen).
Bundesfinanzhof ist seit 1950 das oberste Gericht der Bundesrepublik
Deutschland in Finanzstreitigkeiten mit Sitz in München. Der B. ist Nachfolger
des zum 1. 10. 1918 eingerichteten Reichsfinanzhofes.
Lit.: Offerhaus, K., Der Bundesfinanzhof, 3. A. 1993; 60
Jahre Bundesfinanzhof, hg. v. Bundesfinanzhof, 2010
Bundesgerichtshof ist seit 1. 10. 1950 als Nachfolger des Reichsgerichts das
oberste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik
Deutschland mit Sitz (nicht wie von der Regierung Konrad Adenauer gewünscht in
Köln, sondern) in Karlsruhe (Präsidenten 1950 Hermann Weinkauff, [zwischen 1954
und 1964 mehr als 70 Prozent aus der Zeit vor 1945 übernommene Richter und
Staatsanwälte,] 1960 Bruno Heusinger, 1968 Robert Fischer, 1977 Gerd Pfeiffer,
1988 Walter Odersky 1996 Karlmann Geiß, 2000 Günther Hirsch. 2008 Klaus
Tolksdorf). Wichtige Entscheidungen betreffen die Strafbarkeit der Kuppelei,
die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die Anerkennung der
finalen Handlungslehre, die Anerkennung des Anwartschaftsrechts und des
Sicherungseigentums, die Anerkennung der Produzentenhaftung).
Lit.: Möhring, P., 25 Jahre
Bundesgerichtshof, NJW 1975, 1820; 25 Jahre Bundesgerichtshof, hg. v.
Krüger-Nieland, G., 1975; Otto, J., Bibliothek des Bundesgerichtshofs,
1996 (rund 475000 Bände); Pieper, K., Palais im Park, 1999; Medicus, D.,
Entscheidungen des BGH als Marksteine für die Entwicklung des allgemeinen
Zivilrechts, NJW 2000, 2921; Die Praxis des Bundesgerichtshofes im deutschen Rechtsleben,
hg. v. Canaris, C. u. a., Bd. 1ff. 2000; Schubert, W./Glöckner, H., Vom
Reichsgericht zum Bundesgerichtshof, NJW 2000, 2971; Fortitudo temperantia -
Die Rechtsanwälte am Reichsgericht und beim Bundesgerichtshof, hg. v. d. Verein
der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte, 2000; Geiß, K., Fünfzig
Jahre Bundesgerichtshof, 2001; Ohe, A. v. d., Das Gesellschaftsbild des Bundesgerichtshofs,
2010
Bundesgerichtshof (in Österreich) ist das ab 15. 7. 1934 den Verfassungsgerichtshof und
den Verwaltungsgerichtshof ersetzende Gericht, das 1938 durch den Anschluss
seine verfassungsgerichtliche Zuständigkeit verliert, durch Verordnung vom 11.
1. 1940 in Verwaltungsgerichtshof in Wien umbenannt wird und 1941 im
Reichsverwaltungsgericht (bis 1945) aufgeht.
Bundesgesetzblatt ist das Gesetzblatt für Bundesgesetze (z. B. in Deutschland oder in
Österreich).
Bundesintervention ist im Deutschen Bund (1815-1866) die Möglichkeit des Eingreifens des
Bundes in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedstaats zur Wahrung der
inneren Sicherheit auf Ersuchen oder bei Handlungsunfähigkeit der Regierung.
Bundeskanzler ist der politische Führer der Regierung in Deutschland (1949,
Richtlinienkompetenz) und Österreich (1920, seit 1929 durch Bundespräsidenten
ernannt) sowie die Amtsbezeichnung Otto von Bismarcks im Nordeutschen Bund (von
1867 bis 1870/1871).
Lit.:
Die Bundeskanzler und ihre Ämter, hg. v. d. Stiftung Haus der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland u. a., 2006
Bundeskartellamt ist das 1957 in Deutschland
gegründete Bundesamt für Kartellangelegenheiten.
Lit.: 50 Jahre Bundeskartellamt,
2007
Bundesoberhandelsgericht ist das für Handelssachen durch Gesetz des Norddeutschen
Bundes vom 12. 6. 1869 gegründete und in Leipzig eingerichtete, nationalliberal
besetzte Gericht (Präsident Heinrich Eduard Pape 1816-1888). 1871 wird es zum
auch die süddeutschen Staaten erfassenden Reichsoberhandelsgericht, das 1879 im
→Reichsgericht aufgeht.
Lit.: Köbler, DRG 195; Behrend, J., Das
Bundesoberhandelsgericht, Z. f. Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen, 3,
200; Müller, K., Der Hüter des Rechts, 1997; Weiss, A., Die Entscheidungen des
Reichsoberhandelsgerichts in Strafsachen, 1997; Winkler, S., Das
Bundesoberhandelsgericht und das spätere Reichsoberhandelsgericht, 2001; Henne,
T., Rechtsharmonisierung durch das „Reichsgericht“ in den 1870er Jahren, 2005
Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt in Deutschland (1949, Wahl durch
besondere Bundesversammlung) und Österreich (1920, Wahl durch den Nationalrat,
seit 1929 Wahl durch das Volk).
Bundesrat ist
(von 1867 bis 1870/1871 im →Norddeutschen Bund [eigentlich eher ein
Fürstenhaus] und) im Deutschen Reich von 1871 das die Mitwirkung der
Einzelstaaten am Bundesgeschehen ermöglichende Organ, das als Träger der
obersten Gewalt den Gesamtstaat als Einheit repräsentiert (Staatenhaus der
gescheiterten Reichsverfassung von 1848/1849). Von seinen 58 Stimmen entfallen
17 auf Preußen (Möglichkeit der Verhinderung jeder Verfassungsänderung), 24
auf 7 mittlere Staaten und je eine auf die übrigen 17 Länder. Mit dem →Reichstag
erlässt der B. Gesetze. Im Februar 1919 wird dieser B. durch den
Staatenausschuss und vom August 1919 an durch den Reichsrat ersetzt, der 1934
aufgelöst wird. Auch die Bundesrepublik Deutschland kennt einen B. als
(weisungsgebundene) Vertretung der (11 bzw. 1990) 16 Länder, ebenso Österreich
(Art. 24 Bundes-Verfassungsgesetz, mindestens drei Mitglieder für jedes
Bundesland, Abstimmung regelmäßig nach Parteizugehörigkeit, bei Berührung von
Länderinteressen absolutes Vetrorecht gegenüber Beschlüssen des Nationalrats).
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 174, 195, 220, 248,
257; Reincke, H., Der alte Reichstag und der neue Bundesrat, 1906; Maunz, T.,
Der Bundesrat in Vergangenheit und Gegenwart, Hist. Jb. 74 (1955), 446; Ziller,
G. u. a., Der Bundesrat, 10. A. 1998; Der Bundesrat, hg. v. Bundesrat, 1974;
Scholl, Udo, Der Bundesrat in der deutschen Verfassungsentwicklung, 1982;
Vierzig Jahre Bundesrat, hg. v. Bundesrat, 1989; Klein, E., Die Rolle des
Bundesrates und der Länder, 1998
Bundesrecht ist
das vom Bund der Bundesrepublik Deutschland geschaffene bzw. übernommene Recht,
im weiteren Sinn das Recht jeden Bundes.
Lit.: Zachariä, H., Deutsches Staats- und Bundesrecht, Bd.
1f. 3. A. 1867; Bluntschli, J., Geschichte des schweizerischen Bundesrechts,
1875
Bundesregierung ist die Regierung eines Bundesstaats.
Lit.: Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, hg. v.
Booms, H., 1953ff.; Die Mitglieder der Bundesregierungen, hg. v. Kempf, U. u.
a., 2000; Kanzler und Minister 1949-1998, hg. v. Kempf, U., 2001
Bundesrepublik ist die föderalistische Republik (z. B. Österreich,
Deutschland).
Bundesrepublik
Deutschland ist der nach der Niederlage
der Achsenmächte Deutsches Reich, Italien und Japan gegen die Alliierten
(Vereinigte Staaten von Amerika, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich)
im zweiten Weltkrieg (8. Mai 1945 Kapitulation des deutschen Reichs), nach der Wiederverselbständigung
des sich 1938 an das Deutsche Reich anschließenden Österreich und nach der
Einteilung des Deutschen Reichs in vier Besatzungszonen aus den Besatzungszonen
der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs über die
Bizone der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens (1946 bzw. 1. 1.
1947) und die Trizone (einschließlich der Besatzungszone Frankreichs 8. 4. 1948)
auf Grund einer Londoner Konferenz 1949 gebildete deutsche Bundesstaat mit
(1948) den Ländern Baden (bis 1951/1952), Württemberg (bis 1951/1952, dann
Baden-Württemberg), Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen,
Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und (West-Berlin sowie ab 1. 1. 1957)
Saarland und (ab 1990) (Berlin,) Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen,
Sachsen-Anhalt sowie Thüringen. Seine Verfassung ist das auf Aufforderung der
westlichen Besatzungsmächte (über die Ministerpräsidenten der westlichen
Länder) von einem Verfassungskonvent in Herrenchiemsee (1948) und einem
parlamentarischen Rat (ab 1. 9. 1948) erarbeitete, am 23. 5. 1949 verkündete
Grundgesetz., dem gegenüber ein Besatzungsstatut wichtige Bereiche den
Besatzungsmächten vorbehält (eingeschränkt durch Deutschlandvertrag von 1955,
beendet 1990). Auf Grund des Gewichts des Verhältniswahlrechts im gemischten
Wahlrechtssystem stehen sich Bundesregierung und Koaltionsparteien einerseits
und Oppositionsparteien andererseits gegenüber. Jedes Gesetz kann vom Bundesverfassungsgericht
auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft werden. Seit 1951 verbindet sich die
B. mit Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg sowie
später weiteren europäischen Staaten zu europäischen Gemeinschaften (für
Kohle und Stahl, 1957 für Atomwesen und Wirtschaft), zur Europäischen Gemeinschaft
bzw. zur Europäischen Union. Nach dem Grundlagenvertrag vom 21. 12. 1972
treten B. D. und Deutsche Demokratische Republik 1973 den Vereinten Nationen
bei. Am 3. 10 1990 tritt die.Deutsche Demokratische Republik auf Grund (des Vertrags
über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. 5.
1990 und) des Einigungsvertrags vom 31. 8. 1990 der B. bei. Die Übertragung des
bundesdeutschen Sozialstaats auf die neuen Bundesländer ist alternativlos,
verschärft aber die latente Krise des Sozialstaats, Die Finanzierung belastet
besonders die unteren und mittleren Bevölkerungsschichten. Die sozialpolitisch
begründete Erhöhung der Entgelte verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit. Innerhalb
der B. wird das Recht vielfach verändert.
Lit.:
Schwarz, H., Vom Reich zur Bundesrepublik, 1966; Akten zur Vorgeschichte der
Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1ff. 1976ff.; Bewegt von der Hoffnung aller
Deutschen, hg. v. Benz, W., 1979; Rupp, H., Politische Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland, 1979, 4. A. 2009; Roßnagel, A., Die Änderungen des
Grundgesetzes, 1981; Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Bracher,
K., Bd. 1ff. 1982ff.; Benz, W., Von der Besatzungsherrschaft zur
Bundesrepublik, 1984; Morsey, R., Die Bundesrepublik Deutschland, 4. A. 2000;
Schröder, J., 40 Jahre Rechtspolitik im freiheitlichen Rechtsstaat, 1989; 40
Jahre Bundesrepublik, hg. v. Nörr, K, 1990; Thränhardt, D., Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland, 2. A. 1996; Kröger, K., Einführung in die
Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 1993; Geschichte der
deutschen Einheit, Bd. 1ff. 1997ff.; Birke, A., Die Bundesrepublik Deutschland,
1997, 2. A. 2011; Ritter, G., Über Deutschland, 1998; Schäfer, J., Deutsche
Geschichte (CD-ROM), 1998; ZEIT-Geschichte der Bonner Republik, hg. v. Dönhoff,
M. u. a., 1999; Görtemaker, M., Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
1999; Nörr, K., Die Republik der Wirtschaft, Teil 1 1999, Teil 2 2007; Fünfzig
Jahre Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Conze, E. u. a., 1999; Frei, N.,
Vergangenheitspolitik, 1999; Baring, A., Es lebe die Republik, 1999; Dippel,
H., Die Konstitutionalisierung des Bundesstaats, (in) Der Staat, 1999, 221;
Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55. Ein Handbuch, hg. v. Benz,
Wolfgang, 1999; Rupp, K., Politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
3. A. 2000; Kielmannsegg, P. Graf, Nach der Katastrophe, 2000; Recker, M.,
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 2002; Utz, F., Preuße, Protestant,
Pragmatiker - Der Staatssekretär Walter Strauß und sein Staat, 2003; Rödder,
A., Die Bundesrepublik Deutschland 1969-1990, 2004; Die Bundesrepublik
Deutschland. Staatshandbuch, 2003; Wolfrum, E., Die Bundesrepublik Deutschland
(1949-1990), 2005; Book, A., Die Justizreform in der Frühzeit der
Bundesrepublik, 2005; Lappenküper, U., Die Außenpolitik der Bundesrepublik
Deutschland 1949 bis 1990, 2008; Ipsen, J., Der Staat der Mitte, 2009; Bevers,
J., Der Mann hinter Adenauer, 2009 Ritter, G., Wir sind das Volk, 2009;
Weizsäcker, R., Der Weg zur Einheit, 2009; Benz, W., Auftrag Demokratie, 2009; Pierson,
T., 1968 und das Recht, ZRG 128 (2011), 391; Gehler, M., Deutschland, 2010;
Hesse, E., Systemwechsel in Deutschland, 2010; Rechtsentwicklungen im vereinten
Deutschland, hg. v. Weiß, N., 2011; Staat und Recht in Teilung und Einheit, hg.
v. Krüper, J. u. a., 2011; Fichtner, T.
u. a. Dutschkes Deutschland, 2011; Herold, M., Die rechtliche Entstehung der
Bundesländer, 2012; Rigoll, D., Staatsschutz in Westdeutschland, 2013; Michels,
E., Guillaume, der Spion, 2013; Wolfrum, E., Rot-Grün an der Macht. Deutschland
1998-2005, 2013; Wiegeshoff, A., Wir müssen alle etwas umlernen, 2013; Die
Rosenburg - Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit, hg. v.
Görtemaker, M. u. a., 2013, 2. A. 2013; Koerfer, D., Diplomatenjagd, 2013
Bundessozialgericht ist das am 11. 9. 1954 eröffnete oberste Gericht der
Sozialgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Kassel.
Bundessozialhilfegesetz s. Sozialhilfe
Bundesstaat ist
der Zusammenschluss (Bund) von Staaten zu einem neuen Staat (z. B. [Vorformen
Städtebünde, Heiliges römisches Reich, holländische Generalstaaten, theoretische
Begründung durch Althusius [1563-1638], Leibniz [1646-1717], Vereinigte Staaten
von Amerika 1787, Schweiz 1848, Norddeutscher Bund 1867, Deutsches Reich 1871, Österreich
1920, Russland). Die staatlichen Aufgaben, Rechte und Pflichten sind jeweils
zwischen Gesamtstaat (Oberstaat) und Gliedstaaten (z. B. Bundesland, Kanton,
Land) aufgeteilt. Nach dem Subsidiaritätsprinzip hat die kleinere Einheit
grundsätzlich den Vorrang vor der größern Einheit. Die Gliedstaaten sind zwar
Staaten, haben aber nur in den von der Verfassung eingeräumten Ausnahmefällen
Souveränität. Gegensatz des Bundesstaats ist der Einheitsstaat (z. B. Frankreich,
Italien, Ungarn, Österreich 1862-1918, Deutsches Reich 1933-1945), doch nähern
sich beide in der Wirklichkeit einander an (z. B. Österreich stärker
zentralisiert).
Lit.: Grzeszick, B., Vom Reich zur Bundesstaatsidee, 1996;
Holste, H., Der deutsche Bundesstaat im Wandel (1867-1933), 2002; Baier, C.,
Bundesstat und europäische Integration, 2006; Fassbender, B., Der offene
Bundesstaat, 2007; Brandt, P., Mit anderen Augen, 2013
Bundestag ist
allgemein die Versammlung der Mitglieder eines Bundes (z. B. Deutscher Bund
1815-1866 in Frankfurt am Main), insbesondere das Parlament der Bundesrepublik
Deutschland (1949ff.), aber auch Österreichs zwischen 1934 und 1938.
Lit.: Schäfer, W., Der Bundestag, 4. A. 1982; Vierzig Jahre
Deutscher Bundestag, hg. v. Neske, G., 1989; Ismayr, W., Der deutsche
Bundestag, 1992; Die Mitglieder des Deutschen Bundestages, 1998; Der Deutsche
Bundestag 1949-1999, hg. v. Deutschen Bundestag, 1999; Schindler, P.,
Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, 1949–1999, 1999; Reker,
S., der Deutsche Bundestag, 1999; M. d. B. Volksvertretung im Wiederaufbau
1946-1961, hg. v. Schumacher, M., 2000; Biographisches Handbuch der Mitglieder
des deutschen Bundestages 1949-2002, hg. v. Vierhaus, R. u. a., 2002f.; Becker,
M., Max von Seydel und die Bundesstaatstheorie des Kaiserreichs, 2009
Bundesverfassungsgericht ist das nach dem vorangehenden Verfassungsgerichtshof
Bayerns am 7. 9. 1951 mit Sitz in Karlsruhe errichtete Verfassungsgericht (des
Bundes) der Bundesrepublik Deutschland (bis 2001 132000 Verfahren, davon 127000
Verfassungsbeschwerden).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 257, 261; Schlaich,
K./Korioth, S., Das Bundesverfassungsgericht, 6. A. 2004, 7. A. 2007;
Häußler, R., Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und politischer
Führung, 1994, Neudruck 2014Haltern, U., Verfassungsgerichtsbarkeit, Demokratie
und Misstrauen, 1998; Das Bundesverfassungsgericht, hg. v. Limbach, J., 2000;
Limbach, J., Das Bundesverfassungsgericht, 2001; Limbach, J., Das
Bundesverfassungsgericht und der Grundrechtsschutz in Europa, NJW 2001, 2913;
Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, hg. v. Badura, P. u. a., 2001;
Grigoleit, K., Bundesverfassungsgericht und deutsche Frage, 2004; Wesel, U.,
Der Gang nach Karlsruhe, 2004; Das Bundesverfassungsgericht im politischen
System, hg. v. Ooyen, R. van u. a., 2006; Lembcke, O., Hüter der Verfassung,
2007; Das entgrenzte Gericht. Eine kritische Bilanz nach sechzig Jahren
Bundesverfassungsgericht, hg. v. Jestaet, M. u. a., 2011
Bundes-Verfassungsgesetz (1920) ist das von Hans Kelsen wesentlich geprägte, von der
konstituierenden Nationalversammlung beschlossene Gesetz zur Einrichtung der
Republik Österreich als Bundesstaat vom 1. Oktober 1920 (B-VG, womit die
Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird, Staatsgesetzblatt 1920,
450, authentisch kundgemacht unter BGl. 1920, 1, ohne Präambel, Staatszielbestimmungen
oder Grundrechte). 1925 wird die mittelbare Bundesverwaltung eingeführt und
werden Zuständigkeiten des Bundes erweitert. 1929 wird die unmittelbare
Volkswahl des Bundespräsidenten festgelegt. Danach wird das B. in der Fassung
von 1929 kundgemacht (BGBl. 1930, 1). 1934 wird es durch Verordnung der
Regierung Dollfuß außer Kraft gesetzt und eine neue Verfassung (Maiverfassung)
erlassen. Auf Grund des zweiten Verfassungs-Überleitungsgesetzes von 1945
(StGBl, 1945, 232) tritt es nach dem Stand vom 5. 3. 1933 wieder in Kraft. 1981
wird die Volksanwaltschaft eingefügt, 1988 der unabhängige Verwaltungssenat.
1994 wird das Bundes-Verfassungsgesetz neu gefasst.
Lit.: Die
Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, hg. i. V. m. Froelich, G./Merkl, A. v.
Kelsen H., 1922, hg. v. Walter, R., 1903, Neudruck 2010; Polaschek, M., Die
Rechtsentwicklung in der ersten Republik, 1992
Bundesversammlung ist die Versammlung von Mitgliedern eines Bundes (z. B.
Deutscher Bund 1815-1866 mit Sitz in Frankfurt am Main, Art. 38ff.
Bundes-Verfassungsgesetz Österreich, Maiverfassung 1934 Österreich in jeweils
besonderer Zusammensetzung mit jeweils besonderer Zuständigkeit). In der
Bundesrepublik Deutschland wählt eine B. den Bundespräsidenten.
Lit.: Dublin-Honegger, J., Die Anfänge der schweizerischen
Bundesversammlung, Diss. jur. Basel 1978; Moldenhauer, R., Aktenbestand und
Geschäftsverfahren der deutschen Bundesversammlung, Archival. Z. 1978, 35
Bundesverwaltungsgericht ist das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland in
Verwaltungsstreitigkeiten mit Sitz in (Berlin [1952] bzw. seit 1997) Leipzig.
Lit.: Festgabe 50 Jahre Bundesverwaltungsgericht, hg. v.
Schmidt-Aßmann, E., 2003
Bundeswehr ist das
(rund 13000 Offiziere der Wehrmacht des Deutschen Reiches übernehmende) Heer
der Bundesrepublik Deutschland seit 1955.
Lit.:
50 Jahre Bundeswehr, hg. v. Clement, R. u. a., 2005; Die Bundeswehr 1955 bis 2005,
hg. v. Nägler, Frank, 2007; Loch, T., Das Gesicht der Bundeswehr, 2008; Pauli,
F., Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr, 2009; Bundeswehr und Gedenkstätten
des NS-Unrechts, hg. v. Wrochem, O. v. u. a., 2009; Pauli, F.,
Wehrmachtsoffiziere in der Bundeswehr, 2010; Militärische Aufbaugeneration der
Bundeswehr 1955 bis 1970, hg. v. Hammerich, H. u. a., 2010; Auslandseinsätze
der Bundeswehr, hg. v. Chiari, B. u. a., 2010
Bündnis ist der politische Zusammenschluss.
Lit.: Rauch, G., Die Bündnisse deutscher Herrscher mit
Reichsangehörigen, 1966; Verosta, S., Theorie und Realität von Bündnissen, 1971;
Frehland-Wildeboer, K., Treue Freunde? Das Bündnis in Europa 1714-1914, 2010
(114 früh veröffentlichteVertragstexte)
Bündnisrecht ist
das Recht, Bündnisse mit anderen einzugehen. Ursprünglich jedem Inhaber
herrschaftlicher Gewalt offen, wird es in England und Frankreich durch den
Staat beseitigt. Im deutschen Reich eröffnen es die Goldene Bulle (1356) und
der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück (1648) für die Reichsstände,
sofern es sich nicht gegen Kaiser und Reich richtet. Im →Deutschen Bund
ist es nur durch die Verpflichtung beschränkt, die Sicherheit des Bundes oder
einzelner seiner Glieder nicht zu beeinträchtigen. Allmählich engt sich in der
späteren Neuzeit das B. auf souveräne Staaten ein.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Bezold, F. v., Das Bündnisrecht,
1904; Böckenförde, E., Der Westfälische Friede und das Bündnisrecht der
Reichsstände, Der Staat 8 (1969), 449
Bundschuh →Bauernkrieg
Bunge,
Friedrich Georg von (Kiew 13. 3.1802-Wiesbaden 9. 4. 1897) begründet als
Professor für Provinzialrecht in Dorpat (1831, 1840 entlassen, Stadtsyndikus
Revals, 1864 Gotha) die baltische Rechtsgeschichte und bearbeitet den 1864
veröffentlichten, zu mehr als der Hälfte römischrechtlich geprägten Band 3 des
Provinzialrechts der Ostseegouvernements Russlands (Liv-, Est- und
Curländisches Privatrecht), der in Lettland bis 1937 und in Estland bis 1945
als Zivilgesetzbuch gilt.
Lit.: Recke, J./Napiersky, C., Allgemeines Schriftsteller-
und Gelehrtenlexikon, 1827, 303, 1859, 112; Küpper, H., Einführung in die
Rechtsgeschichte Osteuropas, 2005
Burchard von Ursberg
Lit.: Wulz, W., Der spätstaufische
Geschichtsschreiber Burchard von Ursberg, 1982
Burchard von Worms
(965-Worms 20. 8. 1025), aus dem Hause der Grafen von Reichenbach-Ziegenhain
(Güter bei Fritzlar und Frankenberg?), wird nach seiner Erziehung in Koblenz
aus der Nähe Erzbischof Willigis’ von Mainz durch Kaiser Otto III. 1000 Bischof
von Worms. Sein wohl zwischen 1008 und 1012 verfasstes, eigenständige Ansätze
enthaltendes Handbuch ([lat., N.] Decretum) in 20 Büchern und 1785 Kapiteln
(davon 163 noch herkunftmäßig ungeklärt, 45 Prozent der Texte gegenüber den
Vorlagen inhaltlich geändert, vor allem in den Rubriken) ist die wichtigste vorgratianische
Kanonessammlung. Sie beruht auf der (lat.) Collectio (F.) Anselmo dedicata (dem
Anselm gewidmete Sammlung), dem (lat.) Liber (M.) de synodalibus causis (Buch
über Synodalsachen) des →Regino von Prüm und einzelnen Kanones und
Dekretalen sowie Bußbüchern und Kirchenschriften. Sie stellt gegenüber den
Vorgängerarbeiten einen erheblichen Fortschritt dar und erreicht mit dem Ziel
einer durch Auswahl der Quellen (Bibel, Dekrete der Konzilien und Päpste,
Schriften siebener Kirchenväter, 3 Bußbücher) in sich konsistenten widerspruchsfreien
Sammlung autoritativer Texte für die kirchenrechtliche Praxis die Schwelle zu
wissenschaftlicher Kanonistik. Burchards (lat.) Lex (F.) familiae Sancti Petri
(1023-1025) ist ein frühes Beispiel eines grundherrschaftlichen Hofrechts.
Lit.: Meyer, G., Überlieferung und
Verbreitung des Dekrets des Bischofs Burchard von Worms, ZRG KA 55 (1935), 141;
Theuerkauf, G., Frühmittelalterliche Studien, Bd. 2, 1968; Metz, W., Zur
Herkunft und Verwandtschaft, Hess. Jb. f. Landesgeschichte 26 (1976), 27ff.;
Kerner, M., Studien zum Dekret des Bischofs Burchard von Worms, Diss. phil. Aachen
1971; Hoffmann, H./Pokorny, R., Das Dekret, 1991; Bischof Burchard von Worms
1000-1025, hg. v. Hartmann, W., 2000; Corbet, P., Autour de Burchard de Worms,
2001; Bischof Burchard I, in seiner Zeit, hg. v. Müller, T. u. a., 2001;
Austin, G., Law, Theology and „Forgery“ around the year 1000, 2005; Austin, G.,
Shaping Church Law around the Year 1000, 2009
Burg ist
der befestigte Ort, der anfangs wohl nur der Zuflucht dient (Fluchtburg). Im
Frühmittelalter wird auch die antike Stadt oder das Kastell als B. bezeichnet.
Vielleicht nach deren Vorbild entstehen an vielen Stellen (vor allem im 12. und
13. Jh.) Burgen, von denen nur ein Teil auch urkundlich belegt ist. Wohl seit
dem 11. Jh. sondern sich B. (mit Graben, Wall, Ringmauer, Turm, Tor und
Wohnbauten wie Kemenate oder Palas) und Stadt. Seit dem 15. Jh. bzw. in der
Neuzeit ersetzt der Adel die B. durch das Schloss oder auch die Festung. In der
Gegenwart sind 50 Prozent aller namentlich bekannten mitteleuropäischen Burgen
verschwunden, vom Restbestand drei Viertel nur noch Ruinen.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG
68, 79, 96; Merz, W., Mittelalterliche Burganlagen und Wehrbauten des Kantons
Aargau, 1906; Koehne, C., Mühlenbann und Burgenbau, ZRG GA 28 (1907), 63;
Fischer, H., Burgbezirk und Stadtgebiet im deutschen Süden, (1956); Burgen,
Schlösser und Burgherrengeschlechter der Ostschweiz, hg. v. Meili, H., 1970;
Jäschke, K., Burgenbau und Landesverteidigung um 900, 1975; Die Burgen im deutschen Sprachraum,
hg. v. Patze, H., 1976; Binding, G. u. a., Burg, Lexikon des Mittelalters, Bd.
2 1983, 927; Streich, G., Burg und Kirche, 1984; Allen Brown, R., Castles,
Conquest & Charters, 1989; Biller, T., Die Adelsburg in Deutschland, 1993,
2. A. 1998; Burg – Burgstadt - Stadt, 1994; Burgen im Spiegel der
Überlieferung, hg. v. Ehmer, H., 1998; Burgen in Mitteleuropa, hg. v. Böhme, H.
u. a., 1999; Spazier, I., Mittelalterliche Burgen zwischen mittlerer Elbe und
Bober, 1999; Pfälzisches Burgenlexikon, hg. v. Keddigkeit, J. u. a., Bd. 1
1999; Krahe, F., Burgen und Wohntürme, 2002; Böhme, H. u. a., Wörterbuch der
Burgen, Schlösser und Festungen, 2004; Zur Sozial- und Kulturgeschichte der
mittelalterlichen Burg, hg. v. Clemens, L. u. a., 2009; Die Burg, hg. v.
Großmann, G., 2010; Befestigungen und Burgen am Rhein, hg. v. Felten, F., 2011;
Burgen Perspektiven, hg. v. Südtiriler Burgeninstitut, 2013; Großmann, U., Die
Welt der Burgen, 2013
Burg (Stadt nordwestlich Magdeburgs,
bäuerlich-ländliches Landrecht [burges lantrecht, Erbrecht, Ehegüterrecht,
Sachenrecht, Friedensrecht, Verfahrensrecht] auf elf Seiten in einer
mittelniederdeutsch-elbostfälisch gehaltenen Sammelhandschrift des frühen 15. Jahrhunderts
[1310-1330] überliefert, vielleicht auf flämischen Siedlern des 12. Jh.s
beruhend)
Lit.: Das Burger Landrecht hg. v.
Markmann F. u. a., 1938; Zimmer, K., Das Burger Landrecht, 2003
Bürge (Wort um 750 belegt) ist, wer sich durch Vertrag mit einem Gläubiger eines
Dritten verpflichtet, dem Gläubiger gegenüber für die Erfüllung der
Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. Das Rechtssprichwort Bürgen muss man
würgen, aber nicht an den Leib reden, bringt zum Ausdruck, dass nach römischem
Recht der Bürge zwar haften muss, aber bei Nichtleistung von Strafen verschont
bleiben soll. →Bürgschaft
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 44, 74, 128;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Burgenland ist
das ursprünglich meist zu Ungarn gehörige, seit dem 11. Jh. zunehmend von
Deutschen besiedelte, durch viele Burgen gekennzeichnete Gebiet
(Deutsch-Westungarn mit Pressburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg) an der
Grenze zwischen Österreich und Ungarn, das 1919 (trotz Widerstands Ungarns)
(ohne Ödenburg/Sopron [Mehrheit von 64 Prozent für Verbleib]) →Österreich
als Bundesland zugesprochen, im November von Ungarn 1921 besetzt, aber dann
kampflos zurückgegeben wird (1939-1945 zwischen Niederdonau/Niederösterreich
und Steiermark aufgeteilt).
Lit.: Urkundenbuch des Burgenlandes, Bd. 1ff. 1955ff.;
Burgenland 1938, 1988; Ernst, A., Geschichte des Burgenlandes, 2. A. 1991
Bürger ist
der Bewohner der →Stadt. Ihm entspricht lateinisch vor allem civis (M.),
das ursprünglich hauptsächlich den Angehörigen des römischen Volkes im
Gegensatz zum Nichtrömer und zum Sklaven meint. Im deutschen Frühmittelalter
engt sich der weitere Begriff des ahd. burgari, Burgbewohner, wohl seit dem
11. Jh. auf den B. ein. Er hat →Bürgerrecht und ist trotz unterschiedlicher
ständischer Herkunft meist oder grundsätzlich frei (Stadtluft macht frei), wenn
auch seiner Stadt verpflichtet. In der Neuzeit wird B. dagegen jeder, der nicht
zum Adel oder zu den Bauern gezählt wird (Preußen 1794, II, 8, § 1). Er ist der
Vorläufer des modernen Staatsbürgers.
Lit.: Maurer, G., Geschichte
der Städteverfassung in Deutschland, Bd. 2 1879, 191ff.; Goerlitz, T., Die Haftung des Bürgers und Einwohners für
Schulden der Stadt und ihrer Bewohner nach Magdeburger Recht, ZRG GA 56 (1936),
150; Planitz, H., Die deutsche Stadt im Mittelalter, 1954, 5. A. 1980, 251ff.;
Ebel, W., Der Bürgereid, 1958; Struck, W., Die Neubürger von Großalsleben
1604-1874, 1962; Köbler, G., Civis und ius civile im deutschen Frühmittelalter,
Diss. jur. Göttingen 1964; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972, 672;
Felser, R., Herkunft und soziale Schichtung der Bürgerschaft obersteirischer
Städte und Märkte, 1977; Über Bürger, Stadt und städtische Literatur im
Spätmittelalter, hg. v. Fleckenstein, J. u. a., 1980; Res publica, Bürgerschaft
in Stadt und Staat, hg. v. Dilcher, G., 1988; Bürgertum im 19. Jahrhundert, hg.
v. Kocka, J., 1995; Dilcher, G., Bürgerrecht und Stadtverfassung, 1996;
Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung, hg. v. Gall, L., 1997; Ruppert, K.,
Bürgertum und staatliche Macht in Deutschland zwischen französischer und
deutscher Revolution, 1997; Haupt, H./Crossick, G., Die Kleinbürger, 1998;
Reidegeld, E., Bürgerschaftsregelungen, Freizügigkeit, Gewerbeordnung und
Armenpflege, ZRG 116 (1999), 87; Sozial- und Kulturgeschichte des Bürgertums,
hg. v. Lundgreen, P., 2001; Neubürger im späten Mittelalter, hg. v. Schwinges,
R. u. a., 2002; Bürgertum in Thüringen, hg. v. Hahn, H. u. a., 2001; Lässig,
S., Jüdische Wege ins Bürgertum, 2004; Schulz, A., Lebenswelt und Kultur des
Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert, 2005; Roeck, B., Lebenswelt und Kultur
des Bürgertums in der frühen Neuzeit, 2. A. 2010; Bürgertum nach dem
bürgerlichen Zeitalter, hg. v. Budde, G. u. a., 2010;
Bürgerbuch ist
das die →Bürger der mittelalterlichen Stadt verzeichnende, älteren Listen
folgende →Buch (z. B. Köln 1130-1140, Rostock 1258, Lübeck 1259,
insgesamt 228 Bürgerbücher aus dem deutschen Reich bekannt, dazu 82
Bürgerlisten).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Andernacht, D./Stamm, O., Die
Bürgerbücher der Reichsstadt Frankfurt, 1955; Das älteste Bürgerbuch der Stadt
Soest, hg. v. Rothert, H., 1958; Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung,
hg. v. Ribbe, W., 12. A. 2001, 186ff.; Neubürger im späten Mittelalter, hg. v.
Schwinges, R., 2002; Morita, N., Wie wurde man Stadtbürger?, 2008
Bürgerlehen ist
das →Lehen eines →Bürgers. Es entsteht meist durch Verkauf durch
den Adel. Der älteste Beleg für das B. reicht bis in das 11. Jh. (Regensburg
1072/1073). Bis in das 15. Jh. nimmt die Zahl der B. zu, dann infolge des
Widerstands des landständigen Adels ab. Zumindest im Nordosten des Heiligen römischen
Reiches scheint das B. dem ritterlichen Lehen nicht völlig gleichwertig
gestellt zu sein. Die in der Neuzeit noch bestehenden B. gleichen sich an Miete
und Pacht an.
Lit.: Frensdorff, F., Die Lehnsfähigkeit der Bürger, 1895;
Grabscheid, D., Die Bürgerlehen im altdeutschen Reichsgebiet, Diss. phil.
Frankfurt am Main 1957; Krieger, K., Die Lehnshoheit der deutschen Könige im
Spätmittelalter, 1979; Schwarz, U., Bürgerlehen und adlige Lehen der Herzöge
von Braunschweig-Grubenhagen, Braunschweigisches Jahrbuch 66 (1985), 9ff.
Bürgerlicher Tod ist
der rechtliche Tod (zivile Tod, fingierte Tod, lat. mors ([F.] civilis,
Johannes Teutonicus, Glosse mortuus zu C 16 q. 1 c. 8) im Gegensatz zum
natürlichen Tod. Er bewirkt den Verlust der bürgerlichen Rechtsfähigkeit
(Fähigkeit, Eigentümer zu sein, eine Ehe einzugehen oder aufrechtzuerhalten, zu
schenken, zu testieren, Vormund zu sein, Zeuge zu sein u. s. w.). Er ist wohl
aus unterschiedlichen Wurzeln (Acht, Exkommunikation, Infamie) entstanden (16.
Jh. mort civile als Bezeichnung bestimmter Kapitalstrafen mit Bürgerrechtsverlust).
Im 17. Jh. ist er die Folge des Gerichtsungehorsams, im 18. Jh. die Folge
jedes Urteils auf Todesstrafe und vieler lebenslänglicher Strafen (vgl. § 7
StGB Bayern 1813). In der Mitte des 19. Jh.s tritt der bürgerliche Tod zurück
(Bayern 1849, Preußen 1850, Frankreich 1854). Ähnliche Folgen wie der
bürgerliche Tod zieht zeitweise auch die Ablegung des klösterlichen
Armutsgelübdes (Klostertod) nach sich.
Lit.: Hübner 56; Weithase, F., Über den bürgerlichen Tod
als Straffolge, Diss. jur. Berlin (FU) 1966; Borgmann, B., Mors civilis, 1969;
Borgmann, B., Mors civilis, Ius commune 4 (1972), 81; Hubmann, V., L’image de
la mort, 1990
Bürgerliches Gesetzbuch
(Wort 1786, bürgerliches Recht 1349, bürgerlich 1338) ist allgemein das vom
politischen Bürgertum im 18. Jh. zur gesetzlichen Regelung des Privatrechts
geforderte Gesetzbuch. Es wird in Frankreich 1804 (Code civil), in Österreich
1811/1812 (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) und in Sachsen 1863
(Bürgerliches Gesetzbuch) verwirklicht, während es andernorts nur zu Entwürfen
kommt (Preußen 1842, Hessen-Darmstadt 1842, Bayern 1861/1864). In Deutschland
erreichen nach vergeblichen Gesetzgebungsanträgen der Jahre 1867-1872 die
nationalliberalen Abgeordneten Miquel und Lasker am 20. 12. 1873 ([lat.] lex
Miquel-Lasker), dass die Gesetzgebungszuständigkeit des Deutschen Reiches vom
Schuldrecht auf das gesamte bürgerliche Recht (sowie das gerichtliche
Verfahren) ausgedehnt wird. Auf ein Gutachten des Handelsrechtlers Goldschmidt
und den Vorschlag einer später sog. Vorkommission (28. 2. 1874, Levin
Goldschmidt, Franz Philipp von Kübel, Anton von Weber, Hermann von Schelling)
vom 15. 4. 1874 wird eine (erste) Kommission (17. 9. 1874) mit 11 Mitgliedern
(Eduard Pape Vorsitzender, Albert Gebhard Allgemeiner Teil, Franz von Kübel
Schuldrecht, Reinhold Johow Sachenrecht, Gottfried Planck Familienrecht,
Gottfried von Schmitt Erbrecht, Gustav Derscheid, Karl Kurlbaum, Anton von
Weber, Paul von Roth, Bernhard Windscheid [bis 1883]) eingesetzt. Seit 1. 10.
1881 berät sie Teilentwürfe. Ihr am 27. 12. 1887 mit Motiven vorgelegter, 1888
veröffentlichter Entwurf wird von verschiedenen Seiten (u. a. Anton Menger,
Otto von Gierke) vor allem als zu wenig volkstümlich und zu wenig sozial
angegriffen (insgesamt rund 700 Beiträge). Daraufhin wird nach Vorbereitung
durch eine interne Vorkommission des Reichsjustizamts 1890 eine zweite Kommission
(25 Juristen, u. a. Gottlieb Planck, Karl von Jacubezky, Alexander Achilles,
Heinrich Börner, Hermann Struckmann, Arbeitsbeginn 1. 4. 1891) mit der Umarbeitung
beauftragt, die nach einigen Veränderungen 1895 den zweiten Entwurf mit
Protokollen dem Bundesrat vorlegt. Der nach Umarbeitung durch das
Reichsjustizamt 1896 im Reichstag mit einer Denkschrift eingebrachte dritte
Entwurf wird nach drei Lesungen am 1. 7. 1896 (u. a. mit 53 der 97 Stimmen der
ihre gesellschaftspolititsch relevanten Grundlagen wahrenden konservativen
Parteien) beschlossen, am 14. 7. 1896 vom Bundesrat gebilligt, am 18. 8. 1896
ausgefertigt, am 24. 8. 1896 verkündet und zum 1. 1. 1900 in Kraft gesetzt
(2385 Paragraphen mit etwa 130000 Wörtern), wobei flankierend das Handelsgesetzbuch,
die Reichsjustizgesetze, die Grundbuchordnung und das Zwangsversteigerungsgesetz
angepasst bzw. erlassen werden. Das die Geltung des preußischen Allgemeinen
Landrechts, des Code civil und des gemeinen Rechtes in Deutschland beendende
Gesetzbuch ist ein für neue Anforderungen durchaus offenes, recht
begriffliches, ziemlich abstraktes, nach den Erscheinungsformen des subjektiven
Rechtes und vom Allgemeinen zum Besonderen fortschreitend in fünf Bücher nach
dem sog. Pandektensystem gegliedertes Erzeugnis technisch geschulter Juristen
(ohne eine einzelne überragende schöpferische Persönlichkeit). Inhaltlich
überwiegen die den bürgerlichen Kreisen angemessenen und vorteilhaften
liberalen Züge, zu denen patriarchalisch-konservative und soziale, dem Schutz
des Schwächeren dienende Elemente hinzukommen. Das Bürgerliche Gesetzbuch
beeinflusst das Privatrecht vieler Länder (Japan 1898, Schweiz 1907, Österreich
1914, 1915, 1916, China 1912, Brasilien 1916, Thailand 1925, (Türkei 1926,)
Peru 1936, Griechenland 1940/1946, Italien 1942, Frankreich, Portugal 1966).
Sein Inhalt ist inzwischen vor allem im Familienrecht erheblich verändert
(Erbbaurechtsverordnung vom 15. 1. 1919, Ehegesetz vom 6. 7. 1938, positive
Vertragsverletzung, Wegfall der Geschäftsgrundlage, Arbeitsrecht, Wohnungsmietrecht,
Verbraucherschutz, Schuldrechtsreform 2001/2002, allgemeines Persönlichkeitsrecht,
Verkehrssicherungspflichten, Wohnungseigentum, Gleichberechtigungsgesetz
18. 6. 1957, Mietrechtsänderungen, 1969 Dienstvertragsrecht, Nichtehelichengesetz
19. 8. 1969, Eherechtsreformgesetz vom 14. 6. 1976 mit Zerrüttungsprinzip,
allgemeine Geschäftsbedingungen, Reisevertrag, Betreuungsrecht, Namensrecht,
Kindschaftsrechtsreform, 1. 1. 2002 Aufnahme des Gesetzes über die allgemeinen
Geschöftsbedingungen, des Haustürgeschäftswiderrufsrechts, des Verbraucherkreditgesetzes,
des Teilzeit-Wohnrechtegesetzes und des Fernabsatzgesetzes sowie Änderung
des Leistungsstörungsrechts durch das von Richtlinien der Europäischen Union veranlasste
Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts 2001/2002).
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BGBDR18961900.htm;
Söllner §§ 1, 16, 25; Kroeschell, DRG 2, 3; Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG
181, 182, 207, 212; Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für
das deutsche Reich, Bd. 1ff. 1888; Zusammenstellung der gutachtlichen
Äußerungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, gefertigt im
Reichsjustizamt, Bd. 1ff., 1890f.; Stenographische Berichte über die
Verhandlungen des Reichstags .. 1895/1996; Protokolle der Kommission für die
zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. 1ff. 1897ff.;
Gradenwitz, O., Wörterverzeichnis zum bürgerlichen Gesetzbuche, 1902; Wieacker,
F., Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher, 1953; Gmür, R.,
Das schweizerische Zivilgesetzbuch verglichen mit dem deutschen Bürgerlichen
Gesetzbuch, 1965; Schubert, W., Die Entstehung der Vorschriften des BGB über
Besitz und Eigentumsübertragung, 1966; Brandt, D., Die politischen Parteien und
die Vorlage des Bürgerlichen Gesetzbuches im Reichstag, 1975 (Diss.); Die
Beratung des BGB in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten
Quellen, hg. v. Schubert, W. u. a., Bd. 1ff. 1978ff.; Die Vorentwürfe der
Redaktoren zum BGB, hg. v. Schubert, W., 1980ff.; Die Vorlagen der Redaktoren
für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen
Gesetzbuches, hg. v. Schubert, W., 1981ff.; Behn, M., Der Generalbericht der
badischen Kommission zur Begutachtung des Entwurfs eines Bürgerlichen
Gesetzbuches für das deutsche Reich, ZRG GA 99 (1982), 113; Caroni, P.,
Liberale Verfassung und bürgerliches Gesetzbuch im 19. Jahrhundert, 1988; John,
M., Politics and the Law in the late nineteenth century Germany. The Origins of
the Civil Code, 1989; Schroeder, K., Deutsches Recht und Bürgerliches
Gesetzbuch, ZRG GA 109 (1992), 152; Muscheler, K., Die Rolle Badens in der
Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1993; Schmoeckel, M., 100
Jahre BGB, NJW 1996, 1697; Schulte-Nölke, H., Das Reichsjustizamt und die
Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1995; Schulte-Nölke, H., Die schwere
Geburt des Bürgerlichen Gesetzbuches, NJW 1996, 1784; Knieper, R., Gesetz und
Geschichte, 1996; Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen
Gesetzbuches, hg. v. Vormbaum, T., 1996; Bürgerliches Gesetzbuch 1896-1996, hg.
v. Schlosser, H., 1997; Schubert, W., Das Bürgerliche Gesetzbuch im Urteil französischer
Juristen bis zum ersten Weltkrieg, ZRG GA 114 (1997), 128; Das deutsche
Zivilrecht 100 Jahre nach Verkündung des BGB, 1997; Kern, B., Der preußische
BGB-Entwurf von 1842, 1998; BGB-Synopse 1896-1998, hg. v. Strätz, H., 1998;
Eiffler, S., Die Feuertaufe des BGB, ZNR 1998, 238; Horn, N., Ein Jahrhundert
Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, 40; Schwab, D., Das BGB und seine Kritiker,
ZNR 22 (2000), 325ff.; Gast, B., Der Allgemeine Teil und das Schuldrecht des
Bürgerlichen Gesetzbuches im Urteil von Raymond Saleilles, 2000; Das
Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, hg. v. Falk, U. u. a., 2000; Kramer,
E., Der Einfluss des BGB auf das schweizerische und österreichische
Privatrecht, AcP 200 (2000), 365; Wolters, M., Die Zentrumspartei und die
Entstehung des BGB, 2000; Damnitz, M., Bürgerliches Recht zwischen Staat und
Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei, 2001; Dittmann, M., Das Bürgerliche
Gesetzbuch aus der Sicht des Common Law, 2001; Repgen, T., Die soziale Aufgabe
des Privatrechts, 2001; Depping, A., Das BGB als Durchgangspunkt.
Privatrechtsmethode und Privatrechtsleitbilder bei Heinrich Lehmann
(1876-1963), 2002; Das BGB im Wandel der Epochen, hg. v. Sellert, W. u. a.,
2002; Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, hg. v. Schmoeckel, M./Rückert,
J./Zimmermann, R., Bd. 1 2003; Thiessen, J., Das unsoziale BGB, 2003; Die
soziale Dimension des Zivilrechts, hg. v. Peer, G. u. a., 2004; Staudinger, J.
v., Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Eckpfeiler des Zivilrechts, 2005,
Neubearb. 2011; Symposion Hundert Jahre BGB, hg. v. Hamza, G., 2006; Hensel,
R., Jurisprudenz und Nationalökonomie, 2006; Riedel, T., Gleiches Recht für
Mann und Frau, 2008; Zrenner, P., Die konservativen Parteien und die Entstehung
des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2008; Weller, A., Die Einführung des BGB im
französischen Rechtsgebiet der preußischen Rheinprovinz, 2011; Boente, W.,
Nebeneinander und Einheit im Bürgerlichen Recht, 2013
Bürgerliches Recht (Wort
1349 belegt) ist das von den Bürgern in der Französischen Revolution (1789) als
Recht einer egalitären Gesellschaft errungene Privatrecht. Es leitet sich
sprachlich von (lat.) ius (N.) civile ab. Neben ihm steht beispielsweise das
Handelsrecht (wie in Frankreich neben dem Code civil der Code de commerce).
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Bürgermeister ist seit der Mitte des 13. Jh.s (Köln 1258, Basel 1261) der Vorsitzende
des kollegialen Verwaltungsorgans und Repräsentant der Gemeinschaft zunächst
in der →Stadt, dem ein etwas älterer lateinischer →magister (M.)
civium (Köln) bzw. magister civilis (Hildesheim-Dammstadt 1196) vorausgehen.
Der B. wird teils gewählt, teils eingesetzt. Er hat sowohl verwaltende wie auch
richterliche Aufgaben und Befugnisse. An vielen Orten gelingt ihm ein
allmählicher Ausbau seiner Stellung. Oft finden sich mehrere B. nebeneinander. →Selbstverwaltung
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 41; Köbler, DRG 111, 198; Planitz,
H., Die deutsche Stadt im Mittelalter, 1954, 5. A. 1980, 323; Rabus, K., Der
Ulmer Bürgermeister bis 1548, Diss. jur. Tübingen 1952; Rörig, W., Die
Entwicklung der rheinischen Bürgermeistereiverfassung, Diss. jur. Mainz 1957;
Stemmler, G., Die Amtskette des Bürgermeisters, 2002; Weil, F., Entmachtung im
Amt, 2004
Bürgerrecht ist
die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der →Bürger. Schon in Rom
vermittelt die in erster Linie durch Geburt erlangbare Stellung als civis (M.)
Romanus ([lat.] römischer Bürger) ein Bündel von Rechten (Stimmrecht in der
Volksversammlung, passives Wahlrecht für Ämter, Berufungsrecht gegen Todesstrafe,
gültige Ehe, Rechtsgeschäfte nach Zivilrecht, Legisaktionenverfahren) und
Pflichten (Steuerpflicht, Wehrdienstpflicht), weil nur für den civis Romanus
das römische (lat.) →ius (N.) civile gilt. In gleicher Weise sondert das
B. den Bürger zunächst der →Stadt (seit dem Hochmittelalter) aus der
Allgemeinheit aus. Der Erwerb des Bürgerrechts erfolgt dabei meist durch
Geburt, daneben durch einen besonderen Akt der Aufnahme. →Grundrecht,
Menschenrecht
Lit.: Kaser §§ 3, 13, 58; Söllner § 12; Kroeschell, DRG 1,
2; Erler, A., Bürgerrecht und Steuerpflicht, 1939, 2. A. 1963; Köbler, G.,
Civis und ius civile, Diss. jur. Göttingen 1964; Hartung, F./Commichau, G., Die
Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte, 5. A. 1985; Julen, T., Das
Bürgerrecht im Oberwallis, Diss. jur. Freiburg im Üchtland 1978; Deeters, J.,
Das Bürgerrecht der Reichsstadt Köln, ZRG GA 104 (1987), 1; Menschen- und
Bürgerrechte, hg. v. Klug, U., 1988; Dilcher, G., Bürgerrecht und
Stadtverfassung, 1996
Burgfriede ist im Hochmittelalter der in der Burg
zu wahrende Friede.
Burggraf (seit 10./11. Jh.) ist der eine Burg (und
damit anfangs auch eine Stadt) verwaltende Graf (z. B. Regensburg 970, Köln,
Mainz, Trier, Straßburg, Worms, Speyer, Utrecht, Toul, Cambrai, Augsburg,
Würzburg, Magdeburg, B. von Nürnberg).
Lit.: Rietschel, S., Das
Burggrafenamt und die hohe Gerichtsbarkeit, 1905; Peterka, O., Das
Burggrafentum in Böhmen, 1906; Brünneck, W. v., Das Burggrafenamt und
Schultheißentum in Magdeburg und Halle, 1908; Sander, P., Stadtfestungen und
Burggrafenamt im früheren Mittelalter, HV 13 (1910), 70ff.; Eckhardt, K.,
Präfekt und Burggraf, ZRG GA 46 (1926), 163; Helbig, H., Der wettinische
Ständestaat, 1955, 204
Burghausen
Lit.: Leidl, G., Rechtsgeschichte
der Stadt Burghausen an der Salzach, 1960
Burglehen ist das eine Burg betreffende Lehen, das
den Burgmann zur Burghut verpflichtet. Es findet sich vom 12. bis zum 15. Jh.
Der sich festigende Territorialstaat drängt das B. zurück.
Lit.: Klebel, E., Studien zum
mittelalterlichen Lehnswesen, 1960; Spiess, K., Lehnsrecht, Lehnspolitik und
Lehnsverwaltung, 1978
Burgrecht erscheint
seit der ersten Jahrtausendwende als Lehnübersetzung (ahd. burgreht) des
lateinischen ius (N.) civile. In Süddeutschland bezeichnet es seit 1167 eine
Landleihe zu freiem Erbzins (und in Österreich auch den Rentenkauf). Daneben
findet es sich etwas später als Benennung des →Stadtrechts und des →Bürgerrechts.
Lit.: Köbler, DRG 104; Winiarz, A., Erbleihe und Rentenkauf
in Österreich im Mittelalter, 1906; Fischer, H., Burgbezirk und Stadtgebiet im
deutschen Süden, 1956; Köbler, G., Civis und ius civile, Diss. jur. Göttingen
1964; Illichmann, E., Recht und Besitz der Bauern und Hintersassen des
Mittelalters in Österreich, 1983
Bürgschaft (Wort 950 belegt) ist der einseitig verpflichtende Vertrag zwischen einem
Gläubiger eines Dritten und einem →Bürgen, in dem sich der Bürge
gegenüber dem Gläubiger des Dritten verpflichtet, für die Erfüllung der
Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. Bei den Römern ist die B. das
wichtigste Mittel zur Sicherung einer Forderung. Vermutlich verbürgen sich
dabei (lat. [M.]) vas bzw. praes zunächst noch nicht für die Leistung des
Schuldners, sondern übernehmen nur eine Haftung dafür, den Schuldner (oder eine
Sache) zu bestimmter Zeit an bestimmtem Ort zu stellen (Gestellungsbürge). Erst
aus der Verschmelzung dieser Einrichtung mit einem Leistungsversprechen (lat.
[F.] sponsio) erwächst der (Leistungs-)Bürge (lat. [M.] adpromissor, sponsor,
fidepromissor, fideiussor [1. Jh. v. Chr.]). Die Verpflichtung des Bürgen als
eines Nebenschuldners ist vom Bestand der Hauptschuld abhängig. Für das deutsche
Recht steht ebenfalls die Herkunft der B. nicht sicher fest (Pfandrecht?,
Gestellung zwecks Vermeidung der Festnahme des Schuldners?). Im späten
Mittelalter tritt die B. gegenüber dinglichen Sicherheiten zurück. Teils haftet
der Bürge dem Gläubiger ausschließlich, teils haftet auch der Schuldner.
Verschiedentlich haften beide gesamtschuldnerisch. Zuerst begegnet die heutige
Gestaltung, dass der Schuldner primär und der Bürge grundsätzlich nur subsidiär
haftet (Einrede der Vorausklage), in Norddeutschland. Während nach dem Code
civil Frankreichs von 1804 und dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch
Österreichs von 1811 die Bürgschafterklärung keiner Form bedarf, verlangen das
Allgemeine Landrecht Preußens (1794), das Obligationenrecht der Schweiz (1881)
und das Bürgerliche Gesetzbuch Deutschlands (1900, vgl. §§ 1346ff. ABGB)
Schriftform der Bürgschaftserklärung. Aus dem Recht des leistenden Bürgen gegen
den Gläubiger auf Abtretung der Hauptforderung im gemeinen Recht (lat.
beneficium [N.] cedendarum actionum, Wohltat der abzutretenden Klagansprüche)
entsteht ein gesetzlicher Forderungsübergang (Legalzession).
Lit.: Kaser §§ 50, 57; Hübner 508; Kroeschell, DRG 1, 2;
Köbler, DRG 44, 74, 128; Beyerle, F., Der Ursprung der Bürgschaft, ZRG GA 47
(1927), 567; Kaufmann, E., Die Bürgschaft im Recht des Ingelheimer Oberhofes,
ZRG GA 74 (1957), 199; Martin, R., Das Bürgschaftsrecht Nord- und
Ostdeutschlands, Diss. jur. Frankfurt am Main 1960; Eggert, R., Die Bürgschaft
im süddeutschen Recht, Diss. jur. Frankfurt am Main 1962; Mückenheim, U., Die
Bürgschaft in den Lübecker Ratsurteilen, Diss. jur. Hamburg 1964; Ogris, W.,
Die persönlichen Sicherheiten im Spätmittelalter, ZRG GA 82 (1965), 140ff.;
Reimer, K., Treuhandbürgschaft und Sicherungsbürgschaft, ZRG GA 85 (1968),
194; Les sûretés personelles, 1971; Walliser, P., Das Bürgschaftsrecht in
historischer Sicht, 1974; Feenstra, R., Die Bürgschaft, Rec. Soc. J. Bodin 28
(1974), 295; Walliser, P., Die Amtsbürgschaft im schweizerischen Recht, ZRG GA
96 (1979), 100; Maier, K., Die Bürgschaft in süddeutschen und schweizerischen
Gesetzbüchern des 16.-18. Jahrhunderts, 1980; Hoppe, C., Die Bürgschaft im
Rechtsleben Hamburgs, 1997; Jenks, S., Die Bürgschaft im mittelalterlichen
englischen Strafrecht, Diss. phil., Berlin 1998; Kowolik, Y., Interzessionen
von Nahbereichspersonen, 2008; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Burgund (franz. Bourgogne) ist zunächst die von den →Burgundern in der Völkerwanderung
besiedelte Landschaft (zwischen 400 und 436 Mainz bis Worms, nach 436
[Niederlage gegen Römer oder Hunnen?] bzw. 443 um Genf und Lyon). 534 gelangt
B. an die Franken und ist zweitweise ein fränkisches Teilreich. 843 wird das
Gebiet entlang der Saône zwischen westfränkischem Reich und lotharischem Reich
geteilt. 879 entsteht ein Königreich B. (Niederburgund), das von dem 888
errichteten Königreich B. (Hochburgund) um 931/933 bzw. 950 aufgesogen wird und
mit diesem einschließlich der Grafschaft B. (Franche-Comté) 1032/1033 an das
Deutsche Reich fällt. Das westlich der Saône entwickelte, 963 an die →Kapetinger
gelangte Herzogtum B. gewinnt im 14. und 15. Jh. große Bedeutung (1363 Philipp
der Kühne, Erweiterung um Flandern, Artois, Rethel, Nevers, Freigrafschaft,
Brabant, Limburg, Hennegau, Holland, Seeland), bis es über Maria von B.
1477/1482 großteils (Niederlande, Franche-Comté) an die →Habsburger kommt
(und dort von 1512 bis 1806 den burgundischen Reichskreis bildet), in seinem
Kern (Herzogtum B. und Pikardie) aber 1493 →Frankreich zugeschlagen wird.
Das übrige B. wird zwischen 1674 und 1678 (Freigrafschaft) von Frankreich
erobert. 1459 werden die Coutumes générales du Comté de Bourgogne
aufgezeichnet.
Lit.: Köbler, DRG 95, 76, 129; Köbler, Historisches
Lexikon; Seignobos, C., Le régime féodal en Bourgogne, 1882; Stouff, L., Les
origines de l’annexion de la Haute-Alsace à la Bourgogne en 1469, 1901;
Poupardin, R., Le royaume de Bourgogne (888-1038), 1907; Walther, A., Die
burgundischen Zentralbehörden, 1909; Chaume, M., Les origines du duché de
Bourgogne, Bd. 1ff. 1925ff.; Richard, J., Les ducs de Bourgogne, 1954; Hoke,
R., Die Freigrafschaft Burgund, ZRG GA 79 (1962), 106; Vaughan, R., Philip the
Bold, 1962, 2. A. 1979, 3. A. 2002; Vaughan, R., Philip the Good, 1970, 2. A.
2002; Boehm, L., Geschichte Burgunds, 1971, 2. A. 1979 bzw. 1998; Vaughan, R.,
Charles the Bold, 1973, 2. A. 2002; Rompaey, J. van, De grote raad van de
hertogen van Borgondië, 1973; Die Urkunden der burgundischen Rudolfinger,
bearb. v. Schieffer, T., 1977; Jeanclos, Y., L’arbitrage en Bourgogne et en
Champagne, 1977; Bart, J., La liberté ou la terre, 1984; Pridat, H., Nicolas
Rolin, 1995; Esders, D., Römische Rechtstradition und merowingisches Königtum,
1997; Schnerb, B., L’état bourguignon 1363-1477, 1999; Ehm, P., Burgund und das
Reich, 2002; Gresser, P./Richard, J., La gruerie du comté de Bourgogne aux XIV
et XVe siècles, 2004; Hofordnungen der Herzöge von Burgund, hg. v. Kruse, H. u.
a., Bd. 1 2005; Godding, P., La législation ducale en Brabant sous le règne de
Philippe le Bon, 2006; Oschema, K., Freundschaft und Nähe im
spätmittelalterlichen Burgund, 2006; Kamp, H., Burgund, 2007; Kraume, H.,
Glanzvolles Burgund, 2010; Bourgondie voorbij, 2010
Burgunder oder
Burgunde ist der Angehörige eines (vielleicht) von der Ostsee (vielleicht
Bornholm) über die Oder und Weichsel (um 57 n. Chr. bei Plinius dem Älteren und
um 150-170 n. Chr. bei Ptolemäus erwähnt) an den mittleren Rhein gelangten
ostgermanischen Volkes. Das Recht der B. ist in der →Lex Burgundionum
bzw. →Lex Romana Burgundionum überliefert. Von der vielleicht im 7. oder
8. Jahrhundert untergegangenen Sprache ist möglicherweise außer dem Namen
nichts sicher bekannt.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 57, 75, 86; Jahn, A.,
Geschichte der Burgundionen und Burgunder, 1874; Saleilles, R., De
l’établissement des Burgundes, 1891; Kienast, W., Studien über die
französischen Volksstämme des Frühmittelalters, 1968, 23; Perrin, O., Les
Borgondes, 1968; Favrod, J., Les Burgondes, 2002; Kaiser, R., Die Burgunder,
2004
Burgundio von Pisa ist ein seit 1136 erwähnter
Übersetzer griechisch geschriebener Digestenstellen.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 242
Burgus (M.)
bezeichnet als lateinisches Lehnwort wohl aus dem Germanischen (str.) seit dem
2. Jh. n. Chr. ein kleines Kastell, danach (5. Jh.) allgemeiner eine Siedlung.
Im frühen Mittelalter ist es teils die an eine (lat. [F.]) civitas angelehnte,
teils unabhängige Siedlung. Im Reich erscheint b. 1120 (Mühldorf am Inn). Der
Bewohner heißt (lat. [M.]) burgensis (Frankreich 10. Jh., Spanien 11. Jh.,
Freiburg im Breisgau 1120). Streitig ist, inwieweit b. oder burgum die
Marktsiedlung und burgensis eine besondere Art von →Bürger anzeigt. Im
14. Jh. schwindet b. wieder.
Lit.: Beyerle, F., Zur Typenfrage in der Stadtverfassung,
ZRG GA 50 (1930), 1ff,.; Ennen, E., Frühgeschichte der europäischen Stadt,
1953, 3. A. 1981; Schlesinger, W., Burg und Stadt, (in) Mitteldeutsche
Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2 1963, 124; Köbler, G.,
Civis und ius civile, Diss. jur. Göttingen 1964; Werveke, H. van, Burgus, 1965
Burgward (lat. burgward[i]um, 961) ist vor allem in der frühhochmittelalterlichen Zeit der
Ostsiedlung das Gebiet um die befestigte Siedlung (→Burg) als
Verteidigungsbereich und Verwaltungsbereich (z. B. Biederitz, Möckern,
Magdeburg, Frohse, Barby, Calbe an der Saale, Haldensleben, Wanzleben,
Unseburg, 1. H. 11. Jh. Merseburg, Ritteburg, Wallhausen, Sulza).
Lit.: Knüll, B., Die Burgwarde, Diss. phil. Tübingen 1895;
Schlesinger, W., Burgen und Burgbezirke, (in) Mitteldeutsche Beiträge zur
deutschen Verfassungsgeschichte, 1961, 158; Billig, C., Die Burgwardorganisation
im obersächsisch-meißnischen Raum, 1989
Burgwerk ist im Frühmittelalter die Verpflichtung
zur Unterhaltung von Burgen und ähnlichen Befestigungsanlagen. Im
Hochmittelalter begegnet hauptsächlich die Befreiung hiervon.
Lit.: Schlesinger, W., Burgen und
Burgbezirke (in Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des
Mittelalters, 1961, 158ff.
Bürokratie (F.)
ist die durch hauptberuflich tätiges, fachlich ausgebildetes Personal bzw.
durch Trennung von Amt und Person bzw. durch Regelgebundenheit und durch
Schriftlichkeit aller wesentlichen Amtsvorgänge gekennzeichnete
Verwaltungsgestaltung. Sie wird gedanklich in der Mitte des 18. Jh.s erfasst.
Der frühe Liberalismus lehnt die B. ab, Max Weber versachlicht die Bedeutung
des Wortes.
Lit.: Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, 5. A. 1986;
Wunder, B., Geschichte der Bürokratie in Deutschland, 1986; Süle, T.,
Preußische Bürokratietradition, 1988; Treichel, E., Der Primat der Bürokratie,
1991; Heindl, W., Gehorsame Rebellen, 1991; Herrschaftsverdichtung,
Staatsbildung, Bürokratisierung, hg. v. Hochedlinger, M. u. a., 2011
Burschenschaft (1791) ist der im frühen 19. Jh. (1813/1815) neben die älteren
Landsmannschaften tretende, national und liberal ausgerichtete Zusammenschluss
(Verbindung) der Studenten (1811 Jahn, F./Friesen, K., Ordnung zur Einrichtung
von Burschenschaften, 12. 6. 1815 Jena Urburschenschaft, 1819 Verbot der
Burschenschaften, geheime Wirksamkeit, 1848/1849 150 Abgeordnete der
Frankfurter Nationalversammlung Burschenschaftler, 1935 erzwungene
Selbstauflösung der Deutschen B., 1950 wieder begründet).
Lit.: Bayer, E., Die Entstehung der deutschen
Burschenschaft, 1883; Quellen und Darstellungen zur Geschichte der
Burschenschaft, hg. v. Haupt, H., Bd. 1ff. 1910ff.; Brunck, H., Die deutsche
Burschenschaft, 1999; Roeseling, S., Burschenehre und Bürgerrecht, 1999; ein großes
Ganzes, hg. v. Brunck, H. u. a., 2011
Bursprake ist in Nordeutschland im Hochmittelalter
und Spätmittelalter (im Mittelniederdeutschen) die Versammlung der Nachbarn in
Stadt und Land. B. kann auch das dort verlesene oder geschaffene Recht
bezeichnen (z. B. Lübeck, Wismar). Verschiedentlich gewinnt die B.
gerichtliche Befugnisse.
Lit.: Bolland, J., Zur städtischen
Bursprake im hansischen Raum, ZLGA 36 (1956), 96
Bußbuch ist
das ein System kirchlicher →Bußen für Sünden enthaltende Buch
([→lat.] →Paenitentiale, liber paenitentialis). Es erscheint seit
dem 6. Jh. in Irland und England ([lat.] Iudicia [N.Pl.] Cummeani, Kolumban,
(lat.) Liber [M.] de poenitentiarum mensura taxantium, Theodor von Canterbury,
[lat.] Canones [M.Pl.]), bald danach mit der irischen Mission auf dem Festland
(rund 400 Handschriften, u. a. Buch 19 von →Burchard von Worms,
Decretum). Im 13. Jh. tritt an die Stelle des Bußbuchs die (lat.) Summa (F.)
confessorum (Summe der Bekenner) der →Beichtstuhljurisprudenz.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Wasserschleben, E., Die
Bußordnungen der abendländischen Kirche, 1851; Schmitz, H., Die Bußbücher und
die Bußdisziplin der Kirche, 1888; Schmitz, H., Die Bußbücher und das
kanonische Bußverfahren, 1898; Finsterwalder, P., Die Canones Theodori
Cantuariensies, 1929; Spindler, E., Das altenglische Bußbuch, 1934; Bieler, L.,
The Irish Penitential, 1963; Vogel, C., Les libri poenitentiales, 1978; Kottje,
R., Die Bußbücher Halitgars von Cambrai und des Hrabanus Maurus, 1980;
Körntgen, L., Studien zu den Quellen der frühmittelalterlichen Bußbücher, 1993;
Kottje, R., Bußbücher in mittelalterlichen Bibliotheksverzeichnissen, Sacris
erudiri 45 (2006), 305ff.
Buße ist
ursprünglich der Ausgleich eines Unrechtserfolges durch eine Leistung an den
Verletzten zum Zweck der Besserung seiner Lage. Sie ist dem römischen Recht als
die Geldsumme bekannt, mit der anfangs (in festen Sätzen) das vergeltende
Racherecht des Verletzten etwa bei Körperverletzung oder Sachbeschädigung
abgelöst wird (lat. [F.] poena). Die (lat. [F.] lex Aquilia stellt auf den Wert
der beschädigten Sache ab. In der jüdisch-christlichen Kirche ist die Buße die
Abwendung von einer sündhaften Vergangenheit. Tacitus bezeugt sie für die
Germanen, bei denen ein Teil der B. auch an die Allgemeinheit fällt. In den →Volksrechten
des Frühmittelalters wird ein ganzes System von mehreren Zielen dienenden Bußen
(lat. compositiones) festgehalten (→Kompositionensystem), zu dem
insbesondere auch das →Wergeld gehört. Ihnen entsprechen die Bußen der →Bußbücher.
Dieses Bußensystem wird seit dem Hochmittelalter durch die →Strafe
zurückgedrängt, wobei die öffentliche Buße etwa im Bistum Konstanz noch im 15.
und frühen 16. Jh. erkennbar ist. (vgl. auch noch § 1497 sächsisches BGB von
1863). Die Leistung an den Verletzten wird mehr und mehr als →Schadensersatz
verstanden. B. wird aber teils als an den Verletzten, teils als an den Staat
(für Ordnungswidrigkeiten) zu erbringende Geldleistung weiter fortgeführt, wobei
eine an eine Gemeinschaft zu leistende B. öfter gemeinsam vertrunken wird. Das
Reichsstrafgesetzbuch des deutschen Reiches von 1871 kennt (neben der Strafe)
die Zahlung einer B. für Beleidigungen und Körperverletzungen in den §§ 188,
231 StGB (in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1968, in der
Bundesrepublik Deutschland bis 1974). Ähnliche Regeln enthalten das Urhebergesetz,
das Patentgesetz und das Markenschutzgesetz bis 1965/1974.
Lit.: Kaser §§ 35, 50; Söllner § 8; Hübner; Kroeschell, DRG
1, 43ff., 2, 207ff.; Waechter, C. v., Die Buße bei Beleidigungen und
Körperverletzungen, 1874; Dochow, A., Die Buße im Strafrecht und Strafprozess,
1875; Dohna, A. zu, Die Stellung der Buße im reichsrechtlichen System des
Immaterialgüterschutzes, 1902; Pappenheim, M., Scheinbuße und Selbsturteil, ZRG
GA 29 (1908), 334; His, R., Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur
Karolina, 1928, Neudruck 1967, 95; Weisweiler, J., Buße, ZRG GA 51 (1931), 541;
Vogel, C., Le pécheur et la pénitence, 1969; Rüping, H., Geldstrafe und Buße,
Z. f. s. ges. StW 85 (1973), 672; Hattenhauer, H., Über Buße und Strafe, ZRG GA
100 (1983), 53; Bader, K., Zum Unrechtsausgleich und zur Strafe im
Frühmittelalter, ZRG GA 112 (1995), 1ff.; Mansfield, M., The Humiliation of
Sinners, 1995; Hamilton, S., The Practice of Penance, 2001; Schumann, E.,
Unrechtsausgleich im Frühmittelalter, 2003 (ungedr. Habilitationsschrift);
Ebert, I., Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004
Bußgeld ist
in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s die an den Staat zu erbringende Geldleistung
für eine Ordnungswidrigkeit.
Bussi, Emilio (13. 4. 1904-Rom 14. 11. 1997) wird
nach dem Studium des Rechtes 1940 Professor in Cagliari, 1958 in Modena und
widmet sich zunächst dem gemeinen Recht (La formazione dei dogmi di diritto nel
diritto comune, Bd. 1f. 1937ff.), danach dem Heiligen Römischen Reich der
frühen Neuzeit (Il diritto pubblico del Sacro Romano Impero, Bd. 1f. 1957ff.
Lit.: Dilcher, G., Nachruf ZRG GA
116 (1999), 707ff.
Buteil ist
im Frühmittelalter die grundherrschaftliche Abgabe beim Erbfall. Sie besteht
teils in der Hälfte des Viehs, teils im →Besthaupt. Sie schwindet schon
am Ende des Frühmittelalters.
Lit.: Hübner 676; Kroeschell, DRG 1, 2
Büttel ist
der gebietende Mensch, insbesondere der Gerichtsdiener. Er lädt, verhaftet,
pfändet und vollstreckt häufig auch eine Strafe. Wegen des niedrigen Ansehens
wird die Bezeichnung im 19. Jh. aufgegeben. →Gerichtsvollzieher
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Angstmann, E., Der Henker in
der Volksmeinung, 1928; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege,
1953; Peters, W., Bezeichnungen und Funktionen des Fronboten, 1991; Metzke, H.,
Zur lokalen und sozialen Mobilität der Amts- und Gerichtsdiener im 17./18.
Jahrhundert, ZRG GA 113 (1996), 412; Pauser, J., Der Zwettler Gerichtsdiener,
2002
Butzbach
Lit.: Bachmann, B., Die Butzbacher Stadtrechnungen im
Spätmittelalter, 2011
Bützow ist von 1760 bis 1789 Sitz einer von Rostock
abgeteilten Universität.
Lit.: Asche, M., Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur
armen mecklenburgischen Landeshochschule, 2000, 2. A. 2008
Buxtehude
Lit.: Schindler, M., Buxtehude,
1959
Bynkershoek (Bijnkershoeck), Cornelis van (Middelburg/Seeland 29. 5. 1673-Den Haag 16.
4. 1743) wird nach dem Rechtsstudium in Franeker Anwalt in Den Haag und 1704
Richter des Hoge Raad van Holland en Zeeland (1723 Präsident). In seiner
Dissertation (lat.) De dominio maris (1703, Über das Eigentum am Meer)
begründet er für den Landesherrn das Eigentum vor der jeweiligen Küste, soweit
es mit Waffen beherrscht wird. Seine (lat.) Observationes (F.Pl.,
Beobachtungen) zu vielen Verfahren sind seit 1923 veröffentlicht.
Lit.: Star Numan, O., Cornelis van Bankershoek, 1869;
Krikke, A./Faber, S., Cornelis van Bynkershoek, (in) Zestig juristen, 1987,
141; Bergh, C. van den, Der Präsident Cornelis van Bijnkershoek, Zs. f. europ.
Privatrecht 3 (1995), 423
Byzantinisches Recht ist das in Ostrom (Byzanz)
gepflegte römische Recht in griechischer Sprache auf der Grundlage der
Kompilationstätigkeit Kaiser Justinians (527-565). Wichtigste Werke sind
Theophils Paraphrase der Institutionen, Nomos georgikos, Nomos nautikos (Ende
9. Jh.s), Eisagoge, Prochiron 907, eparchikon biblion (nach 907), Ekloge ton
nomon (941), 113 Novellen Kaiser Leon VI., Basiliken (888?) mit Scholien (11.
Jh.) und Kurzfassungen (z. B. synopsis Basilicorum 10. Jh.), Peira (M. 11.
Jh.), Nomokanones, Tipukitos (12. Jh.), Hexabiblos (14. Jh., endgültig erst
durch das Zivilgesetzbuch Griechenlands von 1946 abgelöst).
Lit.: Ius Graeco-Romanum, hg. v.
Zachariae von Lingenthal, H. v., Bd. 1ff. 1856ff.; Zachariae von Lingenthal, H.
v., Geschichte des griechisch-römischen Rechtes, 3. A. 1892; Jus
Graeco-Romanum, hg. v. Zepos, J. u. a., Bd. 1ff. 1931ff.; Wenger. L., Die
Quellen des römischen Rechtes, 1953; Simon, D., Rechtsfindung am byzantinischen
Reichsgericht, 1973; Beck, H., Nomos, Kanon und Staatsräson in Byzanz, 1981;
Van der Wal, N. u. a., Historiae iuris graeco-romani delineatio, 1985;
Schminck, A., Studien zu mittelbyzantinischen Rechtsbüchern, 1986; Simon, D.,
Die Epochen der byzantinischen Rechtsgeschichte, Ius commune 15 (1988), 73ff.;
Das Eparchenbuch Leons des Weisen, hg. v. Koder, J., 1991; Burgmann, L. u. a.,
Repertorium der Handschriften des byzantinischen Rechts, Bd. 1f. 1995ff.;
Letsios, D., Nomos Rhodiôn nautikos, 1996; Burgmann, L., Das byzantinische
Recht und seine Einwirkung auf die Rechtsvorstellung der Bachbarvölker,
Südosteuropa-Jahrbuch 26 (1996), 277ff.
Byzanz ist
die nach einem sagenhaften Gründer Byzas benannte, 326/330 von dem römischen
Kaiser Konstantin von Byzantion in Konstantinopel umbenannte Stadt am
Bosporus, die 395 Hauptstadt des östlichen Teiles des römischen Weltreichs wird
und damit zugleich für das von hier aus beherrschte (oströmische) Reich. Der
von Kaiser Justinian (527-565) unternommene Versuch, die weströmischen Gebiete
zurückzugewinnen, bleibt ohne nachhaltige Wirkung in dem seit Herakleios
(610-41) verstärkt griechisch geprägten Land. Vielmehr wird das byzantinische Reich
in der Folge von Persern, Arabern und Bulgaren nachhaltig bedroht und verliert
nach der kirchlichen Trennung der griechisch-orthodoxen Kirche von der
katholischen Kirche (1054) 1176 im Kampf gegen die Rum-Seldschuken seine
Stellung als Großmacht. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die
Kreuzfahrer (1203/4) wird das byzantinische Reich unter die Venezianer und die
übrigen Kreuzfahrer aufgeteilt. Osmanen, Serben und Bulgaren bedrohen den
verbleibenden Rest von mehreren Seiten. Mit der Eroberung Konstantinopels am
29. 5. 1453 durch die Osmanen endet B. bzw. das Byzantinische Reich.
Lit.: Zachariae von Lingenthal, K., Geschichte des
griechisch-römischen Rechtes, 3. A. 1892; Neudruck 1955; Krumbacher, K.,
Geschichte der byzantinischen Literatur, 1897; Ball, H., Byzntinisches
Christentum, hg. v. Wacker, B., 2011; Karajannis, C., Die Zentralverwaltung des
mittelbyzantinischen Reiches, 1949; Ohnsorge, W., Das Zweikaiserproblem im
früheren Mittelalter, 1947; Wenger, L., Die Quellen des römischen Rechtes,
1953; Pieler, P., Byzantinische Rechtsliteratur, (in) Handbuch der
Altertumswissenschaft, XII, 5, 2, 1978, 343; Ohnsorge, W., Abendland und
Byzanz, 1979 (Aufsätze); Beck, H., Das byzantinische Jahrtausend, 2. A. 1994;
Winkemann, F., Byzantinische Rang- und Ämterstruktur, 1985; Simon, D., Epochen
der byzantinischen Rechtsgeschichte, Ius commune 15 (1988), 73; Schreiner, P.,
Byzanz, 2. A. 1994, 3. A. 2007, 4. A. 2011; Simon, D., Die Epochen der
byzantinischen Rechtsgeschichte, Ius commune 15 (1988), 73; Wirth, P.,
Grundzüge der byzantinischen Geschichte, 2. A. 1989; Ostrogorsky, G.,
Byzantinische Geschichte 324 bis 1453, 3. A. 1996; Cutler, A./Spieser, J., Das
mittelalterliche Byzanz, 1997; Haldon, J., Byzantium in the Seventh Century,
1997; Wesel, U., Geschichte des Rechts, 3. A. 2006; Norwich, J., Byznanz, 1998;
Lilie, R., Byzanz, 1999; Avenarius, A., Die byzantinische Kultur und die
Slawen, 2000; Matschke, K./Tinnefeld, F., Die Gesellschaft im späten Byzanz,
2000; Matschke, K. u. a., Die Gesellschaft im späten Byzanz, 2001; Haldon, J.,
Das byzantinische Reich, 2002; Brandes, W., Finanzverwaltung in Krisenzeiten,
2002; Regesten der Kaiserurkunden des oströmischen Reiches von 565-1453, bearb.
v. Dölger, F., 2. A. 2003; Lilje, R., Byzanz, 2003; Lilie, R., Byzanz und die
Kreuzzüge, 2004; Der Beitrag der byzantinischen Gelehrten zur abendländischen
Renaissance des 14. und 15. Jahrhunderts, hg. v. Konstantinou, E., 2006; Lilie,
R., Einführung in die byzantinische Geschichte, 2007; Encyclopaedic
Prosopographical Lexicon of Byzantine History and Civilisation, hg. v.
Savvides, A. u. a., 2007ff.The Cambridge History of the Byzantine Empire, hg.
v. Shepard, J., 2008; The Oxford Handbook of Byzantine Studies, hg. v.
Jeffreys, 2008; Meier, N., Anastasios I. Die Entstehung des byzantinischen
Reiches, 2009; Sommer, A., Die Münzen des byzantinischen Reiches 491-1453, 2010;
Schreiner, P., Byzanz zwischen Systematisierung und Atomisierung, HZ 292
(2011), 425
C
Caccialupus, Johann Baptista ist ein in San Severino in der Mark Ancona um 1420
geborener, in Perugia ausgebildeter, seit 1452 in Siena lehrender Jurist
(Tractatus de modo studendi in utroque iure, De modis arguendi, consilia).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 2 2007, 849
Caemmerer, Ernst von
(Berlin 17. 1. 1908-Freiburg im Breisgau 23. 6. 1985), Historikerssohn, wird
nach dem Studium des Rechtes in München und Berlin und der Promotion (1931,
Martin Wolff) Assistent und Referent am Kaiser-Wilhelm-Institut für
ausländisches und internationales Privatrecht in Berlin (Ernst Rabel) sowie
nach der Habilitation in Frankfurt am Main (1946 Walter Hallstein) 1947
Professor in Freiburg im Breisgau. Er wird sehr bedeutsam für die
Rechtsvergleichung.
Lit.: Festschrift Ernst von Caemmerer, 1978
Caepolla, Bartholomäus ist
ein in Verona um 1420 geborener, in Bologna und Padua ausgebildeter, 1445
promovierter, in Padua, Ferrara, Verona und Padua lehrender, 1475 oder 1477
verstorbener Jurist (De servitutibus, cautelae Caepollae, De contractibus
emptionum et locationum, De imperatore militum deligendo, consilia).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 2 2007, 843
Caesar (Cäsar),
Gaius Iulius (Rom 13. 7. 100–Rom 15. 3. 44 v. Chr.), Neffe des Marius, wird
nacheinander Quästor, Ädil, Prätor und Konsul. Zwischen 58 und 51 v. Chr.
erobert er Gallien, wobei er auch den Rhein überschreitet und auf die
britischen Inseln übersetzt. Nach einem erfolgreichen Bürgerkrieg wird er im
Februar 44 Diktator auf Lebenszeit. An den Iden des März wird er ermordet.
Durch ihn endet die römische Republik. Literarisch bedeutsam sind seine
Kommentare über den gallischen Krieg, die auch über die Germanen berichten.
Lit.: Köbler, DRG 32, 66; Caesar, Der gallische Krieg - Bellum
Gallicum - lateinisch-deutsch 6. A. 2011; Caesar, Der Gallische Krieg, hg. v.
Schönberger, O., 4. A: 2013;Gelzer, M., Caesar, 1921, Neudruck 1983, m.
Einführung v. Baltrusch, E., 2008; Walser, G., Caesar und die Germanen, ZRG GA
57 (1974), 275; Meier, C., Caesar, 1982; Julius Caesar, 1992; Christ, K.,
Caesar, 1994; Jehne, M., Caesar, 1997; Etienne, R., Jules César, 1997; Canfora,
L., Caesar, 2001; Zecchini, C., Cesare e il mos maiorum, 2001; Baltrusch, E.,
Caesar und Pompeius, 2004, 2. A. 2010; Dahlheim, W., Julius Cäsar, 2005, 3. A.
2011; Caesar, hg. v. Baltrusch, E., 2007; Will, W., Veni, vidi, vici. Caesar
und die Kunst der Selbstdarstellung, 2008; Will, W., Caesar, 2009; Jehne, M.,
Der große Trend, 2009
Cahier (M.) de doléances ist das vielleicht schon auf hochmittelalterliche
Ansatzpunkte zurückgehende, seit 1427 in ersten Anfängen, 1484 in gedruckter
Form erkennbare „Beschwerdeheft“ der ständischen Delegierten der Generalstände
(états généraux) in Frankreich.
Lit.: Marion, M., Dictionnaire
des institutions de la France, 1923, 66
Calenberg ist
ein sächsisch-welfisches Teilfürstentum Braunschweig-Lüneburgs, das in
verwickelten Nachfolgen im Land →Hannover und damit über Preußen (1866)
in Niedersachsen (1946) aufgeht.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Spieß, W., Die
Großvogtei Calenberg, 1933; Turner, G., Das Calenberger Meierrecht, 1960; Das
Calenberger Hausbuch von 1592, bearb. v. Lathwesen, H., 1980
Calonius →Turku
Calvin,
Johannes (Jean) (Noyon 10. 7. 1509-Genf 27. 5. 1564) wird nach dem
Rechtsstudium in Orléans und Bourges (1528-1532) und dem Lizentiat in Paris
Anhänger der Reformation Martin →Luthers (1533 Flucht aus Frankreich) und
beeinflusst von Genf aus Europa von Schottland bis Siebenbürgen. Sein Hauptwerk
ist die (lat.) Institutio (F.) religionis christianae (Einrichtung der
christlichen Religion, 1536, Endfassung 1559). Der von ihm begründete
Calvinismus wirkt sich vor allem wegen der Verbindungen mit dem Humanismus und
der positiven Haltung gegenüber der humanistischen Ethik (über Hugo Donellus
und Dionysius Gothofredus) auf die Entstehung des weltliche Machtansprüche der
Kirche und die Unterscheidung von Klerikern und Laien ausschließenden öffentlichen
Rechtes und auf Gedanken der →Demokratie und des →Widerstandsrechts
sowie subjektiver Rechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und
Achtung der Menschenwürde bedeutsam aus.
Lit.: Köbler, DRG 153; Schulthess-Rechberg, G. v., Luther,
Zwingli und Calvin in ihren Ansichten über das Verhältnis von Staat und Kirche,
1909; Bohatec, J., Calvin und das Recht, 1934; Müller, W., Church and State in
Luther and Calvin, 1954; Pfisterer, E., Calvins Wirken in Genf, 1957; Staedtke,
J., Johannes Calvin, 1969; Press, V., Calvinismus und Territorialstaat, 1970;
Die Schüler Calvins in der Diaspora, hg. v. Lüthi, K. u. a., 1989;
Territorialstaat und Calvinismus, hg. v. Schaab, M., 1993; Naphy, W., Calvin,
1994; Spijker, W. v., Calvin, 2001; Heise, V., Der calvinistische Einfluss auf
das humanistische Rechtsdenken, 2004; Persecution and Pluralism, hg. v. Bonney,
R. u. a., 2006; Strohm, C., Calvinismus und Recht, 2007; Calvin Handbuch, hg.
v. Selderhuis, H., 2008
Cambacérès,
Jean-Jacques-Regis de (Montpellier 1753-1824), Bürgermeisterssohn, legt nach
Tätigkeiten als Anwalt und Richter im Zuge seiner Mitgliedschaft im Konvent
(1792) bzw. im Wohlfahrtsausschuss (1794) der französischen Revolution drei
Entwürfe (1793, 1794, 1796/1797) für einen →Code civil vor, die sich auch
wegen seiner engen Verbindung zu Napoleon maßgeblich auf den 1804 entstandenen
Code civil Frankreichs auswirken.
Lit.: Papillard, F., Cambacérès, 1961
cambium (lat.
[N.]) →Wechsel
Cambrai
Lit.: Meijers, E./Blécourt, A., Le
droit coutumier de Cambrai, Bd. 1f. 1932ff.; Hüttebräuker, Cambrai, Deutschland
und Frankreich 1308-1378, ZRG GA 59 (1939), 88
Cambridge am
Fluss Cam ist seit 1066 Vorort einer Grafschaft. Seit 1209 erwächst in C. aus
der Abwanderung von Lehrern und Studenten aus →Oxford eine Universität.
In ihr entstehen 1284 weltliche Studien. Kennzeichnend für den Grundsatz der
Bildung durch persönlichen Umgang sind die zahlreichen Colleges (1997 27, ca.
12000 Studenten).
Lit.: Emden, A., A biographical register of the University
of Cambridge, 1963; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.; A History of the
University of Cambridge, hg. v. Leader, D. u. a., Bd. 1ff. 1988ff.; Sager, P.,
Oxford and Cambridge, 2003
camerarius (lat.
[M.]) →Kämmerer
Canon (lat.-griech.
[M.], Regel, Richtschnur, Norm) ist die einzelne Vorschrift in kirchlichen Rechtsquellen.
Hiervon leitet sich die Bezeichnung →kanonisches Recht ab.
Lit.: Köbler, LAW; Zechiel-Eckes, K., Die Concordia canonum
des Cresconius, 1992; Fowler-Magerl, L., Kanones. Ausgewählte Kanonessammlungen
außerhalb Italiens zwischen 1000 und 1140, 1998 (CD)
Canossa →Investiturstreit
Lit.: Weinfurter, S., Canossa,
2006; Canossa 1077, hg. v. Stiegemann, C., 2006; Fried, J. Canossa, 2012; Canossa, hg. v. Hasberg, W. u. a., 2012; Fried, J.,
Canossa - Entlarving einer Legende, 2012
Cantiuncula (Chansonette), Claudius (Metz um 1490-Ensisheim 1549) wird nach dem
Rechtsstudium in Löwen und Basel von 1518 bis 1524 in Basel Professor des
weltlichen Rechtes und übernimmt danach verschiedene Verwaltungsaufgaben und
Gerichtstätigkeiten. Seine Schrift (lat.) De ratione studii legalis paraenesis
(1522) bietet erstmals einen Plan zur Verbesserung des Rechtes in Deutschland
nach den Grundsätzen des →Humanismus.
Lit.: Wieacker, F., Gründer und Bewahrer, 1959, 44; Kisch,
G., Die Anfänge der juristischen Fakultät der Universität Basel, 1962, 355;
Kisch G., Claudius Cantiuncula, 1970
Capella (F.) regia
(lat. Hofkapelle) ist zunächst die seit etwa 650 den Merowingerkönigen eigene
Reliquie des Mantels des heiligen Martin, danach der Gebetsraum der Königspfalz
und schließlich die Gesamtheit der mit dem König ziehenden Geistlichen
(capellani [M.Pl.] Kapellane, bald auch bei anderen Großen). Im ostfränkischen
Teilreich wird 965 der Erzbischof von Mainz Erzkaplan und die Hofkapelle zum
personalen Ausgangspunkt des ottonisch-salischen →Reichskirchensystems.
Mit dem →Investiturstreit verliert die c. r. ihre darauf gegründete
Bedeutung, bleibt aber als solche bis 1806 bestehen.
Lit.: Fleckenstein, J., Die Hofkapelle der deutschen
Könige, Bd. 1f. 1959ff.
Capitaneus (lat.
[M.], zu lat. [N.] caput, Haupt) ist allgemein eine Bezeichnung für eine
hervorragende Person, die z. B. in Oberitalien (Lombardei bis Toskana) am
Beginn des Hochmittelalters (11. Jh.) für höhere (städtische) Adlige Verwendung
findet (daneben auch in Schwaben, Friesland oder Brandenburg).
Lit.: Köbler, LAW; Meyer, K., Die capitanei von Locarno im
Mittelalter, 1916; Stahl, B., Adel und Volk im Florentiner Dugento, 1968; Kamp,
N., Konsuln und Podestà, 1969; Haverkamp, A., Herrschaftsformen der Frühstaufer
in Reichsitalien, 1970f.; Keller, H., Adelsherrschaft und städtische
Gesellschaft in Oberitalien, 1979; Drüppel, H., Iudex civitatis, 1981; La
vassallità maggiore del Regno Italico, hg. v. Castagnetti, A., 2001
capitis deminutio
(lat. [F.]) Herabsetzung der Rechtspersönlichkeit abgestuft bezüglich der
Freiheit, des römischen Bürgerrechts oder der Familienzugehörigkeit im
römischen Recht
capitula (lat.
[N.Pl.]) Kapitel (N.Pl.)
Capitula (N.Pl.) Angilramni sind die mit mehr als
230 Zitaten in zwei Dutzend der wichtigsten Kirchenrechtssammlungen zwischen
etwa 850 und 1150 am stärksten rezipierte Fälschung Pseudoisidors und bilden
eine wichtige Grundlage für das kirchliche Strafprozessrecht bis zur Gegenwart.
Lit.: Schon, K., Die Capitula
Angilramni. Eine prozessrechtliche Fälschung Pseudoisidors, 2006; Schon, K.,
Unbekannte Texte aus der Werkstatt Pseudoisidors. Die Collectio Danieliana,
2006
Capitula (N.Pl.) Remedii (lat.) sind die im Südwesten des fränkischen Reiches um
800 erfolgte verkürzende Aufzeichnung des spätrömischen Rechtes.
Lit.: Köbler, DRG 81; Buchner, R., Die Rechtsquellen, 1953
capitulare →Kapitular
Capitulare (N.) de villis (lat.), Kapitular über Königshöfe, ist das in einer
Handschrift des zweiten Viertels des 9. Jh.s abschriftlich überlieferte, in 70
Kapitel eingeteilte (berühmteste) Kapitular Karls des Großen aus dem letzten
Jahrzehnt des 8. Jh.s, das zur Beseitigung von Missständen die Verwaltung der
Königshöfe des gesamten fränkischen Reiches ordnen will (Forst, Ackerbau,
Viehzucht, Weinbau, Gärten, Handwerk, Haushaltung, Rechnungslegung).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Dopsch, A., Westgotisches Recht im
Capitulare de villis, ZRG GA 36 (1915), 1; Mayer, T., Das Capitulare de villis,
ZRG GA 79 (1962), 1; Brühl, C., Capitulare de villis, 1971; Metz, W., Zur
Erforschung des karolingischen Reichsgutes, 1971; Tautscher, A.,
Betriebsführung und Buchhaltung in den karolingischen Königsgütern,
Vierteljahrschrift f. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 61 (1974), 1ff.
Capitulare (N.) Haristallense (lat., Kapitular von
Herstal bei Lüttich) ist das im März 779 auf einer Reichsversammlung
geschaffene, in vielen jüngeren Abschriften überlieferte, sich erstmals als
(lat.) Capitulare (N.) bezeichnende Kapitular. Es enthält kirchliche und
weltliche Bestimmungen. Es versucht die Einschränkung der Fehde.
Lit.: Schneider, R., Zur
rechtlichen Bedeutung der Kapitularientexte, DA 23 (1967), 273; Mordek, H.,
Karls des Großen zweites Kapitular von Herstal, DA 61 (2005), 1
Capitulare (N.) Saxonicum (lat., sächsisches Kapitular) ist das nach streitiger
Ansicht die →Capitulatio de partibus Saxoniae mildernde, in zwei
Handschriften überlieferte Kapitular Karls des Großen für Sachsen vom 28. 10. 797.
L.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CapitulareSaxonicum.htm;
Theuerkauf, G., Lex, Speculum, Compendium iuris, 1968; Springer, M., Die
Sachsen, 2004
Capitulatio (F.) de partibus Saxoniae (lat.) ist die in einer Handschrift überlieferte, in
Kapitel gegliederte, (nach?) 782 entstandene Anordnung Karls des Großen
gegenüber den unterworfenen, noch heidnischen Bräuchen (Verbrennen der Hexe,
Verbrennen der Leiche [archäologisch für das 8. Jh. kaum nachgewiesen],
Menschenopfer [nicht nachgewiesen]) anhängenden →Sachsen, die
auffälligerweise sehr häufig die →Todesstrafe androht. Vielleicht ist ihr
zweiter Teil erst 803 entstanden.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CapitulatiodepartibusSaxoniae.htm;
Die Eingliederung der Sachsen in das Frankenreich, hg. v. Lammers, W., 1970;
Schubert, E., Die Capitulatio pro partibus Saxoniae (in) Geschichte in der
Region, 1993, 3ff.; Sachsen und Franken in Westfalen, hg. v. Häßler, H., 1999;
Springer, M., Die Sachsen, 2004
Cappenberg
Lit.:
Die Viten Gottfrieds von Cappenberg, hg. v. Niemeyer, G. u. a., 2005
Capua
Lit.: Le pergamene di Capua, hg. v. Mazzoleni, J, Bd. 1f.
1957ff.
Carbonaria silva (lat. [F.] Kohlenwald, Erstbeleg
388 n. Chr. bei Sulpicius Alexander) ist der im Frühmittelalter als Grenze
bedeutsame Wald von südlich der Sambre bis etwa der Gegend von Löwen. Aus den
im (lat.) Pactus (M.) legis Salicae (Tit. 47) genannten unterschiedlichen
Fristen wird geschlossen, dass die Aufzeichnung erst nach 507 erfolgt ist, weil
erst zu dieser Zeit das Gebiet jenseits der Loire Teil des Reiches der Franken
wird. Im 8. Jh. verliert der Wald auch durch Rodungen seine Bedeutung.
Lit.: Ewig, E., Die Merowinger und
das Frankenreich, 1997
Cardiff am
Taff in Wales ist 75 n. Chr. Sitz eines römischen Lagers. 1350 gewinnt es
Stadtrecht. 1883 erhält es eine Universität.
Carmer,
Johann Heinrich Casimir von (Bad Kreuznach 29. 12. 1721-Gut Rützen im Kreis
Guhrau 23. 5. 1801), reformierter Hofratssohn aus ursprünglich
niederländischer Familie, wird nach dem Rechtsstudium in Jena und Halle 1749
Kammergerichtsreferendar in Preußen, 1763 Präsident der Oberamtsregierung
Breslau, 1768 Chefpräsident sämtlicher Oberamtsregierungen in Schlesien und
1779 als Folge der Müller-Arnold-Prozesse Großkanzler und Erster Minister des
Justizdepartements (bis 1795). Infolge seines Wirkens wird 1781 das
Prozessrecht im (lat.) →Corpus (N.) iuris Fridericianum ([Friedrichsches
Rechtskorpus,] Erstes Buch, 1793 überarbeitet in der Form der Allgemeinen
Gerichtsordnung) neu geordnet und vor allem durch Svarez die Entstehung des →Allgemeinen
Landrechts entscheidend gefördert.
Lit.: Köbler, DRG 140; Thieme, H., Die preußische
Kodifikation, ZRG GA 57 (1937), 362; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der
Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Houwald, G. Frhr. v., Ahnen und Enkel des Johann
Heinrich Casimir Graf von Carmer, 1977
Carolina (lat.
[F.]) →Constitutio Criminalis Carolina
Carpzov,
Benedikt (Wittenberg 27. 5. 1595-Leipzig 30. oder 31. 8. 1666), Sohn eines
gleichnamigen Professors der Rechte in Wittenberg, wird nach dem Rechtsstudium
in Jena, Leipzig und Wittenberg (Wittenberg 1618 Promotion) 1620 Mitglied des
Leipziger Schöffenstuhls, 1644 Hofrat in Dresden, 1644/1645 Professor in
Leipzig und 1653 Geheimer Rat in Dresden. In seiner auf sächsische Urteile wie
gemeinrechtliche Lehre gegründeten (lat.) Practica (F.) nova imperialis
Saxonica rerum criminalium (1635, 9. A. 1695, 12. A. 1751, Neue
kaiserlich-sächsische Praxis) bietet er die erste systematische Darstellung des
(deutschen) Strafrechts unter Bemühung um Abgrenzung der harten ordentlichen
Strafen von den im Ermessen des Gerichts stehenden arbiträren Strafen. Die
(lat.) Iurisprudentia (F.) Romano Saxonica secundum ordinem Constitutionum D.
Augusti Electoris Saxoniae (1638, 8. A. 1721, Römisch-sächsische Rechtswissenschaft
nach den kursächsischen Konstitutionen) erklärt die kursächsischen Konstitutionen
an Hand der entschiedenen Fälle. Die (lat.) Iurisprudentia (F.) ecclesiastica
consistorialis (1649, 8. A. 1721, konsistorialkirchliche Rechtswissenschaft)
ordnet einheitlich erstmals das Recht der protestantischen Kirche.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CarpzovBenediktIurisprudentiaEcclesiasticaConsistoralis1649(1652).pdf
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CarpzovBenediktIurisprudentiaRomanoSaxonica1638(9A1703).pdf
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CarpzovBenediktPracticaNovaImperialisSaxonicaRerumCriminalium1635(1684).pdf
;Köbler, DRG 144; Schmidt, E., Einführung in die Geschichte der deutschen
Strafrechtspflege, 1947, 3. A. 1965; Köckritz, S. v., Die Bedeutung des Willens
für den Verbrechensbegriff Carpzovs, 1955; Merzyn, G., Der Beitrag Benedikt
Carpzovs zur Entwicklung des Kollisionsrechts, 1963; Schieckel, H., Benedict I.
Carpzov (1565-1624) und die Juristen unter seinen Nachkommen, ZRG GA 83 (1966),
310; Schieckel, H., Alexander Graf zu Dohna als Nachkomme von Benedikt I.
Carpzov, ZRG GA 89 (1972), 212; Benedikt Carpzov, hg. v. Schild, W., 1997;
Benedict Carpzov, hg. v. Jerouschek, G. u. a., 2000; Wilde, M., Die Zauberei-
und Hexenprozesse in Kursachsen, 2003
Carta,
charta (lat. [F.] Blatt, Urkunde) ist die Urkunde, vor allem die (vom
Veräußerer) subjektiv gefasste (und unterschriebene) Geschäftsurkunde
(Verfügungsurkunde) des frühmittelalterlichen Rechtsverkehrs (z. B. des
Klosters Sankt Gallen) im Gegensatz zur (lat. [F.] notitia) Beweisurkunde. Seit
dem 9. Jh. schwindet die c. Ihre Aufgabe übernimmt im 12. Jh. die
Siegelurkunde.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, LAW; Brunner, H., Zur
Rechtsgeschichte der römischen und germanischen Urkunde, Bd. 1 1880, Neudruck
1961; Zeumer, K., Cartam levare, ZRG GA 4 (1883), 113; Redlich, O., Die
Privaturkunden des Mittelalters, 1911; Steinacker, H., Die antiken Grundlagen
der frühmittelalterlichen Privaturkunde, 1951; Classen, P., Kaiserreskript und
Königsurkunde, 1977, 190; Recht und Schrift im Mittelalter, hg. v. Classen, P.,
1977
cartularius
(lat. [M.]) mittels Urkunde (lat. carta) Freigelassener
Lit.: Olberg,
G. v., Die Bezeichnungen für soziale Stände, Schichten und Gruppen in den Leges
Barbarorum, 1991
case-law
(engl. [N.]) →Fallrecht
Cassiodor,
Flavius Magnus Aurelius Senator (Bruttium vor 490-nach 580), aus in Kalabrien
begüterter Familie senatorischen Ranges, 507 (lat.) quaestor, 514 (lat.)
consul, 523-527 (lat.) magister officiorum, 533-537 (lat.) praefectus
praetorio, ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der Spätantike, der auf
Grund seiner vorangehenden Verwaltungstätigkeit in seinen Variae (lat. [F.Pl.]
[epistulae] verschiedene [Briefe]) die ostgotische Herrschaftspraxis in Italien
bis 537 erkennen lässt (um 555 Rückzug in das von ihm gegründete Kloster
Vivarium).
Lit.: O‘Donnell, J., Cassiodor, 1979; Krautschick, S.,
Cassiodor und die Politik seiner Zeit, 1983; Meyer-Flügel, B., Das Bild der
ostgotisch-römischen Gesellschaft bei Cassiodor, 1992; Stüven, A., Rechtliche
Ausprägungen der civilitas im Ostgotenreich, 1995; Kakridi, C., Cassiodors
Variae, 2005
Cassius,
Longinus (1. Jh.), aus alter senatorischer Familie, wird als Schüler des →Sabinus
Haupt der römischen Rechteschule der Sabinianer oder Cassianer. Seine
(mindestens 10 Bücher umfassenden) Libri (M.Pl.) iuris civilis (Bücher des römischen
Rechtes) sind nur mittelbar durch Auszüge überliefert.
Lit.: Kunkel, W., Herkunft und soziale Stellung der
römischen Juristen, 2. A. 1967, 130
casum sentit dominus (lat.). Den (Fall bzw.) Zufall fühlt der Eigentümer (d. h.
seinen Schaden trägt grundsätzlich jeder selbst).
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
casus (lat. [M.] Fall, Zufall
caupo (lat.
[M.]) Schankwirt
causa (lat.
[F.]) Grund, Ursache, Fall
Lit.: Kaser §§ 19, 24, 25, 27, 33, 40, 48; Söllner § 8;
Köbler, DRG 44, 61; Fuchs, J., Justa causa traditionis, 1952; Bremkamp, T.,
Causa. Der Zweck als Grundpfeiler des Privatrechts, 2008; Fu, G., Das
Causaproblem im deutschen Bereicherungsrecht, 2010
causae (F.Pl.) civiles (lat.) bürgerliche Sachen
causae (F.Pl.) criminales (lat.) Strafsachen
causae (F.Pl.) maiores (lat.) wichtigere Angelegenheiten
causae (F.Pl.) minores (lat.) mindere Angelegenheiten
Cautela (lat.
[F.], Vorsicht) ist die von dem magdeburgischen Bürger Hermann von Oesfeld 1350
deutsch (mit lateinischen Zitaten) verfasste, handschriftlich seit 1382 belegte
(8 Handschriften bis 1483) kleine Sammlung von Anweisungen zum vorsichtigen
Verhalten vor Gericht (14 Zeilen Vorrede, 97 Zeilen Text, 11 Zeilen Nachrede). →Premis
Lit.: Unger, F., Des Richtes Stig, 1847; Homeyer, C., Der
Richtsteig Landrechts nebst Cautela und Premis, 1857, http://www.koeblergerhard.de/Fontes/RichtsteigLandrechtnebstCautelaundPremis1857.pdf;
Ovesfelde, H. v., Die Cautela, 1939; Oppitz, U., Die deutschen Rechtsbücher des
Mittelalters, Bd. 1 1990, 66
cautio (lat.
[F.]) Sicherheitsleistung bzw. das als Stipulation für den Fall eines künftigen
Schadens aus einem bestimmten Umstand (z. B. Einsturz eines Gebäudes)
abgegebene Leistungsversprechen des römischen Rechtes
Lit.: Kaser § 7; Söllner § 9; Köbler, DRG 29; Köbler, LAW;
Salmen-Everinghoff, C., Zur cautio damni infecti, 2009
cautio (F.) Muciana (lat.) mucianische →Sicherheitsleistung, →Mucius
Scaevola
Celle (nach Erhebung des
Fürstentums Calenberg-Grubenhagen zum Kurfürstentum 1692 Notwendigkeit eines
Oberappellationsgerichts, das als
Ausgleich für den Verlust als Residenz eines Teilherzogtums in C. 1711 eröffnet
wird)
Lit.: Figge, R., Altes Recht in
Celle, 1938; Jessen, P., Der Einfluss von Reichshofrat und Reichskammergericht
auf die Entstehung und Entwicklung des Oberappellationsgerichts Celle, 1986;
Rüping, H., Rechtsanwälte im Bezirk Celle, 2006; Stodolkowitz, S., Das
Oberappellationsgericht Celle, 2011; Dreihundert Jahre Oberlandesgericht
Celle, 2011; Rohde, R. u. a., Celle im Nationalsozialismus, 2012
Celsus,
Iuventius (pater) (1. Jh.) ist der als ein Haupt der Prokulianer und als Vater
des →Celsus (filius) bekannte klassisch-römische Rechtskundige.
Lit.: Söllner § 16; Köbler, DRG 30; Kunkel, W., Herkunft
und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. A. 1967, 137
Celsus,
Iuventius Publius (filius) (2. Jh.), Sohn des Iuventius Celsus (pater), ist der
bedeutende Vertreter des hochklassischen römischen Rechtes (u. a. [lat.] Libri
[M.Pl.] digestorum, Bücher der Digesten) der Zeit Kaiser Hadrians (117-138 n.
Chr.), von dem etwa die lateinischen Wendungen Ius est ars boni et aequi (Das
Recht ist die Kunst des Guten und Gerechten) und Scire leges non hoc est verba
earum tenere, sed vim ac potestatem (Gesetze kennen bedeutet nicht, ihre Worte
zu wahren, sondern ihren Sinn und Zweck) und das (lat.) Senatusconsultum (N.)
Iuventianum (129) mit einer Bevorzugung des gutgläubigen
Bereicherungsschuldners im Erbrecht stammen.
Lit.: Kunkel, W., Herkunft und soziale Stellung der
römischen Juristen, 2. A. 1967, 146; Hausmaninger, H., Publius Iuventus Celsus,
(in) Prescriptive formality, 1994
Centena (lat.
[F.]) ist im frühmittelalterlichen Franken und Alemannien eine Verwaltungseinheit
streitigen Inhalts (Erstbeleg 511/558).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Dannenbauer, H., Hundertschaft,
centena und huntari, Hist. Jb. 62-69 (1949), 155; Metz, W., Zur Geschichte der
fränkischen centena, ZRG GA 74 (1957), 234; Schulze, K., Die
Grafschaftsverfassung in den Gebieten östlich des Rheins, 1974; Murray, A.,
From Roman to Frankish Gaul, Traditio 44 (1988), 59ff.
Centenarius (lat.
[M.]) ist in der römischen Spätantike der kaiserliche Beamte mit 100000
Sesterzen Jahresgehalt, im Frühmittelalter bei Westgoten, Langobarden, Bayern,
Franken und Alemannen ein niederer königlicher Amtsträger.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Krug, H., Untersuchungen zum Amt
des centenarius - Schultheiß, ZRG GA 87 (1970), 1, 88 (1971), 29 (Diss. phil. Wien
1968); Murray, A., From Roman to Frankish Gaul, Traditio 33 (1988), 59ff.
Cessante ratione legis cessat ipsa lex (lat.). Fällt der Sinn eines Gesetzes weg, fällt das
Gesetz selbst weg.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Glosse zu Digesten 35, 1, 72, § 6); Krause, H., Cessante causa cessat lex, ZRG
KA 46 (1960), 81
cessio (lat.
[F.]) Abtretung (einer Forderung) →Zession
Chamave →Ewa
Chamavorum
Chambéry in
den Voralpen gelangt 1232 an Savoyen. 1761 erhält es eine Universität.
Champagne ist
die südwestlich vor den Ardennen liegende Landschaft. Sie fällt 486 n. Chr. von
den Römern an die Franken und wird 814 Grafschaft. Diese wird 1314/1361
Krondomäne Frankreichs. Unter Rückgriff auf eine um 1253 entstandene Sammlung
der Usages de C. und Einfügung verschiedener höchstgerichtlicher Urteile der
Jahre 1270 bis 1295 verfasst wahrscheinlich Guillaume de Châtelet zwischen 1295
und 1300 den Ancien coutumier de C.
Lit.: Portejoie, P., L’ancien coutumier de Champagne, 1956;
Bur, M., La formation du comté de Champagne, 1977
Chancengleichheit ist die in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s aus dem
Gleichheitsgrundsatz entwickelte Vorstellung, dass in bestimmten
Wettbewerbslagen C. hergestellt werden müsse.
Lit.: Bender, R./Schumacher, R., Erfolgsbarrieren vor
Gericht, 1980
Charisma (N.) Heil, Ausstrahlungskraft
Lit.: Das Charisma, hg. v.
Rychterova, P., 2008
Charivari (N.) Durcheinander, Wirrwarr, Katzenmusik
(Volksbrauch)
Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist die mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. 12. 2009
in ihrer überarbeiteten Fassung vom 12. 12. 2007 den Gemeinschaftsverträgen der
europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union rechtlich
gleichgestellte und damit rechtsverbindliche, neben den ungeschriebenen, als
allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts fortgeltenden Unionsgrundrechten
geltende Charta der Grundrechte in der Europäischen Union im Sinne eines formellen
Sytems europäischer Wertnormen. Diese objektive europäische Werteordnung nimmt
am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts Teil. Die letzverbindliche Kontrollzuständigkeit
hat der Europäische Gerichtshof.
Lit.:
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ChartaderGrundrechtederEU2010.pdf
Charta der
Vereinten Nationen →Vereinte Nationen
Charte constitutionelle (frz. [F.] Verfassungsurkunde) ist die oktroyierte(, bis
Juli 1830 geltende) Verfassung des Jahres 1814 in Frankreich.
Chartepartie (aus
[lat.] carta [F.] partita, geteilte Urkunde) ist im Seehandelsrecht seit dem
Hochmittelalter die Urkunde über die (teilweise) Befrachtung eines Schiffes
(vgl. ADHGB von 1861).
Lit.: Goldschmidt, L., Handbuch des Handelsrechts, 1864, 2.
A. 1875, darin Universalgeschichte des Handelsrechts, (Bd. 1 3. A.) 1891,
Neudruck 1957; Lewis, W., Das deutsche Seerecht, 1883; Wattenbach, W., Das
Schiffswesen im Mittelalter, 1896, Neudruck 1958; Scrutton, T., The contract of
affreightment, 1939; Morisset, J., Der Frachtvertrag in der Ordonnance de la
marine von 1681, 1996; Landwehr, G., Das Seerecht der Hanse (1365-1614), 2003
checks and balances Kontrollen und Ausgleiche durch Gewaltenteilung in der Verfassung
Chemnitz →Hippolithus
a Lapide
Lit.:
Das Chemnitzer Bleichgericht und die dortigen Bleichen vor 500 Jahren, ZRG GA
25 (1904), 345; Schlesinger, W., Die Anfänge der Stadt Chemnitz, 1952
China (u. a. 1983/1984 in Zhangjiashan im Grab M 247 mehr als 1000 Bambusleisten
aus dem 2. Jh. v. Chr. entdeckt mit 70 Prozent Rechtstexten und 227
Bambusleisten mit einem Textkorpus Zouyanshu) (1271-1291 Aufenthalt Marco Polos
aus Venedig im mongolischen China, um 1900 starker Einfluss des deutschen
Rechtes) (1978 offizielle Übernahme westeuropäischen Rechtes begonnen, anfangs
angloamerikanisch, später auch deutsch)
Lit.: Senger, H. v., Kaufverträge im traditionellen China,
Diss. jur. Zürich 1970; Köbler, G., Rechtschinesisch, 2001; Recht und
Rechtsgeschichte Chinas, 2002; Lexikon der chinesischen Literatur, hg. v.
Klöpsch, V. u. a., 2004; Seyock, B., Auf den Spuren der Ostbarbaren, 2004; Kim,
C., Deutscher Kulturimperialismus in China, 2004; Yangwen, Z., The Social Life
of Opium in China, 2005; Falkenhausen, L. v., Chinese Society in the Age of
Confucius, 2006; Dabringhaus, S., Geschichte Chinas 1279-1949, 2. A. 2009;
Schoettli, U., China, 2007; China, hg. v. Staiger, B. u. a., 2006;
Schmidt-Glintzer, H., Kleine Geschichte Chinas, 2008; Höllmann, T., Das alte
China, 2008; Schmieder, F., Marco Polo (1254-1324), 2009; Weiers, M.,
Geschichte Chinas, 2009; Lei, Y., Auf der Suche nach dem modernen Staat, 2010;
Ostasiatisches Strafrecht, hg. v. Hilgendorf, E., 2010; Kangying, L., The Ming
Maritime Policy in Transition. 2010; Kroll, S., Normgenese durch Re-Interpretation.
China und das europäische Völkerrecht, 2012; Zhang, Q., The Constitution of
China, 2012; Simon, K-. Civil Society in China, 2013
Chirographum (lat.-gr.
[N.] Handgeschriebenes) ist in der römischen Antike die (eigenhändig
geschriebene, subjektiv gefasste) Papyrusurkunde. Von England (Mitte 9. Jh.)
aus wird c. später zur Bezeichnung für die in zwei Ausfertigungen auf einem
danach zerschnittenen Blatt hergestellte Urkunde über ein mehrseitiges
Rechtsgeschäft (854/855?, Saint Bertin 944, Trier 967). Seit dem 14. Jh. wird
das c. bei siegelführenden Beteiligten durch die Siegelurkunde, im Übrigen
durch die Urkunde öffentlicher Notare zurückgedrängt, bleibt aber bis zum 18.
Jh. in Gebrauch. →Chartepartie
Lit.: Kaser §§ 7, 40; Köbler, DRG 43; Köbler, LAW; Redlich,
O., Die Privaturkunde des Mittelalters, 1911; Bresslau, H., Handbuch der
Urkundenlehre, Bd. 1, 2. A. 1912, 699; Trusen, W., Chirographum und Teilurkunde
im Mittelalter, Archival. Z. 75 (1979), 233; Parisse, M., Remarques sur les
chirographes, AD 32 (1986), 546ff.; Anglo-Saxon Manuscripts and their Heritage,
hg. v. Pulsiano, P. u. a., 1998
Chlodwig (Chlodowech, 466-511), merowingischer
König der Franken (482-511)
Lit.: Ewig, E., Die Merowinger und
das Frankenreich, 1988, 3. A. 1997
Chorbischof (Landbischof)
ist im oströmischen Reichsteil der ursprünglich gleichberechtigte Gehilfe des
städtischen Bischofs für das Landgebiet der Diözese. Seit der Mitte des 8. Jh.s
erscheint unter angelsächsischem Einfluss ein C. im Westen, der seit dem 9. Jh.
aber wieder schwindet (Konzil von Metz 888).
Lit.: Gottlob, T., Der abendländische Chorepiskopat, 1928,
Neudruck 1963; Müller, J., Gedanken zum Institut der Chorbischöfe , FS K.
Pennington, 2006, 77ff.
Chorherr ist
der (Kanoniker bzw.) Kleriker, der Mitglied eines an einer Kirche bestehenden
Kapitels (mit Sitz im Chor) ist. Ansätze zu einer solchen Gemeinschaft zeigen
sich schon bei Bischof Eusebius von Vercelli (um 283-371). Das Frühmittelalter
entwickelt hierfür besondere Regeln bzw. canones (z. B. Chrodegang von Metz um
755 regula canonicorum, Konzil von Aachen 816). Die frühhochmittelalterliche
Kirchenreform führt zur stärkeren Regulierung (gregorianische Reform). Im 12.
Jh. werden Empfehlungen des heiligen Augustinus besonders aufgegriffen
(Augustinerchorherr).
Lit.: Schieffer, R., Die Entstehung von Domkapiteln in
Deutschland, 1976; Lawrence, C., Medieval Monasticism, 2. A. 1989, 163;
Crusius, I., Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland, 1985; Die
Stiftskirche in Südwestdeutschland, hg. v. Lorenz, S. u. a., 2003
Chrenecruda (afrk.
„reine Erde“?) ist die in Titel 58 des salfränkischen Volksrechts (Pactus legis
Salicae) erwähnte, den leistungsunfähigen Wergeldschuldner betreffende →malbergische
Glosse, die sich auf ein vielleicht neu geschaffenes, nur kurze Zeit bezeugtes
oder vielleicht auch aus einer magischen Zauberhandlung übernommenes
Formalverhalten bezieht.
Lit.: Gierke, J., Chrene cruda und Spatenrecht, ZRG GA 28
(1907), 290; Goldmann, E., Chrenecruda-Studien zum Titel 58 der Lex Salica,
1931; Schmidt-Wiegand, R., Chrenecruda, FS G. Schmelzeisen, 1980, 252
Christentum ist
die Gesamtheit des christlichen Glaubens und seiner Anhänger. Unter Fortführung
jüdischer Vorstellungen des alten Testaments geht das C. davon aus, dass sein
Stifter Jesus Christus als Sohn Gottes durch seinen Tod am Kreuz die Menschen
von ihrer Sündigkeit erlöst hat. Die daran anknüpfenden Gedanken (Urchristentum
30-150 n. Chr.) breiten sich im römischen Reich so rasch aus, dass der Staat
seit dem 2. Jh. und entschieden seit der Mitte des 3. Jh.s das C. verfolgt,
ohne dass der gewollte Erfolg erreicht wird. Durch das Toleranzedikt Kaiser
Konstantins (311) wird das C. gleichberechtigter Kult, durch Kaiser Theodosius
I. 380 Staatsreligion. Seit dem Ausgang des Altertums greift das C. vor allem
auf die germanischen Völker über (im 5. und 6. Jh. Bischofskirchen in den
Bischofsstädten, während z. B. im Rheinland die Zeugnisse für die ländlichen
Gebiete noch spärlich bleiben (Flonheim nordwestlich Alzeys) und Belege für
Heidentum noch reichlich zu finden sind. Spaltungen (1054 und 1517) führen zu
den besonderen Bekenntnissen der Katholiken, Orthodoxen und Protestanten. In
der Neuzeit verbreitet sich das C. mit der Entdeckung neuer Länder und der
Gewinnung von Kolonien über die ganze Erde, doch bedeutet die französische
Revolution von 1789 eine Wende zu Säkularisierung.. Bereits kurz nach seiner
Entstehung entwickelt das C. in Anlehnung an römisches Recht ausgeprägte
rechtliche Regeln (→kirchliches Recht), die in vielen Hinsichten das
weltliche Recht mitgestalten.
Lit.: Söllner §§ 19, 20, 21; Köbler, DRG
51, 68, 99, 146; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972, 772; Bultmann, R.,
Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, 1949, 4. A. 1976, 6. A.
1998; Moeller, B., Geschichte des Christentums in Grundzügen, 1965,, 10. A.
20118. A. 2004; Biondi, B., Il diritto romano cristiano, 1952ff.; Plöchl, W.,
Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 1ff. 1953ff., 2. A. 1960ff.; Christentum,
Säkularisation und modernes Recht, hg. v. Lombardi-Vallauri, L. u. a., 1981;
Deschner, K., Kriminalgeschichte des Christentums, Bd. 1ff. 1988ff.; Die
Geschichte des Christentums, hg. v. Mayeur, J. u. a., Bd. 8 1992, Bd. 10 1999;
Geschichte des Christentums, hg. v. McManners, J., 1993; Andresen, C./Ritter,
A., Geschichte des Christentums, Bd. 1ff. 1993ff.; Crossan, J., Der historische
Jesus, 1994; Drobner, H., Lehrbuch der Patrologie, 1994, 2. A. 2004, 3. A. 2011;
Fontes christiani, hg. v. Brox, N. u. a., 1995ff.; Winkelmann, F., Geschichte
des frühen Christentums, 1996; Glaser, F., Frühes Christentum im Alpenraum,
1997; Barton, P., Geschichte des Christentums in Österreich und
Südostmitteleuropa, 1997; Padberg, L. v., Die Christianisierung Europas, 1998;
Lang, B., Heiliges Spiel, 1998; Gnilka, J., Die frühen Orden, 1999; Lexikon der
christlichen Antike, hg. v. Bauer, J. u. a., 1999; Metzler Lexikon christlicher
Denker, hg. v. Vinzent, M., 2000; Die Geschichte des Christentums, hg. v.
Pietri, L., Bd. 3 2000; Lee, A., Pagans and Christians in Late Antiquity, 2000;
Mission und Christianisierung am Hoch- und Oberrhein, hg. v. Berschin, W. u. a.
2000; Lüdemann, G., Das Urchristentum, 2002; Jensen, A., Frauen im frühen Christentum,
2002; Die Alemannen und das Christentum, hg. v. Lorenz, S. u. a., 2003; Koch,
S., Rechtliche Regelung von Konflikten im frühen Christentum, 2003; Tamcke, M.,
Das orthodoxe Christentum, 2004; Hasenfratz, H., Die antike Welt und das
Christentum, 2004; Zschoch, H., Die Christenheit im Hoch- und Spätmittelalter,
2004; Hasenfratz, H., Die antike Welt und das Christentum, 2004; Bonifatius, hg.
v. Felten, F., 2004; The Spread of Christianity in the first four Centuries,
hg. v. Harris, W., 2005; Angenendt, A., Toleranz und Gewalt, 2006; Markschies,
C., Das antike Christentum, 2006; Seebaß, G., Geschichte des Christentums, Bd.
3 2006; Engberg, J., Impulsore Chresto, 2007; Terrien, M., La christianisation
de la région rhénane du IVe au milieu du VIIIe siècle, 2007; Fonti per la
storia della cristianizzazione dei Germani, hg. v. Mico, N. de u. a., 2007; Judge,
E., The First Christians in the Roman World, 2008 (Aufsätze); Habermas, R.,
Mission im 19. Jahrhundert, HZ 287 (2008), 629; Gender and Christianity in Medieval
Europe, hg. v. Bitel, L., 2008; The Oxford Handbook of Early Christian Studies,
hg. v. Ashbrook, S. u. a., 2008; Koch, D., Bilder aus der Welt des
Urchristentums, 2009; Cook, J., Roman Attitudes Toward the Christians, 2010;
Erinnerungsorte des Christentums, hg. v. Markschies, C. u. a., 2010; Athanasius
Handbuch, hg. v. Gemeinhardt, P., 2011; Hume, D., The Early Christian
Community, 2011; Wendt, H., Die missionarische Gesellschaft, 2011; Lange, C.,
Eine kleine Geschichte des Christentums, 2012; Leppin, V., Geschichte des
mittelalterlichen Christentums, 2012; Brunner, K., In Freiheit glauben, 2013;
Schwertmission, hg. v. Kamp, H. u. a., 2013; Koch, D., Geschichte des
Urchristentums, 2013 (ca. 30 n. Chr.-150 n. Chr.); Schlögl, R., Alter Glaube
und moderne Welt - Europäisches Christentum im Umbruch 1750-1850, 2013
Chronik (F.) zeitlich geordnete Aufzeichnung
(Eusebius [um 325], Hieronymus [um 378], Paulus Orosius [417], Isidor von
Sevilla [um 627], Regino von Prüm, Frutolf von Michelsberg, Kaiserchronik
[1140/1150], Otto von Freising, sächsische Weltchronik [um 1230?], Magdeburger
Weichbildchronik [1235-1250], Martin von Troppau)
Lit.: Schmidt, H., Die deutschen
Städtechroniken, 1958; Krüger, K., Die Universalchronik, 1976ff.; Schwäbische
Chroniken der Stauferzeit, 1978; Schmale, F., Funktion und Formen
mittelalterlicher Geschichtsschreibung, 1985; Sprandel, R., Chronisten als
Zeitzeugen, 1994; Van Houts, E., Local and Regional Chronicles, 1995; Naß, K.,
Die Reichschronik des Annalista Saxo, 1996; Hauptwerke der
Geschichtsschreibung, hg. v. Reinhardt, V., 1997; Goetz, H.,
Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im hohen Mittelalter, 1999;
Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit,
2000; Die Chroniken Bertholds von Reichenau und Bernolds von Konstanz
1054-1100, hg. v. Robinson, I., 2003; Hessische Chroniken zur Landes- und
Stadtgeschichte, hg. v. Menk, G., 2003; Ebendorfer, Thomas, Chronica regum
Romanorum, hg. v. Zimmermann, H., 2003; Von Fakten und Fiktionen, hg. v.
Laudage, J., 2003; Die Reichschronik des Annalista Saxo, hg. v. Naß, K., 2006; Encyclopedia of thje Medieval Chronicle, hg. v. Dunphy,
G., Bd. 1f. 2010; Nuhn (von Hersfeld), J., Die „Wallensteiner Chronik“, hg. v.
Krafft, O., 2013
Chronologie (F.) ist das geordnete Wissen um die
Zeit (Zeitkunde).
In der C. wird die Zeit der Jahre vielfach von einem mythischen Beginn an
gezählt (z. B. von der Schöpfung an oder vom angeblichen Gründungsdatum Roms
[753 v. Chr.]). Julius Caesar geht dabei (46 v. Chr.) von drei Jahren zu 365
Tagen und einem Jahr von 366 Tagen, einem Jahresbeginn am 1. Januar und 12
Monaten aus. Die Rechnung der Jahre nach Christi Geburt leitet sich von
Eusebius von Caesarea (frühes 4. Jh.) oder von den Ostertafeln des Dionysius
Exiguus (525) her, die sich zu Beginn des 8. Jh.s in England durchsetzt und von
dort auf das Reich der Franken übergreift. Regino von Prüm datiert ab Christi
Geburt und wendet damit als erster in der Weltgeschichtsschreibung die durchgehende
Zählung nach Inkarnationsjahren an. Wegen der 11 Minuten und 14 Sekunden das
Sonnenjahr überschreitenden tropischen Jahres des julianischen Kalenders (ein
Tag in 128 Jahren), folgt in der Reform des Jahres 1582 (gregorianische
Kalenderreform mit einer fehlerhaften Abweichung von einem Tag in 3323 Jahren)
auf den 4. Oktober der 15. Oktober. Seit dem Ende des 18. Jh.s werden auch die
vorchristlichen Jahre nach Christi Geburt gezählt. Eine internationale
Standaridiserung geht in der Gegenwart von der Schreibweise Jahr, Monat, Tag
(z. B. 2007-09-30) aus.
Lit.:
Grotefend, H., Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit,
1891ff., Neudruck 1970; Grotefend, H., Taschenbuch der Zeitrechnung, 1898, 14.
A. 2007; Rühl, F., Chronologie des Mittelalters und der Neuzeit, 1897; Mahler,
E., Handbuch der jüdischen Chronologie, 1919, Neudruck 1967; Sonntag, R.,
Studien zur Bewertung von Zahlenangaben in der Geschichtsschreibung des frühen
Mittelalters, 1987; Brincken, A. v. d., Historische Chronologie des
Abendlandes, 2000; Bäbler, B., Archäologie und Chronologie, 2004; Gutmann, A., Die Schwabenkriegschronik
des Kaspar Frey, 2010
Chur
Lit.: Casparis, H., Der Bischof
von Chur als Grundherr, 1910; Jecklin, F., Die Churer Waisenpflege, 1920;
Deplazes, L., Reichsdienste und Kaiserprivilegien, 1973
Cicero,
Marcus Tullius (Arpinum 3. 1. 106-bei Formiae 7. 12. 43 v. Chr.), aus der
Ritterschicht (eques) seines Geburtsorts stammender, 104 v. Chr. nach Rom
gelangender und dort römisch-griechisch erzogener Schüler des Mucius augur und
des Mucius Scaevola, ist nicht nur ein machtbewusster und ehrgeiziger, beweglicher,
aber mit Vorsicht zu benutzender und kaum an die tatsächliche Macht gelangter
Politiker (63 v. Chr. Konsul), sondern in erster Linie der bedeutendste
Gerichtsredner und politische Schriftsteller der römischen Antike, der vor
allem das griechische Rechtsdenken aufgreift und weitergibt. Insbesondere der
Schrift De officiis (Von Pflichten) gelingt die Vermittlung der Naturrechtsidee
an die spätere Zeit.
Lit.: Söllner §§ 7, 9, 11, 12; Köbler,
DRG 17; Wieacker, F., Cicero als Advokat, 1965; Mitchell, T., Cicero, 1991;
Fuhrmann, M., Cicero und die römische Republik, 1989, 4. A. 1997; Marcus
Tullius Cicero, Die Prozessreden, hg. v. Fuhrmann, M., 1997; Kurczyk, S.,
Cicero und die Inszenierung der eigenen Vergangenheit, 2006; Res publica und
Demokratie, hg. v. Richter, E. u. a., 2007; Fox, M., Cicero’s Philosophy of
History, 2007; Lintott, A., Cicero as Evidence, 2008; Bringmann, K., Cicero,
2010; Pina Polo, F., Rom, das bin ich, 2010; Pflüger, H., Ciceros Rede pro Q.
Roscio comoedp, 2013
Cinus (de
Sighibuldis) da Pistoia (Pistoia 1270-1336/1337), Sohn eines Notars, wird nach
dem Studium des weltlichen Rechtes in Bologna Anhänger des deutschen Königs Heinrich
VII. Nach der Promotion (1314) schließt er sich der päpstlichen Partei an und
wird Professor in Siena (1321-1323, 1324-1326), Perugia (1326-1330, 1332-1333),
Neapel (1330-1331) und Bologna (1333-1334). Sein Hauptwerk ist der um 1312 bis
1314 verfasste Kommentar zum Codex, neben dem Glossen, quaestiones, consilia
und ein Traktat De successione ab intestato stehen.
Lit.: Savigny, F. v., Geschichte des römischen Rechtes im
Mittelalter, 2. A. 1834ff., 6, 7; Chiapelli, L., Vita e opere, 1881; Libertini,
V., Cino da Pistoia, 1974; Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 633
Cisleithanien ist die nichtamtliche Bezeichnung der Länder Österreichs diesseits des
Flusses Leitha (Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Krain,
Küstenland, Dalmatien, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Böhmen, Mähren, Schlesien,
Galizien und Bukowina [im Gegensatz zu Transleithanien]), die bis 1915 als die
im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder umschrieben und dann als
Kaisertum Österreich benannt werden.
Lit.:
Zöllner, E., Der Österreichbegriff, 1988
Civilian ist
im englischen Recht die Bezeichnung für den im römischen Recht (civil law)
ausgebildeten Juristen.
Lit.: The Civilian Tradition and Scots Law, hg. v. Carey
Millar, D. u. a., 1997
civis (lat.
[M.]) Bürger
Lit.: Kaser; Köbler, G., Civis und ius civile im deutschen
Frühmittelalter, Diss. jur. Göttingen 1964
civis (M.) Romanus (lat.) römischer →Bürger
civitas (lat.
[F.]) Völkerschaft, Bürgerschaft
Lit.: Rietschel, S., Die civitas auf deutschem Boden, 1894,
Neudruck 1978; Brühl, C., Palatium und civitas, 1975
civitas [F.] imperii (mlat.) Reichsstadt
clam (lat.)
heimlich
clausula (lat.
[F.]) Klausel
clausula (lat. [F.]) arbitraria Ermessensklausel des römischen Rechtes (z. B. auf
Herausgabe einer Sache) in der Klageformel
Clausula (F.) rebus sic stantibus (lat.) ist die für Einzelfälle bereits im Altertum angesprochene,
im Hochmittelalter auf dieser Grundlage zum Ausdruck gebrachte Vorbehaltsklausel
der unveränderten Sachlage (Augustin von Leyser [1683-1752] omne pactum rebus
sic stantibus intelligendum est, jeder Vertrag muss unter gleichbleibenden
Voraussetzungen betrachtet werden). Sie geht im 20. Jh. in der Lehre vom Fehlen
bzw. Wegfall der Geschäftsgrundlage auf.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Dießelhorst, M., Die
Geschäftsgrundlage, (in) Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, 1980, 153;
Wesenberg, G./Wesener, G., Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. A. 1985;
Köbler, R., Die clausula rebus sic stantibus, 1991; Gieg, C., De tacita
conditione rebus sic stantibus, Diss. jur. Würzburg 1991; Rummel, M., Die
clausula rebus sic stantibus, 1991
Clementinen (Clementinae) sind die von Papst Clemens V. (1305-1314) unter Verzicht
auf Ausschließlichkeit gesammelten, meist auch von ihm erlassenen, von Papst
Johannes XXII. (1316-1334) am 23. 10. 1317 (Bulle Quoniam nulla) in 106
Kapiteln herausgegebenen →Dekretalen, die den letzten Teil des (lat.) →corpus
(N.) iuris canonici bilden (Zitierweise Clem. 2. 11. 2). Die 1326
abgeschlossene Bearbeitung durch Johannes Andreae wird zur (lat.) glossa (F.)
ordinaria (ordentlichen Glosse).
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Clementinae1314.pdf;
Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 102; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte,
1950, 5. A. 1972; Tarrant, J., Constitutiones Clementinae, ZRG KA 70 (1984),
67ff., 71 (1985), 76ff.
clientes (lat. [M.Pl.]) Klientel, geschützte
Abhängige, Anhänger, Dienstleute
Lit.: Patronage in Ancient
Society, hg. v. Wallace-Hadrill, A., 1990
Cluny (nordwestlich Mâcons) in Burgund ist die vom Herzog von Aquitanien am 11. 9. 910
gegründete Benediktinerabtei, die im 10. Jh. zum Mittelpunkt einer kirchlichen
Reformbewegung (kluniazensische Kirchenreform) mit rund 300 angeschlossenen
Männerklöstern und Frauenklöstern wird. Mit der Umformung zum Orden und der
Einführung von Generalkapiteln verliert C. um 1200 seine besondere Stellung. Das
Kloster wird 1790 im Zuge der französischen Revolution aufgehoben. Die Kirche
wird anschließend bis auf einen Querhausarm abgerissen.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Hallinger, K., Gorze-Kluny, Bd.
1f. 1950, Neudruck 1971; Cluny im 10. und 11. Jahrhundert, hg. v. Wollasch, J.,
1970; Kohnle, A., Abt Hugo von Cluny (1049-1100), 1993; Wollasch, J., Cluny,
1996; Les plus anciens documents originaux, hg. v. Atsma, H. u. a., 1997ff.;
Racinet, P., Crises et renouveau, 1997; Poeck, D., Cluniacensis ecclesia, 1998;
Die Cluniazenser in ihrem politisch-sozialen Umfeld, hg. v. Constable, G. u.
a., 1998; Prat, D., Études clunisiennes, 2002; Baud, A., Cluny, 2003; Barret,
S., La mémoire et l’écrit, 2004; Rosé, I., Construire une société seigneuriale,
2008;Lamke, F., Cluniacenser am Oberrhein, 2009; Hurel, O./Riche, D., Cluny,
2010
Coburg
Lit.: Das älteste Coburger
Stadtbuch 1388-1453, bearb. v. Andrian-Werburg, K. Frhr. v., 1977
Cocceji,
Samuel von (Heidelberg 20. 10. 1679-Berlin 4. 10. 1755), Sohn des Völkerrechtsprofessors
Heinrich von Cocceji (Bremen 25. 3. 1644-Frankfurt an der Oder 18. 8. 1719),
wird nach dem Rechtsstudium in Frankfurt an der Oder dort (1702) Professor,
tritt aber wenig später in den Justiz- und Verwaltungsdienst Preußens
(1711-1713 Delegierter Preußens am Reichskammergericht in Wetzlar, 1713
Präsident des Kammergerichts in Brandenburg, 1727 Etatminister, 1731 Präsident
des Oberappellationsgerichts, 1. Juni 1738 chef de justice, Justizminister),
wo er 1747 Großkanzler wird. Auf ihn gehen die 1747/1748 erschienenen
Gerichtsordnungen (Projekt des Codicis Fridericiani Pomeranici, Projekt des
Codicis Fridericiani Marchici) zurück (1746 Abschaffung der Aktenversendung),
während der Versuch einer Neuordnung des materiellen Rechtes auf der Grundlage
der dem römischen Recht entnommenen naturrechtlichen Grundsätze (Projekt des
Corpus juris Fridericiani, Personenrecht 1749, Sachenrecht 1751,
Obligationenrecht 1753 bei Versendung verloren) im Ergebnis scheitert. Von
beachtlichem Erfolg gekrönt ist die praktische Vereinheitlichung der
bestehenden Gerichtsverfassung (u. a. feste Richterbesoldung, 1755
Justizprüfungskommission, Verbot der Aktenversendung, geordneter dreistufiger
Instanzenzug).
Lit.: Köbler, DRG 140; Codex Fridericianus Marchicus, 2000
(Einführung durch Mohnhaupt, H.); Trendelenburg, F., Friedrich der Große und
sein Großkanzler Samuel von Cocceji, 1964; Neufeld, H., Die fridericianische
Justizreform, Diss. jur. Göttingen 1910; Springer, M., Die Coccejische
Justizreform, 1914; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege, 1953;
Weill, H., Frederick the Great and Samuel von Cocceji, 1961
Code civil
ist das (am 24. 3.) 1804 geschaffene Bürgerliche Gesetzbuch Frankreichs. Nach
ersten vergeblichen Versuchen unter König Heinrich III. (1574-1589), das
hinsichtlich einer Linie Bordeaux-Lyon-Genf südliche droit écrit (Schriftrecht
römischer bzw. westgotischer bzw. burgundischer Herkunft) mit dem nördlichen droit
coutumier (Gewohnheitsrecht überwiegend fränkischer Herkunft) zu verbinden, greift
die französische Revolutionsbewegung trotz Fehlens von Vorarbeiten auch die
Forderung nach bürgerlicher Neuordnung des Rechtes auf und bestimmt in der
Verfassung des Jahres 1791, dass ein Code des lois civiles communes à tout le
royaume (Buch der dem gesamten Königreich gemeinsamen bürgerlichen Gesetze)
geschaffen werden soll (il sera fait). Nach vier erfolglosen Entwürfen (1793 [719
Artikel, Gleichberechtigung der Ehegatten, einfache Scheidung, Zersplitterung
der Erbschaft durch gesetzliche Erbfolgeteilung, Adoption], 1794 [297 Artikel]
und 1796 [Projet de Code civil] durch Cambacérès, 1798-1799 durch Target) wird
hierfür am 12. 8. 1800 eine von der Regierung abhängige Kommission (vier
ehemalige Rechtsanwälte Tronchet, Portalis [römisches Recht], Bigot de
Préameneu, Maleville [römisches Recht, traditionell]) eingesetzt, die in vier
Monaten einen Entwurf anfertigt. Napoleon selbst nimmt an 59 bzw. 55 von 102
bzw. 107 Sitzungen des Staatsrats teil, bezieht zu 89 Themenbereichen Stellung
und setzt sich in 59 Fragen durch. Die nach Beratung seit 1803 erscheinenden 36
Einzelgesetze (Verordnungen) fasst ein Gesetz vom 21. 3. 1804 (unter
Abschaffung des alten Rechtes) als Code civil des Français zusammen (1807 Code
Napoléon, 1816 Code civil, 1852 Code Napoléon, 1870 Code civil). Der C. c.
umfasst 2281 Artikel ([2010] 2285), die in (einen Titre préliminaire und
ausgehend vom Institutionensystem in) drei Bücher (Personen [keine Bestimmungen
über juristische Personen], Güter und Eigentumsabwandlungen,
Eigentumserwerbsgründe (u. a. Erbrecht, Schuldrecht]) geteilt sind. Die
Bestimmungen verwirklichen antifeudalistische, egalitäre und zentralistische
Grundsätze der Revolution, bewahren aber auch in gewissem Umfang fränkisches
bzw. germanisches Gedankengut (Grundwerte Rechtseinheit, Gleichheit vor dem
Gesetz, Laizität, kennzeichnend sind Säkularisierung des Zivilstands und der
Ehe, beschränkte Scheidungsfreiheit, starke väterliche Gewalt, ungleiche
Stellung unehelicher Kinder, Verbot der Vaterschaftsuntersuchung, Eigentum,
Vertragsfreiheit, Deliktshaftungsgeneralklausel, Gleichheit der Erbschaft,
großer Pflichtteil). Sie treten außer in Belgien, Genf, Piemont, Italien (bis
1813) und Holland sowie im Großherzogtum Warschau (später Königreich Polen) und
kurzfristig im Villacher Kreis und in Osttirol auch in den linksrheinischen
Annexionsgebieten in Kraft, sowie überwiegend nur kurzzeitig 1810 (13. 12.
1810/29. 5. 1811-1. 10. 1814 [Oldenburg], 27. 5. 1814 [Hamburg], 4. 5. 1814
[Lübeck], 13. 8. 1814 [Bremen]) im Lippe-Departement und im Hansischen
Departement, 1808 im Königreich Westphalen (1. 1. 1808-9. 9. 1814), 1810 im
Großherzogtum Berg (1. 1. 1810), 1808 in Aremberg (1. 7. 1808-11. 9. 1814),
1810 in Baden (1. 1. 1810), 1811 in Frankfurt am Main (1. 10. 1811-1. 2. 1814)
und Anhalt-Köthen (1. 3. 1811-1. 1. 1812), 1812 in Nassau (1. 1. 1812-1. 1.
1814) und 1808 in Danzig (21. 7. 1808-1815). Bis zum 31. 12. 1899 bleibt der C.
c. in Geltung (linksrheinisch) in der preußischen Rheinprovinz, in Rheinhessen,
Birkenfeld, Rheinbayern, (rechtsrheinisch) in Berg und in Baden (1/6 des
Reichsgebiets mit ca. 8 Millionen Einwohnern). Darüber hinaus beeinflusst der
C. c. mehr oder weniger stark die gesamte spätere privatrechtliche Gesetzgebung
vieler Länder (Luxemburg, Belgien 1830, Niederlande bis 1838, Italien
1865-1940, Schweiz, Spanien 1889, Portugal 1867, Südamerika und Mittelamerika [Haiti
1825, Mexiko-Oaxaca 1828, Bolivien 1830, Costa Rica 1841, Peru 1852, Chile
1855, Mexiko 1870, Argentinien 1871, Brasilien 1916, Peru 1936], Louisiana
1808, 1825, Rumänien 1863/1865, Ägypten 1865, Quebec 1866, französische
Kolonien in Afrika). Wichtige Kommentare stammen von Charles-Bonaventure
Toullier und Alexandre Duranton. Im Vordergrund steht im 19. Jh. die Exegese
des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der Gerichtspraxis. Durch Novellen ist der C.
c. an geänderte Vorstellungen angepasst (z. B. 1807 Majorat, 1816 Verzicht auf
die Scheidung, 1819 Streichung des Erbverbots für Ausländer, dann Aufhebung des
bürgerlichen Todes und des körperlichen Zwanges, 1884 Ehescheidung, 1896 und
1912 Verbesserung der Rechtsstellung unehelicher Kinder, 1907 Recht der Ehefrau
auf Arbeitslohn, 1938 Geschäftsfähigkeit und Prozessfähigkeit der Ehefrau,
Familienrecht, Gleichheitsgrundsatz, 1999 pacte civil de solidarité, 200 Jahre
nach Inkrafttreten noch etwa die Hälfte des ursprünglichen Textes in manchmal
destrukturierter Fassung in Kraft), durch neue Codes (z. B. Code de la
propriété intellectuelle, Code de consommation, Code de assurances) in seiner
Bedeutung geschwächt. 2002 wird ein viertes Buch für das Überseegebiet Mayotte
angefügt, das 2006 nach Schaffung eines vierten Buches über Sicherheit zum
fünften Buch wird.
Lit.: Söllner §§ 1, 16; Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 141,
180, 184, 205; Zachariae von Lingenthal, K., Handbuch des französischen
Civilrechts, 1808, 8. A. 1894; Fenet, P., Recueil complet des travaux
préparatoires du Code civil, 1827; Mitteis, H., Die germanischen Grundlagen des
französischen Rechts, ZRG GA 69 (1943), 137; Böhmer, G., Der Einfluss des Code
civil auf die Rechtsentwicklung in Deutschland, AcP 151 (1950/1), 289;
Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Wilhelm,
W., Gesetzgebung und Kodifikation in Frankreich, Ius commune 1 (1967), 241;
Arnaud, A., Les origines doctrinales du Code civil français, 1969; Arnaud, A.,
Essai d’analyse structurale du Code civil français, 1973; Fehrenbach, E.,
Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht, 1974; Schubert, W.,
Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, 1977;
Theewen, E., Napoleons Anteil am Code civil, 1991; Gross, N., Der Code Civil in
Baden, 1993; Bürge, A., Das französische Privatrecht im 19. Jahrhundert, 2. A.
1995; Halpérin, J., Le Code civil, 1996, 2. A. 2003; Code Napoléon. Badisches
Landrecht, bearb. v. Müller-Wirth, C. u. a., 1997; Caroni, P., Saggi sulla
storia della codificazione, 1998; Bürge, A., Zweihundert Jahre Code civil des
Français, ZeuP 2004, 5; Le Code civil 1804-2004. Livre du bicentenaire, 2004;
Le code civil 1804-2004. Un passé, un présent, un avenir, hg. v. Lequette, Y.,
2004; Les Français et leur Code civil. Bicentenaire du Code civil 1804-2004, 2004; Code civil (Text imprimé). Les défis
d’un nouveau siècle, 2004; Witz, C. u. a., Der französische Code civil, NJW
2004, 3757; Le Code Napoléon, hg. v. Beauthier, R., 2004; Richterliche
Anwendung des Code civil in seinen europäischen Geltungsbereichen außerhalb
Frankreichs, hg. v. Dölemeyer, B. u. a., 2006 (S. 21 Angabe der Übersetzungen
ins Deutsche); Zweihundert (200) Jahre Code civil, hg. v. Schubert, W. u. a.,
2006; Le Bicentenaire du Code civil, hg. v. Witz, C., 2006; Geyer, S., Den Code
civil richtiger auslegen, 2008
Code de commerce ist
das den Code Savary (Ordonnance) von 1673 und die Ordonnance de la marine von
1681 verwendende, von Gorneau, Vital Roux und Morgues redigierte, 1807
geschaffene Handelsgesetzbuch Frankreichs.
Code de procédure civile ist das die ersten den gemeinsamen römisch-kanonischen Prozess
seit 1667 durch mündliche Verfahren und integriertes Beweisverfahren reformierenden
königlichen Gesetze (ordonnances) verstärkende Zivilprozessgesetzbuch Frankreichs
von 1806 (öffentliches, mündliches Verfahren, Verhandlungsmaxime, passive Rolle
des Richters, unmittelbare Beweisaufnahme, Anwaltszwang, Prinzip zweier
Instanzen, obligatorischer Vergleichsversuch, Notwendigkeit der Urteilsbegründung,
in Kraft 1807), das 1958 tiefgreifend verändert und 1976/1981 durch einen
Nouveau Code de procédure civile mit erheblichen Erweiterungen der
richterlichen Befugnisse ersetzt wird.
Lit.: Köbler, DRG 141; Boncenne, P.,
Théorie de la procédure civile 1828; Endres, P., Die französische
Prozessrechtslehre, 1985; Conod, P., Le Code de procedure civile vaudois, Diss.
jur. Lausanne 1986; 1806 - 1976 – 2006;
De la commémoration d’un code à l’autre, hg. v. Cadiet, L. u. a., 2006
Code d’instruction criminelle
ist das seit 1801 geplante Strafprozessgesetzbuch Napoleons für Frankreich vom
16. 11. 1808 (in Kraft getreten am 1. 1. 1811), das 1958 durch den Code de procédure
pénale ersetzt wird.
Lit.:
200 Jahre Code d’instruction criminelle, hg. v. Jung, H. u. a., 2010
Code Napoléon
ist der zu Ehren Napoleons vergebene, kurzzeitig (1807-1811, 1852-1870) gültige
Name des →Code civil.
Lit.: Köbler, DRG 141; Andreas, W., Die Einführung des Code
Napoléon in Baden, ZRG 31 (1910), 182; Astuti, G., Il „Code Napoléon“ in
Italia, ASD 14-17 (1970-3), 1; Fehrenbach, E., Der Kampf um die Einführung des
Code Napoléon in den Rheinbundstaaten, 1973; Cabanis, A./Cabanis, D., Code
Napoléon et Code Civil vaudois, (in) Mélanges dédiés à Marty, G., 1978; Gross,
N., Der Code Napoléon in Baden, 1997
Code pénal
ist das (einem Code pénal von 1791 und des Jahres IV sowie einem Entwurf eines
Code criminel von 1804 folgende) Strafgesetzbuch Frankreichs von 1810 (in Kraft
getreten zum 1. 1. 1811), das seit 1989 erneuert wird (neuer Code pénal
1992/1994).
Lit.: Köbler, DRG 141; Brandt, C., Die Entstehung des Code
pénal von 1810 und sein Einfluss, 2002
codex (lat. [M.] Klotz, Scheit
Holz, von Holzbrettchen umschlossener Beschreibstoff, Beschriftungstafel für
Schriftrollen, Tafel, verbundene Mehrheit von Tafeln oder Pergamentstücken,
Buch (als günstiger Alternative zur Schriftrolle, bereits im 2. Jh. n. Chr. in
der christlichen Literatur ziemlich verbreitet, für Texte von Rechtskundigen vielleicht
seit Anfang des 4. Jh.s, etwa
seit dieser Zeit weitgehend durchgesetzt)
Codex (lat.
[M.]) ist allgemein das umfassende Buch von Gesetzen bzw. Konstitutionen (Gesetzbuch)
im Gegensatz zum Einzelgesetz (lat. [F.] constitutio). Im Besonderen ist C. das
kompilatorische, (römischrechtliche) Buch der Gesetze (Konstitutionen) (Gesetzbuch)
des oströmischen Kaisers →Justinian (527-565). Dieser lässt ab 13. 2. 528
(Konstitution [lat.] De novo codice componendo, Über den neu
zusammenzustellenden C.) von einer zehnköpfigen Kommission unter der Leitung
Tribonians aus dem Codex Gregorianus, dem Codex Hermogenianus und dem Codex
Theodosianus die als noch brauchbar angesehenen Konstitutionen (Gesetze) der
römischen Kaiser (ab Hadrian) unter Tilgung von Widersprüchen in einem nur im
Index der Titelrubriken und Inskriptionen von Buch 1, 11-16 (im Papyrus Oxy 15,
1814) und im Übrigen nicht erhaltenen Codex (Iustinianeus) (vetus) (veröffentlicht
unter dem 7. 4. 529) zusammenstellen und 534 durch Tribonian, Dorotheus und
drei Anwälte überarbeiten (Codex repetitae praelectionis, Gesetzbuch der
wiederholten Vorlesung, 16. 11. 534). Dieser durch Bruchstücke eines Palimpsests
des 6. oder 7. Jh.s und jüngere, ebenfalls jeweils unvollständige Handschriften
(Ende 11. Jh.) fast vollständig handschriftlich überlieferte C. enthält, eingeteilt
in 12 Bücher (Buch 1 Kirche, Staat, Verfahren, Bücher 2-8 Privatrecht, Buch 9
Strafe, Bücher 10-12 Verwaltung) und (insgesamt 763 bzw. 765) Titel (zitiert
als C. nach Buch, Titel [in Ediktsordnung] und Konstitution sowie
gegebenenfalls Paragraph, z. B. C. 6, 30, 1) in chronologischer Reihenfolge
ungefähr 4600 Konstitutionen hauptsächlich Diokletians (284-305, 1200, der Severerkaiser
880, Konstantins 200, Theodosius’ I. und Theodosius’ II. 550, Justinian 400)
mit insgesamt etwa 400000 (407860?) Wörtern. Im Mittelalter werden als C. nur
die ersten neun Bücher gezählt, während das übrige zum →Volumen (parvum)
gerechnet wird.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 43; Söllner § 15;
Dolezalek, G., Repertorium manuscriptorum veterum Codicis Iustiniani, 1985;
Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997
Codex (M.) Austriacus (lat.) (1704, 1748, 1752, 1777) ist die erste noch private
und unvollständige Gesetzessammlung für →Österreich (unter und ob der
Enns).
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/codexaustriacus1704bd1.pdf
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/codexaustriacus1704bd2.pdf Köbler, DRG
145; Baltl/Kocher; Guarient, F. v., Codex Austriacus, Bd. 1f. 1704
Codex (M.) Euricianus (lat.) ist das möglicherweise nach älteren Einzelgesetzen
um 475/476 unter dem westgotischen König Eurich entstandene, in einer Palimpsesthandschrift
erhaltene Gesetzbuch der Westgoten, das formal wie inhaltlich vom römischen
Recht beeinflusst ist. →Lex Visigothorum
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 80; Gaudenzi, A.,
Nuovi frammenti, Rivista italiana per le scienze giuridiche 6 (1888); Schiller,
F., Das erste Fragment des Codex Euricianus, ZRG GA 30 (1909), 18; Buchner, R.,
Die Rechtsquellen, 1953; El codigo del Eurico, hg. v. Ors, A. d’, 1960
Codex (M.) Fridericianus Marchicus s. Project des
Codicis Fridericiani Marchici
Codex (M.) Gregorianus (lat.) ist die vermutlich von einem Amtsträger Gregorius
(Leiter der Kanzlei a libellis von 284 bis 287 und von 289 bis 290?) privat
erstellte, in Bücher und Titel gegliederte, dort chronologisch gereihte, nur
bruchstückweise (in den fragmenta Vaticana und in Auszügen in der Lex Romana
Visigothorum) erhaltene, bis Mai 291 reichende Sammlung von Konstitutionen
(Gesetzen) der römischen Kaiser von Hadrian (117-138) bis Diokletian (284-305).
Der C. ist in späteren Werken (u. a. →Codex [Justinians]) verwertet.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein
§ 42; Söllner §§ 19, 22; Köbler, DRG 52, 80
Codex (M.) Hammurapi →Hammurapi
Codex (M.) Hermogenianus (lat.) ist die vermutlich von einem Amtsträger (Leiter der
Kanzlei a libellis im Osten von 293 bis 295 und vielleicht auch im Westen 291
und von 295 bis 298) und bekannten Rechtskundigen namens →Hermogenian privat
erstellte, in Titel gegliederte, später ergänzte, nur bruchstückweise
erhaltene, die Jahre 293 und 294 erfassende Sammlung von Konstitutionen
(Gesetzen) des römischen Kaisers Diokletian (284-305). Der C. ist in späteren
Werken (u. a. →Codex) verwertet.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 42; Söllner §§ 19, 22;
Köbler, DRG 52, 80
Codex (M.) iuris Bavarici criminalis (lat.) ist das von →Kreittmayr in deutscher Sprache geschaffene,
am 7. 10. 1751 für →Bayern veröffentlichte Gesetzbuch des Strafrechts
(Teil 1) und Strafprozessrechts (Teil 2). Der C. beseitigt zwar die
Rechtszersplitterung, hält aber an Ketzerei, Zauberei, Hexerei und Aberglauben
als Straftaten, an grausamen Strafen und an der Folter fest. Er gilt bis 1813.
Lit.: Pfeitzsch, W., Kriminalpolitik in Bayern, 1968;
Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss der Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007;
Schütz, S., Die Entwicklung des Betrugsbegriffs, 1988
Codex (M.) iuris Bavarici iudiciarii (lat.) ist das von →Kreittmayr in deutscher Sprache aus
bayerischem Recht (meist von 1616) und gemeinem Recht (z. B. über Klage,
Provokationsprozess, Wirkungen der Ladung, Urheberbenennung, Rechtskraft,
Restitution, Syndikatsklage, Immission) geschaffene, gegenüber einem Entwurf
deutlich veränderte, 1753 in Kraft gesetzte, klare und fast lückenlose,
Prozesse erfolgreich abkürzende Zivilprozessgesetzbuch →Bayerns, das
sich um eine Abkürzung des gemeinen Zivilprozesses bemüht und bis 1. 7. 1870
gilt.
Lit.: Schwartz, J., 400 Jahre deutsche
Civilprozessgesetzgebung, 1898, 254; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege,
1953; Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Schöll, W., Der
Codex iuris bavarici iudiciarii, Diss. jur. München 1965; Codex iuris Bavarici
judiciarii, hg. v. Schubert, W., 1993; Seuffert, J. u. a., Kommentar über die
bayerische Gerichtsordnung, Bd. 1ff. 2. A. 1853ff., Neudruck 1993
Codex (M.) iuris canonici (lat.) ist das im 20. Jh. geschaffene Gesetzbuch der
katholischen Kirche. Von Papst Pius X. 1904 durch →Gasparri in die Wege
geleitet und von einer Kommission ausgearbeitet, wird es am 27. 5. 1917 zum
18./19. 5. 1918 in fünf Büchern (allgemeiner Teil, Personenrecht, Sachenrecht,
Prozessrecht, Strafrecht) in Kraft gesetzt. Hieran schließt sich (25. 1. 1983
promulgiert, 27. 11. 1983 in Kraft) 1983 eine seit 1959 vorbereitete Neufassung
an (allgemeine Normen, Kirchenverfassung, Verkündigungsdienst der Kirche,
Sakramente, Kirchenvermögen, Strafen, Prozess). Daneben steht für 29
katholische Ostkirchen der am 18. 10. 1990 promulgierte und am 1. 10. 1991 in
Kraft getretene (lat.) Codex (M.) canonum ecclesiarum orientalium (Gesetzbuch
der Bestimmungen der östlichen Kirchen).
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/codexiuriscanonici1917.htm
Söllner § 16; Köbler, DRG 205, 266; Codex iuris canonici, hg. v. Gasparri, P.,
1917; Stutz, U., Der Geist des Codex iuris canonici, 1918; Codicis iuris
canonici fontes, cura Gasparri, P., Bd. 1ff. 1923ff.; Le droit et les
institutions de l’église catholique latine de la fin du XVIIIe siècle a 1878,
1981; Codex des kanonischen Rechtes, hg. im Auftrag der deutschen und Berliner
Bischofskonferenz, 1983, 2. A. 1984; Zapp, H., Codex iuris canonici,
Stichwortverzeichnis, 1986
Codex (M.) Iustinianeus →Codex
Codex (M.) Maximilianeus Bavaricus civilis (lat.) ist das von →Kreittmayr auf der Grundlage des
vorangehenden Landrechts Bayerns und des gemeinen Rechtes in Zusammenwirken mit
der Ständevertretung und den Justizbehörden in München, Landshut, Burghausen,
Straubing und Amberg in deutscher Sprache geschaffene, am 2. 1. 1756 veröffentlichte,
alle zur bürgerlichen Rechtsgelehrsamkeit gehörigen Materien samt Jagdrecht,
Fischereirecht, Forstrecht und Gewerberecht nach gemeinrechtlichen und
statutarischen Rechtsgrundsätzen zusammenfassende Gesetzbuch („neu
verbessertes und ergänztes kurbayerisches Landrecht“, Kompilation). Der C.
gliedert sich nach Personen, Sachen und Ansprüchen in vier Teile
(Personenrecht, Sachenrecht, Erbrecht, Vertragsrecht). Er löst das bayerische
Landrecht von 1616 ab, lässt das gemeine Recht subsidiär fortgelten, wird auf
die 1815 erworbenen Gebiete (außer Rheinpfalz) erstreckt und wird zum 31. 12.
1899 durch das →Bürgerliche Gesetzbuch des Deutschen Reiches abgelöst.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; (Kreittmayr, W. Frhr. v.,)
Anmerkungen zum Codex civilis Maximilianeus Bavaricus, Bd. 1ff. 1758ff.,
Neudruck; Friedl, H., Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, Diss. jur. Erlangen
1934; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967;
Pöppel, P., Quellen und System des Codex Maximilianeus Bavaricus civilis, 1967;
Zimmermann, K., Die Monita zum Entwurf des Codex Maximilianeus Bavaricus
civilis, 2008
Codex (M.) Theodosianus (lat.) ist das 429 in einem umfassenden, nur teilweise
verwirklichten Plan (eines C. T. aus Konstitutionen und Schriften von Rechtskundigen)
in Angriff genommene, 435 begonnene, am 15. 2. 438 veröffentlichte und am 1. 1.
439 in der östlichen Hälfte des römischen Reiches in Kraft gesetzte sowie von
Kaiser Valentinian am 25. 12. 439 auch für die westliche Hälfte verkündete (amtliche)
Buch der Gesetze (Gesetzbuch) Kaiser Theodosius’ II. (408-450) mit vielleicht
294054 Wörtern. Der dem Vorbild des (lat.) Codex (M.) Gregorianus und Codex
Hermogenianuns folgende C. enthält ungefähr 2500 kaiserliche Konstitutionen
(Gesetze) von 313 (Konstantin) bis 437 (Theodosius II.) aufgeteilt in etwa 3250
Stücke. Er gliedert sich in der Ordnung des Edikts in 16 Bücher (1,1-1,4 Rechtsquellen,
1,5-1,35 Staatsverfassung Gerichtsverfassung, 1,1-18a Verfahren, 1,19-5 Privatrecht,
6 Standesrecht, 7 Militärrecht, 8,1-11 Subalternbeamte, 8,12-19 unentgeltlicher
Erwerb, 9 Strafrecht mit Strafverfahren und Strafvollstreckung, 10 Fiskalrecht,
11,1-28 Steuerrecht, 11,29-39 Verfahren, 12 Gemeinderecht, 13 Berufskörperschaften,
14 Sozialleistungen in Großstädten, 15 Lustbarkeiten, 16 Kirchenrecht bzw. 1,
6-8,11, 10-15 Verwaltung, 2-5 und 8,12-19 Privatrecht, 9 Strafe, 16 Kirche)
sowie insgesamt rund 450 (systematisch angeordnete?) Titel und ist innerhalb
dieser Titeleinteilung zeitlich geordnet. Die Bücher 1 bis 5 sind mit etwa 400
Konstitutionen hauptsächlich durch das (lat.)→Breviarium (M.) Alaricianum
(506, Kurzbuch des Alarich) auszugsweise überliefert (ein Drittel?), die
Bücher 6-16 durch zwei frühe Handschriften (Rom, Biblioteca Vaticana, Vat. reg.
886, Paris, Bibliothèque Nationale Cod. 9643) und Papyri (P. Oxy 15, 1913 u.
a.). Der C. T. wird in Ostrom ab 527-534 von den Kompilationen Kaiser Justinians
(Codex) verdrängt, in den westgotischen Gebieten durch das Breviar Alarichs II.
(lat. [N.] Breviarium Alaricianum)
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 42; Söllner §§ 19, 21,
22; Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 52, 80; Theodosiani libri XVI, ed. Mommsen,
T., 1905; Krüger, P., Geschichte der Quellen und Literatur des römischen
Rechtes, 1888, 2. A. 1912; Seeck, O., Regesten der Kaiser und Päpste für die
Jahre 311 bis 476 n. Chr., 1919; Codex Theodosianus, hg. v. Krüger, P., 1923
(etwas vollständiger durch im Codex Justinians übernommene, veränderte
Stellen); Gradenwitz, O., Heidelberger Index zum Theodosianus, 1925,
Ergänzungsband 1929; The Theodosian Code and novels, and the Sirmondian
constitutions, übers. v. Pharr, C., 1952; Gaudemet, J., La formation du droit
séculier et du droit de l’Eglise aux IVe et Ve siècles, 2. A. 1979; Dilger, A.,
Herkunft und Rechtsnatur einer Handschrift aus dem theodosianischen Gesetzbuch,
ZRG GA 94 (1977), 184; Archi, G., Theodosio II e il suo tempo, 1978; Dilger,
A., Die Stuttgartensis und ihre Bedeutung, ZRG GA 99 (1982), 298; Voß, W.,
Recht und Rhetorik in den Kaisergesetzen der Spätantike, 1982; Moscati, L.,
Nuovi studi sul codice teodosiano, 1983; The Theodosian Code, hg. v. Harries,
J. u. a., 1993; Dovere, E., Ius principale e catholica lex, 1995; Matthews, J.,
Laying down the law, 2000; Liebs, D., Römische Jurisprudenz in Gallien, 2002;
Sirks, A., The Theodosian code, 2007
Codex (M.) Theresianus (lat.) ist der Entwurf eines einheitlichen
österreichischen Gesetzbuchs (Privatrecht, Zivilprozessrecht, ohne Strafrecht)
unter Maria Theresia (vom 25. 11. 1766 mit mehr als 8000 Bestimmungen, 23145
Wortformen). Er beruht auf der Arbeit einer zum 14. 2. 1753 eingesetzten
Kompilationskommission, die ein auf natürliche Billigkeit gegründetes
volkstümliches Recht schaffen und dabei die einzelnen Provinzialrechte, das
gemeine Recht und die Gesetze anderer Staaten heranziehen soll. Das von Josef
Azzoni (1712-1760) und Johann Bernhard von Zencker geförderte, hauptsächlich
1766 in Brünn tätige Unternehmen endet 1776 wegen seiner Dickleibigkeit,
erleichtert aber als wertvolle Vorarbeit das →Allgemeine Bürgerliche
Gesetzbuch von 1811/1812.
Lit.: Codex Theresianus, hg. v. Harras von Harrasowsky, P.,
Bd. 1ff. 1883ff.; Höslinger, R., Die gemeinrechtlichen Quellen des Codex
Theresianus, Österreich. Archiv f. Kirchenrecht 1 (1950), 72; Wesener, G., Die
Rolle des usus modernus pandectarum im Entwurf des Codex Theresianus, FS K.
Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CodexTheresianus.htm
Codex Urnammu
ist der 1948 entdeckte sumerische Rechtstext des Königs Urnammu von Lagusch
(Ur) (um 2100 v. Chr.), von dem wenigstens 40 Bestimmungen (über Mord, Raub,
falsche Anschuldigung, Ehebruch, Vergewaltigung, Ehe, Scheidung, Hexerei, Körperverletzung,
Miete, Arztbehandlung, Darlehen, Erbe, Sklaven, Wasserdiebstahl und
Vernachlässigung von Land) in fünf Abschriften in Nippur, Ur und Sippar
erhalten sind.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CodexUrNamu.pdf;
Wesel, U., Geschichte des Rechts, 3. A. 2006
Codice civile →Italienisches
Recht
Codicillus (lat.
[M.] Büchlein, grundsätzlich Plural codicilli verwendet) ist im klassischen
römischen Recht die letztwillige Verfügung, die entweder als Bestandteil eines →Testaments
zählt oder (außerhalb eines Testaments) nur Fideikommisse und fideikommissarische
Freilassungen (nicht dagegen Erbeinsetzungen und Enterbungen) enthalten darf.
Durch die so genannte Kodizillarklausel eines Testaments kann der Erblasser
bestimmen, dass eine als Testament unwirksame Erklärung wenigstens als c. gelten
soll.
Lit.: Kaser § 68; Söllner §§ 15, 17; Köbler, DRG 38
Código (M.) civil
(span.) ist das spanische Zivilgesetzbuch von 1888/1889, das maßgeblich von
Manuel Alonso Martínez (1827-1891) geprägt wird. Es vereinheitlicht das
Privatrecht, belässt aber mit dem Mittel seiner Subsidiarität landschaftliche,
auf den Foralrechten (fueros) beruhende Unterschiede im Verhältnis zu →Kastilien.
Código (M.) de comercio (span.) →Handelsgesetzbuch
Código (M.) do processo civil (portug.) ist das portugiesische Zivilprozessgesetzbuch
des Jahres 1939, das maßgeblich von José Alberto dos Reis geprägt wird.
Coemptio (lat. [F.]), Zukauf, ist im römischen Recht eine der (lat. [F.])
Manzipation nachgeformte Handlung zur Begründung der Hausgewalt (lat. [F.] manus)
des Hausvaters über die Frau unter Zahlung eines symbolischen Kaufpreises
zwecks Eheschließung.
Coercitio (lat.
[F.]) ist im altrömischen Recht die allgemeine, Unrechtstaten verfolgende
magistratische Zuchtgewalt.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Söllner § 6; Köbler, DRG
18, 20
cognati (lat.
[M.Pl.]) Blutsverwandte, →Verwandte
cognitio (F.)
Erkenntnis →cognitio (F.) extra ordinem
Cognitio (F.) extra ordinem (lat., Erkenntnis außer der Ordnung) ist im klassischen
römischen Recht das außerordentliche Verfahren, das durch allmähliche
behördliche Verfestigung die altrömische Gerichtsverfassung und das zugehörige
Formularverfahren ersetzt. →Kognitionsverfahren
Lit.: Kaser §§ 80, 87; Söllner §§ 14, 15, 16; Köbler, DRG
34; Köbler, LAW
cognitor (lat.
[M.]) Prozessvertreter →Stellvertreter
Coimbra am
Mondego beruht auf römischer Grundlage (Conimbriga bzw. Aeminium). 878/1064
wird es den Mauren entzogen (im 12./13. Jh. Hauptstadt →Portugals). Die
1290 in Lissabon gegründete Universität wird 1308 nach C. verlegt (1338-1354,
1377-1537 nochmals Lissabon).
Lit.: Almeida, A./Brandao, M., A Universidade de Coimbra,
1937; Merêa, P., Sôbre as origens do concelho de Coimbra, Revista Portuguesa de
história 1 (1940), 49
Coing, Helmut (Celle 28. 02.
1912-Kronberg im Taunus 15. 08. 2000) wird nach dem Studium der
Rechtswissenschaft in Kiel, München, Göttingen und Lille in Göttingen 1935
promoviert (Wolfgang Kinkel) und in Frankfurt am Main 1938 habilitiert (Erich
Genzmer). 1940 wird er außerordentlicher Professor in Frankfurt am Main, nach
Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft 1948 ordentlicher Professor. Von 1964 bis
1980 ist er Direktor des von Erich Genzmer (für das Mittelalter) geplanten
Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main.
Lit.: Coing, H., Die Frankfurter
Reformation von 1578, 1935; Coing, H., Die Rezeption des römischen Rechtes in
Frankfurt am Main, 1939; Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, hg. v.
Wilhelm, W., 1972; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschicht, hg. v. Coing, H., 1973ff.; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Luig, K., Helmut Coing, (in) Juristen im
Portrait, 1988, 215ff.; Simon, D., Zwischen Wissenschaft und Wissenschaftspolitik,
NJW 2001, 1029ff.
Coke, Sir
Edward (Mileham/Norfolk 1. 2. 1552-Stoke Poges 3. 9. 1634), Norfolker
Landadligensohn, wird nach dem Rechtsstudium in Cambridge (Trinity College)
und der praktischen Ausbildung in Clifford’s Inn und Inner Temple in London 1578
Anwalt, 1589 Parlamentsmitglied, 1592 Kronanwalt und 1594 Justizminister
(Attorney General, Generalstaatsanwalt). Zunächst entschiedener Anhänger des
Königs, behauptet er seit 1606 als Chief Justice of the Court of Common Pleas
(1613 Privy Councillor, Vorsitzender von King’s Bench) die Unterordnung des
Monarchen (bzw. dessen Chancery, Star Chamber und High Commission) unter das
(von der Vernunftkonzeption geprägte) common law und wird deswegen schließlich
1616 entlassen. Seit 1620 verstärkt er aus dem Parlament heraus den Widerstand
gegen den König (1622/1623 in Haft, am 7. 6. 1628 Annahme der Beschwerden des
Parlaments wegen rechtswidriger Besteuerungen, Zwangsanleihen und
Verhaftungen durch den König). Daneben veröffentlicht er nach einer umfassenden
Sammlung von Entscheidungen (Reports, 1600-1615, Ausgangspunkt der doctrine of
precedent) und einer Sammlung von Einträgen (A Book of Entries, 1614) seit 1628
seine vierbändigen Institutes, die das erste Lehrbuch des neuzeitlichen →common
law bilden. Davon stellt das als Commentary upon Littleton(´s Tenures)
gestaltete erste Buch (Coke upon Littleton) eine Rechtsgrundlegung
(Enzyklopädie) dar. Die weiteren drei Bücher (1641) begründen verfassungsmäßig
den Vorrang von Parlament und Recht im Staat (im Wege der Politiserung des
Rechtes und der Verrechtlichung der Politik). Im Ergebnis verdrängen Cokes
Reports und Institutes in kurzer Zeit die in Law French abgefassten älteren
Year Books (Jahrbücher) und Rechtsdarstellungen.
Lit.: Johnson, C., Life of Sir E. Coke, 1837; Block, H., E.
Coke, 1929, Neudruck 1992; Mosse, G., The Struggle for Sovereignty in England,
1950; Thorne, S., Sir Edward Coke, 1957; Bowen, C., The Lion and the Throne,
1957; Beauté, J., Un grande juriste anglais, 1975; Hostettler, J., Sir E. Coke,
1997; Boyer, A., Sir E. Coke and the Elizabethean Age, 2003
Collatio (F.) bonorum (lat., Vergleich der Güter) ist im klassischen römischen
Recht die Verrechnung des Vorausempfangs (Abfindung, Mitgift) eines Hauserben
mit seinem Erbteil vor dem Prätor.
Lit.: Kaser § 65, 73; Köbler, DRG 37, 59
Collatio (F.) legum Mosaicarum et Romanarum (lat., Benennung im 16. Jh.)) ist die spätantike, unter
dem Titel (lat.) lex (F.) Dei quam praecepit Dominus ad Moysen (Gesetz Gottes,
das der Herr Moses gebot,) in drei Handschriften überlieferte Schrift eines
unbekannten Verfassers (des späten 4. Jh.s?), die Stellen der Bibel mit Stücken
des →Gaius, der Spätklassiker, des →Codex Gregorianus und des →Codex
Hermogenianus mit dem Ziel des Nachweises der Übereinstimmung vergleicht.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 39; Söllner §§ 5, 16;
Schulz, F., Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, 1961, 394; Frakes,
R., Compiling the Collatio Legum Mosaicarum et Romanorum, 2011
Collectio (F.) Anselmo dedicata ist die vielleicht in Mailand (oder Reims) um 900 von einem unbekannten
Verfasser geschaffene, fast 2000 Kapitel (vor allem aus den pseudoisidorichen
Dekretalen) enthaltende, systematische Sammlung von Kirchenrecht.
Lit.:
Zechiel-Eckes, K., Quellenkritische Anmerkungen zur Collectio Anselmo
deidicata, (in) Recht und Gericht in der Kirche und Welt, hg. v. Hartmann, W.,
2007
Collectio (F.) Danieliana ist eine in einer Berner,
früher François Daniel gehörigen Handschrift überlieferte Kirchenrechtssammlung,
die eine Frühform der Capitula Angilramni enthält.
Lit.: Schon, K., Unbekannte Texte
aus der Werkstatt Pseudoisidors. Die Collectio Danieliana, 2006
Collectio
Francofurtana ist eine wohl am Ende
des 12. Jh.s im nördlichen Frankreich (Champagne) etstandene, mehr als 700 Kapitel
umfassende in vier Handschriften bezeugte Dekretalensammlung.
Lit.: Die Collectio Francofurtana,
hg. v. Landau, P./Drossbach, G., 2008 (Edition hat ziemliche Mängel)
Collectio (F.) vetus Gallica ist eine in Lyon um
600 entstandene kirchenrechtliche Sammlung, die bis in die Zeit um 800 auf
Einteilung und Themen kirchenrechtlicher Werke einwirkt.
Lit.: Mordek, H., Kirchenrecht und
Reform im Frankenreich, 1975
Collegantia
Lit.: Condanari-Michler, S., Zur
frühvenezianischen collegantia, 1937
colonia (lat. [F.]) gegründete, später auch erhobene römische Stadt außerhalb
Roms (z. B. colonia Agrippinensis, Köln)
Colonus (lat.
[M.]) ist im spätantiken römischen Recht der erblich an die Scholle gebundene
Landpächter.
Lit.: Kaser § 16; Söllner § 19; Kroeschell, DRG 1; Köbler,
DRG 27, 50, 57; Köbler, LAW; Schipp, O., Der weströmische Kolonat, 2010
Comecon (engl.
Council for Mutual Economic Assistance) ist die am 25. 1. 1949 in Moskau von
der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken, Polen, der Tschechoslowakei,
Ungarn, Rumänien und Bulgarien gegründete, mehrfach erweiterte Organisation zur
wirtschaftlichen Vereinigung Osteuropas innerhalb der internationalen
sozialistischen Arbeitsteilung (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe).
Lit.: Ribi, R., Das Comecon, 1970; Uschakow, A.,
Integration im RGW, 1983
comenda (lat.
[F.]) →commenda
Comes (lat.
[M.]) ist in der Spätantike der Begleiter und Amtsträger des Kaisers und im
Frühmittelalter der →Graf.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 84; Köbler, LAW;
Sprandel, R., Dux und comes in der Merowingerzeit, ZRG GA 74 (1957), 41; Ebling,
H., Prosopographie der Amtsträger, 1974; Borgolte, M., Die Grafen Alemanniens,
1986; Scharf, R., Comites, 1994; Comitatus, hg. v. Winterling, A., 1998
Comitia (lat.
[N.Pl.]) ist im altrömischen Recht die unterschiedlich gegliederte
Volksversammlung.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Köbler, DRG 18
Comitia (N.Pl.) curiata (lat.) ist die nach Kurien gegliederte römische Volksversammlung.
Comitatus (lat.
[M.]) Begleitung →comes, (mlat.) Grafschaft
Lit.:
Wagner, G., Comitate um den Harz, Harzzeitschrift 1 (1948), 1; Wagner, G.,
Comitate im karolingischen Reich, 1952; Wagner, G., Comitate in Franken,
Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 6 (1954), 3; Wagner, G.,
Comitate im Bistum Paderborn, Westfälische Zeitschrift 103/104 (1954), 221;
Wagner, G., Comitate zwischen Rhein, Main und Neckar, ZGO 103 (1955), 1;
Mascher, K., Reichsgut und Komitat am Südharz, 1957; Claude, D., Untersuchungen
zum frühfränkischen Comitat, ZRG GA 81 (1964), 1; Sprandel, R., Bemerkungen zum
frühfränkischen Comitat, ZRG GA 82 (1965), 288; Holzfurtner, L., Die Grafschaft
der Andechser, 1994
Commenda (lat.
[F.]), comenda, ist eine mittelalterliche Vorform der Kommanditgesellschaft.
Lit.: Goldschmidt, L., Handbuch des Handelsrechts, 1864, 2.
A. 1875, darin Universalgeschichte des Handelsrechts, (Bd. 1 3. A.) 1891,
Neudruck 1957; Silberschmidt, W., Die italienische Commendaforschung der
jüngsten Zeit, Studi in memoria di Aldo Ekbertoni 3, 1936; Pryor, J., The
Origins of the commenda contract, Speculum 52 (1977), 5
Commendatio (lat.
[F.]) ist im Mittelalter die Handlung, mit der sich der Lehnsmann dem Lehnsherrn
anvertraut.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 63; Köbler, LAW
Commentaries on the Laws of England (1765ff.) ist die auch naturrechtlich beeinflusste
Zusammenfassung des →englischen Rechtes durch →Blackstone
(1723-1780).
Commercium (lat.
[N.]) ist im altrömischen Recht die dem Fremden durch Verleihung zu eröffnende
Teilrechtsfähigkeit im Verkehrsrecht.
Lit.: Kaser § 3, 68; Söllner § 12;
Köbler, DRG 21
commixtio (lat. [F.]) Vermengung
Commodatum (lat.
[N.]) ist die im jüngeren klassischen römischen Recht anerkannte →Leihe
(Realkontrakt).
Lit.: Kaser § 39 II; Köbler, DRG 45, 63; Berndt, B., Das
commodatum, 2005
Common law
(engl., gemeines Recht) ist in England das für alle einheitlich geltende Recht
im Gegensatz zum örtlich oder persönlich unterschiedlichen Recht bzw. das in
England seit dem Hochmittelalter entwickelte Recht im Gegensatz zu dem aus dem
römischen Recht entwickelten Recht bzw. das von Gerichten in England
geschaffene Recht im Gegensatz zum gesetzten Recht.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Plucknett, T., A Concise History of the Common Law, 1929,
2. A. 1936, 5. A. 1956; Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971,
2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; Caenegem, R. van, The Birth of the English
Common Law, 1973, 2. A. 1988; Simpson, A., Biographical Dictionary of the
Common Law, 1984; The Reception of Continental Ideas in the Common Law World,
hg. v. Reimann, M., 1993; Martinez-Torron, J., Anglo-American Law and Canon
Law, 1998; Baker, J., The Common Law Tradition. Lawyers, Books and the Law.
2000; Rudolph, J., Common Law and Enlightenment in England, 2013
Commonwealth (engl.)
gemeinsamer Reichtum, Weltreich
Communio (lat.
[F.]) ist im klassischen römischen Recht die →Gemeinschaft (z. B.
mehrerer Erben), in der jeder Gemeinschafter einen rechnerischen Anteil hat,
über den er verfügen kann.
Lit.: Kaser § 23; Kroeschell, DRG 1
communis opinio
(lat. [F.]) gemeinsame Meinung, öffentliche Meinung (z. B. c. o. doctorum [der
Rechtslehrer] vor allem vom 16.-18. Jh. als Argument für die Wahrscheinlichkeit
der Richtigkeit einer Auffassung)
Lit.:
Schröder, J., Communis opinio, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v.
Köbler,G., 1987, 404
Como
Lit.: Campiche, C., Die
Comunalverfassung von Como, 1929
compendium (N.) iuris
(lat.) Rechtshandbuch
Lit.: Theuerkauf, G., Lex, speculum, compendium juris, 1968
Compensatio (lat.
[F.]) ist die im klassischen römischen Recht grundsätzlich nur im Verfahren
oder bei Einverständnis wirksame Verrechnung mit einer Gegenforderung. →Aufrechnung
Lit.: Kaser § 53; Köbler, DRG 43, 62; Dernburg, H., Die
Compensation nach römischem Rechte, 1854; Dernburg, H., Geschichte und Theorie
der Compensation, 2. A. 1868, Neudruck 1965; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.
Compilación de Leyes
(Ordenanzas reales de Castilla) ist die erste, 1480 von Alonso Díaz de Montalvo
(1405-1499) zusammengestellte Sammlung kastilischer Vorschriften in 8 Büchern
(ordenamiento von 1484). Ihr folgen Sammlungen von (1485,) 1567 und 1805. →Libro do Leyes
Lit.: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
1,558,674
Compilatio (F.) maior
(lat.) ist die nach justinianischem Vorbild in neun Bücher gegliederte
Sammlung des aragonesischen Rechtes durch Vidal de Canellas († 1252) in
aragonesischer Sprache.
Lit.: Pérez Martìn, A., Einleitung zu Fori Aragonum, 1979,
1
Compositio (lat.
[F.]) ist in den lateinischen Texten des Frühmittelalters die →Buße. →Kompositionensystem
Lit.: Köbler, DRG 65, 91; Köbler, LAW; Jaekel, H.,
Weregildus, ZRG GA 28 (1907), 107
Conchyleus →Coquille
concilium (lat. [N.]) Zusammenrufung?, Vereinigung, Versammlung (z. B. der Plebejer
in Rom), →Konzil
conclusio (lat. [F.]), Schluss, Folgerung
Conclusum (N.) imperii (lat., Reichsschluss) ist seit dem Spätmittelalter das vom
Kaiser des Heiligen römischen Reichs angenommene Reichsgutachten der
Reichsstände, das noch der Verkündung bedarf, um Gesetz zu werden.
Lit.: Rauch, K., Traktat über den Reichstag im 16.
Jahrhundert, 1905
Concordia (F.) discordantium canonum (lat.) ist der Titel des →Decretum Gratiani (Dekret
Gratians).
concussio (lat.
[F.]) →Erpressung
condemnatio (lat. [F.]) Verurteilung (im römischen Recht grundsätzlich auf Leistung
von Geld, bei der Noxalhaftung wahlweise auf Geld oder Preisgabe des
Schädigers)
Condicio (lat.
[F.]) ist im römischen Recht die →Bedingung.
Lit.: Kaser §10; Willvonseder, R., Die Verwendung der
Denkfigur der condicio sine qua non, 1984; Effer-Uhe, D., Die Wirkung der
condicio im römischen Recht, 2008
Condictio (lat.
[F.]) ist im Formularverfahren des klassischen römischen Rechtes die strengrechtliche
Klagformel (lat. actio in personam) auf Übereignung einer bestimmten Sache oder
Geldsumme (z. B. aus Darlehen, Litteralkontrakt, Diebstahl), die im spätantiken
römischen Recht besonders mit dem Fall grundloser Vorenthaltung (z. B. des auf
eine Nichtschuld Geleisteten) verbunden wird. →Kondiktion
Lit.: Kaser §§ 32, 33, 38, 39, 40, 48, 83; Söllner § 9;
Köbler, DRG 33, 45, 67; Koschembahr-Lyskowsky, I. v., Die condictio als
Bereicherungsklage, Bd. 1f. 1903ff.; Schwarz, F., Die Grundlage der condictio,
1952
condictio (F.) causa data causa non secuta (lat.) Bereicherungsanspruch wegen nicht (geschuldeter,
erwarteter und nicht) erbrachter Gegenleistung, →Bereicherung
condictio (F.) ex lege (lat.) Bereicherungsanspruch aus gesetzlicher Obligation,
→Bereicherung
condictio (F.) furtiva (lat.) Bereicherungsanspruch gegen den Dieb auf einfachen
Sachwert, →Bereicherung
condictio (F.) indebiti (lat.) Bereicherungsanspruch wegen irrtümlicher Zahlung
einer Nichtschuld, →Bereicherung
condictio (F.) ob causam datorum (lat.) Bereicherungsanspruch wegen nicht entstandenen Rechtsgrunds,
→Bereicherung
condictio (F.) ob causam finitam (lat.) Bereicherungsanspruch wegen weggefallenen Rechtsgrunds,
→Bereicherung
condictio (F.) ob turpem vel iniustam causam (lat.) Bereicherungsanspruch wegen eines sittenwidrigen
oder unzulässigen Rechtsgrunds, →Bereicherung
condictio (F.) sine causa (lat.) Bereicherungsanspruch wegen rechtsgrundloser
Leistung, →Bereicherung
conditio (lat. [F.]) Bedingung (z. B. c. sine qua [non], Bedingung ohne die nicht
wie z. B. Schaden für Schadensersatzanspruch)
condominium (lat. [N.] Miteigentum, Mitherrschaft (z. B. condominium plurium in solidum
[17. Jh.] ohne ideellen Anteil am Gesamtgut, Verfügung nur durch Gesamtheit)
conductio (lat.
[F.]) Miet-, Pacht-, Dienst- und Werkvertrag, s. locatio conductio
Lit.: Mayer-Maly, T., Locatio conductio,
1956
Confarreatio (lat. [F.]) ist die altrömische Eheschließung unter Speltbrotopferung
(für Patrizier?).
Confessio est regina probationum (lat.). Das Geständnis ist die Königin der Beweise (als
Grundsatz des Beweisrechts des Inquisitionsprozesses in den Quellen nicht
wirklich belegt).
Lit.: Foth, A., Gelehrtes römisch-kanonisches Recht in deutschen
Rechtssprichwörtern, 1971; Kleinheyer, G., Zur Rolle des Geständnisses (in)
Gedächtnisschrift H. Conrad, 1979, 367ff.; Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln,
7. A. 2007
confin →Militärgrenze
Confoederatio (lat. [F.]) cum principibus ecclesiasticis (Bündnis mit den geistlichen Fürsten) ist die im 19. Jh.
aufgekommene lateinische Bezeichnung für das in einem Original und 5
Abschriften überlieferte, 11 Artikel umfassende, wohl nur die bereits
eingetretene Rechtswirklichkeit anerkennende Privileg König Friedrichs II. für
die geistlichen Reichsfürsten vom 26. 4. 1220 als Gegenleistung für die Wahl
Heinrichs (VII.) zum König am 23. 4. 1220 (z. B. Verzicht auf den Nachlass bzw.
das Spolienrecht und Regalien bei den geistlichen Reichsfürsten, Verzicht auf
neue Zollstätten und Münzstätten, Testierfreiheit, Verfügungsfreiheit über
Kirchenlehen, Verstärkung des Kirchenbanns durch Reichsacht). Am 12. 3.
1275 und am 9. 11. 1292 wird die C. erneuert.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Confoederatiocumprincipibusecclesiasticis1220.htm;
Kroeschell, DRG 1; Klingelhöfer, E., Die Reichsgesetze, 1955; Stupor mundi, hg.
v. Wolf, G., 1966, 2. A. 1982, 420; Eickels, K. v./Brüsch, T., Kaiser Friedrich
II., 2000
confusio (lat. [fF]) Zusammengießung, Vermischung z. B. zweier gleichartiger
Flüssigkeiten verschiedener Eigentümer, von Gläubigerstellung und
Schuldnerstellung in einer Person oder von Eigentum und Inhaberschaft an einem
beschränkten dinglichen Recht in einer Person
Lit.:
Kiess, P., Die confusio im klassischen römischen Recht, 1995
coniunctio (lat. [F.]) Verbindung
Lit.:
Lösch, S., Die coniunctio in testamentarischen Verfügungen des klassischen
römischen Rechts, 2013
coniuratio (lat. [F.]) gemeinschaftlicher Schwur,
Verschwörung, Schwurgemeinschaft, usurpatorische Verbrüderung (z. B. Cambrai
1076, Köln 1114)
Lit.: Ebel, W., Der Bürgereid,
1958; Dilcher, G., Die Entstehung der lombardischen Stadtkommune, 1967; Körner,
T., Juramentum und frühe Friedensbewegung, 1977; Kolmer, L., Promissorische
Eide im Mittelalter, 1989; Distler, E., Städtebünde, 2006
Connan,
François (Paris 1508-Paris 1. 9. 1551), Sohn eines maître des comptes, wird
nach dem Studium in Paris und dem Rechtsstudium (1529) in Orléans und Bourges
(mit Bekanntschaft zu Calvin) um 1533 Parlamentsadvokat und 1539 königlicher
Rat. In einer Gesamtdarstellung des geltenden Rechtes in zehn Büchern ([lat.]
Commentariorum iuris civilis libri [M.Pl.] X, 1553ff. Zehn Bücher Kommentare
des weltlichen Rechtes) versucht er die tatsächliche Ordnung der Rechtsquellen
durch ein wissenschaftliches System (lat. [F.] ars) zu ersetzen. Bei diesem
wenig erfolgreichen Bemühen deutet er die römischrechtliche (lat. [F.]) →actio
als ein rechtserhebliches Verhalten und legt damit einen ersten Grund für den
Gedanken der →Willenserklärung.
Lit.: Bergfeld, C., Franciscus Connanus,
1968
Conrad, Hermann (Köln 21. 10. 1904-Bonn 18. 3.
1972) wird nach dem Studium des Rechtes in Köln promoviert (F. Gescher,
Kanonist) und habilitiert (Hans Planitz). Nach Lehraufträgen in Rostock, Köln,
Freiburg im Breisgau, Lausanne, Genf und Breslau wird er 1941 nach Marburg und
1948 nach Bonn berufen. Er versucht eine unvollendet gebliebene Gesamtdarstellung
deutscher Rechtsgeschichte.
Lit.: Kleinheyer, G., In memoriam,
ZRG GA 90 (1973), 487ff.; Gedächtnisschrift Hermann Conrad, hg. v. Kleinheyer,
G. u. a., 1979 (Schriftenverzeichnis 621-634)
Conring,
Hermann (Norden 9. 11. 1606-Helmstedt 12. 12. 1681), aus gelehrter
ostfriesischer Familie, geboren und aufgewachsen in einem Pfarrhaus, wird nach
dem 1620 begonnenen Studium von Medizin und Politik in Helmstedt und Leiden
(seit 1625) 1632 Professor für Naturphilosophie (Physik und Rhetorik) bzw. Medizin
(1637) und Politik (1650) in Helmstedt. Er hält auch juristische Vorlesungen
und erstattet Rechtsgutachten. In seinem im Ergebnis bereits 1635 feststehenden
Buch (lat.) De origine iuris Germanici (1643, Vom Ursprung des deutschen Rechtes)
widerlegt er die Ansicht, dass das römische Recht in Deutschland 1135 durch ein
Gesetz Kaiser Lothars III. von Süpplingenburg in Kraft gesetzt worden sei (sog.
→lotharische Legende) und erfasst im Blick auf Erkenntnis der Gegenwart
damit deutsche Rechtsgeschichte.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ConringHermannDeorigineiurisGermanici1643.pdf;
Köbler, DRG 139, 142, 186; Dahl, F., Zu den Beziehungen Conrings zu Dänemark,
ZRG GA 37 (1916), 507; Hermann Conring, hg. v. Stolleis, M., 1983; Conring, H.,
De origine iuris germanici (deutsche Übersetzung), hg. v. Stolleis, M., 1994;
Oestmann, P., Kontinuität oder Zäsur, (in) Kontinuitäten und Zäsuren, 1999,
191; Arnswaldt, A. v., De vicariatus controversia, 2004; Jori, A., Hermann
Conring (1606-1681), 2006
Consensus (lat.
[M.] Zustimmung, Willensübereinstimmung) ist seit dem klassischen römischen
Recht Voraussetzung des Konsensualvertrags.
Lit.: Kaser §§ 8, 38, 58; Köbler, LAW; Hannig, J., Consensu
fidelium, 1982
Consensus (M.) facit nuptias (lat.). Die Willensübereinstimmung bewirkt die
Eheschließung(, gilt als Grundsatz bereits in Rom, kann aber gegenüber den vom
Vertrag zwischen Brautvater und Bräutigam ausgehenden Vorstellungen der Germanen
und germanistischen Nachfolgevölker erst im Frühmittelalter von der Kirche
durchgesetzt werden, wobei bei Beschränkung auf die bloße Willensübereinstimmung
Beweisprobleme bestehen, denen die katholische Kirche 1563 auf dem Konzil von
Trient [Decretum Tametsi] mit Formvorschriften in Gestalt der notwendigen
Mitwirkung eines Geistlichen und zweier Zeugen begegnet).
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Julian um 100-um 170 n. Chr.); Freisen, J., Geschichte des kanonischen
Eherechts, 2. A. 1893, Neudruck 1963; Schwab, D., Grundlagen und Gestalt der
staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, 1967; Brundage, J., Law, Sex and
Christian Society in Medieval Europe, 1987; Weigand, R., Liebe und Ehe im
Mittelalter, 1993; Weber, I., Consensus facit nuptias, ZRG KA 118 (2001), 31
consilium (lat.
[N.]) Rat, Gutachten, span. consejo, it. consiglio, als c. principis (Rat des
Prinzeps) fallweise beratendes Gremium in Rom seit Kaiser Augustus (31 v. Chr.-14
n. Chr.)
Lit.: Kaser § 2; Söllner §§ 6, 9, 12, 15; Köbler, DRG 18,
106; Kisch, G., Consilium, 1970; Consilia im späten Mittelalter, hg. v.
Baumgärtner, I., 1995; Falk, U., Consilia. Studien zur Praxis der
Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit, 2006; Lange, H./Kriechbaum, M.,
Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 395; Lange, H., Recht und Macht,
2010
Consolat del Mar (Llibre
del C. d. M.) ist die nach dem Seekonsulat von Barcelona (1282 consules del
mar) benannte, mittelalterliche, in Barcelona zwischen 1266 und 1268 begonnene,
später andernorts erweiterte und 1348 vom Seekonsulat in Barcelona eingeführte
Zusammenfassung des mittelmeerischen Seegewohnheitsrechts. →Seerecht
Lit.: Goldschmidt, L., Handbuch des Handelsrechts, 1864, 2.
A. 1875, darin Universalgeschichte des Handelsrechts, (Bd. 1 3. A.) 1891,
Neudruck 1957; Wagner, R., Beiträge zur Geschichte des Seerechts, ZHR 29
(1884), 413; Valls i Taberner, F., Consolat de Mar, 1930ff.; García, A., Llibre
del Consolat, Bd. 1ff. 1981ff.; Hernández Izal, S., Els costums marítims de
Barcelona, Bd. 1f. 1986ff.
Consortium (lat.
[N.] Gemeinschaft) ist im altrömischen Recht der Zusammenschluss von Erben nach
der Nachlassteilung zu einer vereinbarten →Gemeinschaft.
Lit.: Kaser § 66; Söllner § 8; Köbler,
DRG 22, 47
constitutio (lat.
[F.]) Beschluss, Gesetz
Constitutio (F.) Antoniniana (lat.) ist das in einem stark zerstörten, in Gießen
aufbewahrten Papyrus überlieferte Gesetz (constitutio) Kaiser (Marcus Aurelius)
Antoninus Caracallas aus dem Jahre 212, in dem er zur Ausdehnung der
Steuerpflicht allen freien Bewohnern des römischen Reiches das römische
Bürgerrecht gibt.
Lit.: Kaser § 3; Söllner §§ 14, 18; Köbler, DRG 35; Sasse,
C., Die Constitutio Antoniniana, 1958; Wolff, H., Die Constitutio Antoniniana
und Papyrus Gissensis 40 I, Diss. jur. Köln 1976
Constitutio (F.) Criminalis Bambergensis (lat.) →Bamberger Halsgerichtsordnung (1507)
Constitutio (F.) Criminalis Carolina (lat., Des Kaisers Karl V. und des Heiligen Römischen
Reiches Gerichtsordnung, Strafgesetz[buch] Karls V.) ist die (deutsch
verfasste) reichseinheitliche Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532 (31.
7. 1532). Sie geht auf in einem Gutachten des 1495 errichteten
Reichskammergerichts festgehaltene Missstände und Beschwerden über die sich häufenden
ungerechten Strafverfahren, die ihrerseits die Antwort auf die im Mittelalter vor
allem infolge des Bevölkerungswachstums, der Urbanisierung und Emanzipierung
von der herkömmlichen Ordnung sowie wohl auch der Verstärkung der Staatlichkeit
anschwellende Kriminalität sind, vor dem Reichstag (von Lindau 1496/1497)
zurück. Dieser setzt in Freiburg im Breisgau 1497/1498 (Reichsabschied § 34)
zum Zweck der Besserung des Strafverfahrens (eine) von 1503 bis 1517 untätige,
danach vier Entwürfe (Worms 1521, Nürnberg 1524, Speyer 1529, Augsburg 1530)
vorlegende Kommission(en) ein (u. a. Reichsregiment). Sie übernimmt im Wesentlichen
den Inhalt der vom Vorsitzenden des Hofgerichts des Bischofs von Bamberg,
Johann Freiherr von →Schwarzenberg, auf Grund seiner Kenntnisse der
praktischen Probleme und unter Einarbeitung des aus Oberitalien kommenden
römisch-kanonischen Strafprozessrechts geschaffenen (lat.) Constitutio (F.)
Criminalis Bambergensis (→Bamberger Halsgerichtsordnung) von 1507 in
ihre 219 Artikel. Sie will wegen des Widerstands einzelner Reichsglieder (z.
B. Sachsen, Brandenburg, Pfalz) grundsätzlich nur subsidiär gegenüber den alten
wohlhergebrachten, rechtmäßigen und billigen Gebräuchen gelten (sog. salvatorische
Klausel), kommt aber tatsächlich allgemein zur Anwendung. Sie beherrscht das
gesamte Strafverfahrensrecht und Strafrecht (Art. 104-180) des Reiches bis in
das von der Aufklärung bestimmte 18. Jh., in dem noch die (lat.) Constitutio
(F.) criminalis Theresiana Maria Theresias für die deutschen (d. h.
nichtungarischen) Erbländer Österreichs einschließlich Böhmens (1768) von der
C. beeinfusst ist. Die C. geht vom Anklageprozess (Akkusationsprozess) aus
(Art. 11ff.), demgegenüber der Inquisitionsprozess (Art. 6ff.) die Ausnahme
darstellt, doch setzt sich wegen der hohen Belastungen des möglichen Anklägers
praktisch der Inquisitionsprozess durch, in dem der Richter Ankläger und
Entscheider (Art. 81) zugleich ist. Der geheimen Inquisition (Untersuchung)
folgt der endliche Rechtstag als öffentliche, aber inhaltlich fast
bedeutungslose Formalhandlung. Besonders bedeutsam sind die Lehre von den für
die Anwendung der →Folter von nun an gegenüber einem Tatverdächtigen
erforderlichen →Indizien (Anzeichen, z. B. blutige Kleider, sog.
Indizienlehre) und die Ansätze zu allgemeinen Lehren (Schuld, Teilnahmeformen,
Notwehr, Versuch).
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/PeinlicheGerichtsordnungKarlsV.pdf;
Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 136, 156; Güterbock, Die Entstehungsgeschichte
der Carolina, 1878; Dargun, L., Die Rezeption der peinlichen
Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. in Polen, ZRG GA 10 (1889), 168; Die
Carolina und ihre Vorgängerinnen, hg. v. Kohler, J. u. a., Bd. 1ff. 1900ff.,
Neudruck 1968; Schoetensack, A., Der
Strafprozess der Carolina, Diss. jur. Heidelberg, 1904; Kantorowicz, H.,
Goblers Karolinen-Kommentar, 1904; Saueracker, K., Wortschatz der Peinlichen
Gerichtsordnung Karls V., 1929; Schmidt, E., Die Carolina, ZRG GA 53 (1933), 1;
Weber, H. v., Die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V., ZRG GA 77
(1960), 288; Kusch, G., Der Indizienbeweis des Vorsatzes im gemeinen
Strafverfahrensrecht, Diss. jur. Hamburg 1963; Schmidt, G., Sinn und Bedeutung
der Constitutio Criminalis Carolina, ZRG GA 83 (1966), 239; Dreisbach, H., Der
Einfluss der Carolina auf die Rechtsprechung norddeutscher Oberhöfe, Diss. jur.
Marburg 1969; Kleinheyer, G., Zur Rolle des Geständnises im Strafverfahren,
Gedächtnisschrift H. Conrad, 1969, 367ff.; Strafrecht, Strafprozess und
Rezeption, hg. v. Landau, P. u. a. 1984
Constitutio (F.) Criminalis Theresiana (lat.) ist das unter Maria Theresia am 31. 12. 1768 (zum
1. 7. 1770) zwecks Vereinheitlichung für die österreichischen Erbländer (außer
Ungarn) erlassene, 1082 Paragraphen umfassende (deutsch gefasste) Strafgesetzbuch
(und Strafverfahrensgesetzbuch) (Allgemeine peinliche Gerichtsordnung) mit
etwas verbesserter Stellung des Beschuldigten, Inquisitionsverbot, freier
richterlicher Beweiswürdigung, festen Tatbestandsbeschreibungen (u. a.
Zauberei, Hexerei), Möglichkeit der Analogie von Straftatbeständen und Folter
(bis 1796), das aber bereits am 13. 1. 1787 durch ein Allgemeines Gesetzbuch
über Verbrechen und derselben Bestrafung ersetzt wird (für das
Militärstrafrecht 1855). Die auch als (lat.-griech.) nemesis Theresiana (Rache
Maria Theresias) bezeichnete C. C. T. beruht auf einer von der →Constitutio
Criminalis Carolina von 1532 geprägten Halsgerichtsordnung Josephs I. von 1707.
Lit.:http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Constitutio%20Criminalis%20Theresiana1768_komplett.pdf;
Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 142, 157; Baltl/Kocher; Maasburg, M. v., Zur
Entstehungsgeschichte der theresianischen Halsgerichtsordnung, 1880;
Kwiatkowski, E. v., Constitutio Criminalis Theresiana, 1903; Moos, R., Der
Verbrechensbegriff in Österreich, 1968; Hartl, F., Das Wiener Kriminalgericht,
1973;; Grundlegende Strafrechtsquellen, hg. v. Reiter, I., 1996; Rüping,
H./Jerouschek, G., Grundriss der Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007
Constitutio (F.) de expeditione Romana (lat.), Gesetz über den Romzug,
ist eine um 1158 als Gesetz König Karls des Großen von 790 ausgegebene, auf der
Reichenau entstandene Fälschung (Privatarbeit). Sie beschreibt Rechte und
Pflichten von Reichsfürsten auf dem Romzug des Königs. Sie begünstigt die
Reichsfürsten gegenüber dem König.
Lit.: Constitutiones, Bd. 1, hg.
v. Weiland, L., 1893, 661, Nr. 447 (MGH); Klapeer, G., Zur Überlieferung der
Constitutio de expeditione Romana, MIÖG 35 (1914), 725ff.
Constitutio (F.) Joachimica (lat.), Joachimisches Gesetz, ist die verhältnismäßig
kurze, auf Erbrecht beschränkte, römisches Recht zu Lasten sächsischen Rechtes
übernehmende „Constitution, Wilkoer und Ordnung der Erbfelle und anderer
Sachen“ des Markgrafen Joachim I. von Brandenburg (1499-1535) vom 9. 10. 1527
(Reformation des Landrechts, Erstdruck Frankfurt an der Oder 1528).
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ConstitutioJoachimica1527.htm;
Heydemann, L., Die Elemente der Joachimischen Konstitution von 1527, 1841,
Neudruck 1972; Scholz, J., Der brandenburgische Landrechtsentwurf von 1594,
1973
Constitution (N., zu lat. [F.] constitutio, Festsetzung, Gesetz) wird in
England seit dem 17. Jh. zur Bezeichnung des Zustands eines Staates (bodie
politique), im 18. Jh. zur Bezeichnung der Bestimmungen, die diesen Zustand
herstellen oder festlegen.
Constitution,
Wilkoer und Ordnung der Erbfelle und anderer Sachen (1527) s.
Constitutio Joachimica
constitutum (lat.
[N.]) →Beschluss, Festsetzung
constitutum (N.) debiti (lat.) Schuldzusage
constitutum (N.) possessorium (lat.) →Besitzkonstitut
Consuetudo (lat.
[F.]) ist die Gewohnheit. In der römischen Spätantike wird sie zur Rechtsquelle
erklärt. Die gute c. ist auch im späten ius commune Italiens eine beliebte und
praktisch-relevante Rechtsquelle. →Gewohnheitsrecht
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 22; Kroeschell, DRG 1,
2; Köbler, DRG 52; Köbler, LAW; Garré, R., Consuetudo, 2005
Consul (lat.
[M.]) ist im altrömischen Recht der Republik der Höchstmagistrat. Zwei gleichzeitige
Konsuln (consules, Kollegialität) erlangen die Führung des Gemeinwesens durch
eine Wahl auf Vorschlag ihrer Vorgänger hin für jeweils ein Jahr (Annuität),
wobei seit 367 v. Chr. (lex Licinia) auch Plebejer c. werden können. Einzelne
Aufgaben (z. B. Gerichtsbarkeit) sind anderen Magistraten (z. B. Prätoren)
zugeteilt. Mit dem Ende der Republik (27 v. Chr.) gehen die Aufgaben der
Konsuln auf den Prinzeps bzw. Kaiser über, doch werden consules bis 534 im
Westen und bis 541 im Osten fortgeführt. Seit dem ausgehenden 11. Jh. (1090)
ist c. der städtische Ratsherr.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Söllner §§ 6, 11, 14, 23;
Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 111; Köbler, LAW; Wieacker, F., Römische
Rechtsgeschichte, Bd. 1 1988; Keller, H., Mailand im 11. Jahrhundert, (in) Die
Frühgeschichte der europäischen Stadt, hg. v. Jarnut, J., 1998, 81
Consultatio (F.) cuiusdam veteris iuris consulti (lat.) ist die am Ende des 5. Jh.s oder im 6. Jh.
vermutlich in Gallien entstandene, durch einen Druck des 16. Jh.s überlieferte
Sammlung von Rechtsgutachten mit Zitaten aus den Paulussentenzen, dem →Codex
Gregorianus, dem →Codex Hermogenianus und dem →Codex Theodosianus.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 39; Schulz, F.,
Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, 1961, 408
Contempt of court
(engl., Missachtung des Gerichts) ist im angloamerikanischen Recht die
gewohnheitsrechtlich als rechtswidrig (crime bzw. tort) anerkannte Störung der
Gerichtstätigkeit.
Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal History,
1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002
Contius →Le
Conte
Contractus (lat.
[M.], Zusammengezogenes) ist im klassischen römischen Recht der Vertrag, aus
dem eine Obligation (Schuld) entsteht. Er kann Realkontrakt, Verbalkontrakt,
Litteralkontrakt oder Konsensualkontrakt sein. Dagegen ist das für sich allein
unverbindliche (lat. [N.]) pactum kein c. Seit dem Hochmittelalter wird in der
Kirche auch das bloße (lat. [N.]) pactum klagbar (pacta sunt servanda), so dass
sich ein allgemeiner Begriff des (Kontrakts oder) Vertrags entwickelt.
Lit.: Kaser §§ 5, 38; Kroeschell, DRG 1; Wunner, S.,
Contractus, 1964; Wieacker, F., Contractus und obligatio im Naturrecht zwischen
Spätscholastik und Aufklärung, (in) Scholastica 1973, 223; Feenstra,
R./Ahsmann, M., Contract, 1980; Pacte, convention, contrat, hg. v. Dufour, A.,
1998
Contractus mohatrae (lat. [M.] Wagnisvertrag, zu arab.muchâtarah, Gefahr, Wagnis) ist der
Vertrag, bei dem eine (meist unvertretbare) Sache zum Verkauf übergeben wird
und der Empfänger bei Verkauf den erhaltenen Preis als Darlehen haben soll. Der
c. m. dient im Mittelalter der Umgehung des kanonischen Zinsverbots.
contrarius consensus
(lat. [M.]) Aufhebungsvertrag
Lit.: Knütel, R., Contrarius consensus,
1968
contrat (M.) social (franz.) Gesellschaftsvertrag
Contumacia (lat.
[F.]) ist im klassischrömischen Kognitionsverfahren die Prozessweigerung
(Ladungsungehorsam), die in einem Versäumnisverfahren dazu führen kann, dass
der Geladene gemäß dem Klagebegehren verurteilt wird.
Lit.: Kaser § 87; Kroeschell, DRG 1, 2
Conubium (lat.
[N.]) ist im altrömischen Recht die (allen Römern untereinander zustehende,) dem
Fremden (Nichtrömer) durch Verleihung zu eröffnende Teilrechtsfähigkeit im
Eherecht.
Lit.: Kaser §§ 3, 58, 60
conventio (lat. [F.]) Zusammenkunft, Vereinbarung, Willensübereinstimmung, Einigung
über den Zweck einer Sachhingabe, stillschweigend (tacitus) möglich
copula (lat. [F.]) Verbindung, Band, Vereinigung (z. B. copula carnalis,
fleischliche bzw. körperliche Vereinigung der Ehegatten)
copy right →Urheberrecht
Coquille (Conchyleus),
Guy (Decize 1523-1603), Sohn eines adligen Salzrichters, wird nach dem
Rechtsstudium in Padua (1539) und Orléans (Du Moulin) Anwalt. In posthum
veröffentlichten Schriften stellt er das Gewohnheitsrecht (franz. droit
coutumier) nach dem Vorbild der Institutionen Justinians dar (Institutions au
droit des François, 1607).
Lit.: Maumigny, J., Étude sur Guy Coquille, 1910, Neudruck
1971
Cork im
Südosten Irlands wird im 9. Jahrhundert von Normannen bei einem Kloster des 6.
Jahrhunderts gegründet. 1172 wird es unter der Herrschaft Englands Stadt. 1845
erhält es eine Universität.
Cornberg
Lit.:
Urkunden und Regesten des Klosters Cornberg, hg. v. Burkardt, J., 2010
corpore (lat.)
durch tatsächliche Sachherrschaft, →Besitz, →corpus, →possessio
corpus (lat.
[N.]) Körper
Corpus (N.) catholicorum (lat.) ist in der frühen Neuzeit die Gesamtheit der katholischen
→Reichsstände. →corpus evangelicorum
Corpus (N.) delicti (lat.) ist der Gegenstand der Straftat, mit dem sich die
gemeine Prozessrechtswissenschaft allgemein befasst.
Lit.: Hall, A., Die Lehre vom corpus
delicti, 1933
Corpus (N.) evangelicorum (lat.) ist in der frühen Neuzeit die Gesamtheit der
evangelischen →Reichsstände. →corpus catholicorum
Lit.: Schauroth, E., Vollständige Sammlung aller conclusorum
des corpus evangelicorum, Bd. 1ff. 1751ff.; Belstler, U., Die Stellung des
corpus evangelicorum, Diss. jur. Tübingen 1968
Corpus (N.) iuris (lat.) Körper des Rechtes, Gesamtheit
der Rechtsordnung, s. Codex Justinians 5. 13. 1)
Corpus (N.) iuris canonici (lat.) ist die um 1500 von dem Pariser Kirchenrechtler
Jean Chappuis erstmals benützte und von Papst Gregor XIII. (1572-1585) am 1. 7.
1580 (Cum pro munere pastorali) amtlich verwendete Bezeichnung für die
anerkannten, 1582 gemeinsam herausgegebenen 4 (bzw. 6) Rechtsquellen der
(katholischen) Kirche. Das c. i. c. besteht aus dem Decretum Gratiani (Dekret
Gratians, Condordantia discordantium canonum, um 1140), den auf Antrag Papst
Gregors IX. von seinem Kaplan Raymundus de Penyafort von 1230 bis 1234 in 5
Büchern gesammelten, alle nicht aufgenommenen Stücke ausschließenden
päpstlichen →Dekretalen (→Liber [decretalium] extra [decretum]),
den auf Veranlassung Papst Bonifaz’ VIII. 1298 zusammengestellten Dekretalen (→Liber
sextus [in Bezug auf die fünf Bücher des Liber extra]) und den →Clementinen
(Texte Papst Clemens V., vorgelegt 1317) (sowie privat gesammelten Extravaganten
Papst Johannes XXII. und Extravagantes communes). Es gilt - in der 1582
veröffentlichten Gestalt der sog. (lat.) editio (F.) Romana (römischen Ausgabe)
- bis zum Inkrafttreten des →Codex iuris canonici am 19. 5. 1918.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 102; Corpus iuris
canonici, ed. Friedberg, E., Bd. 1f. 1879ff., Neudruck 1955, 1959, 2. A. 1995;
Stickler, A., Historia iuris canonici latini, 1950; Feine, H., Kirchliche
Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Gagnèr, S., Studien zur Ideengeschichte der
Gesetzgebung, 1960; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1 1973; Gaudement, J., Les
sources du droit canonique, 1993; Bellomo, M., The Common Legal Past of Europe,
1995; Brundage, J., Medieval canon law, 1995; Dickehof-Borello, E., Ein Liber
septimus für das corpus iuris canonici, 2002; Ordnungskonfigurationen im hohen
Mittelalter, hg. v. Schneidmüller, B. u. a., 2006
Corpus (N.) iuris civilis (lat.) ist die Gesamtheit der von dem oströmischen Kaiser
Justinian (527-565) zwischen 527 und 534 in Kraft gesetzten Rechtsquellen
einschließlich seiner nachfolgenden Novellen. Er besteht aus dem →Codex
(repetitae praelectionis) von 534, den →Digesten oder →Pandekten
(533) und den →Institutionen von 533 sowie den privat gesammelten →Novellen.
In Byzanz wird um 900 n. Chr. die Hauptmasse dieser Texte in die griechische
Sprache übersetzt (Basilika, Basiliken), wobei seit dem 11. Jh. Handschriften
hergestellt werden, die am Rand Ausschnitte aus Lehrbüchern und
Vorlesungsschriften enthalten (Scholien). Die Bezeichnung c. entspricht dem
Namen (lat.) →corpus (N.) iuris canonici für die kirchlichen Rechtsquellen.
Sie wird seit der Gesamtausgabe der justinianischen Gesetzgebungswerke durch
Dionysius Gothofredus (1583) üblich. Auf dem c. i. c. beruhen der
Universitätsunterricht im römischen Recht und die Rezeption des römischen
Rechtes, wobei sich ein (lat. [M.] ) usus modernus (moderner Gebrauch) pandectarum
(der Pandekten) durchsetzt. Mit den Kodifikationen Allgemeines Landrecht
(Preußen 1794), Code civil (Frankreich 1804) und Allgemeines Bürgerliches
Gesetzbuch (Österreich 1811/1812) wird das c. i. c. grundsätzlich abgelöst.
Lit.: Kaser § 1; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 137,
142; Corpus iuris civilis, hg. v. Krüger, P. u. a., Bd. 1ff. z. T. 22. A. 1973;
Corpus iuris civilis Iustinianei, hg. v. Fehus, J., Bd. 1ff. 1672ff., Neudruck
1966 (mit Glosse); Spangenberg, E., Einleitung in das römisch-justinianische
Rechtsbuch, 1817, Neudruck 1970 (mit Bibliographie der älteren Ausgaben);
Savigny, F. v., Geschichte des römischen Rechtes im Mittelalter, Bd. 3 2. A.
1834; Wenger, L., Die Quellen des römischen Rechtes, 1953, 562; Ochoa, X./Diez,
A., Indices titulorum et legum corporis iuris civilis, 1965; Wieacker, F.,
Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Thilo, R., Drucke des Corpus
iuris civilis im deutschen Sprachraum, Gutenberg-Jahrbuch 59 (1984), 52
Corpus (N.) iuris feudalis (lat.) ist die Bezeichnung für private Sammlungen des
Lehnsrechts im 18. Jh.
Lit.: Lünig, J., Corpus iuris feudalis Germanici, Bd. 1ff. 3.
A. 1727
Corpus (N.) juris
Fridericiani ist der gescheiterte Versuch
einer materiellrechtlichen Gesetzgebung Preußens (Kabinettsordre vom 31.
Dezember 1746 für ein Teutsches Allgemeines Landrecht) unter Samuel von
Cocceji. Der König will ein Werk, das sich „bloß auf die Vernunft und Landesverfassungen
gründet, damit einmal ein gewisses Recht im Lande etabliret und die unzähligen
Edikte aufgehoben werden mögen“. 1749 erscheint ein Entwurf des Personenrechts,
1751 ein Entwurf des Sachenrechts. Das Manuskript des dritten Teils
(Obligationenrecht) geht (1753) im Postversand verloren. Der Tod Samuel von →Coccejis
(1755) und die Wirren des siebenjährigen Krieges beenden die Arbeiten. Das
zweite und dritte Buch des ersten Teiles über das Eherecht und das
Vormundschaftsrecht erlangen in einigen Landesteilen Gesetzeskraft, obwohl sie
sehr dem römischen Recht verhaftet sind.
Lit.:
Wenzel, A., Das Gewährleistungsrecht in der Spruchpraxis des preußischen
Kammergerichts von 17841810,2006;http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ProjectdesCorporisJurisFridericiani1-1749.pdf
Corpus (N.) iuris Fridericianum (lat.), Erstes Buch, ist das nach dem
Müller-Arnold-Prozess (1779) und einer Kabinettsordre vom 14. 4. 1780 am 26.
April 1781 in Preußen in Kraft gesetzte Prozessrechtsgesetzbuch Friedrichs
des Großen bzw. seines Großkanzlers Johann Casimir von →Carmer, das den
Untersuchungsgrundsatz in den Zivilprozess einführt, die Advokaten durch
Assistenzräte ersetzt und die Beendigung aller Prozesse innerhalb eines Jahres
anstrebt.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CorpusIurisFridericianum1781.pdf,
Kroeschell, DRG 3; Ebel, F., 200 Jahre preußischer Zivilprozess, 1982
Corpus (N.) iuris militaris (lat.) ist die Bezeichnung für private Sammlungen
militärrechtlicher Vorschriften zwischen 1632 und 1723.
Lit.: Dangelmaier, E., Geschichte des Militärstrafrechts,
1891; Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, hg. v. militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Bd. 1 1979
Corpus (N.) iuris publici (lat.) ist die Bezeichnung für private Sammlungen des
öffentlichen Rechtes des Heiligen römischen Reiches im 18. Jh.
Lit.: Schmauss, J., Corpus iuris publici Sancti Romani
imperii academicum, 1722
Corpus (N.) iuris Saxonici (lat.) ist die Bezeichnung für eine private Sammlung des
sächsischen Rechtes.
Lit.: Lünig, J., Codex Augusteus oder neuvermehrtes corpus
iuris Saxonici, Bd. 1f. 1724
corpus (lat. [N.]) possidendi Herrschaftsgewalt über eine Sache durch Übergabe einer beweglichen Sache
oder Betreten einer unbeweglichen Sache oder bei originärem Erwerb durch
deutliche Kundgabe
Corrigere (lat.)
ist ein Ausdruck, der unter Kaiser Trajan (98-117) in das römische
Strafverfahren eindringt. Danach geht es dort darum, Unrecht wieder recht zu
machen. Diese Vorstellung steckt auch hinter dem germanistischen „richten“.
Lit.: Köbler, DRG 34, 46; Köbler, G., Richten, Richter und
Gericht, ZRG GA 87 (1970), 59
Cortes ist
die den König beratende Versammlung der Geistlichen, Adligen und
Städtevertreter in Kastilien, León, Portugal, Aragón und Navarra seit der 2. Hälfte
des 12. Jh.s.
Lit.: Gonzáles Antón, L., Las Cortes de Aragón, 1978;
Procter, E., Curia and cortes, 1980
Corvey
Lit.: Krüger, H., Höxter und Corvey, 1931; Prinz, J., Die
Corveyer Annalen, 1982; Hoffmann, H., Bücher und Urkunden aus Helmarshausen und
Corvey, 1992
Court of Chancery ist das Gericht des Kanzlers (chancellor) des →englischen Rechtes.
Es geht darauf zurück, dass der zunächst geistliche Kanzler schon im 13. Jh.
Bitten hilfesuchender Engländer an den König hinsichtlich der Möglichkeit der
Bildung neuer Klageformeln begutachtet und im 15. Jh. in Einzelfällen
Rechtsschutz gewährt, wenn das →common law zu unangemessenen Ergebnissen
führt. Die seit 1529 tätigen weltlichen Kanzler führen das fort und begründen
bald ein System anerkannter Sätze des positiven Rechtes, das an der Billigkeit
(→equity) ausgerichtet ist.
Lit.: Jones, W., The Elizabethan Court of Chancery, 1967; Baker,
J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4.
A. 2002
Court of Common Pleas ist das seit 1234 sicher belegte, für Zivilsachen
zuständige königliche Gericht des →englischen Rechtes in Westminster mit
einem Oberrichter und 3 nachgeordneten Richtern.
Lit.: Hastings, M., The Court of Common Pleas, 1947
Court of Exchequer ist das für Verwaltungsangelegenheiten und Finanzsachen
zuständige königliche Gericht des →englischen Rechtes in Westminster.
Court of King‚s Bench ist das für Strafsachen und Appellationen zuständige
königliche Gericht des →englischen Rechtes in Westminster.
Coutume (franz.
[F.] Gewohnheit) ist die rechtlich bedeutsame Gewohnheit (lat. [F.]
consuetudo), die auch in einer Abgabe oder Leistung bestehen kann. Die c. als
eine Mehrheit von rechtlich bedeutsamen Gewohnheiten erlangt in Frankreich seit
dem 10./11. Jh. Gewicht und wird im Norden seit Beginn des 13. Jh.s mit
örtlichen Bezügen auf Grund der Aussagen von Sachkennern in Rechtsbüchern
(nichtamtliche coutume, amtliche coutumiers) schriftlich aufgezeichnet, wobei
sich eine Trennung in das nördliche Gebiet des droit (M.) coutumier
(Nordfrankreich, Belgien, Niederlande, Genf, Waadt, Neuenburg, Fürstbistum
Basel) und das südliche Gebiet des (römischen) droit (M.) écrit (Südfrankreich)
bildet und wobei Entscheidungen, Gesetze (Ordonnanzen) und teilweise auch
römisches Recht und kirchliches Recht in die coutumiers einbezogen werden ([ursprünglich
lateinisch] Très ancien coutume [bzw. coutumier] de Normandie [lat. Statuta et
consuetudines Normanniae] 1199/1200 bzw. 1220 bzw. 1200/1204 [nach 1220 in das
Französische übersetzt], Grand coutumier de Normandie 1254-1258 [Summa de
legibus Normanniae in curia laicali], Conseil à un ami [im Vermandois] des
Pierre de Fontaine für Philipp III. 1253 bzw. 1254-1258, Livre de justice et de
plet [um] 1260 [Gegend von Orléans], Facet von Saint Armand-en-Prévèlet/Belgien
1265, Etablissements de Saint Louis um 1270 [Tourraine-Anjou, Orléanais],
Coutumes de Beauvaisis [nördlich von Paris] 1283 des Philippe de Beaumanoir
[Philippe de Remi Beaumanoir], Ancien coutumier de Champagne des Guillaume du
Châtelet 1295-1300 [auf der Grundlage von Usages de Champagne von etwa 1253],
Recht von Uccle/Brüssel/Belgien 1300, Très ancienne coutume de Bretagne
1312/1316-1325, Stilus curie Parlamenti des Guillaume du Breuil um 1330, Grand
coutumier [de France bzw. Ile de France] des Jacques d’Ableiges um 1388, Somme
rural des Jehan Boutillier vor 1395, Vieux coutumier de Poitou/Poictou 1417,
insgesamt schätzungsweise 360 verschiedene coutumes). 1454 befiehlt König Karl
VII. wegen zahlreicher Streitigkeiten hinsichtlich des Bestehens behaupteter
Rechtssätze in der Ordonnance von Montil-les-Tours die amtliche Aufzeichnung
aller coutumes jeder bailliage mit anschließender Inkraftsetzung, was bis 1545
zu 20 redigierten coutumes und bis 1750 zu 681 coutumes, von denen 88 vom König
gebilligt sind, führt. Auf der Grundlage der Coutume de Paris (1510 bzw. 1580)
entwickelt sich (hieraus) mit Hilfe der vom König dem Parlement de Paris
übertragenen Prüfungszuständigkeit ein gemeines Gewohnheitsrecht (franz. droit
commun coutumier).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Nouveau coutumier général, hg. v.
Bourdot de Richebourg, C., Bd. 1ff. 1724ff.; Brunner, H., Die coutumiers der
Hamiltonsammlung, ZRG GA 4 (1883), 232; Favey, J., Le coutumier de Moudon de
1577, 1924; Declareuil, J., Histoire générale du droit français, 1925, 851;
Filhol, R., Le premier président Christoffe de Thou et la réformation des
coutumes, 1937; Olivier-Martin, F., Le roi de France et les mauvaises coutumes
au moyen âge, ZRG GA 58 (1938), 108; La rédaction des coutumes, 1962; Poudret,
J., Enquêtes sur la coutume du pays de Vaud, 1967; La coutume de Vaudémont, hg.
v. Centre Lorrain, 1970; Le style de Vaudémont, hg. v. Centre Lorrain, 1972;
Gräfe, R., Das Eherecht in den coutumiers des 13. Jahrhunderts, 1972; Handbuch
der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg.
v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 1,633,2,2,200; Gouron, A./Terrin, O.,
Bibliographie des coutumes de France, 1975; Les coutumes de l’Agenais, hg. v.
Ourliac, P./Gilles, M., 1976; La coutume, hg. v. Gilissen, J., 1982; Walkens,
L., La théorie de la coutume chez Jacques de Révigny, 1984; Olivier-Martin, F.,
Histoire du droit français, 1992; Gouron, A., Droit et coutume en France aux
XIIe et Xiiie siècles, 1993; Poudret, J., Coutumes et coutumiers, 1998
Coutumes de Beauvaisis sind das bedeutendste Rechtsbuch des mittelalterlichen
Frankreich. Die C. d. B. stammen von Philippe de →Beaumanoir. Er bemüht
sich um eine Darstellung des Gewohnheitsrechts in Beauvaisis, verwendet dazu
aber auch Sätze der Coutumes von Champagne, Vermandois, Artois, Normandie und
Paris, die Rechtsprechung des Parlaments de Paris, königliche Verordnungen, römisches
Recht und kirchliches Recht. Die systematisierende, vor eigenen Lösungen nicht
zurückschreckende Privatarbeit, die der Rechtswirklichkeit nicht vollständig
entspricht, bleibt trotz hohen gedanklichen Wertes von geringem Einfluss auf
die Rechtspraxis.
Lit.: Coutumes de Beauvaisis, hg. v. Salmon, A., Bd. 1f.
1899f., Neudruck 1970, Bd. 3; Commentaire historique, hg. v. Hubrecht, G.,
1974; Actes du colloque international Philippe de Beaumanoir et les coutumes de
Beauvaisis 1283-1293, hg. v. Bonnet-Laborderie, P., 1983
Coutumier (franz.
[M.]) ist die private Aufzeichnung der →coutume im mittelalterlichen
Frankreich.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Le vieux coustumier de Poictou,
hg. v. Filhol, R., 1956; Petitjean, M. u. a., Le coutumier bourguignon glosé,
1982; Poudret, J., Coutumes et coutumiers, 1998
Covarubias y Leyva,
Diego de (1512-1577) wird nach dem Rechtsstudium 1533 Professor für kirchliches
Recht in Salamanca, 1565 Bischof von Segovia und 1574 Präsident des
Staatsrates. Auf ihn geht die strafrechtliche Vorstellung des bedingten
Vorsatzes (lat. dolus [M.] indirectus) zurück.
Lit.: Merzbacher, F., Azpilcueta und Covarruvias, (in)
Merzbacher, F., Recht - Staat - Kirche, hg. v. Köbler, G. u. a., 1989, 275;
Peressa, V., Diego de Covarubias, 1957
Cowell,
John (1554-1611), nach dem Studium des römischen Rechtes in Cambridge 1594
Professor in Cambridge, versucht 1605 eine erfolglose Darstellung des englischen
Rechtes nach dem Aufbau der Institutionen Justinians ([lat.] Institutiones
[F.Pl.] iuris Anglicani, Einrichtungen des englischen Rechtes) und muss wegen
seiner in seinem erfolgreichen Wörterbuch The Interpreter (1607) vertretenen
absolutismusfreundlichen und parlamentsfeindlichen Haltung 1611 seine
Professur aufgeben.
Lit.: Holdsworth, W., A History of English Law, Bd. 1ff.
1903ff., Bd. 5, 20
creditor (lat.
[M.]) →Gläubiger
Crimen (lat.
[N.]) ist im römischen Recht das Verbrechen im Gegensatz zu (lat.) delictum
(N.). Für die crimina (N.Pl.) entwickelt sich das besondere Strafrecht und
Strafprozessrecht. Schon früh wird dabei das c. (publicum) mit der von der
Allgemeinheit (mit dem Beil) vollstreckten Todesstrafe geahndet. Zu den lange
noch durch den Verletzten mittels Strafe zu vergeltenden crimina zählen Mord
(lat. [N.] parricidium), Brandstiftung, handhafter Diebstahl, nächtliches
Abweiden eines fremden Feldes und falsches Zeugnis.
Lit.: Kaser §§
32, 41, 50; Dulckeit/Schwarz/Waldstein
§ 12; Köbler, DRG 65; Köbler, LAW
Crimen (N.) laesae maiestatis (lat.) ist im älteren römischen Recht die Verletzung des
Ansehens zunächst der plebejischen Magistrate. Seit Augustus geht die (lat.
[F.]) maiestas vom römischen Volk und seinen Magistraten auf den Prinzeps und
damit später den Kaiser über. Seit den Kaisern Arcadius und Honorius kann zum
Schutz des Kaisers und seiner Günstlinge jeder politische Vorwurf mit der
Todesstrafe und der Vermögensentziehung verfolgt werden. Diese Vorstellung
übernimmt das Frühmittelalter allmählich mit gewissen Abwandlungen. Im
weiteren Verlauf findet das c. l. m. Eingang in den →Mainzer
Reichslandfrieden von 1235, die →Goldene Bulle (1356), die →Constitutio
Criminalis Bambergensis (1507) und die →Constitutio Criminalis Carolina
(1532). Erst Carpzov (1635) schränkt differenzierend ein. Danach wird Inhalt
des c. l. m. die Beleidigung des Monarchen als Regenten, die 1918 ihren
Bezugspunkt verliert.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Kroeschell, DRG 1;
Köbler, DRG 20; His, R., Deutsches Strafrecht bis zur Karolina, 1928, Neudruck
1967 113; Kellner, O., Das Majestätsverbrechen, Diss. phil. Halle 1911; Tietz,
K., Perduellio und maiestas, Diss. jur. Halle 1935; Hageneder, O., Das crimen
maiestatis, FS F. Kempf, 1983
Crimen (N.) magiae (lat.) ist in der frühen Neuzeit das Verbrechen der Zauberei. →Hexerei
Lit.: Byloff, F., Das Verbrechen der Zauberei, 1902
Criminal Code
(1879) ist der an dem 1860 verfassten indischen Strafgesetzbuch (Indian Penal
Code) ausgerichtete Entwurf eines englischen Strafgesetzbuchs, der vom
Parlament nicht angenommen wird.
Criminal Law Consolidation Acts (1861) ist die das Strafrecht betreffende Zusammenfassung
verstreuter gesetzlicher Vorschriften im →englischen Recht.
Cui bono?
(lat.) Wem zum Guten? Wem nützte die Tat? ist ein von Cicero (106-43 v. Chr.)
geprägtes lateinisches Rechtssprichwort.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
Cuius regio eius religio (lat., wessen Gebiet, dessen Religion) ist die von dem
Greifswalder protestantischen Kirchenrechtler J. Stephani (1544-1623) (in
seinen [lat.] Institutiones [F.Pl.] iuris canonici von 1599 mit dem Satz [lat.]
ut cuius sit regio, hoc est ducatus, principatus seu ius territorii, eius etiam
sit religio, hoc est ius episcopale seu iurisdictio spiritualis) geschaffene
Formulierung für die der Sache nach bereits im →Augsburger
Religionsfrieden von 1555 angewandte geistliche Gerichtsbarkeit des reichsunmittelbaren
Landesherrn im Heiligen römischen Reich ([lat.] ubi unus dominus, ibi una religio, wo
ein Herr, da eine Religion). Der ihr zugrunde liegende Gedanke wird danach von
den protestantischen Reichsständen beansprucht, in der Gegenreformation auch
von den katholischen Reichsständen. Insgesamt fördert und ermöglicht der dann
auf das Normaljahr 1624 abstellende Satz zu Lasten der Untertanen die Wahrung
der Reichseinheit und der monarchisch-aristokratischen Verfassung sowie die
Ausbildung des Territorialstaatskirchenrechts und damit des →Absolutismus
und der →Souveränität.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 130; Heckel, M., Staat
und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands, ZRG KA 42
(1956), 117, 43 (1957), 202; Willoweit, D., Deutsche Verfassungsgeschichte, 5.
A. 2005; Schneider, B., Der Westfälische Friede in der Deutung der Aufklärung,
1989; Schneider, B., Ius reformandi, 2001
Cujas,
Jacques (Toulouse 1522?-Bourges 4. 10. 1590) wird nach dem Rechtsstudium in
Toulouse zunächst dort Rechtslehrer (1547-1554), danach in Cahors, Bourges
(1555-1557, 1559-1566, 1575-1590), Valence (1567-1575) und Turin (1566-1567).
Er vertieft die Verwendung humanistischer Methoden im Recht in seinen
Textausgaben (J. Pauli receptae sententiae, 1559, Institutiones Justiniani,
1585) und seinen zahlreichen exegetischen Einzelarbeiten. In seinen (lat.)
Paratitla (N.Pl.) in libros digestorum (1570, kurze Erklärungen zu den Büchern
der Digesten) stellt er eine gegliederte Ordnung von Klagen und Rechtsbehelfen
dar.
Lit.: Spangenberg, E., Jacob Cujas und seine Zeitgenossen,
1822, Neudruck 1967; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2.
A. 1967; Troje, H., Graeca leguntur, 1971, 108
Culpa (lat.
[F.]) ist im klassischen römischen Recht die Schuld oder Nachlässigkeit, die
vorsätzliches wie fahrlässiges Handeln erfasst. C. ist ausgeschlossen bei
Geisteskranken (furiosi) oder Kindern (infantes). Bei c. des Geschädigten wird
die c. des Schädigers aufgehoben (Kulpakompensation).
Lit.: Kaser § 36; Söllner §§ 8, 15; Köbler, DRG 44, 49, 61,
216; Köbler, LAW
culpa (lat. [F.]) in concreto, Verletzung der Sorgfalt, die in eigenen Angelegenheiten beachtet würde,
durch den Schuldner
Culpa (F.) in contrahendo (lat., Wort 1857 bei Brinz) ist das von Rudolf von Ihering
(Jhering, 1818-1892) 1861 als Haftungsgrund herausgearbeitete, vom Bürgerlichen
Gesetzbuch des Deutschen Reiches (1900) nicht besonders berücksichtigte
Verschulden bei Vertragsschluss (2002 § 311 II BGB).
Lit.: Ihering, R., Culpa in contrahendo, Jb. f. d. Dogmatik
4 (1861) 1; Medicus, D., Zur Entdeckungsgeschichte der culpa in contrahendo,
FS M. Kaser 1986, 189; Choe, B., Culpa in contrahendo bei Rudolf von Ihering,
1988; Giaro, T., Culpa in contrahendo, (in) Das Bürgerliche Gesetzbuch und
seine Richter, 2000, 113; Keller, M., Schuldverhältnis und Rechtskreisöffnung,
2007; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010; Benedikt, J., Culpa in Contrahendo, Bd. 1 2012
culpa (F.) in eligendo (lat.) Auswahlverschulden
culpa (F.) lata (lat.) grobe
→Fahrlässigkeit
culpa (F.) levis
(lat.) leichte →Fahrlässigkeit
culpa (F.) levissima (lat.) leichteste →Fahrlässigkeit
Lit.: Hoffmann, H., Die Abstufung der Fahrlässigkeit in der
Rechtsgeschichte, 1968
Cura (lat.
[F.]) ist im klassischen römischen Recht die bei Geisteskranken ([lat., M.Pl.] furiosi),
Verschwendern ([lat., M.Pl.] prodigi), Tauben, Stummen, Altersschwachen,
(Leibesfrüchten bzw. nascituri) sowie gegebenenfalls Unmündigen und Frauen, auf
Antrag auch bei Mündigen unter 25 Jahren ([lat., M.Pl.] minores XXV annis), mögliche
→Pflegschaft, bei welcher der Pflegling für eigene Handlungen der
Zustimmung des Pflegers (lat. [M.] curator) bedarf.
Lit.: Kaser §§ 4, 11, 44, 58, 62, 64, 82; Söllner § 8;
Köbler, DRG 36, 57
curator (lat.
[M.]) Pfleger →cura
curia (lat.
[F.]) Hof, Herrscherhof, Hofrat
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, LAW; Fleckenstein, J., Die
Hofkapelle der deutschen Könige, 1965; Lalinde Abadía, J., El curia o cort,
Anuario de estudios medievales 4 (1967), 169; Bournazel, E., Le gouvernement
capétien, 1975; Loyn, H., The Governance of Anglo-Saxon-England, 1984; Hillen,
C., Curia regis, 1999
curtis (lat.
[F.]) Hof, Herrenhof
Lit.: Althessen im Frankenreich, hg. v. Schlesinger, W.,
Nd. 2 1975; Villa, curtis, grangia, hg. v. Janssen, W. u. a., 1983
curtis (F.) dominica (mlat.) Herrenhof
curtis (F.) indominicata (mlat.) Herrenhof
curtis (F.) salica (mlat.) Herrenhof
cursus (M.) honorum (lat.) Ämterlaufbahn der römischen Republik (Quästor, Ädil, Prätor,
Konsul
Cusanus →Nikolaus
von Kues
Custodia (lat.
[F.]) ist im klassischen römischen Recht die Aufsicht. Wer eine Sache eines
Gläubigers in Händen hat (z. B. Verwahrer, Entleiher, Mieter, Werkunternehmer,
Pfandgläubiger, möglicherweise Verkäufer), haftet danach für das Abhandenkommen
der Sache (z. B. durch Diebstahl) und solche Schäden, die gerade bei
unzureichender Aufsicht üblicherweise entstehen können. Nur in bestimmten
Sonderfällen (höhere Gewalt) wird er von der Haftung frei.
Lit.: Kaser § 36; Köbler, DRG 45, 63; Köbler, LAW
Cyprianus ist ein in Florenz geborener, am Ende des
12. Jh.s verstorbener Glossator mit Glossen zu allen Teilen der justinianischen
Kompilation.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 236
Czernowitz am
Pruth wird 1408 als Zollstätte des Fürstentums Moldau erstmals erwähnt. Über
die Osmanen gelangt es 1774/1775 an Österreich (Galizien, Bukowina), wo es 1875
eine Universität erhält (u. a. Eugen Ehrlich). 1918 fällt es an Rumänien, 1940
an die Sowjetunion bzw. danach an die Ukraine.
Lit.: Jüdisches Städtebild Czernowitz, hg. v. Corbea-Hoisie,
A., 1998; Czernowitz, hg. v. Heppner, H., 2000; Yavetz, Z., Erinnerungen an
Czernowitz, 2007
D
Da mihi factum, dabo tibi ius (lat.). Gib mir den Tatbestand, ich werde dir das Recht
geben.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Alexander III. 1100-1181, Dekretalen 2, 1, 6)
Dabelow,
Christoph Christian Frhr. v. (Neubuckow bei Wismar 19. 7. 1768–Dorpat 27. 4.
1830), Justizratssohn, wird nach dem Rechtsstudium in Rostock und Jena 1787
Advokat, 1791 außerordentlicher Professor, 1792 ordentlicher Professor in Halle
(bis 1806 bzw. 1809), 1811 Staatsrat in Anhalt-Köthen (bis 1813) und 1819
Hofrat und Professor in Dorpat.
Lit.: Allgemeine Deutsche Biographie,
Bd. 4 685
Dacheriana ist
die nach ihrem ersten Herausgeber (d’Achery † 1685) benannte, um 800 in Lyon
entstandene systematische Kirchenrechtssammlung mit etwa 400 canones.
Lit.: Mordek, H., Kirchenrecht und Reform, 1975, 259
Dahn, Felix (Hamburg 9. 2. 1834-Breslau 3. 1.1912),
Sohn eines deutsch-französischen Schauspielerehepaars, wird nach dem Studium der
Philosophie und des Rechtes in München und Berlin 1857 mit Studien zur
Geschichte der germanischen Gottesurteile in München habilitiert. 1863 wird er
Professor in Würzburg, 1872 in Königsberg und 1888 in Breslau. Sein größter literarischer
Erfolg ist der in 30 Auflagen (1900) veröffentliche Roman Ein Kampf um Rom
(1876ff.), während das zwölfbändige Hauptwerk Die Könige der Germanen (1861ff.)
weniger Anerkennung findet.
Lit.: Meyer, H., Friedrich Dahn,
1913; Wohlhaupter, E., Dichterjuristen, Bd. 3 1957, 285
Dalberg, Karl Theodor Reichsfreiherr von
(Herrnsheim bei Worms 10. 2. 1744-Regensburg 8. 2. 1817) wird nach dem Studium
des Rechtes in Heidelberg 1768 Priester, 1772 Statthalter des Erzbischofs von
Mainz in Erfurt, 1780 Rektor der Universität Würzburg, 1787 Koadjutor in Mainz,
1788 Koadjutor in Konstanz, 1800 Bischof von Konstanz, 1802 Erzbischof von
Mainz und 1806 Fürstprimas von Deutschland (im Rheinbund). Im
Reichsdeputationshauptschluss erhält er 1803 Regensburg, Aschaffenburg und
Wetzlar, 1806 Frankfurt am Main und 1810 Fulda und Hanau. 1803 muss er
abdanken, bleibt aber Erzbischof von Regensburg.
Lit.: Färber, K., Kaiser und
Erzkanzler, 1988; Carl von Dalberg, hg. v. Färber, K. u. a., 1994; Carl von Dalberg,
hg. v. Hausberger, K., 1995; Hein, N., Der Staat Karl Theodor von Dalbergs,
Diss. phil. Frankfurt am Main 1996; Hömig, H., Karl-Theodor von Dalberg, 2011
Dalloz,
Désiré (1795-1869) wird nach dem
Rechtsstudium Anwalt und 1814 Mitarbeiter am (franz.) Journal des audiences de
la cour de cassation et des cours d’‘appel (1824 Jurisprudence générale du
royaume). Danach veröffentlicht er bis 1832 in einem Répertoire de
jurisprudence générale (allgemeinen rechtswissenschaftlichen Repertorium) nach
Materien geordnet in alphabetischer Reihenfolge wichtige Entscheidungen mit
Anmerkungen. Dieses Werk legt er von 1845 bis 1870 in verbesserter und
erweiterter Fassung neu auf. Sein Name lebt in dem Verlagshaus fort, das als
den „Dalloz“ eine fortlaufende Sammlung von Entscheidungen, Gesetzen und
wissenschaftlichen Stellungnahmen vertreibt.
Lit.: Papillard, F., Désiré Dalloz
(1795-1869), 1964
Dalmatien ist
das zunächst von Dalmatern besiedelte Ostufer der Adria mit den davorliegenden
Inseln, das 9. n. Chr. zur römischen Provinz Dalmatia wird. Seit dem Ende des
6. Jh.s dringen Slawen und Awaren ein, seit dem 11. Jh. bemüht sich Venedig um
die 1420 erreichte Herrschaft. Im 16. Jh. fällt ein Teil Dalmatiens an die
Türken. Über Venedig (Auflösung der Republik 1797) bzw. (nach Auflösung der
illyrischen Provinzen Napoleons) über den Wiener Kongress (1815) erlangt →Österreich
das 1816 zum Königreich erhobene D. 1920 wird es →Jugoslawien zugeteilt,
aus dem es 1991 vor allem an →Kroatien fällt.
Lit.: Mayer, E., Die dalmatisch-istrische Munizipalverfassung
im Mittelalter und ihre römischen Grundlagen, ZRG GA 24 (1903), 211; Stanic,
M., Dalmatien, 1984; Steindorf, L., Die dalmatischen Städte, 1984; Clewing, C.,
Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung, 2000; Cetnarowicz, A., Die
Nationalbewegung in Dalmatien im 19. Jahrhundert, 2008
Damasus ist ein um 1210 bis 1220 in Bologna
wirkender Lehrer des kirchlichen Rechtes.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 300
Damme →Vonnisse
von Damme
Damnationslegat ist das bereits dem jüngeren altrömischen Recht bekannte
Vermächtnis, bei dem vielleicht der treuhänderische Vermögenskäufer (lat.
familiae emptor [M.]) dem oder den Bedachten für eine bestimmte Geldsumme,
später auch für andere Leistungen haften soll.
Lit.: Kaser §§ 32, 33, 76; Köbler, DRG
23
Damnum (lat.
[N.]) (iniuria datum) ist im klassischen römischen Recht der rechtswidrig
zugefügte Schaden, zu dessen Ausgleich bereits 286 v. Chr. die (lat.) lex (F.)
Aquilia de damno (aquilisches Gesetz über den Schaden) ergeht.
Lit.: Kaser § 51; Köbler, DRG 65
Danelaw ist
eine Bezeichnung für das vom späten 9. Jh. bis 1066 vom Recht der Dänen
beherrschte Gebiet →Englands (z. B. Northumbria, Ostanglien).
Lit.: Loyn, H., The Vikings in Britain,
1977
Däne →Dänemark
Dänemark ist
der im Norden an Deutschland grenzende skandinavische Staat. Die Festigung
einer eigenständigen Herrschaft über die Dänen (6. Jh.) durch einen König
gelingt in der ersten Hälfte des 10. Jh.s unter Gorm dem Alten (ab etwa 940
ununterbrochene Königsreihe). Wenig später setzt sich das Christentum in D.
durch. Zeitweise herrschen die Könige Dänemarks über große Teile Englands (Knut
der Große 1018-1035), der Ostsee (Waldemar der Große 1157-1182) und →Norwegen,
→Schweden sowie →Finnland (Margarete I. 1387/1389-1412). Um 1200
wird erstmals das Recht (für Schonen [kurz nach 1200, dänisch, lateinisch als
Liber legis Scaniae, Rechtsbuch Schonens Erzbischof Andreas Sunesens], Seeland
[Waldemar, Erik] und Jütland [März 1241 unter König Waldemar II.] erhalten)
schriftlich aufgezeichnet, wobei kirchlicher Einfluss nachweisbar ist. Dementsprechend
wird bereits im 13. Jh. inhaltlich ergänzend gelehrtes Recht erkennbar. 1479
wird in Kopenhagen eine Universität gegründet. Seit dem 16. Jh. wird in
Einzelfällren die Folter verwendet. 1536 wird unter dem Hause Oldenburg
(1448-1863) die lutherische Reformation durchgeführt. Vom Einfluss der
katholischen Kirche befreit beherrscht der König zusammen mit dem Adel das
Land. Im Gefolge des Dreißigjährigen Kriegs wird D. von Schweden
zurückgedrängt, wobei die Ostgebiete an Schweden fallen. 1660 erzwingen Bürger
und Bauern gegen den Adel die Umwandlung Dänemarks in eine Erbmonarchie (mit
einem 1661 eingerichteten Höchstgericht), die sich 1665 (durch lat. [F.] lex
regia, königliches Gesetz) dem Grundsatz des Absolutismus zuwendet und 1683
unter Christian V. das dänische Recht (Danske Lov 15. 4. 1683, Prozessrecht,
Kirchenrecht, Ständerecht mit Eherecht und Unmündigenrecht, Seerecht,
Schuldrecht, und Sachenrecht, Strafrecht, 6 Bücher, ersetzen jütisches, seeländisches
und schonisches Recht, im 19. Jh. weitgehend aufgehoben, eine Reihe von
Grundnormen aber noch in Kraft, ähnlich 1687 für das von 1380 bis 1814 mit D.
verbundene Norwegen) in einem Buch (Gesetzbuch?) zusammenfasst. Im 18. Jh., in
dem 1736 eine juristische Prüfung eingeführt wird und innerhalb der
erwachsenden Rechtswissenschaft die Rechtsgeschichte erfasst wird (Peder Kofod
Ancher, En Dansk Lov-Histoire 1789ff.), dringt mit Aufklärung und Naturrecht
die Lehre von der Gewaltenteilung ein und wird das Strafrecht gesetzlich
geändert. 1788 beginnt die Befreiung der Bauern. 1814 gelangt Norwegen an
Schweden. 1849 wird die absolute Monarchie unter Einführung einer Verfassung
(Entwurf einer Verfassungsurkunde für das Königreich D. und die Herzogtümer
Schleswig und Holstein von Anfang 1848, Danmarks Riges Grundlov 5. Juni 1849)
nach dem Vorbild Belgiens bis 1866 durch eine konstitutionelle Monarchie
abgelöst. 1864 gehen Schleswig, Holstein und Lauenburg an den →Deutschen
Bund bzw. Preußen verloren (ein Drittel der Einwohner, zwei Fünftel des
Gebiets). 1866 wird die Verfassung verändert. Seit 1872 arbeitet D. mit den
anderen nordischen Ländern trotz Sonderung des Westnordischen vom Ostnordischen
vereinheitlichend zusammen. 1866/1930 wird das Strafrecht, 1916/1919 das
Prozessrecht geändert. Ab 1891 wird die Sozialversicherung eingeführt. 1901
setzt sich der Gedanke der parlamentarischen Kontrolle durch. 1915 wird erneut
die Verfassung verändert. 1920 kehrt nach einer Volksabstimmung Nordschleswig
zu D. zurück. 1953 ermöglicht ein Thronfolgegesetz die weibliche Erbfolge in
der Erbmonarchie mit demokratisch-parlamentarischer Regierungsform, die sich
zum Sozialstaat wandelt. Das Einkammersystem wird eingeführt. 1960 tritt D. der
Europäischen Freihandelszone bei, 1973 der Europäischen Gemeinschaft (bzw.
1993 Europäischen Union). 1979 erhält →Grönland Autonomie.
Lit.: Hasse, P., Die Quellen des Ripener Stadtrechts, 1883;
Repertorium diplomaticum regni Danici mediaevalis, hg. v. Christensen, W. u.
a., 1894ff.; Haandværksskik i Danmark, hg. v. Nyrop, C., 1903; Danske vider og
vegtægter eller gamle landsbylove, hg. v. Bjerge, P. u. a., 1904ff.; Haff, K.,
Die Theorie des dänischen Grundregals, ZRG GA 30 (1909), 290; Haff, K., Die
dänischen Gemeinderechte, 1909; Haff, K., Beweisjury und Rügeverfahren im
fränkischen und altdänischen Recht, ZRG GA 38 (1917), 130; Scriptores minores
historiae danicae medii aevi, rec. Gertz, M., 1917ff.; Dahl, F., Juridiske
profiler, 1920; Danemarks gamle lanskabslove med kirkelovene, hg. v.
Brøndum-Nielsen, J., 1920f.; Annales Danici medii aevi, neu hg. v. Jørgensen,
E., 1920; Dahl, F., Frederik VI og Anders Sandøe Ørsted, 1929; Dahl, F., Hovedpunkter
af den danske retsvidenskabs historie, 1937; Dänische Rechte, übers. v.
Schwerin, C. Frhr. v., 1938; Juul, S., Fællig og hovedlod, 1940; Dahl, F.,
Geschichte der dänischen Rechtswissenschaft, 1940; Jørgensen, P., Dansk
Retshistorie, 1940, 2. A. 1947; Fussing, H., Herremand og Fæstebonde, 1942,
Olsen, G., Traehesten, hundehullet og den spanske kappe, 1960; Højesteret
1661-1961, 1961; Imhof, A., Grundzüge der nordischen Geschichte, 1970; Fenger,
O., Fejde og mandebod, 1971; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
2,1,991, 2,2,506,1005, 3,4,21; Hoffmann, E., Königserhebung und Thronfolgeordnung
in Dänemark, 1976; Sprandel-Krafft, L., Rechtsverhältnisse in spätmittelalterlichen
Städten am Beispiel Viborgs (Dänemark), ZRG GA 93 (1976), 257, 94 (1977), 20;
Tamm, D., Fran lovkyndighed til retsvidenskab, 1976; Kroman, E., Dänemarks alte
Rechte – Ihr Alter und ihre Verwandtschaft, ZRG GA 94 (1977), 1; Riis, T., Les
Institutions Politiques Centrales du Danemark 1100-1332, 1977; Danmarks
historie, Bd. 1ff. 1977ff.; Dübeck, I., Købekoner og konkurrence, 1978; Ekbom,
C., Ledung och tidig jordtaxering i Danmark, 1979; Danske og Norske Lov i 300
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Thygesen, F., Das Verhältnis zwischen dänischem und deutschem Recht, ZRG GA 105
(1988), 289; Den Danske rigslovgivning 1397-1513, hg. v. Andersen, A., 1989;
Tamm, D., Laerebog i Dansk retshistorie, 1989; Tamm, D., Retshistorie 1 Dansk
retshistorie, 1990; Tamm, D., Med lov skal land bygges, 1990 (Aufsätze); Den
Danske rigslovgivnning 1513-1523, hg. v. Andersen A,. 1991, Jyske Lov i 750 år,
1991; Tamm, D., Retsvidenskaben i Danmark, 1992; Danmark i senmidelalderen, hg.
v. Ingesman, P. u. a., 1994; Stevnsborg, H., Besaßen die dänischen Könige der
vorchristlichen Zeit Gesetzgebungsgewalt, ZRG GA 112 (1995), 423; Björne, L.,
Den nordiska rättsvetenskapens historia, Bd. 1ff. 1995ff.; Bohn, R., Dänische
Geschichte, 2001; Hammerslev, O., Danish judges in the 20th century, 2003;
Andersen, S., Danmark I det tyske Storrum, 2003; Dänemark, Norwegen und
Schweden im Zeitalter der Reformation, hg. v. Asche, M. u. a., 2003; Geiger,
T., Die dänische Intelligenz von der Reformationszeit bis zur Gegenwart, 2005;
Tamm, D., Retshistorie, 2005; Bellamy, M., Christian IV and his Navy, 2006;
Repertorium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit Band 9 Dänemark und
Schleswig-Holstein, hg. v. Tamm, D., 2008; Quellen zur dänischen Rechts- und
Verfassungsgeschichte (12.-20. Jahrhundert), hg. v. Tamm, D. u. a., 2008; Zwischen
Grenzkonflikt und Grenzfrieden, hg. v. Henningsen, L., 2011; Andersen, P.,
Legal Procedure and Practice in Medieval Denmark, 2011; Loebert, S. u. a., Die
Entstehung der Verfassungen der dänischen Monarchie (1848-1849)., 2012;
Greßhake, F., Deutschland als Problem Dänemarks, 2013; Liedegaard, B., Die
Ausnahme - Oktober 1943 - Wie die dänischen Juden, 2013
Daniels,
Heinrich Gottfried Wilhelm (Köln 25. 12. 1754-Köln 28. 3. 1827), wird nach dem
Studium der Mathematik und des Rechtes in Köln 1770 in der Philosophie und 1775
in der Rechtswissenschaft promoviert. 1776 wird er Advokat bei dem Hofrat des
Erzbischofs von Köln, 1783 ordentlicher Professor der Universität Bonn und 1792
Richter am kurkölnischen Appellationsgerichtshof in Bonn. Nach dem Verlust
aller Ämter infolge des Einmarschs Frankreichs lehrt er seit 1798 Gesetzgebung
an der neuen Zentralschule in Köln, wird aber 1804 Substitut de Procureur
Général am Kassationshof in Paris, 1813 Generalprokurator am Appellationshof
in Brüssel, 1817 geheimer Staatsrat in Berlin und 1819 erster Präsident des
rheinischen Appellationsgerichtshofs in Köln.
Lit.:
Weisweiler, W., Geschichte des rheinpreußischen Notariats, Bd. 2 1925; Recht
und Rechtspflege in den Rheinlanden, hg. v. Wolffram, J. u. a., 1969;
Reisinger-Selk, N., Heinrich Gottfried Daniels, 2008; Daniels, H., Vorlesungen,
hg. v. Becker, C., 2009
Dank
Lit.: His, R.,
Dank, ZRG GA 57 (1937), 474
Danzig an
der Weichselmündung in die Ostsee wird am Ende des 10. Jh.s (997) als
(pommerellische) Burg genannt. Seit dem ausgehenden 12. Jh. bringen deutsche
Zuwanderer, die sich hauptsächlich beiderseits der Langgasse niederlassen, →lübisches
Recht (1263) mit. Nach Zerstörung der Stadt (1236 civitas Danczik) durch den
Deutschen Orden in Kämpfen um die Erbfolge im Herzogtum Pommerellen im Jahre
1308 erhält D. vom Hochmeister des Deutschen Ordens 1342/1343 →Kulmer
Recht. 1454 löst sich das in vier Teile gegliederte D. vom Deutschen Orden und
unterstellt sich Polen, wofür es verschiedene Vorrechte erhält. 1792 kommt D.
bei der zweiten Teilung Polens an Preußen, Nach dem Versailler Vertrag vom 20.
6. 1919 wird es, um Polen einen Ostseehafen zu sichern, am 15. 11. 1920 Freie
Stadt (400000 Einwohner, 5 Prozent Polen, 1966 qkm), in der weiter deutsche
Gesetze gelten. Diese freie Stadt D. ist ein Staatsgebilde mit beschränkter
Souveränität ohne Staatsoberhaupt, aber mit Regierungsoberhaupt. Am 1. 9. 1939
wird D. in das Deutsche Reich eingegliedert. 1945/1990 fällt es an Polen.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Simson, P., Geschichte
der Danziger Willkür, 1904; Keyser, E., Geschichte Danzigs, 1921; Keyser, E.,
Die Entstehung von Danzig, 1924; Loening, O., Untersuchungen zum ältesten Recht
von Danzig, ZRG GA 46 (1926), 206; Keyser, E., Der Streit um ein Danziger
Aufwertungsgesetz am Ende des 18. Jahrhunderts, ZRG GA 46 (1926), 383; Keyser,
E., Das älteste Danziger Stadtrecht, ZRG GA 48 (1928), 194; Methner, A., Zwei
alte Danziger Rechtssymbole, ZRG GA 57 (1937) 456; Hahlweg, W., Das Kriegswesen
der Stadt Danzig, 1937; Gierke, J. v., Danzigs deutsches Recht, ZHR 107 (1940),
161; Samsonowicz, H., Untersuchungen über das Danziger Bürgerkapital in der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, 1969; Ruhnau, R., Danzig, 1971;
Lingenberg, H., Die Anfänge des Klosters Oliva und die Entstehung der deutschen
Stadt Danzig, 1982; Ruhnau, R., Die Freie Stadt Danzig, 1979, 2. A. 1988;
Wittreck, F., Die Anfänge der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle in
Deutschland, ZRG GA 121 (2004), 415; Das Danziger Pfundzollbuch der Jahre 1409
und 1411, bearb. v. Jenks, S., 2012
dare (lat.)
geben
Darjes,
Joachim Georg (1714-1791), Schüler Christian Wolffs, bemüht sich in Jena und
Frankfurt an der Oder um eine systematische Gliederung des Privatrechts und
entwickelt auf römischrechtlicher Grundlage systematisch (1740) das
erbrechtliche Parentelensystem. →Parentel
Lit.: Köbler, DRG 159, 162; Gärtner, F., Joachim Georg
Darjes und die preußische Gesetzesreform, 2007
Darlehen (Wort 1507) ist ein je nach Gestaltung entweder einseitig
verpflichtender Vertrag oder ein gegenseitiger Vertrag, in dem sich der eine
Teil (Darlehensnehmer) verpflichtet, Geld oder andere vertretbare Sachen in
gleicher Art, Güte und Menge, wie er sie von dem anderen Teil (Darleiher) (zu
Eigentum) erhält, zurückzuerstatten. Das D. ist in der Form des (lat. [N.]) →nexum
wohl bereits dem altrömischen Recht bekannt (Selbstverpfändung für ein D.).
Daneben besteht das formfreie (lat. [N.]), grundsätzlich unentgeltliche →mutuum
als →Realkontrakt, aus dem der Gläubiger die (lat. [F.]) →condictio
als abstrakte Klage erhält, wobei Zinsen besonders vereinbart werden müssen. Im
weitgehend geldlosen frühmittelalterlichen Recht ist D. nur ein Fall der
allgemeineren →Leihe. Gegen das Nehmen eines Entgelts für das D. wendet
sich schon in karolingischer Zeit die christliche Kirche (Lukas 6,35 [lat.]
mutuum date nihil inde sperantes, gebt D. ohne etwas davon zu erhoffen). Gegen
den Widerstand der Kirche setzt sich aber mit der Geldwirtschaft das D. durch.
Es wird zunächst für Juden, dann auch für andere insofern bevorrechtigte
Personen, schließlich 1654 durch den jüngsten Rechtsabschied sogar allgemein
erlaubt, wobei römisches Recht des Darlehens (lat. [N.] mutuum) unter
Abänderung aufgenommen wird. Allerdings werden Höchstzinssätze (oft 6%)
festgesetzt und wird die Berechnung von Zinseszinsen verboten. Das Allgemeine
Landrecht Preußens (1794) trennt das D. eindeutig von der Leihe (lat. [N.]
commodatum). Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs (1811/1812)
versteht das D. als Realvertrag, doch entwickelt sich daneben auch ein konsensualer
Darlehensvertrag. Im Gefolge des Liberalismus fallen im 19. Jh. die
Zinsschranken (ADHGB, 1861), doch bewirkt ein wuchermäßiges Verhalten
Unwirksamkeit einer Vereinbarung. 2002 wird in Deutschland das D.
(Gelddarlehen, 488 BGB) vom D. anderer vertretbarer Sachen (Sachdarlehen)
getrennt.
Lit.: Kaser §§ 6, 31, 32, 38, 39; Söllner §§ 9, 16, 18;
Hübner 591; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 27, 45, 125, 127, 166, 213, 120,
241; Lübtow, U. v., Die Entwicklung des Darlehensbegriffs, 1965; Schulz, H., Darlehen
und Leihe, Diss. jur. Göttingen 1922; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd.
1f. 1985ff.; Dehesselles, T., Policey, Handel und Kredit im Herzogtum
Braunschweig-Wolfenbüttel, 1999; Sturm, B., wat ich schuldich war -
Privatkredit im frühneuzeitlichen Hannover (1550-1750), 2009; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Daseinsvorsorge (Forsthoff, E., Der totale Staat,
1933, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938) ist die vorausplanende Gestaltung menschlichen Seins. Sie
wird seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s zunehmend Gegenstand der öffentlichen
Verwaltung.→Leistungsverwaltung
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG
197, 259; Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. v. Jeserich, K. u. a., Bd. 1ff.
1983ff.; Scheidemann, E., Der Begriff Daseinsvorsorge, 1991; Hermes, G.,
Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998; Laak, D. van, Der Begriff
Infrastruktur, Archiv für Begriffsgeschichte 41 (1999), 280; Kersten, J., Die
Entwicklung des Konzepts Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, Der Staat
44 (2005); Jellinghaus, L., Zwischen Daseinsvorsorge und Infrastruktur, 2006;
Ringwald. R., Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, 2008
Datenschutz ist
der Schutz der Daten einer Person vor Missbrauch durch eine andere Person. Er
entwickelt sich in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s als Folge der Verbreitung der
elektronischen Datenverarbeitung, wobei das weltweit erste Datenschutzgesetz
1972 in Hessen erlassen wird. Zu seiner Ausführung sind besondere staatliche
Datenschutzbeauftragte bestellt (Hessen 18. 6. 1975-22. 10 1991 Spiros
Simitis).
Lit.: Köbler, DRG 260; Vierzig Jahre
Datenschutz in Hessen, hg. v. Kartmann, N. u. a., 2012
datio (lat. [F.]) Gabe, Hingabe
(z. B. bei Leihe, Verwahrung, Pfand)
Datio (F.) in solutum (lat.) ist die Leistung an Erfüllungs Statt. Bei ihr wird
schon im klassischen römischen Recht der Schuldner nur befreit, wenn sie der
Gläubiger als Erfüllung anerkennt.
Lit.: Kaser § 53; Köbler, DRG 62
Dauer
Lit.: Krause, H., Dauer und
Vergänglichkeit im mittelalterlichen Recht, ZRG GA 75 (1958), 206
DDR (Deutsche
Demokratische Republik)
Decemviri (lat.
[M.Pl.]) ist im altrömischen Recht ein Ausschuss von 10 Männern zur Erledigung
allgemeiner Angelegenheiten (z. B. →Zwölftafelgesetz).
Lit.: Kaser § 82; Köbler, DRG 17, 19
De Chasseneuz,
Bartholomaeus (1480-1541) veröffentlicht nach dem Rechtsstudium in Dôle,
Poitiers, Turin (1497) und Pavia (1499-1502) als Kronanwalt in Autun 1517
(lat.) Commentaria (N.Pl.) in consuetudines ducatus Burgundiae, den ersten
großen Kommentar zum partikularen Gewohnheitsrecht (franz. droit coutumier) in
Frankreich.
Lit.: Pignot, J., Bartholomaeus de Chasseneuz, 1880,
Neudruck 1970; Dugas della Boissony, C., Bartholomaeus de Chasseneuz, Diss.
jur. Dijon 1977
Deciani,
Tiberio (Udine 1509-Padua 1582), Patriziersohn, wird nach dem Rechtsstudium in
Padua (1523-1529) Anwalt in Udine und Venedig (1544). In seinem posthum
veröffentlichten (lat.) Tractatus (M.) criminalis (1590, Straftraktat) entwickelt
er ansatzweise einen allgemeinen Teil des Strafrechts mit einem allgemeinen
Straftatbestand.
Lit.: Schaffstein, F., Tiberio Deciani, Dt. Recht 3 (1938),
121
Decius, Philippus ist ein in Mailand 1454
geborener, in Pavia und Pisa ausgebildeter, 1475 promovierter, dort, 1484 in
Pisa, 1487 in Siena, 1487 in Pisa, 1502 in Padua und später in Pavia und Pisa
lehrender, vielleicht in Siena 1536 verstorbener Jurist (lectura zu Digesten
50, 17, commentaria zu den Digesten, consilia).
L.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 2 2007, 875
Déclaration (F.) des droits de l‚homme et du citoyen (franz.) ist die von der Nationalversammlung in Frankreich
1789 angenommene Erklärung der Menschenrechte bzw. Bürgerrechte, die 1791 der
Verfassung vorangestellt wird.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ErklaerungderMenschenundBuergerrechte1789.pdf;
Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, hg. v. Schnur, R., 1964
Declaratio (F.) voluntatis (lat.) ist die in der frühen Neuzeit (seit Connan
1508-1551) allmählich ausgebildete allgemeine Grundfigur der →Willenserklärung.
Lit.: Köbler, DRG 164; Wesenberg, G./Wesener, G., Neuere
deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. A. 1985; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.
Declaration of Rights (England 1689)
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/ofRights1689.htm
decreta (lat.
[N.Pl.]) (z. B. sog. decreta Tassilonis oder decretum Tassilonis von 756?-772?,
45 bayerische Synodalbestimmungen aus Aschheim, Dingolfing und Neuching),
Entscheidungen →Dekret, decretum
Lit.:
Hartmann, W., Die Synoden der Karolingerzeit, 1989
Decretio (F.) Childeberti (lat., auch decretus, decretum) ist ein spätestens am 1.
3. 596 verkündetes, vielleicht in verschiedenen Teilen aus verschiedenen Jahren
stammendes, in 24 Textzeugen durch 21 noch greifbare Handschriften
überliefertes Dekret (Kapitular) des fränkischen Königs Childebert II. für
Austrasien mit gemischten Inhalten (z. B. Eintrittsrecht der Enkel, mehrfach
Todesstrafe), das überwiegend mit der für Neustrien bezeugten Lex Salica
überliefert ist.
Lit.: Eckhardt, W., Die Decretio
Childeberti und ihre Überlieferung, ZRG GA 83 (1966), 1; Woll, I.,
Untersuchungen zu Überlieferung und Eigenart der merowingischen Kapitularien,
1995; Mordek, H., Bibliotheca capitularium regum Francorum manuscripta, 1995;
Liebs, D., Römische Jurisprudenz in Gallien, 2002; Kölzer, T., Die
merowingischen Kapitularien in diplomatischer Sicht (in) Scientia veritatis,
2004, 16ff.
Decretum (lat.
[N.]) ist im römischen Prinzipat die Entscheidung (Urteil) des Prinzeps, mit
der er unmittelbar Recht setzt.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 32
Decretum (N.) Burchardi (lat.) ist die wohl zwischen 1008 und 1012 verfasste
Kanonessammlung →Burchards von Worms.
Lit.: Kroeschell, DRG 1
Decretum (N.) Gratiani (lat.) ist die zwischen 1125 und 1140 (erste, durch vier
bzw. fünf Handschriften überlieferte, eher lehrbuchartige Fassung um 1140
[1139?] mit 1860 canones, zweite, stärker quellensammelnde und rechtlich
argumentierende aber keine Texte aus bisher nicht verwendeten Sammlungen
aufnehmende oder Ergänzungen aus schon benutzten Quellen einfügende Fassung um
1144/1145?, erste gesicherte Benutzung 1158, insgesamt mehr als 600
mittelalterliche Handschriften, noch ältere Vorstufe „Rohfassung“ möglicherweise
in Handschrift Sankt Gallen, Stiftsbibliothek MS 673) in Bologna von dem nicht
näher bekannten Mönch →Gratian auf Grund zahlreicher älterer Sammlungen
zusammengestellte (lat.) Concordia discordantium canonum (Übereinstimmung
widersprüchlicher Regeln). Das Quellensammlung und Lehrbuch in sich
vereinende D. G. stellt ohne strenge Systematik bzw. in schwer verständlicher
Systematik die bis zum dritten lateranischen Konzil (1139) entstandenen kirchlichen
Rechtssätze (Konsilscanones, päpstliche Dekretalen, Texte von Kirchenvätern [etwa
25%?], Auszüge aus Bußbüchern, römische Rechtssätze sowie biblische Sätze,
insgesamt 3945 [lat. M.Pl.] canones oder [lat. N.Pl.] capitula) zusammen. Sein
erster Teil enthält 101 in Kapitel (c.) geteilte Distinktionen (D.) oder
allgemeine Bestimmungen über allgemeine Rechtslehre und Kleriker. Der zweite
Teil befasst sich mit 36 in Untersuchungen (lat. [F.Pl.] quaestiones) und
Kapitel (lat. [N.Pl.] capitula) gegliederten (fiktiven) Fällen oder (lat.)
causae (C.), die beispielsweise das Prozessrecht, Strafrecht, kirchliche Vermögensrecht,
Recht der Mönche, Eherecht (C. 27ff.) oder die Buße (C. 33, quaestio 3 als
Traktat ausgestaltet) betreffen. Der dritte, wohl erst in der zweiten Fassung
eingefügte Teil stellt in 5 Distinktionen (und Kapiteln) unter der Überschrift
(lat.) De consecratione (Von der Weihe) das Recht der Weihe und anderer
Sakramente dar. Kommentiert wird die Konzilskanonenes und päpstliche Dekretalen
bereits aus dem 4. Jh. enthaltende Sammlung durch die Dicta Gratiani. Materielle
Quellen sind Konzilskanones (davon rund 400 Kapitel aus den pseudoisidorischen
Fälschungen), päpstliche Dekretalen, etwa 1200 Texte der Kirchenväter, vielleicht
erst spät eingefügtes weltliches, vor allem römisches Recht (aus der
justinianischen Kompilation) und Texte der (lat.) Glossa ordinaria des 12. Jh.s
zur Bibel. Eine wichtige unmittelbare Quelle sind die Sammlungen des Ivo von
Chartres (Panormia, nach 1095, Tripartita um 1100), ein bedeutsames Vorbild
Alger von Lüttichs (lat.) De misericordia et iustitia (Von Barmherzigkeit und
Gerechtigkeit, um 1100). Hinzu kommen Anselm von Lucca (um 1083), Sententiae
magistri A. (um 1110), Sammlung Polycarpus (um 1111) und Drei-Bücher-Sammlung
(um 1120). Um 1150 beginnt die europäische Verbreitung, die bis 1160 das
gesamte damals bekannte Abendland erreicht. An das D. G. schließt sich bald (in
Bologna um 1145? [Paucapalea], vor 1150?) eine wissenschaftliche Behandlung
(Dekretistik in der Form von Glossen und Summen z. B. Huguccio von Pisa) an,
deren Glossen →Johannes Teutonicus um 1215 zu einer (lat.) glossa (F.)
ordinaria zum D. G. zusammenfasst (um 1245 von Bartholomaeus Brixiensis
überarbeitet). Später bildet das D. G. den ersten Teil des (lat.) →corpus
(N.) iuris canonici. Vielleicht stammt die Gliederung in Distinktionen von dem
auch Zusätze verfassenden Schüler Paucapalea. Zitierweisen sind seit der
Nummerierung der Kapitel in der Ausgabe Charles Dumoulins von 1553/1554 (nicht
mehr die lateinischen Textanfänge der Stellen, sondern) z. B. für den ersten
Teil D. (Distinktion) 20. C. (Kapitel) 2, für den zweiten Teil C. (Causa) 9 q.
(quaestio) 3 c. (capitulum) 11 und für den dritten Teil De cons. D.
(Distinktion) 1 c. (Kapitel) 5.
Lit.:
Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 102; Studia Gratiana, Bd. 1ff. 1953ff.;
Gaudemet, J., Das römische Recht in Gratians Dekret, Österreich. Archiv f.
Kirchenrecht 12 (1961), 177; Kuttner, S., Gratian and the Schools of Law, 1983;
Landau, P., Forschungen zu vorgratianischen Kanonessammlungen und den Quellen
des gratianischen Dekrets, Ius commune 11 (1984), 81; Winroth, A., The Two
Recensions of Gratian’s Decretum, ZRG KA 83 (1997); Weigand, R., Das kirchliche
Wahlrecht im Dekret Gratians, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997,
1331; Landau, P., Kanones und Dekretalen, 1997; Beyer, A., Lokale Abbreviationen
des Decretum Gratiani, 1998; Larrainzar, C., El borrador de la „Concordia“ de
Graciano – Sankt Gallen Stiftsbibliothek MS 673, Ius Ecclesiae 11 (1999), 593;
Winroth, A., The Making of Gratian’s Decretum, 2000; Larrainzar, C., La formacion
del Decreto de Graciano par etapas, ZRG KA 87 (2001), 67; Winroth, A., Recent
Work on the Making of Gratian’s Decretum, Bulletin of Medieval Canon Law 26
/2004-2006), 2; Décret de Gratien. Causes 27 à 36 Le mariage, hg. v.
Werckmeister, J., 2011
decretum (lat. [N.]) principis Entscheidung des (römischen) Kaisers in Zivilprozessen und
Strafprozessen
Decretum (N.) Tassilonis (lat.) ist die Bezeichnung für die Beschlüsse der Synoden
(Versammlungen) von Aschheim, Dingolfing und Neuching, die unter Herzog Tassilo
III. von Bayern (748-788) um 756, um 770 und 771 zur Regelung
kirchenrechtlicher Fragen stattfinden.
Lit.: Barion, H., Die Verfassung der bayerischen Synoden
des 8. Jahrhunderts, Röm. Quartalschrift 38 (1930), 90; Hartmann, W., Die Synoden der Karolingerzeit,
1989; Landau, P., Kanonessammlungen in Bayern, FS K. Reindel, 1995, 137
Decurio (M.) de gradus (lat.) ist eine spätantike (6./7. Jh.?), systematische, an
unbekanntem Ort geschaffene, relativ reich und erheblich unterschiedlich
überlieferte, etwa eine Seite umfassende Übersicht über ein staatliches
Ämterwesen (Kommandos, Staatsämter und Herrscher, Hofämter und städtische
Ämter, soziale Klassen und grundherrliche Amtsträger [Ämtertraktat]), die
vielleicht nur Lehrzwecken dient und keiner bekannten Wirklichkeit vollständig
entspricht.
Lit.: Conrat, M., Ein Traktat über romanisch-fränkisches
Ämterwesen, ZRG GA 29 (1908), 239; Beyerle, F., Das frühmittelalterliche
Schulheft vom Ämterwesen, ZRG GA 69 (1952), 1; Barnwell, P., Epistula Hieronimi
de gradus Romanorum, Historical Research 64 (1991), 77
Dediticius (lat.
[M.]) ist im römischen Recht der gewaltunterworfene Reichsangehörige (str.).
Lit.: Kaser §§ 3, 13, 16; Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 30;
Köbler, DRG 35, 57
Defensor (M.) pacis (lat. Verteidiger des Friedens) (1324) ist die wichtigste
staatsrechtliche Schrift des →Marsilius von Padua, in der er von der
Herrschaft des Kaisers über die christliche Kirche ausgeht.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Defensorpacis1324(1522).pdf;
Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 109; Segall, H., Der „Defensor pacis“ des
Marsilius von Padua, 1959
Definition (F.)
ist die Inhaltsbestimmung eines (zu bestimmenden und insofern als verhältnismäßig
unbekannt angesehenen) Begriffs. Sie erfolgt durch (bestimmende) Angabe des
übergeordneten Gattungsbegriffs und des innerhalb der Gattung aussondernden
oder kennzeichnenden Einzelmerkmals (z. B. Frau ist [innerhalb] der [Gattung]
Mensch, der [welcher der Art nach] weiblich ist, F = Mw).
Insbesondere seit dem 18. Jh. werden diese Anforderungen präzisiert.
Lit.: Schröder, J., Definition und Deskription, FS K.
Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Forgó, N., Omnis definitio in iure
civili periculosa est, (in) Kontinuitäten und Zäsuren, 1999, 23
Deichrecht ist
die Gesamtheit der den Deich (als die gegen Fluten vorgenommene Erdaufschüttung)
betreffenden Rechtssätze, wie sie sich seit dem 10. oder 11. Jh. vor allem an
der Nordsee entwickeln. Dazu bildet sich zunächst teils freiwillig, teils
herrschaftlich ein Deichverband als Zwangsgenossenschaft der durch den Deich
unmittelbar geschützten Grundstücksberechtigten. Der Deichverband ist
Eigentümer des Deiches und verwaltet ihn durch eigene Organe (Deichgraf, Deichschöffe,
Deichgericht), sofern hierfür nicht die Gesamtheit zuständig ist. Der Deich ist
in Teile (Kabeln, Pfänder, Lose) zerlegt, für die ein jeweiliges Grundstück (d.
h. sein Nutzer oder Eigentümer) zu sorgen hat (Deichlast als Art Reallast). Wer
sein Kabel nicht ordnungsgemäß unterhält, muss mit dem Verlust seines
Grundeigentums rechnen (Wer nicht kann deichen, muss weichen bzw. wer nicht
will deichen, darf weichen). Seit dem 16. Jh. wird der Deichverband zur
Staatsanstalt, die Deichbaupflicht zur öffentlichen Last gegenüber dem
Deichregalträger. Es werden Deichordnungen aufgezeichnet oder auch erlassen
(Kleve 1448, Eiderstedt 1592, Hamburg 1639, Wursten 1661, Braunschweig-Lüneburg
1664, Bremen 1693). Das 19. Jh. kehrt zur Selbstverwaltung der Deichverbände
zurück (Preußen Deichgesetz 1848). Bei der Schaffung der deutschen Rechtseinheit
durch das Bürgerliche Gesetzbuch (1896/1900) wird das D. dem Landesgesetzgeber
überlassen. Seit dem preußischen Wassergesetz des Jahres 1913 werden die
Deichverbände als Wassergenossenschaften behandelt.
Lit.: Schrader, C., Systematische Übersicht über das
Deichrecht, 1805; Harnisch, R., Deichgesetzgebung, 1886; Gierke, J. v., Die
Geschichte des deutschen Deichrechts, Teil 1f. 1901ff., Neudruck 1967;
Beckmann, A., Dijk- en Waterschapsrecht, Bd. 1f. 1905ff.; Gierke, J., Chrene
cruda und Spatenrecht, ZRG GA 28 (1907), 290; Bochalli, A.,
Wassergenossenschafts- und Deichrecht nach dem preußischen Wassergesetz, 2. A.
1925; Fockema Andreae, S., Het hoogheemraadschap van Rijnland, 1934; Felkes,
E., Die geschichtliche Entwicklung der Deichlast in Nordfriesland, 1937;
Albers, E., Das Deichrecht im Amt Ritzebüttel, 1938; Römer, H., Die
Rechtsgeschichte der Koogs- und Deichverbände, 1938; Winsemius, J., De
historische ontwikkeling van het waterstaatsrecht in Friesland, 1947; Linden,
H. van der, De Cope, 1955; Obreen, H., Dijkplicht en Waterschappen aan
Frieslands Westkust, (1956); Buijtenen, M. u. a., Westergo’s Ysselmeerdijken,
1956; Djuren, H., Das Deichrecht im Lande Wursten, Diss. jur. Göttingen (um
1960); Ostfriesland im Schutze des Deiches, hg. v. Ohling, J., 1969; Blok, D.,
Wie alt sind die ältesten niederländischen Deiche, (in) Probleme der
Küstenforschung 15 (1984), 1; Gottschalck, M., Deich- und Wasserbau, 1985;
Petersen, S., Deutsches Küstenrecht, 1989; Ehrhardt, M., Ein guldten Bandt des
Landes, 2003; Fischer, N., Wassersnot und Marschengesellschaft, 2003; Nawotki,
K., Die schleswigsche Deichstavengerechtigkeit, 2004
Dei gratia
(lat. [F.]) ist eine von Karl dem Großen 768 nach biblischem und auch
kirchlichem Vorbild (6. Jh.) aufgegriffene, zunächst nur religiös zu
verstehende Formel, mit welcher der irdische Herrscher zum Ausdruck bringen
will, dass seine Stellung von Gottes Gnade herrührt. Ob die Vermittlung durch
den Papst erfolgen muss, ist zeitweise streitig.
Lit.: Köbler, DRG 83; Kern, F., Gottesgnadentum und
Widerstandsrecht im frühen Mittelalter, 1912, 7. A. 1980; Schmitz, K., Ursprung
und Geschichte der Devotionsformeln, 1913; Körntgen, L., Königsherrschaft und
Gottes Gnade, hg. v. Goetz, H. u. a., Bd. 2 2000
Dekalog sind
die zehn Gebote, die Moses auf dem Sinai (von Gott) empfängt (2. Moses 20,2-17,
5. Moses 5,6-21). Der D. enthält klare Regeln für wichtige gesellschaftliche
Störungen. Die zugehörigen, den Nichtjuden durch das Christentum vermittelten
Lösungen beeinflussen das weltliche Recht großer Teile der gesamten Menschheit
bis in die Gegenwart.
Lit.: Weber, H. v., Der Dekalog als Grundlage der
Verbrechenssystematik, FS W. Sauer, 1949, 44; Hossfeld, F., Der Dekalog, 1982
Dekan (M., zu lat. decem, Num. Kard.,
zehn) ist ein kirchlicher wie weltlicher Amtsträger.
Lit.: Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A.
1972
Dekret ist
allgemein die obrigkeitliche Entscheidung. Im Kirchenrecht ist D. das (lat.) →Decretum
(N.) Gratiani.
Lit.: Söllner § 15; Köbler, DRG 102; Dekrete der
ökumenischen Konzilien, hg. v. Wohlmuth, J., Bd. 1ff. 1997ff.
Dekretale ist
die seit dem 4. Jh. n. Chr. (385 n. Chr. [lat.] Directa ad decessorem, Papst Siricius
an Bischof Himerius von Tarragona) sichtbare, vor allem in der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts mit rund 1100 erhaltenen Zeugnissen zahlenmäßig sehr
häufige Entscheidung des Papstes in einem einzelnen Fall sowie später der sie
verkündende feierliche Erlass. Sammlungen von Dekretalen sind beispielsweise
die Sammlung des Dionysius Exiguus, die pseudoisidorischen Fälschungen, die
(lat.) Collectio (F.) Wigorniensis (um 1173/1174, noch unsystematisch), der
(lat.) Appendix (M.) concilii Lateranensis III (England um 1183, bereits
systematisch nach Titeln geordnet und teilweise auch in einzelne Blöcke
zerlegt), die Collectio Britannica oder die zwischen 1187 und 1226 (bzw.
1188/1190 und 1226) entstandenen sog. compilationes antiquae (lat. [F.Pl.] alte
Sammlungen, später sog. compilatio prima [= Breviarum extravagantium, geteilt
in fünf Bücher iudex, iudicium, clerus, conubia, crimen h. h. Richter, Gericht,
Klerus, Ehe, Verbrechen] 1188-1191 bzw. um 1188/1190 Bernardus Balbi von Pavia
bzw. Bernardus Papiensis [vor allem Dekretalen Alexanders III.] in 5 Büchern,
compilatio secunda des Johannes Galensis 1210-1212 [Dekretalen zwischen 1191
und 1198], compilatio tertia 1209/1210 [Papst Innozenz III. durch] Petrus
Beneventanus bzw. Petrus Collivaccinus [erste authentische Sammlung, Dekretalen
Papst Innozenz’ III.], compilatio quarta 1216 Johannes Teutonicus (mit Texten
insbesondere des vierten Laterankonzils, von Papst Innozenz III.
zurückgewiesen), compilatio quinta 1226 [Papst Honorius III. 1216-1227 durch]
Tancred bzw. Tancredus Bononienis). Sie werden auf Grund eines von Papst Gregor
IX. (1227-1241) 1230 erteilten Auftrags von dem spanischen Kirchenrechtler →Raymundus
de Penyafort (1180-1275) zu einer neuen ergänzten Dekretalensammlung (mit
2139 Kapiteln zwischen 1140 und 1234) vereinigt, die am 5. 9. 1234 als (lat.)
Liber (M.) (decretalium) extra (Decretum Gratiani) veröffentlicht wird. Sie
gliedert sich in fünf Bücher (Richter, Gericht, Klerus, Ehe, Verbrechen). Sie
ersetzt alle älteren Sammlungen der Dekretalen. Eine zugehörige (lat.) glossa
(F.) ordinaria stammt von Bernardus Parmensis († 1266) bzw. →Johannes
Andreae († 1348). Die bedeutendste Summe ist die 1253 abgeschlossene, seit 1477
so bezeichnete (lat. [F.]) Summa aurea (goldene Summe), die wichtigste
Kommentierung die zwischen 1262 und 1265 entstandene (lat.) Lectura (F.),
Lesung, des Hostiensis (Heinrich von Segusia, Susa vor 1200-Lyon 1270). Zitiert
wird dieser Liber extra z. B. als X 1. 2. 13.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 102, 108; Feine,
H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Landau, P., Die Entstehung
der systematischen Dekretalensammlungen, ZRG KA 66 (1979), 120; Kuttner, S.,
Medieval Councils, Decretals and Collections, 1980; Landau, P., Kanones und
Dekretalen, 1997; Landau, P., Rechtsfortbildung im Dekretalenrecht, ZRG KA 117
(2000), 86; Jasper, D./Fuhrmann, H., Papal letters in the early middle ages,
2001; Zechiel-Eckes, K., Die erste Dekretale - Der Brief Papst Siricius’ an
Bischof Himerius von Tarragona vom Jahr 385 (JK 255), 2013
Dekretalist ist
der die →Dekretalen (1234 nach Erscheinen des Liber extra) bearbeitende
Kirchenrechtler (z. B. Johannes Andreae, Tancred, Innozenz IV., Hostiensis
[Summa aurea, goldene Summe], Durantis, Baldus, Zabarella, Nikolaus de
Tudeschis [Panormitanus]). Die Gesamtheit der Dekretalisten wie die Tätigkeiten
der Dekretalisten werden als Dekretalistik bezeichnet.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Kuttner, S., Gratian and the
Schools of Law, 1983
Dekretist ist
der das →Dekret Gratians bearbeitende Kirchenrechtler (z. B. Paucapalea,
Rufinus, Stephan von Tournai, Huguccio, Johannes Teutonicus).
Lit.: Kuttner, S., Gratian and the Schools of Law, 1983
delatura (lat. [F.], Anzeigelohn?) →dilatura
De laudibus legum Angliae (lat., Über die Vorzüge des englischen Rechtes) ist eine
1470 vom Richter Sir John →Fortescue verfasste Darstellung des →englischen
Rechtes im Vergleich zum festländischen Recht.
Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal History,
1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002
delegatio (lat. [F.]) Anweisung
Delegation ist
die Übertragung einer Aufgabe oder Zuständigkeit auf einen oder mehrere andere.
Sie ist bereits der römischen Kaiserzeit bekannt. Im Mittelalter erfolgt die D.
weltlicher oder geistlicher Gerichtsbarkeit seit dem 11./12. Jh. (lat.
iurisdictio [F.] delegata). Im Heiligen römischen Reich wird die D. wegen des
damit verbundenen Zuständigkeitsverlusts des Delegierenden seit der Errichtung
des Reichskammergerichts eingeschränkt, in der Kirche seit den Konzilen von
Konstanz (1414-1418), Basel (1431-1437) und Trient (1545-1563), in den
deutschen Ländern seit dem 18. Jh. Trotzdem ist die D. als Übertragung einer
Zuständigkeit eines staatlichen Organs auf ein anderes, das danach die
Zuständigkeit neben dem oder statt des Delegierenden ausübt, möglich. In
Österreich sind die Delegationen 1867 ein 120 Mitglieder umfassendes
Gesetzgebungsorgan für die pragmatischen Angelegenheiten der
österreichisch-ungarischen Monarchie, das rechtstatsächlich auf die Erstellung
des entsprechenden Haushaltsplans beschränkt ist.
Lit.: Kaempfe, W., Die Begriffe der Jurisdictio Ordinaria,
Quasiordinaria, Mandata und Delegata, 1876; Canstein, R.? v., Jurisdictio
delegata und mandata im justinianischen und kanonischen Rechte, ZRG 13 (1878),
491; Kümpel, J., Begriff und Abstufung der iurisdictio ordinaria und delegata,
1922; Triepel, H., Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, Neudruck
1995; Endemann, W., Der Begriff der delegatio, 1959; Müller, H., Päpstliche
Delegationsgerichtsbarkeit in der Normandie, 1997; Reichard, I., Delegation und
Novation im klassischen römischen Recht, 1998; Olechowski-Hrdlicka, K., Die
gemeinsamen Angelegenheiten der österreich-ungarischen Monarchie, 2001
De legibus et consuetudinibus regni Angliae (lat.) (Treatise on the Laws and Customs of England, Über
die Gesetze und Gewohnheiten des Königreichs England) ist eine kurze, in
lateinischer Sprache abgefasste Darstellung des englischen Rechtes (common law)
des 12. Jh.s (1187-1189?) auf der Grundlage der Rechtsprechung der königlichen
Gerichte (ausgenommen das siebente, Erbrecht behandelnde Buch). Als Verfasser
gilt Ranulf de →Glanvill. Ein
Einfluss des römischen Rechtes ist nur in terminologischer Hinsicht
zweifelsfrei.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Baker, J., An Introduction to
English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002
Delictum (lat.
[N.]) ist im römischen Recht die den Einzelnen, seine Familie oder sein
Vermögen verletzende Tat (zu lat. delinquere, V., zurücklassen ausgehen,
fehlen, sich vergehen, z. B. Diebstahl, Sachbeschädigung, Persönlichkeitsverletzung).
Voraussetzung ist Rechtswidrigkeit und regelmäßig Vorsatz. Rechtsfolge ist
anfangs die Vergeltung am Täter selbst (z. B. Tötung, Körperverletzung), später
die an die Stelle des Racherechts tretende Buße in Geld (lat. [F.] poena), die
entweder in einem bestimmten Metallwert oder in einem Vielfachen des Wertes des
betroffenen Gegenstands bestehen kann. Hinzukommen können sachverfolgende
Klagen. In der Spätantike wird im Westen seit dem 4. Jh. zwischen Verbrechen
und →Delikt begrifflich nicht mehr unterschieden und das Ziel des
nichtkriminellen Verfahrens mehr und mehr als Schadensersatz verstanden.
Justinian hält demgegenüber strenger am klassischen Gedankengut fest, setzt
aber je nach Nützlichkeit der Angelegenheit für den Handelnden für die
Ersatzpflicht meist einen der verschiedenen Grade von Schuld voraus.
Lit.: Kaser § 50; Köbler, DRG 26, 48, 65; Köbler, LAW;
Jentsch, H., Die Entwicklung von den Einzeltatbeständen des Deliktsrechts zur
Generalnorm, 1939; Caemmerer, E. v., Wandlungen des Deliktsrechts, FS zum
hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1964, 49
Delikt (Wort 1559, Lehnwort zu [lat., N.] delictum) ist die rechtswidrige schuldhafte Tat. Ihr folgt teils →Strafe,
teils Buße. Dabei wird mit der Aufnahme des römischen Rechtes auch die Figur
des (lat. [N.]) →delictum übernommen. Im Strafrecht ist D. die mit
öffentlicher Strafe bedrohte Handlung, im Privatrecht die unerlaubte, zu
Schadensersatz verpflichtende Handlung (§§ 823ff. BGB).
Lit.: Köbler, DRG 48, 65, 166, 264; Jentsch, H., Die
Entwicklung von den Einzeltatbeständen des Deliktsrechts zur Generalnorm, 1939;
Caemmerer, E. v., Wandlungen des Deliktsrechts, FS zum hundertjährigen Bestehen
des Deutschen Juristentages, 1964, 49; Kötz, H., Deliktsrecht, 1976, 9. A.
2001, 10. A. 2006; Bar, C. v., Gemeineuropäisches Deliktsrecht, 1996;
Zimmermann, R./Verse, D., Die Reaktion des Reichsgerichts auf die Kodifikation
des deutschen Deliktsrechts, (in) Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter,
2000, 319; Mohnhaupt-Wolf, U., Deliktsrecht und Rechtspolitik, 2004;
Immenhauser, M., Das Dogma von Vertrag und Delikt, 2006; Köbler, U., Werden,
Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; La faute et sa
punition dans les sociétés orientales, hg. v. Furand, J. u. a., 2012
Deliktsfähigkeit ist die Fähigkeit, für eine unerlaubte Handlung zur Verantwortung gezogen
werden zu können. Sie fehlt
schon im römischen Recht den Geisteskranken (lat., M.Pl., furiosi) und Kindern
(lat., M.Pl., infantes). Für das ältere deutsche Recht ist die tatsächliche
Handhabung im Einzelfall eher unklar. Mit der Rezeption wird die Mündigkeit (Vollendung
des 14. Lebensjahrs) maßgeblich für die D.
Demagoge
(M.) Volksführer, Volksverführer
Demagogenverfolgung ist die staatliche Verfolgung „revolutionärer Umtriebe und
demagogischer Verbindungen“ durch den →Deutschen Bund auf Grund der am
20. 9. 1819 vom Deutschen Bundestag einstimmig angenommenen →Karlsbader
Beschlüsse mit Hilfe einer in Mainz eingesetzten Zentraluntersuchungskommission.
Die D. besteht beispielsweise in der Aufhebung der Zensurfreiheit von
Universitätsprofessoren, in der Beseitigung von Rechtshindernissen für die
Entlassung von Geistlichen und in der Schaffung von Rechtsgrundlagen für die
Entfernung von Studenten von der Universität. In diesem Zusammenhang werden in
Preußen 1836 192 Studenten verurteilt, davon einige zur Todesstrafe. Bekannte
Verfolgte sind Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt, Joseph von Görres,
Karl Friedrich Eichhorn, Friedrich Schleiermacher oder E. T. A. Hoffmann.
Lit.: Toll, H., Akademische
Gerichtsbarkeit und akademische Freiheit, 1979; Willoweit, D., Deutsche
Verfassungsgeschichte, 5. A. 2005, § 30; Brümmer, M., Staat kontra Universität,
1991; Mann, C., Die Demagogen und das Volk, 2007
Demokratie (Lehnwort zu demokratia, griech., F., Volksherrschaft) ist die
erstmals in →Athen unter Kleisthenes (508 v. Chr.) in gewisser Weise
verwirklichte Herrschaft des Volkes in einem Gemeinwesen, die von Aristoteles
als Entartung der Herrschaftsform Politie (griech., F., politeia) angesehen
wird. Nach der Antike gewinnt die D. trotz Erwähnung bei Martin Luther (1539
für Schweiz und Dithmarschen), Samuel Pufendorf (1667 als Gegensatz zum
Reichstag) oder Johann Stephan Pütter (1787 für Reichsstädte) erst wieder seit
der französischen Revolution des Jahres 1789 tatsächliche Bedeutung. Dabei wird
teils auf die vollständige Gleichheit und Beteiligung aller an der Herrschaft
abgestellt, teils auf die Volkssouveränität, teils auf Gewaltenteilung, Grundrechte,
Rechtsstaatlichkeit und Repräsentativsystem. Im Einzelnen sind die Formen der
verwirklichten D. dementsprechend verschieden (z. B. 1919 im Deutschen Reich
eine mit plebiszitären Merkmalen angereicherte parlamentarische D. mit vom Volk
gewähltem Reichspräsidenten, 1949 Volksdemokratie der Deutschen Demokratischen
Republik).
Lit.: Köbler, DRG 256; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1
1972, 821; Blumer, J., Staats- und Rechtsgeschichte der schweizerischen
Demokratien, 1850ff.; Schmitt, C., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen
Parlamentarismus, 2. A. 1926; Kelsen, H., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2.
A. 1929; Schefold, D., Volkssouveränität und repräsentative Demokratie, 1966;
Boldt, W., Konstitutionelle Monarchie oder parlamentarische Demokratie, HZ 216
(1973), 553; Tormen, W., Zwischen Rätediktatur und sozialer Demokratie, 1951;
Schiffers, R., Elemente direkter Demokratie im Weimarer Regierungssystem, 1971;
Bleicken, J., Die athenische Demokratie, 1986, 4. A. 1995; Biographisches
Lexikon zur Geschichte der demokratischen und liberalen Bewegungen in
Mitteleuropa, hg. v. Reinalter, H. u. a., Bd. 1 1992; Kurz, A., Demokratische
Diktatur?, 1992; Lepsius, M., Demokratie in Deutschland, 1993; Die athenische
Demokratie, hg. v. Eder, W., 1995; Hansen, M., Die athenische Demokratie, 1995;
Demokratie in Rom?, hg. v. Jehne, M., 1995; Rudolph, K., Bibliographie zur
Geschichte der Demokratiebewegung, 1997; Kirchgässner, G. u. a., Die direkte
Demokratie, 1999; Backes, U., Liberalismus und Demokratie, 2000; Riethmüller,
J., Die Anfänge des demokratischen Denkens in Deutschland, 2001; Die Anfänge
des Liberalismus und der Demokratie in Deutschland und Österreich 1830-1848/49,
hg. v. Reinalter, H., 2002; Fisahn, A., Demokratie und
Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002; Lamprecht, O., Das Streben nach Demokratie,
Volkssouveränität und Menschenrechten in Deutschland am Ende des 18.
Jahrhunderts, 2002; Wegbereiter der Demokratie, hg. v. Asendorf, M., 2006;
Canfora, L., Eine kurze Geschichte der Demokratie, 2006; Raaflaub, K. u. a.,
Origins of Democracy, 2007; Verachtet, verfolgt, verdrängt - Deutsche
Demokraten, hg. v. Bockhofer, R., 2007; Nippel, H., Antike oder moderne
Freiheit?, 2008; Robinson, E., Democracy beyond Athens, 2011Nolte, P., Was ist
Demokratie?, 2012; Braunschweig, C., Die demokratische Krankheit, 2012;
Gesichter der Demokratie, hg. v. Hein, B., 2012; Postnationale Demokratie,
Postdemokratie, Neoetatismus, hg. v. Heinig, H. u. a., 2013; Kämper, H.,
Wörterbuch zum Demokratiediskurs 1967/68, 2013; Postnationale Demokratie,
Postdemokratie, Neoetatismus, hg. v. Heinig, H. u. a., 2013
Demolombe,
Jean Charles Florent (1804-1887) verfasst als Zivilrechtslehrer in Caen einen
31bändigen, unvollendeten Kommentar (Cours) zum →Code civil (1845ff.).
Lit.: Jouen, L., Demolombe et ses
œuvres, 1888
Demonstration (F.) Aufzeigung, Protestzug
Lit.: Dostal, C., 1968 –
Demonstranten vor Gericht, 2006
Demoskopie (F.) Volksbefragung, Meinungsforschung
Lit.: Kruke, A., Demoskopie in der
Bundesrepublik Deutschland, 2007
Denarius (lat. (M.) Zehner, zehn As) ist eine
römische, im Mittelalter sprachlich weitergeführte Münze.
Lit.: Luschin von Ebengreuth, A.,
Der Denar der Lex Salica, 1910; Reverchon, A., Metzer Denare, 2006
denegatio actionis (lat.) Verneinung des Klaganspruchs
Denkmalsrecht ist die Gesamtheit der die überlieferten Zeugnisse eines Vorgangs oder
einer Erscheinung betreffenden Rechtssätze. Vorformen des modernen
Denkmalrechts gibt es vereinzelt bereits im Altertum und im Mittelalter. Die
eigentliche Denkmalpflege beginnt wohl erst mit der Einsetzung Raffaels
(1483-1520) als Leiter der Ausgrabungen Roms durch Papst Leo X. (1513-1521)
1516 und umfassende gesetzliche Regelungen gehören erst der jüngeren Neuzeit
an.
Lit.: Hammer, F., Die geschichtliche Entwicklung des
Denkmalrechts in Deutschland, 1995; Wolf Di Cecca, C., Belege für
denkmalpflegeriche Gesetze und Maßnahmen in Antike und Mittelalter, ZRG GA 112
(1995), 440; Denkmalpflege, hg. v. Huse, N., 1996; Speitkamp, W., Die Verwaltung
der Geschichte, 1996; Mieth, S., Die Entwicklung des Denkmalrechts in Preußen,
2005
Denuntiatio (F.) evangelica (lat.) ist die lateinische Bezeichnung des auf Matthäus
18,15-17 zurückgehenden kirchlichen Anzeigeverfahrens über ein Fehlverhalten. Dieses
setzt seit Innozenz III. (1160/1161-1216, 1199/1209) ein Verhalten gegen die
Interessen der Kirche voraus, das der Vorgesetzte nach vergeblichen Ermahnungen
anzeigen darf, wobei der Anzeigende weder nachweisen noch Kosten tragen muss.
Die Auferlegung einer Buße erfolgt in einem freien Verfahren. Gegen Ende des
17. Jh.s verliert die d. e. als besonderes Verfahren ihre Bedeutung wieder.
Lit.: Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A.
1972, 439; Sauerland, K., 30 (Dreißig) Silberlinge, 2000
Denunziation ist allgemein die Mitteilung oder Anzeige.
Ausgehend von der (lat.) →denuntiatio (F.)
evangelica wird im gemeinen Strafrecht (Clarus, Practica criminalis, 1578)
darunter die Strafanzeige mit dem Ziel der Wahrheitsermittlung verstanden,
wobei Vorteile und Gefahren der D. durchaus gesehen und erörtert werden. Seit
der zweiten Hälfte des 18. Jh.s, verstärkt in der ersten Hälfte des 19. Jh.s,
entwickelt sich unter dem Einfluss der Aufklärung und des Liberalismus die
Bedeutung der böswilligen, hinterlistigen und verräterischen Anzeige an die
Polizei.
Lit.: Denunziation, hg. v.
Jerouschek, G. u. a., 1997; Sauerland, K., 30 Silberlinge, 2000; Koch, A.,
Denunciatio, 2006; Nolte, J., Demagogen und Denunzianten, 2007; Böske, S.,
Denunziationen in der Zeit des Nationalsozialismus, Diss. jur. Bielefeld 2008;
Hornung, E., Denunziation als soziale Praxis, 2010; Sauerland, K., Dreißig Silberlinge - Das Phänomen
Denunziation, 2012
Depositio (lat.
[F.]) ist die →Hinterlegung an einer bestimmten öffentlichen Stelle, die
bereits im klassischen römischen Recht bei Gläubigerverzug dem Schuldner
bestimmte Erleichterungen verschafft.
Lit.: Kaser § 53 I; Coing, H., Europäisches Privatrecht,
Bd. 1f. 1985ff.
Depositum (lat.
[N.] Verwahrung) ist im römischen Recht die →Hinterlegung einer
beweglichen Sache, die der Verwahrer zurückzugeben hat, sobald es der
Hinterleger verlangt. Gibt der Verwahrer nicht zurück, so hat nach dem
Zwölftafelgesetz der Hinterleger eine Klage wegen Unterschlagung auf das
Doppelte. Später entwickelt sich hieraus eine Klage aus Vertrag auf
grundsätzlich nur den einfachen Wert. Depositum irregulare (unregelmäßige Verwahrung)
ist die Verwahrung, bei welcher der Verwahrer das verwahrte Geld gebrauchen
darf, aber zur Rückzahlung desselben Betrags und gegebenenfalls vereinbarter
Zinsen verpflichtet ist.
Lit.: Kaser § 39 III; Söllner § 9; Kroeschell, DRG 2;
Köbler, DRG 45
Depot (N.)
(Verwahrung, Verwahrungsort)
Depotgesetz ist
das für Deutschland 1896 geschaffene Gesetz über die Verwahrung von
Wertpapieren.
Lit.: Buxbaum,
C., Anlegerschutz zwischen Bankbedingungen und Rechtsnormen, 2002
Deputat (N.)
Zugeschriebenes, Arbeitsentgelt in Sachleistung
Derby (ae.
Northworthige) am Derwent geht auf das römische Lager Derventio zurück. 1204
erlangt es Stadtrecht. 1841 wird es Sitz einer Universität.
Lit.: Wright, S., The Derbyshire Gentry,
1983
Der Ältere teilt, der Jüngere wählt ist ein bereits
bei Seneca (1-65 n. Chr.), Controv. 6, 3 ([lat.] maior frater dividat
patrimonium, minor eligat, der größere Bruder soll das Vatergut teilen, der
kleinere aus den Teilen auswählen), Augustinus (354-430), De civitate Dei cap.
20 ([lat.] quando terrenorum aliquid partiendum est, maior dividat, minor
eligat, wenn etwas Irdisches zu teilen ist, soll der Größere bzw. Ältere teilen
und der Kleinere bzw. Jüngere wählen) und im Sachsenspiegel Eike von Repgows
(1221-1224, Wo zwei zur Erbschaft kommen, soll der Ältere teilen und der
Jüngere wählen) belegter Satz. Hinter ihm steht die Einsicht, dass der Teilende
nur dann so gut wie möglich teilen wird, wenn er befürchten muss, dass eine
ungleiche Teilung durch das Wahlrecht des anderen sich gegen ihn wenden kann.
Dementsprechend wird nur ein hinterhältiger, skrupelloser Betrüger (z. B. ein
E. in einem Lügenreich) als Jüngerer z. B. eine Zahl von Prüflingen absichtlich
(z. B. nach den Anfangsbuchstaben der ungleich auf das Alphabet verteilten Familiennamen
der Prüflinge) ungleich teilen, wahrheitswidrig die Gleichheit der offensichtlich
grob ungleichen Teile behaupten und sich selbst den größeren Teil nehmen.
Lit.: Voltelini, H. v., Der Ältere
teilt, der Jüngere wählt, ZRG GA 36 (1915), 478
Der Hehler ist nicht besser als der Stehler.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 170 (Graf/Dietherr 1864)
Der König ist gemeiner Richter überall.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 211 (Sachsenspiegel, 1221-1224, Landrecht III 26 §
1)
Der rechte Weg
Lit.:
Der rechte Weg. Ein Breslauer Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts, hg. v. Ebel, F.,
2000
Der Schlüssel des sächsischen Landrechts ist eine (in 17 Handschriften und Fragmenten
überlieferte), 1421 vorliegende Gesamtverarbeitung des in Sachsenspiegel,
Sachsenspiegelglosse und Schwabenspiegel enthaltenen Rechtsstoffs in
alphabetischer Reihenfolge durch einen unbekannten Verfasser.
Lit.:
Sinauer, E., Der Schlüssel des sächsischen Landrechts, 1928
Derelictio (lat.
[F.]) ist im römischen Recht die Aufgabe von →Eigentum und →Besitz
durch einen bisherigen Eigentümer ohne Zuwendung an einen neuen Eigentümer. Das
Eigentum erlischt nach den Sabinianern mit der Preisgabe, nach den Prokulianern
mit der Aneignung durch einen anderen. Nachfolgender ursprünglicher Erwerb
von Eigentum und Besitz durch jedermann sind grundsätzlich rechtmäßig.
Lit.: Kaser § 26; Meyer-Collings, J., Derelictio, 1932;
Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985; Hoyer, H., Die Dereliktion
von Liegenschaften , FS Wilhelm Brauneder, 2008, 181
Dereliktion (1774) ist die bewusste und gewollte Aufgabe des Eigentums
und Besitzes einer Person an seiner Sache (ohne abgestimmten Erwerb des
Eigentums und Besitzes durch einen anderen.)
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Derivat (N.) Abgeleitetes
Lit..
Derivate und Finanzstabilität - Erfahreungen aus 4 Jahrhunderten, hg. v.
Institut für bankhistorische Forschung e. V: , 2013
derivativ (abgeleitet)
derivativer Erwerb,
abgeleiteter →Eigentumserwerb (im römischen Recht z. B. durch mancipatio,
in iure cessio oder traditito, in der Gegenwart durch Übereignung)
Dernburg,
Heinrich (Mainz 3. 3. 1829-Berlin 23. 11. 1907), Sohn eines jüdischen, 1841
getauften Gießener Rechtsprofessors, wird nach dem Studium in Gießen und der
Habilitation in Heidelberg (1852, Vangerow) Professor in Zürich, Halle (1862)
und Berlin (1872) und Mitglied des Herrenhauses Preußens. 1871 veröffentlicht
er ein dreibändiges Lehrbuch des preußischen Privatrechts, 1884 ein dreibändiges
Lehrbuch des Pandektenrechts und 1898 ein dreibändiges Lehrbuch des
bürgerlichen Rechtes des Deutschen Reiches und Preußens.
Lit.: Süss, W., Heinrich Dernburg, 1991; Deutsche Juristen
jüdischer Herkunft, hg. v. Heinrichs, H. u. a., 1993, 231
Descartes (Cartesius),
René (La Haye 31. 3. 1596–Stockholm 11. 2. 1650), wird nach dem Besuch der
Jesuitenschule La Flèche Mathematiker und Philosoph, mit dessen (lat.) Meditationes
(Betrachtungen) eine neue Epoche der Philosophie beginnt. Als einzige
Gewissheit gilt ihm die Selbstgewissheit im Denken (lat. cogito, ergo sum, ich
denke, also bin ich). Hieraus entwickelt er durch vernunftbezogene Ableitung
(deduktiv) das systematische Gedankengebäude des Rationalismus, der die
Aufklärung fördert.
Lit.: Röd, W., Die Genese des Cartesianischen
Rationalismus, 3. A. 1995; Schütt, H., Die Adoption des Vaters der modernen
Philosophie, 1998; Descartes im Diskurs der Neuzeit, hg. v. Niebel, W. u. a.,
1999; Schultz, U., Descartes, 2001; Descartes und Deutschland, hg. v. Ferrari,
J. u. a., 2009; Herrmann, F., Descartes’ Meditationen, 2011; Kellerer, S.,
Zerrissene Moderne, 2012
Desertion (F.)
Fahnenflucht (zwischen 1939 und 1945 in der deutschen Wehrmacht etwa 30000
Todesurteile wegen D., Wehrkraftzersetzung u. s. w., davon rund 20000
vollstreckt)
Lit.:
Fritsche, M., Entziehungen, 2004; Salisch, M. v., Treue Deserteure, 2008; Wolff,
C., Deserteurs et transfuges dans l’armée romaine, 2009; Deserteure,
Wehrkraftzersetzer und ihre Richter, hg. v. Kirschner, A., 2010
Designation (Bezeichnung) ist die (während einer Amtszeit erfolgende) Berufung eines
Menschen in ein Amt oder eine Herrschaft (als Nachfolger). Sie kann dort
stattfinden, wo Erblichkeit nicht gilt oder grundsätzlich mehrere Erben
nebeneinander berechtigt sind. Bedeutung erlangt die D. in der Form der
Einigung des Königs mit den Großen insbesondere für das Königtum im
fränkisch-deutschen Reich zwischen dem 9. und 13. Jh. (z. B. Bestimmung Ludwigs
des Frommen zum Mitkaiser Karls des Großen 813, Bestimmung Lothars I. zum Mitkaiser
Ludwigs des Frommen 817).
Lit.: Heinze, O., Designation, Diss. phil. Göttingen 1913;
Mitteis, H., Die deutsche Königswahl, 1938, 2. unv. A. 1944, Neudruck 1965,
1981, 36; Schreyer, B., Zum Begriff der Designation bei Widukind, ZRG GA 67
(1950), 407; Wolf, G., Designation und designare bei Widukind von Corvey, ZRG
GA 73 (1956), 372; Wolf, G., Über die Wort- und Rechtsbedeutung von
„designare“, ZRG GA 75 (1958), 367; Giese, W., Zu den Designationen, ZRG GA 92
(1975), 174; Giese, W., Designative Nachfolgeregelungen in germanischen Reichen
der Völkerwanderungszeit, ZRG GA 117 (2000), 39; Giese, W., Untersuchungen zur
Herrschaftsnachfolge in langobardischen Herzogtümern und Fürstentümern, ZRG GA
119 (2002), 44; Giese, W., Die designativen Nachfolgeregelungen der Karolinger,
DA 64 (2008), 437
Deszendent (M.) Abkömmling, Verwandter in absteigender Linie wie z. B. Tochter, Enkel, Urenkelin, Gegensatz
Aszendent
detentio (lat.
[F.]) →Innehabung
detentor (lat.
[M.]) Inhaber, →Innehabung
Deutsch ist
ein zu ahd. diot, F., Volk (bzw. vielleicht schon in der Völkerwanderungszeit
zu germ. *theuda, F., Volk, idg. *teuto, F., Volk) gebildetes Adjektiv
(diotisk), das zunächst in seinen ältesten Belegen (8. Jh.) den sprachlichen
Gegensatz der Volkssprache zum Lateinischen zum Ausdruck zu bringen scheint und
erst gegen Ende des Frühmittelalters auf ein neues, aus Alemannen, Bayern,
Franken, Sachsen, Thüringern und Friesen entstandenes, einheitliches Volk
bezogen wird. Die deutsche Sprache gliedert sich in hochdeutsch im (hohen) Süden
und niederdeutsch im (niederen) Norden und in die zeitlichen Abschnitte
Altdeutsch (Althochdeutsch 500-1065, daneben Altsächsisch, Altniederfränkisch),
Mitteldeutsch (Mittelhochdeutsch 1065-1500, Mittelniederdeutsch) und Neudeutsch
(Neuhochdeutsch ab 1500 bzw. 1350, Neuniederdeutsch als Schriftsprache nicht
mehr wirklich entwickelt). Seit dem 18. Jahrhundert löst es in seinem Bereich
Latein als Wissenschaftssprache ab. Nach dem ersten Weltkrieg (1918) wird D.
als internationale Wissenschaftssprache auf Betreiben der alliierten
Siegermächte boykottiert, nach dem zweiten Weltkrieg verliert es sein
bisheriges Gebiet nahezu vollständig an das Angloamerikanische. Die aus
anderen Sprachen in das Deutsche aufgenommenen Wörter (Fremdwörter, Lehnwörter)
verzeichnet das 1913 von Hans Schulz begonnene, später von Otto Basler
fortgeführte, 1988 abgeschlossene und seit 1990 für die Buchstaben von A bis O
neu in Bearbeitung genommene, bis 2010 bis hysterisch vorangekommene Deutsche
Fremdwörterbuch (http://www.ids-mannheim.de/Lexik/fremdwort/). Ein den
Wortschatz des Deutschen der Gegenwart korpusgestützt dokumentierendes Online-Informationssystem
(Wörterbuch) ist elexiko (http://www.ids-mannheim.de/lexik/elexiko).
Lit.: Köbler, DRG 76; Köbler, WAS; Schmidt, E., Geschichte
des Deutschtums im Lande Posen unter polnischer Herrschaft, 1904; Kaindl, R.,
Geschichte der Deutschen in Galizien bis 1772, 1907; Aubin, H., Von Raum und
Grenzen des deutschen Volkes, 1938; Deutsch als Wissenschaftssprache, hg. v.
Kalverkämper, H. u. a., 1986; Thomas, H., Der Ursprung des Wortes theodiscus,
HZ 247 (1988), 295; Ammon, U., Die internationale Stellung der deutschen
Sprache, 1991; Jarnut, J., Teotischiis homines (a. 816), MIÖG 104 (1996), 26;
Jacobs, H., Theodisk im Frankenreich, 1998; Goblirsch, K., Lautverschiebungen
in den germanischen Sprachen, 2005; Schmidt, W., Geschichte der deutschen
Sprache, 10. A. 2006; Reinbothe, R., Deutsch als internationale Wissenschaftssprache,
2006; Schneider, R., Die Anfänge der deutschen Geschichte, ZRG GA 124 (2007), 1;
Casemir, K. u. a., Deutsch, 2013; Vogel, R., Einführung in die Morphologie des
Deutschen, 2013; Hill, E., Einführung in die historische Sprachwissenschaft des
Deutschen, 2013
Deutschböhmen s. Böhmen
Deutsche Arbeitsfront (DAF) der Unternehmer und Lohnabhängigen ist die 1933 die
Gewerkschaft ersetzende nationalsozialistische Einrichtung des Arbeitswesens,
die 1936 rund 20 000 000 (freiwillige) Mitglieder hat.
Lit.: Köbler, DRG 242
Deutsche Bank ist
die führende Aktiengesellschaft des Bankwesens in Deutschland.
Lit.: Gall, L. u. a., Die Deutsche Bank 1870-1995, 1995;
James, H., Die Deutsche Bank und die Arisierung, 2001; James, H., Die Deutsche
Bank im Dritten Reich, 2003; Bakrai, A., Oscar Wassermann und die Deutsche
Bank, 2005
Deutsche Bundesakte
(8. 6. 1815) ist die auf völkerrechtlicher Vereinbarung beruhende Grundlage (Verfassung)
des →Deutschen Bundes, deren Grundrechte aber nur die Staaten und ihre
Regierungen zur Beachtung verpflichten.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/DeutscheBundesakte1815.htm
Deutsche Demokratische Republik (DDR) ist der am 7. 10. 1949 durch Beschluss des Volkskongresses
aus der sowjetisch besetzten Ostzone des Deutschen Reiches als Volksrepublik
nach sowjetischem Muster entstandene, von der Sowjetunion gegen einen
Volksaufstand vom 17. 6. 1953 gewaltsam gesicherte, mit der Deklaration der
Regierung der Sowjetunion vom 25. 3. 1954 formell aus dem Besatzungsstatus in
die Souveränität entlassene, vertraglich und tatsächlich aber an die
Sowjetunion gebundene, nach dem Mauerbau seit 13. 8. 1961 künstlich abgeschlossene,
mit einer reinen Binnenwährung wirtschaftende und dadurch vom Weltmarkt
abgeschottete, aber wegen der Einfuhr wettbewerbsfähiger westlicher
Industrieanlagen 1981/1982 mit rund 23 Milliarden D-Mark (1985 15,5 Milliarden)
im Westen verschuldete, nach Protesten des Volkes durch Öffnung der Mauer am 9.
11. 1989 wieder frei zugängliche, (nach Einigungsvertrag vom 31. 8. 1990) zum
3. 10. 1990 durch Beitritt in der Bundesrepublik Deutschland aufgegangene
deutsche Staat. Die DDR ist von der 1946 aus Kommunistischer Partei und
Sozialdemokratischer Partei hervorgegangenen Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands (SED) beherrscht (24. 1. 1950 Beschluss zur Gründung eines eigenen
Kabinettsressorts für Staatssicherheit, 1989 91000 Mitarbeiter, 173000 informelle
Mitarbeiter, 110000 politische Häftlinge). Die Wirtschaft ist (anfangs noch
nicht vollständig) zentralistische Planwirtschaft (1970 noch 15 Prozent
mittlere und kleinere Privatunternehmen, 1972 noch 11400 zumindest teilweise
private Betriebe), die Gesellschaft egalitär und die Geisteshaltung
materialistisch ausgerichtet. Die äußerlich konservative, an die →Weimarer
Reichsverfassung von 1919 angelehnte, gesamtdeutsch geplante, aber weder
Gewaltenteilung (stattdessen Gewalteneinheit) noch Opposition (stattdessen
Blocksystem der Parteien) kennende, einen Einparteienstaat ohne freie Wahlen bewirkende
Verfassung vom 7. 10. 1949 wird durch eine zweite, die sozialistischen
Errungenschaften absichernde, am 7. 10. 1974 die Vorstellung einer deutschen
Nation preisgebende Verfassung abgelöst. Wichtigste Staatsorgane sind (seit
1960) Staatsrat (9 Mitglieder), Ministerrat (7 Mitglieder), Volkskammer (sowie
Sekretariat des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
und Politbüro des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands mit den zusätzlichen Einrichtungen Nationaler Verteidigungsrat,
Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, Gesellschaft für deutsch-sowjetische
Freundschaft und Präsidium des Nationalrats der Nationalen Front). Die
Verwaltung kennt weder Föderalismus noch kommunale Selbstverwaltung noch
Berufsbeamtentum. Die in das Oberste Gericht, Bezirksgerichte und Kreisgerichte
gegliederte Gerichtsbarkeit entbehrt einer Verfassungsgerichtsbarkeit und
einer Verwaltungsgerichtsbarkeit, ist aber von besonderen gesellschaftlichen
Gerichten ergänzt. In den ersten zehn Jahren des Bestands des Staates fliehen
2,7 Millionen Einwohner in den Westen. Zwischen 1963 und 1989 werden 31755
Menschen für rund 2,5 Milliarden Deutsche Mark von der Bundesrepublik
Deutschland freigekauft. Das Reichsstrafgesetzbuch des Jahres 1871 wird von
einem eigenen Strafgesetzbuch (12. 1. 1968) abgelöst, das bis 1987 an der 1981
letzmals vollstreckten Todesstrafe festhält. Das Bürgerliche Gesetzbuch,
dessen Bedeutung durch die Aussonderung des Vertragsrechts und des
Wirtschaftsrechts verringert wird, wird zum 1. 1. 1976 durch ein vereinfachendes,
nur 480 Paragraphen umfassendes Zivilgesetzbuch (19. 6. 1975, ohne allgemeinen
Teil und ohne Abstraktionsprinzip) ersetzt, in dem Vertrag, Eigentum und
Erbrecht von geringer Bedeutung sind (Versorgungsrecht für die Bürger). Das
Familienrecht ist durch ein Familiengesetzbuch vom 20. 12. 1965 geordnet, das
Arbeitsrecht durch ein Arbeitsgesetzbuch (12. 4. 1961). Für den Zivilprozess
wird 1975 eine neue Zivilprozessordnung geschaffen (Amtsermittlungsgrundsatz).
Aus rechtsstaatlicher Sichtweise wird die D. insgesamt sehr kritisch, wenn
auch günstiger als die nationalsozialistisch beherrschte Zeit zwischen 1933
und 1945 beurteilt.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG
245, 250, 261ff., 271ff.; Martin, M., Zivilrecht der DDR Sachenrecht, 1956;
Wiedemann, H., Das sozialistische Eigentum in Mitteldeutschland, 1964;
Geschichte der Rechtspflege der DDR, hg. v. Benjamin, H., Bd. 1f. 1968ff.;
Markovits, I., Sozialismus und bürgerliches Zivilrechtsdenken, 1969; Reiland,
W., Die gesellschaftlichen Gerichte der DDR, 1971; Suermann, W.,
Verwaltungsrechtsschutz in der DDR, Diss. jur. Göttingen 1971; Ortslexikon der
Deutschen Demokratischen Republik, 2. A. 1974; Brunner, G., Einführung in das Recht
der DDR, 1975, 2. A. 1979; Bundesrepublik Deutschland - Deutsche Demokratische
Republik, hg. v. Hamel, H., 1977; Schuller, W., Geschichte und Struktur des
politischen Strafrechts in der DDR bis 1968, 1980; BRD und DDR. Die beiden
deutschen Staaten im Vergleich, hg. v. Jesse, E., 1981; Staats- und
Rechtsgeschichte der DDR, hg. v. d. Humboldt-Universität, 1983; Schroeder, F.,
Das Strafrecht des realen Sozialismus, 1983; Staritz, D., Die Gründung der DDR,
1985; Autorenkollektiv Wirtschaftsrecht, 1986; Autorenkollektiv Strafrecht der
DDR, 1988; Wolle, S., Die heile Welt der Diktatur, 1988, 3. A. 2009; Weber, H.,
Die DDR 1945-1990, 3. A. 2000, 5. A. 2012; Das Oberste Gericht der DDR -
Rechtsprechung im Dienste des Volkes, 1989; Fricke, K., Politik und Justiz in
der DDR, 2. A. 1990; Haase, H., Das Wirtschaftssystem der DDR, 1990; Sommer,
H., Gesellschaftsformen der DDR, NJW 1990, 676ff.; Rechtsgeschichte in den
beiden deutschen Staaten, hg. v. Mohnhaupt, H., 1991; Fricke, K., MfS intern,
1991; Brunner, G., Was bleibt übrig vom DDR-Recht nach der Wiedervereinigung?,
JuS 1991, 353; Weber, H., DDR, 1991; Markovits, I., Die Abwicklung, 1992; Wer
war wer in der DDR?, hg. v. Müller-Enbergs, H. u. a., 1992, 2. A. 1995, 3. A.
2000, 4. A. 2006 (3213 Biogramme), 5. A. 2010 (4000 Biogramme); Eisert, W., Die
Waldheimer Prozesse, 1993; Steuerung der Justiz in der DDR, hg. v.
Rottleuthner, H., 1994; Hagemann, F., Der Untersuchungsausschuss freiheitlicher
Juristen 1949-1969, 1994; Entnazifizierungspolitik der KPD/SED 1945-1948, hg.
v. Rösler, R., 1994; Eine Diktatur vor Gericht, hg. v. Weber, J. u. a., 1995;
Das Zivilgesetzbuch der DDR vom 19. Juni 1975, hg. v. Eckert, J. u. a., 1995;
Werkentin, F., Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, 1995; Die
Rechtsordnung der DDR, hg. v. Heuer, U., 1995; Beckert, R., Die erste und
letzte Instanz, 1995; Mielke, H., Die Auflösung der Länder in der SBZ/DDR,
1995; Lindner, N., Der Übergang des Rechts der Wirtschaft von der Plan- zur
Marktwirtschaft in Ostdeutschland, 1996; Die Vertriebenen in der SBZ/DDR, hg.
v. Wille, M., Bd. 1ff. 1996ff.; Rechtswissenschaft in der DDR 1949-1971, hg. v.
Dreier, R. u. a., 1996; Amos, H., Justizverwaltung in der SBZ/DDR, 1996;
Hauschild, I., Von der Sowjetzone zur DDR, 1996; Mampel, Die sozialistische
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des Sozialrechts in der DDR, 1996; Lexikon des DDR-Sozialismus, hg. v.
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1997; Immisch, L., Der sozialistische Richter in der DDR, 1997; Heitmann, S.,
Die Revolution in der Spur des Rechts, 1997; Kaiser, M., Machtwechsel von
Ulbricht zu Honecker, 1997; Harendel, H., Gesellschaftliche Gerichtsbarkeit,
1997; Trute, H., Die Überleitung des Personals, 1997; Walter, M., Die Freie
Deutsche Jugend, 1997; Kraut, G., Rechtsbeugung?, 1997; Kluge, U. u. a.,
Willfährige Propagandisten, 1997; Schwan, H., Erich Mielke, 1997; Volksrichter
in der SBZ/DDR 1945-1952, hg. v. Wentker, H., 1997; Mählert, U. Kleine
Geschichte der DDR, 1998; Offenberg, U., Seid vorsichtig gegen die Machthaber,
1998; 50 Jahre DDR, hg. v. Handloik, V./Hauswald, H., 1998; Schroeder, K., Der SED-Staat,
1998, 2. A. 2013; Recht und Rechtswissenschaft im mitteldeutschen Raum, hg. v.
Lück, H., 1998; Lorenz, T., Die Rechtsanwaltschaft in der DDR, 1998; Die
Strafrechtsjustiz der DDR, hg. v. Drobnig, U., 1998; Hoffmann, H., Die Betriebe
mit staatlicher Beteiligung, 1998; Laufs, A., Recht und Unrecht in der DDR,
1998; Lorenz, T., Die Rechtsanwaltschaft in der DDR, 1998; Grote, M., Die
DDR-Justiz vor Gericht, Diss. jur. Hannover 1998; Harder, G., Das verliehene
Nutzungsrecht, 1998; 50 ;Schäfer, B., Staat und katholische Kirche in der DDR,
1998, 2. A. 1999; Werkentin, F., Recht und Justiz im SED-Staat, 1998, 2. A.
2000; Jahre DDR, hg. v. Drommer, G., 1999; Maier, C., Das Verschwinden der DDR
und der Untergang des Kommunismus, 1999; Zum Stand der Deutschen Einheit: Recht
und innere Sicherheit, NJW 1999, 1450; Widerstand und Opposition in der DDR,
hg. v. Henke, K., 1999; Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der
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H./Möller, J., Die rechtsstaatliche Bewältigung von Regime-Unrecht, NJW 1999,
3289; Wagner, H., Hilde Benjamin und die Stalinisierung der DDR-Justiz, 1999;
Zivilrechtskultur der DDR, hg. v. Schröder, R., 1999ff.; Foitzik, J.,
Sowjetische Militäradministration in Deutschland, 1999; Kloth, H., Vom
Zettelfalten zum freien Wählen, 2000; Raschka, J., Justizpolitik im SED-Staat,
2000; Grün, B., Vom Teilungsunrecht zum Wiedervereinigungsrecht, 2000;
Rössler, R., Justizpolitik in der SBZ/DDR, 2000 (nicht erschienen); Lexikon
Opposition und Widerstand in der SED-Diktatur, hg. v. Veen, H., 2000;
Strafjustiz und DDR-Unrecht. Dokumentation, hg. v. Marxen, K. u. a., Band 1ff.
Wahlfälschung u. a., 2000ff.; Schroeder, F., Zehn Jahre strafrechtliche
Aufarbeitung des DDR-Unrechts, NJW 2000, 3017; Rummler, T., Die Gewalttaten an
der deutsch-deutschen Grenze, 2000; Fahnenschmidt, W., DDR-Funktionäre vor
Gericht, 2000; Thiemrodt, I., Strafjustiz und DDR-Spionage, 2000; Hohoff, U.,
An den Grenzen des Rechtsbeugungstatbestands, 2000; Mierau, J., Die
juristischen Abschluss- und Diplomprüfungen in der SBZ/DDR, 2000; Die DDR –
Recht und Justiz als politisches Instrument, hg. v. Timmermann, H., 2000; Die
DDR und der Westen, hg. v. Pfeil, U., 2001; Mollnau, M., Die Bodenrechtsentwicklung
in der SBZ/DDR, 2001; Gieseke, J., Mielke-Konzern, 2001; Eine Revolution und
ihre Folgen, hg. v. Jesse, E., 2001; Raschka, J., Zwischen Überwachung und
Repression, 2001; Wulf, M., Erich Honecker, 2001; Rüthers, B., Geschönte
Geschichten, 2001; Wentker, H., Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953, 2001; Zehn
Jahre deutsche Rechtseinheit, hg. v. Koch, E., 2001; Steininger, R., Der
Mauerbau, 2001, 2. A. 2001. 3. A. 2001, 4. A. (Berlinkrise und Mauerbau) 2009;
Schönfeldt, H., Vom Schiedsmann zur Schiedskommission, 2002; Ihme-Tuchel, B.,
Die DDR, 2002, 3. unv. A. 2010; Holzweißig, G., Die schärfste Waffe der Partei
– Eine Mediengeschichte der DDR, 2002; Armee ohne Zukunft, hg. v. Ehlert, H.,
2002, Mahlmann, C., Die Strafrechtswissenschaft der DDR, 2002; Heuer, U., Im
Streit, 2002; Blümmel, R., Der Opferaspekt bei der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung,
2002; Soziale Ungleichheit in der DDR, hg. v. Mertens, L., 2002; Howe, M.,
Karl Polak, 2002; Horstmann, T., Logik der Willkür. Die zentrale Kommission für
staatliche Kontrolle, 2002; Strafjustiz und DDR-Unrecht, Bd. 2 Gewalttaten an
der deutsch-deutschen Grenze, hg. v. Marxen, K. u. a., 2002; Was war die Stasi?, hg. v. Dümmel, K. u. a., 2002, 3.
A. 2009, 4. A. 2012; Knabe, H., 17. Juni 1953, 2003; Staat und Kirchen in der
DDR, hg. v. Dähn, H. u. a., 2003; Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung,
hg. v. Eppelmann, R. u. a., 2003; Lindenberger, T., Volkspolizei, 2003; Alltag
in der DDR, 2003; Hoeck, J., Verwaltung, Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsschutz
in der Deutschen Demokratischen Republik, 2003; Bauer, T., Blockpartei und
Agrarrevolution von oben. Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands
1948-1963, 2003; Leupolt, S., Die rechtliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts,
2003; Lindenberger, T., Volkspolizei, 2003; Baron, U., Kalter Krieg und heißer
Frieden, 2003; Heydemann, G., Die Innenpolitik der DDR, 2003; Scholtysek, J.,
Die Außenpolitik der DDR, 2003; Glees, A., The Stasi Files, 2003; Kowalczuk,
I., Geist im Dienst der Macht, 2003; Rechtsprobleme der Restrukturierung landwirtschaftlicher
Unternehmen in den neuen Bundesländern nach 1989, hg. v. Bayer, W., 2003;
Ebbinghaus, F., Ausnutzung und Verdrängung, 2003; Mollnau, K., Recht und
Juristen im Spiegel der Beschlüsse des Politbüros und Sekretariats der SED,
2003; Reichhelm, N., Die marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie
Karl Polaks, 2003; Schneider, U., Hausväteridylle oder sozialistische Utopie?,
2004; Grafe, R., Deutsche Gerechtigkeit, 2004; Grütz, R., Katholizismus in der
DDR-Gesellschaft 1960-1990, 2004; Peterson, E., The Limits of Secret Police
Power, 2004; Digutsch, G., Das Ende der nationalen Volksarmee, 2004;
Baumgarten, K./Freitag, P., Die Grenzen der DDR, 2004; Osterburg, D., Das
Notariat in der DDR, 2004; Korzilius, S., Asoziale und Parasiten im Recht der
SBZ/DDR, 2005; Thiemrodt, P., Die Entstehung des Staatshaftungsgesetzes der
DDR, 2005; Arp, A., VEB. Vaters ehemaliger Betrieb, 2005; Weinreich, B.,
Strafjustiz und ihre Politsierung in SBZ und DDR bis 1961, 2005; Wolff, F.,
Einigkeit und Recht, 2005, 2. A. 2005; Seibel, W., Verwaltete Illusionen – Die
Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt, 2005; Bauerkämper,
A., Die Sozialgeschichte der DDR, 2005; Kurze, D., Sozialistische Betriebe und
Institutionen als Verklagte im DDR-Zivilprozess, 2005; Sozialstaatlichkeit in
der DDR, hg. v. Hoffmann, D. u. a., 2005; Schöne, J., Frühling auf dem Lande?
Die Kollektivierung, 2005; Ritter, G., Der Preis der Einheit, 2006; Markovits,
I., Gerechtigkeit in Lüritz, 2006; Windmüller, J., Ohne Zwang kann der
Humanismus nicht existieren, 2006; Inszenierungen des Rechts, hg. v. Marxen, K.
u. a., 2006; Republikflucht, hg. v. Melis, D. van u. a., 2006;
Fischer-Langosch, P., Die Entstehung des Familiengesetzbuches der DDR von
1965, 2007; Johannsen, L., Die rechtliche Behandlung ausreisewilliger Staatsbürger
in der DDR, 2007; Behling, K./Eik, J., Vertuschte Verbrechen – Kriminalität in
der Stasi, 2007; Rickmers, E., Aufgaben und Struktur der Bezirkstage und Räte
der Bezirke in der DDR 1952-1990/91 am Beispiel des Bezirkes Cottbus, 2007;
Rohrer, F., Strafjustiz im Dritten Reich und in der SBZ/DDR, 2007; Riegel, P.,
Der tiefe Fall des Professors Pchalek, 2007; Müller, S., Das
administrative Element im Zivilrecht der DDR. Diss. jur. Jena 2007; Fulbrook,
M., Das ganz normale Leben, 2008; Sperlich, P., The East German social courts,
2007; Modrow, H., In historischer Mission - Als deutscher Politiker unterwegs,
2007; Wuttke, J., Konfliktvermeidung und Streitbeilegung in Familienrechtssachen
in der DDR, 2008; Willing, M., Sozialistische Wohlfahrt, 2008; Wolfrum, E., Die
DDR, 2008; Rogg, M., Armee des Volkes, 2008; Vinke, H., Die DDR, 2008; Hirsch,
S., Der Typus des sozial desintegrierten Straftäters, 2008; Buchholz, E., Strafrecht
im Osten, 2008; Krewer, P., Geschäfte mit dem Klassenfeind, 2008; Segert, D.,
Das 41. Jahr 2009; Schulz, G., Mitteldeutsches Tagebuch, 2009; Die
demokratische Revolution 1989 in der DDR, hg. v. Conze, E. u. a., 2009;
Kowalczuk, I., Endspiel, 2009; Koritsch, H., Die verspielte Chance, 2009;
Erinnerungsorte der DDR, hg. v. Sabrow, M., 2009; Krenz, E., Gefängnis-Notizen.
2009; Eisenhardt, U., War die DDR ein Unrechtsstaat?, Journal der juristischen
Zeitgeschichte 3 (2009), 45; Gräf, D., Im Namen der Republik, 2009; Boldorf,
M., Brüche oder Kontinuitäten, HZ 289 (2009), 287; Stadelmann-Wenz, E.,
Widerständiges Verhalten und Herrschaftspraxis in der DDR, 2009; Seifert, U.,
Gesundheit staatlich verordnet, 2009; Sozialistische Städte zwischen Herrschaft
und Selbstbehauptung, hg. v. Bernhardt, C. u. a., 2009; Bogisch, M., Die LDPD
und das Ende der DDE, 2009; Rüdiger, G. u. a., Die 111 Tage des Potsdamer
Bürgerlomitees Rat der Volkskontrolle 1989/90, 2009; Palmowski, J., Inventing a
Socialist Nation, 2009; Schütterle, J., Kumpel, Kader und Genossen, 2010;
Greiner, Bettina, Verdrängter Terror, 2010; Gürtler, L., Vergangenheit im
Spiegel der Justiz, 2010; Petrov, N., Die sowjetischen Geheimdienstmitarbeiter
in Deutschland, 2010; Stuhler, E., Die letzten Monate der DDR, 2010; Rettler,
W., Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR, 2010; Taylor,
F., Die Mauer - 13. August 1961 bis 9. November 1989, 2010; Duda, S., Das
Steuerrecht im Staatshaushaltssystem der DDR, 2011; Keßler, H. u. a., Ohne die
Mauer hätte es Krieg gegeben, 2011; Reichel, T., Sozialistisch arbeiten, lernen
und leben. Die Brigadebewegung, 2011; Stasi - die Ausstellung, Gesamtred. Camphausen,
G., 2011; Schmidt, K., Zur Frage der Zwangsarbeit im Strafvollzug der DDR, 2011;
Die DDR, hg. v. Brunner, D. u. a., 2011; Das MfS-Lexikon, hg. v. Engelmann, R.,
2011; Wilke, M., Der Weg zur Mauer, 2011; Sonntag, M., Die Arbeitslager in der
DDR, 2011; Heinemann, W., Die DDR und ihr Militär, 2011; Wenzke, R., Ab nach
Schwedt!, 2011; Muhl, F., Volkseigentum ist unantastbar, 2011; König, G.,
Fiasko eines Brunderbundes, 2011; Wernicke, S., Jugendstrafvollzug in der
DDR, 2011; Gieseke, J., Die Stasi, (Sonderausgabe) , 4. A. 2011; Rudnick, C.,
Die andere Hälfte der Erinnerung, 2011; Bröckermann, H., Landesverteidigung und
Militarisierung, 2011; Jander, I.,
Politische Verfolgung in Bradenburg 1949 bis 1953, 2012; Otto, E., Das
Verwaltungsrecht in der SBZ/DDR, 2012; Honecker, E., Letzte Aufzeichnungen,
2012; Jander, I., Politische Verfolgung in Brandenburg, 2012; Buchholz, E., Das
DDR-Justizsystem, 2012; Udke, G., Erlebnisse und Erfahrungen. Aus dem
Arbeitsleben eines Juristen in der DDR 1958 bis 1991. 2012;
Neunzehnhundertneunundachtzig und die Rolle der Gewalt, hg. v. Sabrow, M., 2012;
Dokumente zur Deutschlandpolitik. „Besondere Bemühungen“, hg. v. Bundesministerium
des Inneren u. a., Bd. 1 2012; Schekahn, J., Die Untersuchungshaftanstalt der
Staatssicherhit in Rostock, 2012; Grünwald, K., Das Staatskirchenrecht der DDR,
2012; Büchler, M., Verfassung als Kampagne - Verfassungspolitik und
Verfassungskultur in der SBZ und DDR, Online-Ress. Diss. jur. Univ. Hagen 2012;
Buthmann, R., Hochtechnologien und Staatssicherheit - Die strukturelle
Verankerung des MfS in Wissenschaft und Forschung der DDR, 2. A: 2012; Görlich,
C., Urlaub vom Staat, 2012; Hanisch, A., Die DDR im KSZE-Prozess 1972-1985,
2012; Wolff, F., Ein Leben - Vier Mal Deutschland, 2013; Burdumy, A.,
Sozilpolitik und Repression in der DDR, 2013; Walter Ulbricht, hg. v. Krenz,
E., 2013; Keller, I., Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Justizunrecht,
2013; Die DDR im Blick der Stasi 1953 - Die geheimen Berichte an die
SED-Führung, bearb. v. Rngelmann, R., 2013; Irmen,
H., Stasi und DDR-Militärjustiz, 2013; Kowalczuk, I., STASI Konkret, 2013 Klose, B., Das
Verblassen eines Makels, 2013; Sarge, G., Im Dienste des Rechts, 2013; Lapp,
P., Grenzregime der DDR, 2013; Judt, M., Der Bereich Kommerzielle
Koordinierung, 2013; Bühne der Dissidenz und Dramaturgie der Repression - Ein
Kulturkonflikt in der späten DDR, hg. v. Niethammer, L. u. a., 2013; Hürtgen,
R., Ausreise per Antrag, 2013; Bobsin, K., Das Presseamt der DDR, 2013; Schroeder,
K., Der SED-Staat, 2013; Bühne der Dissidenz , hg. v. Niethammer, L., 2013; Wölbern,
J., Der Häftlingsfreikauf aus der DDR 1962/63-1989, 2014
Deutsche Nationalgesetzgebung →Kodifikationsstreit, →Allgemeine
Deutsche Wechselordnung, →Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch
Deutschenspiegel ist das durch eine einzige vollständige, aus dem frühen 14.
Jh. stammende, aus Neustift bei Brixen kommende Handschrift (Universitätsbibliothek
Innsbruck cod. 922) und einige verstreute Artikel (in 18 Handschriften des sog.
Schwabenspiegels) überlieferte, mittelbayerische Rechtsbuch, das sich selbst
als spiegel aller tiuscher liute benennt. Der (von Julius Ficker so genannte)
D. beruht wahrscheinlich auf einer mitteloberdeutschen Übersetzung einer
Handschrift der Klasse Ib des →Sachsenspiegels (und vielleicht einer
weiteren, wohl im mit Magdeburg eng verbundenen Minoritenkonvent in Augsburg
erfolgten Bearbeitung des Sachsenspiegels), wobei die Artikel 1 bis 109 des
Landrechts unter Verwendung der Kaiserchronik, des Buchs der Könige und zweier
Gedichte des Strickers, der (römischrechtlichen) Institutionen, der
(kirchenrechtlichen) Summa Raymundi (von Penyafort) und des Mainzer Reichslandfriedens,
zweier Reichsgesetze vom 19. 2. 1274 sowie vor allem Augsburger
Gewohnheitsrechts umgestaltet sind, die Art. 110ff. und das Lehnrecht dagegen
im Wesentlichen unbearbeitet ihre Vorlage(n) übernehmen, aber jeweils Sachsen
durch deutsche Lande oder deutsche Leute ersetzen. Als Quelle werden statt der
guten Vorfahren die Könige mit weiser Meister Lehre genannt. Vermutlich ist der
D. 1275/1276 in Augsburg als Privatarbeit (eines Minoriten) entstanden. Das
Verhältnis zwischen D. und Schwabenspiegel ist streitig geworden. →Schwabenspiegel
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Spiegel%20Deutscher%20Leute_Ficker.pdf;
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Deutschenspiegel-Eckhardt-Huebner.pdf;
Köbler,
DRG 103; Der Spiegel deutscher Leute, hg. v. Ficker, J., 1859; Müller, E. Frhr.
v., Der Deutschenspiegel, 1908; Pfalz, A., Die Überlieferung des
Deutschenspiegels, 1919; Eckhardt, K., Heimat und Alter des Deutschenspiegels,
ZRG GA 45 (1925), 13; Eckhardt, K., Der Deutschenspiegel, 1924; Eckhardt, K.,
Rechtsbücherstudien 1, 1927; Eckhardt, K., Zur Schulausgabe des
Deutschenspiegels, ZRG GA 50 (1930), 115; Deutschenspiegel mit Augsburger
Sachsenspiegel und ausgewählten Artikeln der oberdeutschen
Sachsenspiegelübersetzung, hg. v. Eckhardt, K./Hübner, A., 1930; Schwerin, C.
Frhr. v., Zum Problem des Deutschenspiegels, ZRG GA 53 (1932), 260; Hübner, A.,
Vorstudien zur Ausgabe des Buches der Könige, 1932 (SB Göttingen);
Deutschenspiegel, hg. v. Eckhardt, K., 1971; Trusen, W., Die Rechtsspiegel und
das Kaiserrrecht, ZRG GA 102 (1985), 12ff.; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher
des Mittelalters, Bd. 1 1990, 33
Deutsche Rechtsgeschichte ist allgemein die Geschichte des in Deutschland geltenden
Rechtes einschließlich der Geschichte seiner Wurzeln (oder bei engerer
Betrachtungsweise die Geschichte des aus germanistischer Wurzel stammenden
Rechtes) (in Deutschland).
Lit.: Kroeschell, DRG; Köbler, DRG; Mitteis, H./Lieberich,
H., Deutsche Rechtsgeschichte, 19. A. 1992
Deutscher Bund ist
der als unauflöslich geplante völkerrechtliche Zusammenschluss (Verein,
Staatenbund, aber mit einigen bundesstaatlichen Zügen) von (nach der Deutschen
Bundesakte vom 8. 6. 1815 38) souveränen deutschen Einzelstaaten (34
Fürstentümer, 4 freie Städte mit einem Gebiet von 630100 Quadratkilometern und
einer Bevölkerung von 29,2 Millionen, Österreich etwa 31 Prozent, Preußen etwa
26 Prozent) auf der Grundlage der →Deutschen Bundesakte (8. 6. 1815,
Wiener Kongressakte 9. 6. 1815) und der Wiener Schlussakte (15. 5. 1820). Er
folgt auf die Erkenntnis, dass mit der Niederlegung der Krone des →Heiligen
römischen Reiches durch Kaiser Franz II.
am 6. 8. 1806 das Reich auch rechtlich untergegangen ist und eine Restauration
wegen der egoistischen Interessen der damit souverän gewordenen deutschen
Fürsten (vor allem Österreich, Preußen, Sachsen, Hannover, Baden, Württemberg,
Bayern) und der außerdeutschen Staaten Europas (Frankreich, England, Russland)
ebensowenig Aussicht auf Erfolg hat wie das Streben der überwiegend
bürgerlichen deutschen Nationalbewegung nach einem national-deutschen
Einheitsstaat. Deswegen schließen sich 38 (1817 39 [Hessen-Homburg], dann 41,
1863 35, 1864 nur noch 34) weltliche Mitgliedstaaten (Österreich und Preußen
mit ihren 1803 zum Reich gehörigen Gebieten, Bayern, Sachsen, England wegen
Hannover, Württemberg, Baden, Kurhessen, Großherzogtum Hessen, Dänemark wegen
Holstein, Niederlande wegen Luxemburg, Sachsen-Weimar, Sachsen-Gotha,
Sachsen-Coburg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Hildburghausen, Braunschweig,
Nassau, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Holstein-Oldenburg,
Anhalt-Dessau, Anhalt-Bernburg, Anhalt-Köthen, Schwarzburg-Sondershausen,
Schwarzburg-Rudolstadt, Hohenzollern-Hechingen, Hohenzollern-Sigmaringen,
Liechtenstein, Reuß ältere Linie, Reuß jüngere Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe,
Waldeck und die 4 selbständig gebliebenen Städte (Reichsstädte bzw. freien
Städte) Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg) in einer Art Zwischenstufe auf
dem Weg zu einem für Europa annehmbaren deutschen Bundesstaat zum Deutschen
Bund als einem Staatenbund mit bundesstaatlichen Merkmalen zusammen. Als seine
Ziele sind festgelegt die Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands
und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.
Sein Organ ist der selbständige Bundestag (Bundesversammlung, Gesandtenkongress)
in Frankfurt am Main (Palais Thurn und Taxis) (vom 12. 7. 1848 bis September
1850 ohne Befugnisse). In dessen selten zusammentretendem Plenum hat jeder
Staat mindestens eine, höchstens aber vier Stimmen, im engeren Rat führen die
elf größten Staaten je eine Stimme, die anderen 27 Staaten die übrigen 6
Stimmen. Den Vorsitz übt →Österreich aus. Der Deutsche Bund hat
grundsätzlich nur sehr geringe gesetzgebende, vollziehende und richterliche
Gewalt, doch wirken seine Mitglieder vereinzelt in Gesetzgebung (Urheberrecht,
Wechselrecht, Handelsrecht, gescheitert im Schuldrecht, Patentrecht und
Verfahrensrecht), Vollzug (z. B. Karlsbader Beschlüsse) und Rechtsprechung
(Austrägalgerichtsbarkeit, Dreistufigkeit der Gerichtsbarkeit) zusammen. Nach
den revolutionären Unruhen um 1848 geraten Österreich und Preußen 1850/1851 in
verstärkten Gegensatz, doch einigt man sich auf den Dresdener Konferenzen (23.
12. 1850-15. 5. 1851) auf eine Fortführung des Deutschen Bundes. An der
Verwaltung des durch Bundesexekution vom 1. 2.-1. 8. 1864 Dänemark abgewonnenen
Schleswig-Holsteins entzündet sich dann wegen der Einberufung des holsteinischen
Landtags (am 8. 4. 1866) ein Streit, der damit endet, dass Preußen Holstein am
9. 6. 1866 besetzt, Österreich ohne förmliche Bundesexekution die Mobilmachung
des Bundesheeres gegen Preußen erwirkt, Preußen den Deutschen Bund für
erloschen erklärt, Österreich nach militärischer Niederlage des Deutschen
Bundes (Österreichs und Sachsens) gegen Preußen bei Königgrätz bzw. Sadowa (3.
7. 1866) am 26. 7. 1866 die Auflösung des Deutschen Bundes anerkennt und auf
Holstein (und gegenüber Italien auf Venetien) verzichtet und die
Bundesversammlung am 24. 8. 1866 letztmals tagt. Allgemein anerkannt wird die
friedensichernde Wirkung des Deutschen Bundes.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 169, 192, 196; Acten
des Wiener Kongresses, hg. v. Klüber, J., Bd. 1ff., 1815ff.; Protocolle der
deutschen Bundesversammlung, 1816-1848, 1850-1866; Huber, E., Deutsche
Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1ff. 1957ff.; Heßler, R., Das
Durchzugsrecht innerhalb des Deutschen Bundes, Diss. jur. Berlin (FU) 1966;
Darmstadt, R., Der Deutsche Bund in der zeitgenössischen Publizistik, 1971;
Gruner, W., Der Deutsche Bund, 1982; Deutscher Bund und deutsche Frage, hg. v.
Rumpler, H., 1990; Fehrenbach, E., Verfassungsstaat und Nationsbildung
1815-1871, 1992; Die Dresdener Konferenz und die Wiederherstellung des
Deutschen Bundes 1850/1851, bearb. v. Müller, J., 1996; Quellen zur Geschichte
des Deutschen Bundes, Bd. 1ff. 1996ff.; Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und
Reform 1851-1858, bearb. v. Müller, J., 1998; Die Entstehung des Deutschen
Bundes 1813-1815, hg. v. Treichel, E., 2000; Kotulla, M., Die Entstehung der
Kriegsverfassung des Deutschen Bundes, ZRG GA 117 (2000), 122; Steinmetz, C., Deutscher
Bund und europäische Friedensordnung, 2002; Angelow, J., Der Deutsche Bund,
2003; Bieker, E., Die Interventionen Frankreichs und Großbritanniens
anlässlich des Frankfurter Wachensturms 1833, 2003; Ham, R., Bundesintervention
und Verfassungsrevision, 2004; Müller, J., Deutscher Bund und deutsche Nation
1848-1866, 2005; Müller, J., Der Deutsche Bund 1815-1866, 2006; Werner, E., Die Märzministerien, 2009; Doering-Manteuffel,
A., Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871, 3. A. 2010;
Hahn, H. u. a., Reformen, Restauration und Revolution, 2010; Schmidt, S., Der
Frankfurter Wachensturm, 2011 (3. 4. 1833); Gruner, W., Der Deutsche Bund
1815-1866), 2012; Jansen, S., Die Souveränität der Gliedstaaten im Deutschen
Bund, 2014
Deutscher Juristentag ist der 1860 auf Vorschlag der juristischen Gesellschaft zu Berlin
gegründete, früh Nationsbildung durch Rechtsvereinheitlichung und Rechtsvereinheitlichung
durch Nationsbildung anstrebende Verein deutscher Juristen mit dem Zweck, auf
wissenschaftlicher Grundlage die Notwendigkeit von Änderungen und Ergänzungen
der deutschen Rechtsordnung (bürgerliches Recht, Handelsrecht, Wechselrecht,
Strafrecht, Prozessrecht, 1906 Verwaltungsrecht, 1921 Verfassungsrecht) zu
untersuchen bzw. seit 1921 das Recht parteipolitisch unabhängig fortzubilden.
An seine Stelle tritt 1933 der 1928 gegründete Bund nationalsozialistischer
deutscher Juristen, 1936 der nationalsozialistische Rechtswahrerbund. 1949
wird der deutsche Jurstentag wieder tätig. Seit 2001 führen deutscher
Juristentag, österreichischer Juristentag und Schweizer Juristenverein einen
europäischen Juristentag (in Nürnberg, Athen, Wien, Genf, Budapest, Luxemburg u. s. w.) durch.
Lit.: Conrad, H., Der deutsche
Juristentag 1860-1960, (in) Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 1 1960, 1;
Dilcher, G., Der deutsche Juristentag 1960 bis 1980, 1980; Landau, P., Die
deutschen Juristen und der nationalsozialistische Juristentag 1933, 1996;
Conrad, H. u. a., Der Deutsche Juristentag 1860-1994, 1997; Hartwich, E., Der
deutsche Juristentag, 2008; Festschrift 150 Jahre deutscher Jurstentag, hg. v.
Deutschen Juristentag, 2010
Deutscher
Orden ist die im Februar 1199 (durch Papst
Innozenz III. unter Verleihung der Johanniterregel für die karitativen Aufgaben
und der Templerregel für die militärischen Tätigkeiten) aus einer Lübeck-Bremer
Spitalsbruderschaft (erster Ansatzpunkt Marienhospital in Jerusalem zwischen
1118 und 1127, [fortgeführt?] 1190 Hospital vor Akkon, September 1190 Privileg
König Guidos von Jerusalem, Februar 1191 päpstlicher Schutz, Juli 1191 Hospital
in der rückeroberten Stadt) zu einem geistlichen (Ritter-)Orden mit Sitz in
Montfort bei Akkon umgeformte Vereinigung. Von 1211 bis 1225 wirkt der Deutsche
Orden auf Anforderung König Andreas’ II. von Ungarn in Siebenbürgen
(Burzenland). 1225/1226 ruft Herzog Konrad von Masowien den Deutschen Orden
gegen die heidnischen Pruzzen zu Hilfe und überlässt ihm dafür 1230 das Kulmer
Land (zwischen 1228 und 1309 590 Brüden in Preußen nachweisbar). Der 1226 mit
reichsfürstlichen Rechten begabte Deutsche Orden, der nach dem Verlust Akkons
1291 seinen Sitz nach Venedig, 1309 nach Marienburg in Westpreußen und (nach
der Niederlage bei Tannenberg/Grunwald 1410) 1457 nach Königsberg verlegt,
erreicht durch umfangreiche Eroberungen zu Beginn des 15. Jh.s die größte
Ausdehnung, muss aber 1466 durch seinen Hochmeister die Schirmherrschaft des
Königs von →Polen anerkennen. Die Güter im Mittelmeerraum gehen verloren.
1525/1561 wird das Deutschordensgebiet in Preußen in das Herzogtum Preußen und
Kurland umgewandelt, das 1618/1619 mit Brandenburg in Personalunion vereinigt
und 1657/1660 vertraglich von der Lehnshoheit Polens befreit wird. 1803 bleibt
der Deutsche Orden im Reich, wo er durch zahlreiche einzelne Gaben zu
beträchtlichen, vom Deutschmeister (1494 Reichsfürst) verwalteten Gütern
gekommen war, bestehen. 1809 wird das 1805 aus dem Deutschen Orden geschaffene
Fürstentum Mergentheim von Napoleon beseitigt, so dass dem Deutschen Orden
unter dem Hochmeister Anton Viktor von Österreich nur die Häuser im
Habsburgerreich verbleiben. 1834 wird in Österreich der Deutsche Orden unter
Erzherzögen als Hoch- und Deutschmeistern wiederbelebt. Nach Ende der
Herrschaft der Habsburger in Österreich (1918) wird 1923 der Ritterbruderzweig
abgeschafft, während die geistliche und karitative Tätigkeit fortgeführt wird.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 93; Köbler,
Historisches Lexikon; Müller, G., Die Ursachen der Vertreibung des deutschen Ordens
aus dem Burzenlande und Kumanien, Korrespondenzblatt des Vereins für
siebenbürgische Landeskunde 48 (1925), 41; Stengel, E., Hochmeister und Reich,
ZRG GA 58 (1938), 178; Milthaler, F., Die Großgebietiger des deutschen
Ritterordens bis 1440, 1940; Schmidt, G., Die Handhabung der Strafgewalt gegen
Angehörige des deutschen Ordens, 1954; Hofmann, H., Der Staat des
Deutschmeisters, 1964; Forstreuter, K., Der Deutsche Orden am Mittelmeer, 1967;
Wunder, H., Siedlungs- und Bevölkerungsgeschichte der Komturei Christburg,
1968, Kisch, G., Forschungen und Quellen zur Rechts- und Sozialgeschichte des
Deutschordenslandes, 1973; Tumler, M./Arnold, U., Der Deutsche Orden, 1974, 4.
A. 1986; Boockmann, H., Johannes Falkenberg, 1975; Sperling, F.,
Gerichtsorganisation und Prozesspraxis des Mergentheimer Stadtgerichts unter
dem Deutschen Orden von 1780-1801, 1981; Boockmann, H., Der Deutsche Orden,
1981, 4. A. 1994; Neitmann, K., Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in
Preußen 1230-1449, 1986; Braasch-Schwersmann, U., Das Deutschordenshaus
Marburg, 1989; Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190-1994, hg. v. Arnold,
U., 1998; Militzer, K., Von Akkon zur Marienburg, 1999; Zimmermann, H., Der
Deutsche Orden im Burzenland, 2000; Demel, B., Der Deutsche Orden im Spiegel
seiner Besitzungen und Beziehungen in Europa, 2004; Militzer, K., Die
Geschichte des Deutschen Ordens, 2005; Demel, B., Unbekannte Aspekte der
Geschichte des Deutschen Ordens, 2006; Sarnowsky, J., Der Deutsche Orden, 2007;
Ehlers, A., Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter, 2007; Morton,
N., The Teutonic Knights in the Holy Land, 2009; Salch, D., Vestis Alba et Crux
Nigra, 2010; Demel, B., 1190-2010 - 820 Jahre Deutscher Orden, 2011; Dorna, M,,
Die Brüder des Deutschen Ordens in Preußen 1228-1309. Eine prosopgraphische
Studie, 2012 (590); Generalprobe Burzenland, hg. v. Gündisch, K., 2013
Deutscher Rechtshistorikertag ist die auf Anregung
Heinrich Mitteis‘ in Heidelberg 1927 erstmals zusammengetretene Versammlung
der deutschsprachigen oder an der Rechtsgeschichte Deutschlands interessierten
Rechtshistoriker. Diesem Treffen folgen Tagungen in Göttingen 1929, Jena 1932,
Köln 1934, Tübingen 1936, (Marburg 1947,) Heidelberg 1949, Wien 1951, Würzburg
1952, Hamburg 1954, Freiburg im Breisgau 1956, München 1958, Saarbrücken 1960,
Mainz 1962, Wien 1964, Basel 1966, Münster 1968, Salzburg 1970,
Nürnberg-Erlangen 1972, Tübingen 1974, Linz 1976, Berlin 1978, Augsburg 1980,
Zürich 1982, Graz 1984, Frankfurt am Main 1986, Bielefeld 1988, Nimwegen/Nijmegen
1990, Köln 1992, Bern 1994, Wien 1996, Regensburg 1998, Jena 2000, Würzburg
2002, Bonn 2004, Halle 2006, Passau 2008, Münster 2010 und Luzern 2012. Seit
1994 gibt es auch ein jährlich tagendes europaweites Forum junger
Rechtshistoriker zwecks wissenschaftlichen Austauschs.
Deutscher Richterbund ist eine privatrechtliche Vereinigung der deutschen Richter.
Lit.: Wrobel, H., Der Deutsche Richterbund im Jahre 1933,
Krit. Justiz 1982, 323
Deutsches Privatrecht ist allgemein das in Deutschland geltende Privatrecht und
herkömmlicherweise eingeengt das ältere aus germanistischer, also nicht aus
römischrechtlicher oder kirchenrechtlicher Wurzel stammende, vor Schaffung
des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (1900) auch ohne gesetzgeberischen Akt
unmittelbar geltende Privatrecht in Deutschland. In diesem engeren Sinn wird es
als wissenschaftlich erfassbare Einheit vielleicht seit dem Spätmittelalter (z.
B. Lüneburg 1401) gesehen, jedoch insgesamt erst anerkannt, als Hermann →Conring
(1635/1643) den Ursprung des deutschen Rechtes (De origine iuris Germanici)
erörtert und 1649 eine geschlossene Darstellung des gesamten tatsächlich im
Heiligen römischen Reich geltenden Rechtes fordert, wie sie etwa Georg Adam
Struves Iurisprudentia Romano-Germanica (Römisch-deutsche Rechtswissenschaft,
1670) oder Joachim Hoppes Commentatio succincta zu den Institutionen
Justinians (1715) bieten. In Gegenüberstellung zu dem durch gewohnheitsrechtlichen
Vorgang aufgenommenen gemeinen römischen (Privat-)Recht wird das gemeine
deutsche Privatrecht zuerst 1675 durch Johann →Schilter (1632-1705)
erfasst und seit 1701 bzw. 1705 durch Christian →Thomasius (1655-1728),
der in seinen 1713 erschienenen (lat. [F.Pl.]) Notae ad singulos Institutionum
et Pandectarum titulos (Bemerkungen zu den einzelnen Titeln der Institutionen und
Pandekten) alles nichtrezipierte römische Recht ausscheidet, auf Grund der
Reichsgesetze und deutschen Gewohnheiten behandelt und vorgetragen (lat.
[F.Pl.] Institutiones iuris Germanici, Einrichtungen des deutschen Rechtes)
und nach Vorlesungen seit 1707 erstmals von Georg →Beyer (1665-1714) in
einem posthum von Michael Heinrich Gribner veröffentlichten Leitfaden (nach der
romanistischen Systematik der Institutionen) dargestellt (z. B. Recht des
Adels, der Kaufleute und Handwerker, Leibeigene, morganatische Ehe,
Einkindschaft, Hand muss Hand wahren, Erbvertrag, Gerade, Morgengabe, Musteil,
Leibgedinge, Versicherungsvertrag, Retraktsrecht, Verlobung, Ehe, Adoption,
Emanzipation, Einlager, Majorat, Fideikommiss, Ganerbschaft, Gesellschaft,
Emphyteuse, Überbau, Schenkung). Danach wird es im 18. Jh. teils antiquarisch,
teils praktisch ausgerichtet (vgl. z. B. Heineccius, Johann Gottlieb
[1681-1741], Elementa iuris Germanici 1735ff., Pütter, Johann Stephan
[1725-1807], Elementa iuris Germanici privati hodierni, Elemente des heutigen
deutschen Privatrechts, 1756, Runde, Justius Friedrich [1741-1807] 1791, weiter
später Eichhorn [1823], Mittermaier [1821] Reyscher [1837ff.], Beseler [1847ff.],
Gerber [1848f.], Stobbe [1871], Gierke [1895ff.] u. a.) Als wissenschaftliches
Prinzip des deutschen Privatrechts gilt dabei zunächst die (ungefähre)
Übereinstimmung (unterschiedlichster) partikulärer Rechtssätze (z. B.
Pütter), dann die aus den Rechtsverhältnissen vermöge der natürlichen
Vernünftigkeit abstrahierte Regel (Natur der Sache, z. B. Runde) und danach die
gemeinsame Nationaleigentümlichkeit und Volkssitte (z. B. Eichhorn). Der
Ansicht Carl Friedrich →Gerbers (1846), dass das auf Freiheit und
Fehderecht zu gründende deutsche Privatrecht nur eine wissenschaftlich
gewonnene, nicht unmittelbar anwendbare Summe von Rechtssätzen sei,
widersprechen Georg →Beseler (Volksrecht) und Otto von →Gierke
(gemeindeutsche Gewohnheiten). Mit der Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(1900) hat diese, nicht durch einen überzeugenden Nachweis einer einheitlichen
Quelle eines gemeinen deutschen Privatrechts entschiedene Streitfrage ihre
praktische Bedeutung verloren. Mehr und mehr wird das geschichtliche
Privatrecht in seiner tatsächlichen Vielfalt sinnvollerweise insgesamt in die
allgemeine Rechtsgeschichte eingefügt.
Lit.: Köbler, DRG 205; Gerber, C., Das wissenschaftliche
Prinzip des gemeinen deutschen Privatrechts, 1846; Gierke, O. v., Deutsches
Privatrecht, Bd. 1ff. 1895ff.; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der
Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Luig, K., Die Anfänge der Wissenschaft vom deutschen
Privatrecht, Ius Commune 1 (1967), 195; Luig, K., Die Theorie der Gestaltung
eines nationalen Privatrechtssystems aus römisch-deutschem Rechtsstoff, (in)
Wissenschaft und Kodifikation, 1974, 217; Kroeschell, K., Zielsetzung und
Arbeitsweise der Wissenschaft vom gemeinen deutschen Privatrecht, (in)
Wissenschaft und Kodifikation 1974, 249; Rückert, J. A. L. Reyschers Leben und
Rechtstheorie 1801-1880, 1974; Schlosser, H., Das wissenschaftliche Prinzip der
germanistischen Privatrechtssysteme, Gedächtnisschrift H. Conrad, 1979, 491;
Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsches Privatrecht, 9. A. 1981; Kroeschell, K.,
Verfassungsgeschichte und Rechtsgeschichte, Der Staat Beiheft 6 1983, 47;
Dilcher, G./Kern, B., Die juristische Germanistik des 19. Jahrhunderts und die
Fachtradition der deutschen Rechtsgeschichte, ZRG GA 101 (1984), 1; Luig, K.,
Die sozialethischen Werte des römischen und germanischen Rechts in der Privatrechtswissenschaft
des 19. Jahrhunderts, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, 1987, 281;
Luig, K., Begriff und Aufgabe des deutschen Privatrechts in der Sicht von
Heinrich Mitteis, (in) Heinrich Mitteis nach hundert Jahren, 1991, 91;
Scherner, K., Das deutsche Privatrecht und seine Darstellbarkeit, ZRG GA 118
(2001), 346; Dannhorn, W., Römische Emphyteuse und deutsche Erbleihe, 2003;
Christian Thomasius (1655-1728), hg. v. Lück, H., 2006; Schäfer, F.,
Juristische Germanistik, 2008
Deutsches Recht
ist allgemein das in Deutschland geltende Recht (Gesetzesrecht, Richterrecht,
Gewohnheitsrecht) und in einem engeren Sinn das aus germanistischer Wurzel
stammende Recht in Deutschland (vor allem in Gegensatz zu dem aus römischer
Wurzel stammenden Recht in Deutschland), wobei mit Savigny teilweise das
rezipierte römische Recht nach seiner Rezeption (im Sinne eines entlehnten
Rechtes) (auf Grund des natürlichen Rechtsgefühls und der analogen Heranziehung
römischrechtlicher Quellen) als d. R. angesehen wird. Wissenschaftsgeschichtlich
haben sich um d. R. besonders Hermann Conring (1643), Johann Schilter (1672),
Christian Thomasius (1701), Johann Heinrich Christian von Selchow und Johann
Stephan Pütter (1770) verdient gemacht.
Lit.: Deutsches Recht, 1934; Halban, A. v., Zur Geschichte
des deutschen Rechtes in den Gebieten von Tschernigow und Poltawa, ZRG GA 19
(1898), 1; Kaindl, R., Zur Geschichte des deutschen Rechtes im Osten, ZRG GA 40
(1919), 275; Merk, W., Vom Werden und Wesen des deutschen Rechtes, 3. A. 1935;
Jakowliw, A., Das deutsche Recht in der Ukraine, 1942; Kötzschke, R., Die
Anfänge des deutschen Rechtes in der Siedlungsgeschichte des Ostens (Ius
teutonicum), 1941 (SB Leipzig); Dahm, G., Deutsches Recht, 1951; Ebel, W.,
Deutsches Recht im Osten, 1952; Getz, H., Die deutsche Rechtseinheit im 19.
Jahrhundert als rechtspolitisches Problem, 1966; Fließ, W., Die Begriffe
germanisches Recht und deutsches Recht bei den Rechtshistorikern des 19. und
20. Jahrhunderts, Diss. Freiburg im Breisgau 1968 (masch.schr.); Krause, H.,
Der deutschrechtliche Anteil an der heutigen Privatrechtsordnung, JuS 1970,
313; Gudian, G., Zur Situation der Germanistik, ZRG GA 89 (1972), 215; Keller,
O., Forschungsbericht - deutsches Recht im Osten, ZRG GA 129 (2012), 376
Deutsches Rechtswörterbuch ist das 1896 von einer
Kommission der preußischen Akademie der Wissenschaften (Amira, Heinrich
Brunner, Frensdorff, Gierke, Richard Schröder, Ernst Dümmler, Karl Weinhold)
vorgeschlagene, alphabetisch geordnete Wörterbuch der älteren deutschen Rechtesprache
(der vor 1815 belegten Grundwörter und der vor 1700 belegten
Zusammensetzungen), das von Heidelberg (Richard Schröder) aus seit 1914
erscheint, seit etwa 2000 (retro)digitalisiert ist und in 16 Bänden mit 120000
Stichwörtern bis 2036 abgeschlossen sein soll (2007 Band 11 Rat bis R/S,
2013 13 1/2 Schwefel-setzen).
Lit.: Wissenschaftliches
Wörterbuch der deutschen Rechtesprache, ZRG GA 18 (1897), 211; Lemberg,
I./Speer, H., Bericht über das deutsche Rechtswörterbuch, ZRG GA 114 (1997),
679; Speer, H., Rechtssprachlexikographie und neue Medien, (in) Das Wort,
2002, 89; http;//www.deutsches-rechtswoerterbuch.de; Das Deutsche
Rechtswörterbuch - Perspektiven, hg. v. Deutsch, Andreas, 2010
Deutsches Reich
ist eine Bezeichnung für verschiedene verfassungsrechtliche Organisationsformen
der Deutschen. Dabei wird als erstes D. R. das aus dem fränkischen Reich im
Laufe des 10. Jh.s erwachsene ostfränkische Königreich verstanden, das gegen
die Jahrtausendwende anscheinend von Italien (Chronicon Venetum, Brixener
Urkunde Heinrichs II. von 1020, Miracula Severi) ausgehend (lat.) regnum (N.)
Teutonicum (D. R.) genannt wird. Es wird seit der Mitte des 12. Jahrhunderts
(Lothar III., Konrad III.) hauptsächlich als römisches Reich, alsbald auch als
heiliges Reich und 1474 als →Heiliges römisches Reich bezeichnet und führt diesen Namen 1512
erstmals auch offiziell. Demgegenüber wird die frühere Benennung als D. R. erst
wieder gegen sein Ende (1806) hin allgemein üblich. (Zweites) D. R. nennt sich
danach ebenfalls der 1848/1849 vergeblich angestrebte, am Widerstand der
partikularen Fürsten gescheiterte deutsche Nationalstaat. Für den Namen
(zweites) D. R. entscheiden sich dann auch im Dezember 1870 die Staaten des
Norddeutschen Bundes bei der Benennung des nach dem Sieg des Norddeutschen
Bundes über Frankreich im deutsch-französischen Krieg vom 19. 7. 1870 bis 26.
2. 1871 (Kriegserklärung Frankreichs am 19. 7. 1870 wegen der Ablehung eines öffentlichen
Verzichts auf eine Thronfolge in Spanien für die Zukunft durch Preußen) auf
Betreiben Otto von Bismarcks am 15., 23. und 25. 11. 1870 mit Bayern,
Württemberg, Baden und Hessen(-Darmstadt) auf neuen Grundlagen vereinbarten, am
1. 1. 1871 ins Leben tretenden bzw. erweiterten (str.) Bundesstaats (, dem Österreich,
Luxemburg, Limburg und Liechtenstein fernbleiben). Dieses Deutsche Reich
(540742 qkm, 56,37 Mill. Einwohner) umfasst (die 22 monarchischen Staaten)
Preußen (65 Prozent oder fast 2/3 des Reichsgebiets, 62 Prozent oder mehr als 3/5
der Reichsbevölkerung, tatsächliche Vorrangstellung, seit etwa 1895 gegenüber
der Reichsverwaltung allmählich schwindend), Bayern, Sachsen, Württemberg,
Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg—Strelitz,
Sachsen-Weimar-Eisenach, Oldenburg, Braunschweig, Anhalt, Schaumburg-Lippe,
Lippe, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha,
Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck, Reuß ältere Linie,
Reuß jüngere Linie, (die drei Stadtrepubliken) Bremen, Hamburg, Lübeck sowie (das
am 10. 5. 1871 von Frankreich gewonnene, durch Gesetz vom 9. 6. 1871 vereinigte
Reichsland) Elsass-Lothringen und seit 1884 als Nebenländer die überseeischen
deutschen →Schutzgebiete (Kolonien) Südwestafrika, Togo, Kamerun u. s. w. Nach seiner am 16. 4. 1871 in Kraft
tretenden Verfassung ist (in dieser eingeschränkten Monarchie) der Kaiser
(König von Preußen) der (erbliche) Inhaber der Präsidialrechte. Träger der
Souveränität ist die Gesamtheit der Fürsten und freien Städte (Bundesrat), die
ihre starke Stellung aber auf dem Wege zu einem unitarischen Bundesstaat
infolge der Reichsgesetzgebung allmählich verliert. Der Kaiser regiert durch
den von ihm frei ernannten und entlassenen Reichskanzler (1871-1890 Otto von
Bismarck), der jedoch alle Anordnungen gegenzeichnen muss und dadurch die
Verantwortung übernimmt (und dem die obersten Reichsbehörden bzw. Reichsämter
untergeordnet sind). (Nach Ländergröße gewichteter) Bundesrat und Reichstag
(allgemeine, unmittelbare, geheime Wahl wie in Frankreich und Griechenland
und später auch anderen Staaten) beschließen (gleichrangig) die Gesetze, die
dann der Kaiser ausfertigt und verkündet. Höchstes Gericht ist das
Reichsgericht in Leipzig. Nach Entlassung des auf Ausgleich bedachten
Reichskanzlers Bethmann Hollweg entsteht eine Art Kriegsdiktatur
(Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, Stellvertreter Erich Ludendorf),
bis am Ende des Oktober 1918 General Erich Ludendorf gestürzt wird. Am 9. 11.
1918 wird am Ende des ersten Weltkriegs ein Verzicht des Kaisers auf den Thron
bekanntgegeben und von Philipp Scheidemann im Rahmen des bestehenbleibenden
Deutschen Reiches die Republik (Weimarer Republik) ausgerufen, die Adolf Hitler
nach seiner Ernennung zum Reichskanzler (30. 1. 1933) rasch in das nationalsozialistische,
totalitäre →Dritte (Deutsche) Reich (zentralistischer Einheitsstaat,
nach dem Anschluss Österreichs 1938 inoffiziell, 1943 offiziell Großdeutsches
Reich) umgestaltet. Am 8. 5. 1945 bricht dieses Deutsche Reich mit der
vollständigen Kapitulation gegenüber den alliierten Siegermächten des zweiten
Weltkriegs zusammen. Nach herrschender Ansicht setzt die Bundesrepublik
Deutschland das Deutsche Reich fort, ist also mit ihm rechtlich identisch.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG
76, 172, 196, 220, 256; Jahrbücher des deutschen Reiches, Bd. 1ff. 1862ff.;
Acta imperii, hg. v. Kern, F., 1911; Laband, P., Das Staatsrecht des deutschen
Reiches, 1887, 5. A. 1911ff.; Brandenburg, E., Die Reichsgründung, 2. A. 1924,
Neudruck 2005; Handbuch des deutschen Staatsrechts, hg. v. Anschütz, G. u. a.,
1930; Anschütz, G., Die Verfassung des deuschen Reiches vom 11. August 1919,
14. A. 1933; Herding, O., Das römisch-deutsche Reich in deutscher und
italienischer Beurteilung, 1937; Tellenbach, G., Die Entstehung des deutschen
Reiches, 1940, 2. A. 1942; Huber, E., Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3
1963; Müller-Mertens, E., Regnum Teutonicum, 1970; Brühl, C., Die Anfänge der
deutschen Geschichte, 1972; Dokumente zur Geschichte des deutschen Reiches und
seiner Verfassung 1349, hg. v. d. Akad. d. Wiss. d. DDR, 1974ff.; Eggert, W.,
Das ostfränkisch-deutsche Reich, 1975; Töpfer, B./Engel, E., Vom staufischen
Imperium zum Hausmachtkönigtum, 1976; Bracher, K., Die deutsche Diktatur, 7.
A. 1993; Hanisch, W., Als weit das Römische reiche in allen den egenanten
Tewtschen landen begriffen ist, ZRG GA 101 (1984), 47; Schilling, Heinz, Höfe
und Allianzen. Deutschland 1648-1763, 1989; Duchhardt, H., Altes Reich und
europäische Staatenwelt, 1990; Ehlers, J., Die Entstehung des deutschen
Reiches, 1994, 2. A: 1998, 3. A. 2010, 4. A. 2012; Fried, J., Der Weg in die
Geschichte, 1994; Das Deutsche Reich im Urteil der großen Mächte, hg. v.
Hildebrand, K., 1995; Willoweit, D., Deutsche Verfassungsgeschichte, 5. A.
2005; Reitemeier, A., Außenpolitik im Spätmittelalter, 1999; Berghahn, V., Das
Kaiserreich 1871-1914, 2003; Frie, E., Das deutsche Kaiserreich, 2004; Frotscher,
W./Pieroth, B., Verfassungsgeschichte, 10. A. 2011, 11. A. 2012; Mertens, E.,
Römisches Reich im Besitz der Deutschen, HZ 282 (2006), 1; Zachau, P., Die
Kanzlerschaft des Fürsten Hohenhlohe 1894-1900, 2007; Hildebrand, K., Das
vergangene Reich, 2008; Röhl, W., Wilhelm II., Bd. 3 2008; Stalmann, v., Fürst Chlodwig
zu Hohenlohe-Schillingsfürst 1819-1901, 2009; Politische Versammlungen und ihre
Rituale, hg. v. Peltzer, J. u. a., 2009; Wilhelm, U., Das deutsche Kaiserreich
und seine Justiz, 2010; Obst, M., Einer nur ist Herr im Reiche - Kaiser Wilhelm
II. als politischer Redner, 2010; Canis, C., Der Weg in den Abgrund, 2011; Winzen,
P., Im Schatten Wilhelms II., 2011 (schwaches Werk); Kaiser Friedrich III.
Tagebücher 1866-1888), hg. v. Baumgart, W., 2012 (sehr schwacher Herrscher); Kroll,
F., Geburt der Moderne, 2013; Conze, E., Das Auswärtige Amt, 2013
Deutschland ist
eine wohl im 14. Jh. durch Zusammenziehung aus (mhd.) daz diutsche lant
entstandene allgemeine Bezeichnung für das Gebiet des →Deutschen Reiches
bzw. das von Deutschen überwiegend besiedelte Gebiet.
Lit.:
Köbler, Historisches Lexikon; Gebhardt, B., Handbuch der deutschen Geschichte,
1891f., 3. A. 1906, 4. A. 1910, 5. A. 1913, 6. A. 1922f., 7. A. 1930, 8. A.
1954ff., 9. A., hg. v. Grundmann, H., 1970; Andreas, W., Deutschland vor der
Reformation, 1932; Keyser, E., Bevölkerungsgeschichte Deutschlands, 1938;
Kienast, W., Deutschland und Frankreich in der Kaiserzeit (900-1270), 1974f.;
Raumer, K. v. u. a., Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 1980; Deutschlands
Grenzen, hg. v. Demandt, A., 3. A. 1993; Haverkamp, A., Aufbruch und
Gestaltung, Deutschland 1056-1273, 1984; Moraw, P., Von offener Verfassung zu
gestalteter Verdichtung, 1985; Angermeier, H., Deutschland zwischen Reichstradition
und Nationalstaat, ZRG GA 107 (1990), 19; Nipperdey, T., Deutsche Geschichte
1866-1918, Bd. 1f. 1990ff.; Brühl, C., Deutschland – Frankreich, 1990; Baum,
W., Reichs- und Territorialgewalt, 1994; Fried, J., Der Weg in die Geschichte,
1994; Steininger, R., Deutsche Geschichte seit 1945, 1996ff.; Ritter, G., Über
Deutschland, 1998; Schulze, H., Kleine deutsche Geschichte, 1998; Staatliche
Vereinigung – fördernde und hemmende Elemente in der deutschen Geschichte, hg.
v. Brauneder, W., 1998; Reich oder Nation?, hg. v. Duchhardt, H. u. a., 1998;
Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Institut für Länderkunde, Bd.
1ff. 1999ff.; Stürmer, M., Das Jahrhundert Deutschlands, 1999; Dirlmeier, U. u.
a., Deutsche Geschichte, 1999; Laufs, A., Ein Jahrhundert wird besichtigt, JuS
2000, 1; Winkler, H., Der lange Weg nach Westen, Bd. 1f. 2000; Seibt, F., Das
alte böse Lied, 2000; Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der
Reformation bis zum ersten Weltkrieg, hg. v. Langewiesche, D. u. a., 2000;
Kielmannsegg, P. Graf, Nach der Katastrophe, 2000; Küsters, H., Der
Integrationsfriede, 2000; Green, A., Fatherlands – State Building and
Nationhood in Nineteenth Century Germany, 2001; Holste, H., Der deutsche
Bundesstaat im Wandel (1867-1933), 2001; Laufs, A., Ein Jahrhundert wird
besichtigt – Rechtsentwicklungen in Deutschland im 20. Jahrhundert, ZRG GA 118
(2001), 1; Kocka, J., Das lange 19. Jahrhundert, 2001; Köhler, H., Deutschland
auf dem Weg zu sich selbst, 2002; Fenske, H., Deutsche Geschichte, 2002; Schabert,
T., Wie Weltgeschichte gemacht wird. Frankreich und die deutsche Einheit, 2002;
Plato, A. v., Die Vereinigung Deutschlands, 2002; Lexikon der deutschen
Geschichte von 1945 bis 1990, hg. v. Behnen, M., 2002; Holste, H., Der deutsche
Bundesstaat im Wandel, 2002; Deutschland 1949-1989, hg. v. Elvert, J. u. a.,
2003; Wolfrum, E., Die Deutschen im 20. Jahrhundert, 2004; Goertz, H.,
Deutschland 1500-1648, 2004; Grigoleit, K., Bundesverfassungsgericht und
deutsche Frage, 2004; Pagenkopf, O., Die Hauptstadt in der deutschen Rechtsgeschichte,
2004; Ehmer, J., Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1800-2000,
2004; Weichlein, S., Nation und Region, 2004; Rexroth, F., Deutsche Geschichte
im Mittelalter, 2005; Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, hg. v. Schildt,
A., 2005; Book, A., Die Justizreform in der Frühzeit der Bundesrepublik, 2005;
Wolfrum, E., Die Bundesrepublik Deutschland (1949-1990), 2005; Helm, I. u. a.,
Die Geschichte Norddeutschlands, 2005; Driftmann, M., Die Bonner Deutschlandpolitik
1989/1990, 2005; Weber-Fas, R., Epochen deutscher Staatlichkeit, 2006; Kühne,
J., Zu Veränderungsmöglichkeiten der Oder-Neiße-Linie nach 1945, 2006, 2. A.
2008; Glaser, R. u. a., Geographie Deutschlands, 2007; Wagner, A., Die
Entwicklung des Lebensstandards in Deutschland zwischen 1920 und 1960, 2008; Langewiesche,
D., Reich, Nation, Föderation, 2008; Das
Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse, hg. v. Müller, S. u. a., 2009;
Rödder, A., Deutschland einig Vaterland, 2009; Uhl, M., Die Teilung Deutschlands,
2009; Gehler, M., Deutschland, 2010; Staat und Recht in Teilung und Einheit,
hg. v. Krüper, J. u. a., 2011; Müller, C., US-Truppen und Sowjetarmee in Deutschland,
2011; Mittler, G., Geschichte im Schatten der Mauer, 2011; Stangel, M., Die
Neue Linke und die nationale Frage, 2013
Deutschlandvertrag ist der das Besatzungsstatut der westlichen alliierten
Siegermächte für ihre Besatzungszonen aufhebende Vertrag der Westmächte mit der
Bundesrepublik Deutschland vom 26. 5. 1952/5. 5. 1955. Er löst die →Alliierte
Hohe Kommission auf und schreibt der Bundesrepublik Deutschland die volle
Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten
zu.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Die Rechtsstellung Deutschlands,
hg. v. Rauschning, D., 1985; Kohl, H., Ich wollte Deutschlands Einheit, 1996
Deutschösterreich ist (im 19. Jh. die inoffizielle Bezeichnung für die
deutschsprachigen Gebiete Österreich-Ungarns und danach) die am 30. Oktober
1918 (str., Staatsgründungsbeschluss) entstandene, am 12. 11. 1918 (Beschluss
über die republikanische Regierungs- und Staatsform) von der provisorischen
Nationalversammlung der deutschsprachigen Teile →Österreichs ausgerufene
Republik, die ein Bestandteil der Deutschen Republik sein und nach dem
Grundsatz der Selbstbestimmung das geschlossene Siedlungsgebiet der Deutschen
innerhalb der bisher im Reichsrat Österreichs vertretenen Königreiche und
Länder umfassen soll (einschließlich Deutschsüdmähren, Deutschsüdböhmen,
Sudetenland, Brünn, Iglau, Olmütz). Der am 10. 9. 1919 zwischen Österreich und
den alliierten Mächten geschlossene Friedensvertrag von Saint Germain-en-Laye
schließt dies auf Grund der Interessen der nichtdeutschen Mächte in Art. 88 aus
bzw. macht es von der Zustimmung des Völkerbunds abhängig. Das Deutsche Reich
anerkennt im Friedensvertrag von Versailles vom 28. 6. 1919 notwendigerweise
die Unabhängigkeit Österreichs. Mit Gesetz vom 21. 10. 1919 ändert Österreich
seinen Namen in Republik Österreich und lehnt die Rechtsnachfolge nach der
Monarchie (nochmals) ab.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 220; Baltl/Kocher;
Merkl, A., Die Verfassung der Republik Deutschösterreich, 1919; Brauneder, W.,
Eine Republik entsteht, 1999; Brauneder, W., Deutsch-Österreich 1918, 2000;
Krämer, K., Die Bestrebungen für einen Zusammenschluss zwischen Österreich und
Deutschland, Diss. phil. Hannover 2003
Deutschtirol ist
im Gegensatz zu Welschtirol der deutschsprachige Teil der verschiedensprachige
Gebiete unter einer Herrschaft zusammenfassenden Grafschaft Tirol. D. reicht
südlich bis zur Salurner Klause.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Wopfner, H., Beiträge
zur Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe Deutschtirols im Mittelalter,
1903; Stolz, O., Deutschtirol, 1910; Riedmann, J., Geschichte Tirols, 1983, 2.
A. 1988, 3. A. 2001
Devestierung ist
im kirchlichen Recht die das Gegenstück zur sichtbar gemachten Bekleidung
(Investierung oder Investitur) mit einem Amt bei dessen Übertragung bildende,
ebenfalls sichtbar gemachte Entkleidung von dem Amt bei dessen Entzug (z. B.
Papst Formosus 897, Petrus Leonis 1139, Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil
1414-1418, Alfred Dreyfus Frankreich 1894). In der Gegenwart wird die D. nicht
mehr durchgeführt.
Lit.: Kober, F., Die Deposition und Degradation, 1867
Devolution ist
der Übergang eines Rechtes von einer Person auf eine andere, insbesondere in
der Kirche der Übergang des Rechtes zur Verleihung eines Amtes auf den nächsthöheren
Oberen, wenn der an sich zuständige Berechtigte sein Recht nicht oder nicht
rechtmäßig ausübt. Die D. findet sich bereits bei Justinian. Seit dem 13. Jh.
schränkt die Kirche den Anwendungsbereich ein.
Lit.: Ebers, G., Devolutionsrecht, 1906, Neudruck 1965; Feine,
H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972, 343
Dezemberverfassung ist in →Österreich eine Gesamtheit von sechs am 21.
12. 1867 erlassenen Gesetzen (Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit,
Staatsgrundgesetz über die Reichsvertretung [Novellierung des Grundgesetzes der
Februarverfassung von 1861 mit Herrenhaus, Abgeordnetenhaus, kaiserlichem
Vetorecht und Notverordnungsrecht], Staatsgrundgesetz über die allgemeinen
Rechte der Staatsbürger [übernimmt Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit
und Gesetz zum Schutz des Hausrechts aus dem Jahr 1862], Staatsgrundsetz über
die Einsetzung eines Reichsgerichts [verfassungsgerichtliche und
verwaltungsgerichtliche Zuständigkeiten des Reichsgerichts), Staatsgrundgesetz
über die richterliche Gewalt [Trennung von Rechtspflege und Verwaltung, Unabhängigkeit
des Richters, Mündlichkeit, Öffentlichkeit, Anklageverfahren, Geschworenengerichte,
Ankündigung eines Verwaltungsgerichtshofs], Staatsgrundgesetz über die Ausübung
der Regierungs- und Vollzugsgewalt [z. B. Bindung an die Gesetze],
Delegationsgesetz über das Verhältnis zwischen der österreichischen und der
ungarischen Reichshälfte und deren Beziehung zum gemeinsamen Monarchen), die
einen Reichsrat mit Herrenhaus und Abgeordnetenhaus, Grundrechte in 19
Artikeln, ein Reichsgericht als Verfassungsgerichtshof, Trennung von Verwaltung
und Justiz u. a. vorsehen.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/VerfOeDezember1867.doc;
Köbler, DRG 194; Baltl/Kocher; Haider, B., Die Protokolle des Verfassungsausschusses
des Reichsrates von 1867, 1997
Dezennalrezess ist der zehn Jahre laufende Steuerbewilligungsbeschluss der Landstände,
den Maria Theresia seit 1749 (außer in Kärnten) in ihren Ländern politisch
erzwingt.
Dezision (F.)
Entscheidung, Urteil
Diakon (Lehnwort aus dem Griechischen, „Diener, Helfer“) ist in der Antike ein dem Bischof untergeordneter Diener
oder Gehilfe, danach eine Vorbereitungsstufe (Weihegrad) auf dem Weg zur
Priesterschaft. In der protestantischen Kirche gewinnt der D. seit dem 19.
Jh., in der katholischen Kirche seit dem zweiten Vatikanischen Konzil an
Bedeutung. Hier ist der D., der auch verheiratet sein kann, ermächtigt, viele
liturgische Handlungen selbständig vorzunehmen (ausgenommen Eucharistie und
Bußsakramenterteilung).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Feine, H., Kirchliche
Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Reynolds, R., The Ordinals of Christ, 1978;
Der Diakon, hg. v. Plöger, J. u. a., 1980; Landau, P., Officium und libertas
christiana, 1991; Will, J., Die Rechtsverhältnisse zwischen Bischof und Klerus
im Dekret des Bischofs Burchard von Woms, 1992; Handbuch Geschichte der
deutschen evangelischen Diakonie, hg. v. Kaiser, J., 2000
Dialogus (M.) de scaccario (lat.) des Schatzmeisters Richard von Ely (um 1178) ist
ein Lehrgespräch (Dialog) zwischen Lehrer und Schüler über die vom Schatzamt
(lat. [N.] scaccarium, engl. exchequer) in Finanzangelegenheiten angewandten
Rechtssätze des englischen Rechtes.
Lit.: Busz, H., Zur Entstehungsgeschichte des Scaccarium,
ZRG GA 35 (1914), 437; Richard von Ely, Dialog über das Schatzamt, übers. v.
Siegrist, M., 1963; Dialogus de Scaccario, hg. v. Carter, F. u. a., 1983
Diät ist
ursprünglich die geregelte Lebensweise oder der Aufenthaltsort. Diäten sind
seit dem 20. Jahrhundert die Entschädigung des Abgeordneten für die von ihm
für politische Arbeit aufgewandte Zeit (Gesetz des Deutschen Reiches vom 21. 5.
1906).
Lit.: Butzer, H., Diäten und
Freifahrt, 1999; Urban, N., Die Diätenfrage, 2003
Dichterkrönung ist die von 1315 (Albertino Mussato
Universität Padua) bis 1804 (Karl Reinhard) nachweisbare Ehrung von Dichtern
durch Krönung seitens der Päpste und Fürsten.
Lit.: Broadus, E., The
Laureateship, 1921; Konrad Celtis und Nürnberg, hg. v. Fuchs, F., 2004
Dictatus (M.) papae
(lat.) sind fünf im ersten und zweiten Buch des Registers der Briefe Papst
Gregors VII. als D. p. bezeichnete Stücke bzw. genauer 27 undatierte Sätze
Gregors VII. (1073-1085), die zwischen zwei Briefen vom 3. und 4. März 1075 in
das Register eingetragen sind und ohne erkennbare Ordnung Vorrang und Vorrechte
der römischen Kirche und des Papstes betonen, jedoch keine zeitgenössische Wirksamkeit
entfalten.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Caspar, E., Das Register Gregors
VII., (in) Monumenta Germaniae Historica, Epistolae selectae Bd. 2,1 1920, 201;
Hofmann, K., Der Dictatus papae, 1933; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte,
1950, 5. A. 1972; Hoffmann, H., Zum Register und zu den Briefen Papst Gregors
VII., DA 32 (1976), 86; Fuhrmann, H., Papst Gregor VII. und das Kirchenrecht,
Studi Gregoriani 13 (1898), 123
Dieb ist
der Täter des →Diebstahls.
Lit.: Blauert, A./Wiebel, E., Gauner- und Diebslisten, 2001;
Siciliano, D., Das Leben des fliehendenDiebes, 2003, 2. A: 2013
Diebstahl ist
die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in der Absicht, sich (oder einem
Dritten) dieselbe rechtswidrig zuzueignen (bzw. ganz allgemein eine Form von
Vermögensschädigung). Im altrömischen Recht hat die Sachentziehung (lat. [N.]
furtum) grundsätzlich die Leistung des Doppelten des Wertes und die Infamie zur
Folge. In der klassisch-römischrechtlichen Zeit wird der D. zunehmend
öffentlich verfolgt und mit Strafe geahndet. Justinian betont daneben den
Ausgleich mit dem Doppelten. Im Mittelalter wird zunächst der D., dessen
Kennzeichen die Heimlichkeit ist, mit einer →Buße geahndet. Mit der
Landfriedensgesetzgebung wird der große D. mit der →Todesstrafe (Hängen),
der kleine D. mit der →Leibesstrafe (Haut und Haar) bedroht, wobei die
Grenze zwischen groß und klein an unterschiedlichen Orten und zu
unterschiedlichen Zeiten verschieden gesetzt wird. Die →Constitutio
Criminalis Carolina (1532) scheidet D., Raub und Unterschlagung, doch setzt
sich dies nicht vollständig durch und werden D. und rezipiertes (lat. [N.])
futum vielfach vermengt. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jh.s wird der D.
endgültig eingeengt und die Todesstrafe für D. allmählich beseitigt. 1851 wird
in Preußen auch die Trennung von großem D. und kleinem D. aufgegeben.
Lit.: Kaser § 51 I; Söllner § 8; Kroeschell, DRG 1, 2;
Köbler, DRG 27, 48, 65, 86, 119, 158; Hälschner, H., System des preußischen
Strafrechts, 1868, 2, 388ff.; Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck
1961; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1f. 1920ff.,
Neudruck 1964; Dahm, G., Das Strafrecht Italiens im ausgehenden Mittelalter,
1931, 459ff.; Fischer, H., Der Diebstahl in den Volksrechten, 1942; Janßen, H.,
Der Diebstahl, Diss. jur. Göttingen 1969; Hagemann, H., Vom Diebstahl im
altdeutschen Recht, FS H. Krause 1975, 1; Wirtz, H., Versuch und Vollendung beim
einfachen Diebstahl in Rechtsprechung und Dogmatik der Partikularrechte, Diss.
jur. Kiel 1976; Stackmann, N., Die Rechtsprechung des preußischen
Obertribunales zum Diebstahl, Diss. jur. München 1989; Schnyder, S., Tötung und
Diebstahl, 2010
Dienst (Wort germanisch) ist die
Tätigkeit eines Menschen für einen anderen. Die Grundlage hierfür ist verschieden,
kann aber in einem →Dienstvertrag bestehen.
Lit.: Steuern, Abgaben und Dienste, hg. v. Schremmer, E.,
1994; Biographisches Handbuch des deutschen auswärtigen Dienstes 1871-1945, hg.
v. Auswärtigen Amt, Bd. 1ff. 1999ff.; Concepts and Patterns of Service in the
Later Middle Ages, hg. v. Curry, A. u. a., 2000; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Dienstadel ist
der durch Dienst für einen Herren entstehende Adel z. B. der zunächst unfreien
Dienstmannen aber auch ursprünglich Freier im ausgehenden Frühmittelalter.
Lit.: Bosl, K., Die Reichsministerialität, 1950/1; Witzel,
W., Die fuldischen Ministerialen, 1989; Derschka, H., Die Ministerialen des
Hochstiftes Konstanz, 1999; Hechberger, W., Adel im fränkisch-deutschen
Mittelalter, 2005
Dienstbarkeit (Wort 1307, Wiedergabe von Servitut) ist das
beschränkte dingliche Recht an einer Sache, das den Eigentümer in einzelnen
Beziehungen in der Benutzung der Sache oder in der Ausübung seiner Rechte zu
Gunsten eines anderen oder des Berechtigten eines anderen Sache beschränkt. In
dieser Beziehung kennt das altrömische Recht bereits (lat. [N.]) iter (Pfad),
(M.) actus (Trift), (F.) via (Weg) und (M.) aquaeductus (Wasserleitung), die
als handgreifbare Sachen (lat. [F.Pl.] res mancipi) behandelt werden. Dabei werden
eine in einem Tun bestehende D., eine D. an einer eigenen Sache und die
Ersitzung einer D. abgelehnt. Spätestens Justinian (527-565) lässt auch die Personalservitut
zu. Nach diesen römischen (F.Pl.) servitutes finden sich verschiedene beschränkte
dingliche Nutzungsrechte vor allem an Liegenschaften seit dem Hochmittelalter
auf unterschiedlicher Grundlage. Seit dem Spätmittelalter werden die römischen
Regeln über Servituten in abgeänderter Form aufgenommen. Danach kann jede
Nutzung beliebiger Art Gegenstand einer D. sein, auch ein Tun (sog.
deutschrechtliche D.). Sie kann sogar dem Eigentümer der Sache zustehen. Das
Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs (1811/1812) folgt weitgehend dem
römischen Recht.
Lit.: Kaser § 28; Hübner; Köbler, DRG 26, 125, 163;
Naendrup, H., Zur Geschichte deutscher Grunddienstbarkeiten, 1900; Birzer, B.,
Altrechtliche Dienstbarkeit in der Oberpfalz, Diss. jur. Regensburg 1998;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Dienstleistung ist die Leistung einess Dienstes für
einen anderen durch einen.
Lit.: Dienstleistungen, hg. v.
Gilomen, H. u. a., 2007
Dienstmann ist
im Mittelalter der durch Dienst allmählich in den Adel aufsteigende Unfreie.
Dies ist sowohl im Dienst des Königs (Reichsdienstmann) wie auch im Dienst
eines anderen Herrn möglich. Im 19. Jh. ist D. die Bezeichnung eines amtlich
angestellten Gepäckträgers.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Loesch, H. v., Das kürzere
Kölner Dienstmannenrecht, ZRG GA 44 (1924), 298; Haendle, O., Die Dienstmannen
Heinrichs des Löwen, 1930; Bumke, J., Studien zum Ritterbegriff, 1964, 2. A.
1977; Jendorff, A., Verwandte, Teilhaber und Dienstleute, 2003
Dienstrecht ist
das für eine Diensttätigkeit geltende Recht. Im Mittelalter gibt es für die
Dienstmannen eines Herrn verschiedentlich ein besonderes, manchmal schriftlich
niedergelegtes Recht (z. B. Limburg 1035, Bischof von Bamberg [1057-64], St.
Maximin bei Trier, Grafen von Ahr, Erzbischof von Köln [um 1154], Bischof von
Basel, Grafen von Tecklenburg), das mit dem Aufstieg der Dienstmannen in den niederen
Adel im allgemeinen Lehnrecht aufgeht. In der jüngeren Neuzeit ist unter D. vor
allem das Recht des öffentlichen d. h. staatlichen Dienstes zu verstehen.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 104; Loesch, H. v.,
Das kürzere Kölner Dienstmannenrecht, ZRG GA 44 (1924), 298; Stech, L., Die
Dienstrechte von Magdeburg und Hildesheim, Diss. jur. Göttingen 1965
Dienstvertrag (Wort 1794) ist der gegenseitige
Vertrag, in dem sich der eine Teil (Dienstverpflichteter) zur Leistung vereinbarter
Dienste irgendeiner Art, der andere Teil (Dienstberechtigter) zur Entrichtung
der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Im klassischen römischen Recht gehört
dieser Vertrag zu der Gruppe von Verhältnissen, die in dem in seiner
Vorgeschichte unklaren Konsensualkontrakt (lat.) →locatio conductio ([F.]
Hinstellung - Mitführung) zusammengefasst sind (→locatio conductio operarum,
locator ist Dienstnehmer, conductor ist Dienstgeber, grundsätzlich auf
bestimmte Zeit gegen Entgelt). Er hat deswegen nur einen geringen Anwendungsbereich,
weil die häufigen Dienste der Sklaven auf Grund des Sklavenstatus erbracht
werden und höhere Dienste (lat. artes [F.Pl.] liberales) nicht durch Entgelt
entlohnt, sondern durch Ehrengaben (lat. [N.] honorarium) anerkannt werden.
Auch im Frühmittelalter werden Dienste am ehesten auf Grund
grundherrschaftlicher Abhängigkeit oder lehnsrechtlicher Verbindung geleistet.
Diese personenrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisse werden nur in der
hochmittelalterlichen Stadt durch den D. ersetzt (Gesinde, Gesellen). In der
frühen Neuzeit werden auch höhere Dienste entgeltlich. Das 19. Jh. hebt die
personenrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisse auf, regelt den D. im
Wesentlichen römischrechtlich und erhofft sich vom freien Spiel der Kräfte den
gerechten Ausgleich (z. B. §§ 611ff. BGB). Da dieser wegen der ungleichen
Gewichtigkeit von Dienstgeber und Dienstnehmer ausbleibt, entwickelt sich der
besondere →Arbeitsvertrag für das abhängige, fremdbestimmte
Dienstverhältnis, so dass der D. sich auf wenige Anwendungsfälle beschränkt.
Lit.: Kaser § 42; Söllner §§ 10, 17; Hübner; Köbler, DRG
45, 127, 166, 215, 240, 271; Gierke, O., Die Wurzeln des Dienstvertrags, FS H.
Brunner, 1914, 37; Ebel, W., Gewerbliches Arbeitsvertragsrecht im deutschen
Mittelalter, 1934; Schmelzeisen, G., Die Arbeitsordnungen in den jüngeren
Berggesetzen, ZRG GA 72 (1955), 111; Schröder, R., Zur Arbeitsverfassung des
Spätmittelalters, 1984; Amann, P., Abgrenzung und Anwendungsbereich von Dienstvertrag,
Werkvertrag und Auftrag in der Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen
Gesetzbuchs, Diss. jur. Bielefeld 1987; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen
des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010: Stähler, M., Der freie
Dienstvertrag in der Rechtsprechung seit 1900, 2010
Diepholz
Lit.: Moormeyer, W., Die
Grafschaft Diepholz, 1938
Dies interpellat pro homine (lat., der Termin mahnt für den Menschen) ist eine Regel
des Rechtes des Verzugs, die sich für das klassische römische Recht nicht
nachweisen lässt. Nach mittelalterlichem deutschem Recht muss der Schuldner
eine Verbindlichkeit, deren Fälligkeit durch eine Zeitangabe bestimmt ist, an
diesem Zeitpunkt erfüllen. Hieraus bildet der (lat.) →usus (M.) modernus
pandectarum den Satz d. i. p. h., der jedoch nicht überall anerkannt wird. Der
Code civil (1804) lehnt ihn ab.
Lit.: Kaser § 37 II; Hübner 556ff.; Liebs, D., Lateinische
Rechtsregeln, 7. A. 2007 (Gregor IX. um 1170-1241, Dekretalen 3, 18, 4, am
Ende)
Die Tat tötet den Mann (d. h. der äußere Erfolg entscheidet, nicht die innere Einstellung).
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 315 (Simrock 1846); Schildt, B., Die Tat tötet den
Mann, ZRG GA 114 (1997), 380
Dietrich von Bern
→Theoderich
Dietrich von Bocksdorf →Bocksdorf, Dietrich von
Dietrich von Nieheim
Lit.:
Dietrich von Nieheim, Viridarium imperatorum et regum Romanorum, hg. v.
Lhotsky, A. u. a., 1956
Differentienliteratur ist die ansatzweise schon in der Spätantike vorhandene,
dann von den Glossatoren verbreitete Vergleichsliteratur zwischen den
unterschiedlichen, gleichen Gerechtigkeitsgehalt ermöglichenden Lösungen
verschiedener Rechte. Dabei wird insbesondere das römisch-weltliche Recht mit
dem kirchlichen Recht oder mit den einheimischen Partikularrechten verglichen
(z. B. Berhard Walther 1516-1584, Johann Baptist Suttinger 1662 [Consuetudines
Austriacae], Nikolaus Beckmann 1634-1689, Johann Weingärtler 1674, Benedikt
Finsterwalder).
Lit.: Köbler, DRG 143; Fontana, A., Amphitheatrum legale,
1688, Neudruck 1961, Teil III, 13; Stintzing, R., Geschichte der populären
Literatur, 1867, Neudruck 1957; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 1,345
Differenzgeschäft ist
das auf der Preisdifferenz zweier zu unterschiedlicher Zeit geschlossener
Rechtsgeschäfte beruhende Rechtsgeschäft.
Lit.: Duderstadt, D., Spiel, Wette und Differenzgeschäft
(§§ 762-764 BGB) in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, 2007
Digesten (Durchgearbeitetes)
(oder Pandekten) sind (allgemein Gesamtdarstellungen [des römischen Rechtes]
und besonders) die (9142 bzw. 9950 Fragmente) Auszüge aus (mehr als 200 von
fast 2000 noch vorhandenen) Schriften bzw. 1528 Büchern (wahrscheinlich 39)
klassischer Rechtskundiger des römischen Rechtes, die (im Umfang von
vielleicht 1000354 Wörtern) der oströmische Kaiser Justinian 530/533 unter
Beseitigung der unmittelbaren Geltung aller nicht erfassten Texte zum als Kompilation
entstandenen Gesetz erhebt (16. 12. 533 [Constitutio Tanta] bzw. 30. 12. 533).
Sie werden von einer Kommission vorbereitet, welcher der Rechtskundige und
Justizminister Tribonian vorsitzt und welcher die vier Professoren Dorotheus
und Anatolius aus Berytos (Beirut) sowie Theophilus und Cratinus aus
Konstantinopel, der magister officiorum und elf Anwälte angehören. Über die
erstaunlich rasche Arbeitsweise besteht keine völlige Klarheit, doch wird seit
Bluhme (1820) davon ausgegangen, dass die Kommission in (4) Untergruppen
einzelne Stoffmassen (Sabinusmasse aus den Kommentaren zum ius civile,
Ediktmasse aus den Ediktskommentaren, Papinianmasse aus den Werken der
Spätklassiker, Appendixmasse) vielleicht auf Grund schon vorhandener
vergleichender Literatur verwertet und dabei mehr als 2000 Schriften (mit
3000000 versus [Zeilen]) zumindest mittelbar berücksichtigt. Im Vordergrund
stehen Rechtskundige der klassischen Zeit (Ulpian [2/5], Paulus [1/5],
Papinianus, Gaius und Modestinus [zusammen 1/5]). Vermutlich sind etwa 5-7%
(bzw. 5-10%) dessen aufgenommen, was zur Zeit Justinians von den Schriften der
Rechtskundigen noch vorhanden ist. Die Reihenfolge schließt sich an das
prätorische Edikt an. Das Gesamtwerk ist in 50 Bücher (mit 432 Titeln und 150000
versus) gegliedert (Buch 1 Rechtsquellen, Bücher 2 bis 46 das Privatrecht,
Bücher 47, 48 Strafrecht, Buch 49 Appellation Buch 50 Verwaltungsrecht und
Bedeutung von Wörtern). Die sachlichen, teilweise allerdings schon vor
Justinian erfolgten Eingriffe in die Schriften werden in der Neuzeit als →Interpolationen
bezeichnet, deren Umfang streitig ist. Die wohl wegen ihrer Schwierigkeit
zwischen 603 und 1076 (erste Wiedererwähnung) im Westen kaum genannten D. sind
in (zwei) Handschriften des 6. oder frühen 7. Jh.s (907 Blätter umfassende, in
zwei Bände 1-29 und 30-50 getrennte, vermutlich in Konstantinopel/Byzanz im
6. oder frühen 7. Jahrhundert zweispaltig geschriebene, spätestens im 9. oder
10. Jh. in Italien liegende, im späteren 11. Jh. in Süditalien wiederentdeckte,
wahrscheinlich 1155 von Amalfi nach Pisa – littera Pisana –, 1406 von Pisa nach
Florenz gebrachte [Codex Florentinus] und 1553 erstmals gedruckte Handschrift)
und 11. Jh.s (verlorene, von der Florentina abhängige, aber nach einer von
dieser unabhängigen Vorlage durchkorrigierte, vielleicht in der zweiten Hälfte
des 11. Jh.s möglicherweise in Süditalien geschaffene Stammform [Codex
Secundus] der in drei Teile geteilten Vulgathandschriften) sowie drei
Fragmenten des 7./8. Jh.s und zwei Fragmenten des 9. Jh.s (insgesamt
dreigeteilt in Digestum vetus 1-24,2, Digestum infortiatum 24,3-38,2 und
Digestum novum 39-50) überliefert. Diese Quellen ermöglichen die Aufnahme
(Rezeption) der Gedankenwelt der römischen Rechtskundigen im Mittelalter.
Zitiert werden die D. nach Buch, (meist) Titel, Fragment (oder Gesetz) (lat.
[F.] lex) und Anfang (lat. [N.] principium = eigentlich Paragraph 1) bzw.
Paragraph (der zweite Abschnitt wird als § 1 gezählt) (z. B. D. 8,3,23,2,
früher [als ff.] nach Titelrubrik und Anfangsworten der Fragmente). Bekannte
Drucke stammen von 1523, 1553 Lelio Torelli in Florenz und 1583
Lit.: Kaser §§ 1, 2; Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 43;
Söllner §§ 22, 23; Kroeschell, DRG 1, 3; Köbler, DRG 50, 53, 105; Digestorum
seu pandectarum libri quinquaginta, hg. v. Haloander, G., 1529, Neudruck 2004;
Digestorum seu Pandectarum libri quinquaginta, 1553, Neudruck 2004; Digesta et
Institutiones, rec. Gebauer, G./Spangenberg, G., 1776, Neudruck 2004; Bluhme,
F., Die Ordnung der Fragmente in den Pandektentiteln, ZRG 4 (1818), 257;
Kantorowicz, H., Über die Entstehung der Digestenvulgata, ZRG RA 30 (1909),
183ff., 31 (1910), 14ff.; Schulz, F., Einführung in das Studium der Digesten,
1916; Krüger, H., Die Herstellung der Digesten Justinians, 1922; Schindler, K.,
Justinians Haltung zur Klassik, 1966; Archi, G., Giustiniano legislatore, 1970;
Honoré, T., Tribonian, 1978; Kaser, M., Ein Jahrhundert Interpolationenforschung,
SB. d. Akad. d. Wiss. Wien 1979; Digesten 1-10, übersetzt v. Behrends, O. u.
a., 1995, 11-20 1999, 21-27 2005, 28-34 2012; Lange, H., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 1 1997; Troje, H., Crisis digestorum. Studien zur historia
pandectarum, 2011; Reinoso-Barbero, F., Modus allegandi textus qui in pandectis
continentur, 2013; Martín Minguijón, A., Digesto, 2013
Digestum (N.) infortiatum (lat., gestärktes bzw. geschwächtes bzw. unter Verschluss
gehaltenes bzw. in Kraft gesetztes Durchgearbeitetes) sind die Bücher 24,3 bis
38 der Vulgatafassung der →Digesten, wobei das in D. 38, 2, 82 beginnende
Schlussstück tres partes (lat. [F.Pl.] drei Teile) heißt.
Lit.: Accursii Glossa in Digestum vetus, in Digestum
infortiatum, in Digestum novum, in Codicem, in Volumen, 1487ff.; Wouw, H. van
de, Zur Textgeschichte des Infortiatum, Ius commune 11 (1984), 231; Whitman,
J., A Note on the medival Division, TRG 59 (1991), 269
Digestum (N.) novum
(lat., neues Durchgearbeitetes) sind die Bücher 39-50 der Vulgatafassung der →Digesten.
Digestum (N.) vetus
(lat., altes Durchgearbeitetes) sind die Bücher 1-24,2 der Vulgatafassung der →Digesten.
Dijon ist
als gallorömisches Divio im 2. Jh. n. Chr. nachweisbar. 1182 erlangt es unter
den Herzögen von Burgund Stadtrecht. 1477 gelangt es an Frankreich und erhält
1737 eine Universität.
Lit.: Humbert, F., Les finances municipales de Dijon, 1961;
Didier, P., Les statuts de métier à Dijon aux 14e et 15e siècles, ZRG GA 94
(1977), 63; Histoire de Dijon, hg. v. Gras, P., 1981
Diktatur ist
im altrömischen Recht das Amt eines von einem →Konsul in einer Notlage
für eine streng befristete Zeit ernannten außerordentlichen Magistrats
(Diktators) (ohne kontrollierenden Kollegen, z. B. T. Larcius 501 v. Chr., von
Sulla und Caesar ohne zeitliche Beschränkung ausgeübt, 44 v. Chr. abgeschafft).
Im Anschluss hieran entwickeln sich verschiedene Formen unbeschränkter
Herrschaft eines Einzelnen oder einer Personengruppe. Diese D. zeigt vielfach
totalitäre Züge (z. B. unter Adolf →Hitler, Josef Stalin). Der Begriff D.
wird in der Renaissance wiederbelebt. Von 27 Mitgliedstaaten der Europäischen
Union weisen 17 Erfahrungen mit Diktaturen auf.
Lit.: Söllner §§ 6, 13; Köbler, DRG 222; Kautsky, Z., Die
Diktatur des Proletariats, 1918; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1 1972, 900;
Schmitt, C., Die Diktatur, 1928, 6. A. 1994; Arendt, H., Elemente und Ursprünge
totaler Herrschaft, 1957, 13. A. 2011; Bracher, K., Die deutsche Diktatur, 1973,
7. A. 1993; Korporativismus in den südosteuropäischen Diktaturen, hg. v.
Mazzacane, A. u. a., 2005; Diktaturüberwindung in Europa, hg. v. Hofmann, B. u.
a., 2010; Erinnerung und Gesellschaft, hg. v. Assmann, W. u. a., 2011;
Kellerhoff, S., Aus der Geschichte lernen, 2013
Dilatura (lat.
[F.], delatura, zu mlat. dilatura, F., Verzögerung, Aufschub) ist eine
besondere frühmittelalterliche Buße bei Vermögensverletzung (Weigerungsbuße?).
Lit.: Köbler, LAW; Brunner, H./Schwerin, C., Deutsche
Rechtsgeschichte, Bd. 2 2. A. 1928, § 138; Goldmann, E., Zum Problem der
dilatura, ZRG GA 53 (1932), 43
Diligentia (lat.
[F.]) ist im spätrömischen Recht die dem sorgsamen Familienvater angemessene
Sorgfalt, deren Einhaltung Schuld ausschließt, deren schuldhafte Verletzung aber
eine Nachlässigkeit bedeutet.
Lit.: Kaser § 36; Köbler, DRG 63;
Köbler, LAW
diligentia quam in suis (rebus) (lat.) (Beachtung der) Sorgfalt wie in eigenen Angelegenheiten (schließt
Verschulden etwa bei unentgeltlicher Verwahrung, Gesellschaft oder Miteigentum
aus)
Dillingen an der Donau ist von 1549/1554 bis 1804
Sitz einer Universität.
Ding (älter
thing, zu idg. *tenkos, Zeit) ist im Mittelalter und vielleicht schon vorher
die (zu einer bestimmten Zeit stattfindende) Versammlung (der erwachsenen
freien Männer ursprünglich eines Stammes, im fränkischen Reich wohl bald nur
noch kleinerer Gebiete), in der über verschiedene Angelegenheiten gesprochen
und verhandelt werden kann. Dementsprechend ist D. die wichtigste Bezeichnung
für das Gericht. Unterschieden werden dabei (bei Franken und Sachsen) echtes (ungebotenes,
an festen Zeitpunkten in einer Grafschaft alle sechs Wochen und damit an jeder
der 3 oder vier Gerichtsstätten einer Grafschaft zweimal oder dreimal im Jahr
stattfindendes) D. und (je nach Bedarf besonders) gebotenes D. Das durch die
besondere Hegung eröffnete D. wird (unter freiem Himmel auf Hügeln oder
Malbergen oder auch bei großen Bäumen oder Steinen am Tag) vom König, Grafen
oder von sonstigen (zunächst Thunginen, seit karolingischer Zeit) Richtern
geleitet. Die inhaltlichen Entscheidungen werden vom Umstand
(Dinggenossenschaft) oder besonderen Urteilern (Rachinburgen, Schöffen)
gefällt. Diese Aufgabenteilung wird auch von den kirchlichen Sendgerichten
übernommen. Dagegen erscheint seit dem 13. Jh. in der Kirche der berufsmäßige
Einzelrichter, der seit dem frühen 15. Jh. die Laienurteiler verdrängt. Im 16.
Jh. tritt dementsprechend die Verwendung von D. im Sinne von Gericht zurück,
hält sich aber in ländlichen Weistümern bis in das 18. Jh. In der
Umgangssprache bleibt D. in blasser, allgemeiner Bedeutung (Sache, Angelegenheit)
erhalten.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 85, 116; Planck,
J., Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd. 1f. 1879, Neudruck 1973;
Amira, K. v., Die Dingzeiten des Schultheißen zu Magdeburg, ZRG GA 28 (1907),
437, 29 (1908), 337; Buchwald, G., Das thüringische Hegemahl, ZRG GA 28 (1907),
444; Loening, O., Die Gerichtstermine im Magdeburger Stadtrecht, ZRG GA 30
(1909), 37; Amira, K. v., Die Dingzeiten des Schultheißen zu Magdeburg, ZRG GA
30 (1909), 310; Rietschel, S., Nochmals die Dingzeiten des Magdeburger
Schultheißen, ZRG GA 30 (1909), 313; Stölzel, A., Geding und Appellation, 1911:;Weber,
M., Wirtschaft und Gesellschaft, 1921; Kern, E., Geschichte des
Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Karg-Gasterstädt, E., Althochdeutsch Thing -
neuhochdeutsch Ding, Verh. d. Sächs. Akad. d. Wiss. 104,2, 1958; Landwehr, G.,
Urteilfragen und Urteilfinden, ZRG GA 96 (1979), 1; Weitzel, J., Über Oberhöfe,
1981; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und Recht, 1985
Dingfriede ist
der im →Ding einzuhaltende →Friede.
dinglich (Wort um 1000), das Ding oder die Sache betreffend
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Dinglicher Vertrag
ist der im 19. Jh. von Friedrich Carl von Savigny entwickelte, 1872 im
preußischen Eigentumserwerbsgesetz anerkannte, sachenrechtliche Rechtsveränderungen
betreffende Vertrag (Einigung über den Rechtsübergang oder die Rechtsentstehung
an einem Gegenstand z. B. bei Übereignung oder Verpfändung) im Gegensatz zum
schuldrechtlichen Vertrag (z. B. Kauf, Schenkung).
Lit.: Köbler, DRG 212; Felgenträger, W., Friedrich Carl von
Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre, 1927
Dingliches Recht
ist (seit dem 16. Jh., 1548, bisheriger Erstbeleg kurmärkische Ständeakten
1551) das eine Sache (körperlichen Gegenstand) betreffende, gegen jedermann
wirkende Recht (z. B. [Besitz,] Eigentum, Pfand, Dienstbarkeit[, Reallast,
Bergwerkseigentum, Erbbaurecht, früher vielleicht auch Bodenleihe, Lehen, Untereigentum])
im Gegensatz zum (persönlichen Sachenrecht bzw. zum) schuldrechtlichen. nur
im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner wirkenden Recht (z. B.
Kaufpreisforderung).
Lit.: Köbler, DRG 212; Wiegand, W., Numerus clausus der
dinglichen Rechte, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G.,
1987, 623; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Dingpflicht ist
die Anwesenheitspflicht im mittelalterlichen →Ding. In welchem Umfang
sie jeweils bestanden hat, lässt sich nicht sicher bestimmen. Jedenfalls
verringert Karl der Große in seiner zwischen 770 und 780 vorgenommenen Reform
ihren Umfang auf jährlich drei Dinge und sind verfolgte Fälle ihrer Verletzung
nicht bekannt.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Weitzel, J., Dinggenossenschaft
und Recht, 1985
Dinus de Rossonis Mugellanus ist ein bei Florenz um
1250 geborener Jurist in Bologna (commentaria, additiones, glossae contrariae,
tractatus z. B. de successionibus ab intestato, de modis arguendi, ordo
iudiciorum, erste erhaltene umfangreiche – 53 – Sammlung von consilia).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 445
Dionysius Exiguus
(Skythien um 475?-Rom um 545) ist ein skythischer Mönch, der in Rom nach dem
21. 11. 496 als Übersetzer griechische Kultur dem lateinischen Westen
vermittelt und eine klar geordnete lateinische Sammlung der griechischen
Quellen des Kirchenrechts (lat. [M.Pl.] canones) und der Konzilsakten (lat.
[N.Pl.] decreta) herstellt ([lat.] Liber [M.] canonum und Liber decretorum).
Seine vielfach abgeänderte Sammlung ist durch zahlreiche Handschriften
überliefert. 774 überreicht Papst Hadrian Karl dem Großen die sog.
Dionysio-Hadriana. Bei der Übernahme der alexandrinischen Berechnung des
Osterdatums führt D. E. (nach Eusebius von Caesarea) die Jahreszählung von
Christi Geburt an (um 5 bzw. 4 Jahre zu spät) ein.
Lit.: Köbler, DRG 53, 80; Strewe, A., Die Canones-Sammlung
des Dionysius Exiguus, 1931; Wurm, H., Studien und Texte zur Dekretalensammlung
des Dionysius Exiguus, 1939; Peitz, W., Dionysius Exiguus als Kanonist, 1945; Feine,
H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Mordek, H., Kirchenrecht
und Reform, 1975
Diözese (F.) Amtsgebiet eines Bischofs (der katholischen Kirche)
Diplom (lat.
[N.] diploma, Verdoppeltes) ist im römischen Altertum zunächst die durch Falten
doppelt gelegte Urkunde, danach die vom Senat, einem höheren Magistrat oder vom
Kaiser ausgestellte Urkunde. Das Mittelalter nennt Urkunden (lat.) charta,
instrumentum, litterae, pagina, testamentum u. s. w. Seit dem 17. Jh. (Jean Mabillon
1632-1707) ist D. die Herrscherurkunde, die nach dem Ausstellerwillen dauernde
Rechtskraft haben soll. In der Gegenwart ist D. der Abschluss einer höheren
Ausbildung und die darüber erteilte Urkunde.
Lit.: Monumenta Germaniae Historiaca, Diplomata; Erben, W.,
Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters, 1907, 181, 238; Classen, W.,
Kaiserreskript und Königsurkunde, 1977; Kölzer, D., Merowingerstudien, Bd. 1f.
1998f.
Diplomat ist der (durch Diplom ausgewiesene,
geschickt handelnde) Vertreter des Staates in politischen Angelegenheiten.
Lit.: Le diplomate au travail, hg.
v. Babel, R., 2005; Wohlan, M., Das
diplomatische Protokoll im Wandel, 2013
Diplomatik ([im
17. Jh. entwickelte] Urkundenlehre [zwecks Unterscheidung echter und
gefälschter Urkunden an Hand äußerer und innerer Merkmale]) →Diplom,
Urkunde
Lit.:
Mabillon, J., De re diplomatica, 1681; Bresslau, H., Handbuch der
Urkundenlehre, 1889, 2. A. 1912ff.; Rosenmund, R., Die Fortschritte der
Diplomatik seit Mabillon, 1897; Diplomatik im 21. Jahrhundert, A. f. Diplomatik
52 (2006), 233; Digitale Diplomatik, hg. v. Vogeler, G., 2009
Diplomjurist ist in
der Gegenwart der seine wissenschaftliche Berufsvorbildung mit einem Diplom
abschließende Jurist (z. B. in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik,
an Fachhochschulen oder seit 2001 auch an einigen juristischen Fakultäten der
Bundesrepublik Deutschland).
Lit.:
Kutschke, T., Diplom-Jurist für jedermann, JuS 2003, 205
Diplovatacio,
Tommaso (Korfu 25. 5. 1468-Pesaro 29. 5. 1541) verfasst nach dem Studium in
Salerno, Neapel, Padua (Jason de Mayno), Perugia und Ferrara (1490) bis 1511
einen unvollständig geschriebenen (lat.) Tractatus (M.) de praestantia doctorum
(Abhandlung über den Vorrang der Doktoren), in dem er die bedeutendsten
Rechtskundigen des Altertums und Juristen des Mittelalters beschreibt (De
claris iuris consultis).
Lit.: Juristen, hg. v. Stolleis, M.,
1995, 172
Directorium (N.) in publicis et cameralibus ist die nach Vorstufen (seit 1744 Repräsentationen und Kammern, 1748 dem
Herrscher unmittelbar unterstellt) 1749 unter Maria Theresia für Österreich
geschaffenene Behörde, in der unter Ausschluss der Stände die innere Verwaltung
und die Finanzverwaltung für alle Erbländer vereinigt werden. Zugleich werden
die Hofkanzleien aufgelöst und ihre verbliebenen Zuständigkeiten der obersten
Justizstelle übertragen. 1761 wird das D. zerschlagen (z. B.
Verwaltungsrechtspflege an oberste Justizstelle, Anderes an
Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei), von 1792 bis 1797 unter anderem Namen
nochmals kurzfristig hergestellt.
Lit.:
Walter, F., Die österreichische Zentralverwltung, 1938
direkt, Adj., unmittelbar (z. B. direkte, ohne abgeordnete, repräsentierende
Organe bestehende Demokratie)
Dispens (M. bzw. auch F., zu lat. [F.] dispensatio,
Abwiegen, Zuteilen) ist die Befreiung,
insbesondere im katholischen Kirchenrecht die durch die zuständige Autorität
auf Grund Billigkeit erteilte Befreiung von der Geltung eines Rechtssatzes im
begründeten Sonderfall.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Hove, A. van, De privilegiis et
dispensationibus, 1939; Bindschedler, U., Die Dispensation, 1958; Mussgnug,
R., Der Dispens von gesetzlichen Vorschriften, 1964; Erler, A., Kirchenrecht,
5. A. 1983; Schmugge, L., Kirche, Kinder, Karrieren, 1995; May, G., Die
Auseinandersetzungen zwischen den Mainzer Erzbischöfen und dem Heiligen Stuhl
um die Dispensbefugnis im 18. Jahrhundert, 2007
Dispensehe ist
die auf Grund eines (evtl. weltlichen) Dispenses von einem kirchenrechtlichen
Ehehindernis (z. B. bestehende Ehe) geschlossene Ehe (z. B. seit 1919 Dispense
einzelner sozialistischer Länderregierungen österreichischer Bundesländer
[z. B. Niederösterreich] vom Ehehindernis der bestehenden unauflöslichen Ehe,
woraufhin bis 1938 mehr als 50000 Dispensehen entstehen).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.
Dispositio (lat.
[F.]) Anordnung, Verfügung
Dispositio (F.) Achillea (lat., achillische Verfügung) ist die Verfügung bzw. das
Hausgesetz (str.) des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg (1414-1486)
vom 24. 2. 1473, das nur noch höchstens drei regierende Linien (Brandenburg,
Franken, Obergebirg um Kulmbach) zulässt und 1791 zum Rückfall der Fürstentümer
Ansbach und Bayreuth an die Hauptlinie Preußen der Hohenzollern führt.
Lit.: Schulze, H., Die Hausgesetze der regierenden
deutschen Fürstentümer, Bd. 3 1883; Caemmerer, H. v., Die Testamente der
Kurfürsten von Brandenburg, 1915; Ulshöfer, W., Das Hausrecht der Grafen von
Zollern, 1969
Dispositionsmaxime ist der Grundsatz der Verfügungsfreiheit der Parteien im
Zivilprozess. Die D. stammt aus dem kirchlichen Prozessrecht, aus dem sie in
den Prozess vor dem Reichskammergericht übergeht.
Lit.: Eisenhardt, U., Deutsche Rechtsgeschichte, 4. A.
2004; Damrau, J., Die Entwicklung einzelner Prozessmaximen, 1975
Disputation (F.)
Erörterung
Lit.: Horn, E., Disputationen und Promotionen an den
deutschen Universitäten, 1893; Mommsen, K., Katalog der Basler juristischen
Disputationen 1558-1818, hg. v. Kundert, W., 1978; Katalog der Helmstedter
juristischen Disputationen, Programme und Reden, hg. v. Kundert, W., 1984; Die
Kunst der Disputation, hg. v. Bellomo, M., 1997; Ahsmann, M., Collegium und
Kolleg, 1998; Leinsle, U., Dilinganae Disputationes, 2006
disseisin (mengl.)
Besitzentzug →novel disseisin
Dissens ist
die fehlende Übereinstimmung zweier Willenserklärungen bei einem Vertragsschluss.
Schon im klassischen römischen Recht kommt dabei ein Vertrag dann nicht
zustande, wenn der Vertragsinhalt mehrdeutig ist oder wenn er zwar eindeutig
ist, aber ein Teil ihn nachweislich einseitig missdeutet hat. Zwischen Irrtum
und D. wird dann dabei auch im älteren gemeinen Recht nicht unterschieden.
Lit.: Kaser § 8 II; Hübner; Wesenberg, G./Wesener, G., Neue
deutsche Privatrechtsgeschichte, 4. A. 1985 § 18; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.
Dissertation ist
die wissenschaftliche Erörterung einer Frage, die seit dem Mittelalter
Prüfungsverfahren wissenschaftlicher Befähigung wird. Die Zahl juristischer
Dissertationen in Deutschland hzw. im Heiligen römischen Reich steigt dabei im
17./18. Jh. auf durchschnittlich mindestens 500 im Jahr (120000 zwischen 1600
und 1800 nachweisbar, abzüglich Doubletten u. s. w. möglicherweise 40000, davon rund 40 %
Zivilrecht, 20 % Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 15 % Verfahrensrecht,
5 % Strafrecht, 5 % Lehnrecht, 3% Kirchenrecht, 12 % Gemischtes,
Grundherrschaft, Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtsquellen). Später
nimmt sie infolge der Einführung der Staatsprüfung im Verhältnis zur Zahl der
Studierenden ab. Vermutlich wirkt sich auch die Entstehung juristischer Fachzeitschriften
nachteilig aus, weil die Professoren damit neue Veröffentlichungsmöglichkeiten
erlangen. Am Ende des 20. Jh.s gewinnt sie wegen der schwierigen
Arbeitsmarktlage für Juristen wieder an Bedeutung (fast 2000 pro Jahr).
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 143; Horn, E., Die
Disputationen und Promotionen an den deutschen Universitäten, 1893, Neudruck
1968; Bibliographisches Verzeichnis von Universitäts- und Hochschuldrucken,
hg. v. Wickert, K., Bd. 1ff. 1936ff.; Schubart-Fikentscher, G., Untersuchungen
zur Autorschaft von Dissertationen im Zeitalter der Aufklärung, 1970;
Dissertationen in Wissenschaft und Bibliotheken, hg. v. Jung, R. u. a., 1979;
Juristische Dissertationen deutscher Universitäten 17.-18. Jahrhundert,
zusammengestellt von Ranieri, F., 1986; Katalog juristischer Dissertationen,
hg. v. Tsuno, R., 1988; Härter, K., Ius publicum und Reichsrecht in den
juristischen Dissertationen mitteleuropäischer Universitäten der frühen
Neuzeit (in) Science politique et droit public dans les facultés de droit
européennes, hg. v. Krynen, J. u. a., 2008, 485
Distinktion (F.)
(Unterscheidung, Aufteilung, Unterschied, Auszeichnung) ist die schon der
Antike bekannte, als Ergebnis eines Aneignungsvorgangs antiker Bildung in
Nutzung von Kenntnissen des Triviums im 12. Jh. zum Kennzeichen der
Wissenschaften, insbesondere der Kanonistik, werdende Untersuchungsweise.
Lit.: Söllner §§ 3, 16; Lange H., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 1 1997; Meyer, C., Die Distinktionstechnik in der Kanonistik
des 12. Jahrhunderts, 2000
Disziplinarverfahren ist das außerstrafrechtliche Verfahren bei fehlerhaftem
Verhalten eines Beamten(, Soldaten, Klerikers, Studenten, Schülers oder
Vereinsmitglieds). Es wird im 19. Jh. vom Strafrecht geschieden (Preußen 1841).
1850 sieht die Verfassung Preußens bei D. in der Justiz eine gerichtliche
Entscheidung vor, seit 1873 können auch D. gegen andere Beamte des deutschen Reiches
disziplinargerichtlich überprüft werden. Die Disziplinarmaßnahmen reichen vom
Verweis bis zur Entfernung aus dem Dienst. Deswegen muss das Verfahren rechtsstaatlichen
Anforderungen genügen und darf nicht von Rechtsbrechern zur Unterdrückung der
Aufdeckung ihrer Missstände missbraucht werden. Das 1967 errichtete
Bundesdisziplinargericht Deutschlands in Frankfurt am Main ist unter
Übertragung seiner Aufgaben auf die Verwaltungsgerichte der Länder zum 31. 12.
2003 wieder aufgelöst.
Lit.: Wunder, B., Privilegierung und Disziplinierung, 1978
Dithmarschen ist die zwischen Nordsee, Elbemündung
und Eidermündung gelegene Landschaft, deren Recht erstmals 1447 nach einer
Landesversammlung aus dem Gewohnheitsrecht (mit Wergeldern, ohne Strafen für
Tötungen) aufgezeichnet, 1483 gedruckt und 1539 revidiert sowie 1567
wissenschaftlich gefasst wird (Dithmarscher Landrecht).
Lit.: Sammlung altdithmarscher
Rechtsquellen, hg. v. Michelsen, A., 1842, Neudruck 1969; Hoppe, J., Das
Strafensystem des Dithmarscher Rechts im Mittelalter, 1933; Boie, K., Die
mittelalterlichen Geschlechter Dithmarschens, 1937; Carstens, C., Bündnispolitik
und Verfassungsentwicklung in Dithmarschen, Zeitschrift der Gesellschaft für
schleswig-holsteinsche Geschichte 66 (1938), 1; Carstens, W., Geschlecht und
Beweisrecht in den Dithmarscher Landrechten, Zs. d. Gesellschaft f.
schleswig-holsteinische Geschichte 60 (1941), 1; Stoob, H., Die dithmarsischen
Geschlechterverbände, 1951; Das Dithmarscher Landrecht, hg. v. Eckhardt, K.,
1960; Eickmeyer, G., Das Strafverfahren in Dithmarschen von 1447 bis 1559,
1963; Witt, R., Die Privilegien der Landschaft Norderdithmarschen, 1975;
Alberts, K., Friede und Friedlosigkeit nach den Dithmarscher Landrechten von
1447 und 1539, 1978; Eggers, P., Das Prozessrecht nach dem Dithmarscher
Landrecht von 1567, 1986
Divisio regnorum (lat. [F.] Teilung der Reiche) ist
die in Diedenhofen am 6. 2. 806 auf einem Reichstag festgelegte, in vier
Handschriften und einem Erstdruck überlieferte Nachfolgeordnung Karls des
Großen für seine drei ehelichen Söhne, die infolge des Todes Pippins (810) und
des ältesten Sohns Karl (811) keine unmittelbare Wirkung entfaltet.
Lit.: Capitularia, hg. v.
Boretius, A. u. a., Bd. 1 1883, 126; Schieffer, R., Die Karolinger, 1992
Divortium (lat.
[N.]) ist die im altrömischen Recht noch nicht rechtlich geregelte Scheidung
der Ehe, für die der Wille des Mannes oder beider Eheleute (die Ehe zu beenden)
und ein dies begründender Anlass (z. B. Ehebruch der Frau, Kinderlosigkeit)
bestehen muss. →Ehescheidung
Lit.: Kaser § 58; Köbler, DRG 22
Doctor (lat.
[M.]) ist seit dem 12. Jh. der auch als (lat. [M.]) magister oder professor
bezeichnete Lehrer, insbesondere der wissenschaftlich gebildete Lehrer an der
Universität (z. B. quattuor doctores 1158). Im Recht ist der d. dabei meist
doctor legum (Lehrer des weltlichen Rechtes) oder doctor decretalium (Lehrer
des kirchlichen Rechtes). Seit dem späten 13. Jh. erscheint in Orléans und
Italien der doctor utriusque iuris (Doktor beider Rechte d. h. des →ius
civile und des →ius canonicum). Der Titel folgt auf das Lizentiat und
wird in einer kostspieligen Feier verliehen. Der Grad berechtigt grundsätzlich
zum Abhalten von Lehrveranstaltungen und sichert gesellschaftliche
Wertschätzung. Am Ende des Mittelalters gerät er in Verfall. Seit dem 18./19.
Jh. wird deswegen die Habilitation als Voraussetzung der Lehrbefugnis
entwickelt, deren regelmäßige Notwendigkeit am Beginn des 21. Jh. gesetzlich
beseitigt wird. Zwischen 1933 und 1945 wird im Deutschen Reich in rund 2000
Fällen der Doktorgrad aberkannt (davon etwa 70 Prozent jüdische oder jüdisch
versippte Emigranten, häufig aber auch wegen Straftaten, in München nur wenige
Juristen).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, LAW; Handbuch der Quellen
und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing,
H., Bd. 1 1973; Fischer, A., Das österreichische Doktorat der
Rechtswissenschaften und die Rechtsanwaltschaft, 1974; Horn, N., Bologneser
Doctores und Judices, ZHF 3 (1976); Lange, H., Vom Adel des doctor, (in) Das
Profil des Juristen, 1980, 279; Lemberg, M., … eines deutschen akademischen
Grades unwürdig, 2002; Harrecker, S., Degradierte Doktoren, 2007; Lange,
H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 65
doctor (M.) iuris
(lat.) →Rechtsgelehrter
doctor (M.) iuris utriusque (lat.) Doktor beider Rechte
doctor (M.) legum
(lat.) Doktor des weltlichen Rechtes
Dogma (N.)
Lehrsatz, Lehrmeinung, Grundsatz
Lit.: Parent, J., La notion de dogme, 1932; Piano-Mortari,
V., Dogmatica e interpretazione, 1976; Herberger, M., Dogmatik, 1981;
Dogmatisierungsprozesse in Recht und Religion, hg. v. Essen, G. u. a., 2011
Doktor →doctor
Doktorgrad →doctor
Doktrin (F.)
Lehre, Festlegung
Dolmen (zu bret. tol, Tisch, men, Stein) ist die Bezeichnung
für das in Europa zwischen 4000 v. Chr. und dem Frühmittelalter nachweisbare,
bis zu 168 Meter lange, mittels Steinen gebildete Grab.
Lit.: Körn, W., Megalithkulturen,
2005
Dolo facit, qui petit, quod restiturus est bzw. quod restituere oportet eundem (lat.). Arglistig
handelt, wer fordert, was er demnächst zurückgibt bzw. was er selbst
zurückerstatten muss.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Paulus, um 160-um 230, Digesten 44, 4, 8, pr.)
Dolus (lat.
[M.]) ist im römischen Recht die Arglist, nach Anerkennung einer Haftung für
fahrlässiges Verhalten der →Vorsatz, dolus malus. Das durch Arglist
herbeigeführte oder beeinflusste Rechtsgeschäft ist zwar an sich gültig. Auf
Anregung des Rechtskundigen Gaius Aquilius Gallus gibt der Prätor im 1. Jh. v.
Chr. aber dem, der durch Arglist beeinträchtigt ist, dann, wenn keine andere
Klage gegeben ist, einen Klaganspruch (lat. actio [F.] de dolo) auf den
einfachen Schadensbetrag. Gegenüber einer möglichen Verpflichtung (stricti
iuris) kann der Verpflichtete eine Einrede erheben (lat. exceptio [F.] doli).
Lit.: Kaser §§ 8 V, 33, 36, 37; Söllner §§ 9, 15; Köbler,
DRG 42f., 61, 63, 65; Köbler, LAW
Dom (zu lat. [F.] domus, Haus) ist meist die
Hauptkirche des Bistums.
Lit.: Schieffer, R., Die
Entstehung von Domkapiteln, 1976
Domäne (im 16./17. Jh. aus dem Französischen
aufgenommen) ist in der Spätantike das
kaiserliche Grundeigentum. Die D. ist Vermögen des Kaisers und geht auf den
jeweiligen Nachfolger über. Sie wird getrennt von den Staatseinkünften (vom
(lat. M.] comes rerum privatarum) verwaltet. Mit dem Untergang des
weströmischen Kaisertums fällt die D. vor allem im Herrschaftsbereich der
Franken an den König (→Königsgut). Infolge umfangreicher Vergabungen
gelangt dieses Gut bis zum 13. Jh. in großem Ausmaß an die Landesherren. In
Preußen umfassen die Domänen dabei schließlich etwa ein Drittel des Landes. In
Hessen -Kassel bzw. Kurhessen versorgen die etwa 300 zwischen 1600 und 1866
nachweisbaren Domänen den Hof mit Lebensmitteln, sichern die Mitglieder des
Fürstenhauses wirtschaftlich ab und dienen der fürstlichen Agrarpolitik ebenso
wie der Finanzierung lokaler und
zentraler Behörden. Seit dem 18. Jh. wird im Land das Staatsgut vom fürstlichen
Hausgut getrennt, wobei die Domänen überwiegend dem Staatsgut und nur in
geringerem Maß dem Hausgut zugeteilt werden, der Landesherr aber die Nutzungen
der D. als Einkunft erhält. Der Höhe nach betragen die Einkünfte dabei fast die
Hälfte der gesamten Staatseinkünfte. Im 19. Jh. erlangen vor allem die
deutschen Fürstentümer Rechtspersönlichkeit, die staatliches Domäneneigentum
kennen. In den Fürstentümern ohne staatliches Domäneneigentum haben die Stände
das Steuerbewilligungsrecht und gelegentlich bereits vor 1848 ein
Ausgabenbewilligungsrecht hinsichtlich der aus Steuern zu tätigenden Ausgaben
im Gegensatz zu den Ausgaben der fürstlichen Kammer. Seit dem Ende der
Monarchie (Deutschland 1918) fließen die Einkünfte aus den Domänen dem Staat
zu. 1945 werden in der sowjetischen Besatzungszone die Domänen fast ganz
aufgeteilt. In der Bundesrepublik Deutschland (vor allem in Niedersachsen)
umfassen sie nur noch weniger als 0,5 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Wendt, E., Die staatliche
Selbstbewirtschaftung von Domänen, 1925; Corsten, S., Das Domanialgut im Amt
Heinsberg, 1953; Abel, W., Geschichte der deutschen Landwirtschaft, 1962;
Hoffmann, R., Die Domänenfrage in Thüringen, 2006; Klein, W., Die Domänenfrage
im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts, 2007; Ebert, J.,
Domänengüte4r im Fürstenstaat, 2013
Domat, Jean
(Clermont-Ferrand 30. 11. 1625-Paris 14. 3. 1696), Notarssohn, wird nach dem
Rechtsstudium in Bourges 1645 Anwalt, 1655 Kronanwalt und 1683 Privatgelehrter.
Sein 1689 veröffentlichtes, →Grotius verpflichtetes Hauptwerk ([franz.]
Les lois civiles dans leur ordre naturel, Die weltlichen Gesetze in ihrer
natürlichen Ordnung) ordnet das römische Recht und das dieses ergänzende
französische Recht in der Art eines Lehrbuchs des Naturrechts nach den
grundlegenden Sätzen D. verselbständigt das Erbrecht innerhalb des Sachenrechts
und verwendet erstmals den Ausdruck ésprit des lois.
Lit.: Voeltzel, R., Jean Domat (1625-1696), 1936; Baudelot,
B., Un grand jurisconsulte du 17e siècle, 1938
Domesdaybook ist
eine zweibändige, unvollständige Landesaufnahme Englands (Bd. 1 31
Grafschaften, Bd. 2 Essex, Norfolk, Suffolk) auf der Grundlage von Angaben der
Grundstücksberechtigten von 1066 und 1086. Das D. dient dem König als Grundlage
seiner Herrschaft. Von 596 im D. genannten Familien sind im Jahre 1166 noch
437 in den Cartae baronum erwähnt.
Lit.: Maitland, F., Domesday Book and Beyond, 2. A. 1907;
Galbraith, V., The Making of Domesday Book, 1961; Darby, H., Domesday England,
1978; Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3.
A. 1990, 4. A. 2002; Domesday names, compiled by Keats-Rohan, K. u. a., 1997;
Fleming, R., Domesday Book and the Law, 1998; Keats-Rohan, K., Domesday People,
1999; Roffe, D., Domesday, 2000; Keats-Rohan, K., Domesday Descendants, 2002;
Roffe, D., Decoding Domesday, 2007
Dominat ist
(nach Mommsen) die vom Kaiser als absolutem Herrn und Gott (lat. [M.] dominus
et deus) bestimmte Herrschaftsform der römischen Spätantike seit Diokletian
(284-313/316).
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Söllner § 19; Köbler, DRG
55; Bleicken, J., Prinzipat und Dominat, 1978
Dominikalland (N.) Herrenland, vom Grundherrn selbst bewirtschaftetes Land
Lit.:
Feigl, H., Die niederösterreichische Grundherrschaft, 1964, 2. A. 1998
Dominikaner ist
(seit dem 15. Jh.) der Angehörige des von dem Spanier Dominikus (Caleruega nach
1170-Bologna 1221, aus dem Geschlecht der Guzmán) in Toulouse 1215 begründeten,
am 22. 12. 1216 vom Papst unter seinen Schutz gestellten (Bettel-)Ordens (lat.
[M.] ordo praedicatorum, in Frankreich Jakobinerorden) der Prediger, dem von
Papst Gregor IX. 1232 die Inquisition übertragen wird und dem 1990 677 Klöster
mit 6775 Mitgliedern bzw. 226 Dominikanerinnenklöster mit 4225 Schwestern
(2004 626 Klöster, 6262 Mitglieder, 227 Frauenköster, 3488 Mitglieder)
angehören.
Lit.: Altaner, B., Der heilige Dominikus, 1922; Walz, A.,
Wahrheitskünder, 1960; Hinnebusch, W., The History of the Dominican Order, 1966ff.;
Hertz, A., Domenikus und die Dominikaner, 1981; Vicaire, M., Histoire de Saint
Dominique, 1982; Springer, K., Die deutschen Dominikaner in Widerstand und
Anpassung, 1999; Mönchtum, Orden, Klöster, hg. v. Schwaiger, G., 2003, 156
Dominium (lat.
[N.]) ist im römischen Recht (wie proprietas) das Eigentum, wobei das (lat.) d.
ex iure Quiritium (quiritisches Eigentum) römischen Bürgern vorbehalten und nur
an beweglichen Sachen und italischen Grundstücken möglich ist (d. dormiens,
ruhendes Eigentum z. B. an einem fremden Balken während des Bestands des ihn
aufnehmenden Gebäudes). Nach Ernst Levy verfällt dieses klassische d. in der
Spätantike, doch ist diese Ansicht inzwischen wieder streitig geworden. Im
Mittelalter bezeichnet d. (ahd. giwaltida, herskaf, hertuom) die Herrschaft
(oder Gewalt über ein Gebiet einerseits und die Herrschaft über einzelne Sachen
andererseits). Zugleich wird von Italien ausgehend ein (lat.) d. directum
(Obereigentum z. B. des Lehnsherrn) von einem d. utile (Untereigentum z. B. des
Lehnsmanns) geschieden. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes dringen
römischrechtliche Vorstellungen durch und werden insbesondere gewisse ältere
Bindungen des Eigentums (z. B. gegenüber Erben oder Nachbarn) aufgegeben und
D., beschränkte dingliche Rechte sowie Besitz von einander klar geschieden,
wird freilich im 20. Jh. das Eigentum auch wieder einer sozialen Bindung
unterworfen.
Lit.: Kaser § 22 II; Hübner 241ff.; Köbler, LAW; Schmidt,
C., Der prinzipielle Unterschied zwischen dem römischen und germanischen Recht,
Bd. 1 1853, 223; Lautz, K., Entwicklungsgeschichte des dominium utile, Diss.
jur. Göttingen 1916; Brunner, O., Land und Herrschaft, 5. A. 1965; Willoweit,
D., Dominium und proprietas, Hist. Jb. 94 (1974), 131; Köbler, G., Eigen und
Eigentum, ZRG GA 95 (1978), 1; Mayer-Maly, T., Das Eigentumsverständnis der
Gegenwart, FS H. Hübner, 1984, 145; Kriechbaum, M., Actio, ius und dominium in
den Rechtslehren des 13. und 14. Jahrhunderts, 1996; Diestelkamp, B., Frühe
urkundliche Zeugnisse für dominium directum und dominium utile im 13.
Jahrhundert, (in) Grundlagen des Rechts = FS P. Landau, 2000, 391ff.;
Vandendriessche, S., Possessio und Dominium im postklassischen römischen
Recht, 2006
dominium (N.) directum (lat.) Obereigentum →dominium, Eigentum
dominium (N.) plurium in solidum (lat.) Gesamteigentum →Miteigentum
dominium (N.) utile
(lat.) (vielleicht erstmals bei Johannes Bassianus am Ende des 12. Jh.s belegt,
1204 Bischof Huguccio von Ferrara) Nutzungseigentum →dominium, Eigentum
dominus (lat. [M.]) Herr (über jemanden oder
etwas), Eigentümer
dominus (M.) terrae (lat.) →Landesherr
Dominus imperator in territorio suo (lat.). Der Landesherr ist Kaiser in seinem Land.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007 (Eyben
1660)
Domkapitel (Wort neuzeitlich) ist das seit der zweiten Hälfte des 8. Jh.s aus dem verpflichtend
werdenden gemeinschaftlichen klösterlichen Leben der Geistlichen einer
Domkirche erwachsene, seit der Mitte des 9. Jh.s gegenüber dem Bischof autonom
werdende Gremium von Geistlichen, das den Bischof unterstützt und nach seinem
Tod das Bistum vorübergehend verwaltet und den neuen Bischöf wählt (lat. [N.]
capitulum [10. Jh.] in domo episcopi). Es erlangt seit dem 9. Jh. Güter (z. B.
Bamberg 1007) und wird im Hochmittelalter Verbandsperson. Es enthält eine Reihe
von Ämtern (Dompropst, Domdekan, Domscholaster, Kantor, Kustos). Der Sicherung
des Unterhalts dient das in Pfründen geteilte Kapitelsgut. Das D. steht bis in
das 19. Jh. grundsätzlich nur Adligen offen. In den Hochstiften erlangen die D.
vielfach die Stellung von Landständen. Die Säkularisation von 1802/1803
bewirkt einen deutlichen Einschnitt. Danach wird das D. zu einem kirchlichen,
vom Staat dotierten Gremium mit geringeren Rechten und Aufgaben, wobei das
Erfordernis des Adels abgeschafft wird. Nach dem geltenden Kirchenrecht haben
die D. der Diözesen Deutschlands, Salzburgs, Churs, Sankt Gallens und Basels
gegenüber dem Bischofsernennungsrecht des Papstes ein Beteiligungsrecht.
Lit.: Gehring, G., Die katholischen Domkapitel Deutschlands
als juristische Personen, 1851; Kisky, W., Die Domkapitel der geistlichen
Kurfürsten, 1906; Heckel, J., Die evangelischen Dom- und Kollegiatstifter
Preußens, 1924, Neudruck 1964; Hofmeister, P., Bischof und Domkapitel, 1931; Feine,
H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Trippen, N., Das Domkapitel
und die Erzbischofswahlen in Köln, 1972; Schieffer, R., Die Entstehung von
Domkapiteln in Deutschland, 1976; Hersche, P., Die deutschen Domkapitel im 17.
und 18. Jahrhundert, Bd. 1ff. 1984; Maier, K., Das Domkapitel von Konstanz,
1990; Haas, R., Domkapitel und Bischofsstuhlbesetzungen in Münster 1813-1846,
1991; Jüsten, E., Das Domkapitel nach dem Codex Iuris Canonici von 1983, 1993;
Miele, M., Sui capitoli cattedrali in Italia, 1999; Burkhard, D., Staatskirche,
Papstkirche, Bischofskirche, 2000
Domscholaster (M.) Leiter der Domschule (seit 816,
seit der Neuzeit allmählich, z. B. Österrreich 1787, aufgegeben)
Donatio (lat.
[F.] →Schenkung) ist im römischen Recht die unentgeltliche Zuwendung
oder Gabe. Sie ist zunächst nur ein Rechtsgrund, der einen Zuwendungsvorgang
rechtfertigt. Erst unter Kaiser Konstantin (337-361) wird die d. zu einem
eigenen Geschäft. Besondere Fälle sind die d. mortis causa (Schenkung von Todes
wegen), die d. post obitum (Gabe nach dem Tod), die d. propter nuptias (Ehegabe,
Widerlage) und die d. reservato usufructu (Gabe unter Vorbehalt eines
Nutzungsrechts).
Lit.: Kaser § 47; Köbler, DRG 41, 37; Köbler, LAW; Cappon,
C., Eine donatio post obitum mit Treuhändern – die Schenkung von Dietrich von
Ulft zugunsten des Klosters Camp (um 1138), ZRG GA 112 (1995), 245; Gade, G.,
Donationes inter virum et uxorem, 2001
Donau ist der auf fast 3000 Kilometern vom Schwarzwald
zum Schwarzen Meer fließende Fluss, der für die Römer einen Teil ihrer
Nordgrenze bildet und seit dem 19. Jh. zunehmend europäischen Rechtsregeln
(Pariser Friede 1856, internationale Donaukommission 1922, NAIDES-Aktionsprogramm
der Europäischen Kommission) unterworfen ist.
Lit.: Wegener, W., Die
internationale Donau, 1951; Neweklowsky, E., Die Schifffahrt und Flößerei im
Raume der oberen Donau, 1952ff.; Weithmann, M., Die Donau, 2000
Donaumonarchie (F.) die dem Einzugsbereich der Donau weitgehend entsprechende Monarchie
Österreich-Ungarn
Doneau (Donellus),
Hugo (Chalons-sur-Saône 23. 12. 1527-Altdorf 4. 5. 1591), aus patrizischer
Familie, wird nach dem Rechtsstudium in Toulouse (1544) und Bourges (1546) dort
Professor (1551). Als Calvinist flieht er 1572 nach Genf, geht 1572 nach
Heidelberg, 1579 nach Leiden und 1588 nach Altdorf. In seinem Hauptwerk (lat.
[M.Pl.] Commentarii de iure civili, Kommentare zum weltlichen Recht, 1589ff.)
ordnet er das überlieferte römische Recht losgelöst von der Reihenfolge der
Digesten nach einem aus ihm selbst gewonnenen System, um durch die innere
Ordnung die verstreuten Einzelsätze besser zu verstehen, wobei er als einer der
ersten das Recht der Obligationen im Allgemeinen zu erfassen sucht und
vielleicht das Erfordernis der Kausalität von Verpflichtungen begründet. Dabei
gelingen über die Darstellung hinaus weiterführende Erkenntnisse (z. B. Ausdehnung
des Satzes [lat.] impossibilium nulla est obligatio, zu Unmöglichem besteht
keine Pflicht, Beiträge zur Entwicklung des subjektiven Rechtes, des
Besitzrechts, des Vertragsrechts und des Persönlichkeitsrechts).
Lit.: Eyssell, A., Donellus, 1860; Bergfeld, C., Savigny
und Donellus, Ius commune 8 (1980), 24; Cannata, C., Systématique et dogmatique
dans le Commentarii iuris civilis des Hugo Doneau, (in) Jacques Godefroy, 1991,
217; Schermaier, M., Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums, 2000, 102f.; Heise,
V., Der calvinistische Einfluss auf das humanistische Rechtsdenken, 2004
Donellus →Doneau
Doping (N.) Rauschmittelgebrauch zwecks Leistungssteigerung vor
allem im Sport
Lit.: Engel, R., Doping in der DDR, 2010
Dorf ist die aus einer nicht ganz geringen Zahl von beieinander
liegenden Häusern gebildete, landwirtschaftlich geprägte Siedlung. Das D.
setzt die Sesshaftwerdung voraus. Sein zeitliches Verhältnis zu Einzelhaus
bzw. kleiner Hausgruppe (Weiler, Drubbel) steht nicht sicher fest. Örtlich
findet sich das D. in Deutschland im gesamten Gebiet, ausgenommen den
Nordwesten, den Schwarzwald und das Alpengebiet. Vorherrschend ist das
Haufendorf, doch prägen auch Marschhufendorf und Waldhufendorf kleinere Räume.
Das D. kann vor allem Nutzungsverband oder auch Gerichtsverband (mit Richter
und Schöffen) sein, wobei am Nutzungsverband meist nur die Inhaber
vollbäuerlicher Hofstellen berechtigt sind. Der Dorfvorsteher und evtl. neben
ihm stehende Gremien sind unterschiedlich strukturiert und bezeichnet, die
juristische Persönlichkeit lange Zeit nur undeutlich ausgeprägt. Seit dem 19.
Jh. werden D. und Stadt grundsätzlich einheitlich als →Gemeinde im Sinne
eines staatlichen Verwaltungsbezirks (1935 Deutsche Gemeindeordnung)
angesehen, zu dem allerdings örtliche Selbstverwaltungszüge hinzutreten.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, WAS; Frey, K.,
Wollmatingen, 1910; Mayer, E., Dorf-Geschlechtsverband, ZRG GA 41 (1920), 375;
Bolleter, E., Geschichte eines Dorfes (Fisibach, jetzt Bachs, Kanton Zürich),
1921; Maßberg, K., Die Dörfer der Vogtei Groß-Denkte, 1930; Steinemann, H.,
Geschichte der Dorfverfassungen im Kanton Zürich, 1932; Dinklage, K., Fünfzehn
Jahrhunderte Münnerstädter Geschichte, 1935; Ganahl, K., Langen-Erchingen
(Langdorf), ZRG GA 58 (1938), 389; Bader, K., Entstehung und Bedeutung der
oberdeutschen Dorfgemeinde, Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 1
(1937), 265; Frölich, K., Rechtsdenkmäler des deutschen Dorfes, 1947;
Zimmermann, F., Die Rechtsnatur der altbayerischen Dorfgemeinde und ihrer
Gemeindenutzungsrechte, 1950; Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte des
mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff. (Bd. 2 Dorfgenossenschaft und
Dorfgemeinde, 1962, Bd. 3 Rechtsformen und Schichten der Liegenschaftsnutzung
im mittelalterlichen Dorf, 1973); Buijtenen, M., Het friese dorp, 1961; Die
Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen, hg. v. Mayer, T., Bd. 1f. 1964; Tütken,
H., Geschichte des Dorfes und Patrimonialgerichtes Geismar, 1967; Lippert, W.,
Geschichte der 110 Bauerndörfer in der nördlichen Uckermark, 1968; Ardelt, R.,
Das Dorf Edelbruck im Mühlviertel, 1972; Ossfeld, W., Obergrombach und
Untergrombach, 1975; Zeller, G., Rechtsgeschichte der ländlichen Siedlung,
1975; Das Dorf der Eisenzeit und des frühen Mittelalters, hg. v. Jankuhn, H.,
1977; Donat, P., Haus, Hof und Dorf, 1980; Arnold, K., Niklashausen 1476, 1980;
Wunder, H., Die bäuerliche Gemeinde in Deutschland, 1986; Schildt, B., Bauer,
Gemeinde, Nachbarschaft, 1996; Troßbach, W. u. a., Die Geschichte des Dorfes,
2006
Dorfgericht ist
das in einem →Dorf und häufig auch nur für Angelegenheiten des Dorfes
meist unter der Linde (Gerichtslinde, Dorflinde) tätige Gericht. Es ist in
vielen Fällen ein Gericht des Grundherrn und grundsätzlich nur Niedergericht.
Spätestens in der Mitte des 19. Jh.s verschwindet es zugunsten des Amtsgerichts
oder Bezirksgerichts.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Müller, K., Das Gericht zu
Ottendorf, ZRG GA 44 (1924), 168; Mitter, F., Die Grundlagen der
Gerichtsverfassung und das Eheding der Zittauer Ratsdörfer, 1928; Frölich, K.,
Alte Dorfplätze, 1938; Herrmann, W./Schründer, H., Greven an der Ems, 1938;
Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff.
1957ff.; Fried, P., Grundherrschaft und Dorfgericht im spätmittelalterlichen
Herzogtum Bayern, (in) Vorträge und Forschungen 27 (1983), 277; Kroeschell, K.,
Dorfgerichtsplätze, FS K. Bader, 1986, 1
Dorfordnung ist die das Dorf betreffende Ordnung,
wie sie als Rechtsquelle seit dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit
erscheint. S.
Dorfrecht, Weistum
Lit.: Stöhr, K., Erläuterungen und Anlagen zur
Altenburger Dorfordnung vom 13. Juni 1876, 1885; Robert, H., Als sich die
Eberstädter eine Dorfordnung gaben, 1982; Kunz, R., Die Dorfordnung von
Schwanheim, 1985; Rheinheimer, M., Die Dorfordnungen im Herzogtum Schleswig,
1999
Dorfrecht ist
das besondere Recht eines →Dorfes bzw. subjektiv die besondere
Mitgliedschaft in einer Dorfgemeinde. Das beispielsweise durch den →Sachsenspiegel
(Landrecht III, 79, 2) bezeugte besondere D. entsteht teils durch Gewohnheit,
teils durch Anordnung oder Satzung mit der Territorialisierung bzw.
Lokalisierung des Rechtes im Hochmittelalter und verschwindet mit der
staatlichen Vereinheitlichung in der Neuzeit, in der es freilich auch vielfach
erst aufgezeichnet wird (zeitlicher Schwerpunkt in Schleswig-Holstein
1675-1774). Überliefert ist es hauptsächlich im →Weistum.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Alberti, W., Der Rheingauer
Landbrauch von 1643, 1913; Badische Weistümer und Dorfordnungen, Bd. 1 1917;
Schildt, B., Bauer – Gemeinde – Nachbarschaft, 1996; Rheinheimer, M., Die
holsteinischen Dorfordnungen, ZRG 115 (1998), 529; Rheinheimer, M., Die
Dorfordnungen im Herzogtum Schleswig, Bd. 1f. 1999
Dorpat (estnisch 1919 Tartu) wird 1030 erstmals
erwähnt, 1224 als (lat. [N.] castrum tarbatum) durch den Deutschen Orden
erobert, gelangt 1558 an Russland, 1582 an Polen, 1625 bzw. 1629 an Schweden,
erhält neben einem Obergericht 1632 durch König Gustav Adolf von Schweden eine
Universität (Akademie mit deutsch-lateinischer Unterrichtssprache und schwedisch-finnischen
Lehrern) (1656 geschlossen, 1690-1710 als deutschbaltische Anstalt in Pernau),
die 1802 (nach der Angliederung Livlands an Russland im Jahre 1721) als einzige
deutschsprachige Universität Russlands von Deutschbalten neu gegründet, ab
1867 allmählich und 1893 entschieden russifiziert (Jurév) und unter Besatzungsregime
des Deutschen Reiches erfolglos regermanisiert wird (Rechtslehrer Johann Ludwig
von Müthel, Karl Friedrich Meyer, Christian Daniel Rosenmüller, Friedrich
Kasimir Kleinenberg, Johann Georg Neumann, Karl Schröter, Walter Friedrich
Clossius, Friedrich von Bunge, Gustav Bröcker, Otto Karl von Madai, Karl Eduard
von Otto, Eduard Osenbrüggen, Alexander von Reutz, Ewald Tobien, Johannes
Engelmann, Karl von Rummel, Viktor Ziegler, August von Bulmerincq, Karl
Bergbohm, Ottomar Meykov, Karl Erdmann, Woldemar von Rohland, Alexander [Axel]
Baron von Freytagh-Loringhoven, Vladimir Grabar, Michail Djakonov, Aleksej
Guljaev, Evgenij Passek, Peter Pustoroslev, Ivan Ditjatin, Alexander Filippov,
Lev Schalland, Alexander Nevzorov) und erhält 1919 in Estland den Namen Tartu.
Lit.: Gernet, A. v.,
Verfassungsgeschichte des Bistums Dorpat, 1896; Lemm, R., Dorpater Ratslinie,
1960; Luts, M., Eine Universität für unser Reich, ZRG GA 117 (2000), 607;
Juristenausbildung in Osteuropa bis zum ersten Weltkrieg, hg. v. Pokrovac, Z.,
2007; Donnert, E., Die Universität Dorpat-Jurév 1802-1918, 2007
Dorstadt (Augustinerchorfrauenstift)
Lit.:
Urkundenbuch des Augustinerchorfrauenstifts Dorstadt, hg. v. Ohainski, U., 2011
(1143-1660)
Dortmund wird 880-884 (Throtmanni, Siedlung am
gurgelnden Wasser?, nach Udolph 2009/2010 zu mons, lat.,
M., Berg?, „Berg mit einem Einschnitt?“)
erstmals erwähnt, erhält im 10. Jh. eine königliche Pfalz, wird Reichsstadt
(Privilegien Konrads III., Friedrichs I., Friedrichs II. [1236 bzw. 1220]) und
Mitglied der Hanse und kommt mit etwa 4000 Einwohnern 1802 an die Fürsten von
Oranien-Nassau und 1815 an Preußen, in dem es zur industriell geprägten
Großstadt heranwächst.
Lit.: Rübel, K., Dortmunder
Urkundenbuch, Bd.1ff. 1881ff.; Frensdorff, F., Dortmunder Statuten und
Urtheile, 1882; Meininghaus, A., Die Grafen von Dortmund, 1905;
Meininghaus, A., Die Dortmunder Freistühle und ihre Freigrafen, Beiträge zur
Geschichte Dortmunds 19 (1910); Stahm, G., Das Strafrecht der Stadt Dortmund,
1910; Rübel, K., Geschichte der Grafschaft und der freien Reichsstadt Dortmund,
Bd. 1 1917; Winterfeld, L. v., Reichsleute, Erbsassen und Grundeigentum in
Dortmund, 1917; Meininghaus, A., Die Entstehung von Stadt und Grafschaft
Dortmund, 1920; Berken, R. von den, Dortmunder Häuserbuch von 1700 bis 1850, 1927;
Winterfeld, L. v., Geschichte der freien Reichs- und Hansestadt Dortmund, 1934;
Luntowski, G. u. a., Geschichte der Stadt Dortmund, 1994; Ferne Welten, freie
Stadt. Dortmund im Mittelalter, hg. v. Ohm, M. u. a., 2006; Dortmund und die
Hanse, hg. v. Schilp, T. u. a., 2012
Dos (lat.
[F.], zu lat. dare, geben) ist bereits im altrömischen Recht die vom Hausvater
der Frau bei der Verehelichung dem Ehemann grundsätzlich gegebene, der
Unterhaltssicherung dienende →Mitgift, die nach dem Tod der Frau oder einer
auf ihrer Seite schuldlosen Scheidung aus dem Vermögen des Mannes an den
ursprünglichen Geber zurückfällt. Im Jahre 18 v. Chr. verbietet die (lat.) lex
(F.) Iulia de dote fundali (julisches Gesetz über Grundstücksmitgift) die Veräußerung
eines Mitgiftgrundstücks ohne Zustimmung der Frau. In der Spätantike wird die
Bestellung einer d. durch den Brautvater zu einer Rechtspflicht. Das Recht der
d. wird im Mittelalter und in der Neuzeit (nur) teilweise aufgenommen
(Kurhessen, Hannover, Braunschweig, Pommern, Teile Mecklenburgs, Dotalsystem).
Nach dem germanischen Recht gibt dagegen der Mann (bzw. seine Familie) der
Frau (bzw. ihrer Familie) eine Gabe (vielleicht als Gegenleistung für die
Personalgewalt des Mannes über die Frau).
Lit.: Kaser § 59; Söllner §§ 8, 12, 15, 18, 24; Kroeschell,
DRG 1, 2; Köbler, DRG 22, 37, 58; Köbler, LAW; Schröder, R., Geschichte des
ehelichen Güterrechts in Deutschland, Teil 1f. 1863ff., Neudruck 1967; Brunner,
H., Die fränkisch-romanische dos, SB. d. Akad. d. Wiss. Berlin 1894, 545;
Coing, H., Die Frankfurter Reformation von 1578, 1935; Lorenz, E., Das
Dotalstatut in der italienischen Zivilrechtslehre des 13. bis 16. Jahrhunderts,
1965; Stagl, J., Favor dotis, 2009
Dotalitium (lat.
[N.]) ist meist die →Leibzucht oder das →Wittum.
Lit.: Heusler, A., Deutsches Privatrecht, Bd. 1 1885, 370;
Bellomo, M., Ricerche sui rapporti patrimoniali, 1961
Dotalsystem (19. Jh.) ist das auf der römischrechtlichen →dos aufbauende
Ehegüterrecht, das von der Gütertrennung ausgeht, bei der die Lasten der Ehe
das Vermögen des Ehemanns treffen, die Ehefrau aber mit ihrer in das Eigentum
des Ehemanns übergehenden dos die Ehelasten mittragen soll. Die Rezeption
ändert das römische D. ab, soweit es überhaupt aufgenommen wird. Mit den Kodifikationen
geht das im Allgemeinen Landrecht Preußens (1794) und im Bürgerlichen
Gesetzbuch Sachsens (1863) bereits nicht mehr erwähnte D. unter (BGB 1900, ZGB
der Schweiz 1907).
Lit.: Söllner §§ 5, 9, 12, 18, 24; Hübner 664, 694
Dotation (F.)
Ausstattung, Zuwendung, Aussteuer
Lit.: Landau, P., Ius patronatus, 1975; Dröge, M.,
Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften, 2004
Dou de Bassols,
Ramón Llàtzer de (1742-1832) verfasst nach dem Rechtsstudium in Cervara
(1760-1764) und einer anwaltlichen Tätigkeit als Professor in Cervara die erste
systematische Darstellung des spanischen öffentlichen Rechtes (Instituciones
del derecho público general en España, 1800ff.), die sich in die drei Bücher
Person, Sache, Gericht und jeweils einen allgemeinen und besonderen Teil
gliedert.
Lit.: Elias de Molins, A., Diccionario biográfico, Bd. 1
1889, 532
Do ut des
(lat.). Ich gebe, damit du gibst.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Paulus, um 160-um 230, Digesten 19, 5, 5, §1)
Douai
Lit.: Espinas, G., La vie urbaine
de Douai, Bd. 1ff. 1913
Drakon ist
der athenische Gesetzgeber (Thesmothet), der 624 (bzw. 621/620) v. Chr. (?) das
geltende Recht veröffentlicht, in dem die Selbsthilfe (Blutrache) durch strenge
Strafen (drakonische Strenge) für Verbrechen ersetzt und die gewollte Tötung
von der ungewollten Tötung und der gerechtfertigten Tötung unterschieden ist.
Lit.: Söllner § 7; Köbler, DRG 17; Stroud, R., Drakon´s Law
on Homicide, 1968; Gagarin, M., Drakon and Early Athenian Homicide Law, 1981;
Biscardi, A., Diritto greco antico, 1982; Bleicken, J., Die athenische
Demokratie, 4. A. 1995; Carawan, E., Rhetoric and the Law of Draco, 1998
Draufgabe (lat.
[F.] →arrha) ist eine Leistung bei Eingehung eines Vertrags, die als
Zeichen des Abschlusses des Vertrags gilt und im Zweifel auf die geschuldete
Leistung anzurechnen oder bei Erfüllung zurückzugeben ist. Sie besteht im
gemeinen Recht, ist in der Gegenwart aber nur von geringer Bedeutung.
Lit.: Kaser § 41; Hübner 543; Jagemann, E. v., Die
Draufgabe (arrha), 1873; Gastreich, F., Die Draufgabe, Diss. jur. Erlangen 1932
Drei ist
eine im Recht häufiger verwendete Zahl (z. B. aller guten Dinge [Gerichte] sind
drei).
Lit.: Grimm, J., Deutsche Rechtsaltertümer, 1828, 4. A.
1899, Neudruck 1922, 1989, 1994, 285; Usener, H., Die Dreiheit, 2. A. 1922;
Meyer, H./Suntrup, R., Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen, 1987,
Neudruck 1999; Großfeld, B., Zeichen und Zahlen im Recht, 2. A. 1995
Dreibund (N.) den 1879 zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn
geschlossenen Bund 1882 um Italien erweiternder Bund (1883 Beitritt Rumäniens,
im ersten Weltkrieg Kündigung durch Italien, das 1915 den Alliierten beitritt, Rumänien
1916)
Dreifelderwirtschaft ist die vom 8. bis zum 19. Jh. verbreitete Form der
Landwirtschaft, bei der jeweils ein Drittel des Ackerlands mit Winterfrucht
oder mit Sommerfrucht bebaut oder als Brache gelassen wird. Bei der
Dreizelgenwirtschaft ist dabei die gesamte Flur eines Dorfes in drei etwa
gleich große im Wechsel bewirtschaftete Teile aufgegliedert.
Lit.: Köbler, DRG 77, 174; Bader, K., Studien zur
Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1 1957, 46; Rösener, W.,
Bauern im Mittelalter, 1985; Brakensiek, S., Agrarreform, 1991; Rösener, W.,
Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter,
1992
Dreiklassenwahlrecht ist das die Wähler in drei Klassen einteilende Wahlrecht
(kopfzahlbezogenes D. erstmals im Gemeindegesetz Badens vom 23. 8. 1821). Es
widerspricht dem Grundsatz der Stimmengleichheit, indem es bei dem
steueranteilbezogenen D. z. B. Wählern mit höherem Steueraufkommen mehr
politischen Einfluss in einem zu wählenden Gremium gewährt (z. B. wählen in
Preußen 1849 bis 1918 etwa 4,7%, 12,6% und 82,6% der Wähler mittelbar je ein
Drittel der Abgeordneten). 1918 wird es spätetens aufgegeben (Preußen,
Braunschweig, Lippe, Sachsen-Altenburg, Waldeck). In Österreich besteht von
1849 bis 1918 ein D. für das Gemeindewahlrecht, bei dem ein Zensus den Kreis
der Wahlberechtigten einengt und die Wahlkörper eine unterschiedliche Zahl von Gemeinderäten
wählen.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 197; Gerlach, D., Die
Geschichte des preußischen Wahlrechts, 1908; Boberach, H., Wahlrechtsfragen im
Vormärz, 1959 ;Kühne, T., Dreiklassenwahlrecht, 1994; Gerhards, J./Rössel, J.,
Interessen und Ideen im Konflikt um das Wahlrecht, 1999
Dreiliniensytem ist eine Erbfolgeordnung in den drei Linien Abkömmlinge, Aszendenten,
Seitenverwandte.
Dreißigjähriger Krieg
ist der von 1618 (Prager Fenstersturz, 8. 11. 1620 Schlacht am Weißen Berg mit
Niederlage der aufständischen prostestantischen Landstände Böhmens, 10. 5.
1627 Verneuerte Landesordnung für Böhmen) bis 1648 (Friede von Münster und
Osnabrück, →Westfälischer Friede) unter protestantenfreundlicher Beteiligung
europäischer Mächte (Dänemark 1625, Schweden 1630, Frankreich 1635) währende
Religionskrieg im Heiligen römischen Reich.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Franz, G., Der dreißigjährige
Krieg und das deutsche Volk, 1940, 3. A. 1961, 4. A. 1979; Schormann, G., Der
Dreißigjährige Krieg, 1985; Burkhardt, J., Der Dreißigjährige Krieg, 1991;
Kampmann, C., Reichsrebellion und kaiserliche Arbeit, 1993; Wedgwood, C., Der
30jährige Krieg, 1978, 8. A. 1995, 9. A. 1996; Oschmann, A., Der Nürnberger
Exekutionstag 1649-1650, 1991; Schmidt, G., Der Dreißigjährige Krieg, 1995, 4.
A. 1999, 8. A. 2010; Englund, P., Die Verwüstung Deutschlands, 1998; Findeisen,
J., Der Dreißigjährige Krieg, 1998; Zwischen Alltag und Katastrophe, hg. v.
Krusenstjern, B. v. u. a., 1999; Bedürftig, F., Der Dreißigjährige Krieg, 2006;
Kampmann, C., Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg, 2007; Sack, H.,
Der Krieg in den Köpfen, 2008; Fuchs, R., Ein Medium zum Frieden, 2008;
Brockmann, T., Dynastie, Kaiseramt und Konfession, 2009; Arndt, J., Der
Dreißigjährige Krieg, 2009; Krüssmann, W., Ernst von Mansfeld (1580-1626), 2010;
Crowne, W., Blutiger Sommer (1636), hg. v. Ritter, A. u. a., 2011; Neuburger,
A., Konfessionskonflikt und Kriegsbeendigung im Schwäbischen Reichskreis, 2011
Dreißigster (1221-1224 Sachsenspiegel) ist
der dreißigste Tag nach dem Tod eines Menschen und die als gesetzliches Vermächtnis
daraus grundsätzlich sich ergebende Verpflichtung der →Erben, bestimmten
Familienangehörigen des →Erblassers während der ersten 30 Tage nach dem
selten genau vorherbestimmten Erbfall Unterhalt zu gewähren und die Benutzung
der Wohnung und der Haushaltsgegenstände zu gestatten. Eine dreißigtägige
Beweinung kennt bereits das alte Testament (5. Moses 34,8). Danach erscheint
der D. beispielsweise im →Sachsenspiegel (1221-1224). In der Zeit des
Dreißigsten ist der Erbe zwar schon Eigentümer, darf aber nicht im Widerspruch
zum Dreißigsten verfügen. Teilweise setzt das gemeine Recht den bis zum
Dreißigsten ruhenden Nachlass der römischrechtlichen (lat.) hereditas (F.)
iacens (ruhenden Erbschaft) gleich. Der D. ist noch geltendes Recht (§ 1969
BGB).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Hübner 676f.; Hennecke, G., Das
Recht des Dreißigsten, Diss. jur. Heidelberg 1909; Köbler, U., Werden, Wandel
und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Dresden an
der Elbe (sorb., Sumpfgebiet, steinzeitliche Besiedlungsspuren, Ersterwähnung
1206, 1201?) erhält vielleicht um 1150 eine Burg der wettinischen Markgrafen
von Meißen. 1299 wird ihm das Stadtrecht von Magdeburg bestätigt. Stadtbücher
sind seit 1404 erhalten. Seit 1485 wird es Vorort der albertinischen Linie der
Herzöge von Sachsen. 1828 wird eine Technische Universität eingerichtet. 1945
wird D. weitgehend zerstört (25000 Todesopfer). An der Technischen Universität
wird 1991eine juristische Fakultät eingerichtet, deren Auflösung 2004
beschlossen wird.
Lit.: Richter, O., Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte
der Stadt Dresden, Bd. 1ff. 1885ff.; Butte, H., Geschichte Dresdens, 1967;
Streifzüge durch die Dresdener Justiz, 1999; Die Professoren der TU Dresden
1828-2003, bearb. v. Petschel, D., 2003; Pommerin, R., Geschichte der TU
Dresden 1828-2003, 2003; Hädecke, W., Dresden, 2006; Geschichte der Stadt
Dresden, hg. v. Blaschke, K. u. a., Bd. 1-3, 2005f.; Meinhardt, M., Dresden im
Wandel, 2008; Die Stadtbücher Dresdens, hg. v. Kübler, T. u. a., Bd. 1ff.
2007ff.; Meinhardt, M., Dresden im Wandel, 2009; Die Zerstörung Dresdens, hg. v.
Müller, R. u. a., 2010
Dresdener Entwurf
ist der - der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung von 1847/1848 und dem
Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 folgende - in →Dresden
in Sachsen auf Grund der nach dreijährigen Beratungen 1862 beschlossenen
Schaffung eines einheitlichen Obligationenrechts (→Allgemeines
Deutsches Gesetz über Schuldverhältnisse) der Staaten des →Deutschen
Bundes in einer Kommission beratene, 1866 noch der Bundesversammlung zugeleitete,
dort aber nicht mehr behandelte, Entwurf, der infolge der Auflösung des
Deutschen Bundes (1866) nicht Gesetz bzw. allgemeines deutsches Recht wird,
sich aber auf das Obligationenrecht der Schweiz (1881) und den Allgemeinen Teil
und das Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs (1896/1900) auswirkt.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 182; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/DRE1866-EntwurfeinesallgemeinendeutschenGesetzesueberSchuldverhaeltnisse.pdf;
Hedemann, J., Der Dresdener Entwurf von 1866, 1935; Dresdener Entwurf eines
allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1866, hg. v.
Francke, B., 1973; Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen
deutschen Obligationenrechts, Dresden 1866, 1984; Benöhr, H., Der Dresdener
Entwurf von 1866 und das Schweizerische Obligationenrecht von 1881, (in)
Hundert Jahre Schweizerisches Obligationenrecht, 1982, 57
Drews, Bill (Drews, Wilhelm Arnold, Berlin 11. 02.
1870-Berlin 17. 02. 1938) wird 1917 Minister des Innern in Preußen, 1919
Staatskommissar für die Vorbereitung einer Verwaltungsreform Preußens und 1921
Präsident des Oberverwaltungsgerichts Preußens (bis 1937). 1927 legt er ein
Preußisches Polizeirecht vor. Er nimmt maßgeblichen Einfluss auf das
Polizeiverwaltungsgesetz Preußens von 1931.
Lit.: Naas, S., Die Entstehung des
preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931, 2003
Dritter ist die an einem Verhältnis zweier Personen mittelbar beteiligte weitere
Person.
Lit.:
Barnert, E., Der eingebildete Dritte, 2008
Drittes Reich
ist die (problematische) Bezeichnung des →Deutschen Reiches in der vom →Nationalsozialismus
Adolf →Hitlers beherrschten Zeit zwischen dem 30. 1. 1933 und dem 8. 5.
1945. Sie geht in möglichen Anfängen auf Joachim von Fiore (Celico um
1130-Fiore 1202), der Reiche des Vaters, des Sohnes und des Geistes
unterscheidet, zurück. 1923 weist A. Moeller van den Bruck (1876-1925) auf ein
dem Heiligen römischen Reich und dem
Reich Bismarcks folgendes D. R. hin. Dieses entwickelt sich in der Wirklichkeit
zu einer totalitären Diktatur, in der das Recht an vielen Stellen zum Instrument
der Durchsetzung des Nationalsozialismus wird. In ihm wird in einer Presseanweisung
vom 10. 7. 1939 der Ausdruck D. R. verboten, weil die darin zwecks Sinnstiftung
für das Ungewisse verwendete Tradition inzwischen als entbehrlich angesehen
wird.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG
234, 242; Wust, N., Das Dritte Reich, 1905; Mutius, G. v., Die drei Reiche,
1916; Neurohr, J., Der Mythos vom Dritten Reich, (1933, veröff. 1957); Hertel,
H., Das Dritte Reich in der Geistesgeschichte, 1934; Rühle, G., Das Dritte
Reich, Bd. 1ff. 1934ff.; Kobé, E., Die Idee eines Dritten Reiches im deutschen
Idealismus, Diss. phil. Wien 1939; Fraenkel, E., The Dual State, 1941; Schorn,
H., Der Richter im Dritten Reich, 1959; Diehl-Thiele, P., Partei und Staat im Dritten
Reich, 1960, 2. A. 1971; Mähl, H., Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des
Novalis, 1965; Hansen, Das Ende des Dritten Reiches, 1966; Scheffler, W.,
Judenverfolgung im Dritten Reich, 1966; Adam, U., Judenpolitik im Dritten
Reich, 1972, Neudruck 1979; Scholder, K., Die Kirche und das Dritte Reich, Bd.
1f. 1977ff.; Justiz im Dritten Reich, hg. v. Staff, I., 1979; Hildebrand, K.,
Das Dritte Reich, 1979, 6. A. 2003, 7. A. 2009; Schönbaum, D., Die braune
Revolution, 1980; Majer, D., Fremdvölkische im Dritten Reich, 1981; Broszat,
M./Möller, H., Das Dritte Reich, 1983; Wistrich, R., Wer war wer im Dritten
Reich, 1983; Hochschule und Wissenschaft im Dritten Reich, hg. v. Tröger, J.,
1984; Shirer, W., Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, 1984; Strafjustiz und
Polizei im Dritten Reich, hg. v. Reifner, U. u. a., 1984; Das große Lexikon des
Dritten Reiches, hg. v. Zentner, C. u. a., 1985; Wissenschaft im Dritten Reich,
hg. v. Lundgren, P., 1985; Schumacher, U., Staatsanwaltschaft und Gericht im
Dritten Reich, 1985; Staatsrecht und Staatslehre im Dritten Reich, hg. v.
Böckenförde, E., 1985; Koenen, A., Der Fall Carl Schmitt, 1995; Justizalltag im
Dritten Reich, hg. v. Diestelkamp, B. u. a., 1988; Gruchmann, L., Justiz im
Dritten Reich 1933-1940, 1988, 2. A. 1990, 3. A. 2001; Kropat, W.,
Kristallnacht in Hessen, 1988; Puppo, R., Die wirtschaftliche Gesetzgebung des
Dritten Reiches, 1988; Schröder, R., .. aber im Zivilrecht sind die Richter
standhaft geblieben!, 1988; Rüthers, B., Entartetes Recht, 1988, 2. A. 1994;
Michelberger, H., Berichte aus der Justiz des Dritten Reiches, 1989; Recht und
Justiz im Dritten Reich, hg. v. Dreier, R. u. a., 1989; Werle, G., Justiz -
Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich, 1989;
Rebentisch, D., Führerstaat und Verwaltung im zweiten Weltkrieg, 1989; Schmoeckel,
M., Die Großraumtheorie, 1994; Fürst, M., Politisches Strafrecht im Dritten Reich,
1995; Die deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit, hg. v. Rückert, J. u. a.,
1995; Schindler, F., Paulus van Husen im Kreisauer Kreis, 1996; Nunweiler, A.,
Das Bild der deutschen Rechtsvergangenheit und seiner Aktualisierung im Dritten
Reich, 1996; Trott zu Solz, L. v., Hans Peters und der Kreisauer Kreis, 1997;
Die deutsche Herrschaft in den „germanischen“ Ländern, hg. v. Bohn, R., 1997;
Bedürftig, F., Lexikon Drittes Reich, 1997; Kroll, F., Geschichtsdenken und
politisches Handeln im Dritten Reich, 1997; Schiller, C., Das Oberlandesgericht
Karlsruhe im Dritten Reich, 1997; Friedländer, S., Das Dritte Reich und die
Juden, 1998; Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, hg. v. Weiß, H., 1998; Michelberger, H. Berichte aus der Justiz des Dritten
Reiches, 1998; Hummel, K., Deutsche Geschichte 1933-1945, 1998; Die juristische
Aufarbeitung des Unrechtsstaats, hg. v. d. Redaktion Kritische Justiz, 1998;
Klaus, M., Mädchen im Dritten Reich, 1998; Perels, J., Das juristische Erbe des
Dritten Reiches, 1999; Wendt, B., Das Dritte Reich, 1999; Schwerin, F. Graf v.,
Helmuth James Graf von Moltke, 1999; Benz, W., Geschichte des Dritten Reiches,
2000; Ellmann, M., Hans Lukaschek im Kreisauer Kreis, 2000; Die tödliche
Utopie, hg. v. Dahm, V. u. a., 3. A. 2001; Klee, E., Deutsche Medizin im
Dritten Reich, 2001; Science in the Third Reich, hg. v. Szöllösi-Janze, M.,
2001; Schott, A., Adam Trott zu Solz, 2001; Studt, C., Das Dritte Reich in
Daten, 2002; Zwangsarbeit im Dritten Reich, hg. v. Zumbansen, P., 2002;
Rauh-Kühne, C., Hitlers Hehler?, HZ 275 (2002), 54; Beevor, A., Berlin 1945,
2002; Hilger, C., Rechtsstaatsbegriffe im Dritten Reich, 2003; James, H., Die
Deutsche Bank im Dritten Reich, 2003; Hildebrand, K., Das Dritte Reich, 6. A.
2003; Schreckenberg, H., Ideologie und Alltag im Dritten Reich, 2003; Unschuld,
P., Chronik des Rotary Clubs München, 2003; Klee, E., Das Personenlexikon zum
Dritten Reich, 2003; Tofahrn, K., Chronologie des Dritten Reiches, 2003; Pohl,
D., Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933-1945, 2003, 3. A. 2011;
Malinowski, S., Vom König zum Führer, 2003; Angrick, A., Besatzungspolitik und
Massenmord, 2003; Ciernoch-Kujas, C., Ministerialrat Franz Massfeller
(1902-1966), 2003; Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und
den besetzten Gebieten, hg. v. Boberach. H. - Erschließungsband zur
Mikroficheedition 2003; Heinemann, I., Rasse, Siedlung, deutsches Blut, 2003; Stufen
zum Galgen, hg. v. Pätzold, K. u. a., 2004; Kater, M., Hitler-Jugend, 2004;
Evans, R., Das Dritte Reich, Bd. 1 2004; Mühlberger, D., Hitler’s Voice, 2004;
Bartels, U., Die Wochenschau im Dritten Reich, 2004; Hayes, P., Die Degussa im
Dritten Reich, 2004; Ley, A., Zwangssterilisation und Ärzteschaft, 2004; Gall,
L., Elitenkontinuität in Wirtschaft und Wissenschaft, HZ 279 (2004) 659;
Huppuch, W., Eugen-Rosenstock-Huessy (1888-1973), 2004; Frei, N., 1945 und wir,
2005; Das Europa des Dritten Reichs, hg. v. Bähr, J./Banken, R., 2005; Finger,
T., Die Nürnberger Gesetze, JURA 27 (2005), 161; Hamburg im Dritten Reich, hg.
v. d. Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, 2005; Lindner, S., Hoechst,
2005; Bastian, T., High Tech unterm Hakenkreuz, 2005; Stürickow, R.,
Kriminalfälle im Dritten Reich. Berlin, 2005; Werner, C., Kriegswirtschaft und
Zwangsarbeit bei BMW, 2005; Braun, K., Dr. Otto Thierack (1889-1946), 2005;
Confront! Resistance in Nazi Germany, hg. v. Michalczyk, J., 2. A. 2005;
Köhler, I., Die Arisierung der Privatbanken, 2005; Kißener, M., Das Dritte
Reich, 2005; Olick, J., In the House of the Hangman, 2005; Gesche, K., Kultur
als Instrument der Außenpolitik totalitärer Staaten, 2006; Voß, R., Johannes
Popitz, 2006; Einhaus, C., Zwangssterilisation in Bonn (1934-1945), 2006;
Winstel, T., Verhandelte Gerechtigkeit, Rückerstattung und Entschädigung für
jüdische NS-Opfer, 2006; Schenk, D., Hans Frank, 2006; Schäfer, K., Werner von
Blomberg, 2006; Zwicker, S., Nationale Märtyrer - Albert Leo Schlageter und
Julius Fučik, 2006; Tent, J., Im Schatten des Holocaust. Schicksale
deutsch-jüdischer „Mischlinge“, 2007; Die NS-Gaue -regionale Mittelinstanzen,
hg. v. John, J., 2007; Rohrer, F., Strafjustiz im Dritten Reich und in der
SBZ/DDR, 2007; Hürter, J., Hitlers Heerführer, 2006, 2. A. 2007; Lübbe, H., Vom
Parteigenossen zum Bundesbürger, 2007; Schmerbach, F., Das Gemeinschaftslager
Hanns Kerrl für Referendare in Jüterbog 1933-1939, 2008 (rund 20000
Referendare, systemstabilisierende Wirkung); Bähr, J. u. a., Der Flick-Konzern
im Dritten Reich, 2008; Stirken, H., Der Kölner Justizalltag im zweiten
Weltkrieg, 2008; Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, hg. v. Schoeps,
J. u. a., 2008 (ab März 1933 94 Bücherverbrennungen in 62 Städten); Ribbentrop,
R. v., Mein Vater Joachim von Ribbentrop, 2008; Universitäten und Studenten im
Dritten Reich, hg. v. Scholtyseck, J. u. a., 2008; Kontinuitäten und Zäsuren.
Rechtswissenschaft und Justiz im Dritten Reich und in der Nachkriegszeit, hg.
v. Schumann, E., 2008; Harris, W., Tyrannen vor Gericht, 2008; Longerich, P.,
Heinrich Himmler, 2008; Schlick, C., Apotheken im totalitären Staat, 2008; Das Dritte Reich, hg. v. Süß, D. u. a., 2008; Die
Charité im Dritten Reich, hg. v. Schleiermacher, S. u. a., 2008; Drecoll, A., Der
Fiskus als Verfolger, 2009; Tofahrn, K., Das dritte Reich und der Holocaust,
2008; Koop, V., Himmlers letztes Aufgebot, 2008; Schleusener, J., Eigentumspolitik
im NS-Staat, 2009; Bevers, J., Der Mann hinter Adenauer, 2009; Gathmann, P. u.
a., Narziss Goebbels, 2009; Ladwig-Winters, S., Ernst Fraenkel, 2009; Lüdicke,
L., Griff nach der Weltherrschaft, 2009; Die Katholiken und das Dritte Reich,
hg. v. Hummel, K./Kißener, M., 2009, 2. A. 2010; Nie mehr zurück in dieses
Land, hg. v. Gerhardt, U. u. a., 2009; Zelle, K., Hitlers zweifelnde Elite,
2010; Verfemt und verboten, hg. v. Schoeps, J. u. a., 2010; Kasseckert, C.,
Straftheorie im Dritten Reich, 2010; Conze, E. u. a., Das Amt und die
Vergangenheit, 2010; Koop, V., In Hitlers Hand, 2010; Iselt, K., Sonderbeauftragter
des Führers, 2010; Longerich, P., Joseph Goebbels, 2010; Selbstmobilisierung im
Dritten Reich, hg. v. Dinckal, N. u. a., 2010; Rüstung, Kriegswirtschaft und
Zwangsarbeit im „Dritten Reich“, hg. v. Heusler, A. u. a., 2010; Allert, T.,
Der deutsche Gruß, 2010; Buddecke, J., Endstation Anatomie, 2010; Hausmann, M.,
Die Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“, 2011; Reichskommissariat Ostland,
hg. v. Lehmann, S., 2011; Blatman, D., Die Todesmärsche 1944/45, 2011 (mit etwa
250000 Toten); Kramer, N., Volksgenossinnen an der Heimatfront, 2011; Jasch,
C., Staatssekretär Wilhelm Stuckart und die Judenpolitik, 2011; Brinkhus, J.,
Luftschutz und Versorgungspolitik, 2011; Lustiger, A., Rettungswiderstand,
2011 (200 Retter aus insgesamt 100000 Rettern verfolgter Juden in 30 Ländern); In
Nürnberg machten sie ein Gesetz, hg. v.
Beutin, L. u. a., 2011; Steiner, Z., The Triumph of the Dark, 2011; Fremde
Blicke auf das Dritte Reich, hg. v. Bajohr, F. u. a., 2011; Hachtmann, R., Das
Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933-1945, 2012; Herzer, M.,
Auslandskorrespondenten und auswärtige Pressepolitik im Dritten Reich, 2012; Eichmann
in Jerusalem, hg. v. Ambos, K. u. a., 2012; Interessen um Eichmann, hg. v.
Renz, W., 2012; Koop, V., Martin Bormann Hitlers Vollstrecker, 2012; Galler,
C., Die Spinnhütte Celle im Nationalsozialismus, 2012; Pahl, M., Fremde Heere
Ost, 2012; Broichmann, C., Der außerordentliche Einspruch im Dritten Reich,
2013 (21 Fälle von Verfahren vor dem besonderen Strafsenat des Reichsgerichts, 92
Fälle vor dem besonderen Senat des Volksgerichtshofs, jeweils hohe Zahl von
Todesurteilen); Grenzen des katholischen Milieus, hg. v. Kuropka, J., 2013;
Schlosser, H., Sprache unterm Hakenkreuz, 2013; Kuwalek, R., Das
Vernichtungslager Belzec, 2013 (rund 450000 Vernichtungen); Scheil, S.,
Ribbentrop, 2013; Sassin, H., Carl Goerdeler, 2013; Gross, R., November 1938,
2013; Vollmer, A. u. a., Stauffenbergs Gefährten, 2013; Bahro, B., Der
SS-Sport, 2013; Ortner, H., Der Hinrichter, 2. A. 2013 (Roland Freisler); Nonn,
C., Theodor Schieder, 2013; Becker, M., Mitstreiter im Volkstumskampf, 2014;
Lüdicke, L., Constantin von Neurath, 2014; Roos, D., Julius Streicher und „Der
Stürmer“ 1923-1945, 2014
Drittschadensliquidation ist die Ersetzung eines einem Dritten entstandenen Schadens
durch den Schuldner eines Schuldverhältnisses. Sie ist dem römischen Recht und
dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) an sich fremd, für bestimmte
Fallgestaltungen seit einer Entscheidung in Lübeck vom 20. 1. 1855 und einer
dogmatischen Erörterung Zimmermanns (1858) aber gewohnheitsrechtlich
anerkannt.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 184; Reichard, I.,
Die Frage des Drittschadensersatzes im klassischen römischen Recht, 1992;
Schroeter, H., Die Drittschadensliquidation in europäischen Privatrechten,
1995; Neuner, J., Die Entwicklung der Haftung für Drittschäden, (in) Das
Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, 2000, 193
Drittschutz ist der Schutz eines Dritten durch ein
Verhältnis zwischen zwei anderen.
Lit.: Hofer, S., Drittschutz und
Zeitgeist, ZRG GA 117 (2000), 377
Drittwiderspruchsklage ist die als Interventionsklage entwickelte Klage des
angeblichen oder wirklichen Inhabers eines die Veräußerung hindernden Rechtes
an einem Gegenstand (z. B. Eigentum) gegen die Zwangsvollstreckung in den
betreffenden Gegenstand.
Lit.: Picker, E., Die
Drittwiderspruchsklage, 1981
Drittwirkung ist
die Wirkung gegenüber Dritten. Grundsätzlich wirken sich Rechte in einem
Schuldverhältnis nur zwischen Gläubiger und Schuldner (relativ) aus, so dass
im römischen Recht sogar Stellvertretung, Abtretung und Schuldübernahme
Schwierigkeiten bereiten. Dagegen wirken Sachenrechte gegenüber jedermann
(absolut). Die D. von Grundrechten wird in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s
erörtert (z. B. Nipperdey), aber überwiegend verneint.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Fabisch, D., Die unmittelbare
Drittwirkung der Grundrechte im Arbeitsrecht, 2010
Drohung (775) ist das Inaussichtstellen eines Übels.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
droit (M.) commun (franz.) gemeines Recht
Lit.: Bourjon, F., Le droit commun de la France et la
coutume de Paris reduits en principes, 1747; Petot, P., Le droit commun en
France selon les coutumiers, RH 38 (1960), 412
Droit (M.) coutumier (franz.) ist das in →coutumiers aufgezeichnete
Gewohnheitsrecht (coutume) (im Norden Frankreichs).
droit (M.) écrit
(franz.), Schriftrecht, römisches Recht (im Süden Frankreichs)
droit (M.) intermédiaire (franz.) das zwischen französischer Revolution von 1789 und den Kodifikationen
Napoleons (1804ff.) durch Einzelgesetze geschafffene französische Recht
Drost (M.) aus mnd. drossete (Truchsess) gebildete
Bezeichnung eines örtlichen Verwaltungsamtsträgers in Norddeutschland und
Westdeutschland vom 13. bis zum 19. bzw. 20. Jh.
Lit.: Bornhak, C., Geschichte des
preußischen Verwaltungsrechts, Bd. 1ff. 1884ff.; Drecktrah, V., Die
Gerichtsbarkeit in den Herzogtümern Bremen und Verden, 2002; Blazek, M., Von
der Landdrostey zur Bezirksregierung, 2004
Druck ist das Einwirken auf einen Gegenstand mit
Gewicht oder Kraft. Seit etwa 1440 (1454?) werden Texte durch farbigen Abdruck
einer Vorlage auf Papierblätter (Buchdruck mit berweglichen Lettern seitens
Johannes Gutenbergs) vervielfältigt (z. B. Bibel in 42 Zeilen je Seite).
Einblattdrucke (z. B. Ablassbriefe, Gebete, Mahnschreiben) werden ab 1475
häufig.
Lit.: Eisermann, F., Verzeichnis
der typographischen Einblattdrucke im Heiligen römischen Reich deutscher
Nation, Bd. 1ff. 2004; Westphal, J., Die Darstellung von Unrecht in
Flugblättern der frühen Neuzeit, 2008
Druckprivileg ist das seit Erfindung des Buchdrucks (1440-1454) auf Grund des vom
Kaiser beanspruchten Buchregals in Übung kommende herrscherliche, meist
zeitlich begrenzte, mit Strafgeldern und Vermögenseinziehung bewehrte
Privileg, zum Schutz vor allem der Drucker und auch Verleger sowie mittelbar
letztlich auch der Urheber ein bestimmtes Buch ausschließlich zu drucken und
dementsprechend Nachdrucke Nichtprivilegierter zu bekämpfen (Venedig 1469 auf
fünf Jahre befristetes, ausschließliches Privileg Bücher zu drucken für Johan
von Speyer [† 1470]], Herzog von Mailand 1481 Nachdrucksverbotsprivileg, im
Heiligen römischen Reich 1501 Nachdruckprivileg für Conrad Celtis, Frankreich
1507, England 1518). Das vielfach erteilte und meist im jeweiligen Werk auch
abgedruckte D. wird auf Drängen der Buchhändler und Verleger seit dem 19. Jh.
durch das sie und die Urheber vollkommener schützende →Urheberrecht
(Preußen 11. 6. 1837 Gesetz zum Schutze des Eigentums an Werken der
Wissenschaft und Kunst gegen Nachdruck) abgelöst.
Lit.: Pütter, J., Der Büchernachdruck, 1774; Bluntschli,
J., Deutsches Privatrecht Bd. 1, 1853; Eisenhardt, U., Die kaiserliche Aufsicht
über den Buchdruck, Buchhandel und Presse, 1970; Gieseke, L., Vom Privileg zum
Urheberrecht, 1995; Wadle, E., Geistiges Eigentum, 1996; Gergen, T., Die
Nachdruckprivilegienpraxis Württtembergs im 19. Jahrhundert, 2007
Dualismus ist
grundsätzlich jede Lehre, die von zwei voneinander unabhängigen meist
gegensätzlichen Gegebenheiten ausgeht. In diesem Sinne besteht seit dem 14. Jh.
ein (durch gegenseitige vertragliche Treuebindung befriedeter) ständisch-monarchischer
D. (Otto von Gierke 1868) zwischen Landesherr und Landständen, der im
Absolutismus zu Lasten der Landstände (vor allem in Österreich und Preußen)
weitgehend verschwindet. In Österreich sind nach 1867 dualistische Angelegenheiten
die in übereinstimmenden Beschlüssen des österreichischen Reichsrats und des
ungarischen Reichstags geregelten Angelegenheiten (Münzwesen, Zollgesetzgebung,
Eisenbahnlinien, Wehrsystem), deren Verwaltung in Österreich und Unganr
jeweils eigenständig erfolgt.
Lit.: Gierke, O. v., Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd.
1 1868, Neudruck 1954; Brunner, O., Land und Herrschaft, 5. A. 1965;
Thouzellier, C., Livre de deux principes, 1973; Rosenau, K., Hegemonie und
Dualismus, 1986; Vormünder des Volkes?, 1999; Olechowski-Hrdlicka, K., Die
gemeinsamen Angelegenheiten der österreichisch-ungarischen Monarchie, 2001
Duaren,
François (Bourges 1509-1559), adliger Richterssohn, wird nach dem Rechtsstudium
in Bourges und nach weiteren Studien bei Budé Advokat am Parlament von Paris
und 1538 Nachfolger Alciats in Bourges. 1544 setzt er sich in der Schrift
(lat.) De ratione docendi discendi iuris (Von der richtigen Art Recht zu lehren
und zu lernen) für eine moderne Studiengestaltung (lat. →mos [M.]
Gallicus) mit Einführungslehrveranstaltungen, guten Sprachkenntnissen und
neuer Methodik ein. Sein gleichzeitig erscheinender Kommentar über Verträge
beeinflusst die Entwicklung des Schuldrechts (u. a. Grundsatz der Beschränkung
der Herausgabe des ungerechtfertigt Erlangtem auf die noch vorhandene
Bereicherung).
Lit.: Vogt, W., Franciscus Duarenus,
1971
Dublin in
Irland erscheint im 3. Jh. 1171 erhält es das Stadtrecht von Bristol. 1591 bzw.
1909 werden Universitäten gegründet. Seit 1922 ist D. Hauptstadt Irlands.
Lit.: Stewig, R., Dublin, 1959
Duderstadt
Lit.:
Bilgenroth-Barke, H., Kriminalität und Zahlungsmoral im 16. Jahrhundert, 2010
Duell ist
der geordnete Waffenkampf zweier Streitender (zur Sühnung einer Ehrverletzung).
Wurzeln des Duells reichen vielleicht in die Vorzeit zurück. Im Frühmittelalter
durchaus allgemein häufig, tritt im Hochmittelalter der ritterliche Zweikampf
zu Ross mit Schild und Lanze in den Vordergrund. Im engeren Sinn entwickelt
sich das D. erst in der Neuzeit. Vom 17. Jh. an wird es unter strenger
Strafandrohung ohne besonderen Erfolg verboten. Erst nach Ende der
adelsgeprägten Gesellschaft (1918) verschwindet das ernsthafte D. gänzlich.
Seit 1969 gelten die allgemeinen Strafrechtsnormen, wovon freilich
rechtstatsächlich die studentische Mensur noch nicht erfasst wird.
Lit.: Below, G. v., Das Duell in Deutschland, 1896; Fehr,
H., Der Zweikampf, 1908; Prokowsky, D., Die Geschichte der Duellbekämpfung,
Diss. jur. Bonn 1965; Slawig, J., Der Kampf gegen das Duellwesen, Diss. jur.
Münster 1986; Kiernan, V., The Duel in European history, 1988; Dieners, P., Das
Duell, 1992; MacAleer, K., Dueling, 1994; Bringmann, T., Reichstag und
Zweikampf, 1997; Schmiedel, H., Berüchtigte Duelle, 2000; Schlink, B., Das
Duell im 19. Jahrhundert, NJW 2002, 537; Walter, W., Das Duell in Bayern, 2002;
Baumgarten, R., Zweikampf, 2002; Das Duell, hg. v. Ludwig, U. u. a., 2011;
Geifes, S., Das Duell in Frankreich 1789-1830, 2013
Duguit,
Léon (Libourne/Frankreich 1859-Bordeaux 1928), Professor des öffentliches
Rechtes in Caen und Bordeaux (1892), sieht den Staat positivistisch-realistisch
als bloße Gruppe von an einer Aufgabe arbeitenden, von Regierenden gelenkten
und kontrollierten Menschen an.
Lit.: Dumas, u. a., A la mémoire de Léon Duguit, 1929;
Grimm, D., Solidarität als Rechtsprinzip, 1973
Duisburg an der Mündung der Ruhr in den Rhein ist (883/884)
Pfalz (Dispargum) des fränkischen Königs, wird 1129 (?) Stadt (regia villa) und
kommt 1290 als Pfand vom König an Kleve und damit 1614 an Brandenburg. Von 1655
bis 1818 (dann Bonn) ist es Sitz einer von Preußen gegründeten Universität,
seit 1972 Sitz einer Gesamthochschule (1980 Universität).
Lit.: Geschichte der Universität Duisburg, hg. v. Ering, W., 1920; Ahrens, T.,
Aus der Lehr- und Spruchtätigkeit der alten Duisburger Juristenfakultät, 1962;
Roden, P. v./Jedin, H., Die Universität Duisburg, 1968; Roden, P.. v.,
Geschichte der Stadt Duisburg, 1970ff.; Komorowski, M., Bibliographie der Duisburger
Universitätsschriften (1652-1817), 1984; Born, G./Kropatschek, F., Die alte Universität
Duisburg, 1992; Die Protokolle des Duisburger Notgerichts 1537-1545, hg. v.
Mihm, M., 1994; Zur Geschichte der Universität, hg. v. Hantsche, I., 1997;
Jägers, R., Duisburg im 18. Jahrhundert, 2001; Zur Geschichte der Universität
Duisburg 1655-1818, hg. v. Geuenich, D. u. a., 2007; Mihm, M. u. a.,
Mittelalterliche Stadtrechungen im historischen Prozess, Bd. 1f. 2007f.
Du Moulin (Molinaeus,
Dumoulin), Charles (1500-1566), aus einer Juristenfamilie, wird nach dem
Sprachstudium bei Budé und dem Rechtsstudium in Poitiers und Orléans 1522
Advokat in Paris und gelangt nach seiner Vertreibung wegen seiner Zugehörigkeit
zum Calvinismus über Basel, Genf und Straßburg 1553-1555 als Rechtslehrer nach
Tübingen. 1539 kommentiert er die Coutume von Paris von 1510, 1567 zahlreiche
französische Gewohnheitsrechte (Le grand coutumier).
Lit.: Gamillscheg, F., Der Einfluss Du Moulins auf die
Entwicklung des Kollisionsrechts, 1955; Thireau, J., Charles Du Moulin, 1980
Dundee wird
1200 erwähnt. 1883/1967 erlangt es eine Universität. Seit 1889 ist es Stadt.
Lit.: Maxwell, A., Old Dundee, 1891
Duoviri (lat.
[M.Pl.] Zweimänner) sind im altrömischen Recht ein Organ des Strafverfahrens,
im spätantiken römischen Recht ein gemeindliches Verwaltungsorgan.
Lit.: Kaser § 80; Köbler, DRG 20, 55
duplum (lat.
[N.]) Doppeltes
Lit.: Söllner § 8; Köbler, DRG 27, 65
Durantis (Duranti), Guilelmus der Ältere (Speculator) (Puimoisson/Languedoc
(1230?) 1237-Rom 1. 11. 1296) wird nach dem Rechtsstudium in Lyon? und Bologna
(1255, doctor decretorum) Rechtslehrer in Modena und vielfältiger päpstlicher
Amtsträger (1271 Richter, 1279 Dekan in Chartres, 1286 Bischof von
Mende/Südfrankreich). Sein vierbändiges, in mindestens 130 Handschriften
überliefertes Hauptwerk (lat. →Speculum [N.] iudiciale, Gerichtsspiegel, 1271-vor
1276, 2. A. 1289-1291, Druck Straßburg 1473, Neudruck 1975) behandelt, dem
Ablauf eines Prozesses folgend, in vier Teilen (Personen, Zivilsachen,
Kriminalsachen, einzelne Klagen) in erschöpfender Sammlung und Verwaltung der
prozessrechtlichen Literatur das gesamte geistliche Gerichtsrecht unter
Berücksichtigung vieler Formulare.
Lit.: Köbler, DRG 107; Savigny, F. v., Geschichte des römischen
Rechtes im Mittelalter, 2. A. Bd. 5 1850, 571; Guillaume Durand, hg. v. Gy, P.,
1992; Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 478
Durchgangserwerb ist der nur durchgangsweise erfolgende Erwerb eines Rechtes,
das unmittelbar nach Eingang in das Vermögen des Durchgangserwerbers aus diesem
wieder ausscheidet.
Lit.: Weyand, S., Der Durchgangserwerb,
1989
Durch zweier Zeugen Mund wird die Wahrheit
kund.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 360 (Simrock 1846)
Durlach
Lit.:
Mührenberg, A., Kleine Geschichte Durlachs, 2009
dux (lat.
[M.]) Feldherr, Führer, Herzog (z. B. im westfränkischen Reich dux Britonum
860, dux Aquitanorum 909, dux Burgundiae 918, dux Francorum 937, dux
Normannorum 1006, dux Gasconum 1022, dux Narbonae 1088)
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 55; Sprandel, R., Dux
und comes in der Merowingerzeit, ZRG GA 74 (1957), 41; Kienast, W., Der
Herzogstitel in Frankreich und Deutschland, 1968; Ebling, H., Prosopographie
der Amtsträger, 1974; Goetz, H., „Dux“ und „ducatus“, 1977; Gasparri, S., I duchi
longobardi, 1978; Holzfurtner, L., Gloriosus dux, 2003; Geist, S., Der
gescheiterte Feldherr, 2009
Dynastie (Herrschergeschlecht)
→Merowinger, →Karolinger, →Ottonen (bzw. Sachsen), →Salier,
→Staufer, →Welfen, →Babenberger, →Wittelsbacher,
Luxemburger, →Wettiner, →Hohenzollern, →Habsburger,
Kapetinger, Bourbonen, Stuart u. a.
Lit.: Schmid, K., Zur Problematik von Familie, Sippe und
Geschlecht, Haus und Dynastie, ZGO 105 (1957); Sokop, B., Stammtafeln
europäischer Herrscherhäuser, 1976; Thoma, G., Namensänderungen in Herrscherfamilien
des mittelalterlichen Europa, 1985; Sokop, B., Stammtafeln europäischer
Herrscherhäuser, 1989; Hlawitschka, E., Der Thronwechsel des Jahres 1002 und
die Konradiner, ZRG GA 110 (1993), 149; Durschmied, E., Der Untergang großer
Dynastien, 2000
E
Ebel, Wilhelm (Garsuche/Schlesien 7. 6.
1908-Göttingen 22. 6. 1980) wird nach dem Studium von Rechtswissenschaft,
Geschichte und Sprachen in Königsberg, Heidelberg und Bonn 1933 bei Adolf Zycha
in Bonn promoviert, 1936 habilitiert und 1938 nach Rostock berufen. 1939
wechselt er als Nachfolger Herbert Meyers nach Göttingen (bis 1945, ab 1954),
wo er 1965 vorzeitig emeritiert wird. Besonders verdient macht er sich durch
Arbeiten zum lübischen Recht und durch Quelleneditionen.
Lit.: Landwehr, G., Wilhelm Ebel,
ZRG GA 98 (1981), 467; Die deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit, hg. v.
Rückert, J. u. a., 1995
Ebenburt →Ebenbürtigkeit
Ebenbürtigkeit (Ebenburt) ist die von der Gleichheit des (Geburts-)Standes abhängige
rechtliche Gleichheit. Ihr ähnelt im römischen Recht das →conubium. Wann
im Mittelalter E. eine Voraussetzung einer Rechtsfolge wird, lässt sich nicht eindeutig
feststellen. Immerhin ist erkennbar, dass seit der karolingischen Zeit der
Hochadel nahezu ausnahmslos unter sich heiratet. Später zeigen sich
Auswirkungen auch im Verfahrensrecht (E. der Urteiler, der Zeugen, des
kampflich Ansprechberechtigten). Mit dem Verlust der Vorrangstellung des Adels
verschwindet (spätestens 1918) auch die rechtliche Bedeutung der E.
weitgehend.
Lit.: Köbler, DRG 120; Pütter, J., Über Missheiraten
teutscher Fürsten und Grafen, 1796; Göhrum, C., Geschichtliche Darstellung der
Lehre von der Ebenbürtigkeit, 1846; Dungern, O. v., Das Problem der
Ebenbürtigkeit, 1905; Anschütz, G., Das Reichskammergericht und die
Ebenbürtigkeit, ZRG GA 27 (1906), 172; Minnigerode, H. v., Ebenburt und
Echtheit, 1912; Spieß, K., Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des
Spätmittelalters, 1993; Willoweit, D., Standesungleiche Ehen des regierenden
hohen Adels in der neuzeitlichen deutschen Rechtsgeschichte, 2004
Ebenteuer (N.) Sicherstellung (z. B. des Erwerbers eines
ohne Erbenlaub veräußerten Gutes unmündiger Kinder) durch gleichen Wert (z. B.
Pfand)
Lit.: Mayer-Maly, T., Ebenteuer,
ZRG GA 72 (1955), 216
Ebstorf
Lit.: Urkundenbuch des Klosters
Ebstorf, hg. v. Jaitner, K., 1985; Die Ebstorfer Weltkarte, hg. v. Kugler, H.,
2007
ecclesia (lat. [F.]) Kirche
Ecclesia non sitit sanguinem (lat., die Kirche dürstet nicht nach Blut) ist eine
mittelalterliche Rechtsregel unbekannter Herkunft, die begründet, weshalb
Geistliche nicht an Verfahren teilnehmen dürfen, die zu einer →Todesstrafe
oder Verstümmelungsstrafe führen können. Sie wird im Hochmittelalter sichtbar
(Westminster 1173, Rouen 1190, Dublin 1214). Sie hat zur Folge, dass die Kirche
in ihren weltlichen Herrschaftsgebieten Gerichtshalter (Vögte) einsetzen muss,
die für sie das Blutgericht ausführen. Zumindest inhaltlich nicht an ihre
Selbstbeschränkung hält sich die Kirche gegenüber Ketzern, Zauberern und Hexen.
Auch bei Kreuzzügen scheut die Kirche vor dem Blutvergießen nicht zurück.
Lit.: Stickler, A., Il gladius negli Atti dei concili,
Salesianum 13 (1951), 414; Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
Ecclesia vivit lege Romana (lat., die Kirche lebt nach römischem Recht) ist eine
beispielsweise in der (lat.) →Lex (F.) Ribvaria (61) des 7. Jh.s bezeugte
mittelalterliche Rechtsregel, die zum Ausdruck bringt, dass die christliche
Kirche grundsätzlich römische Rechtsgedanken angenommen hat und ihre Geltung
für ihre Angehörigen einfordert. Stellenweise grenzt sich die Kirche aber auch
bewusst vom römischen Recht ab.
Lit.: Biondi, B., Il diritto Romano Cristiano, 1952ff.;
Feine, H., Vom Fortleben des römischen Rechtes in der Kirche, ZRG KA 73 (1956),
1; Fürst, C., Ecclesia vivit lege Romana?, ZRG KA 92(1975), 17; Liebs, D.,
Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007 (Lex Ribvaria 763/4)
Echte Not ist
die von der mittelalterlichen Rechtsordnung als Ausnahmetatbestand einer
Rechtsregel anerkannte besondere Lage (z. B. ist Säumnis im Verfahren bei
echter Not [z. B. Krankheit, Haft, Unwetter, Krieg, Kreuzzug] entschuldigt),
deren Wirkung in dem Satz Echte Not kennt kein Gebot zum Ausdruck kommt.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Schmidt,
A., Echte Not, 1888; Sousa Costa, A. de, Studien zu volkssprachigen Wörtern in
kaorlingischen Kapitularien, 1993, 151
Echtes Ding ist
das nicht besonders gebotene, regelmäßig zu einem bestimmten Zeitpunkt
stattfindende →Ding.
Eckhardt, Karl August (Witzenhausen 5. 3.
1901-Witzenhausen 29. 1. 1979); Rechtsanwaltssohn, wird nach dem Studium der
Rechtswissenschaft in Marburg 1922 vier Wochen nach der ersten juristischen
Staatsprüfung bei Walther Merk mit einer Dissertation über die Witzenhäuser
Schwabenspiegelhandschrift promoviert und 1924 mit 23 Jahren in Göttingen bei
Herbert Meyer mit einer Schrift über den Deutschenspiegel für deutsches Recht
habilitiert. 1928 wird er ordentlicher Professor in Kiel, 1932 (mit bereits
mehr als 70 Veröffentlichungen) an der Handelshochschule Berlin, dann in Bonn,
1933 in Kiel, 1934 für Geschichte in Berlin und Hauptreferent für Recht, Staat,
Politik, Wirtschaft und Geschichte der Hochschulabteilung des Reichs- und
preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung
(Eckhardtsche juristische Studienreform). 1936 wechselt er an die juristische
Fakultät, 1937 nach Bonn, zeitweise ist er in Paris. 1945 wird er als
entschiedener Anhänger der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei
(Oktober 1933 Mitglied der SS, 1935 zum persönlichen Stab des Reichsführers SS
abkommandiert) (mit 44 Jahren) seines Amtes enthoben, 1948 in den vorzeitigen
Ruhestand versetzt, eine Emeritierung wird von seiner Fakultät verhindert. Als
Privatgelehrter führt er seine Editionstätigkeit mittelalterlicher Rechtsquellen
mit starkem persönlichem Einsatz fort.
Lit.: Festschrift zum 60.
Geburtstag von Karl August Eckhardt, hg. v. Perst, O., 1961; Werksverzeichnis
Karl August Eckhardt, zusammengestellt v. Eckhardt, A., 1979; Krause, H., Karl
August Eckhardt, DA 35 (1979), 1; Die Juristen der Universität Bonn im Dritten
Reich, hg. v. Schmoeckel, M., 2004, 160
Edda (an. Urgroßmutter?) ist der Name für eine in
einer um 1270 (anonym) verfassten isländischen Handschrift (lat. [M.) Codex
regius) überlieferten altnordischen Liedersammlung (Götterlieder und
Heldenlieder) in Stabreimen (Liederedda, mit der noch weitere Texte anderer
Handschriften als [lat. N. Pl.] Eddica minora verbunden werden,) und vor allem
für ein überwiegend in Prosa gehaltenes, um 1225 entstandenes altnordisches
Werk des Isländers Snorri Sturluson (1179-1241) über altnordische Dichtung und
Mythologie (Snorra Edda), von denen die möglicherweise erheblich ältere
Geschehnisse verarbeitende Liederedda auch als rechtsgeschichtlich ertragreich
angesehen wird.
Lit.: Snorra Edda, hg. v. Jónsson,
F., 1900; Eddica minora, hg. v. Heusler, A. u. a., 1903, Neudruck 1974); Edda -
Die Lieder des Codex regius nebst verwandten Denkmälern, hg. v. Neckel, G., 5.
A. 1936; Kommentar zu den Liedern der Edda. hg. v. See, K. v. u. a., Bd. 2ff.
1997ff.; Fidjestøl, B., The Dating of Eddic Poetry, 1999; Krause, A., Die
Götter- und Heldenlieder der älteren Edda, 2004; Gudmundsson, Ó., Snorri
Sturluson, 2011
Eddach (mnd.)
Eidtag
Lit.: Ebel, W., Bursprake, echteding, eddach, FS H.
Niedermeyer, 1953, 53
edictum (lat. [N.]) Ausgesagtes, Ankündigung, Festlegung, Edikt (z. B. e. des
römischen Prätors, in dem er angibt,
nach welchen Grundsätzen er in seinem Amt Recht sprechen wird, oder der kurulischen Ädilen über die Folgen eines Mangels bestimmter
Sachen wie Sklaven, Zugtieren und Lasttieren)
Edictum Chilperici ist das von dem merowingischen
König Chilperich I. (561-584, Reichsteil um Soissons) verfasste, in einer
karolingischen Handschrift überlieferte Edikt bzw. Kapitular.
Lit.: Beyerle, F., Das legislative
Werk Chilperichs I., ZRG GA 78 (1961), 1; Pactus legis Salicae, hg. v.
Eckhardt, K., 1962, Tit. 106-116
Edictum Theoderici
ist der nur durch einen frühneuzeitlichen Druck (Pierre Pithous [1579] aus zwei
seitdem verschollenen Handschriften) überlieferte Rechtstext der ausgehenden
Spätantike (2. H. 5. Jh.?), der in 154 bzw. 155 kurzen, zeitlich geordneten
Kapiteln unter Verwendung des (vulgar umgeformten römischen) Codex Theodosianus,
des Codex Gregorianus und des Codex Hermogenianus sowie der sog. Paulussentenzen
und der Responsen des Paulus verschiedenste Gegenstände behandelt und dabei in
26 Kapiteln die Todesstrafe androht. Streitig ist, ob das E. T. dem Gotenkönig →Theoderich
dem Großen (493-526) und der Zeit um 500 zugeschrieben werden kann (oder älter
ist).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 53, 80; Bluhme, F.,
MGH LL (in folio) 5, 1, 145-168, 176-179; Gaudenzi, A., Die Entstehungszeit
ZRG GA 7 (1886), 29; Buchner, R., Die Rechtsquellen, 1953; Vismara, G., Edictum
Theoderici, 1967, Ius Romanum Medii Aevi I 2 b aa α, dazu Nehlsen, H., ZRG
GA 86 (1969), 246; Stelzer, W., Gelehrtes Recht, 1982; Liebs, D., Die
Jurisprudenz im spätantiken Italien, 1987; Kohlhas-Müller, D., Untersuchungen
zur Rechtsstellung Theoderichs des Großen, 1995; Lafferty, S., Law and Society
in the Age of Theoderic the Great, 2013
Edictum (N.) tralaticium (lat.) ist das überlieferte →Edikt des römischen
Prätors. Um 130 n. Chr. beauftragt Kaiser Hadrian den Rechtskundigen Julian mit
der Festlegung des bis dahin jährlich neu angenommenen Edikts in einem
(lat.) edictum (N.) perpetuum (dauernden, unveränderlichen Edikt mit rund 500
Sachpunkten in fünf Teilen). Nach diesem Zeitpunkt übernehmen die kaiserlichen
Konstitutionen die bis dahin von den Prätoren wahrgenommene Aufgabe der
Rechtsfortbildung.
Lit.: Köbler, DRG 30; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/EdictumPerpetuumPraetorisUrbani_Lenel.htm
Edictus Rothari
ist das unter der Herrschaft König Rotharis 643 in 388 Kapiteln lateinisch
aufgezeichnete Recht der Langobarden (→Volksrecht). Es berücksichtigt
neben den hergebrachten Gewohnheiten (langobardisch cawarfide) römisches Recht,
biblische Gedanken und vielleicht westgotisches, bayerisches, alemannisches
und fränkisches Recht. Die Nachfolger Rotharis fügen Ergänzungen an (→Leges
Langobardorum).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 81; Edictus ceteraeque
Langobardorum leges, ed. Bluhme, F., 1869; Njeussychin, A., Der Freiheitsbegriff
im Edikt des Rothari, ZRG GA 66 (1948), 64; Buchner, R., Die Rechtsquellen,
1953; Dold, A., Zur ältesten Handschrift des Edictus Rothari, 1955; Cavanna,
A., Nuovi problemi intorno alle fonti, Studia et documenta 34 (1968), 269;
Cavanna, A., La civiltà giuridica longobarda, 1978; Vismara, G., Il diritto in
Italia nell’ alto medioevo, 1981
Edikt („Ausspruch“ist allgemein die Bekanntmachung oder der Erlass. In der römischen
Rechtsgeschichte ist das Edikt des Gerichtsmagistrats (Prätors) die Bekanntmachung
vor allem der Grundsätze, die der Gerichtsmagistrat während der gesamten Dauer
seiner Amtszeit beachten will (lat. edictum [N.] perpetuum, dauerhafte
Bekanntmachung z. B. einer Prozessformel, einer Rechtsschutzverheißung).
Kaiser Hadrian lässt um 130 n. Chr. das Edikt der Prätoren (lat. praetor [M.]
urbanus und praetor peregrinus) und der kurulischen Ädilen durch den
Rechtskundigen Salvius →Iulianus in eine endgültige, nur mehr durch den
Kaiser abänderbare oder ergänzbare Fassung bringen.
Lit.: Kaser §§ 2, 80; Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 22;
Söllner §§ 9, 15, 16, 23; Köbler, DRG 31, 161; Lenel, O., Das Edictum
perpetuum, 3. A. 1927, Neudruck 1956; Selb, W., Das prätorische Edikt, FS M.
Kaser, 1986, 259
Ediktalzitation ist die durch öffentliche Bekanntmachung erfolgende Ladung
eines Beklagten, den eine persönliche Ladung nicht oder schwer erreicht (z. B.
durch Anschlag an einem öffentlichen Gebäude wie einem Rathaus oder einer
Kirche). Sie stammt aus dem römischen Recht. Sie erscheint im 13. Jh. auch im
deutschen Reich (Reichsabschied vom 19. 11. 1274) und wird danach im
Kameralprozess als subsidiäre Einrichtung aufgenommen. Sie ist in der öffentlichen
Zustellung der Gegenwart erhalten (§§ 186 II 1, 187 ZPO, § 40 I StPO). Von der
E. zu unterscheiden ist die Feststellung, dass der Beklagte vor Gericht nicht
erschienen ist.
Lit.: Haase, C., Über Edictalladungen und Edictalprozeß,
1817; Meyer, H., Das Strafverfahren gegen Abwesende, 1869; Bethmann Hollweg, M.
v., Der Zivilprozess des gemeinen Rechts, Bd. 5 1873, 111; Planck, J., Das
deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd. 1 1879, Neudruck 1973, 339;
Opet, O., Geschichte der Prozesseinleitungsformen, 1891; Sellert, W., Die
Ladung des Beklagten vor das Reichskammergericht, ZRG GA 84(1967), 202; Reinschmidt,
T., Die Einleitung des Rechtsganges und des Versäumnisverfahrens im
salfränkischen Recht, Diss. jur. Frankfurt am Main 1968; Kaser, M./Hackl, K.,
Das römische Zivilprozessrecht, 2. A. 1996, § 71
Edikt von Nantes
ist das am 13. 4. 1598 von König Heinrich IV. von Frankreich erlassene Edikt,
welches das katholische Bekenntnis als Staatsreligion bestätigt, den Hugenotten
(französische Protestanten) Gewissensfreiheit und ungefähr 100 sichere Orte
gewährt.
Edinburgh ist die am Firth of Forth sich
unterhalb einer seit dem 6. Jh. nachgewiesenen Burg entwickelnde Siedlung, in
der seit dem Ende des 11. Jh.s die schottischen Könige sitzen (um 1470-1707
Hauptstadt). 1583 erlangt es eine Universität.
Lit.: Arnot, H., The History of Edinburgh, 1779
Edition (F.) Ausgabe, Herausgabe, Bekanntgabe von
Klagemitteilung und Beweisurkunde im römischen und frühneuzeitlichen
Zivilprozess
Lit.: Bresslau, H., Geschichte der
Monumenta Germaniae Historica, 1921; Richtlinien für die Edition landesgeschichtlicher
Quellen, hg. v. Heinemeyer, W., 2. A. 2000; Vom Nutzen des Edierens, hg. v.
Merta, B. u. a., 2005; Editiones principes delle opere dei padri greci e
latini, hg. v. Cortesi, M., 2006; Editionen - Wandel und Wirkung, hg. v. Sell,
A., 2007; Erlanger Editionen, hg. v. Neuhaus, H., 2009
Eferding
Lit.: Die Rechtsquellen der Stadt
Eferding, hg. v. Wutzel, O., 1954
Eger
Lit.: Siegl, K., Alt-Eger, 1927;
Sturm, H., Eger, (1951); Šimek, E., Chebsko (Das Egerland), 1955; Das Egerer
Urgichtenbuch, hg. v. Skála, E., 1972; Sturm, H., Districtus Egranus, 1981
Ehaft (zu dem Adj. ehaft, echt, rechtmäßig) ist vor allem in Bayern die örtlich verbreitete Bezeichnung
für →Weistum.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Meyer, C., Ehaften des Klosters
Heidenheim, ZRG GA 14 (1894), 168; Eisenbrand, T., Ehehaftsordnungen im
Hochstift Eichstätt, 1938; Trauchburg, G. v., Ehehaften und Dorfordnungen, 1995
Ehalt ist
die örtlich verbreitete Bezeichnung für →Gesinde.
Ehe (mit anderer Bedeutng
schon für das Indogermanische zu erschließen) ist die mit Eheschließungswillen eingegangene anerkannte
Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau. Bei den Indogermanen gibt vermutlich
der Vater die Tochter dem Mann, der sie (in das eigene Haus) führt, aber zu den
Eltern der Frau in keine (verwandtschaftliche) Beziehung tritt. Im altrömischen
Recht, in dem die E. ein hauptsächlich sozial geordnetes Verhältnis (gewollte
tatsächliche Lebensgemeinschaft mit Rechtsfolgen) ist, verspricht der
Gewalthaber der Braut diese dem Bräutigam. Daneben kann der Bräutigam
seinerseits die Heimführung zusagen. Beides kann durch Geldversprechen
gesichert werden und wird regelmäßig danach erfüllt. Die Eheschließung selbst
erfordert den übereinstimmenden Willen, die E. einzugehen. Kaiser Augustus (27
v. Chr.-14 n. Chr.) stellt Eheverbote und Ehegebote auf (lex Iulia de
maritandis ordinibus 18 v. Chr. Eheverbote, Lex Iulia de adulteriis 18 v. Chr.
Ehebruchsstrafen, lex Papia Poppaea 9 n. Chr. Ehegebote). Vielleicht schon im
klassischen römischen Recht, jedenfalls in der Spätantike wird die E. unter
vorwiegend christlichem Einfluss ein stärker rechtlich geprägtes Verhältnis,
wobei die Kirche ihrerseits die Gegensätze zwischen alttestamentarischem
Eheverständnis (Mehrehe, Ehescheidung) und neutestamentarischen Eheverständnis
(Einehe auf Lebenszeit) ausgleichen muss. Für den Eheschluss der mündigen
Brautleute genügt der jetzt rechtlich eingeordnete Konsens, der aber in der
Regel nur durch Urkunden über eine Mitgiftbestellung bewiesen wird. Im
Frühmittelalter setzen sich die kirchlichen Vorstellungen gegenüber den germanischen
Gestaltungen (Vertrag zwischen Brautvater und Bräutigam [Muntehe, daneben
vielleicht Entführungsehe und angeblich Raubehe und Kebsehe], Möglichkeit der
Mehrehe) durch. Wohl seit dem 12. Jh. gilt der bereits den Kirchenvätern des
Altertums bekannte Satz, dass allein die Vereinbarung die E. begründet ([lat.]
solus consensus facit nuptias). Seit dem 12./13. Jh. soll aus Gründen der
Rechtssicherheit ein vorheriges Aufgebot (1215) und die Erfragung des Ja-Wortes
durch den Priester erfolgen. Die E., die im 13. Jh. unter Einengung einer
ursprünglich weiteren Bedeutung (ahd. ewa, Recht) ihren Namen E. erhält und die
vor kirchlichen Gerichten hauptsächlich von Frauen eingeklagt wird, wird
christliches Sakrament. Die durch Martin Luthers Reformation von 1517
begründete protestantische Kirche lehnt dies ab und sieht die E. als Vertrag.
In der frühen Neuzeit wendet sich die Aufklärung überhaupt gegen das kirchliche
Wesen der E. Es wird die Schließung der E. vor einer staatlichen Stelle
zugelassen oder vorgeschrieben (England 1653, Frankreich 1792). Im Kulturkampf
wird im deutschen Reich die obligatorische Zivilehe in der Form gegenseitiger
Willenserklärungen vor dem Standesbeamten festgesetzt (Preußen 1874, 6. 2. 1875
Personenstandsgesetz des Reiches). Daneben besteht die Möglichkeit der
(zusätzlichen, nachträglichen) kirchenrechtlichen E. fort. Das Bürgerliche
Gesetzbuch von 1900 geht von der auf Lebenszeit von den Eheleuten vor dem
Standesbeamten geschlossenen E. aus, sieht aber die Möglichkeit der
Ehescheidung durch gerichtliches Urteil bei Vorliegen bestimmter Gründe vor.
Am Ende des 20. Jh.s wird die Ehe rechtstatsächlich durch viele nichteheliche
Lebensgemeinschaften und gesetzlich durch die Zulässigkeit der eingetragenen
gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft ergänzt bzw. ersetzt. Dementsprechend
wird auch auf die Priorität der staatlichen Eheschließung vor der
kirchenrechtlichen Eheschließung verzichtet.
Lit.: Kaser § 58; Söllner §§ 5, 6, 7, 8, 12, 14, 18, 23; Hübner
624ff.; Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Köbler, DRG 15, 22, 36, 58, 114, 120, 161,
209, 238, 267; Baltl/Kocher; Schulte, J. v., Handbuch des katholischen
Eherechts nach dem gemeinen katholischen Kirchenrecht, 1855; Friedberg, E., Das
Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwicklung, 1865, Neudruck
1965; Sohm, R., Das Recht der Eheschließung, 1875; Kawerau, W., Die Reformation
und die Ehe, 1892; Köstler,
R., Muntwalt und Ehebewilligung, ZRG GA 29 (1908), 78; Schlatter, A., Der
Schutz der ehelichen Gemeinschaft, 1920; Hoyer, E., Die Ehen minderen Rechts,
1926; Preisker, H., Christentum und Ehe in den ersten drei Jahrhunderten, 1926,
Neudruck 1979; Joyce, G., Die christliche Ehe, 1934; Plöchl, W., Das Eherecht
des Magisters Gratian, 1935; Vaccari, P., Il matrimonio germanico, 1935; Schubart-Fikentscher,
G., Das Eherecht im Brünner Schöffenbuch, 1935; Goern, H., Das Ehebild im
deutschen Mittelalter, 1936; Köhler, W., Die Anfänge des protestantischen
Eherechts, ZRG KA 61 (1941), 271; Köstler, R., Raub-, Kauf- und Friedelehe bei
den Germanen, ZRG GA 63 (1943), 92; Conrad, H., Die Grundlegung der modernen
Zivilehe durch die französische Revolution, ZRG GA 67 (1950), 336; Erle, M.,
Die Ehe im Naturrecht, Diss. jur. Göttingen 1952; Ziegler, J., Die Ehelehre der
Poenitentialsummen, 1956; Lettmann, R., Die Diskussion über die klandestinen
Ehen, 1966; Schwab, D., Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung
in der Neuzeit, 1967; Tietz, G., Verlobung, Trauung und Hochzeit in den
evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, 1969; Schulze-Beckhausen,
O., Das Ehe- und Familienrecht im Sachsenspiegel, 1970; Gräfe, R., Das Eherecht
in den Coutumiers des 13. Jahrhunderts, 1972; Dufour, A., Le mariage dans
l’Ecole allemande du droit naturel moderne, 1972; Giesen, D., Grundlagen und
Entwicklung des englischen Eherechts, 1975; Huber, J., Der Ehekonsens im
römischen Recht, 1977; Mikat, P., Dotierte Ehe – rechte Ehe, 1978; Die
nichteheliche Lebensgemeinschaft, hg. v. Landwehr, G., 1978; Fricke, F., Das
Eherecht des Sachsenspiegels, 1978; Raiser, B., Die Rechtsprechung zum
deutschen internationalen Eherecht im Dritten Reich, 1980; Hauser, H., Die geistigen Grundlagen des Eherechts an der Wende
des 18. zum 19. Jahrhundert, 1980; Buchholz,
S., Eherecht zwischen Staat und Kirche, 1981; Ehen ohne Ring, hg. v. Böhme, W.,
1981; Buchholz, S., Recht, Religion und Ehe, 1988; Goody, J., Die Entwicklung
von Ehe und Familie in Europa, 1990; Haibach, U., Familienrecht in der
Rechtssprache, 1991; Marriage, property and succession, ed. by Bonfield, L.,
1992; Krüger, J., Die Ehegesetzgebung des Kaisers Augustus, 1994; Seehase, H.,
Ehesachen vor dem Reichskammergericht, Diss. jur. Münster 1998; Fuhrmann, I.,
Die Diskussion über die Einführung der fakultativen Zivilehe in Deutschland und
Österreich seit Mitte des 19. Jahrhunderts, 1998; Harmat, U., Ehe auf Widerruf?
Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918-1938, 1999; Ehe und Familie,
hg. v. Hecker, H., 1999; Göwer, K., Wilde Ehen, 1999; Blümel, K., Die Aufhebung
der sog. Rassenmischehe, Diss. jur. Regensburg 1999; Eisenring, G., Die
römische Ehe als Rechtsverhältnis, 2000; Das älteste Tübinger Ehebuch (1553-1614),
hg. v. Schiek, S. u. a., 2000; Matrimoni in dubbio a cura di Seidel Menchi S.
u. a., 2001; Schwab, C., Das Augsburger Offizialatsregister 1348-1352, 2001;
Schnell, R., Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, 2002; Saar,
S., Ehe – Scheidung - Wiederverheiratung, 2002; Mammeri-Latzel, M.,
Justizpraxis in Ehesachen im Dritten Reich, 2002; Eisenring, G., Die römische
Ehe als Rechtsverhältnis, 2002; Fischer, G., Die Problematik der Ehe, 2003;
Duncker, A., Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, 2003; Arni, C.,
Entzweiungen, 2004; Grahn-Hoek, H., Zu Mischehe, Namengebung und
Personenidentität im frühen Frankenreich, ZRG GA 121 (2004), 100; Jacobi, K.,
Der Ehetraktat des Magisters Rolandus von Bologna, 2004; Karl, A., Castitas
temporum meorum, 2004;
McCarthy, C., Marriage in Medieval England, 2004; Lang, M., Das Eheverbot wegen
Glaubensverschiedenheit, 2004; D’Avray, D., Medieval Marriage, 2005; Eisfeld,
J., Die Scheinehe, 2005; Frassek, R., Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der
Reformationszeit, 2005; Lutz, A., Ehepaare vor Gericht, 2006; Lumpp, S., Die
Scheinehenproblematik, 2007; Kaiser, D., Die elterliche Eheeinwilligung, 2007;
Westphal, S., Ehen vor Gericht, 2008; Weber, I., Ein Gesetz für Männer und
Frauen, 2009; Ehe - Haus - Familie, hg. v. Schmidt-Voges, I., 2010; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010;
Walther, S., Die (Un-)Ordnung der Ehe, 2010; Rabaa, A., Die Ehe als
Rechtsinstitut im Badischen Landrecht von 1810, 2011; Venus und Vulcanus, hg.
v. Westphal, S. u. a., 2011; Szymanski, H., Theorie und Lebenswirklichkeit,
2013; Freist, D., Glaube - Liebe - Zwietracht - Konfessionell gemischte Ehen in
Deutschland in der frühen Neuzeit, 2013
Ehebruch (Wort 1338) ist der zumindest
bedingt vorsätzliche Vollzug des Beischlafs eines Ehegatten mit einer dritten
Person anderen Geschlechts. Der wohl zunächst privat geahndete E. (der Frau),
dem nach der Bibel die Steinigung folgt (1. Moses 38,24), wird seit Augustus
(63 v. Chr.-14 n. Chr.) strafbar. Bei den Germanen darf der Mann die Frau nackt
und geschoren durch die Siedlung treiben und damit dem Untergang preisgeben
oder überhaupt töten. Ihr männlicher Partner darf in handhafter Tat bußlos
getötet werden und unterliegt im Übrigen der Rache und später der Buße. Die
christliche Kirche verlangt die Gleichbehandlung von Mann und Frau (unter
Ausschluss der Wiederheirat), setzt sie aber erst seit dem 14. Jh. in den
Städten durch. Dem folgt im Gegensatz zum Sachsenspiegel (1221-1224) und zur
Constitutio Criminalis Bambergensis (1507) die Constitutio Criminalis Carolina
(1532), äußert sich aber zur Strafe selbst nicht. Das preußische Allgemeine
Landrecht (1794) bestraft die Ehebrecher nur im Fall der Eheschließung auf
Antrag des beleidigten Ehegatten mit höchstens einjähriger Gefängnisstrafe. Je
nach dem Religionsbekenntnis ist im Josephinischen Gesetzbuch (1787) und im
Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs (1811) der E. Ehescheidungsgrund.
1969 wird in Deutschland die Strafbarkeit beseitigt (Österreich 1996, aber
schwere Eheverfehlung). Mit dem Übergang zum Zerrüttungsprinzip (1976) ist E.
als solcher auch kein Grund mehr zur Ehescheidung (in Österreich seit 1999 kein
absoluter Ehescheidungsgrund mehr).
Lit.: Söllner §§ 10, 14; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 35,
119, 264; Hälschner, H., Die Lehre vom Ehebruch, Gerichtssaal 22 (1870), 401;
Bennecke, H., Die strafrechtliche Lehre vom Ehebruch, 1884; Mommsen, T.,
Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961, 691; Dahm, G., Das Strafrecht
Italiens im ausgehenden Mittelalter, 1931, 424; Bruns, B., Ehescheidung und
Wiederheirat im Fall von Ehebruch, 1976; Bullough, V./Brundage, J., Sexual
Practices, 1982; Graf, W., Der Ehebruch im fränkischen und deutschen
Mittelalter, Diss. jur. Würzburg, 1983; Schmitz, W., Der nomos moicheias, ZRG
RA 114 (1997), 233; Kossak, W., Ehebruch, 2000; Melchior-Bonnet,
S./Tocqueville, A. de, In flagranti, 2000; Mader, K., Ehebruch als
Scheidungstatbestand, 2002; Trasgressioni, hg. v. Seidel Menchi, S., 2004;
Kümper, H., Ein spätmittelalterlicher Kurztraktatüber die Tötung der
Ehebrecherin, ZRG GA 126 (2009), 223; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ehefrau (Wort 1287) →Frau
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ehegatte (1409, Eheleute 1264)
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ehegattenerbrecht ist das Erbrecht eines Ehegatten beim Tode des anderen
Ehegatten. In Rom führt die wachsende Häufigkeit der gewaltfreien Ehe
schließlich zur Einführung einer (allen Verwandten nachgeordneten) Erbfolge
zwischen Ehegatten. Justinian spricht der bedürftigen undotierten Witwe neben
Kindern ein Viertel des Erbes ihres Mannes zu (Novellen 53). Im deutschen Reich
fehlt anfangs ebenfalls ein E., doch erkennen Stadtrechte im Hochmittelalter
als Folge der Gütergemeinschaft allmählich ein E. an. In der Neuzeit wird
vielerorts unabhängig vom Güterstand ein bestimmter Anteil am Nachlass des
erstversterbenden Ehegatten gewährt. Teilweise wird das justinianische Recht
aufgenommen. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) erhält der Ehegatte
mindestens ein Viertel des Nachlasses (Österreich 1914). Dieser Erbteil erhöht
sich im Falle der Zugewinngemeinschaft (1957) um ein Viertel. Seit 2004 erbt
der hinterbliebene Ehegatte in Österreich bereits neben Neffen oder Nichten den
gesamten Nachlass
Lit.: Kaser §§ 65, 66; Hübner; Kroeschell, DRG 1; Köbler,
DRG 123, 210, 269; Wesener, G., Geschichte des Erbrechtes in Österreich seit
der Rezeption, 1956; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.;
Fröschle, T., Die Entwicklung der gesetzlichen Rechte des überlebenden
Ehegatten, 1996; Heyse, G., Mulier non debet abire nuda, 1994
Ehegattenschenkung ist die Schenkung von Gütern unter Hausverbänden von
Ehegatten. Sie wird im römischen Recht (vielleicht im 3. Jh. v. Chr. unter dem
Einfluss der Stoa entwickelt und) unter Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.)
verboten.
Lit.: Köbler, DRG 37; Misera, K., Der Bereicherungsgedanke
bei Schenkungen unter Ehegatten, 1974; Schenkungen unter Ehegatten, (in)
Familie und Recht, 1995, 177; Kemner, D., Schenkungen unter Ehegatten, 1998;
Gade, G., Donationes inter virum et uxorem, 2001
Ehegesetz ist
ein die →Ehe betreffendes Gesetz, insbesondere das am 6. 7. 1938 auf
Grund des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich erlassene, zum 1. 8.
1938 in Kraft gesetzte Gesetz (zur Vereinheitlichung des Rechtes der
Eheschließung und Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen
Reichsgebiet), welches das Recht der Eheschließung und Ehescheidung aus dem
Bürgerlichen Gesetzbuch Deutschlands und dem Allgemeinen Bürgerlichen
Gesetzbuch Österreichs (unter Beendigung des konfessionell gegliederten
Eherechts Österreichs, des Konkordatsrechts von 1933 und des Sonderrechts des
Burgenlands) herausführt und u. a. die Ehescheidung erleichtert. 1946 wird das
E. durch Gesetz des Alliierten Kontrollrats von nationalsozialistischem
Gedankengut gereinigt (ähnlich in Österreich), 1976 das Ehescheidungsrecht
und (nach Wiedererlangung der vollständigen Souveränität im Jahre 1990) bis 1.
7. 1998 in Deutschland das gesamte Eherecht wieder in das Bürgerliche
Gesetzbuch aufgenommen.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 239,
254; Baltl/Kocher; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/Ehegesetz1938.pdf;
Grachl, P., Die
geschichtliche Entwicklung des § 48 Ehegesetzes, Diss. jur. Freiburg im
Breisgau 1965; Wolff, A., Das Zerrüttungsprinzip im Ehescheidungsrecht und die
Nationalsozialisten, FamRZ 1988, 1271; Gruchmann, L., Das Ehegesetz, ZNR 11
(1989), 63; Harmat, U., Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in
Österreich 1918-1938, 1999
Ehegüterrecht ist das die Güter der Ehegatten betreffende Recht. Im altrömischen Recht
gibt der Hausvater der Frau dem Ehemann in der Regel eine →dos, die nach
ihrem Tod grundsätzlich aus dem Vermögen des Mannes an den Geber zurückfällt.
Bei den später immer häufiger werdenden gewaltfreien Ehen bleibt das Vermögen
der Ehegatten rechtlich getrennt, wird aber tatsächlich weiter (wohl unter unter
der Verwaltung des Ehemanns) gemeinsam genützt. Die Schenkung unter Ehegatten
(bei gewaltfreier Ehe) ist verboten. Bei den Germanen wird wohl ein
eingebrachtes Gut vom Ehemann verwaltet. Im Frühmittelalter wird neben dieser
grundsätzlichen →Gütertrennung mit Verwaltungseinheit bei Franken und
Westfalen eine Gemeinschaft an dem in der Ehe gewonnenen Gut sichtbar (→Errungenschaftsgemeinschaft).
Im Hochmittelalter dringt im weltlich bleibenden E. die →Gütergemeinschaft
in verschiedenen Formen weiter vor (allgemeine Gütergemeinschaft,
Fahrnisgemeinschaft), wobei die örtlichen Regeln sehr unterschiedlich sind und
vertragliche Gestaltungen häufig werden. In der frühen Neuzeit wird das
römische →Dotalsystem abgewandelt in einzelnen Gebieten aufgenommen
(Braunschweig, Kurhessen). Die naturrechtlichen Kodifikationen sehen nur
gewisse Regelgüterstände vor (ALR grundsätzliche Verwaltung und Nutzung des
gesamten Vermögens der Frau durch den Mann, § 1237 ABGB Gütertrennung mit
Verwaltungsgemeinschaft). Die fünf noch im Bürgerlichen Gesetzbuch (1900)
enthaltenen, erstmals reichseinheitlichen Güterstände (Regelgüterstand Verwaltungsgemeinschaft)
werden später auf Zugewinngemeinschaft (18. 6. 1957) als gesetzlicher
Güterstand, Gütertrennung und Gütergemeinschaft als durch Ehevertrag
vereinbare Wahlgüterstände verringert. Gesetzlicher Güterstand des Zivilgesetzbuchs
der Schweiz (1907/1911) ist die Güterverbindung.
Lit.: Kaser § 59; Hübner; Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Köbler,
DRG 161, 209; Baltl/Kocher; Schröder, R., Geschichte des ehelichen Güterrechts
in Deutschland, Bd. 1ff. 1863ff., Neudruck 1967; Adler, S., Eheliches
Güterrecht und Abschichtungsrecht, 1893; Mottloch, T., Traktat über das
eheliche Güterrecht in Österreich ob der Enns, ZRG GA 23 (1902), 275; Behre,
E., Die Eigentumsverhältnisse im ehelichen Güterrecht, 1904; Arnold, H., Das
eheliche Güterrecht von Mülhausen im Elsass, 1906; Hradil, P., Beiträge zur
Geschichte des süddeutschen Ehegüterrechts, ZRG GA 30 (1909), 304; Hradil, P.,
Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Ehegüterrechtsbildung nach
bayrisch-österreichischen Rechtsquellen, 1908; Steiner, H., Das eheliche
Güterrecht des Kantons Schwyz, 1910; Bartsch, R., Das eheliche Güterrecht in
der Summa Raymunds von Wiener Neustadt, 1912; Merz, H., Die historische
Entwicklung des aargauischen ehelichen Güterrechts, 1923; Willecke, R., Das
eheliche Güterrecht im Braunschweiger Stadtrecht, 1929; Schubert, K., Die
Hamburger ehelichen Güterrechtsverhältnisse, 1934; Winter, G., Das eheliche
Güterrecht im älteren hamburgischen Recht, Diss. jur. Hamburg 1958; Brauneder,
W., Die Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich, 1973; Akademie für
deutsches Recht 1933-1945. Protokolle der Ausschüsse 3,2, Familienrechtsausschuss,
Unterausschuss für eheliches Güterrecht, hg. v. Schubert, W., 1989; Schmid,
K., Die Entstehung der güterrechtlichen Vorschriften im Bürgerlichen
Gesetzbuch, 1990; Mehnert, S., Entwicklungen im gesetzlichen Güterrecht, 2002;
Obladen, M., Magdeburger Recht auf der Burg zu Krakau, 2005; Lehmann, J., Die
Ehefrau und ihr Vermögen, 2006; Sellschopp, T., Der Weg zum Revokationsrecht
der Ehegatten nach § 1368 BGB, 2009; Stierstorfer, S., Das erste einheitliche
eheliche Güterrecht, 2010; KItsakis, S., Breaqdwinners und Housekeepers, 2012
Ehehindernis (1669) ist der einer Eheschließung
entgegenstehende Umstand. Anscheinend können bei den Germanen Kinder von (im
gleichen Haus lebenden) Brüdern nicht heiraten. Im altrömischen Recht ist die
Ehe ausgeschlossen unter Verwandten bis zum sechsten Grad, mit einem
Verheirateten sowie beim Fehlen des →conubium. Witwen sollen zur
Vermeidung von Unklarheiten über die Vaterschaft von Kindern 10 Monate nach dem
Tod des Mannes nicht heiraten. Im spätantiken römischen Recht sind christliche
Ehehindernisse zu beachten. Seit dem 6. Jh. wirkt sich dies auf das
fränkische Recht aus, das ursprünglich wohl nur wenige tatsächliche
Ehehindernisse kennt. Danach setzt die Kirche ihr Recht der Ehehindernisse
durch. Ein staatliches Recht der Ehehindernisse begegnet ansatzweise im Verlauf
der frühen Neuzeit (Frankreich 1629 Entwurf, Österreich 1783, Frankreich 1804)
und wird danach allgemein aufgegriffen. Verboten ist die Ehe nach § 4 Ehegesetz
von 1938 auch zwischen Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten
Blutes mit Personen artfremden Blutes (1945 aufgehoben).
Lit.: Kaser § 58; Hübner; Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG
58, 88, 122, 161, 209, 239; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010; Fischer, A., Die verhinderte Ehe, 2013;
Ganster, S., Religionsverschiedenheit als Ehehindernis, 2013
ehelich (790) Ehe betreffend (Ehelichkeit um 1210, Ehelichkeitserklärung 1875)
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ehemakler ist
der gegen (nicht einklagbares) Entgelt tätige Vermittler von Ehen.
Lit.: Jung, K., Der Ehemaklerlohn, 1991
Ehemann (1200-1254)
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ehemündigkeit (1809) ist das für den Eheschluss frühest mögliche Alter.
L.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen
des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ehepakt (1704) Ehevertrag
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Ehepatent ist
die am 16. 1. 1783 von Joseph II. für Österreich veröffentlichte Regelung,
welche die Ehe als bürgerlichrechtlichen Vertrag (vor dem Geistlichen [als
Staatsbeamten]) ansieht, die Ehescheidung erleichtert und für Ehestreitigkeiten
die Zuständigkeit der weltlichen Gerichte anordnet.
Lit.: Köbler, DRG 142, 161; Baltl/Kocher; Schwab, D.,
Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, 1967;
Mühlsteiger, J., Der Geist des josephinischen Eherechts, 1967
Eherecht ist
das Recht der →Ehe. Es betrifft vor allem die Eheschließung, die
Ehehindernisse, die Ehewirkungen, die Ehescheidung und das Ehegüterrecht. Nach
M. Schmoeckel entsteht das kirchliche Eherecht im 9. Jh. gelegentlich des
Ehestreits Lothars II.
Lit.: Söllner §§ 8, 14; Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Fricke,
F., Das Eherecht des Sachsenspiegels, 1898; Emge, C., Das Eherecht Immanuel
Kants, Kant-Studien 29 (1924), 243ff.; Schönsteiner, F., Grundriss des
kirchlichen Eherechts, 1925, 2. A. 1937;Plöchl, W., Das Eherecht des Magisters
Gratianus, 1935; Pappe, H., Methodische Strömungen in der eherechtsgeschichtlichen
Forschung, 1934; Schubart-Fikentscher, G., Das Eherecht im Brünner
Schöffenbuch, 1935; Schultze, A., Das Eherecht in den älteren angelsächsischen
Königsgesetzen, 1941 (SB Leipzig); Dieterich, H., Das protestantische
Eherecht, 1970; Gräfe, R., Das Eherecht in den Coutumiers des 13. Jahrhunders,
1972; Ramm, T., Eherecht und Nationalsozialismus, FS Fraenkel, 1973; Giesen,
D., Grundlagen und Entwicklung des englischen Eherechts, 1975; Buchholz, S.,
Eherecht zwischen Staat und Kirche, 1981; Schäfer, J., Die Entstehung der
Vorschriften über das persönliche Eherecht, 1983; Zur Geschichte des Ehe- und
Familienrechts, hg. v. Mohnhaupt, H., 1987; Eherecht und Familiengut, hg. v.
Simon, D., 1992; Gmür, R., Betrachtungen zur Entwicklung des Eherechts, FS W.
Stree/J. Wessels, 1993, 1227; Sibeth, U., Eherecht und Staatsbildung, 1994;
Jackman, D., Das Eherecht und der frühdeutsche Adel, ZRG GA 112 (1995), 158;
Schwab, D., 20 Jahre „Erstes Eherechtsreformgesetz“, JuS 1997, 587; Harmat, U.,
Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918-1938, 1999;
Deutsch, C., Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg (1480-1538), 2005;
Frassek, R., Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der Reformationszeit, 2005;
Aspecten van het Middeleeuwse Romeinse Recht, hg. v. Waelkens, L., 2008,
109ff.; Verfassungsrechtliche Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten im
Familien-, Erb- und Gesellschaftsrecht, hg. v. Schmoeckel, M., 2008; Eherecht
1811-2011, hg. v. Kohl, G. u. a., 2012
Ehering ist
der als Zeichen eines Eheschließungswillens gegebene Fingerring. Er geht wohl
auf den (lat.) anulus (M.) pronubus (Verlobungsring) der Römer zurück, den das
Christentum als Symbol der Treue fördert. Er ist im Frühmittelalter zuerst im
Volksrecht der Westgoten und Langobarden belegt. Unter kirchlichem Einfluss
entwickelt sich die einseitige Gabe des Bräutigams an die Braut bei der
Verlobung und dann auch bei der Trauung seit dem Mittelalter allmählich zum
gegenseitigen Ringwechsel. Der E. ist bis in das 19. Jh. aber nur in einer
dünnen Oberschicht tatsächlich üblich.
Lit.: Bächtold, H., Die Gebräuche bei Verlobung und
Hochzeit, 1914; Köstler, R., Ringwechsel und Trauung, ZRG KA 53 (1933), 1;
Mühl, M., Anulus pronubus, 1961; Ehen ohne Ring, hg. v. Böhme, W., 1981;
Schott, C., Trauung und Jawort, 1992
Ehescheidung (1489, Ehescheidungsgrund 1824, Ehescheidungsklage 1701, Ehescheidungsstrafe
1794) ist die Auflösung der Ehe aus nach der Eheschließung
eingetretenen Gründen. Sie ist bei den Römern (lat. [N.] →divortium) einseitig
wie einvernehmlich zunächst ebenso möglich wie bei den Germanen, ohne dass sie
in der Rechtswirklichkeit allzu häufig gewesen sein dürfte. In der Spätantike
führen die christlichen Vorstellungen zur allmählichen Einschränkung der
freien E. Im Frühmittelalter wird die E. von der Kirche auf Grund von 1.
Korinther 7,39ff. seit dem 8. Jh., verstärkt seit 829, bekämpft und bald
gänzlich ausgeschlossen. Demgegenüber lässt die protestantische Religion, in
der die Ehe kein Sakrament mehr ist, (seit 1517)allmählich die E. aus
bestimmten Gründen (Matthäus 5,31ff., 19,3, 1. Korinther 7,15), die
Stadtgericht oder Landpfarrer sowie später die Konsistorien in einem Verfahren
überprüfen, zu. Die Aufklärung versucht dies auszudehnen (Preußen 1749,
Frankreich 1792, Österreich 1783 für Protestanten). Im Allgemeinen Landrecht
Preußens (1794) und im Code civil Frankreichs (1804) ist die E. auf Grund
Vereinbarung möglich. In England wird 1857 erstmals die E. mit gerichtlicher
Mitwirkung möglich. In Deutschland lässt das Personenstandsgesetz vom 6. 2.
1875 die E. durch ein staatliches Gericht aus bestimmten Gründen zu, doch wird
zur Verhinderung von Ehescheidungen ein Verschulden als Ehescheidungsgrund
gefordert. 1976 wird das grundsätzlich erforderliche Verschulden durch die
Zerrüttung ersetzt. Bei der E. erfolgt nunmehr auch ein Ausgleich der
Versorgungsansprüche. Am Ende des 20. Jh.s wird im Durchschnitt jede dritte
Ehe geschieden. In Österreich lassen das josephinische Ehepatent (1783) und das
Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811) nur die E. von Protestanten und Juden
zu. Im Gegensatz hierzu dispensiert Albert Sever (1867-1942) als
Landeshauptmann Niederösterreichs von dem Ehehindernis des bestehenden Ehebands,
um Ehescheidungen von Katholiken tatsächlich zu ermöglichen (Sever-Ehen). 1938
gestattet das nach dem Anschluss im gesamten Deutschen Reich eingeführte
Ehegesetz die E. und wird 1978 die einvernehmliche E. vor dem Außerstreitgericht
eingeführt (§ 55a EheG).
Lit.: Kaser § 58 II 2a; Söllner §§ 5, 8,
12, 23; Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 58, 72, 88, 122, 161, 219, 239, 267;
Baltl/Kocher; Richter, Ä., Beiträge zur Geschichte des Ehescheidungsrechts in
der evangelischen Kirche, 1858; Hubrich, E., Das Recht der Ehescheidung in
Deutschland, 1891; Geffcken, H., Zur Geschichte der Ehescheidung vor Gratian,
1894; Damas, P., Les origines du divorce en France, 1897; Wehrli, P. Die
Ehescheidung zur Zeit Zwinglis, Zürcher Taschenbuch, 1934, 61; Rost, S., Die
Einführung der Ehescheidung in Zürich, 1935; Wolf, E. u. a., Scheidung und
Scheidungsrecht, 1959; Hesse, H., Evangelisches Ehescheidungsrecht in
Deutschland, 1960; Escher, K., Die Entwicklung des Ehescheidungsrechts in
Kleve und Mark 1532-1874, 1967; Hecker, A., Die historische Entwicklung des Ehescheidungsprozessrechts,
1967; Schwab, D., Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in
der Neuzeit, 1967; Dieterich, H., Das protestantische Eherecht, 1970; Mikat,
P., Zur Bedeutung Friedrich Carl von Savignys für die Entwicklung des
deutschen Scheidungsrechts, FS W. Bosch, 1976, 671; Schnell, R., Praesumpta
mors, ZRG GA 100 (1983), 181; Jensen, H., Die Ehescheidung des Bischofs Hans
von Lübeck von Prinzessin Julia Felicitas von Württemberg-Weiltingen, 1984;
Schubert, W., Die Projekte der Weimarer Republik, 1986; Blasius, D.,
Ehescheidung in Deutschland 1784-1945, 1987; Wolff, A., Das Zerrüttungsprinzip,
FamRZ 1988, 1271ff.; Blasius, D., Ehescheidung in Deutschland im 19. und 20.
Jahrhundert, 1992; Wadle, E., Ehescheidung vor dem Standesbeamten, FS H.
Herrmann, 1995, 291; Roßdeutscher, G., Privatautonomie im Scheidungsrecht,
1995; Horn, C., Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Ehesachen, 1997;
Nahmacher, K., Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Hamburger
Gerichte, 1999; Hoffmann-Steudtner, V., Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
zu dem Scheidungsgrund, 1999; Harmat, U., Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um
das Eherecht in Österreich 1918-1938, 1999; Saar, S., Ehe, Scheidung, Wiederverheiratung,
2003; Schubert, W., Die Abkehr vom Verschuldensprinzip im
Ehescheidungsrecht, ZRG GA 120 (2003), 280; Duncker, A., Gleichheit und
Ungleichheit in der Ehe, 2004; Humphrey, M., Die Weimarer Reformdiskussion über
das Ehescheidungsrecht, 2006; Lutz, A., Ehepaare vor Gericht, 2006; Köhler, A.,
Die Sorgerechtsregelung bei Ehescheidung seit 1945, 2006, Försch, H., Die
Scheidungsgründe im Wandel der Zeit, 2006; Die Reform des Ehescheidungsrechts
von 1976, hg. v. Schubert, W., 2007; Mund, W., Das preußische Ehescheidungsrecht,
2008; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Eheschließung (1680) ist die Eingehung der →Ehe.
Sie erfordert geschichtlich unterschiedliche Voraussetzungen und erfolgt in
verschiedenen Formen. Im Mittelalter wird sie allmählich vom kirchlichen Recht ([lat.]
consensus facit nuptias, die Willensübereinstimmung der Eheleute bewirkt die
Ehe, seit 1563 Gegenwart des Priesters und zweier Zeugen nötig) bestimmt, in
der Neuzeit setzt sich vor allem im 19. Jahrhundert (Kulturkampf) das weltliche
bzw. staatliche Recht wieder durch.
Lit.: Kaser §§ 6, 58; Söllner §§ 5, 8, 12, 18; Kroeschell,
DRG 1, 2; Köbler, DRG 122, 161, 209; Friedberg, E., Das Recht der Eheschließung
in seiner geschichtlichen Entwicklung, 1865; Sohm, R., Das Recht der
Eheschließung, 1875; Scheurl, C., Die Entwicklung des kirchlichen
Eheschließungsrechts, 1877; Opet, O., Brauttradition und Konsensgespräch in
mittelalterlichen Trauungsritualen, 1910; Zallinger, O., Die Eheschließung im
Nibelungenlied, 1923; Schwerin, C. Frhr. v., Quellen zur Geschichte der
Eheschließung, Bd. 1ff. 1925ff.; Frölich, K., Die Eheschließung des deutschen Mittelalters,
Hess. Bll. f. Volkskunde 1928, 144; Meyer, H., Die Eheschließung im Ruodlieb
und das Eheschwert, ZRG GA 52 (1932), 276; Melicher, T., Die germanischen
Formen der Eheschließung im westgotisch-spanischen Recht, 1940; Weltliche und
kirchliche Eheschließung, hg. v. Dombois, H. u. a., 1952; Ritzer, K., Formen,
Riten und religiöses Brauchtum der Eheschließung, 1962, 2. A. 1981; Landau,
P., Hadrians IV. Dekretale „Dignum est“, Studia Gratiana 12 (1967), 511;
Schröter, M., Wo zwei zusammenkommen in rechter Ehe, 1990; Fuhrmann, I., Die
Diskussion über die Einführung der fakultativen Zivilehe, 1998; Fassbender, M.,
Das Eheschließungsrecht im Herzogtum Berg, 1998 (Diss. jur. Köln 1998);
Siffert, R., Verlobung und Trauung, 2004; Scholz Löhnig, C., Bayerisches
Eherecht von 1756 bis 1875, 2004; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Ehevertrag (1784/1794, Ehepakt 1704, Eheversprechen 1717) ist der zur
besonderen Gestaltung der abänderbaren ehelichen Rechtsverhältnisse
geschlossene, vielfach formbedürftige Vertrag zwischen den Eheleuten. Er
betrifft hauptsächlich das Ehegüterrecht. Er wird schon in den hochmittelalterlichen
Städten häufiger, bleibt aber insgesamt auf vermögende Menschen beschränkt.
Lit.: Schröder, R., Geschichte des ehelichen Güterrechts in
Deutschland, Bd. 1ff. 1863ff., Neudruck 1967; Hillenbrand, M., Fürstliche
Eheverträge, 1996; Aushandeln von Ehe, hg. v. Laanzinger, M. u. a., 2010
Ehre ist
der Wert eines Menschen innerhalb der Gesellschaft. Die Verletzung der E. kann
schon im altrömischen Recht eine Folge nach sich ziehen (bei [lat.] iniuria
[F.] sind 25 Pfund Kupfer zu leisten). Ihr Schutz bleibt weitgehend der
Selbsthilfe und dem Strafrecht überlassen. Bestimmtes Verhalten führt zum rechtlichen
Verlust der E. (Ehrlosigkeit, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte). Im
Mittelalter ist die E. durch den Stand bestimmt. In der Neuzeit dient der Verteidigung
verletzter Ehre besonders das Duell. Nach Art. 1 GG ist die Würde des Menschen
unantastbar.
Lit.: Kaser § 13; Köbler, DRG 216; Marezoll, T.,
Bürgerliche Ehre, 1824; Osenbrüggen, E., Ehre im Spiegel der Zeit, 1872;
Binding, K., Die Ehre im Rechtssinn und ihre Verletzbarkeit, 1890; Kisch, G.,
Ehrenschelte und Schandgemälde, ZRG GA 51 (1931), 514; Brauer, G., Die
ehrenwörtliche Bekräftigungsform, ZRG GA 54 (1934), 117; Reiner, H., Die Ehre,
1956; Geipel, J., Die Konsiliarpraxis der Eberhard-Karls-Universität, 1965;
Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 1; Brenzina, M., Ehre und Ehrenschutz
im nationalsozialistischen Recht, 1987; Müller-Burgherr, T., Die Ehrverletzung,
Diss. jur. Freiburg i. Ü. 1987; Polay, E., Der Schutz der Ehre, ZRG RA 106
(1989), 502; Verletzte Ehre, hg. v. Schreiner, K. u. a., 1995; Backmann, S. u.
a., Das Konzept der Ehre, 1997; Ehrkonzepte in der frühen Neuzeit, hg. v.
Backmann, S. u. a., 1998; Fuchs, R., Um die Ehre, 1998; Hagemann, M., Iniuria
bis zur justinianischen Kodifikation, 1998; Fuchs, R., Um die Ehre, 1999;
Dülmen, R. van, Der ehrlose Mensch, 1999; Beher, K. u. a., Strukturwandel des
Ehrenamts, 1999; Bastl, B., Tugend, Liebe, Ehre, 2000; Waldow, J., Der
strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit, 2000; Görich, K., Die Ehre
Friedrich Barbarossas, 2001; Fama, hg. v. Fenster, T. u. a., 2003; Lentz, M.,
Konflikt, Ehre, Ordnung – Untersuchungen zu den Schmähbriefen und
Schandbildern, 2004; Burkhart, D., Geschichte der Ehre, 2001; Burkhart, D.,
Eine Geschichte der Ehre, 2006; Brüggenbrock, C., Die Ehre in den Zeiten der
Demokratie, 2006; Goldberg, A., Honor, Politics and the Law in Imperial Germany
1871-1914, 2010; Speitkamp, W., Ohrfeige, Duell und Ehrenmord, 2010
Ehrengericht ist das Gericht zur Entscheidung von
Fragen der Ehre. In Preußen wird nach längeren Erörterungen 1808 ein E. zur Überwachung
des Verhaltens der Offiziere eingerichtet, in Bayern und Österreich wenig
später, doch erklärt die Reichsverfassung des deutschen Reiches von 1919 die
Ehrengerichte für aufgehoben. E. ist auch das seit dem Mittelalter geführte
Standesgericht der Zünfte, das im 19. Jh. geschaffene E. studentischer
Verbindungen (Burschenschaften) und das E. sonstiger Verbände oder
Personengruppen.
Lit.: Dietz, H., Die
Ehrengerichtsverordnungen, 3. A. 1912; Holly, G., Geschichte der
Ehrengerichtsbarkeit der Rechtsanwälte, 1989; Voigt, E., Die Gesetzgebungsgeschichte
der militärischen Ehrenstrafen und der Offizierehrengerichtsbarkeit im
preußischen und deutschen Heer von 1806 bis 1918, 2004
Ehrenstrafe ist
die die →Ehre betreffende Strafe. Bereits das römische Recht lässt die
Aberkennung bürgerlicher Vorrechte vor allem als Nebenfolge einer Verurteilung
auf Grund bestimmter Straftaten zu. Im Mittelalter sind als Ehrenstrafen
beispielsweise anzusehen das Ausstellen am →Pranger, das Scheren der
Haare oder das Tragen einer Schandmaske. In der frühen Neuzeit versucht man die
E. gesetzlich festzulegen. Im 19. Jh. werden ältere Formen der E. wie Zurschaustellung
am Pranger in Sachsen 1838 und in Preußen 1851 beseitigt, doch wird in Anlehnung
an das römische Recht nach dem Vorbild des Code pénal (Strafgesetzbuchs)
Frankreichs von 1810 die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte als zeitlich
begrenzte Nebenstrafe aufgenommen. In der 2. Hälfte des 20. Jh.s (deutsches
StGB 1969) wird ihre Bedeutung gering, doch dürfen Amtsfähigkeit, Wählbarkeit
und Stimmrecht auf bis zu fünf Jahre aberkannt werden (§ 45 StGB).
Lit.: Marcuse, O., Die Ehrenstrafe, 1899; Quanter, R., Die
Schand- und Ehrenstrafen in der deutschen Rechtspflege, 1901, Neudruck 1970;
Künßberg, E. Frhr. v., Über die Strafe des Steintragens, 1907; Kühne, E., Die
Ehrenstrafe, 1931; Rannacher, H., Der Ehrenschutz in der Geschichte des
deutschen Strafrechts mit besonderer Berücksichtigung der Ehrenstrafen, 1938;
Voigt, E., Die Gesetzgebungsgeschichte der militärischen Ehrenstrafen, 2004;
Lidman, S., Zum Spektakel und Abscheu, 2008
Ehrenwort ist das die Ehre als Sicherungsmittel
der Wahrheit oder der Verwirklichung einer Erklärung einsetzende Wort (18. Jh.
aus franz. parole d’honneur). Seine rechtliche Bedeutung ist gering.
Ehrlich,
Eugen (Czernowitz/Bukowina 14. 9. 1862-Wien 2. 5. 1922), Sohn eines Advokaten,
wird nach dem Rechtsstudium in Wien Advokat und 1896 Professor für römisches
Recht in Czernowitz. Schon seine frühe Schrift über Lücken im Recht (1888) wendet
sich gegen die herrschende Vorstellung von der Unangreifbarkeit des staatlichen
Rechtes. Der Vortrag Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft (1903)
folgert daraus, dass im Falle einer Lücke eine freie Rechtsfindung erforderlich
sei, die sich auf überkommene Gerechtigkeitsvorstellungen und im Zweifel auf
soziologische Überlegungen stützen müsse. 1909 richtet E. ein Seminar für
lebendes Recht ein und 1913 bietet E. mit seinem Hauptwerk Grundlegung der
Soziologie des Rechtes eine der wichtigsten Grundlagen für die Entwicklung der
Rechtssoziologie. Eigentlicher Sitz der Rechtsentwicklung ist ihm die
Gesellschaft, während Juristenrecht und staatliches Recht nur zu dieser
Grundlage hinzukommen.
Lit.: Köbler, DRG 189, 228; Rehbinder, M., Die Begründung
der Rechtssoziologie durch Eugen Ehrlich, 1967, 2. A. 1986; Deutsche Juristen
jüdischer Herkunft, hg. v. Heinrichs, H. u. a., 1993, 469; Vogl, S., Soziale
Gesetzgebungspolitik, freie Rechtsfindung und soziologische Rechtswissenschaft,
2003; Ehrlich, E., Politische Schriften, hg. v. Rehbinder, M., 2007
Ehrlichkeit →unehrlich
Ehrlosigkeit ist der ohne Ehre bestehende Zustand
eines Menschen. Die im Mittelalter bestehende E. ist wohl auch auf die von der
Kirche vermittelte römischrechtliche Figur der (lat. [F.) infamia
zurückzuführen. E. besteht z. B. für Diebe, Räuber, Henker, mancherorts für
Müller, Spielleute u. a. Seit der Neuzeit wird die E. zurückgedrängt und
allmählich rechtlich beseitigt.
Lit.: Dülmen, R. v., Der ehrlose
Mensch, 1999
Eichhorn,
Karl-Friedrich (Jena 20. 11. 1781-Köln 4. 7. 1854), Theologensohn, wird nach
dem Rechtsstudium (seit 1797) in Göttingen (Hugo, Pütter, 1801 Promotion, 1803
Habilitation) 1805 Professor in Frankfurt an der Oder, 1811 in Berlin,
1817-1829 in Göttingen sowie nach krankheitsbedingter Unterbrechung seit
1832-1834 in Berlin. 1808 veröffentlicht er ganz aus den Quellen geschrieben
die erste Gesamtdarstellung der deutschen Rechtsgeschichte (Deutsche Staats-
und Rechtsgeschichte), seit 1823 die Einleitung in das deutsche Privatrecht,
die das geltende deutsche Privatrecht systematisch-dogmatisch gegliedert (als
innere Rechtsgeschichte) aussondert. Die Einheit des deutschen Rechtes wird
dabei auf die Gemeinsamkeiten der mittelalterlichen Landrechte, sein System
auf die ihnen angeblich zugrunde liegenden gemeinsamen Grundsätze gegründet.
1831-1835 folgen noch die zweibändigen Grundsätze des Kirchenrechts.
Lit.: Köbler, DRG 188; Eichhorn, F., Einleitung in das
deutsche Privatrecht, 1823, 2. A. 1825, 3. A. 1829, 947, 5. A: 1845; Frensdorff,
F., Karl Friedrich Eichhorn, 1881; Kerler, H.?, Zur Lebensgeschichte Karl
Friedrich Eichhorns, ZRG GA 3 (1882), 177; Schulte, J. v., Karl Friedrich
Eichhorn, 1884; Jelusic, K., Die historische Methode Karl Friedrich Eichhorns,
1936; Erler, A., Eine unbekannte Niederschrift nach Eichhorns Vorlesung
„Deutsche Geschichte und Rechtsaltertümer“, ZRG GA 66 (1948), 537; Conradi, R.,
Karl Friedrich Eichhorn als Staatsrechtslehrer, 1987; Rechtswissenschaft in
Göttingen, hg. v. Loos, F., 1987, 166ff.; Dopke, F., Eichhorn als
Rechtsgutachter, Diss. jur. Kiel 1992
Eichmann,
Eduard (Hagenbach/Pfalz 14. 2. 1870-München 26. 4. 1946) wird nach dem Studium
der Theologie (1888) und der Rechtswissenschaft (1898) in Würzburg, Straßburg
und München (1904 Promotion Dr. iur., Freiburg 1909 Promotion theol.) 1905
Professor für Kirchenrecht in Prag, Wien (1913) und München (1918-1936, 1946
Vertretung) und veröffentlicht 1923 das führende Lehrbuch des Kirchenrechts
seiner Zeit (13. A. 1991).
Lit.: Festschrift für Eichmann, hg. v. Laforet, W. u. a.,
1940; Hofmann, K., Eduard Eichmann, ZRG KA 65 (1947), VII
Eichstätt ist der Ort an der mittleren Altmühl, in dem Bonifatius um die Mitte des
8. Jh.s ein BistumBistum gründet.
Lit.: Das
Bistum Eichstätt - Die Bischofsreihe bis 1535, hg. v. Wendehorst, A., 2006; Zürcher,
P., Die Bischofswahlen im Fürstbistum Eichstätt von 1636 bis 1790, 2008; ; Lullies, E.,
Die ältesten Lehnbücher des Hochstiffts Eichstätt, 2012
Eichwesen ist
die Sicherstellung redlicher Verwendung von Maßen (z. B. Längenmaßen,
Hohlmaßen, Gewichten). Ansätze des Eichwesens finden sich bereits in der hochmittelalterlichen
Stadt (z. B. Stadtelle). Mit verstärkter Genauigkeit wird die Eichung auf der
Grundlage technisch-wissenschaftlich definierter Maße seit dem 19. Jh. vorgeschrieben
(1869 Normal-Eichungskommission, 1875 Pariser Meterkonvention, 1887 Physikalisch-Technische
Reichsanstalt).
Lit.: Planitz, H., Die deutsche Stadt,
5. A. 1980; Vec, M., Recht und Normierung in der industriellen Revolution, 2006
Eid ist die Anrufung einer (übermenschlichen) Macht (z. B.
Gott, Feuer?) als Zeugen für die Wahrheit einer Aussage oder die Gültigkeit
eines Versprechens. Der E. ist weit verbreitet, aber z. B. in Matthäus 5,33ff.
verboten. Er verbindet meist Worte mit besonderen Formen (z. B. Handerheben, Berühren
der Bibel, eines Kreuzes, einer Waffe u.
s. w.). Er ist ein wichtiges Beweismittel im Verfahren (z. B. Reinigungseid des
Beschuldigten [vielfach nicht als Eineid möglich, sondern Eidhelfer nötig],
Zeugeneid). Strafbar ist der →Meineid. Eine umfassende Untersuchung des
Eides fehlt bislang.
Lit.: Kaser §§ 84 I, 87; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG
70, 114, 116, 155, 202, 216, 235; Köbler, WAS; Strippelmann, F., Der
Gerichtseid, 1855ff.; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 2 1879;
Loening, R., Der Reinigungseid, 1880; Göpfert, F., Der Eid, 1883; Siegel, H.,
Handschlag und Eid, 1894; His, R., Der Gleichheitseid, ZRG GA 27 (1906), 331;
Thudichum, F. v., Geschichte des Eides, 1911; Pedersen, J., Der Eid bei den
Semiten, 1914; Hartung, H., Der richterliche Eid, 1916, Neudruck 2013; Hirzel,
T., Der Eid, 1922; Friesenhahn, E., Die politischen Eide, 1928; Gottlob, T.,
Der kirchliche Amtseid, 1936, Neudruck 1963; David, M., Le serment du sacre,
1951; Koller, F., Der Eid im Münchener Stadtrecht des Mittelalters, 1953;
Bauernfeind, O., Eid und Frieden, 1956; Hofmeister, P., Die christlichen
Eidesformen, 1957; Ebel, W., Der Bürgereid, 1958; Ebel, W., Das Ende der
bürgerlichen coniuratio reiterata, ZRG GA 78 (1961), 319; Scheyhing, R., Eide,
Amtsgewalt und Bannleihe, 1960; Kaser, M., Das römische Zivilprozessrecht,
1966; Giesey, R., If Not, Not, 1968; Lea, H., The Duel and the Oath, 1974;
Eckhardt, U., Untersuchungen zu Form und Funktion der Treueidleistung im
merowingischen Frankenreich, 1976; Vormbaum, T., Eid, Meineid und
Falschaussage, 1990; Prodi, P., Il sacramento del potere, 1992 (deutsch 1997);
Prodi, P., Das Sakrament der Herrschaft: Der politische Eid, 1997; Czeguhn, I.,
Der Herrschereid am Beispiel des Eides und der Eidesbekräftigung des spanischen
Königs, ZRG GA 115 (1998), 589; Eid und Wahrheitssuche, hg. v. Esders, S. u.
a., 1999; Esders, S./Mierau, H., Der althochdeutsche Klerikereid, 2000; Lange,
S., Der Fahneneid, 2001; Twellmann, M., Über die Eide, 2010; Oaths and Swearing
in Ancient Greece, hg. v. Sommerstein, A. u. a., 2012; Harke, J., Der Eid im
klassischen römischen Privat- und Zivilprozessrecht, 2013
Eidgenossenschaft (14. Jh., Eidgenosse 13. Jh.) ist allgemein das eidlich bekräftigte genossenschaftliche
Bündnis. Die wichtigste besondere E. ist die →Schweiz. Hier schließen die
Länder →Uri und →Schwyz zwischen 1240 und 1273 einen ersten Bund,
dem 1291 und 1315 sowie 1351ff. (Zürich, Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern,
Glarus, Zug) weitere folgen und zu dem danach zusätzliche Orte hinzutreten. Von
einer Schweizerischen E. wird dabei aber erst seit dem späten 18. Jh.
gesprochen.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Hilty, C., Die Bundesverfassung
der schweizerischen Eidgenossenschaft, 1891; Meyer, K., Italienische Einflüsse
bei der Entstehung der Eidgenossenschaft, Jahrbuch für schweizerische
Geschichte 45 (1920), 1; Fehr, H., Die Entstehung der schweizerischen
Eidgenossenschaft, 1929; Gasser, A., Entstehung und Ausbildung der Landeshoheit
im Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft, 1930; Quellenwerk zur Entstehung
der schweizerischen Eidgenossenschaft, hg. v. Schieß, T. u. a., Bd. 1ff.
1933ff.; Planitz, H., Kaufmannsgilde und städtische Eidgenossenschaft, ZRG GA
60 (1940), 1; Meyer, K., Der Ursprung der Eidgenossenschaft, Zeitschrift für
schweizerische Geschichte 21 (1941), 285; Pappard, W., Die Bundesverfassung der
schweizerischen Eidgenossenschaft 1848-1948, 1948; Claussen, H., Der
Zusammenschluss der schweizerischen Eidgenossen als Beispiel für die Ausübung
des Widerstandsrechts, Diss. jur. Hamburg 1951; Abegg, R., Die alte
Eidgenossenschaft, 1964; Laroche, P., Das Interregnum und die Entstehung der
schweizerischen Eidgenossenschaft, 1971; Meyer, B., Die Bildung der
Eidgenossenschaft im 14. Jahrhundert, 1972; Braun, B., Die Eidgenossen, 1997; Zürich
650 Jahre eidgenössisch, 2001; Marquardt, B., Die alte Eidgenossenschaft und
das Heilige Römische Reich (1350-1798), 2008
Eidhelfer (Wissenschaftsbegriff), Eideshelfer, ist im (früh)mittelalterlichen deutschen
Recht der Mensch, der schwört, dass der Eid eines Eidesleistenden rein und
nicht mein (falsch) sei. Häufig soll dabei ein Beschuldigter mit sechs oder 12
(oder auch 72) Eidhelfern sich durch Eid von einer Beschuldigung reinigen. Der
E. ist vom Zeugen grundsätzlich zu trennen, doch ist die Buße für einen Meineid
eines E. mit der für den Meineid eines Zeugen gleich. Im Heiligen römischen
Reich schwindet der E. im Spätmittelalter. In England wird der Eidhelfereid
erst 1833 aufgegeben.
Lit.: Cosack, K., Die Eidhelfer des Beklagten, 1885;
Schwerin, C. Frhr. v., Zur altschwedischen Eideshilfe, 1919 (SB Heidelberg);
Ruth, R., Zeugen und Eideshelfer, 1922, Neudruck 1973; Loschiavo, L., Figure di
testimoni, 2004
Eidsivathingslög ist das Recht des ostnorwegischen Gebiets um Eid
(Eidsvoll), das in seinem weltlichen Teil bruchstückhaft, in seinem kirchenrechtlichen
Teil (Christenrecht) in vier Handschriften des frühen 14. Jh.s überliefert
ist (Eidsivathingsbok).
Lit.: Meißner, R., Bruchstücke der Rechtsbücher des
Borgarthings und des Eidsivathings, 1942
Eigen ist
im deutschen Mittelalter das einem Menschen (uneingeschränkt) gehörige Gut. Es
bildet meist den Gegensatz zum Gemeinland (→Allmende) und zum →Lehen
als einem geliehenen Gut. Häufig wird neben E. auch das →Erbe besonders
genannt. In den schriftlichen Zeugnissen betrifft das E. überwiegend die
Liegenschaft. Seit dem 13. Jh. wird E. durch das vermutlich lateinisch
beeinflusste →Eigentum (lat. [F.] proprietas) abgelöst.
Lit.: Hübner 241; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 116, 124;
Puntschart, P., Das „Inwärts-Eigen“ im österreichischen Dienstrecht des
Mittelalters, ZRG GA 43 (1922), 66; Buchda, G., Dursal (dursal eigen), ZRG GA
59 (1939), 194; Ebner, H., Das freie Eigen, 1969; Köbler, G., Eigen und
Eigentum, ZRG GA 95 (1978), 1
Eigener Herd ist Goldes wert.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 175 (Franck 1541)
Eigenhändiges Testament
ist das mit der eigenen Hand geschriebene und unterschriebene →Testament.
Eigenkirche (lat.
ecclesia [F.] propria) ist (nach Ulrich Stutz) die einem Einzelnen (auch
hinsichtlich der vollen geistlichen Leitungsgewalt) gehörende Kirche. Sie hat
ihren Ursprung darin, dass in der christlichen Frühzeit der Gottesdienst häufig
in einem privaten Haus abgehalten wird (Unterscheidung zwischen [lat.]
ecclesia [F.] publica und ecclesia privata, öffentlicher Kirche und privater
Kirche, im Osten 388, im 5. Jh. im weströmischen Reich, 441 in Orléans, 546 in
Lérida/Spanien), und darin, dass auf dem Land oft der Grundherr am leichtesten
in der Lage ist, ein Kirchengebäude zu errichten. In der Folge wählt der
Gebäudeeigner vielfach den dort tätigen Geistlichen aus, verlangt die Teilhabe
an den Einkünften und kann die Kirche übertragen, während der Bischof auf die
bloße Weihe beschränkt wird. Im →Investiturstreit wird die E. als Form
der Simonie bekämpft und danach seit dem 12. Jh. durch Patronat und
Inkorporation ersetzt.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 90; Stutz, U., Die Eigenkirche,
1895, Neudruck 1955; Stutz, U., Ausgewählte Kapitel aus der Geschichte der
Eigenkirche, ZRG KA 57 (1937), 1; Landau, P., Ius patronatus, 1975; Petke, W.,
Von der klösterlichen Eigenkirche zur Inkorporation, RHE 87 (1993), 34ff.,
375ff.; Oberholzer, P., Vom Eigenkirchenwesen zum Patronatsrecht, 2002
Eigenleute (lat.
homines [M.Pl.] proprii) sind im Mittelalter die einem anderen gehörenden und
damit eigenen Menschen. Sie bilden keine in sich einheitliche Gruppe (z. B.
Sachsenspiegel Landrecht III 44,3 Laten, Südwesten des Heiligen römischen
Reichs 15. Jh., Westfalen bis in das 18. Jh.). Teils schulden sie Abgaben,
teils Dienste. Im Gegensatz zu den →Sklaven haltenden Gesellschaften
lässt das Mittelalter einen lebhaften Handel mit Eigenleuten nicht erkennen. →Hörige
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Wretschko, A., Über Eigenleute
und Eigenleuteteilungen in Tirol, ZRG GA 46 (1926); Klein, H., Die bäuerlichen
Eigenleute des Erzstifts Salzburg, Mitteilungen d. Ges. f. salzburg. Landeskunde
73 (1933),109, 74 (1934),1; Demade, J./Morsel, J., Les eigenleute aux XIIIe-XVe
siècles, (in) Forms of servitude in Northern and Central Europe, hg. v.
Freedman, P. u. a., 2005, 75ff.
Eigentum (Wort Köln 1170, § 903 BGB) ist das Recht, mit einer Sache nach Belieben zu verfahren
und andere von einer Einwirkung auf die Sache auszuschließen. In altrömischer
Zeit ist E. die Gewalt des Hausvaters über Sachgüter unter Einschluss der
Vorläufer der beschränkten dinglichen Rechte (z. B. Servituten) und ohne
scharfe Grenze gegenüber dem →Besitz. Im klassischen römischen Recht
entwickelt sich das E. als (lat.) →dominium (N.) ex iure Quiritium an
beweglichen Sachen und italischen Grundstücken, neben dem das E. nach
prätorischem Recht (lat. →in bonis esse) steht. Einschränkungen bestehen
auch hier (z. B. Baurecht, Nachbarrecht). Erworben werden kann E. ursprünglich
(Aneignung, Fruchterwerb, Verbindung, Vermischung, Vermengung, Verarbeitung und
Ersitzung oder abgeleitet von einem Berechtigten durch Rechtsgeschäft). Gleichbedeutend
mit dominium ist die Bezeichnung (lat. [F.]) →proprietas. Im
nachklassischen römischen Recht wird die damit geschaffene Trennung von E. und
Besitz bzw. beschränkten dinglichen Rechten vielleicht weniger streng
gehandhabt, doch verwendet Justinian unter Vereinheitlichung des Eigentums für
jedermann an allen Sachen die begriffliche Schärfe des klassischen römischen
Rechtes. Im germanischen Bereich bildet das bloße Haben (germ. *aigan, *haben)
den Ausgangspunkt des Eigentums. Dementsprechend ist im Mittelalter Eigen die
Bezeichnung der Herrschaft über eine Sache, wobei die Herrschaft durch Zeichen
(Eigentumsmarke, Hausmarke, Hofmarke, Ohrenmarke) dargestellt sein kann. Diesem
Eigen stehen vor allem →Allmende und →Lehen gegenüber, während die →Gewere
die äußere (sichtbare) Erscheinungsform („Kleid“) aller (wegen ihres
gedanklichen Wesens notwendigerweise unsichtbaren) Sachenrechte und damit auch
des Eigens ist. Im 13. Jh. erscheinen mhd. eigenschaft und mnd. (?) egendom (Köln
1170, Köln 1230 hegindum) wohl als Lehnübersetzungen von lat. proprietas. Das
E. hat aber keinen eindeutigen Inhalt. Es kann zeitlich und inhaltlich
beschränkt sein. Neben einem (lat. dominium [N.] directum) Obereigentum (etwa
des Lehnsherrn) kann selbst nach gelehrtem Recht (z. B. Wilhelmus de Cabriano,
Pilius [† 1213], Azo [zuerst nur bei der Emphyteuse], Accursius) in Anknüpfung
an eine dem einstigen bonitarischen Berechtigten des römischen Rechtes gewährte
(lat.) rei vindicatio (F.) utilis ein Untereigentum (lat. dominium [N.]
utile) (etwa des Ersitzungsbesitzers, Erbpächters, Erbbauberechtigten oder
des Lehnsmanns) stehen. Nach Bartolus, der Eigentum im Kern als das umfassende
Recht der Verfügung über einen körperlichen Gegenstand (lat. ius de re
corporali perfecte disponendi n. 4 ad D. 41. 2. 17) erfasst, kann E. (dominium)
im weiteren Sinn auch auf unkörperliche Gegenstände bezogen (und zwischen
mehreren Berechtigten aufgeteilt) werden. Dies wird mit der Aufnahme des gelehrten
Rechtes fortgeführt, wobei das Untereigentum zur Aufzehrung des Obereigentums
neigt. Danach betrachtet das aufstrebende Bürgertum unter dem Einfluss des
Protestantismus Eigentum als vorgesellschaftliches und damit unantastbares
Recht und wirkt sich wohl auch der von Hugo Grotius gutachtlich begründete koloniale
Zugriff europäischer Staaten auf den Rest der Welt auf die Eigentumsvorstellung
aus. Unter dem Einfluss der Aufklärung und des Liberalismus wird das E. (über
Kant bzw. Fichte und Hegel) zu einem völlig freien, von Einschränkungen
gelösten Recht einer Person an einer körperlichen Sache (Thibaut, A., Über dominium
directum und utile, 1801 [Aufsatz]). Am entschiedensten zeigt sich dies (nach
dem Bürgerlichen Gesetzbuch Sachsens von 1863) in § 903 BGB (trotz Otto von
Gierkes vergeblichen Versuchs der Entwicklung eines besonderen deutschrechtlichen
Eigentumsbegriffs). Die fragwürdigen Folgen schrankenloser Freiheit haben im
20. Jh. zur Anerkennung der Sozialbindung des Eigentums geführt. Außerdem hat
sich im öffentlichen Recht die Ansicht durchgesetzt, die unter dem von der
Verfassung garantierten E. jede schützenswerte Vermögensposition versteht. Das
sozialistische E. der Deutschen Demokatischen Republik (1949ff.) ist mit deren
Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland (1990) wieder aufgegeben.
Lit.: Kaser § 22; Söllner §§ 8, 23; Hübner 241ff., 453ff.;
Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 40, 124, 163, 174,
211, 269; Baltl/Kocher; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 65; Arnold,
W., Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten, 1861; Felix, L.,
Entwicklungsgeschichte des Eigentums, Teil 1ff. 1883ff.; Landsberg, E., Die
Glosse des Accursius, 1883; Goldschmidt, H., Eigentum und Eigentumsteilrechte
in ihrem Verhältnis zur Sozialisierung, 1920; Hedemann, W., Die Fortschritte
des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, Teil 2, 1 1930; Dungern, O. Frhr. v., Über
die Freiheit des Eigentums im Mittelalter, ZRG GA 53 (1933), 287; Keller, R.
v., Freiheitsgarantien für Person und Eigentum im Mittelalter, 1933, Wieacker,
F., Wandlungen in der Eigentumsverfassung, 1935; Kaser, M., Eigentum und Besitz
im älteren römischen Recht, 1943, 2. A. 1956; Wagner, H., Das geteilte
Eigentum, 1938; Eichler, H., Wandlungen des Eigentumsbegriffes in der deutschen
Rechtsauffassung, 1938; Coing, H., Zur Eigentumslehre des Bartolus, ZRG RA 70
(1953), 348; Schacht, J., An Introduction to Islamic Law, 1964; Feenstra, R.,
Les origines du dominium utile, (in) Flores legum, 1971, 49; Eigentum und
Verfassung, hg. v. Vierhaus, R., 1972; Brandt, R., Eigentumstheorien von
Grotius bis Kant, 1974; Landau, P., Ius patronatus, 1975; Rittsteig, H.,
Eigentum als Verfassungsproblem, 1975; Floßmann, U., Eigentumsbegriff und
Bodenordnung im historischen Wandel, 1976; Kroeschell, K., Die Lehre vom
germanischen Eigentumsbegriff, FS H. Thieme, 1977, 34; Köbler, G., Eigen und
Eigentum, ZRG GA 95 (1978), 1; Zenati, M., La nature juridique de la propriété,
1981; Klippel, D., Familie versus Eigentum, ZRG GA 101 (1984), 117; Klemm, P.,
Eigentum und Eigentumsbeschränkungen in der Doktrin des usus modernus
pandectarum, 1984; Kühl, K., Eigentumsordnung als Freiheitsordnung, 1984;
Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Eigentum, hg. v. Köhn,
J., 1987; Kroeschell, K., Die nationalsozialistische Eigentumslehre, (in)
Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus, 1989, 43; Baker, J., An Introduction
to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; Hecker, D.,
Eigentum als Sachherrschaft, 1990; Property and Power in the Early Middle Ages,
hg. v. Davies, W. u. a., 1995; Penner, J., The idea of property in law, 1997; Eigentum
im internationalen Vergleich 18.-20. Jahrhundert, hg. v. Siegrist, H. u. a., 1999;
Bertram, K., Die Gesetzgebung zur Neuregelung des Grundeigentums, 2000;
Finkenauer, T., Eigentum und Zeitablauf, 2000; Diestelkamp, B., Frühe
urkundliche Zeugnisse für dominium directum und dominium utile im 13.
Jahrhundert, (in) Grundlagen des Rechts, 2000, 391ff.; Michaels, R., Sachzuordnung
durch Kaufvertrag, 2002; Ulmschneider, C., Eigentum und Naturrecht, 2003;
Hoppe, K, Eigentum, Erbrecht und Vertragsrecht, 2003; Gottschalk, K., Eigentum,
Geschlecht, Gerechtigkeit, 2003; Lehmann, J., Sachherrschaft und Sozialbindung, 2004;
Keiser, T., Eigentumsrecht im Nationalsozialismus und Fascismo, 2005; Garnsey, P.,
Thinking about Property, 2007; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Müller, D., Adliges Eigentumsrecht
und Landesverfassung, 2011; The Future of European Property Law, hg. v. Van
Erp, S. u. a. 2012
Eigenümer (1478) ist der an einer Sache voll Berechtigte. →Eigentum
Lit. Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Eigentumserwerb ist der Erwerb des →Eigentums. Er erfolgt anfangs
originär (ursprünglich) durch Aneignung. Nach weitgehender Erschöpfung der dafür
in der Umwelt vorhandenen Güter verdrängt der (abgeleitete) E. durch
Rechtsgeschäft (→Übergabe auf Grund eines Titels, →Einigung und
Übergabe) den ursprünglichen E., der im Übrigen auch durch Fruchterwerb,
Verbindung, Vermischung, Vermengung und Verarbeitung möglich ist. Daneben steht
der E. durch Hoheitsakt. Gegründet auf Grotius’ Verständnis von Institutionen
2. 1. 40 lässt der Code civil (1804) Frankreichs bei dem abgeleiteten Erwerb das
Eigentum (bereits) mit dem (schuldrechtlichen) Vertragsabschluss (z. B.
Kaufvertrag) übergehen (Konsensprinzip). Umgekehrt verlangt Savigny
zusätzlich zum schuldrechtlichen Grundgeschäft einen davon unabhänigen sachenrechtlichen
Vertrag (Einigung).
Lit.: Kaser §§ 24ff.; Köbler, DRG 40, 61, 163; Brandt, H.,
Eigentumserwerb und Austauschgeschäft, 1940; Schubert, W., Die Entstehung der
Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966; Köbler, G.,
Die rechtliche Regelung des Eigentumserwerbs an Grundstücken in Preußen, (in)
Wissenschaft und Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 3 1976, 201;
Zimmermann, M., Der Rechtserwerb hinsichtlich eigener Sachen, 2001; Klinck, F.,
Erwerb durch Übergabe an Dritte nach klassischem römischem Recht, 2004; Damler,
D., Wildes Recht. Zur Pathogenese des Effektivitätsprinzips in der
neuzeitlichen Eigentumslehre, 2008
Eigentumsübertragung ist die Übertragung des →Eigentums von einem
bisherigen Eigentümer auf einen neuen Eigentümer. Ihr geht im römischen Recht
die Vorstellung voraus, dass dem Untergang eines Rechtes eines bisherigen
Eigentümers die Entstehung des Eigentums als neues Recht bei einem neuen
Berechtigten folgt, doch kennt bereits das klassische römische Recht den
Gedanken der Übertragung. Die wichtigsten Wege hierfür sind die (lat. [F.]) →mancipatio,
die (lat.) →in iure cessio (F.) und die formfreie Übergabe (lat. [F.] →traditio)
bei Vorliegen eines Rechtsgrunds. Für die Germanen ist ein einfaches
Handgeschäft zu vermuten. Im Frühmittelalter stehen Einigung oder Übergabe
(ahd. →sala, lat. traditio) und Besitzeinräumung oder Bekleidung (ahd.
giwerida, lat. →investitura) in nicht völlig klarer Weise nebeneinander.
Mit dem Beginn der Geldwirtschaft wird die E. sehr häufig. Sie erfolgt bei
Liegenschaften vielfach vor Gericht und unter Verwendung von Schriftakten ( →Schreinskarten).
Mit der Aufnahme des römischen Rechtes setzt sich die Lehre vom vorausgesetzten
(lat.) titulus (M.) acquirendi und vom erfüllenden (lat.) modus (M.) acquirendi
weitgehend durch. Im 19. Jh. entwickelt Savigny die Rechtsfigur des dinglichen,
neben dem schuldrechtlichen Vertrag (z. B. Kaufvertrag) stehenden Vertrags
(abstrakte →Einigung). Sie findet Eingang in das deutsche Bürgerliche
Gesetzbuch (1900). Danach erfolgt die E. durch Einigung und Übergabe oder
Übergabesurrogat sowie bei Grundstücken durch Einigung (Auflassung) und →Eintragung
in das Grundbuch. In den übrigen europäischen Ländern ist die E. ein kausales
Geschäft.
Lit.: Kaser § 24; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht,
9. A. 1981, Kap. 28; Dyckerhoff, E., Die Entstehung des Grundeigentums, 1909;
Kleinbub, M., Das Recht der Übertragung und Verpfändung von Liegenschaften in
der Reichsstadt Ulm, 1961; Schubert, W., Die Entstehung der Vorschriften des
BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966; Joswig, D., Die germanische
Grundstücksübertragung, Baker, J., An Introduction to English Legal History,
1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; 1984; Transfer of Title Concerning
Movables, Teil 1ff., hg. v. Rainer, J. u. a., Bd. 1ff. 2006 ff.
Eigentumsvorbehalt (1809) ist der Vorbehalt des
Verbleibens des Eigentums bei einem bisherigen Eigentümer trotz einer
Verpflichtung zur Eigentumsübertragung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der
bereits dem klassischen römischen Recht (Ulpian D. 43, 26, 20 bekannte), im
mittelalterlichen Italien durch die Glosse zu C. 4, 54, 3 übernommene, in
Deutschland durch die Rente vertretene, aber zu Anfang des 17. Jh.s zunächst in
Kursachsen und der Oberlausitz bei Kauf von Grundstücken ausdrücklich erwähnte
und verbreitete E. gewinnt mit dem Vordringen des Abzahlungskaufs im
ausgehenden 19. Jh. Bedeutung. Der Eigentumsvorbehaltskäufer erlangt eine Anwartschaft,
die mit fortschreitender Bezahlung des Kaufpreises schließlich zum Vollrecht erstarken
soll.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Schubert, W., Die Entstehung der
Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966; Berger, W.,
Eigentumsvorbehalt und Anwartschaftsrecht, besitzloses Pfandrecht und
Eigentum, 1984; Misera, K., Eigentumsvorbehalt im klassischen römischen Recht,
FS R. Serick, 1992, 275; Maaß, M., Die Geschichte des Eigentumsvorbehalts, 2000;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Eike von Repgow
(um 1180?-nach 1233?) ist der wahrscheinlich aus einer ostfälisch-sächsischen,
im 12. Jh. in das sorbische Gebiet Serimunt eingewanderten Familie stammende
Verfasser des (zunächst lateinisch verfassten und dann durch Übersetzung in die
Muttersprache) mittelniederdeutschen Rechtsbuchs →Sachsenspiegel. Er
benennt sich selbst (in den Versen 261-266 der Reimvorrede) nach dem Dorf
Repchowe (Reppichau westlich Dessaus im Anhaltinischen). Er tritt in sechs
Urkunden 1209 (Mettine), 1215 (Lippehna), 1218 (Grimma), 1219, 1224 (Delitzsch)
und 1233 (Salbke) an unterschiedlichen Orten in der Nähe bedeutender Fürsten
als Zeuge auf. Er ist schöffenbarfrei und bezeichnet Graf Hoyer von
Falkenstein, den Stiftsvogt von Quedlinburg, als seinen Herrn. Da er den
Sachsenspiegel zunächst in Latein schreibt und danach übersetzt, gehört er zur
dünnen Bildungsschicht der hochmittelalterlichen Gesellschaft. Sonstige
Einzelheiten über ihn stehen nicht sicher fest. Nach Peter Landau könnte Abt Matthäus
von Altzelle ein Lehrer Eike von Repgows sein.
Lit.: Köbler, DRG 102; Fehr, H., Die Staatsauffassung Eikes
von Repgow, ZRG GA 37 (1915), 131; Voltelini, H. v., Der Verfasser der
sächsischen Weltchronik, 1924; Möllenberg, W., Eike von Repgow und seine Zeit,
1934; Heck, P., Eike von Repgow, 1939; Lieberwirth, R., Eike von Repchow und
der Sachsenspiegel, 1982; Ignor, A., Über das allgemeine Rechtsdenken Eikes,
1984; Johannek, P., Eike von Repgow, Hoyer von Falkenstein und die Entstehung
des Sachsenspiegels, (in) Civitatum communitas 2, 1984, 716ff.; Kroeschell, K.,
Der Sachsenspiegel in neuem Licht, (in) Rechtsgeschichte in beiden deutschen
Staaten, 1991, 232; Schroeder, K., Eike von Repgow, JuS 1998, 776; Landau, P.,
Der Entstehungsort des Sachsenspiegels, DA 61 (2005), 73ff.; Lück, H.,
Magdeburg, Eike von Repgow und der Sachsenspiegel, (in) Magdeburg, hg. v.
Puhle, M. u. a., 2005, 155ff.; Eike von Repgow 800. Reppichau 850, hg. v. Lück,
H. u. a., 2009; Das Eike-vonRepgow-Dorf Reppichau zwischen 1159 und 2009, hg. v.
Lück, H. u. a., 2009
Einantwortung ist die Übertragung einer Gesamtheit
von Rechten an einen Erwerber z. B. eines Landes (1317) oder eines Nachlasses
(in den Besitz des Erben durch Gerichtsbeschluss, § 797 ABGBG 1811) oder
früher auch eines Mündels im Verhältnis zum Vormund.
Lit.: Wesener, G., Einantwortung,
FS Kocher, G., 2006, 485
Einbenennung ist
die Erteilung des Ehenamens der Mutter und ihres Ehemanns oder die Erteilung
des Namens des Vaters an das nichteheliche Kind.
Lit.: Engler, H., Der Familienname des nichtehelichen
Kindes, FamRZ 1971, 76
Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 121 (Gruter 1612)
Einforstung ist die Beanspruchung eines Waldes als
andere Menschen ausschließenden Forstes seit dem 7. Jh. bis in die Neuzeit.
Lit.: Hasel, K., Forstgeschichte,
1985, 2. A. 2002; Günther, R., Der Arnsberger Wald im Mittelalter, 1994; Kieß,
R., Forst-Namen und kleine Forsten, Forstliche Forschungsberichte München 161
(1997), 66ff.; Dasler, C., Forst- und Wildbann im frühen deutschen Reich, 2001
Eingriffsverwaltung ist der Teil der öffentlichen →Verwaltung, der in die
Rechte (z. B. Freiheit, Eigentum) des Untertanen bzw. Staatsbürgers eingreift.
Er ist der von Anfang an bestehende Kernbestand der Verwaltung, dem seit dem
19. Jh. die →Leistungsverwaltung gegenübertritt.
Einheitliche Europäische Akte ist die am 17. 2. 1986 von den Mitgliedstaaten der europäischen
Gemeinschaften beschlossene, am 1. 7. 1987 in Kraft getretene Abänderung der
römischen Gemeinschaftsverträge von 1957. Sie legt die schrittweise Vollendung
des Binnenmarkts bis 1992 und eine Wirtschafts- und Währungsunion fest, stellt
die Europäische Politische Zusammenarbeit auf eine vertragliche Grundlage und
richtet den Europäischen Rat ein.
Einigung (1322) ist allgemein die Übereinkunft
mehrerer Beteiligter. Im 19. Jh. wird die E. als Vereinbarung (dinglicher
Vertrag) über den Eigentumsübergang von →Savigny entwickelt. Unterstützt
von seit der Mitte des 19. Jh.s spürbaren Bestrebungen, die umständlichen
Formen des älteren Rechtes (z. B. Hypothekenordnung Preußens von 1783) zu
vereinfachen, wird diese Vorstellung in Preußen 1872 und im deutschen Reich
1897/1900 gesetzlich anerkannt.
Lit.: Köbler, DRG 212; Felgentraeger, C., Friedrich Carl
von Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre, 1927; Schubert, W., Die
Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Einigungsvertrag ist der am 31. 8. 1990 zwischen der Bundesrepublik →Deutschland
und der →Deutschen Demokratischen Republik abgeschlossene Vertrag über
die – wegen der eigenstaatlichen Interessen von Margaret Thatcher
(Großbritannien) eisern und François Mitterand (Frankreich) wortlos (Deutschland
zu mächtig, um nicht dominant zu werden)bekämpfte - Herstellung der Einheit
Deutschlands, auf dessen Grund am 3. 10. 1990 die Deutsche Demokratische
Republik der Bundesrepublik Deutschland beitritt.
Lit.: Köbler, DRG 247; Jackisch, K., Eisern gegen die
Einheit, 2004; La diplomatie française face ‚l’unification, hg. v. Vaïsse, M.
u. A., 2011
Einkammersystem ist das politische System, in dem das Gesetzgebungsorgan (→Parlament)
bzw. die Volksvertretung nur aus einer Kammer besteht (z. B. Sachsen-Weimar
1816, Schwarzburg-Rudolstadt 1816, Sachsen-Hildburghausen 1818, Sachsen-Meiningen
1824, Sachsen-Altenburg 1831, Kurhessen 1831, Braunschweig 1832, Bayern bis
2000). Es bildet den Gegensatz zum Zweikammersystem.
Lit.:
Ehrle, P., Volksvertretung im Vormärz, Teil 2 1979, 451ff.
Einkindschaft (Ingelheim 1419) ist die vertraglich vereinbarte erbrechtliche
Gleichstellung von Kindern aus zwei Ehen eines Elters (lat. unio [F.] prolium).
Sie findet sich in einer österreichischen Urkunde von 1275, in einem Stadtbucheintrag
in Wismar von 1324, in Ingelheim 1378, Frankfurt am Main 1399, Wetzlar 1475,
Worms 1498, Freiburg im Breisgau 1520 und Solms 1571. Dabei vereinbaren die Ehegatten
der zweiten Ehe zwecks Abdingung des im Hochmittelalter entstehenden
Ehegüterrechts (Verfangenschaftsrechts, Teilungsrechts, Teilrechts) meist bei
oder kurz nach der Eingehung einer neuen Ehe vor Zeugen oder vor Gericht mit
den Kindern einer vorangehenden Ehe, dass diese Kinder (Vorkinder) unter
Verzicht auf ihr Erbrecht (Verfangenschaftsrecht, Teilungsrecht, Teilrecht)
am Vermögen der verstorbenen ersten Ehegatten zugunsten der oder des neuen
Ehegatten (wie die Kinder der neuen Ehe, Nachkinder) ein Erbrecht gegen diesen
bzw. diese erhalten. Sie beerben also ihren erstverstorbenen Elter nicht, erhalten
aber ein Erbrecht in Bezug auf den letztversterbenden Ehegatten der zweiten
Ehe. Die E. ist noch im preußischen Allgemeinen Landrecht (1794, II 2 §§
717-752) enthalten, verschwindet danach jedoch.
Lit.: Hübner 509f.; Hertel, C., Über die Einkindschaft,
1818; Schröder, R., Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland, 2, 1,
1868, Neudruck 1967; Mittelstein, M., Die Einkindschaft nach hamburgischem
Recht, 1886; Meyer, H., Die Einkindschaft, Diss. jur. Breslau 1900; Meyer, H.,
ZRG GA 34 (1913), 610ff. (Besprechung); Gudian, G., Ingelheimer Recht im 15.
Jahrhundert, 1968; Bley, H., Das Erbrecht nach den Urteilen des Ingelheimer und
des Neustädter Oberhofs, Diss. jur. Frankfurt am Main 1977, 203ff.; Schartl,
R., Zur Entstehung der fränkischen Einkindschaft, Ius commune 16 (1989), 264
Einkommensteuer ist die vom Einkommen natürlicher Personen als Steuerobjekt
zu entrichtende Steuer. Sie wird in England (income tax zur Finanzierung des
Krieges gegen Napoleon) 1799, in Ostpreußen 1808 und nach dem
Klassensteuergesetz von 1820 in Preußen 1851 eingeführt. 1878 beträgt sie in
Sachsen bis 5%. 1891 wird unter Finanzminister Miquel in Preußen ein als fortschrittlich
geltendes Einkommensteuergesetz erlassen, in dem die von dem Finanzbeamten
Bernhard Fuisting vorgeschlagene Einkommensteuererklärung von besonderer
Bedeutung ist (1893 Ergänzung um Vermögensteuer, Kommunalabgabengesetz). Im
20. Jh. wird die E. (unter Verselbständigung der Körperschaftsteuer für
juristische Personen 1920) zu einer der wichtigsten staatlichen
Einnahmequellen.
Lit.: Köbler, DRG 198, 233, 251; Großfeld, B., Die
Einkommensteuer, 1981; Linzbach, P., Der Werdegang der preußischen
Einkommensteuer, 1984; Greim-Kuczewski, P., Die preußische Klassen- und
Einkommensteuergesetzgebung, 1990; Mathiak, W., Die erste Einkommensteuer in
Deutschland, (in) Steuer und Wirtschaft, 1995, 352; Mathiak, W., Das preußische
Einkommensteuergesetz von 1891, 2011;
Osmialowski, C., Bernhard Fuisting (1841-1908) und die Begründung der
Steuererklärungspflicht, Diss. jur. Bonn 2011; Harris, P., Income Tax in Common
Law Jurisdictions, Bd. 1 2012
Einlager ist
die seit dem 12. Jh. (mangels besserer Erfüllungsverwirklichungsmöglichkeiten)
entstehende bzw. bekannte Form der Schuldsicherung, bei der sich der →Bürge
oder →Schuldner (z. B. Adliger, Stadt vielfach gegenüber Juden)
verpflichtet, bei Fälligkeit der Schuld einen festgelegten Ort (z. B. ein
Gasthaus) aufzusuchen und ohne Einwilligung des Gläubigers nicht wieder zu
verlassen, was als Folge der entstehenden Kosten den Schuldner oder Bürgen zur
baldigen Leistung bewegen sollte. Die Kosten der Unterbringung fallen je nach
Vereinbarung dem Hauptschuldner oder dem Bürgen zur Last. 1572 verbietet
Sachsen (Kursachsen), 1577 eine Reichspolizeiordnung das E., doch hat es
zumindest örtlich bis in das 19. Jh. tatsächlich Bestand. Im Übrigen wird es
durch die →Schuldhaft abgelöst.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 128; Friedlaender, E.,
Das Einlager, 1868; Lechner, A., Das Obstagium, 1906; Rintelen, M., Schuldhaft
und Einlager im Vollstreckungsverfahren, 1908; Kisch, G., Das Einlager, 1912;
Ogris, W., Die persönlichen Sicherheiten im Spätmittelalter, ZRG GA 82 (1965),
140; Breßler, S., Schuldknechtschaft und Schuldturm, 2004; Lentz, M., Konflikt,
Ehre, Ordnung, 2004
Einlassung ist
die Bereitschaftserklärung eines Beklagten, mit dem Kläger über die Klage streiten
zu wollen. Sie ist der Sache nach bereits Bestandteil des römischen
Formularprozesses (förmliche Verneinung des Begehrens des Klägers, nicht
Anerkenntnis oder Untätigkeit des Beklagten), wobei ein Zwang zur E. bei einer
(lat.) actio in personam besteht, während bei einer (lat.) actio in rem der
Gerichtsmagistrat erst Rechtsschutz (lat.) in personam gewähren muss. Im
Heiligen römischen Reich wird die E. mit der Aufnahme des gelehrten Prozesses
ein Teil der Streitbefestigung (lat. litis contestatio [F.]). Eine klare
Bestimmung der E. im gemeinrechtlichen Verfahren des Reichskammergerichts ist
nicht möglich, weil sowohl die Litiskontestationsbegründung wie auch die
Einrede oder Antwort des Beklagten als E. bezeichnet werden., obwohl die
Reichskammergerichtsordnung von 1500 beides trennt. Die Reichskammergerichtsordnung
von 1555 sieht in jeder Klageerwiderung eine Litiskontestation. Der jüngste
Reichsabschied von 1654 übernimmt aus dem sächsischen Verfahren die besondere
Litiskontestation und lässt die E. als zusammenhängende Klageerwiderung in
einem einfachen Klaglibell erfolgen. In der Gegenwart ist im Zivilprozess das
Verhandeln zur Hauptsache eine Zuständigkeitsvereinbarung (§§ 39, 504 ZPO).
Im Strafprozess ist E. jede Äußerung des Beschuldigten zur Sache.
Lit.: Kaser § 82; Wetzell, G., System des ordentlichen
Zivilprozesses, 1861, 3. A. 1878, § 14; Kaser, M., Das römische
Zivilprozessrecht, 1966, 2. A. 1996; Sellert, W., Prozessgrundsätze und stilus
curiae am Reichshofrat, 1973; Budischin, H., Der gelehrte Zivilprozess, 1974;
Dick, B., Die Entwicklung des Kameralprozesses, 1981
Einmal ist keinmal.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 88 (Hertius 1737, lat. unus actus nullus actus)
Ein Mann, ein Wort.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 235 (Sachße 1856)
Einmanngesellschaft ist in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s die zunächst bei
einer bereits bestehenden Gesellschaft und danach auch für die Entstehung einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung zugelassene, nur aus einem Gesellschafter
bestehende Gesellschaft.
Einmauern ist im Altertum eine Todesstrafe und seit
dem Mittelalter eine Art Freiheitsstrafe, die mit der Aufklärung aufgegeben
wird.
Lit.: His, R., Das Strafrecht des
deutschen Mittelalters, 1920
Einrede (1188) ist das nicht im bloßen
Leugnen bestehende, gegen den Klaganspruch gerichtete Vorbringen des
Beklagten. Die E. ist schon dem römischen Zivilprozessrecht als (lat.) exceptio
(F.) bekannt. Dementsprechend erscheint sie bei der Aufnahme des gelehrten
Prozessrechts in Deutschland. Bereits im Hochmittelalter werden in Urkunden umfängliche
romanistische Verzichtsformeln für Einreden aufgenommen.
Lit.: Kaser § 4 II; Söllner § 9; Köbler, DRG 155;
Schlosser, H., Die Rechts- und Einredeverzichtsformeln (renuntiationes), 1963;
Wesener, G., Nichtediktale Einreden, ZRG GA 112 (1995), 109; Ernst, W., Die
Einrede des nichterfüllten Vertrags, 2000; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen
des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Einspruch
Lit.: Broichmann, C.,
Der außerordentliche Einspruch im Dritten Reich, 2013 (21 Fälle von Verfahren
vor dem besonderen Strafsenat des Reichsgerichts, 92 Fälle vor dem besonderen
Senat des Volksgerichtshofs, jeweils hohe Zahl von Todesurteilen, in zwei
Fällen persönliche Einflussnahme Adolf Hitlers)
Einstweilige Anordnung
ist die vorläufige Anordnung des Gerichts in einem Rechtsstreit. Sie findet
sich sachlich notwendigerweise seit dem Beginn von Verfahren. Sie wird aber
erst spät grundsätzlich geregelt.
Lit.: Rohmeyer, H., Geschichte und Rechtsnatur der
einstweiligen Anordnung im Verwaltungsprozess, Diss. jur. Hamburg 1967
einstweilige Verfügung
→Mandatsprozess
Eintragung (1440) ist die Aufnahme in ein
Register. Sie ist an unterschiedlichen Stellen Voraussetzung für eine
Rechtsfolge. Im 19. Jh. wird in Deutschland die E. in das Grundbuch grundsätzlich
Voraussetzung für das Entstehen eines dinglichen Rechtes oder die E. einer
Gesellschaft in das Handelsregister Voraussetzung für ihre Entstehung
(Eintragungsgrundsatz, Intabulationsprinzip). In Österreich ist E. (lat.)
modus des Rechtsübergangs für unbewegliche Sachen (auf Grund Eintragungsbewilligung
bzw. Aufsandungserklärung).
Lit.: Köbler, DRG 125, 212; Planitz, H., Konstitutivakt und
Eintragung in den Kölner Schreinsurkunden, FS A. Schultze, 1934, 175; Grolle,
N., Die Eintragungsbewilligung, Diss. jur. Münster 1989; Köbler, U., Werden,
Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Eintritt ist das Hineintreten in eine Lage oder
einen Raum (z. B. auch in ein Haus oder in eine Gesellschaft).
Eintrittsrecht (Wort 1608) ist das Recht zum Eintritt in einen Raum oder in eine
Rechtslage. Im Erbrecht ist insbesondere das E. (Repräsentationsrecht) von
Enkeln an Stelle vorverstorbener Kinder bedeutsam. Es findet sich im römischen
Recht (Gaius, Institutionen 3,7, 3,8, I. 3. 1. 6, Nov. 118, 1). Dort kenn
Justinian (527-565) nur das E. der Geschwisterkinder. Das E. wird bereits
spätestens 596 vom fränkischen König in der (lat.) Decretio (F.) Childeberti
bestimmt und vielleicht am 17. Mai 938 auf einem Hoftag in Steele bei (bzw.
heute in) Essen auf Grund eines Zweikampfs für Sachsen zugunsten von
Sohnessöhnen bejaht (eingeschränkt nach Söhnen im Sachsenspiegel 1221-1224,
abgelehnt in Augsburg 1276/1420). Mit der Aufnahme des römischen Rechtes findet
es allgemeine Anerkennung im Heiligen römischen Reich (Reichsabschied 1500,
1521, Jülich-Berg 1555/1564, Solms 1571, Kurköln 1663, Kurtrier 1668/1713, ALR
1794, Code civil 1804, ABGB 1811, ABGB Aargau 1856, BGB Sachsen 1863, PRG
Schaffhausen 1864). In Österreich folgt der Entwurf Neue Satz- und Ordnung
(1720) weitgehend, der Codex Theresianus (1766) Justinian.
Lit.: Hübner 766ff.; Kroeschell, DRG 1;
Wesener, G., Zum Weiterleben römischen
Rechtes im Frühmittelalter, ,(in) Cinquante anni della Corte
costituzionale della Repubblica italiana, 2006, 1751; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010;
Kroeschell, K., König Otto I. und das Eintrittsrecht der Enkel (in) Römische
Jurisprudenz, 2011, 361
Einung ist
die Vereinbarung unter mehreren Menschen und auch deren dsdurch geschaffener
Zusammenschluss (z. B. Innung). Die E. kann bindende Wirkung für eine
Gesamtheit entfalten. Insofern werden etwa hochmittelalterliche
Landfriedenseinungen als Gesetze eingeordnet.
Lit.: Köbler, WAS; Ebel, W., Die Willkür, 1953; Vogel, O.,
Die ländliche Einung, Diss. jur. Zürich 1953; Bader, K., Die städtische Einung,
Arch. d. hist. Ver. d. Kantons Bern 44 (1958), 159; Kulenkampff, A., Einungen
mindermächtiger Stände, Diss. phil. Frankfurt am Main 1967; Kulenkampff, A.,
Einungen und Reichsstandschaft fränkischer Grafen und Herren, 1971; Spieß, P.,
Rüge und Einung, 1988; Einungen und Bruderschaften, hg. v. Johanek, P., 1993;
Moraw, P., Die Funktion von Einungen und Bünden, (in) Alternativen zur
Reichsverfassung, hg. v. Press, V., 1995, 1; Pitz, E., Bürgereinung und
Städteeinung, 2001
Einwerfung oder
Ausgleichung ist die Berücksichtigung eines einem von mehreren Erben zu
Lebzeiten des Erblassers von diesem zugeflossenen Vermögenswerts bei der Auseinandersetzung
des Nachlasses (Teil der gesetzlichen Ausgestaltung der Erbauseinandersetzung).
Sie ist dem römischen Recht als (lat.) →collatio (F.) bonorum bekannt.
Sie findet sich im langobardischen Volksrecht (Edictus Rothari [643] 199) und im
westgotischen Volksrecht (L. Vis. [7. Jh.] IV, 5, 3) sowie im →Sachsenspiegel
([1221-1224] Landrecht I 10, 13) und im →Schwabenspiegel ([um 1275]
148a). Ausführlich ist die E. oder Ausgleichung in den neuzeitlichen
Gesetzbüchern behandelt (ALR [1794] II 2 §§ 303ff., Code civil [1804] Art.
843ff., ABGB [1811] §§ 788, 790ff., BGB Sachsen [1863] §§ 2354ff., BGB [1900]
§§ 2050ff., ZGB [1907/1911] Art. 626ff.).
Lit.: Kaser § 73 IV; Hübner 750ff.; Reinhardt, K., Die
Lehre von der Einwerfung, 1818; Rummel, C. v., Zur Lehre von der Einwerfung,
1843; Staudinger, J./Kipp, T./Coing, H., Erbrecht, 12. A. 1965, § 120;
Eberl-Borges, C., Die Erbauseinandersetzung, 2000; Werbik, K., Lebzeitige
Zuwendungen des Erblassers, 2004
Einwilligung (1478) ist die vorherige
Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft oder sonstigen Verhalten.
Lit.: Kaiser, D., Die elterliche
Einwilligung, 2008; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Einziehung
Lit..
Arnold, M., Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 73 bis 76a StGB),
2013
Eisenach am
nordwestlichen Fuß des Thüringer Waldes erhält 1283 Stadtrecht. Eisenacher
Rechtsbuch ist ein in verschiedenen Fassungen überliefertes Rechtsbuch der
Stadt E. Das bruchstückweise in einer einzigen in Kassel befindlichen
Handschrift des ersten Viertels des 15. Jh.s überliefert erhaltene ältere
Eisenacher Rechtsbuch des Stadtschreibers Johannes →Rothe (Creuzburg
1350/60-Eisenach 1434) von 1384-1387 verbindet Teile des Meißener Rechtsbuchs,
des glossierten Sachsenspiegels, des Schwabenspiegels und des Decretum
Gratiani, der Digesten, der Dekretalen, des Liber Sextus und anderer gelehrter
Quellen mit dem Eisenacher Stadtspiegel von 1283 und Eisenacher
Gerichtsgewohnheiten des 14. Jh.s (Buch 1 Erbrecht, Buch 2 Heergewäte,
Leibgeding, Morgengabe [, Vormundschaft], Buch 3 Häuser, Äcker, Vieh). Quelle
ist das an 20 Stellen in Bezug genommene Eisenacher Kettenbuch, das
landgräfliche Privilegien und städtische Willküren verarbeitet. Von Rothe
stammt ein weiteres, zehn Bücher umfassendes Rechtsbuch, das 1503/1504 der
Stadtschreiber Johann →Purgold unter Einbeziehung der Institutionen und
des Codex in den 8 wenig geordneten Büchern seines jüngeren Eisenacher Rechtsbuchs
überarbeitet.
Lit.: Das Rechtsbuch nach Distinktionen.
Ein Eisenacher Rechtsbuch, hg. v. Ortloff, F., 1836, 625-756; Die Stadtrechte
von Eisenach, Gotha und Waltershausen, hg. v. Strenge, K. u. a., 1909;
Helmoldt, H., Geschichte der Stadt Eisenach, 1936; Rondi, P., Eisenacher
Rechtsbuch, 1950; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1
1990, 57
Eisenbahn - nach einer berühmten
Begriffsbestimmung des Reichsgerichts (RGZ 1, 247, 252) ein Unternehmen,
gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht
ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre
Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtmassen bzw. die
Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Schnelligkeit der Transportbewegung
zu ermöglichen bestimmt ist, und durch diese Eigenart in Verbindung mit den
außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräften (Dampf, Electrizität,
thierischer oder menschlicher Muskeltätigkeit, bei geneigter Ebene der Bahn
auch schon der eigenen Schwere der Transportgefäße und deren Ladung, u. s. w.)
bei dem Betriebe des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßig gewaltige
(je nach den Umständen nur in bezweckter Weise nützliche, oder auch
Menschenleben vernichtende und die menschliche Gesundheit verletzende) Wirkung
zu erzeugen fähig ist - ist das im 19. Jh. auf der
Grundlage älterer Ansätze entwickelte, auf Schienen laufende, dem öffentlichen
oder ihm ähnlichen Verkehr dienende Transportmittel. Die erste öffentliche
Eisenbahn wird (21 Jahre nach der Inbetriebnahme der ersten Dampflokomotive)
1825 als Stockton and Sarlington Railway in England 1825 verwirklicht. Die
erste Eisenbahnstrecke wird 1830 zwischen Manchester und Liverpool, die erste
deutsche Eisenbahnstrecke 1835 zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet. Bereits am
3. 11. 1838 sieht Preußen auf Grund eines schriftlichen Votums des Staatsratsmitglieds
(1817-1848) Friedrich Carl von Savigny im Gesetz über Eisenbahnunternehmungen
(§ 25) für die E. eine (abdingbare) →Gefährdungshaftung vor. Zu Gunsten
der E. werden vielfach Grundstückseigentümer enteignet. Häufig erweisen sich
übergeordnete Einheiten und Verinbarungen als sinnvoll (Verein deutscher
Eisenbahnverwaltungen 1847, Reichseisenbahnamt 1873, internationale
Vereinbarung über die technische Einheit im Eisenbahnwesen 1887, Union für den
Eisenbahnfrachtverkehr 1890, Staatsvertrag zur Gründung der deutschen
Reichsbahngesellschaft 1920, Übereinkommen über den internationalen
Eisenbahnverkehr 1980). Die aus militärischen Gründen (ab 1879 auch in Preußen)
überwiegend verstaatlichten Eisenbahnen wirtschaften vor allem nach Erfindung
des nicht an Schienen gebundenen, örtlich wie zeitlich flexibleren Automobils
(Kraftfahrzeugs) grundsätzlich mit Verlusten, weshalb seit der Mitte des 20.
Jahrhunderts Streckenstilllegungen erforderlich sind. Wegen der für den
Staatshaushalt infolge hoher Ausgaben und geringer Einnahmen zunehmend
untragbaren Verluste ist die auf Kernstrecken beschränkte Bundesbahn
Deutschlands seit 1994 privatisiert (Deutsche Bahn AG, daneben viele wenig
übersichtliche Einzelgesellschaften). Vor allem aus Umweltüberlegungen
erwachsende Bestimmungen zur zwangsweisen Verlagerung von Verkehr von der
Straße auf ide Schiene sind nur bedingt erfolgreich.
Lit.: Köbler, DRG 176; Camphausen, L., Versuch eines
Beitrags zur Eisenbahngesetzgebung, 1838; Endemann, W., Das Recht der
Eisenbahnen, 1886; Anderegg, F., Schweizerische und bernische
Eisenbahngesetzgebung, 1978; Albrecht, C., Bismarcks Eisenbahngesetzgebung,
1994; Heyn, F., Die Entwicklung des Eisenbahnfrachtrechts, 1996; Ziegler, D.,
Eisenbahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung, 1996; Then, V., Eisenbahnen
und Eisenbahnunternehmer, 1997; Bracht, C., Der Bau der ersten Eisenbahnen in
Preußen, 1998; Julitz, L., Bestandsaufnahme Deutsche Bahn, 1998; Schubert, W.,
Das preußische Eisenbahngesetz von 1838, ZRG GA 116 (1999), 152; Die Eisenbahn
in Deutschland, hg. v. Gall, L. u. a., 1999; Thomas, W., Lawyering for the
railroads, 1999; Wachtel, R./Marxmüller, H./Heide, H., Eisenbahnunfälle, 2000;
Mitchell, A., The Great Train Race, 2000; Delbanco, H., Ursprünge des
europäischen Eisenbahnrechts, (in) Aktuelle Probleme des Eisenbahnrechts 5
(2000), 215; Ely (jr.) jr., J., Railroads and American law, 2001; Prêtre, A.,
Eisenbahnverkehr als Ordnungs- und Gestaltungsaufgabe des jungen Bundesstaats,
2002; Usselman, S., Regulating railroad innovation, 2002; Raster, J.,
Enteignung und Eisenbahnbau, 2003; Bremm, K., Von der Chaussee zur Schiene,
2005; Auf eisernen Scheinen, hg. v. Hedwig, A., 2008; Across the Borders, hg.
v. Roth, R. u. a., 2008
Eisenbahnrecht ist die Gesamtheit der die auf Schienen laufenden, dem öffentlichen
oder ihm ähnlichen Verkehr dienenden Transportmittel betreffenden Rechtssätze.
Rechtlich wirkt sich die (Herrschaft über Raum und Zeit erleichternde) →Eisenbahn
vor allem auf die Bildung von Aktiengesellschaften, die Enteignung von
Grundstücken und die Entwicklung der Gefährdungshaftung (Preußen 1838) aus.
1920 übernimmt in Deutschland das Reich (bis 1924 und von 1937 an) die
Eisenbahnverwaltung. Nach 1993 wird die verlustreiche Deutsche Bahn teilweise
privatisiert.
Lit.: Loth, W., Verkehrsentwicklung in Deutschland seit
1800, 1920; Ogorek, R., Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung,
1975; Anderegg, F., Schweizerische und bernische Eisenbahngesetzgebung, 1978;
Albrecht, C., Bismarcks Eisenbahngesetzgebung, 1994; Heyn, F., Die Entwicklung
des Eisenbahnfrachtrechts, 1996; Küper, N., Entlastung des Straßengüterverkehrs
durch den Schienengüterverkehr, 1997; Schubert, W., Das preußische
Eisenbahngesetz von 1838, ZRG 116 (1999), 152; Roth, R., Das Jahrhundert der
Eisenbahn, 2005; Sonderzüge in den Tod, hg. v. Kill, S. u. a., 2009
Ekenberger, Blasius
Lit.: Elucubratio Blasii
Ekenbergers auer dat erste undt ander Koning Waldemari Lohbuch anno 1595, hg.
v. Haff, K., 1932
Ekloge ([F.]
Auswahl) ist das vor allem das römische Strafrecht abändernde byzantinische
Gesetz Kaiser Leos III. des Jahres 726, das erstmals ausdrücklich auf
Generalprävention abzielt. Es ordnet viele verstümmelnde Körperstrafen an und
weitet den Bereich der Straftaten gegen die Sittlichkeit aus.
Lit.: Sinogowitz, B., Studien zum
Strafrecht der Ekloge, 1956
Elbe (F.) ist der vom Riesengebirge in Böhmen auf 1100
Kilometern bei Hamburg in die Nordsee fließende Strom, der im frühen
Mittelalter teilweise fränkisch-deutsches Reich und Slawen voneinander
abgrenzt. 1821 wird von den Anrainerstaaten eine Elbschifffahrtsakte
unterzeichnet (1844 Additionalakte). Von 1945 bis 1990 bildet die E. eine
innerdeutsche Grenze.
Lit.: Schröder, D., Die
Elb-Grenze, 1986, Jüngel, K., Die Elbe, 1993; Johne, K., Die Römer an der Elbe,
2006
Elbing ist die 1237 im Land des Deutschen Ordens
gegründete, 1466 an Polen, 1772 an Preußen (1905 94065 Einwohner deutschsprachig,
280 polnischsprachig), 1945/1990 wieder an Polen gefallene Stadt. Das Elbinger
Rechtsbuch ist ein in einer 1825 in E. aufgetauchten, derzeit verschollenen
Handschrift des frühen 15. Jh.s überliefert. Es enthält in
mittelmitteldeutscher Sprache von einem unbekannten Verfasser aufgezeichnetes
polnisches Recht von wahrscheinlich zwischen 1270 und 1320 in 27 Artikeln.
Quellen sind der Schwabenspiegel, das Meißener Rechtsbuch, ein Magdeburger
Schöffenbrief an Kulm und Magdeburger Recht. Mit der vom lübischen Recht
geprägten Rechtsentwicklung Elbings besteht kein Zusammenhang.
Lit.: Steffenhagen, E., Deutsche
Rechtsquellen in Preußen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, 1875, 118ff.;
Brünneck, W. v., Zur Geschichte der Gerichtsverfassung Elbings, ZRG 36 (1915),
24; Schubart-Fikentscher, G., Die Verbreitung der deutschen Stadtrechte in
Osteuropa, 1942; Grekow, B., Polskaja prawda, 1957; Najstarszy zwód prawa
polskiego, hg. v. Matuszewski, J., 1959; Tischer, K., Das älteste polnische
Gewohnheitsrechtsbuch, Diss. jur. Freiburg im Breisgau 1969; Maisel, W., Die
Rätsel des Elbinger Rechtsbuchs, (in) Deutsches Recht zwischen Sachsenspiegel
und Aufklärung 1991, 47ff.; Najstarszy zwód prawa polskiego, hg. v. Thieme,
H./Matuszewski, J., 1995
Elegante Jurisprudenz ist die aus dem französischen (lat.) →mos (M.)
Gallicus entwickelte niederländische Rechtswissenschaft des 17./18. Jh.s.
Lit.: Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit,
1952, 2. A. 1967; Canoy-Olthoff/Nève, P., Holländische Eleganz, 1990; Van den
Bergh, G., Die holländische elegante Schule, 2001
Elektriziät ist
das zuerst an der Reibung von Bernstein erkannte Spannungsverhältnis zwischen
einem geladenen Teilchen und seiner Umgebung. Seit dem 19. Jh. wird die E. mit
größtem Erfolg (z. B. Licht, Elektromotor, Digitalisierung) wirtschaftlich
nutzbar gemacht. Seitdem wird sie auch rechtlich erfasst.
Lit.: Stier, B., Staat und Strom, 1997; Kehrberg,
J., Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland, 1997
Elisabeth von Thüringen (Ungarn 1207-Marburg
16./17. 11. 1231) Hospitalheilige
Lit.: Sankt Elisabeth, hg. v. d.
Philipps-Universität Marburg, 1981; Elisabeth, hg. v. Blume, D. u. a., 2007
Elsass ist
die aus geographisch unterschiedlichen Teilen zusammengesetzte Landschaft
zwischen Oberrhein und Vogesen, die seit 269 n. Chr. von Germanen besetzt wird.
Im 7. Jh. entsteht unter der Familie der Etichonen ein Herzogtum, das in der
Mitte des 8. Jh.s unter Teilung in die Grafschaften Nordgau und Sundgau
beseitigt wird. Das 768 Alemannien zugeordnete E. kommt 870 zum ostfränkischen
Reich. Im Hochmittelalter erringen neben den Staufern die Grafen von →Habsburg
wichtige Rechte (z. B. Landgrafen im Sundgau), verpfänden ihre Güter 1469 aber
an Burgund. 1648/1697 gelangt das E. an Frankreich, das es seit 1789/1790
zunehmend integriert. Von 1871 bis 1918 bildet das E. einen Teil des deutschen
Reichslands Elsass-Lothringen. 1940-1945 wird nochmals eine deutsche
Zivilverwaltung errichtet. Davon abgesehen wird das E. im 20. Jh. von
Frankreich weitgehend französisiert.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, Historisches Lexikon;
Stouff, L., Les origines de l’annexion de la Haute-Alsace à la Bourgogne en
1469, 1901; Schmidlin, J., Ursprung und Entfaltung der habsburgischen Rechte im
Oberelsass, 1902; Becker, J., Geschichte der Reichslandvogtei im Elsass, 1905;
Hessel, A., Elsässische Urkunden, 1915; Meyer, O., La régence épiscopale de
Saverne, 1935; Thieme, H., Staufische Stadtrechte im Elsass, ZRG GA 58 (1938),
654; Colmarer Stadtrechte, bearb. v. Finsterwalder, P., 1938; Büttner, H.,
Geschichte des Elsass, Bd. 1 1939; Atlas de villes médiévales d’Alsace, hg. v.
Himly, F., 1970; Histoire de l’Alsace, hg. v. Dollinger, P., 1970, 4. A. 1984,
neue A. 2001; Seidel, K., Das Oberelsass, 1980; Nouveau dictionnaire de
biographie alsacienne, 1982ff.; Das Elsass, hg. v. Erbe, M., 2002; Hummer, H.,
Politics and Power in Early Medieval Europe, 2005; Igersheim, F., L’Alsace et ses historiens
1680-1914, 2006; Sütterle, H., Die Salier und das Elsass, 2009; Fischer, C.,
Alsace to the Alsatians?, 2010; Weber, K., Die Formierung des Elsass im Regnum
Francorum, 2011; Vogler, B., Geschichte des Elsass, 2012
Elsass-Lothringen →Elsass, →Lothringen
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Jacob, K., Das
Reichsland Elsass-Lothringen, Bd. 1ff. 1898ff.; Hamburger, G., Die
staatsrechtlichen Besonderheiten der Stellung des Reichslandes
Elsass-Lothringen, 1901; Preibusch, S., Verfassungsentwicklungen im Reichsland
Elsass-Lothringen 1871-1918, 2006
Elter (Wort 765 belegt)
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
elterliche Gewalt →Eltern,
→Kind
elterliche Sorge →Eltern,
→Kind
Lit.: Schlüter, W., Elterliches Sorgerecht, 1985;
Liebler-Fechner, M., Der ideologisch motivierte Entzug des elterlichen
Sorgerechts in der Zeit des Nationalsozialismus, 2001; Andermann, M., Der
ideologisch motivierte Entzug des elterlichen Sorgerechts im Dritten Reich und
in der Deutschen Demokratischen Republik, 2003; Köhler, A., Die
Sorgerechtsregelungen bei Ehescheidung seit 1945, 2006
Eltern sind
Vater und Mutter eines Kindes. Von ihnen hat im römischen Recht der Hausvater
(lat. [M.] pater familias) bis zu seinem Tode die fast unbeschränkte väterliche
Gewalt (lat. patria potestas [F.]) über die Haussöhne und Haustöchter, die nur
allmählich gemäßigt wird. In gleicher Weise untersteht bei den Germanen das Kind
der Personalgewalt (germ. *mundiz) des Familienvaters. Bereits im späteren 19.
Jh. werden in Deutschland und Frankreich die elterlichen Rechte durch den Staat
gesetzlich eingeschränkt. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) stehen die
ehelichen Kinder bis zur Volljährigkeit unter elterlicher Gewalt, die in erster
Linie dem Vater und nur daneben der Mutter obliegt. Österreich führt ab 1970
die elterliche Obsorge statt der elterlichen Gewalt ein. Am 18. 7. 1979 wird
die elterliche Gewalt in Deutschland durch die elterliche Sorge ersetzt, bei
der Kinder in gewissem Umfang an wichtigen Entscheidungen beteiligt und die
Eltern stärker auf das Wohl der Kinder verpflichtet sind.
Lit.: Kaser § 60; Hübner; Krause, E., Die gegenseitigen
Unterhaltsansprüche zwischen Eltern und Kindern, 1982; Zitscher, H.,
Elterlicher Status in Richterrecht und Gesetzesrecht, 1996; Schumacher, S., Das
Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kindern, 1999; Torp, S., Das
Rechtsverhältnis zwischen den Eltern und ihren Kindern, 2000; Engel, T.,
Elterliche Gewalt unter staatlicher Aufsicht, 2011; Gemeinsames Sorgerecht
nicht miteinander verheirateter Eltern, hg. v. Jurczyk, K. u. a., 2012
Emancipatio (lat.
[F.]) ist im römischen Recht die rechtsgeschäftliche Entlassung des Hauskinds
aus der väterlichen Gewalt. Bei ihr werden Söhne dreimal, Töchter und Enkel
einmal, vom Hausvater an einen Vertrauensmann übertragen. Von diesem werden
sie danach jeweils freigelassen, wodurch sie an den Hausvater zurückfallen.
Nach der letzten, für die Beendigung der väterlichen Gewalt erforderlichen
Übertragung wird das Hauskind vom Vertrauensmann an den leiblichen Vater
zurückübertragen, damit es von diesem endgültig freigelassen wird, ohne durch
die Freilassung in die Patronatsgewalt des Vertrauensmanns zu fallen.
Lit.: Kaser § 60 IV; Köbler, DRG 21
Emancipatio (lat. [F.]) Saxonica ist die in der frühen Neuzeit im Heiligen römischen Reich geübte Lösung des Haussohns aus der
väterlichen Gewalt durch wirtschaftliche Verselbständigung (→Abschichtung).
Lit.: Hübner; Köbler, DRG 160
Emanzipation (1599, emancipiren 1536) ist die Befreiung aus einem Zustand der Beschränkung oder
Abhängigkeit. Sie nimmt ihren Ausgang bei der römischrechtlichen →emancipatio.
Seit dem 19. Jh. richtet sich die E. hauptsächlich auf die Befreiung der Frau
von der Vorherrschaft des Mannes, deren Auswirkungen sich im Familienrecht der
zweiten Hälfte des 20. Jh.s erkennen lassen.
Lit.: Söllner § 8; Köbler, DRG 178, 252; Geschichtliche
Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 153; Theurer, A., Emanzipation, 1996; Jenni, R., Die
Emanzipation der mehrjährigen (!) Frauenzimmer, 1997; Grimme, M., Die
Entwicklung der Emanzipation der Frau, 2003; Revolution und Emanzipation, hg.
v. Rennhak, K. u. a., 2004; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010; Engel, T., Elterliche Gewalt unter
staatlicher Aufsicht in Frankreich und Deutschland (1870-1924), 2011
Emden
Lit.: Fritzschen, G., Die
Entwicklung des Emder Stadtrechts, Diss. jur. Göttingen 1958
Emendatio (lat.
[F.] Besserung) ist die lateinische Bezeichnung für die frühmittelalterliche →Buße.
Lit.: Köbler, DRG 91
Emigration (F.) Auswanderung
Lit.:
Breunung, L. u. a., Biographisches Handbuch der Emigration deutschsprachiger
Rechtswissenschaftler ab 1933. Bd. 1 2012 (Ball, Balogh, Baumgarten, Cohn,
Darmstaedter, David, [Giles,] James Goldschmidt, Werner Goldschmidt, Grünhut,
Hirsch, Kantorowicz, Leibholz, Lewald, Mannheim, Mendelssohn Bartholdy,
Nawiasky, Prausnitz, Pringsheim, Schulz, Schwarz, Sinzheimer, Strupp, Wolff, kürzer
erwähnt Ehrhardt, Haymann, Isay, Erich Kaufmann, Mann, Schöndorf, Schücking,
Schwarzenberger, Wassermann, Wegner)
Emilia Romagna
ist die zwischen Po, Apennin und Adria gelegene, ursprünglich von Etruskern
besiedelte, nach der Konsularstraße des M. Aemilius Lepidus (187 v. Chr.)
benannte Landschaft. Im Mittelalter steht sie teils unter der Herrschaft der
Langobarden, teils Byzanz‘ bzw. des Kirchenstaats. Die sich danach
entwickelnden Herzogtümer Modena und Reggio sowie Parma und Piacenza kommen
1860 zu →Italien.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon (Modena, Parma); Storia
della Emilia Romagna, hg. v. Berselli, A., 1976
Emmingersche Justizreform ist die nach dem seinerzeitigen Reichsjustizminister Erich
Emminger (1880-1951) benannte Vereinfachung des Verfahrensrechts. Zwei Verordnungen
vom 4. 1. 1924 (Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege,
RGBl. I, 15, gesetzliche Grundlage Ermächtigungsgesetz vom 8. 12. 1923) und
13. 2. 1924 schränken die Herrschaft der Partei über das Zivilverfahren
zugunsten der Leitungsbefugnis des Richters ein und wandeln das im 19. Jh.
errichtete →Schwurgericht (mit 12 Geschworenen) unter Beibehaltung des
Namens in ein großes →Schöffengericht (3 Berufsrichter, 6 Geschworene
[Laien]) um.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Vormbaum, T., Die Lex Emminger
vom 4. Januar 1924, 1988; Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts,
Abteilung I Weimarer Republik, hg. v. Schubert, W., Bd. 4 1999; Zivilprozessreform
in der Weimarer Zeit, hg. v. Schubert, W., 2005; Koch, A., Das bayerische
Schwurgericht der Nachkriegszeit, ZRG GA 122 (2005), 242
Emphytheusis (lat.
[F.]) ist die Erbpacht des spätrömischen Rechtes, die auch im Wege der
Rezeption Auswirkungen hat.
Lit.: Kaser § 30; Köbler, DRG 61; Cencetti, G., Il
contratto di enfiteusi, 1933; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f.
1985ff.; Theisen, F., Studien zur Emphyteuse, 2003
Empirismus ist
die von Francis →Bacon (1561-1626) in Fortführung des mittelalterlichen
Nominalismus, dem Allgemeinbegriffe nur Sammelnamen für einzelne wirkliche
Erscheinungen sind, begründete, neue, von kirchlicher Dogmatik befreite
Erkenntnismethode (Begriff von Kant [1724-1804] eingeführt), die von der
vorurteilslosen Beobachtung von Einzelvorgängen als Begreifen der Welt an Hand
von messbaren und zählbaren Größen induktiv zu allgemeinen Erkenntnissen führen
soll. Die Erkenntnistheorie des E. entwickelt John Locke (1632-1704).
Lit.: Köbler, DRG 136; Moody, E., Empiricism and
Metaphysics, Philosphical Revue 67 (1958), 145; Engfer, H., Empirismus versus
Rationalismus, 1996
Emptio venditio
(lat. [F.]) ist im römischen Recht der →Kauf (Verkauf). Er ist ursprünglich
wohl ein Handgeschäft, bei dem Abschluss und Ausführung des Austauschs einer
Sache gegen einen in Geld bestehenden Preis zeitlich zusammenfallen, unabhängig
davon, ob eine (lat. [F.]) →mancipatio erforderlich ist oder ein
formfreies Geschäft (über eine [lat.] res nec mancipi oder mit einem
Nichtrömer) zur Sicherung des Erwerbers vor Diebstahlverdacht ausgeführt wird.
Spätestens seit dem 2. Jh. v. Chr. werden Vereinbarung (Konsensualkontrakt)
und Erfüllung getrennt, so dass die e. v. den Verkäufer zur möglicherweise
später erst erfolgenden Übertragung des Eigentums verpflichtet. In
nachklassischer Zeit wird der Vertragsabschluss vielfach beurkundet und geht
das Eigentum mit dem Abschluss und der Zahlung des Kaufpreises über. Justinian
trennt Kauf und Übereignung wieder, lässt aber die Schriftform als
Wirksamkeitsvoraussetzung zu. Möglich ist der Kauf einer Hoffnung (Chance) und
einer erhofften Sache.
Lit.: Kaser §§ 38, 41; Söllner §§ 9, 15; Köbler, DRG 45
Emser Punktation
ist die in Bad Ems im Jahre 1786 getroffene, nicht in Wirksamkeit getretene
Vereinbarung der Erzbischöfe von Köln, Mainz, Trier und Salzburg mit dem Ziel,
eine größere Selbständigkeit (der deutschen Kirche) vom Papst zu erreichen.
Lit.: Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A.
1972
Emunitas (lat.
[F.]) ist die Freiheit von der Abgabenpflicht der kirchlichen Güter und der
Kleriker seit Kaiser Konstantin (306-337). →Immunität
Lit.: Köbler, DRG 30
Endlicher Rechtstag
(Art. 91, 123 CCB, 78 [, 82] CCC ist vor allem im von der Constitutio
Criminalis Bambergensis (1507) und der →Constitutio Criminalis Carolina
(1532) maßgeblich geprägten frühneuzeitlichen Strafverfahren der der heimlichen
→Inquisition folgende Tag der öffentlichen Verhandlung, der angesichts
des durch Folter erreichten Geständnisses für das Urteil weitgehend nur noch
förmliche Bedeutung hat. Er entwickelt sich als Folge der Inquisition seit dem
14. Jh. und verschwindet endgültig erst im frühen 19. Jh. (e. R. noch in
Dresden am 12. 7. 1821). An manchen Orten ist der endliche Rechtstag auf die
Verkündung und Vollstreckung des Urteils beschränkt (Norditalien, Freiburg im
Breisgau 1361, Worms 1498, Tirol 1499, Radolfzell 1506).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 118, 156; Müller, K.,
Zur Geschichte des peinlichen Prozesses in Schwaben, 1910; Ruoff, W., Der
endliche Rechtstag in Zürich vor 1400, (in) Festschrift G. F. Pfenninger, 1956,
115ff.; Kleinheyer, G., Zur Rechtsgestalt von Akkusationsprozess und peinlicher
Frage im frühen 17. Jahrhundert, 1971; Leiser, W., Strafgerichtsbarkeit in
Süddeutschland, 1971; Langbein, J., Prosecuting crime in the Renaissance, 1974;
Alber, P., Die Geschichte der Öffentlichkeit im deutschen Strafverfahren, 1974;
Plöger, R., Die Mitwirkungspflichten des Beschuldigten, 1982; Schild, W., Der
entliche Rechtstag, (in) Strafrecht, Strafprozess und Rezeption, hg. v. Landau,
P. u. a., 1984; Kocher, G., Der endliche Rechtstag der steirischen
Landgerichtsordnung 1574, (in) Recht und Geschichte, 1988, 361ff.; Ignor, A.,
Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532-1846, 2002
Endlösung ist
die vom Nationalsozialismus u. a. mittels der nur zweistündigen Wannseekonferenz
am 20. 1. 1942 unter der Leitung Reinhard Heydrichs angestrebte und teilweise
verwirklichte Vernichtung des Judentums (Holocaust) in besonderen
Vernichtungslagern (z. B. Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau).
Lit.: Der Mord an den Juden im 2. Weltkrieg, hg. v. Jäckel,
E. u. a., 1985; Verbrechen erinnern, hg. v. Knigge, V. u. a., 2002
Energiewirtschaftsrecht ist die Gesamtheit der die seit dem 19. Jh. immer
bedeutendere Energiewirtschaft betreffenden Rechtssätze.
Lit.: Kehrberg, J., Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts,
1997; Grunwald, J., Das Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, 2003
Engadin ist
die Tallandschaft des oberen Inn in →Graubünden, die seit dem 10. Jh. an
den Bischof von Chur gelangt.
Lit.:
Jecklin, F., Land und Leute des Unterengadins und Vintschgaus im 14.
Jahrhundert, 1922; Stolz, O., Beiträge zur Geschichte des Unterengadis aus
Tiroler Archiven, Jahresbericht der hist. ant. Gesellschaft von Graubünden 53
(1924); Valèr, P., Die Entwicklung der hohen Gerichtsbarkeit, Diss. jur. Zürich
1927; Stolz, O., Zur Geschichte der Landeshoheit im Unterengadin und in Tirol,
ZRG GA 49 (1929), 439; Schwarzenbach, A., Beiträge zur Geschichte des
Oberengadins, 1931; Planta, P. v., Die Rechtsgeschichte des Oberengadins, 1931
Engelbert (Poetsch bzw. Pötsch) von Admont (Steiermark um 1250-Admont 16.? 5. 1331) wird nach dem
1267 erfolgten Eintritt in das Benediktinerstift Admont in der Steiermark und
dem Studium in Prag (1271-1274) und Padua (1278?-1287 u. a. Recht) 1297 Abt in
Admont (bis 1327) und verfasst, beeinflusst von Aristoteles, Cicero, Seneca und
Augustinus, (mindestens 39) verschiedene staatspolitische Schriften
(Tugendspiegel, [lat.] De regimine principum [um 1300], [lat.] Speculum
virtutum [um 1310], Über Fürstenherrschaft, [lat.] De ortu et fine Romani
imperii [1312], Vom Anfang und Ende des römischen Reiches).
Lit.: Fowler, G., Engelbert of Admont and the Universal
Idea, 1958; Hamm, M., Engelbert von Admont als Staatstheoretiker, Diss. phil.
Würzburg 1973; Engelbert von Admont, hg. v. Baum, W., 1998; Ubl, K., Engelbert
von Admont, 2000; Engelbert von Admont, hg. v. Ubl, K., 2004
Engels,
Friedrich (Barmen/Wuppertal 28. 11. 1820-London 5. 8. 1895), Textilfabrikantensohn,
wird nach kaufmännischer Lehre und dem Besuch von Philosophievorlesungen
Mitbegründer des →Marxismus (Die Lage der arbeitenden Klasse, 1845).
Lit.: Hirsch, H., Friedrich Engels, 1968; Herferth, W.,
Sachregister zu den Werken Karl Marx, Friedrich Engels, 1983; Marx-Engels
Begriffslexikon, hg. v. Lotter, K., 1984
England ist
die vereinfachende Bezeichnung für die zunächst (3. Jh. v. Chr.) von Kelten
(Briten, Pikten) besiedelten, um die Zeitenwende (41-54 n. Chr.) zum Teil von
Rom in sein Weltreich eingegliederten und gegen 470 n. Chr. von den Angeln,
Sachsen und Jüten (→Angelsachsen) eroberten nordwesteuropäischen
Inseln. 1066 geraten die erst am Ende des 9. Jh.s unter Wessex geeinten
Angelsachsen unter die Herrschaft der →Normannen, woraus eine ziemlich
unterschiedliche anglonormannische Oberschicht entsteht. Überschaubares Gebiet
und Streulage adliger Güter begünstigen anscheinend die Durchsetzung
königlicher Gewalt, der gegenüber der Adel zwar nicht Landesherrschaft
errichten, aber die königliche Macht in der (lat.) Magna charta libertatum
(1215) eingrenzen kann. Nacheinander regieren Könige aus den Häusern →Plantagenet
(1154-1399, Verlust der meisten Güter in Frankreich in der Schlacht von
Bouvines 1214 und im hundertjährigen Krieg zwischen 1337 und 1453), Lancaster
(1399-1461), York (1461-1485), Tudor (1485-1603), →Stuart (1603-1649,
1660-1714), Hannover (1714-1901), Sachsen-Coburg (1901-1910) und Windsor (seit
1910), wobei 1536 Wales stärker mit E. verbunden wird und sich König Heinrich
VIII. auch zum König Irlands erklärt. Bereits 1614 gelingt es dem seit dem 13.
Jh. sichtbaren →Parlament, seine Stellung dauerhaft so zu stärken, dass
es die Einberufung unabhängig vom Willen des Königs, die Zuständigkeit für alle
Steuergesetze und die Beseitigung aller Sondergerichte erreicht. 1649 wird
König Karl I. hingerichtet, die Monarchie abgeschafft und E. zum Commonwealth
erklärt. 1660 wird der Sohn Karls I. als Karl II. zum König berufen, doch
gelingt 1689 in der →Bill of Rights dem Parlament der Ausbau seiner
Rechte. 1707 wird durch die Vereinigung des Parlaments →Schottlands mit
dem englischen Parlament aus der seit dem Beginn der Herrschaft der Stuarts
bestehenden Personalunion die Realunion →Großbritannien (1801 United
Kingdom of Great Britain and Ireland, 1921 The United Kingdom of Great Britain
and Northern Ireland). Danach wird das über ein durch seinen hohen Anteil
indirekter Steuern ertragreiches Steuersystem verfügende Land allmählich Weltmacht.
In ihm beginnt die wohl vom puritanischen Unernehmergeist begünstigte sog.
industrielle Revolution. 1801 wird der Titel eines Königs von Frankreich
aufgegeben. Das Unterhaus (→House of Commons) (Wahlrechtsänderungen
1832, 1867, 1884, 1918, 1948) setzt sich bis 1911 gegenüber dem Oberhaus (→House
of Lords) durch und gestaltet allmählich die Monarchie zur bloßen äußerlichen
Staatsform. Mit dem zweiten Weltkrieg endet die Stellung als Weltmacht, doch
erhält der Staat noch ein Vetorecht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Die Kolonien (z. B. Indien) erlangen ganz überwiegend Selbständigkeit. 1973
tritt Großbritannien der Europäischen Gemeinschaft (1993 Europäischen Union)
bei.
Lit.: Köbler, DRG 175; Maitland, F., Roman Canon Law in the
Church of England, 1898; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
2,1,62,1047, 3,2,2217,3650,3927; A Bibliography of English History, hg. v.
Graves, E., 1975; Makower, F., Die Verfassung der Kirche von England, 1894;
Vinogradoff, P., Villainage in England, 1892; Vinogradoff, P., English society
in the eleventh century, 1908; Hatschek, J., Englische Verfassungsgeschichte,
1913; Cam, H., Studies in the Hundred Rolls, 1921; Jacob, E., Studies in the
period of baronial reform and rebellion, 1258-1267, 1925; Stephenson, C.,
Borough and Town, 1933; Lenz, G., Demokratie und Diktatur in der englischen
Revolution 1640-1660, 1933; Tait, J., The medieval English borough, 1936;
Weinbaum, M., The incorporation of boroughs, 1937; Goebel, J., Felony and
misdemeanor, 1937; Sandberger, D., Studien über das Rittertum in England, 1937;
Trautz, F., Literaturbericht über die Geschichte Englands im Mittelalter, HZ
Sonderheft 2 (1965), 108; Hill, C., Intellectual origins of the English
revolution, 1965; Kluxen, K., Geschichte Englands, 1968, 5. A. 1998; Gerlach,
H., Der englische Bauernaufstand von 1381, 1969; Ziegenbein, U., Die Unterscheidung
von Real und Personal Actions im Common Law, 1971; Vollrath-Reichelt, H.,
Königsgedanke und Königtum bei den Angelsachsen, 1971; Crime in England
1550-1800, hg. v. Cockburn, J., 1977; Wellenreuther, H., Repräsentation und
Grundbesitz in England, 1979; Hyams, P., Kings, Lords and Peasants in Medieval
England, 1980; Hahn, H./Krieger, K./Niedhart, G., Einführung in die englische
Geschichte, 1982; Wende, P., Geschichte Englands, 1985, 2. A. 1995; Tuck, A.,
Crown and Nobility, 1986, 2. A. 1999; Kluxen, K., Englische
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Jahrhundert, 1987, 2. A. 1996, 3. A. 2004; Kleinhenz, R., Englische
Institutionengeschichte – Perspektiven der Kabinettsentwicklung zwischen dem
ausgehenden 17. Jahrhundert und dem Jahre 1783, ZRG GA 105 (1988), 145;
Kaeuper, R., War, Justice and Public Order, 1988; Wirsching, A., Parlament und
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I. Löwenherz 1157-1199, 2006; Curia Regis Rolls of the Reign of Henry III hg.
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(1135-1154) hg. v. Dalton, P. u. a., 2008; Howe, N., Writing the Map of
Anglo-Saxon England, 2008; Thirteenth century England, hg. v. Burton, J., 2009;
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Anglo-Norman Language and its Context, hg. v. Ingham, R., 2010; Egan, G., The
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Library, Rawlinson MS B 520); Thornton, T., The Channel Islands 1370-1640; Rudolph,
J., Common Law and Enlightenment in England, 1689-1750, 2013; Berg, D.,
Heinrich VIII von England, 2013; Jansing, J., Verwaltungsrechtsschutz durch
tribunals in England, 2013; Rowley, C. u. a., Britannia’s Tortuous Road to
Freedom 1066-1884, 2014
Englisch
Lit.: Wells, J., A Manual of the
Writings in Middle English 1050-1400, Bd. 1ff. 1926ff.; The Dictionary of Old English Web Corpus 2007 http://www.doe.utoronto.ca/pages/pub/web-corpus.html;
The Dictionary of Old English, hg. v. Paolo Healey, A. di u. a., 2008 CD-ROM
(A-G)
Englisches Recht
ist das in →England (seit 1330 auch in Wales, nicht dagegen ohne weiteres
auch in Schottland und Irland) geltende Recht. Seinen Ausgangspunkt bilden die
frühmittelalterlichen →Volksrechte (Gesetze) der →Angelsachsen.
Mit dem Sieg der →Normannen unter Wilhelm dem Eroberer über die
Angelsachsen (1066) wird das →angelsächsische Recht auf die örtlichen
Gerichte beschränkt, während am Königsgericht (lat. curia [F.] regis,
Königsrat, →Court of King‚s Bench [E. 13. Jh.] für Delikte, Strafen,
Appellationen, →Court of Common Pleas für alle gewöhnlichen Klagen
[1178], →Court of Exchequer für Abgabenstreitigkeiten [E. 13. Jh.]) und
bei den dieses bzw. diese unterstützenden Reiserichtern eine übergeordnete,
französisch (Law French) gehaltene commune ley (lat. communis lex [F.],
gemeines Recht) Anwendung findet (→common law). Besondere Bedeutung
erlangt hier der vom Kanzler des Königs dem Kläger ausgestellte, lateinisch
abgefasste →writ (verfahrensrechtliche Weisung) an den Sheriff, von dem
es bereits am Ende des 12. Jh.s etwa 75 bzw. 1227 56 verschiedene Arten gibt,
die Ranulf de Glanvill († 1190) in dem (lat.) Tractatus (M.) de legibus et
consuetudinibus regni Angliae (Traktat über die Gesetze und Gewohnheiten des
Königreichs England) und Henricus de Bracton († 1268) in seinem Werk (lat.) De legibus et
consuetudinisbus Angliae (Über die Gesetze und Gewohnheiten Englands) ordnen
und darstellen. Wegen des Gewichts des
Königsgerichts und der grundlegenden Bedeutung der vor ihm durch den writ
eröffneten Verfahrensarten rückt der praktisch geschulte, ab 1200 namentlich
bekannt werdende, bis etwa 1300 professionalisierte Richter im Mittelalter in
den Mittelpunkt des Rechtes. Dieses wird (neben allgemeinen Bestimmungen wie
der Magna Charta von 1215 oder den Provisions of Westminster von 1259 vor
allem) durch Einzelurteile fortgebildet, in denen nur ausnahmsweise von einem
Präjudiz abgewichen wird (amtliche Aufzeichnungen in Latein als records,
nichtamtliche Aufzeichnungen durch junge Anwälte in Lawfrench von etwa 1290 bis
1536 in reports bzw. year books). Dabei kommt zum königlichen Gericht seit dem
Spätmittelalter das Gericht des Kanzlers (→Court of Chancery) hinzu, das
nach Billigkeit (→equity) urteilt (z. B. Anspruch auf vorbeugende
Unterlassung, Anspruch auf Vertragserfüllung). In den Auseinandersetzungen
zwischen König und Parlament im 17. Jh. stellen sich die praktisch in den inns
of court ausgebildeten englischen Rechtes kundigen (z. B. Edward Coke
[1552-1643], der in seinen Institutes of the Laws of England eine erste
umfassende Darstellung des common law bietet) auf die Seite des Parlaments und
festigen dadurch ihre Stellung. Im 18. Jh. entwickelt William Blackstone
(1723-1380) in seinen Commentaries on the laws of England erstmals eine nach
materiellen Rechtssätzen geordnete Darstellung des englischen Rechtes, das im
Übrigen durch die Gewinnung von Kolonien auf viele Teile der gesamten Welt
verbreitet wird (z. B. Vereinigte Staaten von Amerika, Kanada, Australien,
Neuseeland, Afrika, Asien). Seit dem 19. Jh. gewinnt gegenüber den richterlichen
Fallentscheidungen nicht zuletzt auch unter dem Einfluss Jeremy Benthams
(1748-1832) das Gesetz (z. B. Judicature Act 1873/1875, Verbindung von courts
of law und court of chancery zu einem supreme court of judicature mit high
court of justice und court of appeal, Zusammenfassung der writs in einem
einleitenden writ of summons) ein gewisses, mit dem Beitritt zu den
Europäischen Gemeinschaften (1973) bzw. Europäischen Union (1993) steigendes
Gewicht.
Lit.: Placita Anglo-Normannica, hg. v.
Bigelow, M., 1879; Bigelow, M., History of procedure in England, 1880; Gneist,
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Enkel (bzw. Enkelin) ist das Kind eines Kindes. Der E. ist grundsätzlich von der
Erbfolge nach seinen Großeltern durch seinen Vater oder seine Mutter
ausgeschlossen. Ihm wird aber schon früh (z. B. 596 n. Chr.) ein →Eintrittsrecht
zugesprochen.
Lit.: Hübner
Enklave (Einschlussgebiet) ist das vom Gebiet eines anderen Staates oder mehrerer
anderer Staaten (aus deren Sicht) eingeschlossene Teilgebiet eines anderen
Staats (aus der Sicht dieses Staates Exklave bzw. Ausschlussgebiet) (z. B.
Büsingen innerhalb der Schweiz, Campione am Luganer See innerhalb der Schweiz,
bis 1797 päpstliches Avignon in Frankreich, nicht Vatikan, San Marino, Monaco,
Liechtenstein, Andorra, Ceuta, Königsberg/Kaliningrad, kleines Walsertal). Für
die zahlreichen Enklaven der Länder des Heiligen römischen Reiches ist ein allgemeines Durchzugsrecht anerkannt.
Der Durchzug bewaffneter Kräfte bedarf grundsätzlich einer besonderen
Erlaubnis. 1928 bestehen in Deutschland noch mehr als 200 Enklaven.
Lit.: Lancizolle, W. v., Übersicht der deutschen
Reichsstandschafts- und Territorialverhältnisse, 1830; Ritter, E., Freie
Reichsländer, 1927; Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte 1994, 2. A. 2007
Enneccerus,
Ludwig (Neustadt am Rübenberge 1. 4. 1843-Marburg 31. 5. 1928), Pastorensohn,
wird nach dem Studium von Mathematik und Recht in Göttingen und Promotion
(1868) und Habilitation (1870) 1872 außerordentlicher Professor für römisches
Recht in Göttingen und 1873 ordentlicher Professor in Marburg, der von Bernhard
Windscheid und Rudolf von Ihering beeinflusst ist (1921 emeritiert). Er
verfasst 1898 ein während der ersten Hälfte des 20. Jh.s bedeutsames Lehrbuch
des bürgerlichen Rechtes (Allgemeiner Teil, 30.-34. A. bzw. 12. Bearbeitung 1928,
Schuldrecht, 28.-30. A. bzw. zweiter Abdruck der 10. Bearbeitung 1928) in
Deutschland. Von 1882 bis 1889 ist er Mitglied des Abgeordnetenhauses Preußens,
von 1887 bis 1890 und 1893 bis 1898 als Vertreter der nationalliberalen Partei
Mitglied des Reichstags.
Lit.: Köbler, DRG 184; Jacobi, A., Ludwig Enneccerus
1843-1928, 1999
Enteignung ist
die Entziehung oder Belastung des Eigentums durch staatlichen Hoheitsakt zur
Befriedigung öffentlicher Belange (z. B. zum Wohl der Allgemeinheit, zum
allgemeinen Besten). Die E. wird bereits in der römischen Spätantike bezüglich
Grundstücke oder Lebensmittel geübt und als Zwangskauf verstanden. Danach kann
in der hochmittelalterlichen Stadt (Oberitalien 12. Jh., Kopenhagen 1254,
Schaffhausen 1380) eine bauliche Beschränkung festgelegt oder sogar das →Eigen
gänzlich entzogen werden. Das Naturrecht anerkennt wegen der Entstehung des
Eigentums des Einzelnen aus dem Recht der Allgemeinheit grundsätzlich die E.
gegen Entschädigung (→Grotius, Christian Wolff, Codex Maximilianeus Bavaricus
civilis 1756, §§ 74, 75 Einleitung zum ALR 1794, § 365 ABGB 1811, Zwangskauf).
Seit der französischen Revolution (1789 [Art. 17
Menschenrechtserklärung]/1807/1810 Expropriationsgesetze) werden als grundlegende
Voraussetzungen der E. (franz. [F.] expropriation) ein öffentliches Bedürfnis,
ein rechtmäßiges Verfahren sowie eine ausgleichende Entschädigung angesehen
(Bayern 1818, Deutsches Reich 1848/1849, Preußen 1850). Die E. wird als öffentlichrechtlicher
Eingriff in ein privates Recht verstanden. Im 20. Jh. bildet in Deutschland die
Verfassung (Art. 153 WRV, 14 GG) die Rechtsgrundlage für den Eingriff in das
Eigentum.
Lit.: Kaser § 23 I 3; Hübner 272; Köbler, DRG 40, 124, 163,
212; Baltl/Kocher; Layer, M., Prinzipien des Enteignungsrechts, 1902; Hedemann,
J., Die Fortschritte des Zivilrechts im 19. Jahrhundert, Bd. 2, 1 1930, 225;
Giese, F., Enteignung und Entschädigung, 1950; Mann, F., Zur Geschichte des
Enteignungsrechts, (in) Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 2 1960, 291;
Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte,
hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,2,1770; Rittstieg, H., Eigentum als
Verfassungsproblem, 1975; Grimm, D., Die Entwicklung des Enteignungsrechts,
(in) Wissenschaft und Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 4 1979, 121;
Pennitz, M., Der Enteignungsfall, 1992; Schubert, W., Zur Entwicklung des
Enteignungsrechts 1919-45, ZRG GA 111 (1994), 482; Jung, O., Volksgesetzgebung,
Bd. 1f. 2. A. 1996; Raster, J., Enteignung und Eisenbahnbau, 2003; Paffrath,
C., Macht und Eigentum, 2004; Niesler, A., Aufopferung und Enteignung vom ALR
bis zur WRV, Juristische Zeitgeschichte 8 (2007), 128ff.; Eigentumsrecht und
Enteignungsunrecht, hg. v. Gornig, G. u. a., 2008; Reynolds, S., Before Eminent Domaine, Toward a History of
Expropriation of Land for the Common Good, 2010
Enteignungsgleicher Eingriff ist der in Deutschland durch die Rechtsprechung 1952 als
entschädigungspflichtig eingeordnete rechtswidrige, einer rechtmäßigen
Enteignung in den Wirkungen gleichkommende Eingriff in eine vermögenswerte
Rechtsposition.
Lit.: Köbler, DRG 259
Enterbung (1431) ist die bereits dem klassischen
römischen Recht (lat. [F.] exheredatio) bekannte Entziehung einer Erbaussicht
eines (gesetzlich) Erbberechtigten durch →letztwillige Verfügung. Sie
erscheint überall, wo letztwillige Verfügungen unbeschränkt zulässig sind.
Lit.: Kaser §§ 65, 67, 69; Hübner; Köbler, DRG 38; Siegel,
H., Das deutsche Erbrecht, 1853; Merkel, J., Die justinianischen
Enterbungsgründe, 1908; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Entführung ist
die rechtswidrige Fortführung eines Menschen, insbesondere einer (einwilligenden)
Frau zur Erreichung sexueller Ziele. Im römischen Recht ist für Vergewaltigung,
Frauenraub und E. Enthauptung angedroht (C. 9, 13, 1). Im Frühmittelalter
begründet die E. eine →Fehde. Im Spätmittelalter wird für E. (ohne
Einwilligung) wie für Frauenraub und Notzucht Enthauptung angedroht. Seit der
Mitte des 18. Jh.s tritt an die Stelle der Todesstrafe eine zeitliche
Freiheitsstrafe. Im 19. Jh. geht die E. in der allgemeineren Freiheitsberaubung
auf.
Lit.: His, R., Deutsches Strafrecht bis zur Karolina, 1928,
Neudruck 1967, 145; Dahm, G., Das Strafrecht Italiens im ausgehenden
Mittelalter, 1931
Entgeltfortzahlungsgesetz ist das 1995 das Lohnfortzahlungsgesetz ersetzende deutsche
Gesetz über die Fortzahlung des Entgelts des Arbeitnehmers bei Krankheit.
Lit.: Köbler, DRG 273
Enthauptung ist
die durch Abtrennung des Haupts vom Rumpf mittels Schwert oder (ab 1792) mittels
Guillotine (Fallbeil) vollzogene Tötung bzw. →Todesstrafe.
Lit.: Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck
1961; His, R., Deutsches Strafrecht bis zur Karolina, 1928, Neudruck 1967
Entmannung (Kastration)
ist die Entfernung der Keimdrüsen eines Mannes. Sie führt im Frühmittelalter
als Körperverletzung zu einer Buße (Wergeld). Sie kann im hohen Mittelalter
auch als Strafe (bei Vergehen gegen die Sittlichkeit) eingesetzt werden. Im
Dritten Reich wurden in Umsetzung älterer Überlegungen rund 366000 Menschen zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses sterilisiert.
Lit.: His, R., Deutsches Strafrecht bis zur Karolina, 1928,
Neudruck 1967; Tuchel, S., Kastration im Mittelalter, 1998; Kramer, S., Ein
ehrenhafter Verzicht auf Nachkommenschaft, 1999; Schneider, C., Die
Verstaatlichung des Leibes, 2000; Justiz und Erbgesundheit, hg. v.
Justizministerium des Landes Neordrhein-Westfalen, 2009
Entmündigung (1809, entmündigen 1809) ist die Entziehung oder Beschränkung der dem Entmündigten
dem Alter nach an sich zustehenden →Geschäftsfähigkeit. In Rom kann nach
dem Zwölftafelgesetz (5, 7c) der Verschwender durch (lat. [F.]) interdictio
(Untersagung) (des Prätors) von allen Verpflichtungsgeschäften und
Verfügungsgeschäften ausgeschlossen werden, wobei für das Vermögen des Verschwenders
eine →Pflegschaft (lat. [F.] cura) eingesetzt wird. Im Mittelalter wird
die Familie tätig, welche die bei körperlichen und geistigen Gebrechen mögliche
E. vor Gericht kundzugeben hat. Später greift die Obrigkeit ein. Im 16. Jh.
kann der Verschwender für unmündig erklärt werden. Seit dem 18. Jh. ist die E.
ein besonderer Rechtsakt auf Grund eines eigenen gerichtlichen Verfahrens (1775
preuß. AGO I, 38, 1794 ALR I, 2 §§ 27ff., 1804 Code civil Art. 490ff., Code de
procédure civile Art. 890ff., 1877 ZPO §§ 593ff.) Der Entmündigte erhält einen
Vormund. Zur Erhebung einer Entmündigungsklage sind Ehegatte und Verwandte
berechtigt, später auch der Staatsanwalt und gegebenenfalls die Gemeinde.
Trunksucht und Rauschgiftsucht werden Grund für die E., während körperliche
Gebrechen die E. nicht mehr begründen können. 1971 stützt eine Resolution der
Vereinten Nationen (2856/XXVI die Rechte geistig behinderter Menschen. Österreich
hebt die Entmündigungsordnung vom 28. 6. 1916 durch das Sachwaltergesetz vom
2. 2. 1983 auf. In Deutschland wird die E. 1992 (Gesetz vom 12. 9. 1990) durch
die →Betreuung ersetzt.
Lit.: Kaser §§ 14 V, 64 IV; Hübner; Rive, F., Geschichte
der deutschen Vormundschaft, Bd. 1f. 1862ff.; Schwarz, A., Die Entmündigung des
Verschwenders, Diss. jur. Tübingen 1891; Ent, H., Das Sachwalterrecht für
Behinderte, 1983; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.;
Trompetter, J., Die Entmündigung wegen Verschwendungssucht, 1996; Schmidt, T.,
Die Entmündigung, 1998; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010; Bulling, S., Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge
des 19. Jahrhunderts, 2013
Entnazifizierung ist die Reinigung von nationalsozialistischem Gedankengut
und die damit verbundene Entfernung von Anhängern des →Nationalsozialismus
aus ihren beruflichen Stellungen (auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 vom
20. 12. 1945 und z. B. des Gesetzes zur Befreiung unseres Volkes vom
Nationalsozialismus vom 5. 3. 1946). Sie erfasst im Gebiet der alten
Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland mit Unterschiden in den einzelnen Besatzungszonen in drei
zeitlichen Stufen 3,6 Millionen Fälle. Als Folge werden 486 Menschen
hingerichtet, 1667 (oder 1654) als
Hauptschuldige, 23060 (oder 22122) als Belastete, 150425 als Minderbelastete,
1500874 als Mitläufer und 1213873 als Entlastete eingestuft. Von den
Professoren der Zeit zwischen 1933 und 1945 behalten oder erlangen ihr Amt etwa
90 Prozent wieder. Dabei entsteht bald eine überparteiliche Übereinstimmung dahin,
Belastete rasch in die demokratische Gesellschaft einzugliedern. 1948 werden
die Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten eingestellt. In Westberlin
werden aber zwischen 1955 und 1979 mehr als 1000 Sühneverfahren mit Geldstrafen
von insgesamt mehr als 1,5 Millionen DM durchgeführt.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 245; Fürstenau, J.,
Entnazifizierung, 1969; Niethammer, L., Entnazifizierung in Bayern, 1972;
Lange, J., Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen, 1976; Henke, K.,
Politische Säuberung unter französischer Besatzung, 1981; Niethammer, L.,
Entnazifizierung in Bayern?, 1982; Hornhardt, G., Die Stunde der Justiz, ZRG GA
106 (1989), 239; Entnazifizierung, hg. v. Vollnhals, C., 1991; Frei, N.,
Vergangenheitspolitik, 1996, 2. A. 1997; Kappelt, O., Die Entnazifizierung in
der SBZ, 1997; Schuster, A., Die Entnazifizierung in Hessen, 1999; Borgstedt,
A., Entnazifizierung in Karlsruhe 1946 bis 1951, 2001; Entnazifizierung im
regionalen Vergleich, hg. v. Schuster, W. u. a., 2004; Deissler, D., Die
entnazifizierte Sprache, 2004; Bedau, M., Entnazifizierung des Zivilrechts,
2004; Entnazifizierung, hg. v. Mesner, M., 2005; Hesse, H., Konstruktionen der
Unschuld, 2005; Botor, S., Das Berliner Sühneverfahren, 2006; Löhnig, M., Die
Justiz als Gesetzgeber, 2010; Bullinger, R., Belastet oder entlastet?, 2012
Entscheidung ist die bewusste Schaffung eines zumindest vorläufig
abschließenden Ergebnisses in einem Meinungsbildungsvorgang (z. B. Beschluss,
Urteil, Verwaltungsakt).
Lit.: Herstellung und Darstellung von Entscheidungen, hg. v.
Stollberg-Rilinger u. a., 2010.
Entsippung ist
das im Frühmittelalter verschiedentlich erkennbare (freiwillige oder
unfreiwillige) Ausscheiden aus einem Verwandtschaftsverband (→Sippe).
Lit.: Brunner, H., Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1 2. A.
1906, 129
Entwerung ist
der (freiwillige oder unfreiwillige) Verlust der →Gewere an einer Sache.
Der Käufer einer Sache kann sich bereits im römischen Recht erst dann (wegen
Nichterlangung des Eigentums) an den Verkäufer halten, wenn ihm die Sache von
einem Dritten abgestritten (bzw. „entwert“) worden ist.
Lit.: Kaser § 41 III 1; Söllner §§ 8, 9, 15; Meyer, H.,
Entwerung und Eigentum im deutschen Fahrnisrecht, 1902
Enzyklopädie (F.,
eigentlich gewöhnliche Lehre) ist seit dem 18. Jh. die Sammlung des Wissens in
einem Druckwerk zwecks Belehrung. Die Enzyklopädie aller Enzyklopädien Diderots
und d’Alemberts enthält in 33 Bänden 71818 Artikel und Artikelfragmente mit
2885 Kupferstichen. →Rechtsenzyklopädie
Lit.: Enzyklopädie der
Rechtswissenschaft, hg. v. Holtzendorff, F. v., Teil 1ff. 1870ff., 2. A. 1873,
6. A. 1904, Neudruck 2013; Vulgariser la science - les encyclopédies
médiévales, hg. v. Ribémont, B., 1999; Die Enzyklopädie im Wandel vom
Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit, hg. v. Meier, C., 2002; Kiesow, R., Das
Alphabet des Rechts, 2004; Blom, P., Das vernünftige Ungeheuer, 2005;
Enzyklopädie der Neuzeit, hg. v. Jaeger, F., Bd. 1ff. 2005ff.; Seine Welt
wissen. Enzyklopädien in der frühen Neuzeit, hg. v. Schneider, U., 2006;
Prodöhl, I., Die Politik des Wissens, 2010
Episcopalis audientia
(lat. [F.] „bischöfliches Gehör“) ist die in der römischen Spätantike
einsetzende besondere Gerichtsbarkeit des →Bischofs.
Lit.: Köbler, DRG 56
Episkopalismus ist die im Gefolge des Konzils von
Trient die Stellung der Bischöfe gegenüber dem Papst betonende Strömung in
Deutschland im 16. und 17. Jh. (Nikolaus von Hontheim 1763, Emser Punktation
1786).
Lit.: Raab, H., Die Concordata
nationis Germanicae, 1956
Epitome (gr.
[F.]) Auszug (aus einem umfangreichen Text) (z. B. E. exactis regibus
[Frankreich 12. Jh.], E. legum [Byzanz 920])
Lit.: Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997;
Landau, P., Der Traktat Lex est commune preceptum (in) Römische Jurisprudenz,
2011, 379
Epitome Iuliani ist eine Einführungsvorlesung in lateinischer Sprache zu einer Sammlung
von 124 Novellen Kaiser Justinians, die im Westen im Frühmittelalter die
Kenntnis der justinianischen Novellen vermittelt und von François Pithou in
Basel 1576 ediert wird.
Lit.:
Hermeneutik der Quellentexte des römischen Rechtes, hg. v. Avenarius, M., 2008,
300
eques (lat.
[M.]) →Ritter
Lit.: Stemmler, M., Eques Romanus, 1997
Equity (engl.)
ist allgemein die →Billigkeit und im besonderen die Gesamtheit der
anerkannten Sätze, nach denen das Gericht des Kanzlers (→Court of
Chancery) des →englischen Rechtes unter Rücksicht auf die Umstände des
Einzelfalls, aber ohne unberechenbare Freiheit des Ermessens, verfährt. →aequitas
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Barbour, W., The history of
contract in early English Equity, 1914; Baker, J., An Introduction to English
Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; Macnair, M., The Law
of Proof in Early Modern Equity, 1999
Erasmus von Rotterdam (Rotterdam 28. 10. 1466?
[uneheliches Kind eines Geistlichen]-Basel 12. 7. 1536), Humanist
Lit.: Kisch, G., Erasmus und die
Jurisprudenz seiner Zeit, 1960; Ribhegge, W., Erasmus von Rotterdam, 2009
Erbabfindung ist
der vermögensmäßige Ausgleich für die Aufgabe einer Erbaussicht. →Abschichtung,
→Aussteuer
Erbach ist Hauptort einer Grafschaft im Odenwald,
die um 1165 erstmals genannte ursprünglich ministerialische Herren von E. im
allmählichen Aufstieg in die Reichsstandschaft (1422) gewinnen. Sie gelangt
1806 hauptsächlich an Hessen-Darmstadt und damit ihr Gebiet 1945 an Hessen.
Lit.: Killinger, G., Die ländliche
Verfassung der Grafschaft Erbach, 1912; Steiger, U., Die Schenken und Herren
von Erbach, 2007
Erbauseinandersetzung ist die Aufteilung eines Erbes (N.) unter mehreren Erben
(M.). Bereits im altrömischen Recht kann jeder Miterbe (lat. [M.] →coheres)
die Aufhebung der ohne weiteres eintretenden Gemeinschaft am Erbe (lat. [N.] →consortium)
jederzeit mit dem Erbteilungsklaganspruch (lat. →actio [F.] familiae
erciscundae) fordern. Seit der jüngeren Republik erhält jeder Miterbe schon
während bestehender Gemeinschaft ein quotenmäßig begrenztes Recht an den
einzelnen Erbschaftsgegenständen, über das er jederzeit verfügen kann. Außerdem
kann er uneingeschränkt die Erbteilung begehren. Eine Aufteilung ist wohl auch
bei den Germanen möglich. Allerdings erben mehrere Erben vermutlich als
Gemeinschaft zur gesamten Hand, so dass der einzelne Beteiligte über seinen
Anteil am Nachlass nicht verfügen kann. Jeder kann aber Teilung verlangen. Im
Hochmittelalter soll dabei nach einer auch schon bei Plutarch für das 8. Jh. v.
Chr. sowie bei dem Kirchenvater Augustin (354-430) bezeugten Regel der (eher zu
einer gleichmäßigen Teilung fähige) Ältere teilen und der Jüngere (bei
ungleichen Teilen den ihm günstiger erscheinenden Teil) wählen (→maior
dividat, minor eligat). Die gesamthänderische Gestaltung wird 1900 auch in das
deutsche Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen, das allerdings die Verfügung über
den gesamten Erbteil zulässt.
Lit.: Kaser § 73; Hübner; Kroeschell,
DRG 2
Erbbaurecht (1629, Erbbau 1434) ist das
veräußerliche und vererbliche Recht, auf oder unter fremdem Grund und Boden ein
Bauwerk zu haben. Ihm entspricht im römischen Recht schon früh die Bürgern
vererblich, aber zunächst wohl nicht veräußerlich erteilte Befugnis, auf
städtischem Boden gegen Bezahlung eines Bodenzinses (lat. [N.] vectigal) ein
Gebäude zu haben. Um die Zeitenwende tritt zu diesem als Pacht verstandenen
Verhältnis das Recht hinzu, auf einem privaten Grundstück ein Gebäude (lat.
[F.] →superficies) zu haben. Justinian erfasst dieses veräußerlich,
vererblich und belastbar gestaltete Recht teils als Recht eigener Art, teils
als Servitut und teils als Emphyteuse. Im Mittelalter entsteht unabhängig
hiervon die →Erbleihe städtischer Grundstücke, die dem Beliehenen gegen
jährlichen Zins ein vererbliches, unveräußerliches Recht an einem Grundstück
gewährt, das jedoch allmählich zum →Eigentum erstarkt. Danach wird das
römische Recht der superficies aufgenommen. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch
(1900) und ausführlicher die insofern das Gesetz ersetzende Verordnung über das
E. (15. 1. 1919) schaffen ein besonderes veräußerliches und vererbliches,
grundsätzlich grundstücksgleich bestehendes Nutzungsrecht auf Errichtung,
Besitz und Benutzung eines Bauwerks am Grundstück, wobei ein Erbbauzins nicht
unbedingt erforderlich ist. Der Erbbauberechtigte ist regelmäßig Eigentümer
des einen wesentlichen Bestandteil des Erbbaurechts bildenden Gebäudes (auf dem
ihm nicht gehörenden Grundstück). Das E. darf sich nicht auf einen Gebäudeteil
beschränken. Die tatsächliche Bedeutung des Erbbaurechts ist gering. Österreich
folgt der Regelung Deutschlands durch das Baurechtsgesetz von 1912, die Schweiz
im Zivilgesetzbuch von 1907/1911. Die Deutsche Demokratische Republik kennt ein
vergleichbares Recht im 1975 erlassenen und 1990 aufgehobenen Zivilgesetzbuch.
Lit.: Kaser § 30 II; Hübner; Köbler, DRG 41, 61, 240;
Schiwek, D., Das Erbbaurecht, Diss. jur. Kiel 1969; Köbler, U., Werden, Wandel
und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbbaurechtsverordnung →Erbbaurecht
Erbe (M.,
Wort bereits für das Indogermanische zu erschließen) ist der Vermögensnachfolger
des Erblassers. Erben sind in den ältesten Zeiten die Kinder des Erblassers,
die das eigentümerlos gewordene Gut ohne weiteres in ihrer Gewalt haben. Im
ältesten römischen Recht treten mit dem Tod des Familienvaters seine Hauskinder
und seine gewaltunterworfene Ehefrau, die mit dem Tod des Familienvaters
gewaltfrei werden, als Rechtsgemeinschaft (lat. [N.] →consortium) der (lat.)
→sui heredes (M.Pl.) an seine Stelle. Fehlen Hauserben, gelangt das Gut
an die Agnaten (z. B. Geschwister des Erblassers, Geschwister des Vaters des
Erblassers u. s. w.) oder hilfsweise
auch an die Gentilen als sog. Außenerben ([lat.] extranei heredes). Möglich
sind aber Abschichtung und Abänderung durch ein Testament. E. (lat. [M.] →heres)
ist dabei nur der E. nach dem Recht der römischen Bürger (lat. ius [N.]
civile), dessen Berufung auf Gesetzen, Senatuskonsulten oder auf dem vom Kaiser
geschaffenen Recht beruht. Deswegen kann der Prätor auch keinen Erben schaffen,
sondern nur den Güterbesitz (lat. bonorum possessio [F.]) bestimmter Menschen
wie den eines Erben schützen (bonitarisches Erbrecht). Justinian beseitigt die
Unterscheidung zwischen zivilem Erbrecht und bonitarischem Erbrecht, stellt
Männer und Frauen sowie Hauskinder und emanzipierte Abkömmlinge gleich und
schließt die Agnaten 543/548 als solche von der Erbfolge aus. Er bildet vier
neue Erbklassen (Abkömmlinge [wobei die Kinder nach Stämmen teilen], dann
Eltern [Trennung in väterlichen Stamm und mütterlichen Stamm], Vorfahren und
vollbürtige Geschwister, dann halbbürtige Geschwister und Kinder, und
schließlich übrige Seitenverwandte), von denen jede frühere jede spätere
verdrängt. Die christliche Kirche fordert vielleicht aus heidnischen Kultbräuchen
und philosophischen Gerechtigkeitsvorstellungen heraus allmählich einen
Anteil an jedem Erbe (→Freiteil). Bei den Germanen geht das einem
Hausvater (während seines Lebens als Verwalter für die Familie oder den
Verwandtschaftsverband) besonders zustehende Gut mit seinem Tod auf seine
Kinder über, Grund und Boden vielleicht nur auf die Söhne. Mehreren gehört es
bis zu einer Aufteilung gemeinschaftlich. Fehlen Kinder, so gelangt das Gut, da
der Vater des Verstorbenen meist vorverstorben ist, als Erbe an Brüder, sonst
Onkel u. s. w. Stirbt die Frau, so fällt
das von ihr möglicherweise mitgebrachte wie das ihr gegebenenfalls vom Mann
zugewandte Gut an die Kinder, bei deren Fehlen aber an den (ursprünglich)
Berechtigten ihrer väterlichen Familie zurück. Auch im Frühmittelalter haben
Möglichkeiten zur Veränderung dieser Regeln noch keine wirkliche Bedeutung.
Erst im Hochmittelalter wird das →Testament aus dem römischen Recht aufgenommen.
Seitdem stehen neben den gesetzlichen Erben (Verwandten) die gewillkürten
Erben. Die Erbfolge ist im Einzelnen von Recht zu Recht unterschiedlich. An
vielen Stellen dringt die justinianische Ordnung allmählich ein. Im 18. Jh.
wird hieraus das →Parentelensystem entwickelt (Joachim Georg Darjes
1714-1791). In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s verbessert sich die rechtliche
Stellung der Ehegatten (Deutschland 1957). Das nichteheliche Kind erhält in
Deutschland 1969 ein Erbrecht oder zumindest einen Erbersatzanspruch, 1998
wird es gleichgestellt. Auch in Österreich werden die Unterschiede zwischen
ehelichen und unehelichen Kindern beseitigt.
Lit.: Kaser § 65; Hübner; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG
15, 23, 37, 59, 73, 88, 116, 122, 162, 210, 239, 268; Siegel, H., Das deutsche
Erbrecht, 1853; Ebel, W., Über die Formel „für mich und meine Erben“, ZRG GA 84
(1967), 236; Signori, G., Vorsorgen – Vererben – Erinnern. Kinder- und
familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters,
2001; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Erbe (N.,
Wort bereits für das Indogermanische zu erschließen) (lat. [F.] hereditas)
ist der Nachlass eines verstorbenen Menschen. Er umfasst anfangs nur Werte
(Vermögen), später auch Schulden. Manche Gegenstände können dabei zeitweise
einer →Sondererbfolge unterfallen (z. B. Gerade, Heergewäte, Erbhof,
Gesellschaftsanteil).
Lit.: Kaser § 65 I; Hübner; Kroeschell,
DRG 1, 2; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Erbebuch, Erbbuch ist eine Art des Amtsbuchs seit
dem 16. Jh. bzw. eine Art des Stadtbuchs seit dem 13. Jh.
Lit.: Homeyer, G., Die Stadtbücher
des Mittelalters, 1860; Die Erbebücher der Stadt Riga 1384-1579, bearb. v.
Napiersky, J., 1888; Thieme, A., Die kursächsischen Amtsbücher, Familie und
Geschichte 6/16 (2007), 1ff.
Erbeinsetzung (1538) ist die besondere Bestimmung
zum Erben. Vielleicht schon im altrömischen Recht ist die E. (lat. heredis
institutio [F.]) das Kernstück jeden Testaments. Jedes Testament muss eine E.
enthalten, die (bis zu Kaiser Konstantin [306-337]) am Anfang stehen muss (lat.
z. B. Titius heres esto, Titius soll Erbe sein). Die E. schafft entweder einen
einzigen Erben oder lautet auf einen Bruchteil der Erbschaft. Im
mittelalterlichen Recht gibt es eine besondere E. des Enkels am Grabe oder an
der Bahre eines vorverstorbenen Kindes, die ein fehlendes →Eintrittsrecht
ersetzt. In der Neuzeit übernehmen Codex Maximilianeus Bavaricus civilis
(1756), Allgemeines Landrecht Preußens (1794) und Allgemeines Bürgerliches
Gesetzbuch Österreichs (1811) die Notwendigkeit der E. im Testament, während
Code civil Frankreichs (1804), Bürgerliches Gesetzbuch Sachsens (1863),
Bürgerliches Gesetzbuch des deutschen Reiches (1896/1900) und Zivilgesetzbuch
der Schweiz (1907/1911) hierauf verzichten.
Lit.: Kaser § 68; Köbler, DRG 23, 38; Gudian, G.,
Ingelheimer Recht im 15. Jahrhundert, 1968; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbengemeinschaft (1900, erbgemeinschaft 1396) ist
die im Falle mehrerer Erben (Miterben) entstehende Gemeinschaft (lat. [N.] →consortium
[ercto non cito]). Sie ist im klassischen römischen Recht sowie im neuzeitlich
aufgenommenen römischen Recht Bruchteilsgemeinschaft, bei der Forderungen und
Verbindlichkeiten anteilmäßig geteilt sind (z. B. § 555 ABGB Österreichs 1811),
sonst meist Gesamthandsgemeinschaft (BGB des deutschen Reiches 1896/1900 §§
2032ff., ZGB Schweiz 1907/1911, ähnlich ALR Preußens 1794). Sie endet durch →Erbauseinandersetzung.
Vorempfänge sind meist rechnerisch auszugleichen.
Lit.: Kaser § 73; Söllner § 8; Hübner 749ff.; Kroeschell,
DRG 1, 2; Köbler, DRG 23, 122, 162, 207; Lange, H., Lehrbuch des Erbrechts,
1962, 5. A. 2001; Jäkel, H., Die Rechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft und ihre
Beteiligungsfähigkeit an Personengesellschaften, 2007; Köbler, U., Werden,
Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Greil-Lidl,
S., Die Verfügungsverwaltung in der Erbengemeinschaft, 2014
Erbenhaftung (1898) ist die Haftung des Erben
für Schulden des Erblassers (und der Erbschaft). Wohl schon das römische →Zwölftafelgesetz
(451/450 v. Chr.) lässt die Haftung für Schulden des Erblassers auf den
übergehen, der die Rechte des Erblassers erwirbt. Teilbare Schulden zerfallen
mit der Erbfolge von selbst nach dem Verhältnis der Erbteile in selbständige
Schulden. Der Erbe haftet unbeschränkt. Er muss also notfalls auch sein vor dem
Erbfall bestehendes Vermögen zur Tilgung der ererbten Schuld verwenden. Er kann
sich aber als Hauserbe der Erbschaft enthalten oder als Außenerbe die Erbschaft
ausschlagen. Dagegen können sich die Nachlassgläubiger gegen die Nachteile, die
ihnen aus der Überschuldung des Erben drohen, durch Verlangen einer Sicherheitsleistung
oder durch eine Scheidung vom Nachlass und Erbenvermögen (lat. separatio [F.]
bonorum) schützen. Justinian (527-565) gewährt dem Erben die Wohltat des →Inventars
(lat. →beneficium [N.] inventarii), wonach er durch die Errichtung eines
Verzeichnisses der Erbschaftsgegenstände die Haftung für Schulden des
Erblassers auf die Gegenstände der Erbschaft beschränken kann (Haftung cum
viribus hereditatis, Haftung nur mit den Mitteln der Erbschaft). Im deutschen
Recht haftet für Schulden des Erblassers noch im →Sachsenspiegel nur die
Fahrnis des Nachlasses, wobei bestimmte Schulden (z. B. aus Raub, Diebstahl, Spiel)
überhaupt ausgenommen sind. Später ist für alle Schulden und mit dem ganzen
Nachlass einzustehen. In der Neuzeit wird die justinianische Rechtswohltat des
Inventars übernommen. Das Allgemeine Landrecht Preußens (1794) geht von der
beschränkten Haftung des Erben aus, verwandelt diese aber in eine unbeschränkte
Haftung, wenn der Erbe nicht fristgerecht ein Inventar errichtet. Das
Bürgerliche Gesetzbuch Sachsens (1863) sieht beschränkte Haftung vor. Nach dem
Bürgerlichen Gesetzbuch des deutschen Reiches (1896/1900) ist die Haftung des
Erben unbeschränkt, aber auf den Wert des Nachlasses beschränkbar (Haftung pro
viribus hereditatis, Haftung mit dem Wert der Mittel der Erbschaft, Nachlassverwaltung,
Nachlasskonkurs, Inventarerrichtung).
Lit.: Kaser § 74; Hübner; Kroeschell, DRG 2; Lewis, W., Die
Succession des Erben, 1864; Freytagh-Loringhoven, A. v., Die Schuldenhaftung
der Erben nach den livländischen Rechtsbüchern, ZRG GA 27 (1906), 92;
Freytagh-Loringhoven, A. v., Beispruchsrecht und Erbenhaftung, ZRG GA 28
(1907), 69; Enneper, C., Die Reform der Erbenhaftung im Erbrechtsausschuss,
1993; Peer, R., Die Vorschläge der Akademie für Deutsches Recht, Diss. jur.
Mannheim 1995; Muscheler, K., Die Haftung der Erben im preußischen ALR, FS K.
Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen
des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbenlaub ist
im mittelalterlichen deutschen Recht (z. B. →Sachsenspiegel) die (aus der
Gebundenheit des Familienguts erwachsende Notwendigkeit der) Zustimmung
(Erlaubnis) des (zur Zeit einer Verfügung) nächsten Erben zu einer Verfügung
des (künftigen) Erblassers über ein Grundstück. Damit gibt der Erbe seine Erbaussicht
auf Erbgut (im Gegensatz zu Kaufgut) auf. Fehlt das E., ist das Geschäft
zwischen Erblasser und Dritten gegenüber dem Erben unwirksam. Dieser kann es
angreifen und das veräußerte Gut teils ohne Gegenleistung, teils gegen
Erstattung des Kaufpreises (→Erbenlosung) verlangen. Der unmündige Erbe
hat diese Rechte bis zu einer bestimmten Frist nach Erreichen der Mündigkeit.
Zuerst in den Städten, dann auch allgemeiner schwindet das E., wird aber
teilweise als Vorkaufsrecht fortgeführt.
Lit.: Heusler, A., Deutsches Privatrecht, Bd. 2 1886, 54;
Partsch, G., Das Mitwirkungsrecht der Familiengemeinschaft im älteren Walliser
Recht, 1955
Erbenlosung ist
im mittelalterlichen deutschen Recht die Befugnis eines Erben, ein ohne seine
Zustimmung abgeschlossenes Verfügungsgeschäft über ein Grundstück des
Erblassers gegen Erstattung des Kaufpreises an den Erwerber rückgängig zu
machen.
Lit.: Hübner 428; Siegel, H., Das deutsche Erbrecht, 1853
Erbenwartrecht ist das Anrecht (Wartrecht) des nächsten künftigen Erben
(z. B. der Söhne) auf das Vermögen eines künftigen Erblassers. Es ist eine Art
Anwartschaft auf die in Aussicht stehende Erbschaft. Es beruht auf der
Familiengebundenheit des Hausguts. Es wirkt sich (allmählich nur noch) im →Erbenlaub
und der →Erbenlosung bzw. dem ausgleichsfreien Herausgabeanspruch (Revokationsrecht)
aus. In der frühen Neuzeit wird es durch den Grundsatz der Testierfreiheit
verdrängt.
Lit.: Hübner 328; Köbler, DRG 124; Schröder, R., Zur
Geschichte des Warterechts der Erben, ZRG 9 (1870), 410; Adler, S., Über das
Erbenwartrecht nach den ältesten bairischen Rechtsquellen, 1891; Brunner, H.,
Abhandlungen zur Rechtsgeschichte, Bd. 2 1931, 217
Erbfähigkeit (1783, erbfähig 1555) ist die Fähigkeit Erbe zu sein.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbfall (1350) ist der für die Zuordnung von vermögenswerten Rechten und
Pflichten zu Rechtsträgern bedeutsame Tod eines Menschen.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbfolge (1655, Erbfolgeordnung 1729) ist
der Übergang des Vermögens des Erblassers auf den Erben. Für die E. entwickeln
sich bereits früh vor allem in der Hinsicht Regeln, wer der →Erbe (oder
die gemeinschaftlichen Erben) innerhalb der Gesamtheit der Verwandtschaft des
Erblassers ist (oder sind). Dabei unterscheidet das römische Recht zunächst
zwischen von selbst erbenden Hauserben (lat. →sui heredes [M.Pl.) und nach
Annahme erbenden Außenerben (lat. heredes extranei) und legt danach eine
genauere Reihenfolge fest, die in der justinianischen Novelle 118 zu den vier
einander sukzessive ausschließenden Klassen der Abkömmlinge (1), der Eltern und
sonstigen Vorfahren sowie der vollbürtigen Geschwister (2), der halbbürtigen
Geschwister und ihrer Kinder (3) und aller übrigen Seitenverwandten (4) führt.
Das germanische Recht trennt zwischen Hausgemeinschaft und der (ansatzweise in
Familienschaften gegliederten übrigen) Verwandtschaft. Der Sachsenspiegel
(Landrecht I 3 § 3 [1221-1224]) verwendet hierfür das Bild des menschlichen
Körpers, bei dem der Erblasser durch den Kopf, die Kinder, Eltern und
Geschwister durch den Hals, die Enkel, Großeltern, Elterngeschwister und Geschwisterkinder
durch die Schulter, die Urenkel, Urgroßeltern, Großelterngeschwister,
Elterngeschwisterkinder und Geschwisterenkel durch die Ellenbeuge, die
Ururenkel, Ururgroßeltern, Urgroßelterngeschwister, Großelterngeschwisterkinder,
Elterngeschwisterenkel und Geschwisterurenkel durch das Handgelenk u. s. w. versinnbildlicht werden und
ausgenommen die Angehörigen des ersten Glieds die gleich nah Geborenen zu
gleichen Teilen erben. Im Übrigen sind die Ordnungen der E. im Einzelnen
landschaftlich und örtlich sehr unterschiedlich. Allgemein wird ein →Eintrittsrecht
der Enkel zunehmend bejaht und die Schlechterstellung der Frau verringert. In
der Neuzeit dringen verschiedene Gedanken des römischen Rechtes in das deutsche
Recht ein. Joachim Georg Darjes entwickelt (1740) das gemetrisierende System von
Parentelen (Familienschaften). Das Erbfolgepatent Kaiser Josphs II. vom 11. 5.
1786 legt eine einheitliche Intestaterbfolge für die österreichischen Erbländer
nach dem Parentelsystem fest, wobei bei Fehlen eines Verwandten der (6)
Parentelen der Ehegatte erbt. Das Allgemeine Landrecht Preußens (17949
verbindet die Erbfolge nach Stämmen mit dem Eintrittsrecht der Abkömmlinge (II
2 §§ 348ff.). Der Code civil (1804) unterscheidet Deszendenten, Aszendenten und
Seitenverwandte (Art. 731ff.), so dass den Deszendenten die Eltern und
Geschwister mit sämtlichen Abkömmlingen folgen. Das Allgemeine Bürgerliche
Gesetzbuch Österreichs (1811) wendet das Parentelensystem durchgehend an (§§
730ff., Abkömmlinge, Eltern und deren Abkömmlinge, Großeltern und deren Abkömmlinge,
Urgroßeltern) und knüpft den Erbgang an die gerichtliche Einantwortung in den
Nachlass an. Im Bürgerlichen Gesetzbuch des deutschen Reiches (1896/1900) geht
die gewillkürte E. der gesetzlichen E. vor und werden (jeweils außer dem
Ehegatten) fünf Ordnungen von gesetzlichen Erben nach einem →Parentelensystem
unterschieden (Abkömmlinge, Eltern und deren Abkömmlinge, Großeltern und
deren Abkömmlinge u. s. w.). Fehlen
Verwandte und Ehegatte, so erbt der →Fiskus als gesetzlicher Erbe. Zusätzliche
Besonderheiten gelten für die E. in die Stellung eines Monarchen.
Lit.: Kaser § 66; Hübner 752; Danz, W., Versuch einer
Entwicklung der gemeinrechtlichen Erbfolgeart in Lehen, 1793; Siegel, H., Das
deutsche Erbrecht, 1853; Wasserschleben, H., Das Prinzip der Successionsordnung
nach deutschem und insbesondere sächsischem Rechte, 1860; Stobbe, O., Die
Erbfolgeordnung nach den Magdeburger Schöffensprüchen, 1865; Brunner, H., das
anglonormannische Erbfolgesystem, 1869, 2. A. 2013; Wasserschleben, H., Das
Prinzip der Erbenfolge, 1870; Schanz, F., Das Erbfolgprinzip des
Sachsenspiegels und des Magdeburger Rechts, 1883; Gál, A., Der Ausschluss der
Aszendenten von der Erbfolge und das Fallrecht, 1904; Freytagh-Loringhoven, A.
Frhr. v., Der Sukzessionsmodus des deutschen Erbrechts, 1908; Die Vererbung des
ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen, hg. v. Sering, M., Bd. 7 1908;
Fritz, M., Die gesetzliche Verwandtenerbfolge des älteren schwedischen Rechts,
ZRG GA 36 (1915), 137; Kühn, O., Die kaiserliche Konstitution von 1529 über die
Erbfolge der Geschwisterkinder und Ulrich Zasius, ZRG GA 78 (1961), 310;
Mertens, H., Die Entstehung der Vorschriften des BGB über die gesetzliche
Erbfolge und das Pflichtteilsrecht, 1970; Mertens, H., Überlegungen zur Herkunft
des Parentelensystems, ZRG GA 90 (1973), 149ff.; Diestelkamp, B., Das
Verhältnis von Gesetz und Gewohnheitsrecht im 16. Jahrhundert, FS H. Thieme
1977, 1; Kroeschell, K., Söhne und Töchter im germanischen Erbrecht,
Gedächtnisschrift W. Ebel, 1982, 87; Der dynastische Fürstenstaat, hg. v.
Kunisch, J., 1982; Buchholz, S., Erbfolge und Wiederverheiratung, 1986; Olzen,
D., Vorweggenommene Erbfolge, 1988; Meuten, L., Die Erbfolgeordnung des
Sachsenspiegels und des Magdeburger Rechts, 2000; Hartmann, P., Das Recht der
vertraglichen Erbfolgeregelung in der neueren Privatrechtsgeschichte, 2005;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Erbfolgekrieg ist der aus Anlass eines Streites um die →Erbfolge in einem
Erbfall entstehende Krieg (z. B. bayerischer E., schlesischer E., spanischer
E.). Er endet vielfach mit einer (einvernehmlichen) Güteraufteilung.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon
Erbfolgepatent ist das die Erbfolge ordnende Patent wie z. B. das Patent Josephs II. vom
11. 5. 1786, mit dem eine einheitliche gesetzliche Erbfolge für die
österreichischen Erbländer festgesetzt wird (6 Parentelen, subsidiäres Erbrecht
des Ehegatten, der bis zur Wiederverheiratung außerdem ein Fruchtgenussrecht
an einem Viertel des Nachlasses erhält).
Erbgut ist
im deutschen Mittelalter das durch Erbfolge erworbene Gut im Gegensatz zum
durch Kauf erlangten Gut. Für das E. gelten bis in die Mitte des 19. Jh.s
verschiedentlich besondere Regeln (z. B. →Erbenwartrecht).
Lit.: Hübner 747; Kroeschell, DRG 1f.
Erbhof ist
allgemein der durch lange →Erbfolge im Eigentum einer Familie stehende
bäuerliche Hof. Im Dritten Reich wird für den Eigentümer des vom →Reichserbhofgesetz
(vom 29. 9. 1933, aufgehoben durch Art. I 1 Kontrollratsgesetz Nr. 45 zum 23.
4. 1947) erfassten Erbhofs (35 % der Höfe) (sog. Bauer im Gegensatz zu den
sonstigen Landwirten) die →Testierfreiheit eingeschränkt.
Lit.: Köbler, DRG 239; Weitzel, J., Sonderprivatrecht aus
konkretem Ordnungsdenken, ZNR 1992, 55ff.; Buchenroth, A., Die Heimatzuflucht,
2004; Czeguhn, I., Das Reichserbhofgesetz (ungedruckt)
Erbhuldigung ist
(vor allem in den österreichischen Erbländern) der besondere Akt der →Huldigung
(der Landleute gegenüber dem Landesherrn), der in Niederösterreich auf das Jahr
1282, in der Steiermark auf das Jahr 1186 und in Kärnten auf die
Herzogseinsetzung auf dem Herzogsstuhl bei Maria Saal zurückgeführt wird.
Lit.: Puntschart, P., Herzogseinsetzung und Huldigung in
Kärnten, 1899; Holenstein, A., Die Huldigung der Untertanen, 1991; Brademann,
J., Autonomie und Herrschaft, 2006
Erblande sind
grundsätzlich die (seit alters) ererbten Länder gegenüber neueren Ländern. Zu
den nach anderen älteren Zusammenfassung von 1336 oder 1364 seit dem 15. Jh.
so bezeichneten, sich im Lauf der Zeit wandelnden österreichischen Erblanden
oder Erbländern zählen zunächst die Stammlande Habsburgs in der Schweiz und in
Schwaben (1380 obere lande, 1480 vordere Lande, 16. Jh. Vorderösterreich), das
Herzogtum Österreich einschließlich vor allem der Steiermark, Kärntens (1335,
mit Krain) und Tirols (1363) sowie der Markgrafschaft Istrien und der
windischen Mark (1374), Triests (1382) der Grafschaft Görz und der Herrschaft
Gradiska (1500). Später kommen Burgund (selten) sowie Böhmen (und Ungarn
selten) hinzu. Schließlich werden unter dem Begriff der E. alle
österreichischen Gebiete einschließlich Böhmens von Ungarn, Galizien und den
italienischen Ländern geschieden. Um 1800 erstrecken sich die deutschen E. der
Habsburger auch auf Galizien, Bukowina, Dalmatien und Lombardo-Venetien. Der
eher privatrechtlichen Vorstellung der E. entspricht dann (1848) der
öffentlichrechtliche der Kronländer, innerhalb deren zwischen österreichischen
(mit Galizien) und ungarischen getrennt wird. In der zweiten Hälfte des 19.
Jh.s werden österreichische E. und Länder der ungarischen Krone
gegenübergestellt, allerdings stark abnehmend, da die österreichischen E.
bald inoffiziell und ab 1915 auch offiziell als Österreich bezeichnet werden.
Lit.: Baltl/Kocher; Hellbling, E., Österreichische
Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, 1956, 65, 267, 275; Zöllner, E., der
Österreichbegriff, 1988; Brauneder, W., Die Habsburgermonarchie als
zusammengesetzter Staat, (in) Zusammengesetzte Staatlichkeit, hg. v. Becker,
H., 2006, 197ff.
Erblasser (1420) ist der Mensch, der bei seinem Tode ein Erbe (hinter)lässt.
Lit.: Immel, G., Die höchstpersönliche Willensentscheidung
des Erblassers, 1965; Tschäppeler, H., Die Testierfreiheit, 1983; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbleihe ist
im mittelalterlichen und neuzeitlichen deutschen Recht die erbliche, vielfach
veräußerbare, meist entgeltliche →Leihe von Grundstücken. Sie entspricht
in vielen Zügen der spätrömischen Emphyteuse (Erbpacht) und der Bittleihe
(Prekarie). Sie entwickelt sich sowohl in der mittelalterlichen Stadt wie in
der ländlichen Grundherrschaft. In der Stadt wird aus dem erblichen Zins
allmählich eine privatrechtliche →Reallast an Eigentum. Auf dem Land
treten zu dem privatrechtlichen Verhältnis die öffentlichrechtlichen Elemente
der Herrschaft des Grundherrn über den Hintersassen hinzu. Die E. endet hier
mit der Beseitigung der →Grundherrschaft in der Mitte des 19. Jh.s,
weshalb sie im Bürgerlichen Gesetzbuch Sachsens (1863) nicht mehr enthalten
ist.
Lit.: Hübner; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 125; Gobbers,
J., Die Erbleihe und ihr Verhältnis zum Rentenkauf, ZRG GA 4 (1883), 130;
Schwind, E. v., Zur Entstehungsgeschichte der freien Erbleihen, 1891, Neudruck
1973; Rietschel, S., Die Entstehung der freien Erbleihe, ZRG GA 22 (1901), 181;
Wopfner, H., Beiträge zur Geschichte der freien bäuerlichen Erbleihe
Deutschtirols im Mittelalter, 1903; Winiarz, A., Erbleihe und Rentenkauf in
Österreich, 1906; Schreiber, O., Die Geschichte der Erbleihe in der Stadt
Straßburg im Elsass, 1909; Hallermann, H., Die Erbleihe an Grundstücken in den
westfälischen Städten bis 1500, 1925; Beer, K., Beiträge zur Geschichte der
Erbleihe in elsässischen Städten, 1933; Fischer, K., Die Erbleihe in Köln, 1939
Erbmonarchie ist
die durch das Erbrecht einer Dynastie auf die (staatliche) Herrschaft
gekennzeichnete Monarchie. Das Heilige römische Reich schwankt zwischen Erbrecht und Wahl, wobei der
Versuch eines Erbreichsplans Heinrichs VI. im deutschen Reich 1196 scheitert.
Tatsächlich kommen aber die Könige und Kaiser des Reiches seit 1438 fast
durchweg aus der Familie der Habsburger bzw. dem Hause →Habsburg. In den
Ländern setzt sich demgegenüber das Prinzip der Erblichkeit der Herrschaft
durch, bis es 1918 beseitigt wird.
Lit.: Köbler, DRG 95; Perels, E., Der Erbreichsplan
Heinrichs VI., 1927; Wallner, M., Zwischen Königsabsetzung und Erbreichsplan,
2004
Erbpacht (1299, z. B. § 1122 ABGB, vgl. § 1123 ABGB Erbzinsrecht, ab 1848
leerlaufend) →emphyteusis
Lit.:
Brunner, H., Die Erbpacht der Formelsammlungen, ZRG GA 5 (1884), 69; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbrecht (1062) ist objektiv die
Gesamtheit der Rechtssätze, die das →Erbe betreffen, subjektiv die im
Erbfall entstehende Berechtigung des Erben am Nachlass. Es ist von den
erkennbaren Anfängen des Rechtes an ein wichtiger Bestandteil (des Privatrechts,
lat. ius [N.] hereditarium). Kennzeichnend ist zunächst die vorgegebene
(gesetzliche) →Erbfolge (der Verwandten nach verwandtschaftlicher Nähe
zum Erblasser unter teilweiser Bevorzugung von Männern), die schon im altrömischen
Recht und danach erneut spätestens im hochmittelalterlichen Recht um die
Möglichkeit ergänzt wird, die gesetzliche Erbfolge gewillkürt abzuändern
(gewillkürte Erbfolge, →Erbvertrag, →Testament). Seit dem Ende des
19. Jh.s wird das E. zunehmend durch die →Erbschaftsteuer (Deutsches
Reich 1906/1911) beeinflusst.
Lit.: Kaser §§ 65ff.; Söllner §§ 8, 12,
18; Hübner 734; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 15, 23, 37, 162, 206, 210;
Baltl/Kocher; Siegel, H., Das deutsche Erbrecht, 1853; Zachariä von Lingenthal,
K., Geschichte des griechisch-römischen Rechtes, 3. A. 1892, Neudruck 1955,
133; Brunner, H., Der Totenteil in germanischen Rechten, ZRG GA 19 (1898), 107;
Brunner, H., Kritische Bemerkungen zur Geschichte des germanischen Weibererbrechts,
ZRG GA 21 (1900), 1; Dultzig, E. v., Das deutsche Grunderbrecht, 1899; Escher,
A., Der Einfluss des Geschlechtsunterschiedes, 1899; Schultze, A., Der
Einfluss der Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, ZRG GA 35
(1914), 75; Ferrari, G., Ricerche sul diritto ereditario, 1914; Fischel, A. v.,
Erbrecht und Heimfall auf den Grundherrschaften Böhmens und Mährens, Archiv
für österreichische Geschichte 106 (1915); Schultze, A., Augustin und der
Seelteil des germanischen Erbrechts, 1928; Meyer, H., „Ligurisches Erbrecht“,
ZRG GA 50 (1930), 354; Plucknett, T., A Concise History of the
Common Law, 1929, 2. A. 1936, 5. A. 1956; Hegglin, G., Das gesetzliche
Erbrecht der Rechtsquellen Unterwaldens, Diss. jur. Bern 1930; Bruck, E.,
Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956; Wesener, G., Geschichte des
Erbrechtes in Österreich, 1957; Rüdin-Bader, S., Die erbrechtliche Stellung der
Stiefkinder und Halbgeschwister nach den zürcherischen Rechtsquellen, 1959;
Besta, E., Le successioni, 2. A. 1961; Sheehan, M., The Will in Medieval
England, 1963; Eisenmann, H., Konstanzer Institutionen des Familien- und
Erbrechts, 1964; Arnold, J., Das Erbrecht der Reichsstadt Esslingen, 1965; Bart,
J., Recherche sur l’histoire des successions, 1966; Ebel, W., Über die Formel
„für mich und meine Erben“ in mittelalterlichen Schuldurkunden, ZRG GA 84
(1967), 236ff.; Hess, R., Familien- und Erbrecht im württembergischen Landrecht
von 1555, 1968; Fedynskyj, J., Rechtstatsachen auf dem Gebiete des Erbrechts im
Gerichtsbezirk Innsbruck 1937 bis 1941, 1968; Vismara, G., Famiglia e
successioni nella storia del diritto, 1970; Hafström, G., Den svenska
familjerättens historia, 1970; Bley, H., Das Erbrecht nach den Urteilen des
Ingelheimer und Neustadter Oberhofs, Diss. jur. Frankfurt am Main 1977;
Schröder, R., Abschaffung oder Reform des Erbrechts, 1981; Müller-Eiselt, K.,
Divus Pius constituit, Diss. jur. Freiburg 1982; Kroeschell, K., Söhne und
Töchter im germanischen Erbrecht, Gedächtnisschrift W. Ebel, 1982, 87;
Hattenhauer, H., Zur Dogmengeschichte des Erbrechts, Jura 1983, 9, 68; Klippel,
D., Familie versus Eigentum, ZRG GA 101 (1984), 117; Udina Abelló, A., La
successió testado, 1984; Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission
zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, hg. v. Schubert,
W., Erbrecht, 1984; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Zur
Geschichte des Familien- und Erbrechts, hg. v. Mohnhaupt, H., 1987; Waibel, T.,
Erbrecht und Familie, 1988; Kasten, B., Erbrechtliche Verfügungen des 8. und 9.
Jahrhunderts, ZRG GA 107 (1990), 236; Baker, H., An Introduction to English
Legal History, 4. A. 2002; Das Familien- und Erbrecht unter dem
Nationalsozialismus, hg. v. Schubert, W., 1993; Andres, I., Der
Erbrechtsentwurf von Friedrich Mommsen, 1996; Wacker, G., Der
Erbrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht, 1997; Bühler, T., Die
Methoden der Rezeption des römisch-gemeinen Rechts in die Erbrechte der Schweiz,
ZRG GA 120 (2003); Signori, G., Vorsorgen – Vererben – Erinnern, 2001; Heusen,
F., Der Erbschaftserwerb im Spätmittelalter, 2002; Beckert, J., Unverdientes
Vermögen, 2004; Seif, U., Römisch-kanonisches Erbrecht in mittelalterlichen deutschen
Rechtsaufzeichnungen, ZRG GA 122 (2005), 88; Wesener, G., Ephemere
Besonderheiten des spätrömischen Erbrechts, FS Rolf Knütel, 2009, 1401; Köbler,
U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010;
Der Einfluss religiöser Vorstellungen auf die Entwicklung des Erbrechts, hg. v.
Zimmermann, R., 2012
Erbschaft (1205, Erbschaftsbesitz 1863, Erbschaftsbesitzer 1794, Erbschaftsgegenstand
1863, Erbschaftsklage 1687) ist das aus
Rechten und Pflichten bestehende Vermögen des Erblassers, das bei seinem Tod
als Ganzes auf eine(n) oder mehrere Menschen bzw. Personen übergeht. Lateinisch
heißt die E. →hereditas (F.). Die Zugehörigkeit der Grundstücke, Rechte
und Verpflichtungen zur E. entwickelt sich anscheinend erst allmählich.
Lit.: Kaser §§ 65 I, 66 IV; Heuser, F., Der
Erbschaftserwerb im Spätmittelalter, 2002
Erbschaftsanfall ist der Übergang der Rechte und Pflichten des Erblassers
(Erbschaft) auf den Erben (im Wege der Gesamtrechtsnachfolge). Er erfolgt z.
B. bei den mit dem Tod des Hausvaters gewaltfrei werdenden römischen Hauserben
(lat. sui heredes als necessarii heredes) grundsätzlich mit dem Tod des
Erblassers, wobei eine Enthaltungsmöglichkeit ([lat.] beneficium abstinendi)
besteht. Dagegen müssen im römischen Recht die Außenerben (Agnaten, Gentilen)
einen besonderen Erwerbsakt (Erbschaftsantritt, lat. [F.] aditio hereditatis)
vornehmen, so dass zwischen dem Tod des Erblassers und dem Erbschaftsantritt
eine sog. ruhende Erbschaft (lat. hereditas [F.] iacens) vorliegt. Dieses Ruhen
der Erbschaft wird in der Neuzeit in einigen Rechten (für alle Erben)
übernommen. Daneben ist verschiedentlich eine Einweisung in die Erbschaft
durch das zuständige Gericht erforderlich (§ 797 ABGB Österreichs [1811],
vorher Erbantrittserklärung). Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch
(1896/1900) und im schweizerischen Zivilgesetzbuch (1907/1911) wird (unter der
Möglichkeit der Ausschlagung) die Erbschaft unmittelbar erworben.
Lit.: Kaser § 71 II; Hübner 734; Köbler, DRG 210; Huber,
E., System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts, Bd. 4 1893, 541;
Wesener, G., Geschichte des Erbrechts in Österreich, 1957; Fischer, H.,
Vonselbsterwerb und Antrittserwerb, 1996; Bielefeld, C., Die Entwicklung des
Erbschaftserwerbs nach österreichischem Recht, 1997; Heuser, F., Der Erbschaftserwerb
im Spätmittelalter, 2002; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbschaftsanspruch (1862) ist bereits im klassischen römischen Recht der eine (lat.
actio in rem bildende) Klaganspruch des Erben (nach zivilem Recht) gegen den,
der einen Vermögensvorteil aus der Erbschaft erlangt hat, auf Herausgabe (lat.
hereditatis petitio [F.]), wobei ein gutgläubiger Besitzer nach dem →Senatusconsultum
Iuventianum (129 n. Chr.) nur herauszugeben hat, worum er bereichert ist. Der
Erbe nach prätorischem Recht (lat. bonorum possessor [M.]) kann die Herausgabe
auf Grund eines (lat.) interdictum (N.) quorum bonorum verlangen. Der E. wird in
der frühen Neuzeit weitgehend übernommen (Erbschaftsklage).
Lit.: Köbler, DRG 37; Müller-Ehlen, M., Hereditatis
petitio, 1998; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Erbschaftskauf (1784) ist der Kauf einer Erbschaft.
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbschaftsschuld ist die von einem Erblasser oder aus dem Erbfallsvorgang
herrührende Schuld. Für sie haftet der Erbe nach römischem Recht mit der von
Justinian gewährten Rechtswohltat des →Inventars. Im Hochmittelalter
haftet noch im Sachsenspiegel nur die Fahrnis des Nachlasses, wobei bestimmte
Schulden (z. B. aus Raub, Diebstahl oder Spiel) überhaupt ausgenommen sind.
Später ist für alle Schulden und mit dem ganzen Nachlass einzustehen, doch wird
die Rechtswohltat des Inventars aufgenommen. →Erbenhaftung
Lit.: Kaser § 74; Hübner; Köbler, DRG
59, 123
Erbschaftsteuer ist die den Übergang eines Vermögens durch →Erbfolge
erfassende →Steuer. Ihr gehen bereits im Mittelalter Sterbefallsabgaben
etwa an den Grundherrn (→Besthaupt, Buteil) voraus. Im Deutschen Reich
wird (am 3. 6.) 1906/1911 eine E. eingeführt. Ihre Höhe wird gestaffelt und
führt bei sehr großen Vermögen zu sehr beachtlichen Steuern. Sie werden auf der
unentwegten Suche nach Einkünften (des Staates) zu Lasten anderer im Laufe der
Zeit (z. B. 1997 bis 30%, 2008) noch erhöht.
Lit.: Köbler, DRG 210; Hübner, H., Erbschaftsteuerreform
2009, 2009; Handbuch Erbschaftsteuer und Bewertung, 2010
Erbschein (Preußen 1869) ist das amtliche,
vom Nachlassgericht auf Antrag auszustellende Zeugnis des Erben über sein
Erbrecht und bei mehreren Erben auch über die Größe des jeweiligen Erbteils.
Ein entsprechendes Zeugnis kennen bereits neuzeitliche Partikularrechte, die es
allerdings auf den Fall der gesetzlichen →Erbfolge beschränken. Aus den
Erbbescheinigungen in Mecklenburg und Neuvorpommern sowie seit 1869 das ganze
Preußen entwickelt sich der E. des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Lit.: Hübner; Köbler, DRG 211; Siegel, H., Das deutsche
Erbrecht, 1853; Hirsch, M., Von der Erbbescheinigung des preußischen Rechts zum
Erbschein des BGB, 2004; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbschulze ist
der erbliche Leiter (Schulze) der bäuerlichen Gemeinde (und Beauftragte der
Herrschaft) der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung vom 12. bis zum 19.
Jh. Der E. hat meist einen besonderen Erbschulzenhof und oft auch weitere
Vorrechte.
Lit.: Riedel, L., Über die Dorfschulzen, 1834;
Schwineköper, B., Die mittelalterliche Dorfgemeinde in Elbostfalen, (in)
Vorträge und Forschungen 8, 1964, Bd. 2 115
Erbteilung ist die Aufteilung des Erbes unter Erben. Für sie kennt im Streitfall
bereits das römische Recht Klagansprüche ([lat.] actio familiae erciscundae).
Lit.: Voltelini, H. v., Der Ältere
teilt, der Jüngere wählt, ZRG GA 36 (1915), 478
Erbtochter ist
die Tochter (evtl. auch eine weitere weibliche Verwandte) des letzten Mannes
einer (adligen) Familie. Über sie werden vielfach bedeutende Güter vererbt (z.
B. Margarethe Maultasch 1363 in Tirol, Maria Theresia 1740 in Österreich).
Lit.: Hübner; Köbler, Historisches Lexikon; Wolf, A.,
Prinzipien der Thronfolge in Europa, (in) Vorträge und Forschungen, 1986
Erbunfähigkeit ist die Unfähigkeit, Erbe zu werden (z. B. im römischen Recht Personenverbände,
später Ordensangehörige mit Armutsgelübde).
Erbuntertänigkeit ist im neuzeitlichen deutschen Recht (in Preußen) die in
Abschwächung der Leibeigenschaft entstehende grundherrschaftliche Abhängigkeit
(Unfreiheit).
Lit.: Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. A. 2004
Erbunwürdigkeit (Österreich 1786) ist die im
spätrömischen Recht aus Einzelfällen (z. T. Tötung des Erblassers, Verhinderung,
Unterdrückung oder Fälschung des Testaments) entwickelte Unwürdigkeit, Erbe
zu sein. Dem Erbunwürdigen wird das ererbte Gut vom Staat (lat. [N.] aerarium,
später [M.] fiscus) entzogen. Die E. wird im neuzeitlichen Recht übernommen.
Lit.: Kaser § 71 V; Hempel, I., Erbunwürdigkeit, Diss. jur.
Köln 1969; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010;
Nehmer, M., Erbunwürdigkeit und Elternunterhalt im internationalen Privatrecht,
2013
Erbverbrüderung →Erbvertrag
Lit.: Loening, R., Erbverbrüderungen, 1867
Erbvertrag (1535) ist der Vertrag zwischen
mindestens zwei Menschen, in dem mindestens einer der Vertragsschließenden
(Erblasser) vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen (z. B. Erbeinsetzung,
Vermächtnis, Auflage) trifft. Der E. ist im römischen Recht (als sittenwidrig)
unzulässig (D. 45, 1, 61), den griechischen Rechten dagegen geläufig und
deswegen in der oströmischen Rechtswirklichkeit im Gegensatz zum gesetzlichen
Verbot verbreitet. Das Frühmittelalter kennt mit der fränkischen →Affatomie
und dem langobardischen Speergedinge die Möglichkeit, den Nachlass einem nicht
verwandten Menschen durch Rechtsgeschäft zukommen zu lassen. Etwas später
gewinnt die Gabe nach dem Tod (lat. donatio [F.] post obitum) an Bedeutung, für
die es streitig ist, ob sie schon E. ist. Hierher gehört dann insbesondere die
seit dem 14. Jh. vordringende Erbverbrüderung (adliger Familien) zwecks
Gestaltung der künftigen Güterzuordnung (z. B. 1373/1457 Braunschweig,
Sachsen, Hessen, 1442 Brandenburg, Mecklenburg, 1537 Liegnitz). In der frühen
Neuzeit werden seit der Mitte des 17. Jh.s vom →usus modernus pandectarum
bestimmte Arten von erwerbenden Erbverträgen auf deutschrechtlicher Grundlage
bejaht. Eine allgemeine Anerkennung erfolgt im Naturrechtszeitalter bei Leyser
(1683-1752), Böhmer (1674-1749) und Heineccius (1681-1741). Die Gesetzbücher
seit dem 18. Jh. lassen den E. zu (Codex Maximilianeus Bavaricus civilis 1756
III, 11, § 1, ALR Preußens 1794 I 12 §§ 617ff.), wobei ihn das österreichische
Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811/1812) auf Ehegatten und drei Viertel
des Nachlasses beschränkt. Die strenge wissenschaftliche Ausformung des
Erbvertrags erfolgt durch Hasse 1828.
Lit.: Kaser § 65; Hübner 788; Kroeschell, DRG 1, 2, 3;
Köbler, DRG 38, 123, 162, 211; Hasse, J., Ueber Erbvertrag, Rhein. Museum für
Jurisprudenz 2 (1828), Heft 2; Beseler, G., Die Lehre von den Erbverträgen, Bd.
1ff. 1835ff.; Hartmann, G., Zur Lehre von den Erbverträgen, 1860; Loening, R.,
Erbverbrüderungen, 1867; Kugelmann, G., Gemeinrechtliche Begründung des
partikulären Erbvertrags, 1875; Vismara, G., Storia dei patti successori, Bd.
1f. 1941; Vismara, G., I patti successori nella dottrina di Bartolo, (in)
Bartolo di Sassoferrato, Bd. 2 1962, 755; Battes, R., Gemeinschaftliches
Testament und Ehegattenerbrecht, 1974; Wesener, G., Zur Lehre vom Erbvertrag,
(in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G., 1987, 607; Jaeckel,
G., Die Liegnitzer Erbverbrüderung von 1537, 1988; Kuttig, W., Der
brandenburgisch-schlesische Erbverbrüderungsvertrag, 1988; Weimar, P.,
Erbvertrag und gute Sitten, Misc. D. Maffei, Bd. 4 1995, 231; Christiansen, T.,
Die erbvertragliche Bindungswirkung in der Rechtsprechung des 20. Jahrhunderts,
2004; Hartmann, P., Das Recht der vertraglichen Erbfolgeregelung in der neueren
deutschen Privatrechtsgeschichte, 2005; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen
des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Müller, M., Besiegelte
Freundschaft - Die brandenburgischen Erbeinungen, 2010
Erbverzicht (1602) ist der Verzicht auf das Erbe. Er ist im römischen Recht
ausgeschlossen. Später wird er zugelassen.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erbzins (M.) erbliche Zinsverpflichtung, vielfach
aus Erbleihe, vom Mittelalter bis ins 19. Jh.
Lit.: Winiarz, A., Erbleihe und
Rentenkauf in Österreich im Mittelalter, 1906; Dannhorn, W., Römische
Emphyteuse und deutsche Erbleihe, 2003
Ercto non cito
(lat.) ist die altrömische Erbengemeinschaft (lat. [N.] consortium).
Lit.: Kaser §§ 66 I 2
Erfindung (1282) ist
die erstmalige Herstellung eines neuen Werkes. In Altertum und Mittelalter
erfährt die E. keinen rechtlichen Schutz. Erst mit der E. des Buchdrucks mit
beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg (Mainz um 1450) entwickelt sich
allgemeiner der Schutz der E. (z. B. durch Privilegien gegen den unerlaubten
Nachdruck von Büchern). Hieraus entstehen im 19. Jh. Urheberrecht, Patentrecht
und weitere Erfinderrechte.
Lit.: Zycha, A., Beitrag zur Frühgeschichte des deutschen
Erfinderrechts, ZRG GA 59 (1939), 208; Zycha, A., Zur älteren Geschichte und vergleichsweisen
Bedeutung des niederländischen Erfindungsschutzes, ZRG GA 62 (1942), 294; Kurz,
P., Weltgeschichte des Erfindungsschutzes, 2000; Vogel, F., Urheber- und
Erfinderrechte im Rechtsverkehr, 2004; Schmidt, A., Erfinderprinzip und
Erfinderpersönlichkeitsrecht im deutschen Patentrecht, 2009; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010;
Flechsig, A., Frühneuzeitlicher Erfindungsschutz, 2013
Erfolgshaftung ist die beim bloßen Verursachen eines Erfolgs ohne
Rücksicht auf die Vorwerfbarkeit eines Verhaltens eintretende Haftung (wie sie
in dem spätmittelalterlichen Rechtssprichwort →„Die Tat tötet den Mann“
zum Ausdruck gebracht wird). Im weiteren Sinn wird darunter auch die
Strafbarkeit wegen eines bloßen verursachten Erfolgs verstanden. E. in diesem
Sinn ist für die Frühzeit in weitem Umfang wahrscheinlich, weil (wie bei der
Rache) ein Anknüpfen am verursachten sichtbaren Erfolg geringere
Schwierigkeiten bereitet als die Prüfung eines inneren unsichtbaren
Gedankenvorgangs und die Erfahrung zudem zeigt, dass bestimmte äußere
Ergebnisse typischerweise bestimmten inneren Zielsetzungen entsprechen. Abweichend
hiervon unterscheidet bereits das altrömische Recht (→Zwölftafelgesetz
[451/0 v. Chr.] 8, 24a) zwischen gewolltem Erfolg und nicht gewolltem Erfolg.
Hieraus entwickelt sich die grundsätzliche Beschränkung auf die Haftung für
ein verschuldetes Verhalten. Allerdings ist auch eine Haftung für das
Verschulden eines Gehilfen (bei Werkvertrag) oder aus deliktischem Verhalten
eines Gewaltunterworfenen (→Noxalhaftung) anerkannt. Dieser Entwicklung
entspricht es, dass das germanische Recht wohl zwar am äußeren Erfolg anknüpft,
darin aber typisierend zugleich den schädigenden Willen erfassen will. Das
frühmittelalterliche Recht unterscheidet zwischen vorsätzlicher Tat und sog.
Ungefährwerk. Demgegenüber bedrohen hochmittelalterliche Strafrechtsquellen des
öfteren Fälle von Ungefährwerk (ungewollte Tötung und Körperverletzung) mit
peinlichen Strafen. Demnach entwickelt sich ein ausgeprägtes Schuldstrafrecht
erst in der Neuzeit. Im Privatrecht setzt sich das Verschuldensprinzip unter
dem Einfluss des Liberalismus im 19. Jh. (→Ihering) durch. Gleichzeitig
gewinnt aber gerade in und seit dieser Zeit die (vom Verschulden gelöste) →Gefährdungshaftung
(Eisenbahn u. s. w.) an Bedeutung.
Lit.: Kaser § 36; Köbler, DRG 71, 128; Brunner, H.,
Forschungen zur Geschichte des deutschen und französischen Rechts, 1894, 487;
Kaufmann, E., Die Erfolgshaftung, 1958; Mikat, P., Erfolgshaftung und
Schuldgedanke im Strafrecht der Angelsachsen, FS H. Weber, 1963, 9; Ogorek, R.,
Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1975; Bader, K., Zum
Unrechtsausgleich und zur Strafe im Frühmittelalter, ZRG GA 112 (1995) 1ff.;
Schildt, B., Die Tat tötet den Mann, ZRG GA 114 (1997), 380ff; Stübinger, S.,
Schuld, Strafrecht und Geschichte, 2000; Schumann, E., Unrechtsausgleich im
Frühmittelalter, Habilitationsschrift 2003; Kéry, L., Gottesfurcht und irdische
Strafe, 2006; Maihold, H., Strafe für fremde Schuld, 2005; Der Strafgedanke,
2007
Erfüllung (1190, Erfüllungsinteresse 1879, Erfüllungsort 1828) ist das (Einhalten einer Verpflichtung bzw.) Bewirken der
geschuldeten Leistung durch den Schuldner. Die E. ist im römischen Recht als
(lat. [F.]) →solutio bekannt. Mit der E. wird der Schuldner von seiner
Verpflichtung frei.
Lit.: Kaser § 53 I; Köbler, DRG 215; Mitteis, H./Lieberich,
H., Deutsches Privatrecht, 9. A. 1981, Kap. 46; Heymann, E., Das Verschulden
beim Erfüllungsverzug, 1913; Wieacker, F., Lex commissoria, 1932; Harder, M.,
Die Leistung an Erfüllungs Statt, 1976; Seong, S., Der Begriff der nicht
gehörigen Erfüllung, 2004; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010; Platschek, J., Das Edikt de pecunia
constituta. Die römische Erfüllungszusage, 2013
Erfüllungsgehilfe ist die Person, die mit Wissen und Wollen des Schuldners
tatsächlich in dessen Pflichtenkreis tätig wird. Der E. wird als solcher
besonders im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) erfasst. Nach § 278 BGB
haftet der Schuldner für Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen und gesetzlichen
Vertreter ohne eigenes Verschulden.
Lit.: Köbler, DRG 214
Erfurt an
der Gera (742 Erphesfurt), das im 8. Jh. durch Bonifatius kurzzeitig
Bischofssitz ist und zu unbekannter Zeit (E. 10. Jh.) vom König an den
Erzbischof von Mainz gelangt, ist von (1378/1389/)1392 bis 1816 Sitz einer
Universität. 1802/1814 fällt es an Preußen. 1850 berät in E. ein Deutsches
Parlament erfolglos über einen Bundesstaat „Deutsches Reich“. Eine von Preußen
mit Sachsen und Hannover gegen Österreich gerichtetete Erfurter Union
scheitert am Widerstand Österreichs und einiger Mittelstaaten (Olmützer Punktation).
1991 wird E. Hauptstadt Thüringens. 1994 wird die Universität wiederbegründet. →Johannes
von E.
Lit.: Reuleaux, C., Das Erfurter Parlament, Diss. jur.
Mainz 1953; Schubert, W., Die für das Reichsgericht der Erfurter Union
bestimmten Organisations- und Verfahrensgesetze von 1849/50, ZRG GA 101 (1984),
169; Lorenz, S., Studium generale Erfordense, 1989; Erfurt 742-1992, hg. v.
Weiß, U., 1992; Märker, A., Geschichte der Universität Erfurt, 1993; Moraw, P.,
Die ältere Universität Erfurt, (in) Erfurt. Geschichte und Gegenwart, hg. v.
Weiß, U., 1995, 189; Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850,
hg. v. Mai, G., 2000; Lengemann, J., Das Deutsche Parlament (Erfurter
Unionsparlament) von 1850, 2000; Große Denker Erfurts und der Erfurter
Universität, hg. v. Pfordten, D. v. d., 2002; Gramsch, R., Erfurter Juristen im
Spätmittelalter, 2003; Wolf, S., Erfurt im 13. Jahrhundert, 2005; Lange,
H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 169
Ergänzung (1530) ist das Hinzufügen in Richtung auf eine Ganzheit oder Vollständigkeit.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erholung ist
im mittelalterlichen deutschen Recht die Rücknahme einer von einem →Fürsprecher
durchgeführten fehlerhaften Rechtshandlung durch die Partei (→Sachsenspiegel
Landrecht I 60 § 1). Sie ist vielleicht vor 1200 gegen die Formenstrenge des
Verfahrensrechts und zur inhaltlichen Verbesserung nachteiliger Äußerungen
entwickelt und verschwindet im Spätmittelalter.
Lit.: Siegel, H., Die Erholung und Wandelung, 1863;
Oestmann, P., Erholung am Ingelheimer Oberhof, (in) Symbolische Kommunikation
vor Gericht, 2006, 29ff.
Erkenntnisverfahren ist das mit einer Entscheidung über einen Rechtsstreit
endende Verfahren. Ihm kann ein Vorverfahren vorangehen und ein
Vollstreckungsverfahren folgen. Es bildet seit den Anfängen des
Verfahrensrechts dessen Kern.
Lit.: Köbler, DRG 19, 202
Erlangen (1002 ersterwähnt, 1398 Stadtrecht) an der Regnitz wird am 4. 11. 1743 (in der Markgrafschaft
Bayreuth) Sitz einer der Aufklärung verpflichteten Universität (1792 Preußen,
1810 Bayern, zwischen 1743 und 1885 332 juristische Promotionseinträge), die
1961 mit einer Wirtschaftshochschule in Nürnberg (1919) verschmolzen wird.
Lit.: Kolde, T., Die Universität Erlangen, 1910;
Baumgärtel, G., Die Gutachter- und Urteilstätigkeit der Erlanger
Juristenfakultät, 1951, 2. A. 1962; Köbler, G., Erlanger juristische
Vorlesungen, Jb. f. fränk. Landesforschung 27 (1967), 241; Beyer, A., Die
Verfassungsentwicklung der Universität Erlangen, 1992; Wendehorst, A.,
Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg 1743-1993, 1993; Wittern, R., Die
Professoren und Dozenten, Bd. 1f. 1993ff.; Willett, O., Sozialgeschichte
Erlanger Professoren, 2001; Schieber, M., Erlangen, 2002; Wachter,
C./Hoffmann-Randall, C., Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,
2004; Verzeichnis der Erlanger Promotionen 1743-1885, unter der Leitung v. Pohl,
R., 2009
Erlass ist
im Verwaltungsrecht eine innerdienstliche allgemeine Anweisung und im
Schuldrecht ein Schuldaufhebungsvertrag zwischen Gläubiger und Schuldner. Der
privatrechtliche E. ist bereits dem klassischen römischen Recht geläufig (lat. →solutio
[F.] per aes et libram nummo uno, acceptilatio, ähnlich pactum de non petendo).
Über die Aufnahme des römischen Rechtes findet er in das moderne Privatrecht
Eingang.
Lit.: Kaser §§ 52, 52; Köbler, DRG 43, 215; Coing, H.,
Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.
Erlaubnis ist
im Verwaltungsrecht die Erklärung einer Behörde, dass sie ein bestimmtes
Verhalten zulässt. Sie entsteht im Sinne von Regel und Ausnahme mit der
Entwicklung obrigkeitlicher Verbote.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Becker, K., Die behördliche
Erlaubnis, Diss. jur. Marburg 1970
Erler, Adalbert (Kiel 1. 1. 1904-Frankfurt am Main
19. 4. 1992), Admiralssohn, wird nach dem Studium der Rechtswissenschaft in
Heidelberg und Berlin (Hans Fehr, Ulrich Stutz, Promotion Greifswald 1929)
während einer Tätigkeit als Finanzbeamter in Frankfurt am Main (Rudolf Ruth)
1939 habilitiert. Über Straßburg (1941) und Mainz (1946) wird er 1950 nach
Frankfurt am Main berufen. Dort ediert er die Urteile des Ingelheimer Oberhofes
und begründet auf Anregung Wolfgang Stammlers das Handwörterbuch zur deutschen
Rechtsgeschichte.
Lit.: Rechtsgeschichte als
Kulturgeschichte, hg. v. Becker, H. u. a., 1976, Recht, Gericht, Genossenschaft
und Policey, hg. v. Dilcher, G. u. a., 1986; Dilcher, G., Nachruf, ZRG GA 110
(1993), 680ff.; In memoriam Adalbert Erler, hg. v. Hennle, K. u. a, 1994
Ermächtigung (1752) ist die Erteilung einer Macht zu einem Verhalten (für einen anderen).
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Ermächtigungsgesetz ist das Gesetz, das ein Verfassungsorgan zu einem bislang
nicht zulässigen Verhalten ermächtigt. Beispielsweise erlaubt es das deutsche
E. vom 4. 8. 1914 dem Bundesrat des Deutschen Reiches, (rund 1000) Notverordnungen
zu erlassen. Zwischen 1919 und 1923 werden wegen der schwierigen politischen
und wirtschaftlichen Lage 7 Ermächtigungsgesetze (1919-1921 viermal
Gesetzgebungsgewalt auf die Reichsregierung übertragen) verabschiedet. Zwischen
1923 und 1932 wird stattdessen das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten
verwendet. Am 23. 3. 1933 bzw. 24. 3. 1933 wird das (mit notwendiger Zweidrittelmehrheit
vom Reichstag beschlossene) Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich
erlassen bzw. verkündet, durch das der Reichstag seine Gesetzgebungsgewalt auf
die Reichsregierung überträgt und diese damit zur Gesetzgebung ermächtigt.
1937, 1939 und 1943 (durch Erlass des Führers) wird die Geltungsdauer
verlängert. Die auf seiner Grundlage erlassenen Gesetze sind wirksam. Durch das
Kontrollratsgesetz Nr. 1 wird dieses E. aufgehoben. In Österreich erlässt der
Kaiser 1914 gemäß § 14 des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung eine
Notverordnung, die zu notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiet und
zur Versorgung der Bevölkerung ermächtigt und 1917 durch Beschluss der
Reichsregierung zum kriegswirtschftlichen Emächtigungsgesetz wird. Nach
Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofs durch Regierungsverordnung vom 23.
Mai 1933 wird am 30. 4. 1934 das bis 1938 geltende Bundesverfassungsgesetz
über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung die Bundesregierung
zur Gesetzgebung und zur Wiederverlautbarung der Maiverfassung 1934
beschlossen, das Nationalrat und Bundesrat auflöst und das Erfordernis einer
Volksabstimmung bei einer Gesamtänderung des Bundesverfassungsgesetzes aufhebt.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG
170, 230; Anschütz, G., Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. A. 1933;
Schneider, H., Das Ermächtigungsgesetz vom 24. 3. 1933, 1955, 2. A. 1961,
Neudruck 1968; Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933, hg. v. Morsey, R.,
1968; Huemer, P., Sektionschef Robert Hecht, 1975; Frehse, M.,
Ermächtigungsgesetzgebung im Deutschen Reich, 1985; Biesemann, J., Das
Ermächtigungsgesetz, 1985, 2. A. 1988; Eilers, S., Ermächtigungsgesetz und
militärischer Ausnahmezustand, Diss. jur. Köln 1988; Morsey, R., Das
Ermächtigungsgesetz, 1992; Schnur, R., Die Ermächtigungsgesetze von Berlin 1933
und Vichy 1940, 1993; Mommsen, H., Entstehung und Bedeutung des
Ermächtigungsgesetzes, 2003; Das Ermächtigungsgesetz, eingel. v. Laufs, A.,
2003; Bickenbach, C., Vor 75 Jahren - Die Entmächtigung, JuS 2008, 199; Das Ermächtigungsgesetz
vom 24. März 1933, hg. v. Morsey, R., 2010; Rieker, S., Das Ermächtigungsgesetz
vom 24. 03. 1933 und die Konsequenzen des Grundgesetzes, 2013
Ermessen ist
der an der Vernünftigkeit des Ergebnisses ausgerichtete Maßstab für ein
Verwaltungshandeln. Die dabei bestehende Entscheidungsfreiheit wird im Laufe
des (19. und) 20. Jh.s zunehmend verrechtlicht.
Lit.: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. v. Jeserich, K.
u. a., Bd. 1ff. 1983ff.; Stolleis, M., Geschichte des öffentlichen Rechts in
Deutschland, Bd. 1f. 1988ff.; Held-Daab, U., Das freie Ermessen, 1996
Ermittlungsverfahren ist das Verfahren zur Ermittlung eines Täters einer
Straftat. Es entwickelt sich seit dem Hochmittelalter. Seit dem 19. Jh. wird es
verrechtlicht.
Lit.: Roth, A., Kriminalitätsbekämpfung in deutschen
Großstädten 1850-1914, 1996; Weinke, A., Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich
selbst, 2. A. 2009; Samel, E., Historische Entwicklung des
Ermittlungsverfahrens als Vorverfahren innerhalb des Strafprozesses, 2012
Ermland
Lit.: Perk, H., Verfassungs- und Rechtsgeschichte des
Fürstbistums Ermland, 1931; Thimm, W., Die Ordnungen der ermländischen
Kapitelsburgen, Zs. f. d. Gesch. und Altertumsunde Ermlands 33 (1969), 53
Ernestiner →Wettiner
Erpressung ist
die Beschädigung des Vermögens eines anderen durch Nötigung dieser oder einer
anderen Person in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern. Dem
entspricht im klassischen römischen Recht die (lat. [F.]) →concussio. In
der Neuzeit erscheint die E. im 18. Jh.
Lit.: Köbler, DRG 35; Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss
der Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007
Error (lat.
[M.]) ist im römischen Recht der Irrtum. Er wird zunächst bei den
Konsensualkontrakten (z. B. Kauf) dann berücksichtigt, wenn er einen Konsens
verhindert. Dies kann sich auf den Gegenstand (lat. [N.] corpus), den Preis,
den Geschäftstyp oder (str.) eine wesentliche Eigenschaft (lat. [F.]
substantia) beziehen, nicht dagegen auf die bloße Bezeichnung (lat. [N.] nomen).
Lit.: Kaser § 8 II; Köbler, DRG 43; Error iudicis.
Juristische Wahrheit und justizieller Irrtum, hg. v. Gouron, A. u. a., 1998
Errungenschaft (1582) ist der durch Tätigwerden erlangte Wert.
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Errungenschaftsgemeinschaft ist die Gütergemeinschaft zweier Ehegatten an den während
der Ehe erworbenen Gütern (Gesamtgut im Gegensatz zum Sondergut jedes
Ehegatten). Die E. erscheint im Frühmittelalter bei Franken und westfälischen
Sachsen. Danach verbreitet sie sich besonders in Süddeutschland und bildet um
1900 für rund 10 Millionen Deutsche den Regelgüterstand. Beim Tod eines
Ehegatten erwirbt der überlebende Ehegatte in beerbter Ehe das Sondergut des
Verstorbenen, während bei unbeerbter Ehe das Sondergut des Verstorbenen an die
Herkunftsseite zurückfällt und das Gesamtgut zwischen dem überlebenden
Ehegatten und den Erben des verstorbenen Ehegatten meist hälftig geteilt wird.
Die noch im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) beibehaltene E. wird 1957
beseitigt. In Frankreich gilt die E. in Form der Fahrnisgemeinschaft.
Lit.: Hübner 667; Köbler, DRG 88, 210; Schröder, R.,
Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland, Bd. 1f. 1863ff.; Hradil,
P., Über eheliche Errungenschaftsgemeinschaft, ZRG GA 36 (1915), 459
Ersatz (1491, Ersatzanspruch
1854) ist das an die Stelle etwas anderen Tretende.
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Ersatzerbe ist
der vom Erblasser für den Fall des Wegfalls des Erben vor oder nach Eintritt
des Erbfalls eingesetzte Erbe. Die Einsetzung eines Ersatzerben (lat. [F.]
substitutio) im Testament ist bereits im klassischen römischen Recht möglich
und wird von dort mit der Aufnahme des römischen Rechtes übernommen.
Lit.: Kaser § 68 II, V; Söllner § 11; Köbler, DRG 38;
Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985ff.
Ersitzung (1520) ist der Erwerb des Eigentums durch Zeitablauf. Bereits im
altrömischen Recht kann der Gewaltinhaber über eine Sache seine Berechtigung
auf Gebrauchnahme (lat. [F.] usucapio) stützen, womit die Berufung auf einen
Vormann (im Recht an der Sache) überflüssig wird. Damit ist jeder, der ein
Grundstück 2 Jahre oder eine andere Sache 1 Jahr unangefochten gebraucht hat, gegen
jedermann geschützt, sofern es sich nicht um eine gestohlene, geraubte oder von
Unmündigen und Frauen ohne Mitwirkung des Vormunds veräußerte handgreifbare
Sache handelt. Später muss der Eigenbesitz, der ein fremdes Besitzrecht
ausschließen will, einen rechtsgültigen Erwerbsgrund haben und der
Eigenbesitzer im Augenblick der Besitzerlangung gutgläubig sein (vgl. D. 41, 3,
1). Mit Ablauf der Ersitzungsfrist erwirbt der Ersitzungsbesitzer ziviles
Eigentum. Im deutschen Recht hat die →Verschweigung (in einer Frist von
Jahr und Tag) eine vergleichbare Wirkung. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes
wird die E. in der Form übernommen, wie sie sie unter Justinian durch
Verbindung von (lat. [F.]) usucapio mit (lat.) longi temporis praescriptio (F.)
gefunden hat. Danach muss eine ersitzbare bewegliche Sache 3 Jahre (usucapio),
ein ersitzbares Grundstück bei Anwesenheit in der gleichen Provinz 10 bzw. bei
Abwesenheit 20 Jahre (longi temporis praescriptio) gutgläubig auf Grund eines
rechtsgültigen Erwerbsgrundes oder wenigstens 30 Jahre (longissimi temporis
praescriptio) gutgläubig besessen worden sein. Nach kanonischem Recht muss seit
Papst Innozenz III. (X 2, 26, 20) guter Glaube noch am Ende der Ersitzungsfrist
vorliegen. Vielfach wird dabei die E. mit der Verjährung in der (lat. [F.])
praescriptio zusammengefasst. Savigny trennt beides wieder. Die E. verliert
wegen der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs und wegen der Einrichtung des
Grundbuchs an tatsächlicher Bedeutung. Nach dem deutschen Bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) erfordert die E. bei beweglichen Sachen 10 Jahre gutgläubigen
Eigenbesitz (§ 937 BGB, Österreich 1452 ABGB, 3 bzw. 30 Jahre), bei Grundstücken
30 Jahre Besitz und Eintragung im Grundbuch (§ 900 BGB Tabularersitzung). Eine
E. gegen das Grundbuch (Kontratabularersitzung) ist ausgeschlossen.
Lit.: Kaser § 25; Söllner §§ 8, 9; Hübner 271, 468;
Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 25, 40, 61, 163; Immerwahr, W., Die
Verschweigung im deutschen Recht, 1895; Coing, H., Europäisches Privatrecht,
Bd. 1f. 1985ff.; Bauer, K., Ersitzung und Bereicherung im klassischen römischen
Recht, 1988; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Erskine of Carnock,
John (1695-1768), nach dem Studium in den Niederlanden 1719 Anwalt am
Obergericht Schottlands und 1737 Professor für schottisches Recht in Edinburgh,
veröffentlicht 1754 mit den systematisierenden (engl.) Principles of the Law of
Scotland (Grundsätze des Rechtes Schottlands) das bis in das 20. Jh. führende
Lehrbuch des schottischen Rechtes.
Lit.: Walker, D., The Scottish Legal System, 3. A. 1969,
171; Walker, D., The Scottish Jurists, 1985, 202
Erstbittrecht (lat. ius [N.] primariarum precum) ist das wohl nach dem
Investiturstreit entstandene, 1191 erstmals belegte, seit 1437 allmählich an
die Zustimmung des Papstes gebundene Recht des deutschen Königs (und dann auch
der Landesherren) auf einen verbindlichen Besetzungsvorschlag für die erste
nach seiner Krönung bzw. ihrem Herrschaftsantritt freigewordene Pfründe jedes
Stiftes oder Klosters. Das E. ist zum Panisbrief zu trennen.
Lit.: Bauer, H., Das Recht der ersten Bitte, 1919; Feine,
H., Papst, Erste Bitten und Regierungsantritt des Kaisers, ZRG KA 51 (1931), 1;
Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972, 387
Erstgeburt →Primogenitur
Ertränken ist
die im gewaltsamen Untertauchen im Wasser bis zum Eintritt des Todes
bestehende, vom Altertum bis in das 18. Jh. bekannte Form der Todesstrafe
(ertränkt werden einerseits vor allem Frauen, andererseits die Täter von
Diebstahl, Unterschlagung, Notzucht, Doppelehe, Gotteslästerung u. s. w.). Abgelehnt wird das E. von der
Constitutio Criminalis Theresiana (Österreich 1768).
Lit.: Baltl/Kocher 127; Mommsen, T., Römisches Strafrecht,
1899, Neudruck 1961; Amira, K. v., Die germanischen Todesstrafen, 1922
Erwählter römischer Kaiser (lat. electus Romanorum imperator [M.]) ist seit dem 4./8.
2. 1508 (dem Scheitern der angestrebten Krönung Maximilians I. folgend) der die
Unabhängigkeit von der Krönung durch den Papst ausdrückende Titel des →Kaisers
des Heiligen römischen Reiches .
Lit.: Rabe, H., Reich und Glaubensspaltung, 1989;
Willoweit, D., Deutsche Verfassungsgeschichte, 5. A. 2005, § 24 III 1
Erwerb (1378, Erwerbsgeschäft
1795) ist das durch Verhalten Erlangen und das durch Verhalten Erlangte.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Erzamt (14. Jh., lat. [N.] archiofficium) ist die aus dem frühmittelalterlichen Hofamt der
Stammesherzöge im Laufe des Mittelalters (Erzkanzler 10. Jh.) entwickelte, 1356
den sieben Kurfürsten für die Kurländer zugeteilte und später zahlenmäßig noch
erweiterte oberste Reichswürde (Erzkanzler für das Reich [Mainz], Italien
[Köln], Burgund [Trier], Erztruchsess [Pfalzgraf bei Rhein, dann Bayern, dann
Hannover], Erzmarschall [Sachsen], Erzkämmerer [Brandenburg], Erz[mund]schenk
[Böhmen]).
Lit.: Buchner, M., Die Entstehung der Erzämter, 1911;
Latzke, I., Hofamt, Erzamt und Erbamt, Diss. phil. Frankfurt am Main 1970;
Wolf, A., Die Entstehung des Kurfürstenkollegs 1198-1298, 1998, 2. A. 2000;
Erkens, F., Kurfürsten und Königswahl, 2002; Deutscher Königshof, Hoftag und
Reichstag im späteren Mittelalter, hg. v. Moraw, P., 2002; Ertl, T., Alte
Thesen und neue Theorien zur Entstehung des Kurfürstenkollegiums, ZHF 30
(2003), 619ff.
Erzberger,
Matthias (Buttenhausen/Württemberg 20. 9. 1875-bei Bad Griesbach/Schwarzwald
26. 8. 1921) wird 1903 für die (katholische) Zentrumspartei als jüngster
Abgeordneter in den Reichstag gewählt und unterzeichnet als Staatssekretär der
Regierung Prinz Max von Baden am 11. 11. 1918 den Waffenstillstand zur
Beendigung des ersten Weltkriegs für das deutsche Reich. Als
Reichsfinanzminister (20. 6. 1919) setzt er eine umfassende Reichsfinanzreform
durch, muss aber wegen nur teilweise entkräfteter Bereicherungsvorwürfe am 12.
3. 1920 zurücktreten. Bei einem Spaziergang wird er von Nationalisten
erschossen.
Lit.: Epstein,
K., Matthias Erzberger, 1962; Möller, A., Reichsfinanzminister Matthias
Erzberger, 1971; Huber-Stentrup, E., Der Mord an Matthias Erzberger, JuS 1981,
246ff.; Haehling von Lanzenauer, R., Der Mord an Matthias Erzberger, 2008
Erzbischof (lat.
[M.] archiepiscopus) ist in der katholischen (seit dem 3. Jh. n. Chr.) (sowie
in der anglikanischen, schwedischen und finnischen) Kirche der Titel des
Leiters einer Kirchenprovinz (Erzbistum).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 109; Feine, H.,
Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972
Erzherzog ist
die durch das gefälschte lat. →privilegium (N.) maius (um 1358) entwickelte,
1442 von Friedrich III. bestätigte und 1453 von den Kurfürsten gebilligte
Titulatur des Herzogs von →Österreich (1804 Kaiser).
Lit.: Baltl/Kocher; Lhotsky, A., Privilegium maius, 1957
Erziehung
Lit.: Schwanke, B., Die verfassungsrechtliche Entwicklung
der staatlichen Erziehungsrechte und der allgemeinen Schulpflicht, 2010;
Schreiber, H., Im Namen der Ordnung - Heimerziehung in Tirol, 2010
Erzkanzler ist
der Inhaber der obersten, auf das Schreibwesen bezogenen Würde im Heiligen
römischen Reich . Dies ist seit dem 9./10. Jh. (für das Reich) der Erzbischof
von Mainz (, für Italien seit 1031 der Erzbischof von Köln und für Burgund bzw.
lat. [F.] Gallia seit 1308 der Erzbischof von Trier).
Lit.: Seeliger, G., Erzkanzler und Reichskanzler, 1889;
Bärmann, J., Zur Entstehung des Mainzer Erzkanzleramtes, ZRG GA 75 (1958), 1;
Der Mainzer Kurfürst als Reichserzkanzler, hg. v. Hartmann, P., 1997
Eschwege
Lit.: Eckhardt, A., Eschweger
Zunftverfassung und hessische Zunftpolitik, 1964; Eckhardt, K., Eschwege, 1964;
Heinemeyer, K., Der Königshof Eschwege in der Germar-Mark, 1970
Eselreiten ist
die aus Ostrom über Italien in das Heilige römische Reich kommende, für die
Neuzeit bezeugte, teils (für Frauen) auf einem lebenden Esel, teils (für
Soldaten) auf einem hölzernen Gestell mit scharfer Oberkante ausgeführte →Ehrenstrafe.
Lit.: Grimm, J., Deutsche Rechtsaltertümer, 1828, 4. A.
1899, Neudruck 1922, 1989, 1994, Bd. 2, 318; His, R., Das Strafrecht des
deutschen Mittelalters, 1920; Künßberg, R., Rechtliche Volkskunde, 1936; Lentz,
M., Konflikt, Ehre und Ordnung, 2004
Esmein,
Adhémar (Touvérac 1. 2. 1848-Paris 22. 7. 1913) wird nach dem Rechtsstudium in
Paris und Lehrtätigkeiten in Douai und Paris 1890 Professor für
Rechtsgeschichte Frankreichs (1892 Cours élémentaire d’histoire du droit
français, daneben weitere Grundrisse und Einzelarbeiten).
Lit.: Weiss, A., Notice sur la vie et les travaux de
Adhémar Esmein, (in) Séances et travaux de l’Académie des sciences morales 87,
1917, 437
Essen
Lit.: Ribbeck, K., Geschichte der
Stadt Essen, 1915; Vries, R. de, Die Landtage des Stiftes Essen, 1934; Stift
Essen, die große Vogteirolle des Grafen Friedrich von Isenberg-Altena um 1220,
hg. v. Bentheim-Tecklenburg-Rheda, M. Graf zu, 1955; Brand, J., Geschichte der
ehemaligen Stifter Essen und Werden während der Übergangszeit, Beiträge zur
Geschichte von Stadt und Stift Essen 86 (1971); Gründerjahre, hg. v. Borsdorf,
U. u. a., 2005
Esslingen
Lit.: Maier, K., Das Strafrecht
der Reichsstadt Esslingen, Diss. jur. Tübingen 1960; Kirchgässner, B.,
Wirtschaft und Bevölkerung der Reichsstadt Esslingen im Spätmittelalter, 1964;
Arold, J., Das Erbrecht der Reichsstadt Esslingen, 1965; Kittelberger G., Der
Adelberger Freihof in Esslingen, 1970; Jerouschek, G., Die Hexen und ihr
Prozess, 1992
Estland ist
der am Ostrand der mittleren Ostsee südlich Finnlands gelegene
nordosteuropäische Staat mit der Hauptstadt Reval bzw. Talinn. E. geht auf ein
von den finno-ugrischen Esten besiedeltes Gebiet am Finnischen und Rigaischen
Meerbusen zurück, das 1207/1227 vom Schwertbrüderorden und Dänemark erobert
wird und bis 1346 an den →Deutschen Orden gelangt. 1315 entsteht unter
dem Einfluss niederdeutscher Siedler das waldemar-erichsche Lehnrecht und das
älteste livländische Ritterrecht. Das Recht der deutschen Herrschaftsschicht
folgt dem Recht des Heiligen römischen Reiches, während die abhängigen Bauern
nach ungeschriebenem Gewohnheitsrecht leben. 1561 (Norden)/1580 fällt das
Gebiet an Schweden, das die Reformation einführt und in Dorpat eine Universität
gründet. 1710/1721 kommt das Land (mit rund 430 Rittergütern etwa 160er
landtagsfähiger Familien) an →Russland und wird dort im 19. Jh. verstärkt
russifiziert. 1864 wird das liv-, est- und kurländische Privatrecht in einem
von Friedrich Georg von →Bunge erarbeiteten, zu mehr als der Hälfte
römischrechtlich geprägten Gesetzbuch (Provinzialrecht des Ostseegouvernements
Russlands, rund 4600 Bestimmungen) niedergelegt, das dem Bürgerlichen
Gesetzbuch Sachsens (1863) nahesteht und in E. bis 1945 gilt. Das Gerichtswesen
wird 1889 modernisiert. Die am 24. 2. 1918 ausgerufene baltische Republik E.
(Strafgesetzbuch 1929/1935, Entwurf eines Zivilgesetzbuchs 1936), in der 1939
die Deutschbalten ausgesiedelt werden, wird am 6. 8. 1940 der das sowjetische
Recht in Kraft setzenden Sowjetunion eingegliedert (1941-1944 vom deutschen
Reich besetzt), am 6. 9. 1991 aber von der Sowjetunion wieder als unabhängig
anerkannt. Das sowjetische Recht wird danach unter Verwendung deutscher
Vorbilder vor allem im Privatrecht und Strafrecht durch eigenes Recht ersetzt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Bunge, F. v., Einleitung
in die liv-, est- und kurländische Rechtsgeschichte, 1849; Schmidt, O.,
Rechtsgeschichte Liv-, Est- und Curlands, 1894, Neudruck 1968; Kraus, H.,
Grundriss der Geschichte des estnischen Volkes, 1935; Wedel, H. v., Die
estländische Ritterschaft, 1935; Wittram, R., Baltische Geschichte, 1954;
Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,545, 3,2,2076;
Ludwig, K., Das Baltikum, 2. A. 1992; Stopinski, S., Das Baltikum im Patt der
Mächte, Nordeuropäische Studien Bd. 11, 1997; Ludwig, K., Estland, 1999;
Deutsch-estnische Rechtsfragen, hg. v. Recker, N. v., 2003; Küpper, H.,
Einführung in die Rechtsgeschichte Osteuropas, 2005; Modernisierung durch
Transfer im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hg.v. Giaro, T., 2006;
Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen, hg. v. Giaro, T., 2007;
Luts-Sootak, M., Der Fall Estland, ZRG GA 125 (2008), 276; Donnert, E.,
Agrarfrage und Aufklärung in Lettland und Estland, 2008
Estoppel (Verschweigung)
ist im englischen Verfahrensrecht die Unzulässigkeit der Rechtsausübung (aus
einem übergeordneten Grund). Die älteste Erscheinungsform der von frz. étouffer
(vertuschen, niederschlagen) abgeleiteten Einrichtung zeigt sich in den Leges
des englischen Königs Heinrich I. (um 1118), nach denen der Inhalt von
Eintragungen in die Urkundenrolle (ne. record) des Königsgerichts nicht
bestritten werden kann. Um die Mitte des 15. Jh.s ist dann anerkannt, dass
Urteile zuständiger Gerichte in ihren rechtserheblichen Feststellungen von den
Parteien und ihren Rechtsnachfolgern nicht angegriffen werden können (e. by
record). Daneben erscheint seit dem Ende des 13. Jh.s der Satz, dass eine
Erklärung, die in einer unter Handsiegel abgegebenen Urkunde (ne. deed) enthalten
ist, von dem nicht bestritten werden kann, dessen Handschrift und Siegel die
Urkunde trägt, sofern die Urkunde rechtlich wirksam ist (e. by deed). Seit dem
15. Jh. ist die vielleicht hieraus abgeleitete Regel bezeugt, dass eine Partei,
die eine im Lande (mengl. pays) weithin bekannt gewordene Rechtshandlung
vorgenommen hat, eine ihr notwendig als Voraussetzung dienende Tatsache (z. B.
Mietvertrag für Mietzahlung) nicht bestreiten darf (e. by in pais, daraus
entwickelt e. by conduct, e. by representation). In der Folge wird das Prinzip
des e. erheblich verfeinert und wirkt über das englische Recht hinaus. E. wird
nicht vom Richter von Amts wegen berücksichtigt, sondern nur auf Vortrag der
Partei.
Lit.: Riezler, E., Venire contra factum
proprium, 1912, 55; Holdsworth, W., History of English Law, 9 1926; Cohn, E.,
Die materielle Rechtskraft im englischen Recht, FS H. Nipperdey 1965, Bd. 1,
875,
Estor,
Johann Georg (Schweinsberg/Hessen 8. 6. 1699-Marburg 25. 10. 1773) wird nach
dem Studium des Rechtes und der alten Sprachen in Gießen, Jena (1719) und Halle
(Johann Peter von Ludewig, Nikolaus Hieronymus Gundling) in Gießen 1726 außerordentlicher
und 1728 ordentlicher Professor und promoviert. 1734 wechselt er nach Jena,
1742 nach Marburg. Seine dreibändige bürgerliche Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen
(1757) enthält erstmals eine systematische Zusammenstellung des gesamten
geltenden einheimischen deutschen Rechtes und beeinflusst wie auch das übrige
Werk Estors Schüler Johann Stephan Pütter.
Lit.: Sippel, C., J. G. Estor,
1874; 650 Jahre Stadt Schweinsberg, 1982; Buschmann, A., J. G. Estors System
der bürgerlichen Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen, (in) Wirkungen europäischer
Rechtskultur, 1997, 77ff.; Buschmann, A., Estor, Pütter, Hugo, (in) Festgabe
Elmar Wadle, 2004, 75ff.
états généraux
(franz.) Generalstände (1468)
Ethik (F.)
Sittenlehre
Lit.: Lexikon der Ethik, hg. v. Höffe, O., 5. A. 1997;
Hauskeller, M., Geschichte der Ethik, 1999
Ethnologie (F.)
Völkerkunde (völkerkundliche Berichte antiker Autoren seit Hekataios von Milet
500 v. Chr., wissenschaftliche Ethnologie 19. Jh. mit Suche evolutionärer
Gesetzmäßigkeiten, Feldforschung einfacher Stammesgesellschaften,
Ethnographie traditioneller Streitschlichtungsverfahren, Rechtspluralismus)
Lit.: Post, A., Bausteine für eine allgemeine
Rechtswissenschaft auf vergleichender ethnologischer Basis, Bd. 1f. 1880f.,
Neudruck 1995; Thurnwald, R., Werden, Wandel und Gestaltung des Rechts, 1934;
Pospisil, L., Anthropology of Law, 1971; Moore, S., Law as process, 1978;
Newman, K., Law and economic organization, 1983; Kohl, K., Ethnologie, 1993;
Rouland, N., Legal anthropology, 1994; Fikentscher, W., Modes of thought, 1995,
2. A. 2004; Streck, B., Vom Wissen der Ethnologie, 1997; Panoff, M./Perrin, M.,
Taschenwörterbuch der Ethnologie, 3. A. 1999; Wörterbuch der Ethnologie, hg. v.
Streck, B., 2. A. 2000; Kaschuba, W., Einführung in die europäische Ethnologie,
2. A. 2003; Gingrich, A./Schweitzer, P., Geschichte der deutschsprachigen
Ethnologie, 2004; Petermann, W., Die Geschichte der Ethnologie, 2004
Etrusker ist der Angehörige eines vielleich
vor den Römern und neben den Römern in Mittelitalien (Toskana) ansässigen,
hochstehenden, im 8. Jh. v. Chr. sichtbaren, aber nicht näher bekannten, mit
seinen letzten Stadtstaaten 89 v. Chr. in das römische Bürgerrecht
aufgenommenen Volkes.
Lit.: Pfiffig, A., Einführung in die Etruskologie, 4. A.
1991; Torelli, M., Die Etrusker, 1988; Heurgon, J., Die Etrusker, 1993;
Cristofani, M., Die Etrusker, 1995; Aigner-Foresti, L., Die Integration der
Etrusker, 1998; Briquel, E., La civilisation étrusque 1999; Falchetti, F. u.
a., Die Etrusker, 2001; Aigner-Foresti, L., Die Etrusker und das frühe Rom,
2003, 2. A. 2009; Entstehung von Staat und Stadt bei den Etruskern, hg. v.
Aigner-Foresti, L u. a., 2006; Aigner-Foresti, L., Die Etrusker, 2010; Kulte -
Riten - religiöse Vorstellungen bei den Etruskern und ihre Auswirkungen auf
Politik und Gesellschaft, 2012
Etter ist
der (aus lebenden Gewächsen geflochtene) Zaun, der im Mittelalter die dörfliche
Wohnsiedlung oder die einzelne Hofstatt (tatsächlich bzw. rechtlich) vom Umland
trennt.
Lit.: Köbler, WAS; Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte
des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1 1957, 74; Lieberich, H., Etterrecht und
Ettergerichtsbarkeit in Bayern, Z. f. bay. LG. 21 (1958), 472ff.
Etymologie ([F.]
Wahrheitslehre) ist die seit dem 5. Jh. v. Chr. bei den Griechen erkennbare
Lehre vom Ursprung (gr. etymon, Stammwort) eines Wortes, die bei der Aufklärung
der Entwicklungsgeschichte der sprachlichen Einheiten hilfreich ist.
Lit.: Klinck, R., Die lateinische Etymologie des
Mittelalters, 1970; Seebold, E., Etymologie, 1981; Köbler, G., Etymologisches
Rechtswörterbuch, 1995
Eugenik (F.) Erbgesundheitslehre
Lit.: Roth,
A./Schlatmann, B., Eugenik im Recht, (in) Themen juristischer Zeitgeschichte
(1) Schwerpunktthema - Recht und Nationalsozialismus, hg. v. Düwell, F. u. a.,
1998, 152; Schneider, C., Die Verstaatlichung des Leibes, 2000; Merkel, C.,
„Tod den Idioten“, 2006; Wie nationalsozialistisch ist die Eugenik? hg. v.
Wecker, R. u. a., 2008; Westermann, S., Verschwiegenes Leid, 2010 (mehr als
300000 Zwangssterilisationen im Deutschen Reich zwischen 1933 und 1945); The
Oxford Handbook of the History of Eugenics, hg. v. Bashford, A. u. a., 2010
Euratom (F.) Europäische Atomgemeinschaft
Eurich (um
440?-484) ist der westgotische König (466) mit königlichem Vater (Theoderich
I.), der große Gebiete erobert und dem der →Codex Euricianus (um 475)
zugeschrieben wird. →Gote
Lit.: Köbler, DRG 80; Stroheker, K., Eurich, 1937; El
Codigo del Eurico, hg. v. Ors, A. d’, 1960
Euro ist die seit 1. 1. 2002 in der seinerzeitigen
Mehrzahl der Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltende Währungseinheit.
Lit.:
Grosjean, R., Was passiert mit unserem Geld?, 2003; Schön, G., Euro Mümzkatalog, 13. A. 2014; Die
Euro-Münzen, bearb. v. Sonntag, K., 11. A. 2012, 13. A. 2013
Europa ist
(die von Zeus in der Gestalt eines Stieres entführte Frau der griechischen
Mythologie und namensgleich) die tief gegliederte westliche Halbinsel Asiens
zwischen Atlantik und Ural (str., 10,5 Mill. qkm). In vielen Beziehungen
entwickelt sich E. seit dem Altertum verhältnismäßig übereinstimmend.
Insbesondere wird in zahlreichen Gebieten seit dem Mittelalter das römische
Recht des Altertums wieder aufgegriffen (→Rezeption). Auch Kirchenrecht,
Aufklärung und Vernunftrecht wirken vereinheitlichend. Im 19. Jh. wird E. zu
einem überlegenen Raum des Fortschritts, aus dem die im Nationalstaat
eingebundene Gesellschaft zum Zugriff auf die übrige Welt ausreichende Mittel
zur Verfügung stellt und zur kriegerischen Auseinandersetzung bereit ist. 1923
begründet der Schriftsteller Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi (Tokio
17. 11. 1894-Schruns 25. 7. 1972) eine Paneuropa-Bewegung (1947 Europäische
Parlamentarier Union, später Reorganisation der Paneuropa-Bewegung). Zu einer
festeren Ausbildung einheitlichen Rechtes kommt es jedoch erst seit den zur Vermeidung
weiterer Kriege (vor allem zwischen Frankreich und Deutschland geschaffenen)
Europäischen Gemeinschaften der zweiten Hälfte des 20. Jh.s (1951/1952/1957,
Europäische Union 1993, „Verfassung“ 2003/2004/2007/2008/2009).
Lit.: Coudenhove-Kalergi, R. Graf, Paneuropa
1923, 4. A. 1926; Dawson, C., The Making of Europe, 1932; Reynold, G. de,
L’Europe tragique, 1934; Reynold, G. de, La formation de l’Europe, 1942ff.;
Curtius, E., Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 1947, 5. A.
1965; Ritter, G., Europa und die deutsche Frage, 1948; Ritter, G., Die
Neugestaltung Europas im 16. Jahrhundert, 1950; Chabod, F., Storia dell’idea di
Europa, 1961; Foerster, R., Die Idee Europas 1300–1946, 1963; Koschaker, P.,
Europa und das römische Recht, 1947, 4. unv. A. 1966; Bosl, K., Frühformen der
Gesellschaft im mittelalterlichen Europa, 1964; Vanderlinden, J., Le concept de
code en Europe occidentale, 1967; Ständische Vertretungen in Europa im 17. und
18. Jahrhundert, hg. v. Gerhard, D., 1969; Bosl, K., Europa im Mittelalter,
1970; Wagner, W., Europa zwischen Aufbruch und Restauration, 2. A. 1972; Luig,
K., Zur Verbreitung des Naturrechts in Europa, TRG 40 (1972), 539; La
formazione storica del diritto moderno in Europa, Bd. 1ff. 1977; Craig, G.,
Geschichte Europas im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1f. 1978; Schoenberger, Der
gelbe Stern, 1978; Diritto Comune e diritti locali nella storia dell’Europa,
1980; Gerhard, D., Old Europe, 1981; Bleckmann, A., Europarecht, 6. A. 1997;
Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft in Europa, hg. v. Heyen, E.,
1982; Eichler, H., Verfassungsbewegungen in Amerika und Europa, 1985; Coing,
H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Ambrosius, G./Hubbard, W.,
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Europas im 20. Jahrhundert, 1986; Lansky, R.,
Bibliographisches Handbuch der Rechts- und Verwaltungswissenschaften, Bd. 1
Allgemeines und Europa, 1987; Republiken und Republikanismus im Europa der
frühen Neuzeit, hg. v. Königsberger, H., 1988; Verosta, S., Kollektivaktionen
der Mächte des europäischen Konzerts (1866-1914), 1988; Willoweit, D., Aufgaben
und Probleme einer europäischen Verfassungsgeschichtsschreibung, 1990; Towards
the United States of Europe, ed. by Ransome, P., 1991; Schulze, R., Die
europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, 1991; Propyläen Geschichte
Europas, Bd. 1ff. 1992f.; Hattenhauer, H., Europäische Rechtsgeschichte, 1992,
2. A. 1994, 3. A. 1999, 4. A. 2004; Le Goff, J., Das alte Europa, 1994;
Europaideen im 18. und 19. Jahrhundert in Frankreich und Zentraleuropa, hg. v.
Reinalter, H., 1994; Fontana, J., Europa im Spiegel, 1995; Europa im Blick der
Historiker, hg. v. Hudemann, R., 1995; Craig, G., Geschichte Europas, 1995;
Europa im Umbruch 1750-1850, hg. v. Albrecht, D. u. a. 1995; Brown, P., Die
Entstehung des christlichen Europa, 1996; Brandstetter, G., Chronologisches
Lexikon der europäischen Integration, 1996; Bartett, R., Die Geburt Europas,
1996; Davies, N., Europe, 1996; Europäische Geschichte als historisches
Problem, hg. v. Duchardt, H. u. a., 1997; Das europäische Geschichtsbuch, hg.
v. Delouche, F., 1998; Siedler, Geschichte Europas, Bd. 1ff. 1998ff.; Mieck,
I., Europäische Rechtsgeschichte der frühen Neuzeit, 1998; Möller, H., Europa
zwischen den Weltkriegen, 1998; Neumann, T., Die europäischen
Integrationsbestrebungen in der Zwischenkriegszeit, 1999; Die Entstehung des
modernen Europa, hg. v. Mörke, O. u. a., 1998; Schneider, R., Europas Einigung
und das Problem Deutschland, 1999; Salewski, M., Geschichte Europas, 2000;
Schümer, D., Das Gesicht Europas, 2000; Demel, W., Europäische Geschichte des
18. Jahrhunderts, 2000; Prinz, F., Von Konstantin zu Karl dem Großen, 2000;
Schmale, W., Geschichte Europas, 2000; Bade, K., Europa in Bewegung, 2000;
Schulz, G., Europa und der Globus - Staaten und Imperien seit dem Altertum,
2001; Vom Mittelmeer zum Atlantik, hg. v. Feldbauer, P. u. a., 2001; Segl, P.,
Byzanz. Das andere Europa, 2001; Zimmermann, R., Roman Law, Contemporary Law,
European Law, 2001; Seibt, F., Die Begründung Europas, 2002; Borgolte, M.,
Europa entdeckt seine Vielfalt, 2002; Fisch, J., Europa zwischen Wachstum und
Gleichheit 1850-1914, 2002; Bernecker, W., Europa zwischen den Weltkriegen
1914-1945, 2002; Seibt, F., Die Begründung Europas, 2002; Caenegem, R. van,
European law, 2002; Brunn, G., Die europäische Einigung, 2002; Mitterauer, M.,
Warum Europa? 2003; Vogler, G., Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500-1650,
2003; Duchhardt, H., Europa am Vorabend der Moderne 1650-1800, 2003; Reinhard,
W., Lebensformen Europas, 2004; Le Goff, J., Die Geburt Europas im Mittelalter,
2004; James, H., Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, 2004; Altrichter, H. u.
a., Geschichte Europas im 20. Jahrhundert, 2004; Kleines Europa-Lexikon, hg. v.
Gruner, W. u. a., 2004; Grabmayer, J., Europa im späten Mittelalter 1250-1500,
2004; Europa und seine Regionen. 2000 Jahre europäische Rechtsgeschichte, hg.
v. Bauer, A. u. a., 2004; Gruner, W./Woyke, W., Europa-Lexikon, 2004; Postel,
V., Die Ursprünge Europas, 2004; Reale, G., Kulturelle und geistige Wurzeln
Europas, 2004; Landwehr, A./Stockhorst, S., Einführung in die europäische
Kulturgeschichte, 2004; Etappen auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung,
hg. v. Hummer, W., 2004; Der europäische Konvent und sein Ergebnis. Eine
europäische Verfassung, hg. v. Busek, E. u. a., 2004; Eine Verfassung für
Europa, hg. v. Beckmann, K. u. a., 2004; Der Konvent zur Zukunft der
Europäischen Union, hg. v. Mantl, W. u. a., 2004; Ehlers, J., Das westliche
Europa, 2004; Weiler, J., Ein christliches Europa, 2004; Schuller, W., Das erste
Europa, 2004; Langewiesche, D., Europa zwischen Restauration und Revolution
1815-1849, 4. A. 2005; Blanning, T., Das alte Europa 1660-1789, 2005; Nolte,
H., Weltgeschichte, 2005; Conze, V., Das Europa der Deutschen, 2005; Petersen,
T., Europa – Eine Kulturgeschichte, 2006; Elvert, J., Die europäische
Integration, 2006; Borgolte, M., Christen, Juden, Muselmanen, 2006; Wyrwa, U.,
Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi, HZ 283 (2006), 102; Krüger, P., Das
unberechenbare Europa, 2006; Europa im späten Mittelalter, hg. v. Schwinges, R.
u. a., 2006; Gasteyger, C., Europa zwischen Spaltung und Einigung, 2006; Judt,
T., Geschichte Europas, 2006; Boshof, E., Europa im 12. Jahrhundert, 2007;
Chabert, G., L’idée européenne, 2007; Blickle, P., Das alte Europa, 2008;
Europa im Weltbild des Mittelalters. Kartographische Konzepte, hg. v.
Baumgärtner, I. u. a., 2008; Kohler, A., Expansion und Hegemonie, 2008; Darwin,
J., After Tamerlane, 2008; Gall, L., Europa auf dem Weg in die Moderne, 5. A.
2009; Liedtke, R., Geschichte Europas von 1800 bis zur Gegenwart, 2009;
Schorn-Schütte, L., Studienhandbuch frühe Neuzeit Europäische Geschichte
1500-1789, 2009; Schorn-Schütte, L., Konfessionskriege und europäische
Expansion, 2010; Dirlmeier, U. u. a., Europa im Spätmittelalter 1215-1378, 2. A.
2009; Schulz, M., Normen und Praxis, 2009; Winkler, H., Geschichte des Westens,
2009; Lundt, B., Europas Aufbruch in die Neuzeit 1500-1800, 2009; Doering-Manteuffel,
A., Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815-1871, 3. A. 2010;
Wesel, U., Geschichte des Rechts in Europa, 2010; How to (Re)Write European
History, hg. v. Rathkolb, O., 2010; Schorn-Schütte, L., Konfessionskriege und
europäische Expansion, 2010; Gehler, M., Europa, 2010; Schneidmüller, Bernd,
Grenzerfahrung und monarchische Ordnung - Europa 1200-1500, 2011; Wirsching,
A., Der Preis der Freiheit, 2012; Prettenthaler-Ziegerhofer, A., Europäische
Integrationsrechtsgeschichte, 3. A. 2012; Neue Wege in ein neues Europa, hg. v.
Koopmann, M. u. a., 2012; Fuhrer, A. u. a., Eine Freundschaft für Europa, 2013;
Fenske, H., Der Anfang vom Ende des alten Europa, 2013; Europäische Einigung im
19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Lappenküper, U. u. a., 2013;
Prettenthaler-Ziegerhofer, A., Verfassungsgeschichte Europas, 2013;
Langewieschew, D., Das Jahrhundert Europas, HZ 296 (2013), 29
Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) ist die (nach Scheitern einer europäischen
politischen Gemeinschaft und einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft an
der Ablehnung durch die Nationalversammlung Frankreichs 1954) am 25. 3. 1957
zwecks gegenseitiger Kontrolle geschaffene Gemeinschaft europäischer Staaten
(zunächst Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Luxemburg) in
Angelegenheiten der Kernspaltung. →Europäische Gemeinschaft
Lit.: Schweitzer, M./Hummer, W., Europarecht, 5. A. 1996;
Blockmans, W., Geschichte der Macht in Europa, 1998
Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) (oder Europäische Freihandelszone) ist der am 4.
1. 1960 in Stockholm gegründete Zusammenschluss siebener europäischer Staaten
(Großbritannien, Irland, Dänemark [alle bis 1973], Portugal [bis 1985],
Finnland [1961/1986], Schweden, Österreich [alle bis 1994], Schweiz, Island
(1970), Norwegen, Liechtenstein [1991]). Die Bedeutung der Europäischen
Freihandelsassoziation ist infolge des Eintritts der wichtigsten Mitglieder in
die →Europäische(n) Gemeinschaft(en) bzw. Europäische Union und der
Gründung eines europäischen Wirtschaftsraums (1994, Liechtenstein 1. 5. 1995) gering.
Europäische Gemeinschaft ist die 1993 (Vertrag von Maastricht 7. 2. 1992) durch
Umbenennung aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entstehende europäische
Gemeinschaft.
Lit.: Köbler, DRG 246, 248; Geiger, R., EG-Vertrag, 2. A.
1995
Europäische Gemeinschaft(en) sind die Europäische Atomgemeinschaft (25. 3. 1957), die
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (18. 4. 1951-2002) und die
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (25. 3. 1957) mit jeweils eigener
Rechtspersönlichkeit. Sie haben seit dem Abkommen über gemeinsame Organe der
Europäischen Gemeinschaften vom 25. 3. 1957 ein gemeinsames Parlament und einen
gemeinsamen Gerichtshof, und seit dem sie zu den Europäischen Gemeinschaften
zusammenschließenden Fusionsvertrag (8. 4. 1965 unterzeichnet, 1. 1.1967 in
Kraft getreten) eine gemeinsame Kommission, einen gemeinsamen Rat und einen
gemeinsamen Rechnungshof. 1973 werden die europäischen Gemeinschaften um
Dänemark, Großbritannien und Irland erweitert (Norderweiterung), 1981 um Griechenland,
1986 um Portugal und Spanien (Süderweiterung). Zum 7. 2. 1992 (Vertrag von
Maastricht/Niederlande) werden sie zur →Europäischen Gemeinschaft
zusammengeschlossen, die 1993 in Europäische Union umbenannt wird (am 1. 11.
1993 in Kraft getretener Vertrag [von Maastricht] über die europäische Union). Mit
Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. 12. 2009 ist die Europäische
Union Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft.
Lit.: Schweitzer, M./Hummer, W., Europarecht, 5. A. 1996;
Rothacher, A., Diue Kommissare, 2012
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist die auf der Grundlage eines Plans Robert Schumans als
Außenminister Frankreichs vom 9. 5. 1950 am 18. 4. 1951 zwecks Kontrolle der
deutschen Rüstungsindustrie zwischen der Bundesrepublik Deutschland,
Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg unter Übertragung
einzelstaatlicher Hoheitsrechte für die Montanindustrie (Kohle, Eisenerz)
vereinbarte und später um zusätzliche Mitglieder erweiterte internationale
Gemeinschaft (Montanunion mit hoher Behörde, Rat, Versammlung und
Gerichtshof). In ihrem Rahmen wird auf der Konferenz von Messina am 1./2. 6.
1955 die Einsetzung von Arbeitsgruppen zur Bildung weiterer europäischer
Gemeinschaften beschlossen, deren Tätigkeit die Grundlage für die römischen
Verträge vom 25. 3. 1957 über die europäische Atomgemeinschaft und die europäische
Wirtschaftsgemeinschaft bildet. Der am 23. Juli 2002 ausgelaufene Vertrag über
die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist nicht erneuert und der
Kohle- und Stahlsektor dem Vertrag über die Gründung der Europäischen
Gemeinschaft unterstellt.
Lit.: Schweitzer, M./Hummer, W., Europarecht, 5. A. 1996
Europäische Konvention
zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist der auf der Grundlage der
Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen vom 10. 12. 1948 vom →Europarat
1950 ausgearbeitete, in Rom am 4. 11. 1950 von 13 Staaten (Belgien, Dänemark,
Deutschland, Frankreich, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande,
Norwegen, Türkei und Großbritannien) unterzeichnete, 1952 von der Bundesrepublik
Deutschland als Gesetz angenommene, am 3. 9. 1953 allgemein in Kraft getretene,
1957 von Österreich mit Verfassungsrang und inzwischen von allen Staaten
Europas anerkannte völkerrechtliche, um (14) Zusatzprotokolle ergänzte Vertrag,
der in allen der Herrschaft der angeschlossenen Staaten unterstehenden Ländern
die grundlegenden menschlichen Freiheiten sichern will. Dazu sind (bis 1998) eine
Europäische Kommission für Menschenrechte und ein Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte mit Sitz in Straßburg gebildet.
Lit.: Seidel, P., Der Rang der Europäischen Menschenrechtskonvention
in den Mitgliedstaaten, DVBll. 1975, 747; Frowein, J./Peukert, W., Europäische
Menschenrechtskonvention, 2. A. 1997; Grabenwarter, C., Europäische
Menschrechtskonvention, 3. A. 2008
Europäischer Gerichtshof in Luxemburg ist der gemeinsame Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften bzw. →Europäischen Union, der die einheitliche Anwendung,
Auslegung und Fortbildung des Europäischen Unionsrechts sichern soll.
Lit.: Kenke, U., Der Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften, 1989; Drewes, E., Entstehung und Entwicklung des Rechtsschutzes
vor den Gerichten der Europäischen Gemeinschaften, 2000; Davies, B., Resisting
the European Court of Justice, 2012
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte ist das gemäß der →Europäischen Konvention zum
Schutz der Menschenrechte in Straßburg errichtete Gericht, das über die
Einhaltung der in der Konvention gewährleisteten Menschenrechte wacht und von
den Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kommission für Menschenrechte (, an
die sich Bürger wenden müssen,) mit einem Fall befasst werden kann. 1998 wird
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als ständiger Gerichtshof neu
geordnet.
Lit.: Polakiewicz, J., Die Verpflichtungen der Staaten aus
den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 1994; Haß, S.,
Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 2006
Europäischer Rat ist
das aus den Ministerpräsidenten der Mitgliedstaaten der →Europäischen
Union gebildete, die Richtlinien der Politik der Europäischen Union bestimmende
Organ.
Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) ist der in Verhandlungen zwischen der →Europäischen
Gemeinschaft und den Staaten der Europäischen Freihandelszone vereinbarte,
1994 mit Österreich, Schweden, Finnland (bis 31. 12. 1994), Norwegen und Island
in Kraft getretene einheitliche europäische Wirtschaftsraum, dem die Staaten
der Europäischen Union und Island, Norwegen und Liechtenstein angehören.
Lit.: Streit, A., Das Abkommen über den Europäischen
Wirtschaftsraum, NJW 1994, 555
Europäisches Gemeinschaftsrecht ist das besondere, zwischen Völkerrecht und staatlichem
Recht angesiedelte Recht der Europäischen Gemeinschaft(en) bzw. der
Europäischen Union. Es setzt sich zusammen aus dem zur Bildung der Europäischen
Gemeinschaften geschaffenen Vertragsrecht (primäres E. G.) und dem von den
Organen der Europäischen Gemeinschaften erlassenen Recht (sekundäres E. G.).
Das Europäische Gemeinschaftsrecht gilt zum Teil unmittelbar in den einzelnen
Mitgliedstaaten und hat dann Vorrang vor dem Recht des einzelnen Staates. Nicht
E. G. ist das nationale, auf Grund gemeinsamen Beschlusses der Mitgliedstaaten
geschaffene Recht.
Lit.: Nicolaysen, G., Europäisches Gemeinschaftsrecht,
1979; Schweitzer, M./Hummer, W., Europarecht, 5. A. 1996
Europäisches Parlament
(Versammlung) in Straßburg ist das gemeinsame parlamentarische Hauptorgan der →Europäischen
Gemeinschaften bzw. Europäischen Union.
Lit.: Thöne-Wille, E., Die Parlamente der EG, 1984
Europäisches Recht
ist das in →Europa geltende Recht. Ein in ganz Europa einheitlich
geltendes Recht gibt es bis zur Gegenwart nicht. Vielmehr gilt im Altertum
selbst das römische Recht nur innerhalb des römischen Weltreichs. Im
Frühmittelalter stehen zahlreiche Rechte einzelner Völker, im Hochmittelalter
und im Spätmittelalter viele territoriale Landrechte und Stadtrechte nebeneinander.
Mit der Aufnahme des römischen Rechtes in andere Rechte kommt es zwar ebenso zu
einer gewissen Europäisierung wie mit der Anwendung des einheitlichen
kirchlichen Rechtes im christianisierten Europa, doch gelten beide gelehrten
Rechte grundsätzlich nur subsidiär zu partikularen Rechten. Deren Geltungsgebiet
erweitert sich mit der Bildung der europäischen Nationalstaaten. In sie finden
zunehmend allgemeine Reformgedanken Eingang. Daneben wird e. R. erst im Rahmen
der →Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union in größerem
Ausmaß (für große Gebiete Europas einheitlich) geschaffen. →Europarecht,
Europäisches Gemeinschaftsrecht
Lit.: Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.;
Kropholler, J., Europäisches Zivilprozessrecht, 1985, 7. A. 2002, 8. A. 2005;
Schwarze, J., Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. 1 1988; Vers un droit privé
commun? – Skizzen zum gemeineuropäischen Privatrecht, 1994; Europas universale
rechtsordnungspolitische Aufgabe im Recht des dritten Jahrtausends, hg. v.
Köbler, G. u. a., 2000; Jansen, N., Binnenmarkt, Privatrecht und europäische
Identität, 2003; The need for a European contract law, hg. v. Smits, J., 2005;
Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich, hg. v. König, B. u. a., 2007;
Metzger, A., Extra legem - intra ius, 2009
Europäisches Währungssystem ist das auf einer Entschließung des Rates der →Europäischen
Gemeinschaften beruhende Währungssystem mit dem seinerzeitigen Ziel, bis zum
Jahre 1999/2002 zu einer stabilen Währungszone in Europa zu gelangen
(Währungseinheit Euro).
Lit.: Scharrer, H./Wessels, W., Das Europäische
Währungssystem, 1983
Europäische Union
ist die durch den Vertrag von Maastricht/Niederlande am 7. 2. 1992 gegründete,
zum 1. 11. 1993 unter Ergänzung um die Politikbereiche gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik und Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres aus der
Europäischen Gemeinschaft bzw. den Europäischen Gemeinschaften entwickelte Verbindung
(Staatenverbund) der europäischen Staaten Deutschland, Frankreich, Italien,
Niederlande, Belgien, Luxemburg (1951), Großbritannien (1973), Irland,
Dänemark, Griechenland, Spanien und Portugal, zu denen zum 1. 1. 1995
Österreich, Schweden und Finnland stoßen. Ihre (in der Form der Organleihe
wirkenden [str.]) Organe sind Rat, Kommission, Versammlung und europäischer
Gerichtshof. Zum 1. 5. 2004 wird die E. U. um Estland, Lettland, Litauen,
Polen, Slowakei, Tschechische Republik, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern
(Südzypern), zum 1. 1. 2007 um Rumänien und Bulgarien erweitert. Außerdem
äußern die Türkei, Kroatien, Serbien, Albanien, Russland und andere Staaten
einen Wunsch nach Mitgliedschaft. Die Staatsbürger der Mitgliedstaaten der
europäischen Union (Unionsbürger 1993) dürfen sich der Freiheiten der
Europäischen Union bedienen und sind im Wohnsitzstaat kommunalwahlberechtigt.
Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. 12. 2009 ist die Europäische
Union Rechtsnachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft.
Lit.: Sachwörterbuch zur Europäischen Union, hg. v. Monar,
J. u. a., 1993; Kommentar zur Europäischen Union, hg. v. Grabitz, E. u. a., 2.
A. 1994; Brandstetter, G., Chronologisches Lexikon der europäischen
Integration, 1996; Dedman, M., The origins and development, 1996; Pfeil, W., Historische
Vorbilder und Entwicklung des Rechtsbegriffs der „Vier Grundfreiheiten“, 1998;
Die Europäische Union als Prozess, hg. v. Hrbek, R. u. a., 1998; Die
Europäische Union als Akteur der Weltpolitik, hg. v. Schubert, K. u. a., 2000;
Der Europäische Konvent und sein Ergebnis, hg. v. Busek, E. u. a., 2004; Butschek, F., Vom Staatsvertrag zur EU,
2004; Dinan, D., Europe Recast, 2004; Schönberger, C., Unionsbürger,
2006; Thurner, P., Die graduelle Konstitutionalisierung der Europäischen Union,
2006; Kristoferitsch, H., Vom Staatenbund zum Bundesstaat?, 2007; Vom
gemeinsamen Markt zur Europäischen Unionsbildung, hg. v. Gehler, M., 2007;
Fünfzig Jahre römische Verträge, hg. v. Schulze, R. u. a., 2008; Thiemeyer, G.,
Europäische Integration, 2009; Weidenfeld, W., Die Europäische Union, 2010;
Callies, C., Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010;
Mangold, A., Gemeinschaftsrecht und deutsches Recht, 2011; Marschner, S., Die
Geschichte und Entwicklung der Europäischen Union, 2011; Grüner, C., Quantität
und Qualität der europäischen Rechtsetzung, 2011
Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist die durch Gründungsvertrag am 27. 5. 1952 beschlossene, auch die
Schaffung einer europäischen politischen Gemeinschaft vorsehende, am 30. 8.
1954 an der Ablehnung durch die Nationalversammlung Frankreichs gescheiterte Verteidigungsgemeinschaft
Deutschlands, Frankreichs, Italiens, der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs
mit europäischer Gemeinschaftsarmee), deren Zielsetzung am 23. 10. 1954 in der
Westeuropäischen Union fortgeführt wird.
Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung ist die durch Verordnung des Rates der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. 7. 1985 zur Verfügung gestellte Unternehmensform.
Sie beruht auf dem in Frankreich am 23. 9. 1967 als neue Gesellschaftsform
geschaffenen Groupement d’Intérêt Economique.
Lit.: Bott, R./Rosener, W., Das Groupement d´Intérêt
Economique, NJW 1970, 364; Hatzig, C., Die Europäische Wirtschaftliche
Interessenvereinigung, 1990
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist die am 25. 3. 1957 zwischen Deutschland, Frankreich,
Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg vereinbarte und später auf weitere
Mitglieder ausgedehnte, eine allgemeine wirtschaftliche Untegration durch
Herstellung eines gemeinsamen Marktes anstrebende europäische Gemeinschaft in
Wirtschaftsangelegenheiten. Sie ist eine der →Europäischen
Gemeinschaften. Nach Erweiterung ihrer Politiken (Aufgaben) durch die
einheitliche Europäische Akte (1986) und den Vertrag von Maastricht (1992) wird
sie in Europäische Gemeinschaft umbenannt.
Lit.: Kommentar zum EWG-Vertrag, hg. v. Grabitz, E., 1989;
Thiemeyer, G., Vom „Pool Vert“ zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1999; Pitzer,
F., Interessen im Wettbewerb, 2009; Patel, K., Europäisierung wider Willen,
2009; Ebert, V. u. a., Europa ohne Fahrplan?, 2010
Europarat (Sitz in Straßburg) ist der am 5. 5. 1949 in London von 10
Staaten (Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg,
Niederlande, Norwegen, Schweden, Vereinigtes Königreich von Großbritannien)
errichtete völkerrechtliche Zusammenschluss zunächst westeuropäischer, seit
1990 zunehmend auch osteuropäischer Länder (1999 41 Mitglieder, als erste
Kaukasusrepublik wird Georgien am 27. 4. 1999 41. Mitgliedsland des Europarates,
2007 47 Mitglieder) mit dem Ziel, eine engere allgemeine und wirtschaftliche
Verbindung der Mitgliedstaaten herzustellen. Die Organe sind das
Ministerkomitee (der Außenminister), die beratende Versammlung (von Vertretern
der Parlamente der Mitgliedstaaten) und das Ständige Sekretariat. Sie wirken
hauptsächlich durch Empfehlungen und Konventionen. Auf den E. gehen die →Europäische
Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der →Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte zurück.
Lit.: Carstens, K., Das Recht des Europarates, 1956;
Österreich im Europarat 1956-1986, hg. v. Hummer, W. u. a., 1988; Council of
Europe, hg. v. Streinz, R., 2000; Winkler, G., Der Europarat und die
Verfassungsautonomie seiner Mitgliedstaaten, 2005; Österreich im Europarat 1956-2006, hg. v. Hummer, W., 2008
Europarecht ist
das gesamte, eine europäische Organisation betreffende Recht. Dementsprechend
wird zum E. im weiteren Sinn insbesondere das Recht des Nordatlantikpakts
(NATO), der Westeuropäischen Union (WEU), der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), des →Europarats, der Europäischen
Freihandelsassoziation (EFTA) und das →europäische Gemeinschaftsrecht
gezählt. Im engeren Sinn ist E. nur das europäische Gemeinschaftsrecht
(Unionsrecht).
Lit.: Bleckmann, A., Europarecht, 6. A. 1997; Streinz, R.,
Europarecht, 1994; Arndt, U., Europarecht, 1994; Schweitzer, M./Hummer, W.,
Europarecht, 5. A. 1996; Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht
und nationalem Recht der Mitgliedstaaten, hg. v. Hummer, W., 2010; Schwarze,
J., Das Verhältnis von nationalem Recht und Europarecht im Wandel der Zeit, Bd.
1f. 2012f.
Euthanasie ist
die bereits dem griechisch-römischen Altertum bekannte Sterbehilfe durch
Arzneimittel. Sie wird insbesondere im Dritten Reich planmäßig für
gesellschaftspolitische Ziele verwendet (Euthanasiebefehl Adolf Hitlers von
Ende Oktober 1939 mit [bis 24. 8. 1941] rund 100000 vergasten oder verhungerten
Menschen „lebensunwerten Lebens“).
Lit.: Nowak, K., Euthanasie und Sterilisierung im Dritten
Reich, 2. A. 1980; Klee, E., „Euthanasie“ im NS-Staat, 1983; Schmuhl, H.,
Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 1987; Rainer, J., Zur
Euthanasie, (in) Ethik und Recht, 1993, 19; NS-„Euthanasie“ vor Gericht, hg. v.
Loewy, H. u. a., 1996; Bieber, E., Der Euthanasiebefehl Hitlers, 1996; Brass,
C., Zwangssterilisation und „Euthanasie“ im Saarland 1935-1945, 2004; Die
Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, hg. v. Riha, O., 2005; Die
nationalsozialistische „Euthanasie“-Aktion „T4“, hg. v. Rotzoll, M. u. a., 2010;
Hammon, K., Karl Binding, Alfred E. Hoche, 2011
evangelisch (Adj.) die Evangelien betreffend, protestantisch, lutherisch
Evangelisches Kirchenrecht ist das Recht der seit 1517 entstandenen evangelischen
bzw. protestantischen Kirchen. Es baut auf dem →kanonischen Recht auf. Es
unterscheidet sich aber von diesem durch zahlreiche eigenständige
Entwicklungen.
Lit.: Hinschius, P., Das Kirchenrecht der Katholiken und
Protestanten, Bd. 1ff. 1869ff., Neudruck 1959; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A.
1983
Eventualmaxime ist der Verfahrensgrundsatz, wonach eine Partei eines
Zivilprozesses zur Vermeidung des Ausschlusses ihres gesamten Vortrags diesen
einschließlich aller (denkbaren) Möglichkeiten bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt in den Prozess einzubringen hat. Durch die Notwendigkeit des
gleichzeitigen Vorbringens aller Klagetatsachen soll das Verfahren
beschleunigt werden. Die E. gehört dem frühneuzeitlichen sächsischen Prozess
an, wird aber vom französischen Prozess des beginnenden 19. Jh.s abgelehnt.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 155, 201; Döhring, E.,
Geschichte der deutschen Rechtspflege, 1953; Damrau, J., Die Entwicklung
einzelner Prozessmaximen, 1975; Schulte, J., Die Entwicklung der
Eventualmaxime, 1980
Evers,
Johann Gustav (1781-1830), Professor für Rechtsgeschichte in Dorpat, stellt
unter dem Einfluss Hegels 1826 in dem Werk „Das älteste Recht der Russen“ die
Entwicklung des Rechtes in Russland vom patriarchalischen Zustand der
bürgerlichen Gesellschaft bis zum Territorialstaat der Neuzeit dar.
Lit.: Grothusen, K., Die historische Rechtsschule
Russlands, 1961
Eviktion (→Entwerung)
ist die Wiedererlangung des Besitzes einer verkauften Sache durch den Berechtigten
bzw. der Entzug des Besitzes auf Seiten eines Käufers. Im klassischen römischen
Recht kann der Käufer einer dem Verkäufer nicht gehörigen (beweglichen) Sache
gegen den Verkäufer grundsätzlich Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur verlangen
kann (lat. [F.] actio auctoritatis), wenn die Sache dem Käufer auf Grund eines
dinglichen Rechtes im Rechtsstreit entzogen wird. Diese Gestaltung ist in das
deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (1900) aufgenommen.
Lit.: Kaser § 41 III 1; Söllner §§ 8, 9, 15; Kroeschell,
DRG 2; Köbler, DRG 46; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, 452
Evokationsrecht (lat. ius [N.] evocandi, zu lat. evocatio [F.] Amtsladung)
ist im mittelalterlichen und neuzeitlichen deutschen Recht die Befugnis des
Königs, jeden noch nicht entschiedenen Rechtsstreit vor sein Hofgericht zu
ziehen. Seit dem 13. Jh. streben die Landesherren nach einem (lat.) privilegium
(N.) de non evocando. Dieses wird 1356 den Kurfürsten allgemein erteilt. In der
Folge verlagert sich die Gerichtsbarkeit auf die Länder, 1487 wird das E. des
Königs beseitigt.
Lit.: Kaser § 87; Köbler, DRG 114; Eisenhardt, U., Die
Rechtswirkung der in der Goldenen Bulle genannten privilegia de non evocando et
appellando, ZRG GA 86 (1969), 97
Ewa (F.)
ist die althochdeutsche Bezeichnung (8. Jh.) für das (objektive) Recht (lat.
[F.] lex). Die Etymologie des nur westgermanisch (ahd., mhd., as., afries.,
ae.) verbreiteten Wortes ist streitig (zu aind. éva, Lauf, Gang, Gewohnheit, zu
lat. aevum, Ewigkeit, zu lat. aequum, Billigkeit, zu lat. ius?). Der Bezug zum
religiösen Kult könnte unter dem Einfluss des Christentums entstanden sein
(altiu ewa, lat. testamentum vetus). Im 13. Jh. engt e. seine Bedeutung auf
(rechtmäßige) →Ehe ein.
Lit.: Köbler, DRG 80; Köbler, WAS; Weisweiler, J.,
Bedeutungsgeschichte, Linguistik und Philologie, (in) Stand und Aufgaben der
Sprachwissenschaft, 1924, 419; Köbler, G., Das Recht im frühen Mittelalter,
1971; Seebold, E., Etymologie, 1981, 89; Schmidt-Wiegand, R., Recht und ewa,
(in) Althochdeutsch, hg. v. Bergmann, R. u. a., 1987, 937
Ewa Chamavorum
ist das Volksrecht (lat. [F.] lex) des fränkischen Teilstamms der an der
Zuidersee siedelnden Chamaven (Ewa quae se ad Amorem habet). Es ist in zwei
Handschriften überliefert und in 48 knappe Kapitel gegliedert. Vielleicht wird
es 802/803 in Aachen durch einen Königsboten erfragt.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 80; Buchner, R., Die
Rechtsquellen, 1953
Ewiger Landfriede
ist der am 7. 8. 1495 in Worms von König Maximilian mit Rat der Reichstände auf
der Grundlage von Landfrieden von 1486, 1474, 1471 und 1442 (sowie [1356 und]
1235) erlassene, dauerhafte Geltung beanspruchende und deswegen zwar nicht im
Text, aber doch von den Zeitgenossen als ewig bezeichnete und tatsächlich bis
1806 geltende →Landfriede des Heiligen römischen Reiches. Er hebt das
Fehderecht zugunsten der gerichtlichen Entscheidung jedes Rechtsstreits auf
(Fehdeverbot unter Androhung der Reichsacht). Zugleich drängen damit die Stände
den König in der Friedenswahrung zurück.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Angermeier, H., Königtum und
Landfriede im deutschen Spätmittelalter, 1966; Willoweit, D., Deutsche
Verfassungsgeschichte, 5. A. 2005, § 15 II 4; 1495, 1995, 71ff.; Landfriede,
hg. v. Buschmann, A. u. a., 2002; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/EwigerLandfriede1495.htm
Ewigrente ist
im spätmittelalterlichen deutschen Recht die auf Dauer vereinbarte →Rente.
Lit.: Hübner
Ewigsatzung ist
im spätmittelalterlichen deutschen Recht die auf Dauer gedachte →Satzung
eines →Pfandes.
Lit.: Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsches Privatrecht, 9.
A. 1981
exactio (lat.
[F.]) Eintreiben (von Forderungen)
Exceptio (lat.
[F.] Ausnahme) ist die Einrede (als Verteidigung eines Beklagten gegen einen
Klaganspruch [stricti iuris, strengen Rechtes]). Sie ist im römischen Recht
ursprünglich die dem Beklagten günstige Ausnahme von den Bedingungen, unter
denen er dem Klaganspruch (lat. [F.] →actio) zufolge zu verurteilen wäre.
Aus dieser verteidigenden Einrichtung des Verfahrensrechts, die auf Antrag des
Beklagten in die Klagformel eingefügt wird (z. B. lat. exceptio doli, exceptio
pacti), entwickelt sich allmählich ein selbständiges Recht des Beklagten, das
Begehren des Klägers zu verweigern. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes im
Heiligen römischen Reich im Spätmittelalter wird die e. aufgenommen (z. B. 1721
mehr als 150 exceptiones unterschieden). Im Laufe des 19. Jh.s wird die e.
durch Einrede und Einwendung ersetzt.
Lit.: Kaser §§ 4, 80; Söllner § 9; Köbler, DRG 33f.;
Köbler, LAW; Wetzell, G., System des ordentlichen Zivilprozesses, 18761, 3. A.
1878; Schlosser, H., Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971; Dick, B., Die
Entwicklung des Kameralprozesses, 1981; Litewski, W., Der römisch-kanonische
Zivilprozess, 1999
Exceptio (F.) doli
(lat.) ist die Einrede der Arglist. Sie gilt im römischen Recht (bei den [lat.,
N.Pl.] iudicia stricti iuris) grundsätzlich nur bei besonderer Aufnahme in die
Klagformel des Prätors auf Verlangen des Beklagten, bei den sog. →bonae-fidei-iudicia
aber auch ohne diese. Sie kann auf die Vergangenheit oder die Gegenwart bezogen
sein.
Lit.: Kaser §§ 4, 8, 9, 22, 26, 27, 33, 36, 37, 40, 53, 62,
65, 83; Söllner § 9; Köbler, DRG 42, 43, 45; Haferkamp, H., Die exceptio doli
generalis in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, (in) Das Bürgerliche
Gesetzbuch und seine Richter, 2000, 1
Exceptio (F.) iusti dominii (lat.) ist im römischen
Recht die Einrede des quiritischen
Eigentümers gegenüber der (lat.) actio (F.) Publiciana des Ersitzungsbesitzers.
Exceptio (F.) non adimpleti contractus (lat.) ist im römischen Recht (bei Kauf, Miete und
Gesellschaft) die Einrede der Nichterfüllung.
Lit.: Kaser § 38
Exceptio (F.) non numeratae pecuniae (lat.) ist im römischen Recht die Einrede des nichtgezahlten
Entgelts.
Lit.: Kaser §§ 40, 53; Litewski, W., Non numerata pecunia,
SDHI 60 (1994)
Exceptio (F.) rei sibi (ante bzw. quoque) pigneratae
(lat.) ist im römischen Recht bei einer
Mehrfachverpfändung die Einrede eines vorrangigen oder besitzenden Pfandgläubigers
gegen eine (lat.) actio (F.) Serviana eines nachrangigen oder anderen
Pfandgläubigers.
Exceptio (F.) rei venditae et traditae (lat.) ist im römischen Recht die dem Käufer (einer nicht
durch [lat.] mancipatio, sondern nur durch [lat.] traditio übertragenenen res
mancipi als bloßem bonitarischem Eigentümer) seit Einführung des
Formularverfahrens vom Prätor gegenüber dem herausverlangenden Verkäufer und
quiritischen Eigentümer gewährte Einrede der verkauften und übergebenen
Kaufsache.
Lit.: Kaser §§ 22, 27
Exegese (F.)
ist die Auslegung eines Textes (z. B. Digestenexegese, Sachsenspiegelexegese,
Bibelexegese). Sie ist notwendiger Bestandteil jeder wissenschaftlichen juristischen
Tätigkeit. Als eigene Lehrveranstaltung tritt die E. im ausgehenden 20. Jh.
zurück.
Lit.: Köbler, DRG 11; Lubac, H. de, Exégèse médievale,
1959ff.; Schlosser, H./Sturm, F./Weber, H., Die rechtsgeschichtliche Exegese,
2. A. 1993; Hattenhauer, H., Die deutschrechtliche Exegese, 1975; Waßmer,
M./Wittemann, F., Die verfassungsgeschichtliche Exegese, 1999
exegetisch (auslegend) z. B. exegetische, eng an das Gesetz gebundene und dessen Fortbildung
grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassende Schule zur Anwendung des
Privatrechts nach gesetzlich [§§ 6, 7 ABGB] festgelegten Regeln in Österreich
ab 1812 (tatsächlich Rechtsfortbildung z. B. durch verschämte
Verwaltungsgemeinschaft und Gütergemeinschaft auf den Todesfall)
Exekutor, M., Vollstrecker
Lit.:
Hitzbleck, K., Exekutoren, 2010
Exemption (F.) Herausnahme, Ausnahme (z. B. aus der
Herrschaft eines kirchlichen Oberen, aus einer Gerichtszuständigkeit oder aus
der Geltung des Rechtes eines Staates zu Gunsten von Geschäftsträgern eines
anderen Staates)
Exercitalis (lat. [M.]) Heermann, Arimanne
Lit.: Jarnut, J.,
Beobachtungen zu den langobardischen arimanni und exercitales, ZRG GA 88
(1971), 1
exercitor (lat. [M.]) Reeder
Exekution (F.)
→Vollstreckung, →Zwangsvollstreckung
Lit.: Mally, A., Der österreichische Kreis in der
Exekutionsordnung des römisch-deutschen Reiches, 1967
Exekutive ist
die ausführende Gewalt. Sie wird als solche von den Vertretern der Lehre von
der →Gewaltentrennung (→Locke 1680, →Montesquieu 1748) von
der Legislative (und der Judikative) getrennt.
Lit.: Köbler, DRG 190, 191
Exil ist seit dem Altertum das (freiwillige oder
zwangsweise) Ausscheiden eines oder mehrerer Menschen aus einem Staat. Seit dem
19. Jh. können im E. auch Regierungen beibehalten oder geschaffen werden.
Lit.: Die 48er, hg. v. Freitag,
S., 1998; Auswanderung, Flucht, Vertreibung, Exil im 19. und 20. Jh., hg. v.
Haus der Geschichte Baden-Württemberg, 2003; Exile in the Middle Ages, hg. v.
Napran, L. u. a., 2007; Stini, F., Plenum exiliis mare, 2011; Exilerfahrung und Konstruktionen von Identität 1933 bis
1945, hg. v. Mittelmann, H. u. a., 2013
Exklave ist das Teilgebiet eines Staates (aus
dessen Sicht), das von seinem übrigen Gebiet getrennt und vollständig vom
Staatsgebiet anderer Staaten eingeschlossen ist (z. B. deutsche Exklave
Büsingen in der Schweiz, Russlands Gebiet um Königsberg). S. Enklave.
Exkommunikation ist im (katholischen) Kirchenrecht ursprünglich der
strafweise Ausschluss eines Mitglieds aus der Gemeinschaft der Gläubigen. Seit
der Wende zum 5. Jh. wird die E. auf den Entzug der mit der Mitgliedschaft
verbundenen Rechte (ohne Entbindung von den Pflichten) eingeschränkt. Die
Dekretisten entwickeln im Hochmittelalter ein differenziertes Regelwerk für die
E. Wegen der starken Ausweitung verliert die E., abgesehen vom klerikalen
Bereich, später ihre Bedeutung. In der Gegenwart kann die Mitgliedschaft in der
katholischen Kirche nicht mehr verloren werden.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 56; Morel, M.,
L’Excommunication, 1926; Hyland, F., Excommunicatio, 1928; Siuts, H., Bann und
Acht, 1959; Elsener, F., Die Exkommunikation als prozessuales
Vollstreckungsmittel, FS E. Kern, 1968, 69; Logan, F., Excommunication, 1968;
Weigand, R., Zur Exkommunikation bei den Glossatoren, ZRG KA 56 (1970), 396;
Vodola, E., Excommunication, 1986; Murray, A., Excommunication, 1991; Pauler,
R., Dum esset catholicus – Zur Frage der Gültigkeit von Regierungshandlungen
exkommunizierter und abgesetzter Kaiser, ZRG GA 112 (1995), 344; Helmholtz,
R., The Spirit of the Classical Canon Law, 1996; Magnúsardottir, L.,
Bannfoering og Kirkjuvald, 2007
Exlibris (lat. ex libris, aus den Büchern)
ist das seit Erfindung des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des 15. Jh.s zur
Bezeichnung des Eigentümers des einzelnen Buches auf die Innenseite des
vorderen Buchdeckels geklebte Blatt.
Lit.:
Kretz, H., Exlibris für Juristen, 2003
Ex nihilo nihil (lat.). Aus nichts wird nichts.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Anaxagoras, um 500-428 v. Chr.)
Extrajudizialappellation ist die bereits dem
römischen Recht bekannte Appellation außerhalb gerichtlicher Endurteile. Sie
ist in Lübeck 1296 bezeugt. Sie wird durch den Reichsabschied von 1594 für den
Prozess des Reichskammergerichts in engen Grenzen eröffnet. Seit dem Ende des
18. Jh.s wird sie eingeengt und durch die Reichsjustizgesetze des deutschen
Reiches von 1877/1879 beseitigt.
Lit.: Wetzell, G., System des
ordentlichen Zivilprozeses, 1861, 3. A. 1878, 768ff.; Budischin, H., Der
gelehrte Zivilprozess, 1974; Weitzel, J., Der Kampf um die Appellation ans
Reichskammergericht, 1976; Seeger, T., Die Extrajudizialappellation, 1992;
Oestmann, P., Hexenprozesse am Reichskammergericht, 1997
Extranei heredes
(lat. [M.Pl.], Sg. extraneus heres) sind im römischen Recht die im Gegensatz zu
den (lat. [M.Pl.]) →sui heredes (Hauserben) stehenden Außenerben
(Agnaten, Gentilen).
Lit.: Kaser §§ 66, 71
Extraordinaria cognitio
(lat. [F.]) ist im römischen Recht das seit Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.)
das ältere zweigeteilte Verfahren vor Magistrat und ehrenamtlichem Richter
ablösende einheitliche →Kognitionsverfahren eines einzigen öffentlichen
Amtsträgers.
Lit.: Kaser §§ 80, 87; Söllner §§ 14,
15, 16, 18
Extravagantes (lat. [M. Pl.] Herumschweifende)
ist die Bezeichnung für die 20 (bereits
1325 in einer privaten Sammlung zusammengestellten) Dekretalen Papst
Johannes’ XXII. (1314ff., Extravagantes Johannis XXII.) und die 70 eher
zufällig ausgewählten Dekretalen der Päpste Bonifaz’ VIII. (1294-1303) bis
Sixtus’ IV. (1471-1484) (Extravagantes communes, allgemeine Extravaganten), die
der Pariser Kirchenrechtler Jean Chappuis in seine Ausgabe des →corpus
iuris canonici (1499ff., Korpus des kanonischen Rechtes) ohne amtlichen Auftrag
aufnimmt. Zitiert werden sie z. B. als Extr. Joann. XXII. 4. 2 bzw. Extrav.
com. 1. 7. 1.
Lit.: Bickell, J., Über die Entstehung
und den heutigen Gebrauch der beiden Extravagantensammlungen, 1825; Feine, H.,
Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972, 276; Tarrant, J., Extravagantes
Iohannis XXII, 1983 Extremismus ist die inhaltlich am Rand stehende politische
Strömung.
Lit.: Backes, U., Politische
Extreme, 2006; Bergsdorf, H. u. a., Linksextrem, 2011; Bötticher, A. u. a., Extremismus, 2012
Eyre (engl.
[N.]) ist die von lat. (N.) iter (Reise, Weg) abgeleitete Bezeichnung für die
Reise bzw. Sitzung der königlichen englischen Reiserichter zwischen 1086 bzw.
1166 und 1294.
Lit.: Harding, A., Rolls of the Shropshire Eyre of 1256,
1981
F
Faber →Favre
Faber, Johannes ist der um 1270 geborene, in
Montpellier und vielleicht Bologna ausgebildete, um 1340 verstorbene, praktisch
tätige französische Jurist, der breviarium Codicis und Commentarius in
institutiones verfasst.
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 581
Fabrik ist
das Gebäude, in dem industriemäßig aus Rohstoffen Erzeugnisse hergestellt
werden. Die F. entwickelt sich seit dem 18. Jh. aus dem Verlagssystem.
Kennzeichnend ist die Tätigkeit der Bediensteten außerhalb des eigenen Hauses.
Im 19. Jh. wird die F. Gegenstand besonderer rechtlicher Regelungen.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 175; Geschichtliche
Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 229; Pfeiffer, H. v., Die Manufakturen und Fabriken
Deutschlands, Teil 1f. 1781; Neumann, F., Zur Reform deutscher
Fabrikgesetzgebung, 1873, Neudruck 2013; Anton, G., Geschichte der preußischen
Fabrikgesetzgebung, 1891, Neudruck, 1953; Mises, L., Zur Geschichte der
österreichischen Fabrikgesetzgebung, Z. f. Volkswirtschaft, Sozialpolitik und
Verwaltung 14 (1905), 230; Gellbach, H., Arbeitsvertragsrecht der Fabrikarbeiter
im 18. Jahrhundert, 1939; Worring, H., Das fürstenbergische Eisenwerk
Hammereisenbach, 1954; Dällenbach, H., Kantone, Bund und Fabrikgesetzgebung,
Diss. jur. Bern 1961; Wadle, E., Fabrikzeichenschutz und Markenrecht, 1983;
Österreichische Fabriksprivilegien vom 16. bis ins 18. Jh., hg. v. Otruba, G.,
1981, 84; Bracher, H., Die Entwicklung der Fabrikhaftpflicht in der Schweiz,
ZNR 8 (1986), 157; Ruppert, W., Die Fabrik, 2. A. 1993
Fabrikengericht ist das im späten 18. Jh. in Preußen für einige Zeit aus
der Polizeijurisdiktion entwickelte und danach im Rheinland geschaffene
besondere Gericht für Rechtsstreitigkeiten in einer Fabrik zwischen
Unternehmern und Arbeitnehmern.
Lit.: Willoweit, D., Die Entstehung der preußischen
Fabrikengerichtsbarkeit, ZNR 4 (1982), 1; Schloßstein, K., Die westfälischen
Fabrikengerichtsdeputationen, 1982; Schöttler, P., Die rheinischen
Fabrikengerichte, ZNR 7 (1985), 160
facere (lat.)
handeln, tun, machen
facultas (F.) alternativa (lat.) Ersetzungsbefugnis
Fahndung ist die Verfolgung möglicher Straftäter durch die
Allgemeinheit, die seit der frühen Neuzeit und besonders seit dem 19. Jh.
ausgebaut und zur Staatsaufgabe erhoben wird.
Lit.: Blauert, A. u. a. Gauner-
und Diebslisten, 2001; Benad, R., Geschichte der Fahndung, 2006
Faden ist das dünne, längliche, meist durch Drehen
entstehende, meist dem Verbinden von Geweben oder Lederstücken dienende
menschliche Erzeugnis (Gespinst). Der F. kann als Längenmaß verwendet werden
(z. B. etwa 185 cm). Er ist auch Gegenstand der rechtlichen Volkskunde.
Lit.: Grimm, J., Deutsche
Rechtsaltertümer, 1828, 4. A. 1899, Neudruck 1994
Fähigkeit (1512, fähig 1481) ist die Eigenschaft des Erlangenkönnens bzw. Handelnkönnens.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Fahne ist
das als Symbol verwendete, meist rechteckige Tuch. →Fahnenflucht, →Fahnenlehen,
→Reichsfahne
Lit.:
Meyer, H., Die rote Fahne, ZRG GA 50 (1930), 310; Meyer, H., Sturmfahne und
Standarte, ZRG GA 51 (1931), 204; Meyer, H., Kaiserfahne und Blutfahne, ZRG GA
53 (1933), 291; Neubecker, O., Fahnen und Flaggen, (um 1940)
Fahnenflucht ist
das eigenmächtige auf Dauer angelegte Verlassen des Heeres, das schon im
Altertum gewichtige Folgen nach sich zieht. Das langobardische Volksrecht sieht
die Tötung, das alemannische Volksrecht die Buße von 80 Schillingen vor. Auch
später wird zumindest für schwere Fälle die Todesstrafe angedroht, während
einfachere Fälle mit Gefängnis und Ehrenminderung bestraft werden. Seit der
zweiten Hälfte des 17. Jh.s dringt die Bezeichnung Desertion ein. Im zweiten
Weltkrieg werden etwa zwei Drittel der als fahnenflüchtig bezeichneten
deutschen Soldaten zum Tode verurteilt. Die F. in der Unrechtsherrschaft
(berechtigte Fahnenflucht in verbrecherischen Regimen) kann gerechtfertigter
Widerstand sein. Am 17. 5. 2002 beschließt der Bundestag Deutschlands die
Aufhebung aller Urteile wegen F. (Desertion) im zweiten Weltkrieg.
Lit.: Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck
1961, 561; Sargmeister, M., Das Delikt der Fahnenflucht, Diss. jur. Erlangen
1908; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1ff. 1920ff.,
Neudruck 1964; Conrad, H., Geschichte der deutschen Wehrverfassung, 1939;
Haase, N., Gefahr für die Manneszucht, 1996; Armeen und ihre Deserteure, hg. v.
Bröckling, U. u. a., 1998; Messerschmidt, M., Die Wehrmachtsjustiz 1933-1945,
2005; Brümmer-Pauly, K., Desertion im Recht des Nationalsozialismus, 2006
Fahnenlehen,
Fahnlehn, ist das mit einer Fahne als Symbol (einer besonderen
Herrschaftsgewalt?) verliehene →Lehen. Nach verbreiteter
hochmittelalterlicher Ansicht ist die königliche Belehnung mit einem F.
Voraussetzung der Zugehörigkeit zum Fürstenstand. Das F. darf weder geteilt
noch vom König länger als Jahr und Tag einbehalten werden.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Bruckauf, J., Vom Fahnlehn, 1906;
Krieger, K., Die Lehnshoheit der deutschen Könige im Spätmittelalter, 1979, 36
Fähre ist
das dem planmäßigen Übersetzen über einen Strom oder See meist an fester Stelle
dienende Fahrzeug. Seit dem Hochmittelalter wird das Recht zum Betrieb einer F.
auf öffentlichem Gewässer als →Regal verstanden. Von ihm leitet sich das
einzelne Fährenrecht ab. In Deutschland gelten (über Art. 73 EGBGB) die
früheren landesrechtlichen Vorschriften, sofern in den Landeswassergesetzen
keine andere Regelung enthalten ist.
Lit.: Nordegg zu Rabenau, L. v., Das Recht der Fähren mit
besonderer Berücksichtigung des Regierungsbezirks Danzig, Diss. jur. Leipzig
1910; Sandkaulen, J., Fährgerechtsame, Diss. jur. Köln 1925; Künßberg, E. v.,
Fährenrecht und Fährenfreiung, ZRG GA 45 (1925), 144; Riegler, B., Fährgerechtigkeiten,
Diss. jur. Würzburg 1933; Elben, J., Die Deutz-Kölner Rheinfähre als Kurkölner
Regal, 1933; Hahn, C., Das Fährenrecht am Niederrhein, 1949
Fahrende Habe →Fahrnis
Fahrende Leute sind die in Ausnützung ursprünglich
allgemein verwendeter Freiheit der Ortsveränderung ohne festen Wohnsitz
umherziehenden Menschen (im Mittelalter schätzungsweise 5-10 Prozent der Bevölkerung).
Seit dem Spätmittelalter werden sie als Störung der Ordnung angesehen. Seit dem
Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) wird Umherziehen teilweise strafbar, wobei
Rechtssätze und angedrohte Strafen nicht stets umgesetzt werden. Gegen f. L.
werden Pass und Meldepflicht eingesetzt, ohne dass ein vollständiger Erfolg
erreicht wird.
Lit.: Mylius, A./Barthel, D., Iura
vagabundorum, 1679; Enklaar, D., Varende Luyden, 1957; Schubert, E., Arme
Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts, 1983, 2. A. 1990;
Jütte, R., Poverty and Deviance, 1994; Schubert, E., Fahrendes Volk im
Mittelalter, 1995; Rheinheimer, M., Arme, Bettler und Vaganten, 2000; Härter,
K., Policey und Strafjustiz in Kurmainz, 2005
Fahrhabe →Fahrnis
Fahrlässigkeit (1480, fahrlässig 15. Jh.) ist im Privatrecht die Außerachtlassung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt, im Strafrecht für die wenigen auch fahrlässig
begehbaren Straftaten der Vorwurf, dass der Täter eine objektive
Sorgfaltspflicht nicht erkannt oder die daraus folgende Sorgfaltsanforderung
nicht erfüllt hat, obwohl er dazu nach seinen persönlichen Fähigkeiten und dem
Maß seines individuellen Könnens imstande gewesen wäre. Im römischen Recht wird
erst zu Beginn der klassischen Zeit an die an ein Handeln gebundene F. (lat.
[F.] →culpa) die zunächst auf den Vorsatz beschränkte Folge angeknüpft.
Dies gilt allmählich auch für Verträge. Bei Justinian hat der Schuldner eine
allgemeine Pflicht zur Sorgfalt (lat. [F.] →diligentia), mit deren
schuldhafter Verletzung er eine Nachlässigkeit (lat. [F.] →neglegentia)
begeht. Innerhalb der (lat. [F.]) culpa wird die grobe F. dem Vorsatz
gleichgehalten. Im Frühmittelalter kennen die Quellen eine Reihe von
Tätigkeit-Erfolgs-Beziehungen, bei denen kein Vorsatz angenommen wird
(Ungefährwerk). Die Folgen sind allerdings durchaus unterschiedlich, wobei am
Ende des Mittelalters eine Tendenz zur schwächeren Folge für den nicht
gewollten Erfolg überwiegt. Ziemlich klar unterscheidet die Constitutio
Criminalis Carolina (1532) vorsätzliche Tötung, fahrlässige Tötung und
zufällige Tötung. Daran knüpft die weitere Entwicklung an, in der seit dem 19.
Jh. eine Legaldefinition der strafrechtlichen F. vermieden wird.
Lit.: Kaser § 36; Söllner §§ 8, 15; Kroeschell, DRG 1;
Köbler, DRG 158, 204; Bruck, F., Zur Lehre von der Fahrlässigkeit, 1885;
Löffler, A., Die Schuldformen des Strafrechts, 1895; Hippel. R. v., Die Grenze
von Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1903; Exner, F., Das Wesen der Fahrlässigkeit,
1910, 12; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, 90,
Neudruck 1964; Wiegand, H., Rechtspolitische Untersuchungen über die Stufen der
Fahrlässigkeit, 1925; Engisch, K., Untersuchungen über Vorsatz und
Fahrlässigkeit, 1930, Neudruck 1964; Tobler, R., Fahrlässigkeit im Zivil- und
Strafrecht, 1931; Plass, K., Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur qualifizierten
Fahrlässigkeit, 1932; Ziegler, W., Fahrlässigkeit und Gefährdung, 1935;
Brehmer, I., Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1935; Nörr, D., Die
Fahrlässigkeit im byzantinischen Vertragsrecht, 1960; Deutsch, E.,
Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963; Jescheck, H., Aufbau und
Behandlung der Fahrlässigkeit im modernen Strafrecht, 1965; Hoffmann, H., Die
Abstufung der Fahrlässigkeit in der Rechtsgeschichte, 1968; Köbler, G.,
Mittlere Fahrlässigkeit und dogmatische Einordnung der Arbeitnehmerhaftung, AcP
1969, 404; Holl, T., Entwicklungen der Fahrlässigkeitsdogmatik im Strafrecht
von Feuerbach bis Welzel, 1992; König, V., Die grobe Fahrlässigkeit, 1998;
Rösler, H., Haftungsgründe und -grenzen für fahrlässiges Verhalten, 1999;
Schrage, E., Negligence, 2001; Mikus, R., Die Verhaltensnorm des fahrlässigen
Erfolgsdelikts, 2002; Ebert, I., Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004;
Bohrer, M., Der morsche Baum, 2010; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Fahrnis (Fahrhabe) ist die bewegliche (mobile) Sache, die ohne Verletzung von
einem Ort zu einem anderen Ort gefahren bzw. bewegt werden kann (z. B. Kleid,
Tier, Marktbude). Auf die Beweglichkeit einer Sache stellt das römische Recht
nur in wenigen Einzelheiten (z. B. Ersitzung, Besitzschutz, später besondere
Form des Kaufes unbeweglicher Sachen) ab. Im mittelalterlichen deutschen Recht
kann über F. schon früh frei verfügt werden, unterliegt F. in der Ehe vielfach
anderen Regeln hinsichtlich der Nutzung, Verwaltung und Verfügung und gibt es
an F. keine mehrfache und keine ideelle Gewere. Möglich sind aber Entliegenschaftung
und Verliegenschaftung einer Sache. In der Neuzeit verblassen die Unterschiede
unter dem Einfluss des römischen Rechtes, doch regelt beispielsweise noch das
deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (1900) den Erwerb von Rechten an beweglichen
Sachen (z. B. Einigung und Übergabe) einleuchtenderweise anders als den Erwerb
von Rechten an unbeweglichen Sachen (z. B. Auflassung und Eintragung).
Lit.: Kaser § 15 I; Hübner 182, 430; Kroeschell, DRG 2;
Estlander, E., Bidrag till en undersökning om klander, 1900; Meyer, H.,
Entwerung und Eigentum, 1902; Goldmann, E., Tertia manus und Intertertiation,
ZRG GA 39 (1918), 145, 40 (1919), 199; Hübner, H., Der Rechtsverlust im
Mobiliarsachenrecht, 1955
Fahrnisgemeinschaft ist im Ehegüterrecht die →Errungenschaftsgemeinschaft
(betreffend Fahrnis und Liegenschaften), in der auch die voreheliche →Fahrnis
den Eheleuten gemeinschaftlich zusteht. Sie ist in das deutsche Bürgerliche
Gesetzbuch (1900) aufgenommen. Seit 1. 7. 1958 kann die F. in Deutschland nicht
mehr vereinbart werden.
Lit.: Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsches Privatrecht, 9. A.
1981, Kap. 18
faida →Fehde
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Schumann, E., Unrechtsausgleich
im Frümittelalter, Habilitationsschrift Leipzig 2003
Faktorei ist seit dem Spätmittelalter die
kaufmännische Niederlassung außerhalb des Hauptsitzes des Unternehmens (z. B.
Kontore der Hanse im Nordseeraum und Ostseeraum, Fondaco dei Tedeschi in
Venedig, Zweigniederlassung), vor allem im Kolonialhandel.
Lit.: Bürger, R., Die Organisation
der Fuggerschen Faktoreien, 1955; Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche, hg.
v. Schmitt, E., Bd. 4 1988
Fakultät ist
die Fachabteilung der Universität. Im Mittelalter ist die Universität meist in
die vier Fakultäten der Artisten, Theologen, Juristen und Mediziner gegliedert.
Ihre Geschäfte leitet der Dekan. Seit dem 19. Jh. hat sich die Zahl der
Fakultäten vermehrt. Seit 1970 sind in Deutschland die Fakultäten an vielen
Orten in Fachbereiche umbenannt und teilweise weiter in kleinere Einheiten aufgegliedert.
Lit.: Köbler, DRG 99, 143; Baltl/Kocher; Wretschko, A. v.,
Die Geschichte der juristischen Fakultät an der Universität Innsbruck, FS zum
27. Deutschen Juristentag 1904, 101; Wohlhaupter, E., Die Spruchtätigkeit der
Kieler juristischen Fakultät, ZRG GA 58 (1938); Dickel, G., Die Heidelberger
juristische Fakultät, 1961; Kisch, G., Die Anfänge der juristischen Fakultät
der Universität Basel, 1962; Finke, K., Die Tübinger Juristenfakultät
1477-1534, 1972; Schikora, A., Die Spruchpraxis der juristischen Fakultät zu
Helmstedt, 1972; Cobban, A., The medieval University, 1975; Festschrift der
juristischen Fakultät Heidelberg, 1986; Artisten und Philosophen –
Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät, hg. v. Schwinges, R.,
1999; Kriebisch, A., Die Spruchkörper Juristenfakultät und Schöppenstuhl zu
Jena, Diss. jur. Jena 2007
fakultativ (Adj.) möglich, nicht zwingend (z. B. Zivilehe)
Falkenstein
Lit.: Codex Falkensteinensis,
bearb. v. Noichl, E., 1978
Fall (lat. [M.] casus) ist die durch die
Anziehungskraft der Erde bewirkte senkrechte ungewollte Ortsveränderung. Wegen
der damit vielfach verbundenen nachteiligen Folgen wird als F. auch das
einzelne rechtlich bedeutsame Geschehen bezeichnet. Einzelne Rechtsordnungen
werden durch die gerichtlichen Entscheidungen der Fälle geprägt (z. B. Rom,
angloamerikanisches Recht). Als berühmte einzelne Fälle gelten etwa das
Strafverfahren gegen Sokrates, die (lat. [F.]) causa Curiana (1. Jh. v. Chr.),
der Prozess Jesu, der Prozess der Iusta, der Ehestreit Lothars II. (ab 859),
der Prozess gegen Heinrich den Löwen (1180), der Prozess gegen Galileo Galilei
(1633), die Prozesse des Müllers Arnold (um 1779), das Strafverfahren gegen
Alfred Dreyfus (1894), das Strafverfahren wegen Entziehung elektrischen Stromes
(1896) u. a.
Lit.: Mit den Augen der
Rechtsgeschichte - Rechtsfälle selbstkritisch kommentiert, hg. v. Luminati, M.
u. a., 2008; Fälle aus der Rechtsgeschichte, hg. v. Falk, U. u. a., 2008
Fälligkeit (1518, fällig um 900) ist der Zeitpunkt, in dem der Gläubiger vom Schuldner
Leistung verlangen kann.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Fallrecht ist
die auf richterlichen Entscheidungen beruhende Rechtsordnung. F. sind das
klassische →römische Recht und das →englische Recht (case-law)
sowie die päpstliche Rechtsprechung seit dem 12. Jh. Ansätze zu einem F. finden
sich auch in Deutschland (mittelalterliche Schöffensprüche, Entscheidungen
des Reichskammergerichts), können sich jedoch wegen der Aufnahme des
römisch-justinianischen Gesetzesrechts, des Gesetzgebungsanspruchs der
Landesherren und des Fehlens einer durchsetzungsfähigen Höchstgerichtsbarkeit
nicht ausreichend entwickeln und behaupten. Dennoch besteht F. auch nach Erlass
der Vernunftrechtsgesetzbücher in der Praxis in den Fallsammlungen der
Höchstgerichte (z. B. Reichsgericht, Bundesverfassungsgericht,
Bundesgerichtshof, Europäischer Gerichtshof). Allerdings ist das F. auf dem
europäischen Kontinent dem vor allem seit dem 18. Jh. kodifikativ ausgebauten
Gesetzesrecht grundsätzlich untergeordnet, während in England das Parlament
kein Rechtsetzungsmonopol beansprucht und sich die stare-decisis-Vorstellung
1898 zum (1966 aufgehobenen) Prinzip verfestigt. Daneben ist F. auch das
Rückfallrecht von Gütern bei Fehlen von Abkömmlingen an die Familie, aus der
sie gekommen sind.
Lit.: Kaser § 2; Köbler, DRG 31; Gál, A., Der Ausschluss
der Aszendenten von der Erbfolge und das Fallrecht, 1904; Döhring, E., Geschichte
der deutschen Rechtspflege, 1953, 298ff., 468ff.; Esser, J., Grundsatz und
Norm, 1956; Rüdin-Bader, S., Die erbrechtliche Stellung der Stiefkinder und
Halbgeschwister nach den zürcherischen Rechtsquellen, 1959; Gehrke, H., Die
privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands, 1974; Weller, H., Die
Bedeutung der Präjudizien im Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft,
1979; Ogorek, R., Richterkönig oder Subsumtionsautomat, 1986; Case-Law in the
Making, hg. v. Wijffels, A., 1997; Müßig, U., Geschichte des Richterrechts und
der Präjudizienbildung auf dem europäischen Kontinent, ZNR 28 (2006), 79ff.;
Reimann, M., Die Erosion der klassischen Formen, ZNR 28 (2006), 209ff.;
Vogenauer, S., Zur Geschichte des Präjudizienrechts in England, ZNR 28 (2006),
48ff.; Case Law in the Making, hg. v. Wijffels, A., Bd. 1f. 2013 e-book
Falsa demonstratio non nocet (lat.). Eine falsche Bezeichnung schadet nicht.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Gaius, um 120-um 180, Digesten 35, 1, 17, pr.)
Falschaussage →Meineid
Lit.: Vormbaum, T., Eid, Meineid und Falschaussage, 1990
Falsche Verdächtigung ist der 1871 in das Strafgesetzbuch Deutschlands
eingefügte, die wahrheitswidrige Verdächtigung eines anderen betreffende Tatbestand
des § 164 StGB.
Lit.: Bernhard, L., Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165
StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), 2003
Falschmünzer ist der Münzen fälschende Täter.
Lit.: Walz, K., Fälscher &
Falschgeld, 2012
Fälschung ist
die zu betrügerischem Zweck vorgenommene Veränderung oder Nachbildung eines Gegenstands
(z. B. Münze, Bild). Einzelne Fälschungshandlungen erwähnt bereits das
altrömische Zwölftafelgesetz (Falschaussage 8,23, Richterbestechung 9,3). Seit
dem 1. Jh. v. Chr. bilden sich Fälschungsdelikte (lat. crimina [N.Pl.] falsi)
als besondere Gruppe (falsum) aus (Testament, Urkunde, Grenze, Münze, Maß,
Gewicht u. s. w.), neben die um 200 n.
Chr. der „Betrug“ (lat. [M.] stellionatus, D. 47, 20, 3, 1) tritt. Im Frühmittelalter
verschmelzen die Tatbestände des römischen Rechtes zu Deliktsfiguren, die nur
noch wenige Ähnlichkeiten mit ihren Vorbildern haben. Im Hochmittelalter werden
etwa falsche Maße und Gewichte oder der Verkauf verfälschter Waren wie
Diebstahl behandelt. Dagegen fasst das spätmittelalterliche gelehrte Recht (z.
B. Klagspiegel 1436/1442) die Fälschungsdelikte zu einem einheitlichen (lat.
[N.]) crimen falsi zusammen, zu dem (lat. [M.]) →stellionatus ein
qualifizierter Sonderfall ist. Im 19. Jh. werden im Code pénal Frankreichs
(1810) →Betrug und Fälschung voneinander getrennt. Dem folgen die
deutschen Strafgesetzbücher (Bayern 1813, Baden 1845, Preußen 1851, Reich 1871)
im Wesentlichen.
Lit.: Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961;
Binding, K., Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts, Teil 2, 2, 1901;
Beyerle, K., Die Urkundenfälschungen des Kölner Burggrafen Heinrich III., 1913;
Dahm, G., Das Strafrecht Italiens im ausgehenden Mittelalter, 1931; Fuhr, L.,
Zur Entstehung und rechtlichen Bedeutung der mittelalterlichen Formel ane
argliste unde geverde, Diss. jur. Frankfurt am Main 1962; Fuhrmann, H., Die
Fälschungen im Mittelalter, HZ 197 (1963), 529; Kocher, E., Überlieferung und
ursprünglicher Anwendungsbereich der Lex Cornelia de falsis, 1965; Hupe, E.,
Falsum, fraus und stellionatus, Diss. jur. Marburg 1968; Kausch, W., Die
Entwicklung des Falsum von der Carolina zur Aufklärung, 1971; Lorenz, W., Die
Falschbeurkundung, 1976; Fälschungen im Mittelalter, hg. v. Fuhrmann, H., Bd.
1ff. 1987ff.; Fuld, W., Das Lexikon der Fälschungen, 1999; Topper, U.,
Fälschungen der Geschichte, 2001; Fortschritt durch Fälschungen? hg. v.
Hartmann, W. u. a., 2002; Fezzi, L., Falsificazione di documenti pubblici nella
Roma tardorepubblicana, 2003; Faußner, H., Wibald von Stablo, 2006; Pokorny,
R., Augiensia, 2010; Faußner, H., Wibald von Stablo auf der Spur, 2010
(Aufsatzsammlung)
Falsum (lat.
[N.]) ist die im klassischen römischen Recht als Straftat erfasste →Fälschung,
für die Sulla an der Wende vom 2. zum 1. Jh. eine eigene Untersuchungsbehörde
einrichtet.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Mommsen, T., Römisches Strafrecht,
1899, Neudruck 1961; Kunkel, W., Untersuchungen zur Entwicklung des römischen
Kriminalverfahrens, 1962
Familia (lat.
[F.]) ist im frühen Mittelalter nach antikem Vorbild vor allem der zu einer
Grundherrschaft gehörige Personenverband.
Lit.: Kaser § 12; Kroeschell, DRG 1; Köbler, LAW;
Baltl/Kocher; Weizsäcker, W., Die familia des Klosters St. Emmeram in
Regensburg, Verhandl. d. histor. Vereins v. Oberpfalz und Regensburg 92 (1951),
1; Bosl, K., Die „familia“, Z. f. bay. LG. 38 (1975), 403; Kuchenbach, L.,
Bäuerliche Gesellschaft und Klosterherschaft im 9. Jahrhundert, 1978; Scherner,
K., Ut propriam familiam nutriat, ZRG 111 (1994), 330; Paludan, H., Familia og
Familie, 1995; Spieß, K., Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des
Spätmittelalters, 1993
familiae emptor
(lat. [M.]) Erbschaftskäufer
Familie (1409) ist der Kreis der durch
Ehe, Verwandtschaft und Schwägerschaft verbundenen Menschen, insbesondere die
Ehegatten und ihre Kinder. Im Altertum wird die F. als von der Natur des
Menschen gegeben eingestuft. Vermutlich sind sich bereits die Indogermanen der
F. bewusst. Vielleicht mit der Sesshaftwerdung bildet sich in Rom die auf dem
Einzelhof lebende, aus Familienvater, Ehefrau und Kindern (sowie Gesinde)
bestehende F. Dem dürfte auch die F. der Germanen entsprochen haben. Sie ist
Wirtschaftsgemeinschaft. Die durchschnittliche Zahl der Geburten einer Frau
dürfte wegen der hohen Sterblichkeit und der längeren Stillzeiten fünf nicht
überschritten haben. Die F. steht meist unter der Personalgewalt (munt) des
Hausvaters, die mit Emanzipation, Abschichtung oder Verheiratung endet. Mit der
Christianisierung verbessert sich die Stellung der Frau in der F. Seit der
Neuzeit entdeckt der Staat sein Interesse an der Kindererziehung. Mit der
Industrialisierung wird die F. zur bloßen Verbrauchsgemeinschaft. Mit dem 19.
Jh. lockern sich auch die familienrechtlichen Bindungen, so dass das deutsche
Bürgerliche Gesetzbuch (1900) die F. eher als Summe rechtlicher
Einzelbeziehungen versteht. Im 20. Jh. ändert sich vielleicht als Folge des
allmählichen Zurücktretens der körperlichen Arbeit die F. grundlegend.
Dementsprechend stellt Art. 199 I der Weimarer Reichsverfassung fest, dass
Grundlage der F. die auf der Gleichberechtigung der Geschlechter beruhende Ehe
ist. Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik hebt alle den
Gleichberechtigungsgrundsatz verletzenden Bestimmungen auf. In der
Bundesrepublik entsteht infolge Nichterfüllung eines Auftrags des Grundgesetzes
zum 1. 4. 1953 ein gesetzloser Zustand, den das Bundesverfassungsgericht am
18. 12. 1953 durch Anerkennung der Gleichberechtigung hilfsweise schließt. Am
18. 6. 1957 verabschiedet der Bundestag ein am 1. 7. 1958 in Kraft tretendes
Gleichberechtigungsgesetz, das durch das Bundesverfassungsgericht am 29. 7.
1959 teilweise aufgehoben wird. Danach tritt in an die Stelle der väterlichen
Gewalt die gemeinschaftliche Leitung der F. durch Mann und Frau. 1979 wird die
gemeinsame →elterliche Gewalt durch die elterliche Sorge ersetzt.
Tatsächlich treten neben die durch die Ehe gekennzeichnete F. nichteheliche
Lebensgemeinschaft und gleichgeschlechtliche Partnerschaft.
Lit.: Kaser § 12; Söllner §§ 4, 5, 8, 12, 18; Hübner 615;
Köbler, DRG 129, 209, 238, 252, 267; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 1975,
253; Bartsch, R., Die Rechtsstellung der Frau, 1903; Weber, M., Ehefrau und
Mutter in der Rechtsentwicklung, 1907; Schulz, W., Die germanische Familie der
Vorzeit, 1925; Kroeschell, K., Die Sippe im germanischen Recht, ZRG GA 77
(1960), 1; Möller, H., Die kleinbürgerliche Familie im 18. Jahrhundert, 1969;
Vismara, G., Famiglia e successioni nella storia del diritto, 1970; Scheffler,
E., Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im Wandel der
Rechtsordnung seit 1918, 1970; Weber-Kellermann, I., Die deutsche Familie,
1974; Montanos, E., La familia en la Alta Edad Media española, 1980; Maschke,
E., Die Familie in der deutschen Stadt des späten Mittelalters, 1980; Familie
zwischen Tradition und Moderne, hg. v. Bulst, N., 1981; Gaunt, D., Familjelivi
i Norden, 1983; Haus und Familie in der spätmittelalterlichen Stadt, hg. v.
Haverkamp, A., 1984; Klippel, D., Familie versus Eigentum, ZRG GA 101 (1984),
117; Fuhrmann, M., Volksvermehrung als Staatsaufgabe?, 2002; Burguière, A. u.
a., Histoire de la famille, 1986; Weibel, T., Erbrecht und Familie, 1988;
Goody, J., Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa, 1990; Rosenbaum, H.,
Formen der Familie, 5. A. 1990; Haushalt und Familie, hg. v. Ehlert, T., 1991;
Dixon, S., The Roman Family, 1992; Rachel, C., Die Diskussion um den
französischen Familienrat in Deutschland im 19. Jahrhundert, 1994; Geschichte
der Familie, hg. v. Burguière, A. u. a., Bd. 1ff. 1996ff.; Historische
Familienforschung, hg. v. Ehmer, J. u. a., 1997; Rothenbacher, F., Historische
Haushalts- und Familienstatistik, 1997; The Roman Family, hg. v. Rawson, B. u.
a., 1997; Schumann, E., Die nichteheliche Familie, 1998; Gestrich, A.,
Geschichte der Familie, 1999, 2. A. 2010, 3. A: 2013; Ehe und Familie, hg. v.
Hecker, H., 1999; Die jüdische Familie, hg. v. Keil, M. u. a., 1999; Peters,
U., Dynastiegeschichte und Verwandtschaftsbilder, 1999; Gestrich, A. u. a.,
Geschichte der Familie, 2003; Heinemann, R., Familie zwischen Tradition und
Emanzipation, 2004; Kuller, C., Familienpolitik im föderativen Sozialstaat,
2004; Schneiders, U., Hausväteridylle oder sozialistische Utopie?, 2004; Le
médiéviste et la monographie familiale, hg. v. Aurell, M., 2004; Klippel, D.,
Familienpolizei, FS Dieter Schwab, 2005; Köbler, G., Familienrecht im
geschichtlichen Wandel (in) Recht als Erbe und Aufgabe, 2005, 355ff; Bauszus,
S., Der Topos von der Großfamilie, 2006; Familiensozialisation seit 1933, hg.
v. Gebhardt, M. u. a., 2007; Gendering the Fertility Decline in the Western
World, hg. v. Janssens, A., 2007; Haus- und Familienbücher, hg. v. Studt, B.,
2007; Meller, H. u. a., Tatort Eulau, 2010 (älteste je nachgewiesene Kernfamilie);
Generationen, hg. v. Häberlein, M. u. a., 2010; Gestrich, A., Geschichte der
Familie im 19. und 20. Jahrhundert, 2. A. 2010; Koschorke, A./Ghanbari, N. u.
a., Vor der Familie, 2010; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010; Die Familie in der Gesellschaft des
Mittelalters, hg. v. Spieß, K., 2009
Familienfideikommiss ist die auf rechtsgeschäftlicher Stiftung beruhende Bindung
des Vermögens (z. B. auch Grundstück, Haus, Bibliothek) einer Familie im
Mannesstamm ohne Bildung einer eigenen Rechtspersönlichkeit. Solche Stiftungen
des niederen Adels, die dieselben Wirkungen wie die auf Rechtsetzungsgewalt
beruhenden Hausgesetze der späteren Landesherren anstreben, sind in England
seit dem 8. Jh., in Deutschland seit dem 11. Jh. bezeugt. Sie nehmen in der
Neuzeit seit dem dreißigjährigen Krieg (1618-1648) zu. Philipp Knipschild
formuliert 1654 (De fideicommissis familiarum nobilium, Über die Fideikommisse
der adligen Familien) die dafür aus dem römischrechtlichen (lat. [N.]) fideicommissum
der justinianischen Novelle 159 und dem lehnrechtlichen Gedanken einer (lat.)
successio (F.) ex pacto et providentia maiorum (Nachfolge aus Vertrag und
Voraussicht der Vorfahren) entwickelte Theorie vorbildlich. Danach ist
Eigentümer des durch schriftliche Willenserklärung errichteten
Familienfideikommisses (evtl. Eintragung und staatliche Genehmigung notwendig)
der jeweilige Inhaber oder gesamthänderisch die Gesamtheit der jeweiligen
Inhaber. Veräußerungen und Belastungen sind nichtig. Meist folgt der älteste
Sohn nach. Schon Montesquieu (1748) bekämpft den F. aus wirtschaftlichem Grund.
1804 wird der F. im Gebiet des französischen Rechtes aufgehoben. Dem passt sich
die (gescheiterte) deutsche Reichsverfassung von 1848/1849 an. In Preußen wird
die 1850 verfügte Aufhebung später wieder beseitigt. Art. 155 II der Weimarer
Reichsverfassung setzt die Auflösung fest, ein Reichsgesetz vom 6. 7. 1938
beschleunigt sie (erloschen zum 1. 1. 1939, vgl. das Bundesgesetz vom 28. 12.
1950/3. 8. 1967). Vielfach ist der F. in eine Stiftung überführt.
Lit.: Kaser § 77; Söllner § 17; Hübner 337; Köbler, DRG
123, 162, 210, 231; Lewis, W., Das Recht der Familienfideikommisse, 1868,
Neudruck 1969; Bruckner, F., Zur Geschichte des Fideicommisses, 1893; Hager, P.,
Familienfideikommiss, 1897; Kunsemüller,
E., Zur Entstehung der westfälischen Fideikommisse, 1909; Sautier, A., Die
Familienfideikommisse der Stadt und Republik Luzern, 1909; Meyer, H., Die
Anfänge des Familienfideikommisses in Deutschland, FG R. Sohm 1914, 225;
Seelmann, W. u. a., Das Recht der Familienfideikommisse, 1920; Horsten, F., Die
Familien-Fideikommiss-Politik in Preußen, 1924; Hausgeschichte und
Diplomatarium der Reichs-Semperfreien und Grafen Schaffgotsch, hg. v. Kaufmann,
J., 2, 2, 1925; Klässel, O./Köhler, K., Die Zwangsauflösung der
Familienfideikommisse, Bd. 1 1932; Koehler, K./Heinemann, E., Das Erlöschen der
Familienfideikommisse, 1940; Söllner, A., Zur Rechtsgeschichte des
Familienfideikommisses, FS M. Kaser, 1976, 657; Bar, C. v./Striewe, P., Die
Auflösung der Familienfideikommisse, ZNR 3 (1981), 184; Eckert, J., Der Kampf
um die Familienfideikommisse, 1992; Eckert, J., Use, Trust, strict Settlement,
FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Bayer, B., Sukzession und
Freiheit, 1999; Trott zu Solz, T. v., Erbrechtslose Sondervermögen, 1999;
Brandner, B., Die Auflösung der Familienfideikommisse in Thüringen, 2000
Familiengericht ist die in Deutschland am 1. 7. 1977 geschaffene
Gerichtsbarkeit in Familiensachen am →Amtsgericht. Das F. entwickelt sich
am Beginn des 20. Jh.s aus dem Jugendgericht in den Vereinigten Staaten. Nach
1920 wird es in Japan aufgenommen.
Lit.: Röhl, Das Familiengericht in
Japan, NJW 1957, 12; Erdsiek, G., Der Family Court in USA, NJW 1961, 1066;
Peschel-Gutzeit, L., 25 Jahre Familiengerichte in Deutschland, NJW 2002, 2737
Familiengesetzbuch ist das am 20. 12. 1965 zur Neuordnung des Familienrechts
in der →Deutschen Demokratischen Republik geschaffene, 1990 endende
Gesetzbuch (Egalisierung im Namensrecht, erleichterte Scheidung ohne
Unterhaltsansprüche, Errungenschaftsgemeinschaft, Erziehung der Kinder zu
Erbauern des Sozialismus).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Douma, E., Die Entwicklung des
Familiengesetzbuches der DDR, ZRG GA 111 (1994), 592; Schneiders, U.,
Hausväteridylle oder sozialistische Utopie?, 2004; Fischer-Langosch, P., Die
Entstehungsgeschichte des Familiengesetzbuches der DDR von 1965, 2006
Familienname (1748) ist der gemeinschaftliche Name der Angehörigen einer Familie.
Herkömmlich wird er durch den Namen des Mannes bestimmt. Mit der Gleichberechtigung
der Geschlechter im ausgehenden 20. Jh. löst sich der einheiltiche F. mehr und
mehr auf.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010;
Familiennamen Österreichs (FAMOS) Online (Projekt);
www.genealogienetz.de/vereine/VFWKWB
Familienrecht (1775) ist die Gesamtheit der die
→Familie betreffenden Rechtssätze. Sachlich erfasst sind davon in erster
Linie das Verhältnis von Mann und →Frau in der Ehe, die Beziehungen
zwischen Eltern und Kindern sowie die →Vormundschaft, →Pflegschaft
und →Betreuung. Die Erfassung der gesellschaftlichen Gegebenheiten durch
das Recht ist erst allmählich erfolgt. Einen bedeutsamen Anteil hieran hat die
christliche Kirche mit ihrer sakramentalen Ehevorstellung. Als besonderes
Rechtsgebiet erscheint das F. erst im späten 18. Jh. Seitdem wird es zunehmend
geprägt von der Emanzipation der Frau. Tatsächlich bedeutsam wird seit etwa
1970 die medizinische Entdeckung der medikamentösen Empfängnisverhütung. Seit
1. 1. 2008 ist das F. in Deutschland nochmals erheblich verändert, das
Familienverfahrensrecht seit 1. 9. 2009 (Abschaffung des Vormundschaftsgerichts,
Erweiterung der Zuständigkeit des Familiengerichts).
Lit.: Kaser §§ 12, 58; Schulze, H., Erb- und Familienrecht
der deutschen Dynastien des Mittelalters, 1871; Dargun, L., Studien zum
ältesten Familienrecht, 1892; Boehmer, G., Die Teilreform des Familienrechts,
1962; Eisenmann, H., Konstanzer Institutionen des Familien- und Erbrechts,
1964; Schulte-Beckhausen, O., Das Ehe- und Familienrecht im Sachsenspiegel,
1970; Hafström, G., Den svenska familjerättens historia, 1970; Bextermöller,
C., Das Familienrecht in den Systemen der Pandektistik, 1970; Dörner, H.,
Industrialisierung und Familienrecht, 1974; Buchholz, S., Savignys
Stellungnahme zum Ehe- und Familienrecht, Ius commune 8 (1979), 148; Die
Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs
eines Bürgerlichen Gesetzbuches, hg. v. Schubert, W., Familienrecht 3 Teile,
1983; Köbler, G., Das Familienrecht in der spätmittelalterlichen Stadt, (in)
Haus und Familie in der spätmittelalterlichen Stadt, hg. v. Haverkamp, A.,
1984; Ramm, T., Das nationalsozialistische Familien- und Jugendrecht, 1984; Zur
Geschichte des Ehe- und Familienrechts, hg. v. Mohnhaupt, H., 1987; Das
Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus, hg. v. Schubert, W., 1993;
Ramm, T., Familienrecht – Verfassung, Geschichte, Reform, 1996; Vaupel, H., Die
Familienrechtsreform, 1999; Frank, R., 100 Jahre BGB, Familienrecht zwischen
Rechtspolitik, Verfassung und Dogmatik, AcP 200 (2000), 400; Franzius, C.,
Bonner Grundgesetz und Familienrecht, 2005; Wellenhofer, M., Das neue
Familienrecht, JuS 2009, 673; Gierke, O., Deutsches Privatrecht Bd. 4
Familienrecht, hg. v. Kroeschell, K./Nehlsen-von Stryk, K., 2010; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Family
Law in Early Women’s Rights Debates, hg. v. Meder, S. u. a., 2013; Reformforderungen
zum Familienrecht international, hg. v. Meder, S. u. a., Bd. 1f. 2013ff.,
Meder, S., Familienrecht, 2013
Familienstammgut ist das seit dem 13. Jh. kraft
Hausgesetzes des Hochadels (meist mit Zustimmung des Kaisers des Heiligen
römischen Reiches) einer besonderen Erbfolge (ungeteilte Ältestenerbfolge)
unterworfene Gut. Ziel ist die Wahrung der Herrschaftsstellung. Wem dabei das
Eigentum zusteht, ist noch im 19. Jh. streitig. Nach einem Gesetz des deutschen
Reiches vom 6. 7. 1938 erlöschen alle bestehenden, nicht in Stiftungen
umgewandelten Familienstammgüter mit dem 1. 1. 1939.
Lit.: Zimmerle, L, Das deutsche
Stammgutsystem, 1857; Schulze, H., Erb- und Familienrecht der deutschen
Dynastien des Mittelalters, 1871; Nöthiger, R., Familienfideikommisse,
Stammgüter und standesherrliche Hausgüter, 1932; Eckert, J., Der Kampf um die
Familienfideikommisse in Deutschland, 1992
Fara ist
das langobardisch(-burgundisch)e Wort des 6./7. Jh.s für die Fahrtgenossenschaft
der Völkerwanderungszeit bzw. die Familie oder das Geschlecht.
Lit.: Köbler, WAS; Fasoli, G., I Langobardi in Italia,
1965, 50; Cavanna, A., Fara, 1967; Jarnut, J., Geschichte der Langobarden, 1982,
47; Olberg, G. v., Die Bezeichnungen für soziale Stände, Schichten und Gruppen
in den Leges Barbarorum, 1991
Farbe ist der Eindruck, den der Mensch mit einem
unbewegten Auge von einem im Licht befindlichen Gegenstand wahrnimmt. Mit dem
Eindruck kann der Mensch Vorstellungen verbinden (z. B. Nationalfarben, Rubrum
des Urteilskopfs, rote Robe). Mit ihnen befasst sich vor allem die rechtliche
Volkskunde.
Lit.: Grimm, J., Deutsche
Rechtsaltertümer, 4. A. 1899; Meyer, H., Die rote Fahne, ZRG GA 50 (1930),
310ff.; Haupt, G., Die Farbe in der sakralen Kunst des abendländischen
Mittelalters, 1941; Lauffer, O., Farbe im deutschen Volksbrauch, 1948; Gage,
J., Kulturgeschichte der Farbe, 1994; Schwartzkopff, A., Die Schutzfähigkeit
von Farben als Marken, 2002; Münch, I. v., Farben und Recht, 2006; Thurn, H.,
Farbwirkungen, 2007; Meier, C. u. a., Handbuch der Farbenbedeutungen im
Mittelalter, 2012
Faschismus ist
die politische Bewegung mit nationalistischer totalitärer Zielsetzung, die
ihren historischen Ausgang von Benito Mussolini (Italien 23. 3. 1919 fasci di
combattimento) genommen hat. Ihr verbunden fühlen sich rasch Adolf →Hitler
im Deutschen Reich, Francisco Franco in Spanien und andere. Nach dem zweiten
Weltkrieg (1939-1945) wird der F. weltweit geächtet.
Lit.: Baltl/Kocher; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2
1975, 329; Nolte, E., Der Faschismus, 9. A. 1984; Turner, H., Faschismus und
Kapitalismus in Deutschland, 1972; Wippermann, W., Faschismustheorien, 6. A.
1995; Payne, S., The History of Fascism, 1995; Willoweit, D., Deutsche
Verfassungsgeschichte, 5. A. 2005, § 40 I; Faschismus und Gesellschaft in
Italien, hg. v. Petersen, J. u. a., 1998; Sternhell, Z. u. a., Die Entstehung
der faschistischen Ideologie, 1999; Kühnl, R., Der deutsche Faschismus, 7. A.
2000; Nolte, E., Der Faschismus in seiner Epoche, 5. A. 2000; Payne, S.,
Geschichte des Faschismus, 2001; Reichardt, S., Faschistische Kampfbünde, 2002;
Nietzsche, Godfather of Fascism?, hg. v. Golomb, J. u. a., 2002; Classen, C.,
Faschismus und Antifaschismus, 2004; Breuer, S., Nationalismus und Faschismus,
2005; Bauerkämper, A., Der Faschismus in Europa 1918-1945, 2006; Knox, M., To
the Threshold of Power 1922/33, 2007; Somma, S., Nicht einen Nagel habt ihr
entfernt, ZRG 125 (2008), 314; Dormagen, J., Logiques du Fascisme, 2008; Schieder,
W., Faschistische Diktaturen, 2008 (Sammelband); Wippermann, W., Faschismus,
2009; The Oxford Handbook of Fascism, hg. v. Bosworth, R., 2009; Schieder, W.,
Der italienische Faschismus 1919-1945, 2010; Stepanek, F., Ich bekämpfte jeden
Faschismus, 2010; Damm, M., Die Rezeption des italienischen Faschismus in der
Weimarer Republik, 2013; Wenke, N., Führer und Duce, 2013
Faustpfand ist
das dem Pfandgläubiger zu unmittelbarem Besitz übergebene →Pfand, dessen
Name sich von der unrichtigen Verbindung von (lat. [N.]) pignus, Pfand mit
(lat. [M.]) pugnus, Faust ableitet. Im römischen Recht ist das Pfand teils
Besitzpfand, teils besitzloses Pfand. Im deutschen Pfandrecht ist das Pfand
zunächst F., doch entwickelt sich im Hochmittelalter an einigen für den
Schuldner schwer entbehrlichen Sachen auch ein besitzloses Pfand (neuere
Satzung an Fahrnis). Trotz der Aufnahme des römischen Rechtes bleibt das
(dadurch zurückgedrängte) F. bestehen und wird in die Hypothec- und
Concursordnung Preußens (1722), das Allgemeine Landrecht Preußens (1794), das
Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs (1811/1812) und in das deutsche
Bürgerliche Gesetzbuch (1900) aufgenommen. Die deutsche Rechtswirklichkeit des
20. Jh.s zieht die →Sicherungsübereignung vor.
Lit.: Kaser § 31 III; Köbler, DRG 126, 164, 213; Hromadka,
W., Die Entwicklung des Faustpfandprinzips, 1971; Mitteis, H./Lieberich, H.,
Deutsches Privatrecht, 9. A. 1981, Kap. 39
Faustrecht (1467) ist die Bezeichnung für den Zustand der menschlichen
Gesellschaft, in dem sich jeder sein Recht mit eigener Faust (Selbsthilfe) zu
erkämpfen versucht. Insofern ist ein rechtsfreier Urzustand ein Zustand des
Faustrechts, dem als Gegensatz der moderne, zunehmend besser bewertete
Rechtsstaat gegenübersteht, in dem alle Verhältnisse rechtlich geordnet sind
und grundsätzlich alle einzelnen Interessen im Streit der Durchsetzung durch
den gewaltmonopolistischen Staat bedürfen.
Lit.: Wendt, O., Das Faustrecht, 1883; Fischer, M.,
Reichsreform und ewiger Landfrieden, 2007
favor (lat. [M.]) Gunst,
Begünstigung (z. B. im Zweifel für Gültigkeit oder für Freiheit)
favor (M.) iuris (lat.) Rechtswohltat
Favor (M.) libertatis (lat.) ist im spätrömischen Recht die im Zweifel im Rechtsstreit
um die Freiheit gewährte Begünstigung der Freiheit.
Lit.: Kaser §§ 13, 15; Söllner § 12; Köbler, DRG 57
Favor (M.) testamenti (lat.) ist im römischen Recht die bei mehreren
Auslegungsmöglichkeiten im Zweifel gewährte Begünstigung des nur unentgeltliche
Verfügungen enthaltenden Testaments gegenüber Geschäften unter Lebenden.
Lit.: Kaser § 68 I; Köbler, DRG 60
Favre (Faber),
Antoine (1557-1624) aus Savoyen wird nach dem Rechtsstudium in Paris und Turin
1585 Mitglied und 1610 Präsident des Gerichtshofs von Savoyen, dessen Entscheidungen
er in dem nach dem justinianischen Codex systematisierten Codex Fabrianus
definitionum forensium (Faberschen Buch der gerichtlichen Erklärungen) 1609
veröffentlicht (Begründer der Interpolationenforschung).
Lit.: Chevalier, L., Le président Favre, TRG 20 (1952),
263, 456
FDGB (Freier
Deutscher Gewerkschaftsbund [in der Deutschen Demokratischen Republik])
Febronius, Justinus ist das Pseudonym Johann
Nikolaus von Hontheims (Trier 27. 1. 1701-Montquintin/Luxemburg 2. 9. 1790,
Weihbischof von Trier), unter dem 1763 (lat.) De statu ecclesiae (Vom Zustand
der Kirche) erscheint, in dem der Gedanke der den Papst beschränkenden Nationalkirchen
unterstützt wird (Febronianismus).
Lit.: Mejer, O., Febronius, 2. A.
1885; Pitzer, V., Justinus Febronius, 1976
Februarpatent ist in →Österreich das dem →Oktoberdiplom folgende Patent
vom 26. 2. 1861, das als Verfassung (Februarverfassung) des österreichischen
Reiches einen Inbegriff von Grundgesetzen (Pragmatische Sanktion,
Oktoberdiplom, die anerkannten Teile der ungarischen Verfassung, Grundgesetz
über die Reichsvertretung, neue Landesordnungen für die cisleithanischen
Länder) versteht und für den Reichsrat zwei Kammern (Herrenhaus,
Abgeordnetenhaus) vorsieht (, wobei die Abgeordneten von den Landtagen zu
entsenden sind, 1873 Direktwahl) und damit den →Neoabsolutismus formal
beendet. Das F. schafft ein zentrales System und bildet die erste Grundlage für
den mit der →Dezemberverfassung 1867 begründeten Konstitutionalismus. In
Ungarn wird das Grundgesetz über die Reichsvertretung von liberalen Kräften
abgelehnt.
Lit.: Köbler, DRG 194; Baltl/Kocher;
Rottenbacher, B., Das Februarpatent in der Praxis, 2001; Das Februarpatent
1861, hg. v. Bussjäger, P. u. a., 2011
Fehde ist im mittelalterlichen deutschen Recht der Zustand der
rechtmäßigen, Verletzungen fremder Menschen und Sachen erlaubenden Feindschaft
zwischen dem Verletzten (und seiner Verwandtschaft) und dem Rechtsbrecher (und
seiner Verwandtschaft) zwecks Durchsetzung eines bestehenden oder behaupteten
Rechtes. Die F. lässt die Selbsthilfe zu und zwar auch in der Form der
Blutrache. Neben ihr steht wohl schon früh die Möglichkeit des
Erfolgsausgleichs durch Verhandlung bzw. Meinungsbildung oder Entscheidung
Dritter. Im Frühmittelalter beginnen König und Kirche die F. wegen ihrer
unbefriedigenden, in der Nähe des Unrechts stehenden Folgen zurückzudrängen.
Deswegen enthalten die Volksrechte umfangreiche Bußkataloge (→Kompositionensystem).
Im Hochmittelalter wird in den Landfriedensbestimmungen das Mittel der
peinlichen →Strafe gegen die F. eingesetzt. Die F. wird auf den Adel
beschränkt. Dem römischen Recht und dem kanonischen Recht ist die F. unbekannt,
so dass die Rezeption eher zur Ablehnung der F. führt. Landfrieden von 1467,
1486 und schließlich der ewige Landfriede von 1495 verbieten die F. umfassend.
Gleichzeitig wird das Reichskammergericht als Streitentscheidungsorgan
verfügbar. Danach geht die wohl noch gewohnheitsrechtlich legitimierte oder
zumindest gewohnheitsmäßig geübte F., wie sie beispielsweise auch der Berliner
Kaufmann Hans Kohlhase von 1534 bis 1538/1540 führt, tatsächlich allmählich
zurück. →Duell und →Selbsthilfe bleiben Überreste auch in der
Neuzeit.
Lit.: Köbler, LAW; Halban-Blumenstok, A., Königsschutz und
Fehde, ZRG GA 17 (1896), 63; Heusler, A., Das Strafrecht der Isländersagas,
1911; Beyerle, F., Das Entwicklungsproblem im germanischen Rechtsgang, 1915;
His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, 263, Neudruck
1964; Blockmans, F., Een patricische veete te Gent, Bulletijn der koninkl.
commissie van geschiedenis 99 (1935), 573; Goebel, J., Felony and misdemeanor, 1937;
Brunner, O., Land und Herrschaft, 1939, 2. A. 1942, 3. A. 1943, 4. A. 1959, 5.
A. 1965; Genzmer, F., Rache, Wergeld und Klage, 1941; Asmus, H., Rechtsprobleme
des mittelalterlichen Fehdewesens, 1951; Kaufmann, E., Die Fehde des Sichar, JuS
1 (1961), 85; Fenger, O., Fejde og mandebod, 1971; Obenaus, H., Recht und
Verfassung der Gesellschaft mit St. Jörgenschild, 1961; Orth, E., Die Fehden
der Reichsstadt Frankfurt am Main im Spätmittelalter, 1973; Sendler, H., Über
Michael Kohlhaas, 1985; Kaufmann, M., Fehde und Rechtshilfe, 1993; Terharn, C.,
Die Herforder Fehden, 1994; Ritzmann, P., Plackerey in deutschen Landen, 1995;
Müller-Tragin, C., Die Fehde des Hans Kohlhase, 1997; Zmora, H., State and
Nobility in Early Modern Germany, 1996; Althoff, G. Spielregeln der Politik im
Mittelalter, 1997; Vogel, T., Fehderecht und Fehdepraxis im Spätmittelalter,
1998; Dießelhorst, M./Duncker, A., Hans Kohlhase, 1999; Graf, K., Gewalt und
Adel in Südwestdeutschland, 2000; Hoheitliches Strafen in der Spätantike und im
frühen Mittelalter, hg. v. Weitzel, J., 2002; Reinle, C., Bauernfehden, 2003;
Hyams, P., Rancor and Reconciliation in Medieval England, 2003; Bechstein, E.,
Die Tierberger Fehde, 2004; Kortüm, H., Wissenschaft im Doppelpass? Carl
Schmitt, Otto Brunner und die Konstruktion der Fehde, HZ 282 (2006), 561ff.;
Feud in Medieval and Early Modern Europe, hg. v. Netterström, J. u. a., 2007;
Fischer, M., Reichsreform und ewiger Landfrieden, 2007; Bernoth, C., Die Fehde
des Sichar, 2008; Karauscheck, E., Fehde und Blutrache, 2011
Fehler (1470) ist im Kaufrecht
die Abweichung von einer vereinbarten oder vorausgesetzten Beschaffenheit.
Nach rezipiertem römischem Recht begründet der F. einen Anspruch auf Wandelung
oder Minderung.
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Fehmarn
Lit.: Thon, H., Untersuchungen zur
Rechtsgeschichte der Insel Fehmarn, Zs. der Gesellschaft für
schleswig-holsteinische Geschichte 70/71 (1943), 117; Kramer, K., Fehmarner
Volksleben, 1982,
Fehr, Hans
(Sankt Gallen 9. 11. 1874-Muri bei Bern 21. 11. 1961) wird nach dem
Rechtsstudium in Würzburg, Berlin (Heinrich Brunner, Otto von Gierke, Josef
Kohler), Bern (Eugen Huber) und Leipzig (Rudolf Sohm, Gerhard Seeliger)
Professor für deutsche Rechtsgeschichte in Jena (1907), Halle (1912),
Heidelberg (1917, Nachfolge Richard Schröders) und Bern (1924-1944). Seine
Hauptwerke betreffen das Recht im Bilde (1923), das Recht in der Dichtung
(1933) und die Dichtung im Recht (1937).
Lit.: Kunst und Recht, hg. v. Beyerle, F./Bader, K., 1948;
Bader, K., Hans Fehr, ZRG GA 80 (1963), XV; Jelowik, L., Tradition und
Fortschritt, 1998, 125f.
Feiertag ist
der kraft Rechtes arbeitsfreie Arbeitstag. Die Arbeitsfreiheit des siebenten
Wochentags und der Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten geht auf die
jüdisch-christliche Tradition zurück. 1642 schränkt Papst Urban VIII. die zu
groß gewordene Zahl der katholischen Feiertage auf 34 jährlich ein. Seit dem
19. Jh. wird die staatliche Gesetzgebung entscheidend, auf die auch die an
bezahlter Arbeitsfreiheit interessierten Gewerkschaften (Tag der Arbeit) und
die ihr ablehnend gegenüberstehenden Arbeitgeber Einfluss nehmen. Im
ausgehenden 20. Jh. verringern wirtschaftliche Überlegungen (z. B.
Maschinenauslastung, Konsumsteigerung, Freizeitmerkantilisierung) die
Bedeutung des Feiertags.
Lit.: Plöchl, W., Geschichte des Kirchenrechts, Bd. 1ff.
1953ff.; Krämer, J., Industrialisierung und Feiertage, 1999; Grube, A., Der
Sonntag, 2003; Bürkle, M., Die Entwicklung des Sonn- und Feiertagsschutzes in
Baden, Diss. jur. Freiburg im Breisgau 2003
Feigheit ist die Neigung des Menschen, sein Handeln
von Furcht vor Gefahren bestimmen zu lassen. Im Militärstrafgesetzbuch Preußens
von 1845 wird F. Straftatbestand. Auch nach § 6 Wehrstrafgesetz von 1957
entschuldigt Furcht vor persönlicher Gefahr nicht.
Lit.: Brinkkötter, H., Feigheit,
Diss, jur. Marburg 1983
Feine, Hans Erich (Göttingen 21. 3. 1890, Tübingen
6. 3. 1965), Theologensohn, wird 1913 in Halle bei Paul Rehme promoviert und
nach Kriegsteilnahme und Assistentenzeit bei seinem Schwiegervater Ulrich Stutz
1920 bei Paul Rehme in Breslau habilitiert. 1922 wird er Professor in Rostock,
1931 in Tübingen, wo er wegen seiner Verbundenheit mit dem Gedankengut des
Nationalsozialismus 1946 amtsenthoben und 1952 emeritiert wird, 1955 aber
seinen früheren Lehrstuhl wieder erhält. Seine Verfassungsgeschichte der
Neuzeit ist im Nationalsozialismus erfolgreich, seine kirchliche
Rechtsgeschichte unvollendet.
Lit.: Tausend Jahre deutsche Reichssehnsucht
und Reichswirklichkeit, 1935; Bader, K., Hans Erich Feine, ZRG KA 51 (1965),
XIff.,;Münchener rechtshistorische Studien zum Nationalsozialismus, hg. v.
Nehlsen, H., 1996
Feld ist das dem Ackerbau unterworfene Grundstück
(im Gegensatz zu Wiese und Wald).
Feldfrevel ist die ältere Sammelbezeichnung für die
Beschädigung eines fremden Feldes (z. B. Reiten über fremdes Feld, Überpflügen,
Übermähen). Der F. ist vor allem in Weistümern und Polizeiordnungen behandelt
(vgl. auch Art. 167f. CCC). Rechtsfolgen sind vielfach Bußen und Schadenseratz.
Lit.: His, R., Das Strafrecht des
deutschen Mittelalters, Bd. 2 1935, 224ff.
Feldservitut (F.) s. Servitut, Dienstbarkeit
Felonie (11. Jh.) ist der Treuebruch (im mittelalterlichen Lehnswesen) durch
Nichterfüllung der Lehnspflichten (z. B. heimlicher Verkauf des Lehens, Verweigerung
der Einlassung in einen Lehnsprozess, Tötung des Lehnsherrn). Die F. des Lehnsmanns
berechtigt den Lehnsherrn zur Einziehung des Lehens, doch wird diese Folge in
der Neuzeit abgemildert. Bei F. des Lehnsherrn kann der Lehnsmann eine →Fehde
beginnen oder eine Klage erheben.
Lit.: Mitteis, H., Lehnrecht und Staatsgewalt, 1933,
Neudruck 1957, 1972, 542, 679; Goebel, J., Felony and misdemeanor, 1937;
Illmer, F., Treubruch, Verrat und Felonie, Diss. jur. Breslau 1937; Theuerkauf,
G., Land und Lehnswesen, 1961; Diestelkamp, B., Das Lehnrecht der Grafen von
Katzenelnbogen, 1969; Bellamy, J., The Law of Treason, 1970; Ganshof, F., Was ist
das Lehnswesen?, 1961, 6. A. 1983, 104; Krieger, K., Die Lehnshoheit der
deutschen Könige im Spätmittelalter, 1979, 400
Feme (Bund?,
Strafe?), mhd. veme, ist im spätmittelalterlichen deutschen Recht die auf die
Verbesserung der Rechtspflege durch Femegerichte abzielende Bewegung innerhalb
der Gerichtsbarkeit (vemenoten 1227, 1306, 1311 belegt). Zu diesem Zweck
entstehen seit dem (13. oder) 14. Jh. aus den westfälischen Freigerichten
besondere Femegerichte, die mit einem Freigrafen und 7 Freischöffen besetzt
sind. Die Angehörigen des Femegerichts sind in feierlicher Form in die
Geheimnisse der F. eingeweiht. Jeder Freischöffe ist verpflichtet,
todeswürdiges Unrecht zu rügen (Diebstahl, Raub, Gewalt gegen Kirchen, Mord,
Meineid). Bei Bedarf können die Freischöffen überall ein Notgericht durchführen
und nach Überführung den Täter sofort mit dem Strang richten. Missachtet ein
Beschuldigter eine Ladung, so wird das Verfahren in Abwesenheit des Betroffenen
durchgeführt. Ohne dass er das Urteil kennt, muss er jederzeit mit der
Vollstreckung rechnen, wenngleich anscheinend nur eine ziemlich geringe Zahl
von Todesurteilen tatsächlich vollstreckt wird. Die allmählich mit teilweiser
königlicher Unterstützung über das Reich (rund 15000-30000 Freischöffen)
verbreitete F. wird wegen der auftretenden Missbräuche seit der Mitte des 15. Jh.s
zurückgedrängt. Sie endet im 18. Jh.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Wigand, P., Das Femgericht
Westfalens, 1825, 2. A. 1893, Neudruck 1968; Tross, L., Sammlung merkwürdiger
Urkunden für die Geschichte der Femgerichte, 1826; Usener, P., Die Frei- und
heimlichen Gerichte Westphalens, 18323; Duncker, H., Kritische Besprechung der
wichtigsten Quellen, ZRG GA 5 (1884), 116; Lindner, T., Die Veme, 1888, 2. A.
1896, Neudruck 1989; Schnettler, O., Die Veme, 1921, 2. A. 1933; Siedler, A.,
Geschichte des Niedergangs der westfälischen Femegerichte, 1935; Scherer, C.,
Die westfälischen Femegerichte und die Eidgenossenschaft, 1941; Veit, L.,
Nürnberg und die Feme, 1955; Harnisch, W., Anmerkungen zu neueren Ansichten
über die Feme, ZRG GA 102 (1985), 247; Gimbel, R., Die Reichsstadt Frankfurt am
Main, 1990; Fricke, E., Die westfälische Veme, 2002; Schwob, U., Spuren der
Femgerichtsbarkeit im spätmittelalterlichen Tirol, 2009; Fricke, E., Die
westfälische Veme Supplementband, 2011
Femegericht →Feme
Fememord (politischer Mord im 20. Jh.) z. B. an
Matthias Erzberger (1921) oder Walter Rathenau (1923)
Feminismus (M.) Geistesströmung des ausgehenden 20.
Jh.s zu Gunsten des Femininen oder Weiblichen
Lit.: Feministische
Rechtswissenschaft, hg. v. Foljanty, L. u. a., 2006, 2. A. 2012
Fenus (N.) nauticum (lat.) ist im klassischen römischen Recht das aus dem
griechischen Recht kommende, ohne weiteres in unbeschränkter Höhe verzinsliche →Darlehen
im Seerecht. Gehen die auf dem Schiff verladenen Sachen unter, so wird der
Darlehensnehmer frei.
Lit.: Kaser §§ 34 IV 2, 39 I 3; Mathiass, B., Das foenus
nauticum und die geschichtliche Entstehung der Bodmerei, 1881; Schuster, S.,
Das Seedarlehen in den Gerichtsreden des Demosthenes, 2005
Ferdinand I. (Alcalá de
Henares 10. 3. 1503-Wien 25. 7. 1564) ist der zweite Sohn Philipps von Burgund
und Johannas von Kastilien. Er vertritt seit 1521 seinen älteren Bruder Kaiser
Karl V. im Reich, erhält 1521/1522 die österreichischen Herzogtümer, wird über
(Heirat mit) Anna Jagiello von Ungarn am 23. 10. 1526/17. 12. 1526 zum König
von Böhmen bzw. Ungarn gewählt, wird am 5. 1. 1531 römischer König und am 14.
3. 1558 Kaiser des Heiligen römischen Reiches. Er begründet die österreichische
Linie der Habsburger. Bei seinem Tod werden die österreichischen Länder in eine
österreichische Linie, steirische Linie und Tiroler Linie geteilt.
Lit.:
Buchholtz, F., Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten, Bd. 1ff. 1831ff.;
Ferdinand I., hg. v. Fuchs, M. 2002; González Navarro, R., Fernando I., 2003;
Kaiser Ferdinand I. 1503-1564, 2003
Ferdinand III.
Lit.: Hengerer,
M., Kaiser Ferdinand III. (1608-1657, 2012
Fernhandel ist der
weiträumige Handel in Altertum und Mittelalter. Im Frühmittelalter wird der F.
vor allem von syrischen und jüdischen sowie auch friesischen, angelsächsischen
und normannischen Händlern betrieben. Mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft
dehnt sich der auch technisch verbesserte F. über weite Teile Europas aus und
geht in der Neuzeit in einen erdumspannenden F., Außenhandel oder Welthandel
über.
Lit.:
Warnke, C., Die Anfänge des Fernhandels in Polen, 1964; Untersuchungen zu
Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und
Nordeuropa, Teil 1ff. 1985ff.; Siems, H., Handel und Wucher im Spiegel frühmittelalterlicher
Rechtsquellen, 1995; Fernhandel und Geldwirtschaft, hg. v. Kluge, B., 1993;
Mercati e Mercanti nell’alto medioevo, 1993; Stoob, H., Die Hanse 1995; Nagel,
J., Abenteuer Fernhandel, 2007
Ferrara
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007
Fertigung
Lit.: Müller, W., Fertigung und
Gelöbnis mit dem Gerichtsstab, 1976
Fertigungsrecht
Lit.: Escher, A., Zur Geschichte
des zürcherischen Fertigungsrechtes, Jb. f. schweiz. Geschichte 32 (1907), 89
Fest ist
die gemeinschaftliche Feier eines Ereignisses. Verschiedentlich werden auch
rechtliche bedeutsame Ereignisse durch ein F. hervorgehoben (z. B.
Friedensschluss, Heirat).
Lit.: Das Fest, hg. v. Schultz, U., 1988; Köbler, G.,
Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte, 1988; Fest und Festhistorik, hg. v.
Kopperschmidt, J. u. a., 1999; Becker-Huberti, M., Lexikon der Bräuche und
Feste, 2000; Das Fest, hg. v. Maurer, M., 2004; Festrituale in der römischen
Kaiserzeit, hg. v. Rüpke, J., 2008; Feiern und Erinnern, hg. v. Beck, H. u. a.,
2009
Festkrönung ist im
Mittelalter die (Wiederholung einer) Krönung an einem Fest.
Lit.:
Klewitz, H., Die Festkrönung der deutschen Könige, ZRG KA 28 (1939), 48ff.;
Brühl, C., Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der Festkrönung, HZ 194
(1962), 265ff.; Jäschke, K., Frühmittelalterliche Festkrönungen?, HZ 211
(1970), 556ff.
Festschrift
Lit.:
Bibliographie juristischer Festschriften, bearb. v. Dau, H., Bd. 1ff.
(1945-1961ff.), 1962ff.
Feststellungsklage ist
die auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtete Klage.
Lit.: Weismann, J., Die
Feststellungsklage, 1879
Festuca ist
der seit dem Frühmittelalter (→Lex Salica, →Lex Ribvaria) als
Rechtssymbol verwendete Halm oder Stab. Eine f. wird etwa geworfen, wenn
jemand einseitig eine Bindung aufsagt (Exfestukation). Eine f. wird überreicht,
wenn ein Recht einverständlich übertragen werden soll. In der frühen Neuzeit
verschwindet die f.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 23; Köbler, LAW;
Michelsen, A., Über die festuca, 1856; Thévenin, M., Wadium et festuca,
Nouvelle Revue historique du droit, 1880, 69; Amira, K. v., Der Stab in der
germanischen Rechtssymbolik, 1909, 145; Hagemann, H., Fides facta und wadiatio,
ZRG GA 83 (1966), 1
Festung ist
der zum Zweck der Verteidigung durch Bauwerke besonders (fest) gesicherte Ort
in der frühen Neuzeit. Die F. entsteht im 14./15. Jh. in Italien, als die
schweren Geschütze die bisherigen Befestigungen von Burg und Stadt entwerten.
Führend im Festungsbau wird danach Frankreich (Vauban 1633-1707). 1820 gibt es
in Preußen noch 24 Festungen. Spätestens die Erfindung der Luftwaffe lässt die
nur horizontal gesicherten Festungen wertlos werden.
Lit.: Menne, P., Die Festung des norddeutschen Raumes,
1942; Huber, R./Rieth, R., Festungen, 1979; Neumann, H., Festungsbaukunst und
Festungsbautechnik, 1988; Böhme, H. u. a., Wörterbuch der Burgen, Schlösser
und Festungen, 2004
Festungsbaustrafe ist die in der zwangsweisen Mitwirkung im Bau einer →Festung
bestehende Strafe der frühen Neuzeit (z. T. bis 1867).
Lit.: Kleinschrod, G., Über die Strafe der öffentlichen
Arbeiten, 1789; Krause, T., Geschichte des Strafvollzugs, 1999; Ivanovic, I.,
Zwangsarbeit als Strafe, 2002
Festungshaft ist
die in einer →Festung vollzogene Freiheitsstrafe der mittleren Neuzeit.
Sie zieht keine Ehrenminderung nach sich. 1954 wird sie von den Alliierten
verboten, nach Wiederbelebung als Einschließung 1969 mit Einführung der
Einheitsfreiheitsstrafe aufgegeben.
Lit.: Wächter, C., Lehrbuch des römisch-deutschen
Strafrechts, Bd. 1 1825; Sonntag, K., Die Festungshaft 1872; Otto, W., Die
Festungshaft, Diss. jur. Jena 1939; Uhl, K., Grundlagen der Festungshaft, Diss.
jur. Tübingen 1940 (masch. schr.); Giesing, G., Entbehrlichkeit der
Festungshaft?, Diss. jur. Tübingen 1948 (masch. schr.); Jennings, G., Die
custodia honesta, Diss. jur. Köln 1965 (masch. schr.); Krause, T., Geschichte
des Strafvollzugs, 1999
Feudalismus (frz. feodalité 1722/1727) ist im Sinne eines idealtypischen Ordnungsbegriffs die
soziale, wirtschaftliche und politische Ordnung einer Gesellschaft, in der eine
(adlige) Oberschicht mit Rechten an Land und anderen Gegenständen als Ausgleich
für Kriegsdienste und andere Dienste ausgestattet wird, im engeren Sinn das
Lehnswesen. In Europa entsteht der F. spätestens im Frühmittelalter. Er bleibt
bis in das 19. Jh. (1848) bestimmend, wenn er auch seit dem ausgehenden 18. Jh.
bekämpft wird. →Lehen
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 174; Baltl/Kocher;
Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 337; Beaudoin, E., Étude sur les
origines du régime féodal, 1889; Bloch, M., La société féodale, Bd. 1f. 1939f.;
Brunner, O., Feudalismus, Abh. d. Akad. d. Wiss. Mainz, 1958, 10; Graus, F.,
Die Gewalt bei den Anfängen des Feudalismus, Jb. f. Wirtschaftsgeschichte 1
(1961), 61; Feudalismus, hg. v. Wunder, H., 1974; Feudalismus, hg. v.
Kuchenbuch, L. u. a., 1977; Guerreau, A., Le féodalisme, 1980; Duby, H., Die
drei Ordnungen, 1981; Zum Problem des Feudalismus in Europa, 1981; Schulze, H.,
Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter, 1985; Feudalismus, hg. v.
Müller-Mertens, E., 1985; Strukturen der Grundherrschaft im frühen
Mittelalter, hg. v. Rösener, W., 1989; Kroeschell, K., Lehnrecht und
Verfassung, 1997; Borgolte, M., Feudalismus, ZHF 25 (1998), 245ff.; Bloch, M.,
Die Feudalgesellschaft, 1999; Blickle, P., Kommunalismus, 2000; Die Gegenwart
des Feudalismus, hg. v. Fryde, N. u. a., 2002; Fiefs et féodalité, hg. v.
Bonnassie, P., 2002
Feudistik (F.) Wissenschaft vom (mlat.) feudum (N.) bzw. vom Lehnswesen bzw. vom
Lehnsrecht
feudum (mlat.
[N.]) Lehen, wahrscheinlich zu ahd. fihu (N.) Vieh, Erstbeleg Sankt Gallen 786,
im 13. Jh. häufiger als (lat.) beneficium (N.), f. extra curtem (sachlich seit
dem hohen Mittelalter, Wort 18. Jh.) Lehen außerhalb der eigenen
Landesherrschaft
Lit.: Köbler, LAW; Prausnitz, O., Feuda extra curtem, 1929;
Krawinkel, H., Feudum, 1938; Tiefenbach, H., Studien zu Wörtern volkssprachiger
Herkunft, 1973, 100ff.; Spieß, K., Das Lehnswesen in Deutschland, 2002, 2. A.
1009
Feuerbach,
Paul Johann Anselm von (Hainichen bei Jena 14. 11. 1775-Frankfurt am Main 29.
5. 1833), unehelich geborenes Kind eines späteren Anwalts, wird nach dem
Studium von Philosophie und Recht in Jena (1795 Dr. phil., 1799 Dr. iur.) außerordentlicher
Professor in Jena, 1801 ordentlicher Professor, 1802 in Kiel und 1804 in
Landshut sowie nach Aufgabe seiner Lehrtätigkeit 1805 Verwaltungsbeamter in
München, 1814 Appellationsvizegerichtspräsident in Bamberg und 1817 Appellationsgerichtspräsident
in Ansbach. Auf Grund des 1801 erschienenen Lehrbuchs des gemeinen in
Deutschland gültigen peinlichen Rechtes (Jede Zufügung einer Strafe setzt ein
Strafgesetz voraus - die Zufügung einer Strafe ist bedingt durch das Dasein der
bedrohten Handlung - die gesetzlich bedrohte Tat bedingt die gesetzliche
Strafe) wird ihm (1804) die Erarbeitung eines modernen →Strafgesetzbuchs
(1813) in →Bayern übertragen. Wegen seiner von der Aufklärung geprägten
Theorie des psychologischen Zwangs will er mit genauen Tatbeständen ([lat.] →nullum
crimen sine lege) jedermann von Verletzungen der Rechte anderer abschrecken (→Generalprävention
durch Furcht vor Strafe) und dadurch die wechselseitige Freiheit des Bürgers
schützen. Im Verfahren setzt sich F. für Öffentlichkeit und Mündlichkeit ein.
Daneben entwickelt er auch kriminalsoziologische Vorstellungen.
Lit.: Köbler, DRG 181, 204; Feuerbach, L., Anselm Ritter
von Feuerbachs Leben, 1852; Döring, W., Feuerbachs Straftheorie, 1907, Neudruck
1958; Radbruch, G., Paul Johann Anselm Feuerbach, 1934, 2. A. 1957, 3. A. 1969,
4. A. 1998 (auch in Radbruch-Gesamtausgabe); Blau, G., P. J. A. Feuerbach,
1948; Wolf, E., Große Rechtsdenker, 1939, 4. A. 1963, 543; Naucke, W., Kant und
die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, 1962; Gallas, W., P. J. A.
Feuerbachs „Kritik des natürlichen Rechts“ 1964 (SB Heidelberg); Kipper, E.,
Johann Paul Anselm Feuerbach, 1969; Schubert, G., Feuerbachs Entwurf zu einem
Strafgesetzbuch, 1978; Feuerbach, Paul Johann Anselm – Savigny, Friedrich Carl
von, 12 Stücke aus dem Briefwechsel, hg. v. Kadel, H., 1990; Neh, S., Die
posthumen Auflagen von Feuerbachs Lehrbuch, 1991; Küper, W., Das Verbrechen am
Seelenleben, 1991; Feuerbach, P., Reflexionen, hg. v. Küper, W., 1993; Die
Bedeutung P. J. A. Feuerbachs, hg. v. Haney, G., 2003; Feuerbachs Bayerisches
Strafgesetzbuch, hg. v. Koch, A. u. a., 2014
Feuerschau ist
die im Spätmittelalter in den Städten und danach auch in den Dörfern
entwickelte regelmäßige amtliche Überprüfung aller Gebäude auf ihre Feuersicherheit,
bei der auch Geldstrafe oder Gefängnis verhängt werden kann.
Lit.: Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte des
mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff., 2, 367ff.
Feuerstrafe ist
das Verbrennen eines Täters. Die F. ist im Altertum bekannt. Sie ist im
Frühmittelalter selten. Mit dem peinlichen Strafrecht wird sie für
Brandstiftung, Ketzerei und Unzucht mit Tieren üblich (Sachsenspiegel Landrecht
[1221-1224] II 13 § 7, CCC [1532] Art. 109, 111, 116, 125, 172). Bald werden
insbesondere Hexen verbrannt. Als Folge der Aufklärung wird die F. seit dem 18.
Jh. aufgegeben.
Lit.: Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck
1961, 639; His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, 502,
Neudruck 1964; Behringer, W., Mit dem Feuer vom Leben zum Tod, 1988
Feuerversicherung ist
die Versicherung gegen Schäden an Sachen durch Feuer. Erste Ansätze finden sich
bereits im Mittelalter. In der Neuzeit wird die F. Zwangsversicherung.
Lit.: ;
Kühn, R., Das Brandversicherungswesen im Königreich Sachsen 1913, Neudruck
2013; Helmer, G., Die Geschichte der privaten Feuerversicherung in den
Herzogtümern Schleswig und Holstein, Bd. 1f. 1925f.; Ebel, W., Die Hamburger
Feuerkontrakte und die Anfänge des deutschen Feuerversicherungsrechts, 1936;
Zwiewrlein, C., Der gezähmte Prometheus - Feuer und Sicherheit, 2011
Feuerwehr ist die
Abwehr von Gefahren des Feuers meist durch gemeinsame Anstrengung mehrerer
Menschen. Sie beginnt als staatliche Leistung im Grunde mit der Schaffung von
Wächtern ([lat.] vigiles [M.Pl.] Wächter) in Rom unter Kaiser Augustus (27. v.
Chr.-14 n. Chr.). Im 19. Jh. treten freiwillige Feuerwehr in kleinen Gemeinden
und berufsmäßige Feuerwehr in Großstädten einander gegenüber.
Lit.: Wallat, K., Sequitur clades – Die Vigiles im antiken
Rom, 2004
Fiat iustitia et pereat mundus (lat.). Es muss Gerechtigkeit geübt werden und der Hochmut
zu Fall kommen (bzw. es muss Gerechtigkeit geschehen, selbst wenn die Welt
darüber zugrunde gehen sollte).
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Anfang 16. Jh.)
Fichard,
Johann (Frankfurt am Main 23. 6. 1512-Frankfurt am Main 7. 6. 1580) wird nach
dem Rechtsstudium in Heidelberg (1528), Freiburg im Breisgau (Ulrich Zasius)
und Basel (1530) sowie der Promotion in Freiburg im Breisgau am 28. 11. 1531
Advokat in Frankfurt am Main, 1532/1533 am Reichkammergericht in Speyer und
dann Syndikus in Frankfurt am Main und nach dem Studium in Padua 1536/1537
Anwalt und Berater in Frankfurt am Main. Seine wichtigsten Leistungen sind
neben den 1539 in Fortführung eines Werkes des Bernhard Rutilius
veröffentlichten (lat.) Vitae (F.Pl.) iurisconsultorum recentiorum
(Lebensbeschreibungen neuerer Rechtsgelehrter) (stark romanisiert) die
Gerichts- und Landesordnung der Grafschaften →Solms (1571) und die
revidierte Reformation der Stadt →Frankfurt am Main (1578).
Lit.: Köbler, DRG 143; Jung, R., Dr. Johann Fichard, 1889;
Rivier, A., Über die ars notariatus von Johann Fichard (1539), ZRG RA 13
(1892), 356
Fichte, Johann Gottlieb (Rammenau bei Bischofswerda
19. 5. 1762-Berlin 29. 1. 1814), Philosoph des deutschen Idealismus (Jena
1794-1799, Erlangen 1805-1806, Königsberg 1806-1807, Berlin 1810) bestimmt das
Recht im Sinne eines Verhältnisses der wechselseitigen Freiheitsbeschränkungen,
genannt Rechtsverhältnis, wobei schon im Naturzustand das Rechtsgesetz den
Einzelnen verpflichtet und ein Urrecht auf Freiheit, Unantastbarkeit des
Körpers und Eigentum verleiht.
Lit.: Verweyen, H., Recht und
Sittlichkeit in Johann Gottlieb Fichtes Gesellschaftslehre, 1875; Fichte, J.
G., Gesamtausgabe, Bd. 1ff. 1962ff. (42 Bände)Fichtes Lehre vom
Rechtsverhältnis, hg. v. Kahlo, M., 1992; Pauly, W., Freiheit und Zwang in
Fichtes Staatsphilosophie (in) Recht, Idee, Geschichte, 2000, 591ff.
Ficker,
Julius (Paderborn 30. 4. 1826-Innsbruck 10. 7. 1902) wird nach dem Studium von
Geschichte und Recht in Münster, Berlin und Bonn 1852 (bis 1879) Professor für
Geschichte und zeitweise (1863) Rechtsgeschichte in Innsbruck, wo er zahlreiche
unterschiedliche Fragen an Hand vorwiegend urkundlicher Quellen und später auch
vergleichender Zielsetzungen untersucht.
Lit.:
Puntschart, P., Julius Ficker, ZRG GA 23 (1902), XIV; Jung, J., Julius Ficker,
1907; Brechenmacher, T., Julius Ficker, Geschichte und Region 5 (1996), 53ff.
fictus (lat. [Adj.]) erdacht, fingiert z. B. (lat.) fictus possessor, gingierter
Besitzer
Fideicommissum (lat. [N.] der Treue Anvertrautes) ist im römischen Recht
zunächst die formlose, nur sittlich verpflichtende Anordnung (Bitte), die der
Erblasser dem in einem Testament eingesetzten Erben erteilt bzw. mitteilt. Seit
Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.) wird das aus solchen Briefen entstehende
Kodizill zusammen mit dem darin enthaltenen f. zu einer obligatorisch wirkenden
Rechtseinrichtung, die der Bedachte vor dem Konsul, später vor einem besonderen
(lat.) praetor (M.) fideicommissarius (Fideikommissprätor) geltend machen
kann. Justinian (527-565) stellt f. und (lat. [N.]) legatum, Vermächtnis
gleich. Beschwert werden kann der Erbe, der Vermächnisnehmer, ein anderer
Fideikommissar oder der erbende Fiskus, betroffen sein kann ein einzelner
Gegenstand oder die ganze Erbschaft.
Lit.: Kaser § 68 V
Fideikommiss (1543) →fideicommissum, Familienfideikommiss
Lit.:
Kunsemüller, E., Zur Entstehung der westfälischen Fideikommisse, 1909; Heß, K.,
Junker und bürgerliche Großgrundbesitzer im Kaiserreich, 1990; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Fischer,
H., Die Auflösung der Fideikommisse, 2ß13
fideikommissarisch (Adj.) ein Fideikommiss betreffend
Fideiussio (lat.
[F.]) ist im römischen Recht eine in der späten Republik für jede Schuld
zulässige Form der →Bürgschaft.
Lit.: Kaser § 57 II 2
Fidelis (lat. [M.])
Getreuer, Gläubiger
Lit.: Gladiß, D. v., Fidelis regis, ZRG GA 57 (1937), 442;
Hannig, J., Consensus fidelium, ZRG GA 102 (1985), 351
Fidepromissio (lat. [F.]) ist im römischen Recht die Nachbildung der nur unter
römischen Bürgern und neben einer Stipulation möglichen (lat. [F.]) sponsio (→Bürgschaft)
für Nichtbürger.
Lit.: Kaser § 57 II 2; Köbler, DRG 44,
63
Fides (lat.
[F.]) ist im römischen Recht die anfangs nur sittliche, dann aber auch rechtliche
Verpflichtung, zu einem gegebenen Wort zu stehen. Bona f. ist die gute Treue,
mala f. die schlechte Treue, durch die sich beispielsweise redlicher Besitzer
und unredlicher Besitzer voneinander unterscheiden. Auf die f. stützt das
römische Recht vor allem die Fälle des →bonae-fidei-iudicium (Klage aus
den wichtigsten formfrei begründeten Schuldverhältnissen).
Lit.: Kaser §§ 3 III 3, 13 I 2, 63 I 3; Söllner § 9;
Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 27, 45; Köbler, LAW; Lombardi, L., Della fides
alla bona fides, 1961; Hagemann, H., Fides facta und wadiatio, ZRG GA 83
(1966), 1; Honsell, H., Quod interest im bonae fidei iudicium, 1969; Nörr, D.,
Die fides im römischen Völkerrecht, 1991; Schneider, N., Uberrima fides, 2004
Fiducia (lat.
[F.]) ist im klassischen römischen Recht die Sicherungsübereignung, bei der dem
Gläubiger (Fiduziar) als Sicherungsnehmer vom Schuldner (Fiduziant) als
Sicherungsgeber das Eigentum an einer Sache unter der Treuabrede (f.)
verschafft wird, dass die Sache nach Erreichung des Sicherungszwecks (z. B. Tilgung
der gesicherten Schuld) zurückzuübereignen sei. Im spätantiken römischen Recht
stirbt die F. ab.
Lit.: Kaser §§ 7 I 1, 24 II 2, 39 IV 2; Söllner § 9;
Köbler, DRG 41, 62; Noordraven, B., Von der fiducia zur Treuhandschaft,
Österreich. Notariatszeitung 1995, 256; Itinera fiduciae, hg. v. Helmholz, R.
u. a., 1998; Noordraven, B., Die Fiduzia im römischen Recht, 1999
Fiktion ist
der Rechtssatz, der eine in Wahrheit nicht bestehende Tatsache als bestehend
behandelt (z. B. gilt lange Zeit das uneheliche Kind nicht als mit seinem Vater
verwandt, obwohl es tatsächlich mit ihm verwandt ist). Die F. ist bereits dem
römischen Recht an einzelnen Stellen bekannt (z. B. bei vereitelter Bedingung).
Lit.: Kaser § 10 I 1; Söllner § 9
Fiktionstheorie ist im 19. Jh. die von Savigny vertretene Ansicht, dass die
→juristische Person nur eine →Fiktion sei.
Lit.: Kroeschell, DRG 3
filia (lat. [F.]) Tochter
filius (lat. [M.]) Sohn
Film
Lit.:
Ackermann, A., Film und Fimrecht, 2013
final zweckgerichtet
Finale Handlungslehre ist die von Hans Welzel in der Mitte des 20. Jh.s
entwickelte Lehre vom zweckgerichteten Handeln des Straftäters, nach welcher
der →Vorsatz als subjektiver Teil des Tatbestands zu verstehen ist.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.
Finanz ist die vom mlat. Verb finare, festgesetzte
Abgabe bezahlen abgeleitete Vermögenslage einschließlich des dafür notwendigen
Rechnungswesens. Der Ausdruck Finanz(en) wird im 16. Jh. gebräuchlich, nachdem
die Verfügbarkeit über Geldmittel als Grundlage von Herrschaftsverwirklichung
erkannt wird. Im 16. und 17. Jh. bestehen landesherrliche und landständische
Finanzverwaltung nebeneinander, doch bricht die landständische Finanzverwaltung
im dreißigjährigen Krieg (1618-1648) vielerorts zusammen. Danach dienen alle
öffentlichen Einnahmen der Befriedigung aller öffentlichen Ausgaben. Im 19. Jh.
setzt sich die Steuer als Einnahmequelle gegenüber den Einnahmen aus Domänen
und Regalien durch. Nach dem ersten Weltkrieg wird unter dem
Reichsfinanzminister Matthias Erzberger die progressive Einkommensteuer mit
Lohnsteuerabzug bei dem Arbeitgeber eingeführt. Das ausgehende 20. Jh. ist von
der zunehmenden Bedeutung der weniger deutlich erkennbaren indirekten Steuer
(Mehrwertsteuer), das Haushaltsbewilligungsrecht des Parlaments, die
öffentliche Haushaltsordnung, durch Kassenordnungen, Rechnungslegungsordungen
und Prüfungsbehörden gekennzeichnet.
Lit.: Brunner, O., Die Finanzen
der Stadt Wien, 1929; Schnee, H., Die Hoffinanz und der moderne Staat, Bd. 1ff.
1963ff.; Schulz, H., Das System und die Prinzipien der Einkünfte im werdenden
Staat der Neuzeit, 1982; Stolleis, M., Pecunia nervus rerum, 1983; Witzleben,
A. v., Staatsfinanznot und sozialer Wandel, 1985; Ullmann, H., Staatsschulden
und Reformpolitik, 1986; Buchholz, W., Öffentliche Finanzen und
Finnazverwaltung, 1992; Schremmer, E., Über gerechte Steuern, 1994; Economic
Systems and State Finance, hg. v. Bonney, R., 1995; Alpers, M., Das nachrepublikanische
Finanzsystem, 1995; Buchholz, W., Geschichte der öffentlichen Finanzen in
Europa, 1996; Schwennicke, A., Ohne Steuer kein Staat, 1996; The Rise of the
Fiscal State in Europe, hg. v. Bonney, R., 1999; Staatsfinanzen -
Statsverschuldung - Staatsbankrotte in der europäischen Staaten- und
Rechtsgeschichte, hg. v. Lingelbach, G., 2000; Mersiowsky, M., Die Anfänge
territorialer Rechnungslegung im deutschen Nordwesten, 2000; Finanzen und
Herrschaft, hg. v. Edelmayer, F. u. a., 2003; Ullmann, H., Der deutsche
Steuerstaat - Eine Geschichte der öffentlichen Finanzen, 2005; Isenmann, M.,
Die Verwaltung der päpstlichen Staatsschuld, 2005; Schirmer, U., Kursächsische
Staatsfinanzen (1456-1656), 2006; Handbuch der europäischen
Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, hg. v. Brandt, P., Bd. 1 2006; Städtische
Finanzwirtschaft am Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit, hg. v.
Seggern, H. v., 2007; Ullmann, H., Staat und Schulden, 2009; Lehmann, M.,
Finanzinstrumente, 2010
Finanzausgleich ist der finanzielle Ausgleich
zwischen verschiedenen Personen, insbesondere zwischen Hoheitsträgern (z. B.
Ländern, Gemeinden, Krankenkassen).
Lit.: Hidien, J.,
Der bundesstaatliche Finanzausgleich, 1998
Finanzgerichtsbarkeit ist der in Deutschland 1918 aus der
Verwaltungsgerichtsbarkeit gelöste (RGBl 1918, 959 Reichsfinanzhof, 13. 12.
1919 Finanzgericht, 28. 8. 1939 außer Tätigkeit gesetzt), vor allem in der
zweiten Hälfte des 20. Jh.s hauptsächlich für Steuerstreitigkeiten
eingerichtete Zweig der →Gerichtsbarkeit.
Lit.: Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts,
1954; Kumpf, J., Die Finanzgerichtsbarkeit, (in) Justizalltag im Dritten Reich,
1988, 81
Finanzverwaltung ist der die Einnahmen des Staates (und anderer
öffentlichrechtlicher Körperschaften) betreffende Teil der Verwaltung. Die F.
erfolgt in Rom durch Verpachtung der Staatseinkünfte an meistbietende private
Unternehmer (Steuerpächter). Im Mittelalter gelangen trotz des besonderen
Hofamtes des →Kämmerers erst die Landesherren allmählich zu einer
geordneten F. (z. B. 1491 Raitkammer König Maximilians in Tirol, im Reich 1495
Versuch des Gemeinen Pfennigs). Diese gewinnt mit dem Ausbau der gesamten
Staatstätigkeit in der Neuzeit immer größere Bedeutung, wobei in Preußen seit
1713 ein genauer und regelmäßiger Haushaltsvoranschlag aufgestellt und 1714
zur Prüfung eine Oberrechnungskammer geschaffen wird. Im 19. Jh. wird das
Finanzwesen weitgehend verrechtlicht. In Deutschland ist die F. in der Gegenwart
in Finanzministerium, Oberfinanzdirektion und Finanzamt gegliedert.
Lit.: Mommsen, T., Römisches Staatsrecht, Bd. 1ff. 3. A.
1887, Neudruck 1963; Schmoller, G., Preußische Verfassungs-, Verwaltungs- und
Finanzgeschichte, 1921; Bamberger, E., Die Finanzverwaltung in den deutschen
Territorien des Mittelalters 1200-1500, Z. f. d. ges. Staatswiss. 77 (1923),
168; Handbuch der Finanzwissenschaft, hg. v. Gerloff, W. u. a., Bd. 1 2. A.
1952; Kummer, J., Der Einfluss des Parlaments auf das Finanzwesen, 1964;
Engelhardt, H., Landstände und Finanzwesen in Bayern im 15. und 16.
Jahrhundert, 1967; Wolfe, M., The Fiscal System of Renaissance France, 1972;
Küchler, W., Die Finanzen der Krone Aragón, 1983; Die Kontrolle der
Staatsfinanzen, 1989; Die Verwaltung und ihre Ressourcen, hg. v. Dilcher, G.,
1991; Finanzen und Staatsräson in Italien und Deutschland, hg. v. Maddalena, A.
de u. a., 1992; 75 Jahre Reichsfinanzhof - Bundesfinanzhof, 1993; Kanther, M.,
Finanzverwaltung zwischen Staat und Gesellschaft, 1993; Schremmer, E., Steuern
und Staatsfinanzen, 1994; The Rise of the Fiscal State in Europe, hg. v.
Bonney, R., 1999; Schirmer, U., Kursächsische Staatsfinanzen (1456-1656), 2006;
Kempny, S., Die Staatsfinanzierung nach dere Paulskirchenverfassung, 2011
Finch, Heneage
(1611-1682) wird nach dem Studium am Christ Church College 1638 Mitglied der
Inn of Court Inner Temple in London und 1673 als Lord Chancellor Vorsitzender
des →Court of Chancery, wo er eine zusammenfassende Gestaltung der →equity
(des englischen Rechtes) bewirkt.
Lit.: Holdsworth, W., A History of English Law, Bd. 1ff. 1903ff.,
6, 539
Findebuch,
Findbuch, ist das archivalische Hilfsmittel zum Auffinden von Daten bzw.
Überlieferungsträgern(z. B. Akten) vor allem in Archiven.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Eberling, H., Findbuch zu den
Reichskammergerichtsakten 1551-1806, 1985; Stein-Stegemann, H., Findbuch der
Reichskammergerichtsakten im Archiv der Hansestadt Lübeck, 1987
Findelkind ist das ohne sicheren Hinweis auf seine
Eltern gefundene Kind. Vielleicht anfangs rechtmäßig, wird die Aussetzung eines
Kindes in Rom 374 n. Chr. mit Strafe bedroht. Ausgehend von Italien (Mailand
787, Siena 832) entstehen Findelhäuser. Um 1800 wird die Zahl der Findelkinder
auf rund 100000 jährlich geschätzt.
Lit.: Hügel, F., Die Findelhäuser
und das Findelwesen, 1863; Hunecke, V., Die Findelkinder von Mailand, 1987;
Meumann, M., Findelkinder, Waisenhäuser, Kindsmord, 1995; Gestrich, A. u. a.,
Geschichte der Familie, hg. v. 2003
Finnland ist
der zwischen Schweden, Russland und Estland gelegene nordosteuropäische,
hauptsächlich von schon im 4. oder 3. Jt. v. Chr. aus Asien kommenden Finnen
besiedelte Staat. Im Hochmittelalter (1150-1323) wird das von Schweden aus
christianisierte Gebiet zu einem Teil →Schwedens erklärt. Im frühen 16.
Jh. wird die Reformation eingeführt. 1809 muss Schweden zugunsten →Russlands
auf F. (autonomes Großfürstentum) verzichten, doch bleibt das von Schweden
geprägte Recht bestehen. Helsinki wird 1812 statt des westlicheren Turku Hauptstadt
und erhält 1827 auch die 1640 in Turku gegründete Universität. 1863 wird
Finnisch neben Schwedisch zweite Amtssprache. Seit 1872 arbeiten die nordischen
Länder im Recht verstärkt zusammen. Unter dem Einfluss der deutschen Rechtswissenschaft
entsteht eine finnische Rechtswissenschaft. 1889/1894 wird ein Strafgesetzbuch
geschaffen. 1906 wird im Rahmen eines allgemeinen Wahlrechts das
Frauenwahlrecht eingeführt. Nach der Oktoberrevolution vom (25. 10./)7. 11.
1917 in Russland ruft F. am 15. 11. 1917 die Selbständigkeit aus. 1920 erkennt
Russland das am 21. 6. 1919 mit einer republikanischen Verfassung begabte F.
an. Im zweiten Weltkrieg verliert das bis 1944 auf Seiten des Deutschen Reiches
kämpfende Land Gebiete an die Sowjetunion und steht lange unter sowjetischem
Einfluss. 1961 verbindet es sich mit der Europäischen Freihandelszone. 1975
findet in Helsinki eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
statt. 1991 ratifiziert F. die Europäische Menschenrechtskonvention. Zum 1. 1.
1995 tritt es aus der Europäischen Freihandelszone der →Europäischen
Union bei. 2000 wird ein Grundgesetz angeommen.
Lit.: Getz, B., Das staatsrechtliche Verhältnis zwischen
Finnland und Russland, 1900, Neudruck 2013; Der Stolypinsche Gesetzentwurf, hg.
v. Habermann, W., 1911, Neudruck 2013; Jutikkala, E./Pirinen, K., Geschichte
Finnlands, 1964; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,542,1027,
3,4,485; Klinge, M., A brief history of Finland, 1984; Vahtola, J., Keskiaika. Suomen
historia pikkujättiläinen, 1987; Jodhatus Suomen oikeushistoriaan, hg. v.
Letto-Vanamo. P., 1990; Albrecht, W./Kantola, M., Finnland, 1992; Finlands
Historia, hg. v. Edgren, T. u. a., Bd. 1ff. 1992ff.; Björne, L., Den nordiska
rättsvetenskapens historia, Bd. 1ff. 1995ff.; Finnland und Deutschland, hg. v.
Menger, M. u. a., 1996; Finnisch-deutsche Kulturbeziehungen, hg. v. Jäntti, A.
u. a., 1998; Endemann, H., Das Regierungssystem Finnlands, 1999; Ettmayer, W.,
Finnland, 1999; Pesonen, P./Riihinen, O., Dynamic Finland, 2002; Kohler, M.,
Die Entwicklung des schwedischen Zivilprozessrechts, 2002; Björne, L., Den
Nordiska rättsvetenskapens historia, Bd. 3 1871-1910, 2002; Nesemann, F., Ein Staat,
kein Gouvernement, 2003; Kähönen, A., The Soviet Union, Finland and the Cold
War, 2006; Meinander, H., Finlands historia, 2006; Silvennoinen, O., Geheime
Waffenbrüderschaft, 2010; Land unter dem Nordlicht, hg. v. Halmesvirta, A.,
2013
Firma (1705) ist der →Name
des Kaufmanns, unter dem er im Handel seine Geschäfte betreibt, im weiteren
Sinn auch das →Unternehmen. Die F. entsteht aus dem mittelalterlichen
Handel (Italien 12. Jh., in den deutschen Sprachraum am Anfang des 18. Jh.s
entlehnt, ALR [1794] II, 8, 617). Sie kann mit dem Unternehmen übertragen
werden.
Lit.: Erlanger, H., Über Ursprung und Wesen der Firma,
Diss. jur. Tübingen 1891; Rehme, P., Geschichte des Handelsrechts, 1913;
Bokelmann, G., Das Recht der Firmen- und Geschäftsbezeichnungen, 1974, 5. A.
2000; Lutz, E., Die rechtliche Struktur süddeutscher Handelsgesellschaften,
1976; Krause, O, Die Entwicklung des Firmenrechts im 19. Jahrhundert, 1995;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Fischbeck (Stift)
Lit.:
Oldermann, R., Stift Fischbeck, 2010
Fischereirecht ist das Recht, in einem Binnengewässer Fische, Krebse und
andere nutzbare Wassertiere, die nicht Gegenstand des Jagdrechts sind, zu hegen
und sich anzueignen. Die ursprünglich freie Fischerei wird schon im
Frühmittelalter an kleinen Gewässern vom Anwohner als Eigentümer und an
größeren Gewässern vom König als Regal beansprucht. Vom König geht das Regal
seit dem Hochmittelalter auf den Landesherrn und damit später grundsätzlich auf
den neuzeitlichen Staat als Eigentümer des Gewässers über. Der Inhaber des
Fischereirechts kann das Fischereiausübungsrecht verpachten.
Lit.:
Hübner; Kroeschell, DRG 2; Stoffel, F., Die Fischereiverhältnisse des
Bodensees, 1906; Brünneck, W. v., Zur Geschichte des altpreußischen Jagd- und
Fischereirechts, ZRG GA 39 (1918), 88; Zumbach, E., Die Fischereirechte des
Aegerisees, Diss. jur. Freiburg im Üchtland 1922; Kisch, G., Das Fischereirecht
im Deutschordensgebiete, 1932, 2. A. 1978; Münch, W., Das Fischereirecht des
Bodensees im Mittelalter, Diss. jur. Graz 1943; Cahn, E., Das Recht der
Binnenfischerei, hg. v. Kaufmann, E., 1956; Kunz, R., Fischereirechte im
Untersee und Seerhein, 1984; Jahnke, C., Das Silber des Meeres, 2000; Lampen,
A., Fischerei und Fischhandel im Mittelalter, 2000; Schütt, E., Geschichte des
Fischereirechts und der Fischerei im deutschen Ostseeraum, 2001; Sahrhage, D.,
Die Schätze Neptuns, 2002
Fiscus (lat.
[M.] Korb) (Caesaris) ist im römischen Recht die Bezeichnung für die Kasse (des
Kaisers), in welche die Einnahmen der Kaiserprovinz aus Steuern, Zöllen,
Gebühren und Domänen fließen. Kaiser Claudius (41-54 n. Chr.) fasst die
verschiedenen fisci zu einem einzigen f. zusammen. Zumindest später herrscht
die Vorstellung, dass der f. gleichsam Eigentum des Kaisers ist. Am Beginn des
4. Jh.s geht die (vom Senat verwaltete) Staatskasse (lat. aerarium [N.]) im f.
auf., während das Privatvermögen des Kaisers (lat. [N.] patrimonium) getrennt
bleibt. Der f. wird eine Art die Vermögensrechte des Staates im
Privatrechtsverkehr wahrnehmender, vielfach privilegierter →juristischer
Person.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 29 II B; Kroeschell, DRG
1; Köbler, DRG 36, 40, 57; Köbler, LAW; Alpers, M., Das nachrepublikanische
Finanzsystem, 1995
Fiskal ist
im spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Verwaltungsrecht der
Interessenvertreter des (lat. fiscus [M.] bzw.) Staates. Er findet sich um 1225
in Sizilien unter Kaiser Friedrich II., von wo aus er nach Frankreich und
Spanien ausstrahlt. 1421 ist Dr. Bartholus aus Pisa urkundlich als erster F.
des Heiligen römischen Reiches nachweisbar. Aufgaben des Fiskals sind der
Schutz der Kronrechte und die Vertretung des Königs bzw. Kaisers bei der
gerichtlichen Verfolgung der Übertretungen der reichsrechtlichen Rechtssätze
(z. B. Durchsetzung der Ansprüche gegenüber Reichsständen). Neben dem F. am
königlichen Kammergericht des 15. Jh.s und am Reichskammergericht und
Reichshofrat entsteht auch in Österreich, Bayern, Sachsen und Preußen ein F.
(Landesfiskal). Am Reichskammergericht wird der F. im 16. Jh. von einem
Vertreter der Interessen des Kaisers zu einem in gewisser Hinsicht
privilegierten, in den Gerichtsbetrieb eingegliederten Angehörigen des
Gerichts. →Fiskalat
Lit.:
Demel, H., Geschichte des Fiskalamtes in den böhmischen Ländern, 1909;
Rautenberg, B., Der Fiskal am Reichskammergericht, 2008
Fiskalat ist
die spätmittelalterlich-neuzeitliche, vielleicht an den römischen (lat.)
advocatus (M.) fisci angelehnte Behörde, die von Amts wegen die Rechte des
Herrschers wahrnimmt. Das F. entwickelt sich um 1225 unter Kaiser Friedrich II.
in Sizilien und gelangt von dort noch im 13. Jh. nach Frankreich (ministère
public) und Spanien sowie im frühen 15. Jh. in das Heilige römische Reich (1421
Dr. Bartholus aus Pisa). Unabhängig hiervon wird im 19. Jh. die
Staatsanwaltschaft aus Frankreich übernommen.
Lit.: Ortloff, H., Die öffentliche Anklage in Deutschland,
16 (1865), 254ff.; Schmidt, E., Fiskalat und Strafprozess, 1921; Knolle, U.,
Studien zum Ursprung und zur Geschichte des Reichsfiskalats, Diss. jur.
Freiburg im Breisgau 1964
Fiskus (1497) ist der Träger
öffentlicher Verwaltung, soweit er in privatrechtlichen Formen tätig wird. Der
F. geht auf den römischen →fiscus zurück. Das lateinische Wort fiscus
(M.) bezeichnet im Frühmittelalter (vereinzelt das herzogliche und) meist das
königliche Vermögen (u. a. das einzelne Landgut). Bis zum 13. Jh. werden
Hausgut und Reichsgut und damit Person des Königs und F. getrennt. In den
Ländern entsteht ein F. des Landes. Dort wird als F. zunächst die
landesherrliche Kasse als solche verstanden, danach das Finanzvermögen des
Staates. Der F. wird zum Träger der staatlichen Vermögensrechte. Bis zum frühen
19. Jh. wird der Staat in die juristische Person des öffentlichen Rechtes
„Staat“ und die juristische Person des privaten Rechtes „Fiskus“ aufgeteilt.
Seit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im späteren 19. Jh. wird
der Staat als einheitliche juristische Person des öffentlichen Rechtes
verstanden, die Bereiche, in denen diese Person sich aber privatrechtlicher
Formen bedient, weiterhin als F. bezeichnet.
Lit.: Rüfner, W., Verwaltungsrechtsschutz in Preußen, 1962;
Machleidt, M., Stellung und Funktion des Fiskus im deutschrechtlichen Bereich,
Diss. jur. Hamburg 1965; Lechner, W., Das deutsche Verwaltungsrecht in den
Kategorien von Res publica, Civitas und Fiscus, Diss. jur. Würzburg 1969;
Schaller-Fischer, M., Pfalz und Fiskus Frankfurt, 1969; Römermann, K., Der
Rechtsschutz bei streitigen Polizei-, Kameral- und Fiskalsachen in Kurköln,
Diss. jur. Bonn 1969; Metz, W., Zur Erforschung des karolingischen Reichsgutes,
1971; Fiskus, Kirche und Staat, hg. v. Kellenbenz, H. u. a., 1994; Maletzky,
M., Das Erbrecht des Fiskus, 2001
Flächenstaat ist
der durch sein ausgedehntes Gebiet gekennzeichnete und vom Stadtstaat wie dem
Personenverbandsstaat zu unterscheidende, seit dem Mittelalter entstehende →Staat.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG
111
Flame ist der fränkisch (bzw. altniederfränlisch
bzw. mittelniederfränkisch) sprechende Bewohner der nordwestlichsten Gebiete
(Flandern) des Heiligen römischen Reichs bzw. der Bürger Belgiens. Flämisches
Recht ist das in Flandern ausgebidete Recht. Seit dem Hochmittelalter wird modernes
flämisches (niederländisches) Recht im Zuge der Ostsiedlung verbreitet.
Lit.: Goerlitz, T.,
Das flämische und das fränkische Recht in Schlesien und ihr Widerstand gegen
das sächsische Recht, ZRG GA 57 (1937), 138; Van
Winter, J., Vlaams en Hollands recht bij de kolonisatie von Duitsland in de 12e
en 13e eeuw, TRG 21 (1953), 205ff.; Higounet, C., Die deutsche Ostsiedlung im
MIttelalter, 1990; Lück, H., Flämische Siedlungen und flämisches Recht in
Mitteldeutschland, (in) Sprachkontakte, hg. v. Stellmacher, D., 2004, 73ff.
Flandern ist
das im frühen 8. Jh. erstmals unter diesem Namen bezeugte Flachland an der
Schelde. 843 kommt es zum westfränkischen Reichsteil, 1384/1385 an das
Herzogtum Burgund, 1477 mit Burgund an Habsburg und 1556 an die spanische Linie
Habsburgs. Verkleinert gelangt F. 1714 qieder an →Österreich, 1794 an
Frankreich, 1814 an die →Niederlande und 1830 überwiegend an →Belgien.
Dementsprechend ist sein Recht anfangs fränkisch und später französisch
geprägt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Nowé, H., Les baillis
comtaux de Flandre, 1929; Ganshof, F., Recherches sur les tribunaux de
châtellenie en Flandre, 1932; Sproemberg, H., Die Entstehung der Grafschaft
Flandern, 1935, Neudruck 1965; Ganshof, F., Die Rechtsprechung des gräflichen
Hofgerichtes in Flandern vor der Mitte des 13. Jahrhunderts, ZRG GA 58 (1938),
163; Caenegem, R. van, Geschiedenis van het strafrecht in Vlaanderen, 1954,
Caenegem, R. van, Geschiedenis van het strafprocesrecht in Vlaanderen, 1956;
Ganshof, F., Einwohnergenossenschaft und Graf, ZRG GA 74 (1957), 98; Koch, A.,
Die flandrischen Burggrafschaften, ZRG GA 76 (1959), 153; Roosbroeck, R. van,
Geschichte Flanderns, 1968; Grotte, W. v., Praecones und Magnus Praeco in
Flandern, ZRG GA 90 (1973), 165; Godding, P., Le droit privé dans les Pays-Bas
méridionaux du 12e au 18e siècle, 1987; Van Peteghem, P., De raad van
Vlaanderen, 1990; Jacob, R., Les époux, le seigneur et la cité, 1990; Nicolas,
D., Medieval Flanders, 1992; Opsommer, R., Omme dat leengoed es thoochste dinc
van der weerelt het leenrecht in Vlanderen in de 14de en 15de eeuw, 1995;
Meyer, H., Anwachs und Insel im hochmittelalterlichen Recht der Grafschaft
Flandern, ZRG GA 113 (1996), 333; Heirbaut, D., Over lenen en families, 2000;
Le parlement de Flandre à travers ses archives, Revue du Nord Nr. 382; Hortal
Muñoz, J., Los asuntos de Flandes, 2011
Flavius,
Gnaeus, ist der Schreiber des römischen Zensors Appius Claudius Caecus, der 304
v. Chr. die zuvor nur den Priestern (lat. [M.Pl.] pontifices) vertrauten
Prozessformeln (Legisaktionen) veröffentlicht (sog. ius [N.] civile Flavianum,
flavisches römisches Recht der Bürger).
Lit.: Söllner § 9; Köbler, DRG 29; Wolf, J., Die
literarische Überlieferung der Publikation der Fasten und Legisaktionen durch
Gnaeus Flavius, Nachr. d. Akad. d. Wiss. Göttingen 1980, Nr. 2
Flensburg ist
die schleswig-holsteinische Stadt, die 1436 ihr →Grundbuch nach dem
Realfoliensystem gestaltet.
Lit.: Aubert, L., Beiträge zur Geschichte der deutschen
Grundbücher, ZRG GA 14 (1893), 1, 49
Fleta ist
das in lateinischer Sprache verfasste, bald nach 1290 vollendete, in einer
mittelalterlichen Handschrift überlieferte englische Rechtsbuch eines
unbekannten Verfassers, das den (lat.) Tractatus (M.) de legibus (Abhandlung
von Gesetzen) →Bractons kommentierend fortführt.
Lit.: Plucknett,
T., A Concise History of the Common Law, 1929, 2. A. 1936, 5. A. 1956; 265
Florentina (Codex
Florentinus) ist die in zwei Bände (1-29, 30-50) getrennte, im 6. oder frühen
7. Jh. vermutlich in Konstantinopel/Byzanz zweispaltig geschriebene,
spätestens im 9. oder 10. Jh. in Italien liegende, in Süditalien im späteren
11. Jh. wiederentdeckte, wahrscheinlich 1155 von Amalfi nach Pisa (littera
Pisana) und 1406 von Pisa nach Florenz gebrachte, 1553 erstmals gedruckte
Handschrift der →Digesten Justinians mit insgesamt 907 Blättern.
Lit.: Söllner § 22; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte
der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1
1997
Florenz am
Arno wird vermutlich im 2. Jh. v. Chr. von den Römern auf älteren Grundlagen
als Florentina neu gegründet. 962 ist es Teil Reichsitaliens. 1138 weist F.
eigene (lat. [M.Pl.]) consules auf und wird mit bedeutender Tuchherstellung im
13. und 14. Jh. führende Macht im mittleren Italien (Währung Florentiner bzw.
Gulden). 1348 erlangt es erstmals eine Universität (1472 Pisa). 1354 erkennt es
die Reichshoheit an. Seit dem 15. Jh. erringt die Familie Medici die Macht.
1531 wird F. Herzogtum. 1718 wird bei dem Aussterben der Medici der spanische
Infant Karl als Erbe eingesetzt, zugleich aber die gesamte Toskana zum
Reichslehen erklärt. 1737 fällt F. an Österreich. Im Frieden von Campo Formio
(1797) verzichtet der Kaiser des Heiligen römischen Reichs auf alle
Reichsrechte in Italien und damit auch auf F. 1859 gelangt F. an Italien
(1865-1871 Hauptstadt).
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Davidsohn, R.,
Geschichte von Florenz, Bd. 1ff. 1896ff.; Doren, A., Studien aus der
Florentiner Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2 1908; Grote, A., Florenz, 2. A. 1968;
Hale, J., Die Medici und Florenz, 1979; Firenze e la Toscana dei Medici
nell’Europa, hg. v. Garfagnini, G., 1983; Panella, A., Storia di Firenze, 1984;
Luzzati, M., Firenze e la Toscana nel Medioevo, 1986; Zorzi, A.,
L’amministrazione della giustizia penale nella republica fiorentina, 1988;
Brucker, G., Florenz in der Renaissance, 1990; Turner, A., Renaissance in
Florenz, 1997; Statuti della repubblica Fiorentina, hg. v. Pinto, G. u. a., Bd.
1f. 1999; Zumhagen, O., Religiöse Konflikte und kommunale Entwicklung, 2001;
Dameron, G., Florence and Its Church, 2005; Najemy, J., A History of Florence
1200-1575, 2006; Höchli, D., Der Florentiner Republikanismus, 2005; Lange,
H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 34; Ciapelli,
G., Fisco e società a Firenze nel Rinascimento, 2009
Floß ist das aus mehreren verbundenen Baumstämmen
gebildete Wasserfahrzeug, das vor allem dem Transport von Holz dient. Seit dem
13. Jh. erscheint das F. häufiger in Quellen. Die Flößerei ist Regal. 1895
regelt ein Reichsgesetz des Deutschen Reiches die Flößerei (vgl. auch Art. 65
EGBGB), die mit der Verbreitung der Eisenbahn und der Lastkraftwagen aber ihre
wirtschaftliche Bedeutung verliert.
Lit.: Sponeck, C. Graf v.,
Handbuch des Floßwesens, 1825; Jägerschmid, K., Handbuch für Holztransport und
Floßwesen, 1827f.; Herold, H., Trift und Flößerei in Graubünden, 1982; Hasel,
K./Schwartz, E., Forstgeschichte, 1985, 2.A. 2002
Flucht ist das Ausweichen vor einer Gefahr durch
Ortsveränderung. Die F. ist ein Grundverhaltensmuster von Lebewesen. Die F.
eines Menschen kann je nach den Umständen unterschiedliche Rechtsfolgen haben. →Flüchtling
Lit.: Flucht, Vertreibung, Integration, red. v. Rösgen, P., 2. A.
2006
Flüchtling ist
der Mensch, der aus seiner jeweiligen Umgebung flieht. Er ist grundsätzlich
Feind, kann aber als Gast aufgenommen werden. Im 20. Jh. entwickeln sich
allgemeine Regeln über die rechtliche Behandlung der immer größer werdenden
Zahl von Flüchtlingen.
Lit.: Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, hg. v.
Bundesministerium für Vertriebene u. s.
w., Bd. 1ff. 1958; Hathaway, J., The Rights of Refugees, 2005
Flumet
Lit.: Diestelkamp, B., Die
Gründungsurkunde der Stadt Flumet (1228), ZRG GA 94 (1977), 204
Flur ist der vom Wald getrennte einzelne Teil des
bäuerlichen Wirtschaftslands (Wiese, Feld).
Lit.: Kirbis, W., Siedlungs- und
Flurformen germanischer Länder, 1952; Westfälischer Flurnamenatlas, bearb. v.
Müller, G.. 2000ff.
Flurbereinigung ist die Zusammenlegung und Umgestaltung landwirtschaftlich
genutzter Grundstücke in einem öffentlichrechtlichen Verfahren zum Zweck
ertragreicherer Bewirtschaftung. Sie entwickelt sich in England und danach in
Deutschland (19. Jh., Baden 1856, Hessen 1857, Bayern 1861) mit der
Bauernbefreiung als Folge der Auflösung des Gemeinlands (→Allmende). Am
16. 6. 1937 wird sie im Deutschen Reich durch eine Reichsumlegungsordnung und
am 14. 7. 1953 in der Bundesrepublik Deutschland durch ein
Flurbereinigungsgesetz geordnet. Ihre Ergebnisse sind wegen der sich am Ende
des 20. Jh.s rasch ändernden Betriebsstruktur der Landwirtschaft von
bescheidener Bedeutung.
Lit.: Köbler, DRG 175, 250; Bornhak, C., Grundriss des
deutschen Landwirtschaftsrechts, 1921; Abel, W., Geschichte der deutschen
Landwirtschaft, 1962, 3. A. 1978; Berkenbusch, F., Die Rechtsgeschichte der
Flurbereinigung, Diss. jur. Göttingen 1972; Tayama, T., Die
Entwicklungsgeschichte der Landeskultur, (in) Wege europäischer
Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G., 1987, 524; Vergleichende Studien über die
japanische und mitteleuropäische Flurbereinigung, hg. v. Tayama, T., 1998;
Quellen zur Entstehungsgeschichte des Flurbereinigungsgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland von 1959, hg. v. Weiß, E., 2000
Flurname
ist der besondere Name einer Flur oder eines Geländeteils (Berg, Tal, Wasser,
Wald, Feld). Der F. ist Ortsname im weiteren Sinn (z. B. Judenbühel, Lehfeld,
Langgreid, Hungerwiese, Himmelreich, Paint, Kach, Hut, Füchsle, Holzacker). Er
kann Rechtsvorstellungen enthalten.
Lit.: Künßberg,
E. Frhr. v., Flurnamen und Rechtsgeschichte, ZRG GA 51 (1931), 93ff.; Hänse,
G., Die Flurnamen des Stadt- und Landkreises Weimar, 1970; Piirainen, E.,
Flurnamen in Vreden, 1984; Hessischer Flurnamenatlas, hg. v. Ramge, H. u. a.,
1987; Westfälischer Flurnamenatlas, hg. v. Müller, G., Lief. 1ff. 2000ff.; Mikrotyponyme,
hg. v. Meineke, E. u. a., 2011
Flurschütz (Flurer, Flurknecht, Heye u. a.) ist der
die Aufsicht über die Fluren führende niedere dörfliche Amtsträger.
Lit.: Bader, K., Studien zur
Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd.
1ff. 1957ff.; Schildt, B., Bauer, Gemeinde, Nachbarschaft, 1996
Flurzwang ist
die durch Zwang erreichte einheitliche Bewirtschaftung der Flur. Der F. könnte
mit der mittelalterlichen →Dreifelderwirtschaft entstanden sein. Er
verschwindet mit der Bauernbefreiung des 19. Jh.s.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG
96; Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1
1957, 42.; Schildt, B., Bauer, Gemeinde, Nachbarschaft, 1996
Föderalismus ist
die auf dem Bündnisgedanken (lat. [N.] foedus, Bund) beruhende
gesellschaftliche Vorstellung, die sich besonders in der machtmäßigenden,
mehrstufigen, relative Eigenständigkeit Beteiligter wahrenden Gestaltung eines
Staates auswirkt (Bundesstaat im Gegensatz zum Einheitsstaat). Als älteste
geschichtliche Form des F. gilt der Stammesföderalismus (z. B. der 12 Stämme
Israels), als Geburtsstunde des politischen Organisationsprinzips F. die
Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika 1787, deren Vorbild die Schweiz
(1848), Kanada, Australien und in veränderter Form Österreich (1861) und der
Nordeutsche Bund (1867) folgten.. Eine völkerrechtliche Form des F. ist der
Staatenbund, der verschiedentlich einem Bundesstaat vorausgeht.
Lit.: Baltl/Kocher; Hintze, H., Staatseinheit und
Föderalismus im alten Frankreich, 1928, Neudruck 1989; Der österreichische
Föderalismus, 1969; Rauch, H., Föderalismus und Parlamentarismus im
Wilhelminischen Reich, 1972; Föderalismus, hg. v. Kisch, G., 1977; Héraud, G.,
Prinzipien des Föderalismus und die Europäische Föderation, 1979; Föderalismus
in Deutschland, 1992; Föderalismus, hg. v. Kinsky, F., 1995; Konsens und
Konsoziation, hg. v. Duso, G., 1997; Laufer, H./Münch, U., Das föderative
System der Bundesrepublik Deutschland, 1998; Föderative Nation, hg. v.
Langewiesche, G. u. a., 2000; German federalism, hg. v. Umbach, M., 2002;
Föderalismus in der griechischen und römischen Antike, hg. v. Siewert, P. u.
a., 2005; Kaiser, A., Föderalismus, 2007; Funk, A., Föderalismus in
Deutschland, 2008; Funk, A., Kleine Geschichte des Föderalismus, 2010; Franke,
C., Wandlungen föderalen Regierens im Deutschen Kaiserreich, HZ 293 (2011), 374;
Das Februarpatent 1861, hg. v. Kriechbauemer, R. u. a., 2011
Fodrum (lat.
[N.]) ist die frühmittelalterliche Abgabe (Aquileja 792) (für Futter) an den
Grafen bzw. König. In norditalienischen Städten entwickelt sich das f. im 12.
und 13. Jh. zum Namen der direkten →Steuer.
Lit.: Köbler, LAW; Post, B., Über das Fodrum, Diss. phil.
Straßburg 1880; Brühl, C., Das fränkische fodrum, ZRG GA 76 (1959), 53; Brühl,
C., Fodrum, gistum, servitium regis, 1968; Grüninger, S., Grundherrschaft im
frühmittelalterlichen Churrätien, 2006
Foederati (lat.
[M.Pl.], Sg. foederatus) sind im spätrömischen Recht die besoldeten Verbündeten
(z. B. Goten 382 n. Chr.).
Lit.: Köbler, DRG 67; Horn, H.,
Foederati, 1930
foenus (N.) nauticum (lat.) Seedarlehen →fenus (N.) nauticum
folkland (ae.
[858]) Allod?, verliehenes Königsland?
Folter ist
die Zufügung oder Ausnutzung vermeidbarer, nicht ganz unerheblicher Schmerzen
oder Leiden, die von einem Staat oder einem entsprechenden Machtorgan selbst
bzw. mit dessen Bewilligung oder Duldung eingesetzt wird, um den Gefolterten
oder einen Dritten zu einer Aussage zu zwingen oder einzuschüchtern. Sie wird
bereits seit Kaiser Tiberius (14-42 n. Chr.) gegenüber Freien angewendet, um
ein Geständnis zu erreichen. Vielleicht wird sie im Frühmittelalter gegenüber
Unfreien gebraucht. Im Hochmittelalter (Verona 1228, Recht der Wiener Neustadt
[1221/1230 str.], kirchliche Inquisition 1215/1231/1252 [Bulle Ad exstirpanda],
Augsburg 1321) darf der verdächtigte Beschuldigte der F. (zu spätlat. [5. Jh.]
poledrus [M.] „Fohlen“) auf einem Holzbock bzw. durch Gefängnis, Schläge,
Hunger, Kälte, Daumenschrauben, Strecken, Feuer u. a. ausgesetzt werden (str.
ob Rezeptionsvorgang). Im 15. Jh. wird die F. auch ohne besondere Verdachtsgründe
angewandt. Dagegen setzt die →Constitutio Criminalis Carolina (1532) das
Vorliegen besonderer Indizien vor Anwendung der F. voraus. In Hexenprozssen fragen
örtliche Gerichte bei Fakultäten häufig nach der Anwendbarkeit der Folter,
wogegen die Fakultäten anscheiend einen mäßigenden Einfluss ausüben. Die
Aufklärung wendet sich erfolgreich gegen die F. (Juan Luis Vives 1522, Michel
de Montaigne, Pierre Bayle, Schweden 1734, Preußen 1740, Österreich [Beschränkung
auf mit der Todesstrafe bedrohte Tatbestände 1768] 1776, Polen, Litauen 1776,
Schweiz 1798, Bayern 1806, Baden 1831). In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s
kämpft insbesondere die private Organisation Amnesty International gegen die
nach wie vor (versteckt) gebrauchte F. Art. 3 der europäischen
Menschenrechtskonvention vom 4. 11. 1950 stuft die F. als Verletzung der
Menschenrechte ein. Mit der am 10. 12. 1984 beschlossenen, am 31. 12. 1990 in
Kraft getretenen Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe ist die F.
weltweit geächtet.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 34, 118, 156;
Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961; Quanter, R., Die Folter
in der deutschen Rechtspflege, 1900, Neudruck 1970; Heijnsbergen, P. van, De pijnbank
in de Nederlanden, 1925; Fehr, H., Gottesurteil und Folter, FS R. Stammler,
1926; Helbin-Bauer, F., Die Tortur, 1926; Morschel, M., Der Kampf um die
Abschaffung der Folter, Diss. jur. Gießen 1926; Fehr, H., Zur Lehre vom
Folterprozess, ZRG 53 (1933), 317; Vogt, A., Die Anfänge des
Inquisitionsprozesses in Frankfurt am Main, ZRG GA 68 (1951), 234; Schünke, W.,
Die Folter im deutschen Strafverfahren, Diss. jur. Münster 1952; Fiorelli, P.,
La tortura giudiziaria nel diritto commune, Bd. 1f. 1953f.; Thomasius, C., Über
die Folter (1705), hg. v. Lieberwirth, R., 1967; Langbein, J., Torture and the
Law of Proof, 1977; Ruthven, M., Torture, 1978; Schmoeckel, M., Humanität und
Staatsraison, 2000; Das Quälen des Körpers, hg. v. Burschel, P. u. a. 2000; Kramer,
S., Die Folter in der Literatur, 2003; Baldauf, D., Die Folter, 2004; Hermann,
H., Die Folter, 2004; Waltos, S., Die Abschaffung der Folter im Jahre 1776 in
Polen und Litauen, 2004; Zagolla, R., Im Namen der Wahrheit, 2006; Gegen Folter
und Todesstrafe, hg. v. Jacobs, H., 2007; Möhlenbeck, M., Das absolute
Folterverbot, 2008; Sauter, M., Hexenprozess und Folter, 2010; Kimmelmann, A.,
Die Folter im Beweisverfahren der Leges Visigothorum, 2010; Quellen zur
Aufhebung der Folter, hg. v. Zopfs, J., 2010; Schild, W., Folter, Pranger,
Scheiterhaufen, 2010; Die Geschichte der Folter seit ihrer Abschaffung, hg. v.
Altenhain, K. u. a., 2011; Die Wiederkehr der Folter?, hg. v. Altenhain, K. u.
a., 2012; Folter vor Gericht, hg. v. Altenhain, K. u. a., 2012
Fondaco ist die auswärtige Kaufmannsniederlassung
im Mittelalter (gr. pandocheton, Herberge, arab. funduq, Unterkunft). In
Italien begegnet der F. 1085 in Amalfi, 1191 in Genua, im 13. Jh. in Pisa und
Venedig (F. dei Tedeschi, 1505 abgebrannt, bis 180 Handelshaus deutscher
Kaufleute).
Lit.: Simonsfeld, H., Der Fondaco
dei Tedeschi, Bd. 1f. 1887, Neudruck 1968; Concina, E., Fondaci, 1997;
Constable, O., Housing the Stranger in the Mediterranean World, 2003
Forderung (812, Forderungsrecht 1766) ist
das Recht des Gläubigers gegen den Schuldner auf eine Leistung. Die ältesten
Forderungen entstehen vermutlich bei den Unrechtserfolgen. Später tritt die
rechtsgeschäftliche F. hinzu. Streitig ist, ob die F. bereits von Anfang an
durch ein Einstehenmüssen (→Haftung) des Schuldners gesichert ist. Die F.
erlischt grundsätzlich mit der Erfüllung.
Lit.: Kaser § 32; Hübner; Buch, G., Die Übertragbarkeit von
Forderungen im deutschen mittelalterlichen Recht, 1912; Strohal, E.,
Schuldpflicht und Haftung, 1914; Fecht, W. v. d., Die Forderungspfändung im
römischen Recht, 1999; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010
Forensium institutionum summa (lat. [F.] Gesamtheit der gerichtlichen Einrichtungen) ist
das von König Alfons VIII. (1158-1214) veranlasste höfische Werk über den →Fuero
viejo de Castilla.
Form (1190) ist die
sinnlich wahrnehmbare Gestalt eines Gegenstands oder einer Vorstellung. Nach
einem geflügelten Wort ist die F. die älteste Norm. Es ist aber fraglich, ob
strenge Anforderungen an eine F. in die Anfänge einer Rechtseinrichtung (z. B.
Frühmittelalter) oder erst in eine fortgeschrittenere Entwicklungsstufe
gehören. Die Schriftform ist jedenfalls noch im ausgehenden 20. Jh. im
Vordringen.
Lit.: Kaser § 6ff.; Hübner; Köbler, DRG 42, 126; Siegel,
H., Erholung und Wandelung im gerichtlichen Verfahren, 1863; Siegel, H., Die
Gefahr vor Gericht und im Rechtsgang, 1866; Brunner, H., Wort und Form im
altfranzösischen Prozess (1868) (in) Brunner, H., Forschungen zur Geschichte
des deutschen und französischen Rechts, 1894, 260; Stutz, U., Das Stadtrecht
gegen die Formstrenge im Strafverfahren, ZRG GA 38 (1917), 367; Henssler, O.,
Formen des Asylrechts, 1954; Ritzer, K., Formen, Riten und religiöses Brauchtum
der Eheschließung, 1961; Ebel, W., Recht und Form, 1975; Gmür, R.,
Rechtswirkungsdenken in der Privatrechtsgeschichte, 1981; Eckhardt, U.,
Untersuchungen zu Form und Funktion der Treueleistung, 1976; Symbolische
Kommunikation vor Gericht in der frühen Neuzeit, hg. v. Schulze, R., 2006;
Zwischen Formstrenge und Billigkeit, hg. v. Oestmann, P., 2009; Schwenk, A.,
Die Formbestimmung des § 313 BGB a. F., 2010; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Formalismus ist
das Betonen einer Form. Nach überwiegender, aber nicht wirklich belegter
Ansicht ist das ältere Recht durch F. gekennzeichnet (z. B. lat. mancipatio
[F.] im römischen Recht) und setzt sich die →Formfreiheit erst allmählich
durch. Im Gegensatz hierzu hält aber auch das Recht der Gegenwart in vielen
Fällen an einer vorgeschriebenen Form fest. Ein Kennzeichen des modernen
Totalitarismus ist es, unerwünschte Form als bloßen F. abzustufen.
Lit.: Kaser §§ 6, 7, 8, 68; Söllner §§ 9, 11; Kroeschell,
DRG 1; Zallinger, O. v., Wesen und Ursprung des Formalismus, 1898; Kaufmann,
E., Formalismus, HRG Bd. 1 1968, 1166; Dickhuth-Harrach, H. v., Gerechtigkeit
statt Formalismus, 1986
Formalvertrag ist der in seiner Entstehung von der Einhaltung einer vorgesehenen →Form
abhängige Vertrag. Nach herkömmlicher Lehre ist im germanistischen Bereich der
älteste Vertrag der F. (str.). Hier sind Eid, Wortformel und Gebärde die
Vertragsform. Im Mittelalter sollen sich die Formen vereinfacht haben.
Allmählich soll die Tendenz zur formlosen Beredung durchgedrungen sein.
Lit.: Köbler, DRG 74, 91, 126, 164; Hagemann, H., Fides
facta und wadiatio, ZRG GA 83 (1966), 1; Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsches
Privatrecht, 9. A. 1981 Kap. 45; Sohm, R., Das Recht der Eheschließung, 1875
Formel ist
die förmlich festgelegte häufig wiederkehrende Aussage. Im altrömischen Recht
beispielsweise bringen die Beteiligten eines Verfahrens vor dem Magistrat in
einem ersten Verfahrensabschnitt regelmäßig in der jeweils erforderlichen
Verfahrensform (lat. [F.] →legisactio), zu der genau vorgeschriebene
Spruchformeln gehören, ihr Vorhaben vor. Das spätere Formularverfahren kennt
statt der wenigen Legisaktionen viele, auf das jeweilige Rechtsverhältnis
bezogene Klageformeln. Die Verbalkontrakte des klassischen römischen Rechtes
erfordern für die Entstehung der Obligation bestimmte Worte. Außerdem
entwickeln sich etwa für Eide, Gelöbnisse, Einsetzungen u. s. w. häufig gewisse Formeln.
Umfangreichere Formeln (lat. [F.] →formulae) werden in →Formelsammlungen
gesammelt.
Lit.: Köbler, DRG 5, 33, 81, 116; Dilcher, G., Paarformeln
in der Rechtssprache des frühen Mittelalters, 1961; Selb, W., Formeln mit
unbestimmter intentio, 1974; Wiegand, W., Zur Herkunft und Ausbreitung der
Formel „Habere fundatam intentionem“, FS H. Krause, 1976, 126
formell, Adj., die Form betreffend (im Gegensatz zum Inhalt bzw. der Materie)
Formelles Recht
ist das das Verfahren betreffende Recht (Verfahrensrecht, Prozessrecht) im
Gegensatz zum materiellen Recht (z. B. Privatrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht).
Lit.: Kollmann, A., Begriffs- und Problemgeschichte, 1996
Formelsammlung ist die bereits im Altertum bekannte, besonders für das
quellenarme Frühmittelalter bedeutsame Sammlung von allgemeinen Formularen für
Urkunden, wie sie auch in der Gegenwart kautelarjuristisch gepflegt wird. Die
bekanntesten frühmittelalterlichen Formelsammlungen (31 Handschriften) sind
die westgotischen (lat. [F.Pl.]) formulae (Cordoba 616-620), die formulae
Andecavenses (Angers um 600), die formulae Marculfi (um 650?, 721-735?), die
formulae Bituricenses (Bourges 8. Jh.) und die formulae imperiales (vor 832),
wobei das Fehlen von Formelsammlungen aus Italien bemerkenswert ist. Danach
finden sich vielleicht unter dem Einfluss italienischer Notarskunst seit dem
11. Jh. Formelsammlungen innerhalb der (lat.) ars (F.) dictandi (z. B.
Breviarium de dictamine des Alberich von Montecassino, um 1080) oder der (lat.)
ars (F.) notariae (Rainerius Perusinus [1185-1245] vor 1234, Rolandinus Passageri
Summa artis notariae, 1255/1256, insgesamt schätzungsweise 3000 Handschriften
und Frühdrucke). Für das spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Heilige römische
Reich haben besonderes Gewicht der (lat.) Formularius (M.) de modo prosandi
(Baumgartenberg bei Linz A. 14. Jh., 240 Stücke, Formularbuch) und Perneder,
Andreas, Summa Rolandina (vor 1540).
Lit.: Rockinger, L., Über Formelbücher, 1855; Rockinger,
L., Briefsteller und Formelbücher des 11. bis 14. Jahrhuderts, 1863f.;
Schröder, R., Über die fränkischen Formelsammlungen, ZRG GA 4 (1883), 75;
Collectarius perpetuarum formarum Iohannis de Geylnhusen, hg. v. Kaiser, H.,
1900; Liber Diurnus, hg. v. Foerster, H., 1958; Amira, K. v./Eckhardt, K.,
Germanisches Recht, Bd. 1 4. A. 1960; Uddholm, A., Marculfi formularum libri
duo, 1962; Coing, H., Römisches Recht in Deutschland, 1964; Worstbrock,
F./Klaes, M./Lütten, J., Repertorium der Artes dictandi des Mittelalters, Bd. 1
Von den Anfängen bis um 1200, 1992
Formfreiheit ist
die Freiheit einer rechtlich bedeutsamen Handlung von einer besonderen →Form.
Es ist streitig, inwieweit am Beginn rechtlicher Entwicklung F. besteht.
Jedenfalls werden schon in den frühesten Quellen auch feste Formen sichtbar (z.
B. lat. [F.] mancipatio). Im Spätmittelalter setzt sich die Kirche für die F.
der Verträge ein. Auch der Liberalismus bejaht grundsätzlich die F.
Dessenungeachtet entwickeln sich im 20. Jh. neue Formen (z. B. allgemeine
Geschäftsbedingungen, Verbraucherkreditverträge, Arbeitsverträge).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Baltl/Kocher
formulae (lat. [F. Pl.]) →Formelsammlung
Formular ist das die allgemeinen Angaben eines Typs von Urkunden zwecks leichter indiviueller
Ergänzung enthaltende Schriftstück.
Formularverfahren oder Formularprozess ist das dem älteren
Legisaktionenverfahren (→legisactio) im klassischen römischen Recht
nachfolgende, dem späteren →Kognitionsverfahren vorausgehende Verfahren.
Es ist vielleicht anfangs nur dem Fremden zugänglich und kennt statt weniger
Legisaktionen viele, auf das jeweilige Rechtsverhältnis bezogene Klageformeln
(Formulare). Sie werden auf den formlosen Vortrag der Parteien vor dem Prätor
hin meist schriftlich in einer (lat. [F.]) formula (Schriftformel) niedergelegt,
woraufhin der (lat. [M.]) iudex (Richter) gemäß der Formel Beweis erhebt und
sein Urteil spricht. 17 v. Chr. wird das Legisaktionenverfahren bis auf geringe
Reste abgeschafft.
Lit.: Kaser §§ 80, 82ff.; Söllner § 9; Artner, M., Agere
praescriptis verbis, 2002
Foro ist
die portugiesische Bezeichnung für →Fuero. 1111 wird ein F. an Coimbra
verliehen, 1166 an Evora, um 1160 an Trancoso, 1179 an Lissabon (F. von
Santarém). Seit dem 14. Jh. wird ein F. nur noch selten gewährt.
Lit.: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1 1973, 666
Forsman,
Jaakko (1839-1899), aus einer schwedischen Theologenfamilie, wird nach dem
Studium von Philosophie und Recht in Helsinki 1879 Professor für Strafrecht und
Rechtsgeschichte und verfasst 1896 eine Geschichte der finnischen Gesetzgebung
(Suomen laindsäädännön historia).
Forst (Etymologie unklar) ist seit dem Frühmittelalter der vielleicht dem römischen
(lat. [M.]) saltus nachgebildete, durch →Bann abgesonderte
herrschaftliche Wald (meist des Königs, Austrasien 648, Neustrien 657/661). Im
Hochmittelalter gehen die Forsten des Königs auf die Landesherren über. Örtlich
unterschiedlich greift der absolutistische Fürst entschiedener auf die damit
verbundenen Rechte zu. Der Liberalismus verlangt die Aufhebung der staatlichen
Forsthoheit, doch verfahren die Forstgesetze des 19. Jh.s unterschiedlich. Im
20. Jh. lebt trotz einer Rahmengesetzgebung durch das Gesetz zur Erhaltung des
Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz) in Deutschland
der hergebrachte Föderalismus im Forstrecht fort.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, WAS;
Roth, K., Geschichte des Forst- und Jagdwesens in Deutschland, 1879; Völker,
A., Die Forsten der Stadt Goslar bis 1552, 1922; Goller, F., Die älteren
Rechtsverhältnisse am Wald in Altbaiern, Diss. jur. München 1938; Kaspers, H.,
Comitatus nemoris, 1957; Mager, F., Der Wald in Altpreußen als Wirtschaftsraum,
1960; Rubner, H., Untersuchungen zur Forstverfassung des mittelalterlichen
Frankreichs, 1965; Bothmer, H. v., Mirica, Forst und Gesellschaft, 1965;
Rubner, H., Forstgeschichte im Zeitalter der industriellen Revolution, 1967;
Young, C., The Royal Forests of Medieval England, 1979; Mantel,
K., Forstgeschichte des 16. Jahrhunderts, 1980; Rubner, H., Deutsche
Forstgeschichte 1933-1945, 1985, 2. A. 1997; Hasel, K.,
Forstgeschichte, 1986, 2. A. 2006; Knöppel, V., Forstnutzungsrechte, Diss. jur.
Marburg 1988; Dasler, C., Forst- und Wildbann, 2001; Marquardt, B., Umwelt und
Recht in Mitteleuropa, 2003
Forsthoff,
Ernst (Laar bei Duisburg 13. 9. 1902-Heidelberg 13. 8. 1974) wird nach der
Promotion bei Carl →Schmitt 1933 Professor für öffentliches Recht in
Frankfurt am Main, Hamburg (1935), Königsberg (1936), Wien (1941) und
Heidelberg (1943-1946, 1952-1967). Er setzt sich für den starken Staat ein, der
allein die mit dem technischen Fortschritt eintretenden Probleme bewältigen
könne, und steht einem Wertesystem, der Verfassungsgerichtsbarkeit, der
umfassenden Verwaltungsgerichtsbarkeit und dem Sozialstaat zurückhaltend
gegenüber. Trotz seines konservativen Verfassungsverständnisses ist sein
Verwaltungsrechtsverständnis modern. Sein Lehrbuch des Verwaltungsrechts (1950,
10. A. 1973) ist längere Zeit in Deutschland führend.
Lit.: Storost, U., Staat und Verfassung bei Ernst
Forsthoff, 1978; Doehring, K., Ernst Forsthoff, (in) Juristen im Portrait,
1988, 341; Ernst Forsthoff Kolloquium, hg. v. Blümel, W., 2003; Schütte, C.,
Progressive Verwaltungswissenschaft auf konservativer Grundlage, 2006;
Briefwechsel Ernst Forsthoff Carl Schmitt (1926-1974), hg. v. Mußgnug, D. u.
a., 2007
Fortescue,
Sir John (um 1385-um 1479), nach Ausbildung in Lincoln’s Inn 1442 oberster
Richter am königlichen Gericht (King’s Bench), von 1463 bis 1471 im Exil in
Frankreich, vergleicht in seinem in der Form eines Lehrgespräches an Prinz
Eduard von Lancaster gerichteten Hauptwerk ([lat.] De laudibus legum Angliae,
1470, Über die Vorzüge des englischen Rechtes) das englische Recht mit dem
festländischen (französischen) Recht in einer für Laien verständlichen Weise.
In (engl.) On the Governance of the Kingdom of England (Über die Beherrschung
des Königreichs England) (1471/1473) stellt er den politischen Gesamtzustand
seines Landes dar.
Lit.: The Works of Sir John Fortescue, hg. v. Clermont, T.,
1869; Heymann, E., Fortescues Laudes legum Angliae, ZRG GA 58 (1938), 615;
Kluxen K., Englische Verfassungsgeschichte, 1987
Forum (lat.
[N.]) ist im römischen Recht der Marktplatz und das dort öffentlich abgehaltene
Gericht. Das mittelalterliche Kirchenrecht bildet von daher die Vorstellung
eines (lat.) f. externum und eines f. internum. Daneben bezeichnet f. auch den
Markt.
Lit.: Söllner §§ 4, 8; Köbler, DRG 19; Schlesinger, W.,
Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters,
Bd. 1 1961, 275; Trusen, W., Forum internum und gelehrtes Recht im
Spätmittelalter, ZRG KA 57 (1971), 83; Planitz, H., Die deutsche Stadt, 5. A.
1980
Forum (N.) externum (lat.) oder (lat.) forum (N.) iudiciale ist seit dem Ende
des 12. Jh.s (Glossenapparat [lat.] Animal est substantia [vor 1210], Wilhelm
von Auvergne um 1225) bzw. seit Thomas von Aquin (1225-1274) (forum exterius)
im mittelalterlichen Kirchenrecht der Bereich des menschlichen Bußwesens und
Gerichtswesens (kirchliche Gerichtshöfe) im Gegensatz zum nur Gott einsehbaren
inneren Gericht des Gewissens ([lat.] forum [N.] paenitentiale im Beichtstuhl),
das in der frühen Neuzeit (nach 1563) als (lat.) forum (N.) internum bezeichnet
wird. Das Verfahren vor dem f. e. verläuft grundsätzlich streitig. Der
Angeklagte muss erscheinen und die Wahrheit wird in einem von einem Richter
(Archidiakon) geleiteten Ablauf erforscht.
Lit.: Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A.
1972; Fries, B., Forum in der Rechtssprache, 1963; Trusen,
W., Zur Bedeutung des geistlichen Forum internum und externum, ZRG KA 76
(1990), 254ff.
Forum (N.) internum (lat.) ist seit der frühen Neuzeit (nach 1563) der neuere
Name für das zunächst als (lat.) forum (N.) paenitentiale bezeichnete, im
Beichtstuhl erforschte Gewissen im Gegensatz zum (lat.) →forum (N.)
externum. Im f. i. zu erscheinen, steht in der (freiwilligen) Entscheidung des
Betroffenen. Allein auf seinem Bekenntnis beruht das „Urteil“ des
Beichtpriesters (Penitentiars).
Lit.: Fries, B., Forum in der Rechtssprache, 1963; Trusen,
W., Forum internum und gelehrtes Recht im Spätmittelalter, ZRG KA 57 (1971),
83; Trusen, W., Zur Bedeutung des geistlichen Forum internum und externum, ZRG
KA 76 (1990), 254ff.; Goering, J., The Internal Forum and the Literature of
Penance and Confession, Traditio 59 (2004), 175ff.
Fracht ist
der Lohn für die Beförderung eines Gutes und das gegen Lohn beförderte Gut. Der
die F. betreffende Vertrag entsteht im Hochmittelalter und ist Werkvertrag. Der
Frachtführer ist Kaufmann. Seefrachtrecht wird vor allem im Libre del Consolat
de Mar, in den Rôles d’Oléron, im Blackbook of the Admiralty oder im
Schiffsrecht von Hamburg aufgezeichnet. Wichtige gesetzliche Regelungen finden
sich im dänischen Seegesetz (1561), in Ordonnanzen Kaiser Karls V. und Philipps
II. für die Niederlande von 1551 und 1563, in der Ordonnance de la Marine
Frankreichs (1681), im Seerecht Preußens (1727), in den Ordonanzas von Bilbao,
im Codice per la Veneta Mercantile di Marina Venedigs (1786) oder im Code de
commerce Frankreichs (1807) und den ihm folgenden Handelsgesetzbüchern.
Ausführlich erörtert C. E. Münster 1798 das Frachtfahrer-Recht.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Goldschmidt, L., Handbuch des
Handelsrechts, 1864, 2. A. 1875, darin Universalgeschichte des Handelsrechts,
(Bd. 1 3. A.) 1891, Neudruck 1957; Rehme, P., Geschichte des Handelsrechts,
1913; Pappenheim, M., Zur Entwicklung des Seefrachtvertrags, ZRG GA 51 (1931),
175ff.; Ohler, N., Reisen im Mittelalter, 1986; Basedow, J., Der Transportvertrag,
1987; Morisset, J., Der Frachtvertrag in der Ordonnance de la marine, 1996;
Landwehr, G., Prinzipien der Risikotragung beim Seefrachtvertrag, (in)
Wirkungen europäischer Rechtskultur, 1997, 595; Lopez, R./Raymond, I., Medieval
Trade in the Mediterranean World, 2001
Fragment (N.) Bruchstück (z. B. in den Digesten, dort weitere Unterteilung in
[principium und] Paragraphen)
Lit.:
Fragmente, hg. v. Gastgeber, C. u. a., 2010
Fragmenta (N.Pl.) Gaudenziana (lat.) (Gaudenzische Fragmente) sind die von dem Bologneser
Professor Augusto Gaudenzi (1858-1916) in einer (um 900 geschriebenen)
Handschrift der Bibliothek von Lord Leicester (Codex Holkhamensis Nr. 210,
London, British Museum Add. Mss. 46676) entdeckten, bis dahin unbekannten, als
(lat.) ordo mellifluus in expositione legum Romanarum betitelten 14 Kapitel
(Privatrecht, Prozessrecht) des gotischen Rechtskreises des 6. Jh.s (?,
Provence?).
Lit.: Gaudenzi, A., Un’ antica compilazione di diritto
romano e visigoto, 1886; Buchner, R., Die Rechtsquellen, 1953; Vismara, G.,
Fragmenta Gaudenziana, (in) Ius Romanum medi aevi I 2 b aa, 1967; Liebs, D.,
Römische Jurisprudenz in Gallien, 2002; Kaiser, W., Die Epitome Iuliani, 2004
Fragmenta (N. Pl.) Vaticana (vatikanische Fragmente) sind die auf einem Palimpsest in der vatikanischen
Bibliothek in Rom 1821 von Angelo Mai entdeckten Bruchstücke einer
Rechtssammlung wohl des 4. Jh.s mit Auszügen aus den Werken des Paulus, Papinians
und Ulpians sowie der kaiserlichen Konstitutionen des (lat.) Codex (M.)
Gregorianus und des Codex Hermogenianus.
Fraktion ist das Bruchstück oder (seit 1848) die
Vereinigung von Mitgliedern einer Partei im Parlament. In den Verfassungen
erscheint die politische F. im Gegensatz zur Partei meist nicht, doch sind sie
betreffende Grundsätze in Geschäftsordnungen geregelt. In Einparteiensystemen
gibt es die F. rechtlich oder rechtstatsächlich nicht.
Lit.:
Kramer, H., Fraktionsbindungen in den deutschen
Volksvertretungen 1819-1849, 1968; Die Fraktion als Machtfaktor, hg.
v. Schwarz, H., 2009
Franciscus de Accoltis ist der in Arezzo spätestens
1418 geborene, vielleicht in Bologna ausgebildete und dort sowie in Ferrara,
Siena, Ferrara, Mailand, Siena und Pisa lehrende, 1485, 1486 oder 1488 verstorbene
Jurist, der commentaria zu den Digesten, commentaria zu einzelnen Titeln,
commentaria zum Codex, casus, repetitiones und consilia verfasst.
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M.,
Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 854
Franche-Comté
(Freigrafschaft) →Burgund
Lit.: Hoke, R., Die Freigrafschaft Burgund, ZRG GA 79
(1962), 106
Francia (lat.
[F.]) fränkisches Gebiet, →Franken
Lit.: Lugge, M., Gallia und Francia, 1960
Franckensteinsche Klausel ist die im Streit um die Verteilung der Finanzen zwischen
Deutschem Reich und seinen Bundesstaaten am 12. 7. 1879 in zulässiger
Verfassungsdurchbrechung verabschiedete, nach dem Abgeordneten der
Zentrumspartei im Reichstag des Deutschen Reiches Georg Arbogast Freiherr von
und zu Franckenstein (2. 7. 1825-22. 1. 1890) als ihrem Urheber bezeichnete
Klausel (§ 8 I 1 des Gesetzes betreffend den Zolltarif des deutschen Zollgebiets
und den Ertrag der Zölle und der Tabaksteuer), dass der Ertrag der Zölle und
der Tabaksteuer (des Reiches), der die Summe von 130 Millionen Mark in einem
Jahr übersteigt, den Bundesstaaten entsprechend ihren Bevölkerungszahlen zu
überweisen ist. Am 14. 5. 1904 wird sie im Kern aufgehoben und der Ertrag aus
Zöllen und Tabaksteuer ganz dem Reich zugeschlagen.
Lit.: Kittel, J., Franckensteinsche Klausel und die
deutsche Finanzreform, 1894; Thier, A., Steuergesetzgebung, 1999; Ullmann, H.,
Der deutsche Steuerstaat, 2005
Franeker in
den Niederlanden (Friesland) ist von 1585 bis 1811 Sitz einer juristischen
Fakultät (Ulrich Huber, Johann Gottlieb Heineccius).
Lit.: Universiteit te Franeker 1585-1811, hg. v. Jensma, G.
u. a., 1985; Ahsmann, M., De juridische faculteit te Franeker, TRG 54 (1986),
39; Feenstra, R., Heineccius in den alten Niederlanden, TRG 74 (2004), 297ff.;
Feenstra, R., Bibliografie van hoogleraren in de rechten aan de Franeker
Universiteit tot 1811, 2003
Frank und frei ist die in der frankophonen Schweiz
1461 (franc et libre de toutes taillés) erstmals nachweisbare Wendung (Paarformel).
Franke („Kühner“)
ist der Angehörige einer 258 n. Chr. am Niederrhein erstmals sichtbaren
germanischen Völkerschaft, die im 5. Jh. allmählich in das südlich gelegene,
römische Gallien zwischen Rhein und Somme eindringt (vom 4. bis zum 8. Jh. rund
36000 Personennamen bezeugt). Die Franken besiegen unter ihrem sie gewaltsam
einenden König Chlodwig ([* um 466,] 481/482-511) aus dem Hause der →Merowinger
den römischen Statthalter in Nordgallien (Soissons) (486), die am oberen Rhein
und an der oberen Donau sitzenden Alemannen (496) und die in Südgallien
siedelnden Westgoten (Vouillé 507). Danach bringen ihre merowingischen Könige
von dem Kernraum zwischen Rhein und Loire aus die Thüringer (531/534),
Burgunder (532/534), die Provence (536) und Bayern (bis 545) in eine gewisse
Abhängigkeit. Das Recht der Franken wird im (lat.) →Pactus (M.) legis
Salicae (507/11?) und in der (lat.) →Lex (F.) Ribvaria sowie der →Ewa
Chamavorum aufgezeichnet. Vielfach wird das Reich geteilt, kommt aber z. B.
zwischen 558 und 561 unter Chlothar I. oder auch danach unter Chlothar II.
wieder in eine Hand. Vielleicht erst in den dabei ausgelösten Wirren verfallen
die römerzeitlichen Einrichtungen Galliens weitgehend. Seit dem späteren 7.
Jh. gewinnen die Hausmeier als der Familie der (Arnulfinger oder) Pippiniden (oder
später Karolinger) an Bedeutung (Pippin der Mittlere 687-714, Karl Martell
714-741, Pippin der Jüngere 741-768). 751 löst die Familie der Karolinger die
Merowinger mit Unterstützung Papsts Zacharias durch Akklamation seitens der
Großen im Königtum ab ([lat.] consecratio [F.] durch die Bischöfe, 754 Salbung
durch Papst Stephan II.). Unter Karl dem Großen, der Weihnachten 800 vom Papst
zum (west)römischen Kaiser gekrönt wird, gewinnt das Reich der Franken seine
größte Ausdehnung (Sachsen, Italien 774). 843 wird es in Westreich,
Lotharingien und (deutschsprachiges) Ostreich geteilt, woraus sich unter einstweiligem
Ausscheiden Italiens und Burgunds 887 eine Zweiteilung entwickelt, die im
deutschen Reich einerseits und in Frankreich andererseits endet. In Frankreich
gehen die Franken bald in der unterworfenen gallorömischen Bevölkerung auf. Im
deutschen Reich verlagert sich die Herrschaftsgewalt 919 auf die Herzöge von
Sachsen. Das Herzogtum der Franken (ebenso wie ein Territorialherzogtum Franken
[1168]) verschwindet infolge seiner späteren Königsnähe bald in vollständiger
Zersplitterung und hinterlässt nur in den 1838 gebildeten bayerischen Regierungsbezirken
Mittelfranken (Ansbach), Oberfranken (Bayreuth) und Unterfranken (Würzburg)
eine blasse Erinnerung. Auch das fränkische Recht ist nur im Frühmittelalter
deutlich erkennbar (s. Pactus legis Salicae, Lex Ribvaria, Ewa Chamavorum).
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Kroeschell, DRG 1, 3;
Rübel, K., Die Franken, 1904; Petri, F., Germanisches Volkserbe in Wallonien
und Nordfrankreich, 1937; Zöllner, E. Die politische Stellung der Völker im
Frankenreich, 1950; Petri, F., Zum Stand der Diskussion über die fränkische
Landnahme, 1954; Balon, J., Études franques 1, 1963; Zöllner, E., Geschichte
der Franken bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts, 1970; Bosl, K., Franken um 800,
2. A. 1980; Siedlung, Sprache und Bevölkerungsstruktur im Frankenreich, hg. v.
Petri, F., 1973; Schneider R., Das Frankenreich 1982; Schulze, H., Vom Reich
der Franken zum Land der Deutschen, 1987; Périn, P./Feffer, C., Les Francs,
1987; James, E., The Francs, 1988; Fried, J., Der Weg in die Geschichte, 1994;
Wood, I., The Merovingian Kingdoms, 1994; Franken, Reallexikon der germanischen
Altertumskunde, Bd. 9 1995, 373; Die Franken – Wegbereiter Europas, 1996;
Clovis, hg. v. Rouche, M., 1997; Kasten, B., Königssöhne und Königsherrschaft, 1997;
Franks and Alamanni, hg. v. Wood, I., 1998; Die Franken und die Alemannen, hg.
v. Geuenich, D., 1998; Sachsen und Franken in Westfalen, hg. v. Hässler, H.,
1999; Siegmund, F., Alemannen und Franken, 2000; Semmler, J., Der
Dynastiewechsel, 2003; Schieffer, R., Die Zeit des karolingischen Großreichs,
2005; Collins, R., Die Fredegar-Chroniken, 2007; Uffelmann, U., Das frühe
Frankenreich 482-687, 2008; Nonn, U., Die Franken, 2010
Franken ist das von dem 531/vor 720 von den
Thüringern an die Franken gefallenen Gebiet um Würzburg (Herzogtum der Hedene,
10. Jh. orientalis Francia) ausgehende Gebiet zwischen Rhön und Donau, das im
Mittelalter in zahlreiche kleine Herrschaften zerfällt (Ansbach, Bayreuth,
Hohenlohe, Würzburg, Bamberg, Eichstätt, Deutscher Orden, Reichsstädte,
Reichsritter, insgesamt 43 Landesherren im fränkischen Reichskreis), am Beginn
des 19. Jh.s insgesamt aber an Bayern gelangt, das die drei Regierungsbezirke
Unterfranken (Würzburg), Mittelfranken (Ansbach mit Nürnberg) und Oberfranken
(Bayreuth) bildet. →Franke
Lit.: Stein, F.,
Geschichte Frankens, Bd. 1f. 1885f.; Hartung, F., Geschichte des fränkischen
Kreises I, 1910, Neudruck 1973; Schmidt, G., Das Herzogtum Franken, 1913;
Schaumberg, O. Frhr. v. u. a., Regesten des fränkischen Geschlechts von
Schaumberg, 1930ff.; Franken, hg. v. Scherzer, C., Bd. 1f. 1955ff.; Historischer Atlas von Bayern, Teil
Franken; Bog, I., Dorfgemeinde, Freiheit und Unfreiheit in Franken, 1956;
Merzbacher, F., Iudicium provinciale ducatus Franconiae. Das kaiserliche
Landgericht des Herzogtums Franken im Spätmittelalter, 1956; Bosl, K., Franken
um 800, 1959; Hofmann, H., Adelige Herrschaft und souveräner Staat, 1962;
Schrader, E., Vom Werden und Wesen des würzburgischen Herzogtums Franken, ZRG
GA 80 (1963), 27; Zimmermann, G., Vergebliche Ansätze zu Stammes- und
Territorialherzogtümern in Franken, Jb. f. fränkische Landesforschung 23
(1963), 379ff.; Wöppel, G., Prichsenstadt, 1968; Handbuch der bayerischen
Geschichte, hg. v. Spindler, M., Bd. 3 1971; Handbuch der bayerischen
Geschichte, Bd. III/1, Franken, hg. v. Spindler, M. u. a., 3. A. 1997; Der
deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert Bd. 2, hg. v. Patze, H., 1971,
255ff.; Moraw, P., Franken als königsnahe Landschaft im späten Mittelalter,
Bll. f. dt. Landesgeschichte 112 (1976), 123ff.; Andraschke, J., Arianische und
fränkische Missionierung im Regnitz- und Obermaingebiet um 500 bis 800 n. Chr.,
Bericht des hist. Vereins Bamberg 135 (1999), 89; Franken von der
Völkerwanderungszeit bis 1268, bearb. v. Störmer, W., 1999; Merz, J., Fürst und
Herrschaft. Der Herzog von Franken und seine Nachbarn 1470-1519, 2000;
Riedenauer, E., Fränkische Landesgeschichte, hg. v. Wendehorst, A., 2001;
Franken in Vorstellung und Wirklichkeit in der Geschichte, hg. v. Blessing, W.
u. a., 2003; Franken im Mittelalter, hg. v. Merz, J. u. a., 2004; Edel und
Frei, hg. v. Jahn, W. u. a., 2004; Petersohn, J., Franken im Mittelalter, 2008;
Blessing, W., Kleine Geschichte Frankens, 2008; Wieser, E., Geschichte des
Frankenreichs, 2013
Franken (M.) Geldeinheit der Schweiz 1881
Lit.: Baltensperger, E., Der Schweizer Franken, 2012
Frankenberg ist
die 1243 erstmals erwähnte Stadt an der oberen Eder, für die 1493 der in Erfurt
(1454) und Leipzig (1457-1459) immatrikulierte, bakkalaurierte Bürgermeisterssohn
und Schöffe Johannes Emmerich († 15. 11. 1494) ein Stadtrechtsbuch vollendet,
das in seinem ersten Teil (Von den burgern) überwiegend auf Gewohnheitsrecht
und (1476 verbrannten) Privilegien und in seinem zweiten Teil (Von dem gericht)
vor allem auf dem (in etwa 190 Artikel geteilten) Schwabenspiegel und dem
Kleinen Kaiserrecht (Frankenspiegel) beruht und wohl aus dem Gedächtnis auch
die Dekretalen Gregors IX. und die Institutionen Justinians einbezieht. Es wird
1556 abgeändert nach Alsfeld übernommen.
Lit.: Diemar, H., Die Chroniken des Wigand Gerstenberg von
Frankenberg, 1909; Spieß, W., Verfassungsgeschichte der Stadt Frankenberg,
Diss. jur. Marburg 1922; Anhalt, E., Der Kreis Frankenberg, 1928; Spieß, W.,
Verfassungsgeschichte der Stadt Frankenberg, 1930; Gerhardt, H., Das Alsfelder
Stadtrechtsbuch, Diss. Freiburg im Breisgau 1993; Oppitz, U., Deutsche
Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 82; Eckhardt, W., Das Stadtgericht
als Oberhof, Zs. f. hess. Gesch. 110 (2005), 21ff.
Frankenspiegel ist die an Sachsenspiegel, Deutschenspiegel und
Schwabenspiegel ausgerichtete Bezeichnung (Richard Schroeders) des zwischen
1344 und 1350 bei Frankfurt am Main verfassten, eng an den sog.
Schwabenspiegel angelehnten →Kleinen Kaiserrechts.
Lit.: Köbler, DRG 103; Eckhardt. K.,
Frankenspiegel-Studien, 1923; Stutz, U., Frankenspiegel-Studien, ZRG GA 44
(1924), 316; Hatzfeld, L., Frankenspiegel oder Kaiserrecht, TRG 26 (1958), 15;
Ochsenbein, P. u. a., Neue Bruchstücke einer alemannischen Frankenspiegelhandschrift,
ZRG GA 95 (1978), 237; Munzel-Everling, D., Des keisers recht, 2003
Frankfurt am Main ist
die 794 als Pfalz erstmals erwähnte Stadt am unteren Main. Seit 856 bzw. 1152
ist F. Ort der Königswahl (bis 1752 36 Könige in F. gewählt), wie dies die
Goldene Bulle (1356) ausdrücklich festlegt, und seit 1562 auch Ort der Krönung.
Um 1150 wird erstmals die Messe in F. erwähnt (seit Ende des 15. Jh.s auch für
Bücher, Buchmesse). Bis 1372 (Erwerb des Pfandrechts am Schultheißenamt) wird
F., dessen Recht erstmals in einem Weistum für Weilburg über Pfahlbürger (1297)
aufgezeichnet (und auch an Friedberg, Gelnhausen, Steinheim am Main, Hanau,
Limburg und Wetzlar vermittelt) wird, tatsächlich reichsunmittelbar. 1509
reformiert die Stadt ihr Recht und erweitert diese Reformation 1578 durch
Johann →Fichard noch. Die Zahl der danach in F. arbeitenden, häufig in
Gießen ausgebildeten Rechtsanwälte ist überdurchschnittlich groß. Nach dem
Ende des Heiligen römischen Reiches 1806 wird F. Hauptstadt des Rheinbunds mit
Residenz des Fürstprimas Carl Theodor von Dalberg im Palais Thurn und Taxis
(1810 Großherzog von F., 1811 Einführung des Code Napléon). Nach dem Sturz
Napoleons wahrt Karl Freiherr vom Stein die auf dem Wiener Kongress 1815
gesicherte Selbständigkeit der (freien) Stadt. Von 1815 bis 1866 ist F. Sitz
der Bundesversammlung des Deutschen Bundes (und vom 31. 3.-3. 4. 1848 des die
Wahl einer Nationlversammlung vorbereitenden Frankfurter Vorparlaments,
dessen Beschlüsse vom Deutschen Bund anerkannt werden, sowie ab 18. 5. 1848
bis 1849 Sitz der deutschen Nationalversammlung mit 812 Abgeordneten, davon 491
Juristen, viele mit Studien in Göttingen, Heidelberg oder Berlin). 1866 wird es
von Preußen annektiert. Wirtschaftlich entwickelt es sich zur Großstadt. 1914
wird es auf der Grundlage einer Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften
Sitz einer Stiftungsuniversität (1932 Johann Wolfgang Goethe-Universität), in
der 1964 das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte (Helmut
Coing) gegründet wird. 1945 gelangt es zu Hessen.
Lit.: Köbler, DRG 171; Köbler, Historisches Lexikon;
Böhmer, J., Codex diplomaticus Moenofrancofurtanus - Urkundenbuch der
Reichsstadt Frankfurt am Main (794-1400), 1836; Thomas, J., Der Oberhof zu
Frankfurt a. M., 1841; Hohenemser, P., Der Frankfurter Verfassungsstreit 1705
bis 1732, 1920; Coing, H., Die Frankfurter Reformation von 1578, 1935;
Cellarius, H., Die Reichsstadt Frankfurt und die Gravamina der deutschen
Nation, 1938; Coing, H., Die Rezeption des römischen Rechtes in Frankfurt am
Main, 1939; Ziehen, E., Frankfurt, Reichsreform und Reichsgedanke 1486-1504,
1940; Lenhardt, H., Feste und Feiern des Frankfurter Handwerks, 1950; Die
Bürgerbücher der Reichsstadt Frankfurt 1311-1400, hg. v. Andernacht, D., 1955;
Habich, W., Das Weinungsgeld der Reichsstadt Frankfurt am Main, 1967; Wolf, A.,
Gesetzgebung und Stadtverfassung, 1968; Die Gesetze der Stadt Frankfurt am
Main, hg. v. Wolf, A., 1969; Schalles-Fischer, M., Pfalz und Fiskus Frankfurt,
1969; Jahns, S., Frankfurt, Reformation und schmalkaldischer Bund, 1976; Orth,
E., Frankfurt, (in) Die deutschen Königspfalzen Bd. 1 Hessen, 1985, 131ff.;
Reformacion der Stat Franckenfort am Meine, hg. v. Köbler, G., 1984;
Hammerstein, N., Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd.
1 1985; Zande, J. van der, Bürger und Beamter Johann Georg Schlosser 1739-1799,
1986; Bund, K., 1436-1986. 500 Jahre Stadtarchiv Frankfurt am Main, 1986; Die
Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, hg. v. Koch, R., 1989; Die Frankfurter
Reichsverfassung, hg. v. Neumann, F., 1989; Juristen an der Universität
Frankfurt am Main, hg. v. Diestelkamp, B. u. a., 1989; Ein Jahrhundert
Frankfurter Justiz, Gerichtsgebäude, hg. v. Henrichs, H. u. a., 1989; Hammerstein,
N., Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. 1 1989, Bd. 2
2012; Gimbel, R., Die Reichsstadt Frankfurt am Main unter dem Einfluss der
westfälischen Gerichtsbarkeit – Feme, 1990; Fischer, R., Frankfurts Beitrag für
das heutige Hessen, 1990; Frankfurt am Main, hg. v. der Frankfurter
historischen Kommission, 1991; Maly, K., Die Macht der Honoratioren, 1992; ; Dölemeyer,
B., Frankfurter Juristen im 17. und 18. Jahrhundert, 1993 (737 Juristen);
Frankfurter Biographie, hg. v. Klötzer, W., 1994; Frankfurt, hg. v. d.
Frankfurter historischen Kommission, 1994; Frankfurt am Main 1200, hg. v. Gall,
L., 1994; Regierungsakten des Primatialstaates und des Großherzogtums Frankfurt
1806-1813, bearb. v. Rob, K., 1995; Kraß, G., Das Arrestverfahren in Frankfurt
am Main, 1996; Best, H./Weege, W., Biographisches Handbuch der Abgeordneten der
Frankfurter Nationalversammlung, 1996; Roth, R., Stadt und Bürgertum in
Frankfurt/Main, 1996; Weber, M., Verfassung und Reform in Vormärz und
Revolutionszeit, Diss. jur. Frankfurt am Main 1996; Ribhegge, W., Das Parlament
als Nation, 1998; Laufs, A., Die Frankfurter Nationalversammlung, JuS 1998,
385; Rothemann, M., Die Frankfurter Messen im Mittelalter, 1998; Recht und
Juristen in der deutschen Revolution 1848/49, hg. v. Düwell, F., 1998; Johann,
A., Kontrolle mit Konsens, 2001; Eibach, J., Frankfurter Verhöre, 2003; Körner,
H., Frankfurter Patrizier, 2003; Repertorium der Policeyordnungen der frühen
Neuzeit – Frankfurt am Main, hg. v. Halbleib, H. u. a., 2004; Ihrer Bürger
Freiheit - Frankfurt im Mittelalter, hg. v. Müller, H., 2004; Schartl, R.,
Gerichtsverfassung und Zivilprozess in Frankfurt am Main im Spätmittelalter,
ZRG GA 123 (2006), 136; Rheinbündischer Konstitutionalismus, hg. v. Brandt, H.
u. a., 2007; Wintergerst, M., Franoconofurt, 2007; Die Reichsstadt Frankfurt am
Main als Rechts- und Gerichtslandschaft, hg. v. Amend, A., 2008; Frankfurt im
Schnittpunkt der Diskurse, hg. v. Seidel, R. u. a., 2010; Riemer, R., Frankfurt
und Hamburg vor dem Reichskammergericht, 2011
Frankfurt an der Oder wird im frühen 13. Jh. als Handelssiedlung gegründet und erhält 1253
das Stadtrecht von Berlin (der Magdeburger Stadtrechtsfamilie). Ab 1506 ist es
Sitz der ersten brandenburgischen, 1811 nach Breslau verlegten, 1991 erneuerten
Universität (Samuel Stryk, Johann Samuel Friedrich Böhmer, Johann Gottlieb
Heineccius, Johann Brunnemann, Karl Friedrich Eichhorn).
Lit.: Haalck, J., Zur Spruchpraxis der Juristenfakultät
Frankfurt, (in) Heimatkunde und Landesgeschichte, 1958, 151ff.; Kliesch, G., Der
Einfluss der Universität Frankfurt (Oder) auf die schlesische Bildungsgeschichte,
1961; Bardong, O., Die Breslauer an der Universität Frankfurt/Oder, 1970; Huth,
E., Die Entstehung und Entwicklung der Stadt Frankfurt, 1975; Jajesniak-Quast,
D./Stoklosa, K., Geteilte Städte an Oder und Neiße, 2000; Höhle, M.,
Universität und Reformation, 2002; Frankfurt an der Oder 1253-2003, hg. v.
Knefelkamp, U. u. a., 2003; Kilian-Buchmann, M., Frankfurt im Mittelalter, 2005
Frankfurter Nationalversammlung →Frankfurt am Main
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Siemann, W., Die Frankfurter
Nationalversammlung 1848/49, 1976; Die Protokolle des volkswirtschaftlichen
Ausschusses der deutschen Nationalversammlung, hg. v. Konze, W. u. a., 1992
Fränkisches Recht
ist das für →Franken geltende Recht. Dem fränkischen Recht untersteht der
deutsche König, der auf fränkischem Boden gewählt und gekrönt wird (Frankfurt
am Main, Aachen). Als besondere Einheit ist es trotz gelegentlicher hochmittelalterlicher
Bezugnahmen kaum fassbar (vielleicht Königsgericht, Königsbann, Königspfalz,
Graf, Lehen, Kesselfang). →Pactus legis Salicae, Lex Ribvaria, Ewa
Chamavorum, Decretio Childeberti, Pactus pro tenore pacis, Praeceptio
Chlotharii, Kapitular
Lit.: Sohm, R., Fränkisches Recht und römisches Recht, ZRG
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Beiträge zur Geschichte des fränkischen Rechts, 1928; Buchner, R., Die
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Herrschergesetzgebung, 2000
Frankreich ist
der aus dem westlichen Teil des Reiches der →Franken seit 843 allmählich
entstandene westeuropäische Staat, in dem sprachlich die zahlenmäßig unterlegenen
Franken in der romanischen Mehrheit allmählich aufgehen. In ihm entwickeln sich
unter den Karolingern zahlreiche ziemlich selbständige Herrschaften
(Aquitanien, Normandie, Burgund, Blois-Tours, Anjou, Flandern, Toulouse). Seit
888 ist das Königtum zwischen Karolingern und Robertinern umstritten. Als nach
dem Aussterben der westfränkischen →Karolinger 987 der Robertiner Hugo
Capet, Graf von Paris, zum König ([lat.] rex [M.] Francorum, König der Franken)
gewählt wird, setzt er die Erblichkeit des Königtums durch. Danach tritt an die
Stelle des westfränkischen Reiches F. (mit den Grenzflüssen Schelde, Maas,
Saône, Rhône), das rasch kulturell führend wird. Der König ist zunächst auf die
um 1180 nur ein Zehntel des Reichs ausmachende Krondomäne beschränkt und
beherrscht neun Zehntel des Reichs nicht mehr selbst, drängt aber später die
großen Lehnsträger (rund ein Dutzend Prinzipate) zurück (1328 zwei Drittel
Frankreichs Krondomäne). Der seit 1154 aus dem Haus Anjou-Plantagenet stammende
König von England muss bis 1214 (Schlacht von Bouvines) große Teile Frankreichs
an den französischen König überlassen. Dazu kommen kleinere Erweiterungen
(Toulouse nach 1213, Lyon 1312, Dauphiné 1349, Grafschaft Provence 1482). Zwar
herrscht der König noch im Umherziehen durch sein Reich, doch bleiben ab der
Herrschaft Philipps II. (1180-1233) Parlament und Kanzlei zunehmend in Paris.
König Ludwig IX. (1226-1270, rex Franciae) gelingt die Schaffung wichtiger
Verwaltungseinrichtungen (Staatsrat, Hofgericht, Rechenkammer). Auch die
Gesetzgebung wird früh als Herrschaftsmittel erkannt. 1303 kann der König von
F. den Papst gefangennehmen und 1309 nach Avignon verbringen. Beim Aussterben
der →Kapetinger (1328) kommt es 1337 zum hundertjährigen Krieg mit
England (Plantagenet), während dessen Dauer sich (nach anfänglichen großen
Erfolgen Englands) unter dem Haus Valois (1328-1589) die Erbmonarchie festigt.
Durch das Eingreifen der Bauerntochter Jeanne d’Arc gelingt der nationale Sieg
über das sein kontinentales Gut verlierende England, so dass F. 1453 trotz
großer Verwüstungen gestärkt aus dem Krieg hervorgeht. Gegen 1440 wird das
Steuerwesen zu einer festen Einrichtung, das Heer stehend. 1477 fallen die
Lehen des Herzogs von Burgund zurück. 1481 umfasst die Krondomäne des Königs
(mit Nevers, Picardie, Anjou, Maine und Provence) drei Viertel Frankreichs
(1491 Bretagne). 1492 wird nach Italien (Neapel) ausgegriffen. Die religiöse
Bewegung des Calvinismus wird durch die Hugenottenkriege bis 1598
zurückgedrängt (Nacht zum 24. 8. 1572 Bartholomäusnacht mit rund 12000 Toten
in Paris und 20000 Toten in Frankreich). Unter dem zum Katholizismus
zurückgekehrten König Heinrich IV. aus dem Hause Bourbon (1589-1792) (13. 4. 1598
Edikt von Nantes [an der Loire nahe dem Atlantik] zur Tolerierung der
Hugenotten, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, politische Gleichberechtigung,
1685 aufgehoben) beginnt der Aufbau einer absolutistischen Herrschaft, in der
die Generalstände (états généraux) seit 1614 nicht mehr einberufen werden,
aber doch die Gesetzgebung des Königs nicht wirklich schrankenlos wird. Unter
Kardinal Richelieu als erstem Minister Ludwigs XIII. wird F. führende Macht
Europas. Am Ende des dreißigjährigen Kriegs (1618-1648) erlangt F. von Habsburg
Gebiete im →Elsass, 1659 Roussillon und Artois. Der mit vier Jahren auf
den Thron gelangte König Ludwig XIV. (1643-1715) wird als Sonnenkönig (mit
Schloss Versailles) merkantilistisch tätiges, Ordonnanzen erlassendes
absolutistisches Vorbild in Europa, muss aber am Ende des spanischen
Erbfolgekriegs (1714) trotz sehr hoher Staatsverschuldung ein Gleichgewicht der
Mächte anerkennen. Während des 18. Jh.s wendet sich die bürgerliche Aufklärung
gegen die absolute Herrschaft und stürzt nach außenpolitischen Misserfolgen im
siebenjährigen Krieg und im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und
innenpolitischen Wirtschaftskrisen trotz Einberufung der Generalstände (1788,
1789) als auf Betreiben des Abgeordneten Emmanuel Sieyès am 17. 6. 1789 zur
Nationalversammlung erklärter (nichtadliger und nichtgeistlicher) dritter
Stand (tiers, état, rund 98 Prozent der Bevölkerung, davon 16 Prozent Bürger,
82 Prozent Bauern) am 14. 7. 1789 den König unter den Schlagworten Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit (27. 8. 1789 Erklärung der Menschenrechte, 3. 9.
1791 Verfassung, konstitutinonelle Monarchie, 1792 erste Republik, Februar
1793 Gironde-Verfassungsentwurf., 1793 Jakobinerverfassung). Nach
langjährigen revolutionären Wirren (Schreckensherrschaft unter Marat und Robespierre)
erreicht am 9. 11. 1799 Napoleon Bonaparte (als einer von drei Konsuln) die
Macht und bringt als selbstgekrönter Kaiser (2. 12. 1804) in kurzer Zeit große
Teile Europas unter den Einfluss Frankreichs. Nach militärischen Niederlagen
(Leipzig 16.-19. 10. 1813, Waterloo 18. 6. 1815) Napoleons wird F.
konstitutionelle Monarchie (Bourbon, 1814-1830 Restauration, Juli 1830 Revolution,
1830-1848 Juli-Monarchie, Bürgerkönig Louis Philippe, Zensuswahlrecht), 1848
(bis 1851) zweite Republik), 1853 (zweites) Kaiserreich), 1871 (dritte)
Republik). 1871 verliert F. den wegen der Thronfolge in Spanien gegen Preußen
und seine deutschen Verbündeten geführten Krieg. 1894 wird F. durch die Affäre
Dreyfus (Offizier Alfred Dreyfus [1859-1535] aus anitsemitischen Gründen mit
Hilfe gefälschter Beweise wegen Spionage zu lebenslanger Haft verurteilt, 1906
rehabilitiert) erschüttert, wodurch die Trennung von Staat und Kirche
beschleunigt wird. Das 1871 verlorene Elsass-Lothringen gewinnt es am Ende des
ersten Weltkriegs (1918) zurück. Danach verliert es in blutigen Kämpfen
allmählich die in der Neuzeit eroberten Kolonien. Trotz vorläufiger
Kapitulation gegenüber dem deutschen Reich (1940) und Errichtung eines
autoritären Regimes im nichtbesetzten Teil (État Français, Vichyregime) wird
es 1945 gleichberechtigte Besatzungsmacht Deutschlands und erhält einen
ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Vetorecht. Rasch
verliert es in Freiheitskämpfen die meisten seiner Kolonien (z. B. Indochina,
Algerien). In der vierten Republik (1947-1958) schließt es sich seit 1952 mit
Deutschland, Italien, Niederlande, Belgien und Luxemburg zwecks gegenseitiger
Kontrolle (Frankreichs über Deutschland) zu Gemeinschaften (Staatenverbünden)
der Montanindustrie (Montanunion), der Atom-wirtschaft (Euratom) und der
Wirtschaft (EWG) (1957) zusammen (1958 fünfte Republik unter Charles de
Gaulle), aus denen nach Zusammenfügung zu einer Europäischen Gemeinschaft 1993
insgesamt die →Europäische Union erwächst.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 76,
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P., Der Schatten des Volkes, 2011; Schröer, C., Republik im Experiment, 2011;
Gironde-Verfassungsentwurf (1793), hg. v. Kley, A., 2011; Boyron, S., The Constitution of France (von 1958),
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Carolingian Royal Diplomas - The West Frankisch Kingdom, 2012; Koller, C., Die
Fremdenlegion, 2013; Braun, G., Maximilien de Robespierre, 2013; Loth, W.,
Charles de Gaulle, 2013
Franz I. (Franz Stephan, Nancy 8. 12.
1708-Innsbruck 18. 8. 1765), 1723 in Wien erzogen, 1729 Herzog von Lothringen,
1732 Statthalter Ungarns, 12. 2. 1736 Heirat mit Maria Theresia, nach
Ländertausch 1737 Großherzog von Toskana, 1745 Kaiser des Heiligen römischen
Reiches
Lit.: Die Kaiser der Neuzeit, hg.
v. Schindling, A. u. a., 1990, 232ff.
Franz II. (Florenz 12. 2. 1768-Wien 2. 3. 1835),
Sohn Kaiser Leopolds II., in Toskana aufgewachsen, 1784 Wien, 1792 Kaiser des
Heiligen römischen Reiches, 1797 Westgalizisches Gesetzbuch, 1803 Strafgesetz,
1804 auch selbst verfassungswidrig ernannter (erblicher) Kaiser Österreichs,
6. 8. 1806 Niederlegung der Krone des Heiligen römischen Reiches, 1811/1812
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Lit.: Die Kaiser der Neuzeit, hg.
v. Schindling, A. u. a., 1990, 286ff.; Hattenhauer, C., Wahl und Krönung Franz
II., 1995
Franz Joseph I. (Schönbrunn 18. 8. 1830-Schönbrunn 21. 11. 1916) folgt am 2. 12. 1848
seinem Onkel Ferdinand I. als Kaiser Österreichs,.
Lit.:
Conte Corti, E., Der alte Kaiser, 3. A. 1956; Höbelt, L., Franz Joseph I., 2009
Franziskaner ist der Angehörige des von Franz von
Assisi (1181/1182-1226) begründeten Ordens der Minoriten (Minderbrüder,
einschließlich der Kapuziner). Bekannt sind Heinrich von Merseburg (um 1242
[lat.] Summa super V libros decretalium), Balduin von Brandenburg (um 1270
[lat.] Summa titulorum), Johannes von Erfurt (Ende 13. Jh. [lat.] Tabula iuris
utriusque, Summa confessorum), Bonagratia von Bergamo, Wilhelm von Ockham,
Anaklet Reiffenstuel (1700ff. [lat.] Ius caonicum universum) und Lucius
Ferraris (1746ff. Prompta bibliotheca canonica). Vermutlich sind
Deutschenspiegel und Schwabenspiegel von Franziskanern beeinflusst.
Lit.: Ertl, T., Religion und
Disziplin, 2006; Feld, H., Die Franziskaner, 2008; Grieb, C., DIe Selbst- und Fremdwahrnehmung der
Franziskaner, 2010; Franciscan Organisation, hg. v. Robson, M. u. a., 2010
Französisch
Lit.: Tobler, A./Lommatzsch, E.,
Altfranzösisches Wörterbuch, Bd. 1ff. 1954ff. (11.-14. Jh.)
Französische Revolution ist die revolutionäre Veränderung des politischen Systems (ancien
régime) in →Frankreich 1789/1799. Sie erwächst aus der zunehmenden
Spannung zwischen dem durch Krieg und Hofhaltung die Staatsverschuldung mehrenden
König und dem nach politischen Rechten strebenden, mit der wirtschaftlichen
Lage und wohl auch der mangels eines Steuerkatasters willkürlichen
Steuererhebung unzufriedenen dritten Stand (der →Bürger [16 Prozent,
Bauern 82 Prozent]). Als nach sehr strengen Wintern (1787, 1788) die zum 1. 5.
1789 nach fast 175 Jahren vom König erstmals wieder zusammengerufenen Generalstände
(états généraux, 300, 300 und 600 Mitglieder der drei Stände) nach
ergebnislosen Beratungen über ein Stimmrecht nach Köpfen sich am 17. 6. 1789
zur Nationalversammlung (des dritten, hauptsächlich aus Verwaltungsbeamten,
Juristen und Kaufleuten zusammengesetzten Standes) erklären, versucht der
König erfolglos, sie aufzulösen. Nach dem Sturm des politischen Gefängnisses
(Bastille, Stadttorburg im Osten von Paris) am 14. 7. 1789 muss er sie als
verfassunggebende Nationalversammlung bestätigen. Die feudalen Rechte des ancien
régime werden aufgehoben (4./5. 8. 1789). Am 26. 8. 1789 werden von der Nationalversammlung
Menschenrechte und Bürgerrechte verkündet. Am 2. 11. 1789 wird die Kirche
enteignet. Am 3. 9. 1791 wird eine erste →Verfassung geschaffen
(konstitutionelle Monarchie mit Zensuswahlrecht, König als Spitze der
ausführenden Gewalt). Die Schulen werden verstaatlicht. Die zivile Eheschließung
wird eingeführt. Der Staat wird in 83 Departements eingeteilt. 1792 wird eine neue
Nationalversammlung gewählt (radikale Jakobiner, gemäßigte Girondisten).
Gegenüber Österreich und Preußen wird der Krieg erklärt. Am 21. 9. 1792 wird
die Republik ausgerufen. Der König wird wegen Verschwörung gegen die
öffentliche Freiheit und die allgemeine Sicherheit des Staates zum Tode
verurteilt und am 21. 1. 1793 hingerichtet. Am 10. 3. 1793 entsteht ein Revolutionstribunal.
Die darauf folgende Schreckensherrschaft eines Sicherheits- und Wohlfahrtsausschusses
(Robespierre, Marat, Danton) wird mit dem Sturz Robespierres am 27. 7. 1794
beendet. Am 22. 8. 1795 wird eine liberale Verfassung geschaffen. Am 9. 11.
1799 stürzt Napoléon Bonaparte das diktatorisch herrschende fünfköpfige
Direktorium.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Redslob, R., Völkerrechtliche
Ideen der französischen Revolution, FS Otto Mayer, 1916, 773; Stern, A., Der
Einfluss der französischen Revolution auf das deutsche Geistesleben, 1928;
Göhring, M., Geschichte der großen Revolution, Bd. 1f. 1950f.; Garaud, M., La
révolution et la propriété fonciere, 1959; Schmitt., E., Einführung in die
Geschichte der französischen Revolution, 1976; Vovelle, M., Die französische
Revolution, 1982; Die französische Revolution, hg. v. Günther, H., 1985; Vom
alten Reich zu neuer Staatlichkeit, hg. v. Gerlich, A., 1982; Furet, F./Richet,
D., Die französische Revolution, 1987; Schulin, E., Die französische
Revolution, 4. A. 2004; Die französische Revolution als Bruch des
gesellschaftlichen Bewusstseins, hg. v. Koselleck, R. u. a., 1988; Soboll, A.,
Die große französische Revolution, 1988; Berteau, J., Alltagsleben während der
französischen Revolution, 1989; Die französische Revolution, hg. v. Reinalter,
H., 1991; Botsch, E., Eigentum in der französischen Revolution, 1992; Meinzer,
M., Der französische Revolutionskalender (1792-1805), 1992; Schmidt, U.,
Südwestdeutschland im Zeichen der französischen Revolution, 1993; Stone, B.,
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Kuhn, A./Schweigard, J., Freiheit oder Tod!, 2005; Schultz, U., Der König und
sein Richter, 2012
Französisches Recht
ist das in Frankreich geltende Recht bzw. das in Frankreich geschaffene Recht.
Es ist aus zwei großen Teilgebieten erwachsen. Im Süden Frankreichs (Gascogne,
Roussillon, Navarra, Béarn, Guyenne, Saintogne, Limousin, Lyon, Languedoc,
Provence, [überwiegend] Burgund [sowie Savoyen]) gilt seit dem Untergang des
weströmischen Reiches (476) das in vereinfachter Form (→Breviarium Alaricianum)
fortgeführte römische Recht als Schriftrecht fort (frz. droit [M.] écrit) und
wird an den im Hochmittelalter entstehenden Universitäten (Montpellier,
Toulouse und Orléans) gelehrt. Nördlich der Loire bilden sich auf der Grundlage
der fränkischen Volksrechte (→Pactus legis Salicae) schätzungsweise 360
örtliche oder gebietliche Gewohnheiten (frz. [F.Pl.] →Coutumes, pays de
droit coutumier). Sie werden seit dem 13. Jh. nichtamtlich aufgezeichnet. Am
bekanntesten sind die →coutumes de Beauvaisis des Philippe de →Beaumanoir
(1283). 1454 wird die amtliche Aufzeichnung vom König geboten. Im 16. Jh.
entsteht eine glanzvolle französische Rechtswissenschaft (lat. →mos [M.]
Gallicus) mit dem Mittelpunkt in Bourges (Budé, Duarenus, Cujas/Cuiacius,
Doneau/Donellus, Favre, Gothofredus, Du Moulin, Domat, Charondas, Bourjon,
Pothier). Gewicht gewinnen einzelne königliche ordonnances (1510, 1539, 1566,
1579, 1667, 1673, 1681, 1731, 1735, 1745, 1747). Mit dem Edikt von Saint-Germain
(1679) erhält jede juristische Fakultät eine Professor für französisches
Zivilrecht. Die Aufklärung erweckt ein Streben nach allgemeinen Rechtsregeln.
Am 3. 9. 1791 kündigt die Verfassung ein einheitliches bürgerliches Gesetzbuch
(frz. Code [M.] des lois civiles communes) an, doch werden drei Entwürfe nicht
verabschiedet und nur Einzelgesetze gegen Kirche und Adel erlassen (sog. droit
[M.] intermédiaire). Nach der Machtergreifung Napoléons entstehen binnen
weniger Jahre ein →Code civil des Français (Bürgerliches Gesetzbuch
1804), ein der ordonnance von 1667 eng folgender, das europäische
Zivilprozessrecht des 19. Jh.s wesentlich bestimmender →Code de procédure
civile (Zivilverfahrensgesetzbuch, in Kraft zum 1. 1. 1807), ein Code de
commerce (Handelsgesetzbuch 1807), ein Code de l’instruction criminelle (Strafverfahrensgesetzbuch
1808) und ein →Code pénal (Strafgesetzbuch 1810). Sie beeinflussen das
Recht vieler Staaten (u. a. des linksrheinischen Deutschland) und gelten trotz
erheblicher Abänderungen (z. B. Loi Naquet 1884, Reformen von 1975 und 2004 im
Ehescheidungsrecht, 1999 Gesetz über den Pacte civil de solidarité,
Relativierung des Eigentums, Höchstpreise, Verbraucherschutz,
Gefährdungshaftung) teilweise noch in der Gegenwart. Allerdings ist der Versuch
Napoleons, das partikulare Recht der europäischen Länder durch einheitliche
französische Gesetzbücher zu ersetzen, nicht wirklich erfolgreich. 1958 wird
ein neuer Code de procédure pénale (Strafprozessgesetzbuch) geschaffen, (1975
bzw.) 1976/81 ein Nouveau code de procédure civile (Neues Zivilprozessgesetzbuch),
seit 1989 ein neues Strafgesetzbuch. Das Handelsgesetzbuch erfährt schon seit
1867 erhebliche Veränderungen.
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Französische Zone ist
die 1945 im Deutschen Reich eingerichtete Besatzungszone Frankreichs
(Südbaden, Südwürttemberg-Hohenzollern, Rheinland-Pfalz), die am 8. 4. 1949
der Bizone angeschlossen wird und danach in der →Bundesrepublik
Deutschland aufgeht.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.
Frau ist
der erwachsene weibliche Mensch. In einer patriarchalischen Gesellschaft ist
die F. dem Mann rechtlich nicht in jeder Beziehung gleichgestellt. Im
altrömischen Recht steht die F. grundsätzlich in der Hausgewalt (lat. [F.]
manus, Hand) des Ehemanns (, die mündige Frau sui iuris unter Geschlechtsvormundschaft,
lat. tutela [F.] iuris), im Frühmittelalter in der Hausgewalt (ahd. munt) des Ehemanns
oder der Vormundschaft des nächsten mündigen männlichen Verwandten. Ihre
durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 21 Jahre. Auch das Christentum
unterstellt die F. dem Mann. Im Alemannien des Frühmittelalters können Töchter
Grundstücke erben, doch scheint ihr Erbrecht gesellschaftlich weniger fest
verankert zu sein, und können verheiratete Frauen teils mit und teils ohne
Ehemann über Erbgut verfügen. Die Stellung der F. bessert sich mit ihrem
Eintritt in die Marktwirtschaft (Kauffrau). Im 16. Jh. bricht, wenn auch noch
ohne bestimmte rechtliche Folgen, die Erörterung über die Gleichrangigkeit der
Geschlechter auf. Im Zuge der Aufklärung verlangen zuerst einzelne Frauen die Angleichung
bzw. die grundsätzliche Gleichstellung (Dorothea Erxleben, Mary Wollstonecraft).
Dies verstärkt sich mit der französischen Revolution von 1789 (Olympe de Gouges
1791 Erklärung der Frauen- und Bürgerinnenrechte). Vereinzelt treten in
Deutschland Frauen auch im Umkreis der politischen Unruhen des Jahres 1848
hervor. 1865 wird ein Allgemeiner Deutscher Frauenverein gegründet. Danach
werden 1869 in Preußen die Schranken der Handlungsfähigkeit aufgehoben und
wird 1877 im Deutschen Reich Prozessfähigkeit gewährt. 1892 lehnt die
medizinische Fakultät der Universität Berlin die Zulassung von Frauen wegen des
in der Natur der Dinge begründeten Unterschieds in den geistigen Gewohnheiten
und der Lebensauffassung ab. 1894 erwächst aus unterschiedlichen Flügeln der
Frauenbewegung (Helene Lange, Gertrud Bäumer, Minna Cauer, Anita Augspurg
1857-1943) der Bund deutscher Frauenvereine. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (1900)
erhält die F. Anteil an der elterlichen Gewalt. Sie wird 1900 zum Studium (1900
Baden, 1903 Bayern, 1904 Württemberg, 1906 Sachsen, Preußen 1908, Mecklenburg
1909, Österreich 1919 in Deutschland 1911 43 Rechtsstudentinnen, 1917 117, 1920/1921
2,58 Prozent der juristischen Studierenden, 1932/1933 6 Prozent, Anita Augspurg
erste juristische Doktorin Deutschlands, erste habilitierte deutsche Juristin
Magdalene Schoch, erste Dr. h. c. der Rechte Marianne Weber, 1919 gleichberechtigte
Zulassung zu allen öffentlichen Ämtern, erste planmäßige Richterin Maria
Hagemayer Juni 1928 Landgericht Bonn, erste Habilitation einer Juristin 1932
bei Albrecht Mendelssohn-Bartholdy in Hamburg, 1948 erste ordentliche
Professorin der Rechtswissenschaft im deutschen Sprachraum Gertrud Schubart-Fikentscher
in Halle), 1919 zu Wahlen (New Jersey 1776-1807, Pitcairn 1838, Wyoming 1869,
Pariser Kommune 1871-1871, Neuseeland 1893/1919, Südaustralien 1894,
Australien 1902, Finnland 1906, Norwegen 1913, Island 1915, Dänemark 1915,
Sowjetunion 1917, Kanada 1918, Österreich 1919, Vereinigte Staaten von Amerika
1920, Großbritannien 1928, Türkei 1930/1934, Spanien 1931, Frankreich 1944,
Italien 1945/1946, Ungarn 1945, Japan 1945, Belgien 1946, China 1949, Indien
1950, Schweiz 1971, Liechtenstein 1984, Südafrika 1994, Afghanistan 2003,
Kuweit 2005) und (1. 7.) 1922 zu den Ämtern der Rechtspflege (1924 erste
Gerichtsassessorin) zugelassen. Die Verfassung des Deutschen Reiches (1919) und
das Bundesverfassungsgesetz Österreichs (1920) erkennen die Gleichberechtigung
der Geschlechter grundsätzlich an. Zum 31. 3. 1953 erklärt das Bundesverfassungsgericht
alles dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes entgegenstehende
Recht als außer Kraft. Weitere wichtige rechtliche Veränderungen schließen sich
an (1973 Strafrecht, 1976 Familienrecht, 1980 Arbeitsrecht, 1983, 1987, 1992
Rentenrecht). 1979 wird weltweit eine Vereinbarung zur Abschaffung aller Formen
der Diskriminierung von Frauen beschlossen. 1995 erklärt der Europäische
Gerichtshof eine Bevorzugung einer F. nur wegen ihrer Eigenschaft als F. für
rechtswidrig. Auf die Länge scheint das veränderte Weltbild der F. das durch
den medizinischen Fortschritt ermöglichte Wachstum der Bevölkerung
auszugleichen.
Lit.: Kaser § 12; Hübner; Köbler, WAS;
Weinhold, K., Die deutschen Frauen im Mittelalter, 3. A. 1987; Bartsch, R., Die
Rechtsstellung der Frau, 1903; Weber, M., Ehefrau und Mutter in der
Rechtsentwicklung, 1907; Fehr, H., Die Rechtsstellung der Frau, 1912;
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Mittelalter, 1954; Scheffler, E., Die Stellung der Frau, 1970; Pauli, L., Infirmitas
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(Die Darstellung der Weiblichkeit im mittelalterlichen germanischen Epos), 2007; Beattie, C.,
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2010; Augustae. Machtbewusste Frauen am römischen Kaiserhof, hg. v. Kolb, A.,
2010; Der Weg an die Universität, hg. v. Maurer, T., 2010; Breith, A.,
Textaneigung - Das Frauenlegendar der Lichtenthaler Schreibmiesterin Schwester
Regula, 2010; Storgröße „F“ - Frauenstudium, hg. v. Zentrum für
transdisziplinäre Geschlechterstudien, 2010; Zellmer, E., Töchter der Revolte?,
2011; Koloch, S., Frauen im Kulturprozess der frühen Neuzeut, 2011; Röwekamp,
M., Die ersten deutschen Juristinnen, 2011; Karl, M., DIe Geschichte der
Frauenbewegung, 2011; Cordes, O., Frauen als Wegbereiter des Rechts, 2012; The
Struggle for Female Suffrage in Europe, hg. v. Rodrigues Ruiz, B. u. a., 2012;
Carius, H., Recht durch Eigentum - Frauen vor dem Jenaer Hofgericht, 2012;
Cordes, O., Frauen als Wegbereiter des Rechts, 2012; The Struggle for Female
Suffrage in Europe, hg. v. Rodríguez-Ruiz, B. u. a., 2012, Reuthner, R.,
Platons Schwestern, 2013; Gerhard, U., Die Frau als Rechtsperson, ZRG GA 130
(2013), 281; Augsburg, A., Rechtspolitische Schriften, hg. v. Henke, C., 2013;
Meiners, A., Die Stunde der Frauen, 2013
Fraubrunnen (1246-1528)
Lit.: Leuzinger,
J., Das Zisterzienserinnenkloster Fraubrunnen, 2008+
Frauenarbeit ist
die →Arbeit der →Frau außerhalb des Haushalts und der Familie. Sie
gewinnt seit dem ausgehenden 19. Jh. an Bedeutung. Politisches Ziel ist seitdem
die Gleichheit der Arbeit von Frau und Mann.
Lit.: Baltl/Kocher; Müller, W./Willms, A./Handl, J., Strukturwandel
der Frauenarbeit 1880-1980, 1983; Werkstetter, C., Frauen im Augsburger
Zunfthandwerk, 2001
Frauenhaus ist
das in deutschen Städten seit dem Spätmittelalter als stadteigene Einrichtung
erkennbare Bordell. In der Gegenwart ist F. die Zufluchtsstätte misshandelter
Frauen.
Lit.: Schuster, P., Das Frauenhaus, 1992
Frauenraub ist
die gewaltsame Entführung einer Frau (zwecks Eheschließung). Der F. führt in
der Frühzeit zur Fehde und begründet keine Ehe (str.). Im Frühmittelalter ist
Buße zu leisten. Die →Constitutio Criminalis Carolina (1532) übernimmt
die Todesstrafe des römischen Rechtes (C. 9, 13). Die Aufklärung sieht den F.
als Freiheitsdelikt an.
Lit.: Dargun, L., Mutterrecht und Raubehe, 1883; Gössler,
Die Entführung, Diss. jur. Rostock, 1903; Köstler, R., Raub-, Kauf- und
Friedelehe bei den Germanen, ZRG GA 63 (1943), 92; Boes, W., Frauenraub und
Raubehe bei den westgermanischen Stämmen des Merowingerreiches, Diss. jur. Bonn
1956
Frauenstimmrecht→Frau, Wahlrecht
fraus (lat.
[F.]) Tücke (actio de dolo, exceptio doli möglich)
Lit.: Behrends, O., Die fraus legis,
1982
Fredus (lat.
[M.]) ist das im →Kompositionensystem des Frühmittelalters (Franken,
Alemannen, Bayern, Thüringer, Friesen) bei einem Unrechtserfolg in
verschiedenen Fällen (nicht an den Verletzten, sondern) an den König, Grafen,
Fiskus oder die Kirche in unterschiedlicher Höhe zu entrichtende Friedensgeld
(z. B. 1/3 der Buße).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 91; Köbler, LAW;
Schumann, E., Unrechtsausgleich im Frühmittelalter, Habilitationsschrift
Leipzig 2003 (ungedruckt)
Freher,
Marquard (Augsburg 26. 7. 1565-Heidelberg 13. 5. 1614), Sohn des Kanzlers der
Kurpfalz, wird nach dem Rechtsstudium in Altdorf und Bourges (Cujas) Rat in der
Pfalz und von 1596 bis 1598 Professor in Heidelberg, danach
Hofgerichtsvizepräsident. Er veröffentlicht eine Reihe deutscher Geschichtsquellen
und verfasst daneben eigene Abhandlungen.
Lit.: Freher, M., Germanicarum rerum scriptores, 1600ff.;
Stintzing, R./Landsberg, E., Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Abt.
1 1880, Neudruck 1957, 1978, 680; Schwan, B., Das juristische Schaffen Marquard
Frehers, 1984
Freibauer →Freier, Bauer
Freiberg ist
die in der zweiten Hälfte des 12. Jh.s gegründete sächsische Stadt, deren
zwischen 1210 und 1218 verliehenes, ziemlich selbständiges Stadtrecht in einer
1296-1307 entstandenen Prachthandschrift und 4 weiteren Handschriften überliefert
ist. Im Stadtrecht finden sich erste zusammenhängende Regelungen des erstmals
in der Kulmer Handfeste (1233) erwähnten Freiberger Bergrechts ([lat.] ius [N.]
Frybergense mit freiem Schürfrecht), die in Bergrechten von 1307-1328 bzw.
1346-1375 vertieft werden. 1572 wird das Stadtrecht von den kursächsischen
Konstitutionen verdrängt.
Lit.: Ermisch, H., Das sächsische Bergrecht des
Mittelalters, 1887; Ermisch, H., Das Freiberger Stadtrecht, 1889; Retzlaff, H.,
Die Entwicklung des Rechtsgangs nach dem Freiberger Stadtrechtsbuch, 1929;
Unger, M., Stadtgemeinde und Bergwesen Freibergs, Diss. phil. Leipzig 1957;
Clauss, H./Kube, S., Freier Berg und vermessenes Erbe, 1957; Löscher, H., Zur
Frühgeschichte des Freiberger Bergrechts, ZRG GA 76 (1959), 343ff.; Unger, M.,
Stadtgemeinde und Bergwesen Freibergs im Mittelalter, 1963; Geschichte der
Bergstadt Freiberg, hg. v. Kasper, H. u. a., 1986; Oppitz, U., Deutsche
Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 81; Stadt Freiberg, hg. v. Hoffmann,
Y. u. a., 2003
Freibrief ist die eine Freiheit enthaltende Urkunde
(Brief).
Lit.: Lerchenfeld, G. v., Die
altbayerischen landständischen Freiheitsbriefe, 1853; Nebinger, G., Geburts-
und Freibriefe 1543-1700 der Reichsstadt Kempten, Blätter des bay.
Landesvereins für Familienkunde 51 (1988), 60ff.
Freiburg im Breisgau ist der möglicherweise 1091 durch Herzog Berthold II. von Zähringen
neben einem bereits römerzeitlich besiedelten Burgberg (Schlossberg) gegründete,
vielleicht 1120 durch Herzog Konrad von Zähringen um (oder auf) einen Markt
(lat. [N.] forum) oder eine Stadt (lat. [F.] civitas) erweiterte,
(Gewerbetätigkeit bezeugende?,) wohl um 1150 ummauerte Ort am Ausfluss der
Dreisam aus dem Schwarzwald, dem der Herzog von Zähringen als Ortsherr bei
Gelegenheit der Erweiterung ein berühmtes Stadtrechtsprivileg für die (lat.)
mercatores (M.Pl.) personati (namhaften Kaufleute) erteilt (str., Diessenhofen
1178, Freiburg im Üchtland um 1175, Flumet 1228, Kenzingen 1249). 1368
unterstellt sich F. (1385 rund 9000 Einwohner, 1500 rund 7000 Einwohner)
Habsburg (1415-1457 Reichsstadt). 1457 wird eine Universität eingerichtet.
1520 tritt ein von Ulricus Zasius (Ulrich Zäsy) verfasstes, fünfteilig in
Prozess, Schulden und Sachen, Familien und Erbe, Baurecht und Strafrecht
gegliedertes, reformiertes Stadtrecht in Kraft, das bis 1781 (Allgemeine
Gerichtsordnung)/1787 (Josephinisches Gesetzbuch)/1810 (Badisches Landrecht)
gilt und auf Tirol (1526), Rheinfelden (1530), Württemberg (1555), Solms 1571,
Frankfurt am Main (1578), Pfalz (1582), Katzenelnbogen (1591), Solothurn 1604,
Baden (1654) Basel (1719) und Mainz (1755) ausstrahlt. 1805/1806 fällt F. von
Habsburg bzw. Vorderösterreich an Baden und damit 1951/1952 an
Baden-Württemberg.
Lit.: Schreiber, H., Geschichte der Stadt Freiburg im
Breisgau, 1857; Flamm, H., Geschichtliche Ortsbeschreibung der Stadt Freiburg
im Breisgau, Häuserstand 1400-1806, 1903; Flamm, H., Der wirtschaftliche
Niedergang Freiburgs, 1905; Joachim, H.,
Gilde und Stadtgemeinde in Freiburg im Breisgau, FG Anton Hagedorn, 1906, 25;
Rietschel, S., Neue Studien über die älteren Stadtrechte von Freiburg im
Breisgau, 1907; Beyerle, F., Untersuchungen zur Geschichte des älteren
Stadtrechtes von Freiburg i. Br. und Villingen a. Schw., 1910; Rietschel, S.,
Das Freiburger Stadtrecht, ZRG GA 33 (1912), 471; Albert, P., Achthundert Jahre
Freiburg im Breisgau, 1920; Below, G. v., Deutsche Städtegründung, 1920; Below,
G. v., Zur Deutung des ältesten Freiburger Stadtrechts, Zeitschrift der
Gesellschaft für Geschichte zu Freiburg 36 (1920); Müller, K., Geschichte der
Getreidehandelspolitik, 1926; Bastian, J., Der Freiburger Oberhof, 1934;
Freiburger Urkundenbuch, bearb. v. Hefele, F., Bd. 1ff. 1938ff.; Schindler, G.,
Verbrechen und Strafen im Recht der Stadt Freiburg, 1937; Gerber, H., Der
Wandel der Rechtsgestalt der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg im
Breisgau, (1957); Aus der Geschichte der rechts- und staatswissenschaftlichen
Fakultät zu Freiburg im Breisgau, hg. v. Wolff, H., 1957; Knoche, H.,
Ulrich Zasius und das Freiburger Stadtrecht von 1520, 1957; Freiburg im
Breisgau, hg. v. statistischen Landesamt Baden-Württemberg, 1965; Schott, C.,
Rat und Spruch der Juristenfakultät Freiburg im Breisgau, 1965; Schlesinger,
W., Das älteste Freiburger Stadtrecht, ZRG GA 83 (1966), 63; Heinemeyer, W.,
Der Freiburger Stadtrodel, ZRG GA 83 (1966), 116; Nehlsen, H., Die Freiburger
Familie Snewlin, 1967; Sauter, H., Studien zum mittelalterlichen Privatrecht
der Stadt Freiburg, 1969; Brandl, H., Der Stadtwald von Freiburg, 1970; Diestelkamp,
B., Gibt es eine Freiburger Gründungsurkunde aus dem Jahr 1120?, 1973; Nüwe
Stattrechten und Statuten der loblichen Statt Fryburg, hg. v. Köbler, G., 1986,
2. A. 2008 (Internet http://www.koeblergerhard.de/Fontes/NueweStattrechtenundStatutenFreiburgimBreisgau1520.pdf);
Köbler, G., Mercatores personati, FS L. Carlen, 1989, 157; Nasall, W., Das
Freiburger Stadtrecht von 1520, 1989; Die Freiburger Universität in der Zeit
des Nationalsozialismus, hg. v. John, E. u. a., 1991; Blattmann, M., Die
Freiburger Stadtrechte zur Zeit der Zähringer, 1991; Speck, D., Die
vorderösterreichischen Landstände, Bd. 1f. 1994; Freiburg 1091-1120. Neue
Forschungen zu den Anfängen der Stadt, hg. v. Schadek, H. u. a., 1995;
Geschichte der Stadt Freiburg, hg. v. Haumann, H. u. a., Bd. 1ff. 1996, 2. A.
2001; Kälble, M., Zwischen Herrschaft und bürgerlicher Freiheit, 2001; Bubach,
B., Richten, Strafen, Vertragen, 2005; Speck, D., Eine Universität für
Freiburg, 2006; Hollerbach, A., Jurisprudenz in Freiburg, 2007; Hundertfünzig
Jahre Amtsgericht Freiburg, hg. v. Kummle, T., 2007
Freiburg im Üchtland wird 1157 von Herzog Berthold IV. von Zähringen gegründet. Am 28. 6.
1249 erhält es von den Grafen von Kyburg (1218) eine (erneuerte)
Stadtrechtsurkunde. 1277 wird es von Habsburg gekauft. 1452 fällt es an
Savoyen. 1478 wird es freie Reichsstadt. 1481/1502 tritt es der
Eidgenossenschaft der Schweiz bei. 1763 wird eine Rechtsschule geschaffen, die
1763 in einer neuen Universität aufgeht.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Welti, F., Beiträge zur
Geschichte des älteren Stadtrechtes von Freiburg im Üchtland, 1908; Vevey, B.
de, Les sources du droit du canton de Fribourg, 1932; Vevey, B. de, Le droit de
Bulle, 1935; Das Notariatsformularbuch des Ulrich Manot, hg. v. Bruckner, A.,
1958; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,449, 3,2,1898;
Geschichte des Kantons Freiburg, 1981; Carlen, L. u. a., Hundert Jahre Rechts-
und Wirtschaftsgeschichte, 1982; Histoire de l’université de Fribourg/Suisse,
hg. v. Ruffieux, R., Bd. 1ff. 1991; Pahud de Mortanges, R./Siffert, R., Das
Zivilgesetzbuch für den Kanton Freiburg, Freiburger Zeitschrift für
Rechtsprechung 3 (1998), 247ff.; Die Freiburger Handfeste von 1249, hg. v.
Foerster, H. u. a., 2003; Utz Tremp, K., Fiat littera ad dictamen sapientum,
2012
Freier ist
der nicht von einem anderen unmittelbar abhängige Mensch. Im römischen Recht
ist insbesondere der römische Bürger (lat. civis [M.] Romanus) frei. Für die
Germanen ist es streitig, ob den Kern des Volkes eine Vielzahl von Freien
bildet. Im Frühmittelalter stehen sich Adel, Freie, Halbfreie und Unfreie in
den Volksrechten vielfach gegenüber, doch ist unklar, wie groß die Zahl der
Freien in der zunehmend von der →Grundherrschaft gekennzeichneten Gesellschaft
ist. Die Lehre von den Königsfreien sieht in den Freien geradezu Abhängige des
Königs. Im Hochmittelalter erwächst für den Bürger der Stadt und vielfach auch
den Rodungssiedler eine neue Freiheit (→Stadtluft macht frei). Im frühen
19. Jh. verschafft die Bauernbefreiung (Preußen Edikt vom 9. 10. 1807 die
persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend) allgemeine Freiheit.
Damit ist der Begriff des Freien entbehrlich.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Kroeschell, DRG 1, 2;
Köbler, DRG 68, 71, 87, 98; Köbler, WAS; Heck, P., Die Gemeinfreien der
karolingischen Volksrechte, 1900; Heck, P., Der Sachsenspiegel und die Stände
der Freien, 1905; Molitor, E., Die Stände der Freien in Westfalen und der Sachsenspiegel,
1910; Schweikert, E., Die deutschen edelfreien Geschlechter des Berner
Oberlandes, 1911; Ernst, V., Mittelfreie, ZRG GA 41 (1920), 410; Diehl, A., Die
Freien der Weibelhube und das Gericht der Siebzehner, Zs. f. württembergische
Landesgeschichte 7 (1943), 209; Bosl, K., Frühformen der Gesellschaft im
mittelalterlichen Europa, 1964; Wittmann, R., Die Körperverletzung an Freien im
klassischen römischen Recht, 1972; Köbler, G., Zur Lehre von den Ständen in
fränkischer Zeit, ZRG 89 (1972), 171; Schmidt-Wiegand, R., Fränkische und
franko-lateinische Bezeichnungen für soziale Schichten, 1972; Müller, W., Freie
Gotteshausleute, ZRG GA 92 (1975), 89; Köbler, G., Die Freien im alemannischen
Recht, (in) Beiträge zum frühalemannischen Recht, hg. v. Schott, C., 1978, 38;
Olberg, G. v., Freie, Nachbarn und Gefolgsleute, 1983; Die abendländische
Freiheit, hg. v. Fried, J., 1991
Freie Rechtsschule (Freirechtsschule) ist die von wenigen unterschiedlichen
Forschern bzw. Gruppen vor allem zwischen 1903 und 1914 geprägte Richtung
(Schule) der Rechtswissenschaft (Ernst Stampe [1856-1942], Unsere Rechts- und
Begriffsbildung, 1907, Freirechtsbewegung, 1911, Ernst Fuchs [1859-1929], Die
Gemeinschädlichkeit der konstruktiven Jurisprudenz, 1907, Eugen →Ehrlich
[1862-1922], Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft, 1903, H. U. Kantorowicz
[1877-1940]), die davon ausgeht, dass die einzelne Fallentscheidung des
Richters nicht auf logisch-verstandesmäßiger Unterordnung (Subsumtion) des
Sachverhaltes unter den Tatbestand der Norm, sondern in Wahrheit auf dem
Rechtsgefühl beruhe. Deshalb dürfe und müsse der Richter vom Gesetz abweichen,
sobald dieses bei bloßer Subsumtion zu ungerechten Ergebnissen führen würde,
und das lebende Recht nach Maßgabe des Sozialverhaltens in der Gesellschaft
feststellen. Seine Aufgabe bestehe mehr in der am allgemeinen Wohl ausgerichteten
Gesellschaftsgestaltung (Rechtsschöpfung) als in der strengen Normanwendung.
Diese Ansichten setzen sich vor allem wegen der durch die Gewaltenteilung und
damit die Verfassung vorgegebenen eingeschränkten Aufgabe und Zuständigkeit des
Richters nicht durch.
Lit.: Kanigs, H., 25 Jahre Freirechtsbewegung, 1932; Wieacker,
F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Riebschläger, K., Die
Freirechtsbewegung, 1968; Moench, D., Die methodologischen Bestrebungen der
Freirechtsbewegung, 1971; Fuchs, E., Gesammelte Schriften, Bd. 1ff. 1970ff.;
Muscheler, K., Relativismus und Freirecht, 1984; Rückert, J., Autonomie des
Rechts in historischer Perspektive, 1988; Schlosser, H., Grundzüge der neueren
Privatrechtsgeschichte, 9. A. 2001, 10. A. 2005; Klemmer, M., Gesetzesbindung
und Richterfreiheit, 1996; Bartels-Ishikawa, A., Theodor Sternberg, 1998; Depping,
A., Das BGB als Durchgangspunkt, 2002; Vogl. S., Soziale Gesetzgebungspolitik,
2003; Rückert, J., Vom „Freirecht“ zur freien „Wertungsjurisprudenz“, ZRG GA
125 (2008), 199
Freie Stadt ist
die von der ursprünglich bestehenden Herrschaft des Bischofs frei (und damit
reichsunmittelbar) gewordene Stadt (Regensburg 1255-1800, Straßburg 1263-1681,
Speyer 1294-1801, Worms 1247/73-1801, Mainz 1244/1331-1462, Köln
1288/1475-1801, Bremen 1541/1646, Hamburg 1510-1768, Bescançon 1290/1364-1648,
Metz 1180/1210-1552, Toul 1271/1278-1552, Verdun 1156-1552, Cambrai 12.
Jh.-1552) des Heiligen römischen Reiches . Die Benennung als f. S. wird seit
der Mitte des 14. Jh.s, die Benennung als (freie) Reichsstadt am Ende des
Mittelalters üblich.
Lit.: Arnold, W., Verfassungsgeschichte der deutschen
Freistädte, 1854; Landwehr, G., Die Verpfändung der deutschen Reichsstädte,
1967; Möncke, G., Bischofsstadt und Reichsstadt, 1971; Heinig, P.,
Reichsstädte, freie Städte und Königtum 1389-1450, 1983
Freigelassener (lat. [M.] libertus) ist der von seinem Herrn durch Rechtsgeschäft mit der
Freiheit begabte Unfreie. Der Freigelassene ist im römischen Recht rechtsfähig,
verbleibt aber unter einer Schutzgewalt (Patronat mit gewisser Abhängigkeit)
des bisherigen Herrn. Auch im mittelalterlichen Recht steht der Freigelassene
dem Freigeborenen nicht in jeder Hinsicht gleich.
Lit.: Kaser §§ 16 II, 58, 62, 66, 69; Söllner §§ 8, 12, 14;
Hübner; Köbler, DRG 21, 35, 68, 78, 88, 98; Sohm, R., Die liberti der
altgermanischen Zeit, ZRG GA 21 (1900), 20; Olberg, G. v., Die Bezeichnungen
für soziale Stände, Schichten und Gruppen in den Leges barbarorum, 1991;
Mihailescu-Birliba, L., Les affranchis dans les provinces romaines d’illyricum,
2006
Freigericht ist
die Bezeichnung für ein im Heiligen römischen Reich vom Reich abgeleitetes
Gericht (bzw. Gebiet eines solchen Gerichts).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Thudichum, F., Geschichte des
freien Gerichts Kaichen, 1858; Herold, F., Gogerichte und Freigerichte in
Westfalen, 1909; Müller, W., Das Freigericht Thurlinden, Thurgauische Beiträge
zur vaterländischen Geschichte 103 (1966); Hardt-Friederichs, F., Das
königliche Freigericht Kaichen, 1975 (mit etwa einem Dutzend Dörfern, 1293
erstmals erwähnt)
Freigrafschaft ist eine in verschiedenen Teilen des Heiligen römischen
Reiches seit dem 12. Jh. auftretende Art der Grafschaft, deren Herkunft
ungeklärt ist. Sie ist vielfach mit der Hochgerichtsbarkeit verknüpft. In
Westfalen entsteht aus der F. die →Feme.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Brode, R., Freigrafschaft und
Vehme, 1886; Herold, F., Gogerichte und Freigerichte in Westfalen, 1908; Waas,
A., Zur Frage der Freigrafschaften, vornehmlich in der Wetterau, ZRG GA 38
(1917), 146; Hömberg, A., Grafschaft, Freigrafschaft und Gografschaft, 1949;
Metz, W., Studien zur Grafschaftsverfassung Althessens, ZRG GA 71 (19545), 167;
Hömberg, A., Die Entstehung der westfälischen Freigrafschaften, 1953
Freigut ist das in unterschiedlicher Weise freie
Gut.
Lit.: Wilde, M., Die Ritter- und
Freigüter in Nordsachsen, 1997
Freiheit ist
die Möglichkeit der uneingeschränkten Entfaltung. Für viele Menschen besteht
bis in das 19. Jh. keine F., weil sie nicht dem Stand der →Freien (oder
des Adels) angehören, was von grundsätzlich sehr großer Bedeutung ist. Andere
erlangen durch Privileg einzelne besondere Freiheiten. In England ist bereits
1215 in der (lat.) Magna Charta (F.) F. vor allem der Schutz (zunächst vor
allem der Barone) vor rechtswidriger Verhaftung. (ähnlich Habeas-Corpus-Akte
von 1679). Von hier aus fordert John Locke (1632-1704) Leben, Freiheit und
Eigentum als unveräußerliche Rechte ein. Erst in der französischen Revolution
des Jahres 1789 aber setzt sich unter dem Einfluss der Aufklärung der
politische Gedanke einer allgemeinen F. (frz. liberté) des Menschen durch (,
die vermutlich in einem vorgeschichtlichen Urzustand ohne weiteres bestand).
Umstritten ist die Erklärung der F. als eines Zustands des von einem Herrn
Geschütztseins. Die Privatrechtswissenschaft des 19. Jh.s geht von einer F. in
Grenzen aus.
Lit.: Kaser § 16; Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Geschichtliche
Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 425; Köbler, WAS; Hölzle, E., Die Idee einer
altgermanischen Freiheit vor Montesquieu, 1925; Keller, R. v.,
Freiheitsgarantien für Person und Eigentum im Mittelalter, 1933; Tellenbach,
G., Libertas, 1936, Neudruck 1996; Voltelini, H. v., Der Gedanke der
allgemeinen Freiheit in den deutschen Rechtsbüchern, ZRG GA 57 (1937), 182;
Otto, E., Adel und Freiheit, 1937; Waas, A., Die alte deutsche Freiheit, 1939;
Njeussychin, A., Der Freiheitsbegriff im Edikt des Rothari, ZRG GA 66 (1948),
66; Mayer-Maly, T., Zur Rechtsgeschichte der Freiheitsidee in Antike und
Mittelalter, Z. f. öff. Recht 6 (1954), 425; Das Problem der Freiheit in der
deutschen und schweizerischen Geschichte, hg. v. Mayer, T., 1955, 4. unv. A.
1981; Reibstein, E., Volkssouveränität und Freiheitsrechte, Bd. 1f. 1972;
Hunke, H., Germanische Freiheit im Verständnis der deutschen Rechtes- und
Verfassungsgeschichtsschreibung, Diss. jur. Göttingen 1972; Immink, P., La
liberté et la peine, 1973; Klippel, D., Politische Freiheit und Freiheitsrechte
im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, 1976; Link, C.,
Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit, 1979; Grund- und Freiheitsrechte
im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, hg. v. Birtsch, G., 1981; Pleister,
W., Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werk Iherings, 1982; Chaimowicz, T.,
Freiheit und Gleichheit im Denken Montesquieus und Burkes, 1985; Schott, C.,
Freiheit und libertas, ZRG GA 104 (1987), 84; Battisti, S., Freiheit und
Bindung, 1987; Grund- und Freiheitsrechte, hg. v. Birtsch, G., 1987; Lübtow, U.
v., Die Freiheit, 1988; Die abendländische Freiheit, hg. v. Fried, J., 1991;
Fairén-Guillen, V., Die rechtlichen Mittel gegen Angriffe und Eingriffe in die
persönliche Freiheit, ZRG GA 109 (1992), 335; Maier, H., Das Freiheitsproblem
in der deutschen Geschichte, 1992; Birtsch, G. u. a., Grundfreiheiten, Menschenrechte 1500-1850,
Bd. 1ff. 1991f.; Klementowski, M., Studia
nad kszałtowaniem się gwarancji ochrony wolności osobistej w
państwie niemieckim (10-14 wiek) (Studien zur Entstehung der
Freiheitsgarantien für die Person im deutschen Staat (10.-14. Jahrhundert),
1994; Roche, J., Libertés publiques, 12. A.
1997; Gesellschaftliche Freiheit und vertragliche Bindung, hg. v. Kervégan, J.
u. a., 1998; Cafagna, E., La libertà, 1998; Kukk, A., Verfassungsgeschichtliche
Aspekte zum Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, 2000; Hofer, S.,
Freiheit ohne Grenzen? 2001; Schneider, R., Appetitus libertatis –
Mittelalterliches Freiheitsstreben ZRG 119 (2002), 27; Blickle, P., Von der
Leibeigenschaft zu den Menschenrechten, 2003; Altes Reich und Neues Recht, hg.
v. Schmidt-von Rhein, G., 2006; Rückert, J., Frei und sozial als Rechtsprinzp,
2006; Binkelmann, C., Theorie der praktischen Freiheit, 2007; Wirsching, A.,
Der Preis der Freiheit, 2012
Freiheit der Meere ist die Freiheit der Nutzung der
Meere. Sie wird am Beginn der Neuzeit zur Rechtsfrage zwischen den europäischen
Großmächten. Dabei nimmt die rechtswissenschaftliche Literatur teils für
Holland (Hugo Grotius 1609), teils für Portugal oder für England Partei. Seit
dem frühen 18. Jh. entstehen Grundsätze über die Rechte der Uferstaaten,
während in der Gegenwart das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom
10. 12. 1982 (1994 in Kraft) entscheidend ist.
Lit.: Davenport, G., European
Treaties, 1917; García Arias, L., De la libertad de los mares, 1946; Fahl, G.,
Der Grundsatz der Freiheit der Meere, 1969; Ziegler, K.,
Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007
Freiheitsrechte ist die Gesamtheit der Rechte des Menschen auf Freiheit in
der Entfaltung seiner Persönlichkeit in bestimmter Hinsicht. Die F. werden auf
Grund der gegen den Absolutismus gerichteten Aufklärung seit der zweiten Hälfte
des 18. Jh.s als Schutzrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat verstärkt anerkannt.
Seit etwa 1780 werden Freiheitskataloge erstellt. Sie betreffen beispielsweise
die Meinung, die Presse, die Lehre, das Gewissen, die Religion oder die Versammlung.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Neumann, F., Freiheitsrechte in
Deutschland, 1957; Klippel, D., Politische Freiheit und Freiheitsrechte im
deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, 1976; Grund- und Freiheitsrechte im
Wandel von Gesellschaft und Geschichte, hg. v. Birtsch, G., 1981; Weitzel, J.,
Das Reichskammergericht und der Schutz von Freiheitsrechten, (in) Die
politische Funktion des Reichskammergerichts, 1993, 157; Krug, G., Die
Entwicklung ökonomischer Freiheitsrechte, 1995
Freiheitsstrafe ist die im Entzug der körperlichen Bewegungsfreiheit durch
Zuweisung von Zwangsaufenthalt in Haftanstalten bestehende Strafe. Sie ist im
römischen Altertum nur als Begleitfolge anderer Strafen bedeutsam (D. 48. 19.
8. 9) und begegnet auch im Frühmittelalter kaum. Erst im 14. Jh. gewinnt sie (wohl
nicht zuletzt auf Grund des Zuwachses wirtschaftlicher Mittel für öffentliche
Bauwerke) in den Städten (Brünn bereits 1243) vielleicht in Anlehnung an
Kloster und Spital an Bedeutung. In der Constitutio Criminalis Carolina (1532)
wird sie ersatzweise bei kleinem Diebstahl angedroht (Art. 101) und als
sichernde Maßnahme vorgesehen (Art. 176, 195). Seit dem 16. Jh. werden in England
(Schloss Bridewell bei London 1555) und dann in den Niederlanden (Amsterdam
1595) aus religiöser Fürsorge Häuser errichtet, in denen zunächst Bettler und
Arbeitsflüchtlinge und später auch Straftäter durch Zwangserziehung zur Arbeit
angehalten werden können (Bremen 1609, Lübeck 1613, Hamburg 1622, Danzig 1629).
Im ausgehenden 17. Jh. wird die das Zuchthaus allgemein als sinnvoll anerkannt.
Im 18. Jh. (1721) werden in Preußen dort auch Straftäter untergebracht. 1776
wird in Philadelphia die nächtliche Trennung der Gefangenen angestrebt. 1777
veröffentlicht John Howard eine Aufsehen erregende Studie über den (sehr
schlechten) Zustand der Gefängnisse in Europa. Am Ende des 18. Jh.s werden
Arbeitshaus (für Bettler und Müßiggänger) und Zuchthaus (für Verurteilte)
getrennt. Vielleicht erst im ersten Drittel des 19. Jh.s wird die Freiheitsentziehung
voll als eigenständige Strafengruppe dem Strafensystem eingeordnet. In
England wird 1842 das erste Zellengefängnis errichtet. Danach wird die F.
(unter Zurücktreten der Todesstrafe und Leibesstrafe) bis in das 20. Jh. zur
vorherrschenden Strafe.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 119, 158, 205, 236,
265; Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck 1961; Schmidt, E.,
Entwicklung und Vollzug der Freiheitsstrafe in Brandenburg-Preußen, 1915; His,
R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1f. 1920ff., Neudruck 1964;
Doleich von Dolsberg, F., Die Entstehung der Freiheitsstrafe, 1928, Neudruck
1970; Hippel, R. v., Die Entstehung der modernen Freiheitsstrafe, 1932; Krebs,
A., Freiheitsentzug, hg. v. Müller-Dietz, H., 1978; Kröner, W., Freiheitsstrafe
und Strafvollzug, 1988; Kleinheyer, G., Freiheitsstrafen, ZRG GA 107 (1990),
102; Stapenhorst, H., Die Entwicklung des Verhältnisses von Geldstrafe zu
Freiheitsstrafe seit 1882, 1993; Krause, T., Geschichte des Strafvollzugs,
1999; Schidorowitz, M., H. B. Wagnitz und die Reform des Vollzugs, 2000;
Bretschneider, F., Gefangene Gesellschaft, 2008
Freiherr (1359 Ulmisches UB.) ist der
unter dem Grafen stehende niedere Adelige (z. B. Reichsritter), dem seit dem späten
17. Jh. Baron entspricht.
Lit.:
Roth von Schreckenstein, K. Frhr. v., Der Freiherrenttitel, 1888; Hechberger,
W., Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter, 2005
Freijahr z. B. von Abgaben freies Jahr (seit dem 12. Jh., antike Vorbilder im
alten Testament der Bibel)
Freilassung (lat. [F.] manumissio) ist in der ständischen Gesellschaft das Rechtsgeschäft,
durch das der Unfreie aus der Unfreiheit entlassen wird, daneben auch die
Beendigung eines Freiheitsentzugs. Das römische wie das mittelalterliche Recht
kennen verschiedene Formen der F. (→mancipatio, Schatzwurf, Speergedinge,
Freilassungsbrief). Der Freigelassene steht dem Freigeborenen nicht in jeder
Hinsicht gleich.
Lit.: Kaser § 16 I; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 21,
57, 71, 88; Fournier, M., Essai sur les formes et les effets de
l’affranchissement, 1885; Goldmann, E., Beiträge zur Geschichte der
germanischen Freilassung durch Wehrhaftmachung, 1904; Fabbrini, F., La
manumissio in ecclesia, 1965; Nitschke, A., Die Freilassung, ZRG GA 99 (1982),
220; Herrmann-Otto, E., Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen
Welt, 2009
Freimarkt, freier Markt
Lit.: Lautenschläger,
K., Der Freimarkt, Diss. jur. Frankfurt am Main 1958
Freimaurer
Lit.: Aufklärung und
Geheimgesellschaften, hg. v. Reinalter, H., 1989; Dosch, R., Deutsches
Freimaurerlexikon, 1999, 2. A. 2011; Schuster, J., Freimaurer und Justiz in
Norddeutschland unter dem Nationalsozialismus, 2007 Freirechtsbewegung →freie Rechtsschule
Freischöffe ist
der Schöffe am Freigericht. →Feme
Lit.: Kroeschell, DRG 2
Freising ist
der Sitz eines um 738 von Bonifatius in Bayern eingerichteten Bistums, das als
Hochstift 1220 reichsunmittelbar wird. Nach F. benannt ist das zum eigenen
Gebrauch des in einer Münchener Urkunde vom 14. 8. 1319 erwähnten Fürsprech Rupprecht
(von Freising) 1328 geschaffene, in 13 (bzw. noch 10) Handschriften
überlieferte, (zu etwa einem Drittel) auf Schwabenspiegel (um 1275), daneben
auf Augsburger Stadtrecht (1276/1281) und bayerischem Landfrieden von 1300 aufbauende
(Freisinger) →Rechtsbuch, das in 278 Artikeln vorwiegend Strafrecht und
Pflichten des Fürsprechers behandelt. Es wird bald (vor 1359) vom
oberbayerischen Landrecht (1335/1346) verdrängt.
Lit.: Knapp, H., Das Rechtsbuch Ruprechts von Freising,
1916; Freisinger Rechtsbuch, bearb. v. Claußen, H., 1941; Stahleder, H.,
Hochstift Freising, 1974; Mass, J., Das Bistum Freising, 1986; Festschrift aus
Anlass der Einweihung des Ämtergebäudes für das Amtsgericht und das
Vermessungsamt am Domberg in Freising am 21. 7. 1989, zusammengestellt v.
Gössl, H., 1989; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1
1990, 58; http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/hsta-freisingertraditionen/
Freistaat ist
eine Lehnschöpfung für lat. (F.) res publica (engl. 1646 free state). 1731
bezeichnet J. Moser die Schweiz als F.Als F. in Deutschland benennen sich (1848
Lübeck und seit 1918 u. a.) Bayern und Sachsen sowie Thüringen.
Lit.:
Dornheim, A., Entwicklung und Bedeutung des Begriffes Freistaat, 2001
Freistatt (F.) freie Stätte z. B. von Strafverfolgung freier Asylort
Freistuhl (1279) →Freigericht
Lit.: Fricke, E., Die westfälische Veme, 2002
Freiteil (Seelteil)
ist der seit dem Altertum von der christlichen Kirche (z. B. Augustinus 354-430)
vielleicht aus heidnischen Kultbräuchen und philosophischen Gerechtigkeitsvorstellungen
allmählich als Kindesteil oder fester Bruchteil (z. B. 1/5, 1/3) geforderte
Anteil an jedem Erbe. Er wird im Frühmittelalter (außer bei Sachsen und Thüringern)
übernommen (lat. donatio [F.] reservato usufructu, donatio post obitum) und bildet
unter allmählicher Erweiterung auf sonstige Begünstigte und Entfall mancher
Einschränkungen einen wichtigen Ansatzpunkt für die Zurückdrängung des
Anrechts der nächsten Verwandten auf das Erbe. Am Ende des Mittelalters
besteht allgemeine und grundsätzliche, vielfach aber nicht verwendete
Testierfreiheit.
Lit.: Köbler, DRG 89; Gál, A., Totenteil und Seelteil nach
süddeutschen Rechten, ZRG GA 29 (1908), 225; Schultze, A., Der Einfluss der
Kirche auf die Entwicklung des germanischen Erbrechts, ZRG GA 35 (1914), 75;
Schultze, A., Augustin und der Seelteil des germanischen Erbrechts, ZRG GA 50
(1930), 1928; Bruck, E., Kirchenväter und soziales Erbrecht, 1956
Freiwillige Gerichtsbarkeit ist (als Teil der →Gerichtsbarkeit) eine staatliche
Organisation und ein staatliches Verfahren zur amtlichen Hilfe in
privatrechtlichen Angelegenheiten. Die f. G. schließt an den Ausdruck (lat.
iurisdictio [F.] voluntaria) der justinianischen Digesten (D. 1, 16, 2 principium)
an. Sie erwächst aus dem Gedanken herrschaftlicher Fürsorge seit dem Hochmittelalter
vor allem in Nachlasssachen, Vormundschaftssachen, Beurkundungssachen,
Liegenschaftsrechtsübertragungen und Aufgeboten. Zuständig werden in
Anlehnung an streitige Verfahren die Gerichtsbarkeit, verschiedene
Verwaltungsbehörden und die Notare. Allgemeine Vorschriften bringen nach
Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 die Hypothekenordnung Preußens von
1783, die preußische Allgemeine Gerichtsordnung (1793), das österreichische
Gesetz über das Verfahren in Außerstreitsachen von 1854 (geändert 2003/2005)
und das deutsche Reichsgesetz über Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
(17. 5. 1898).
Lit.: Köbler, DRG 184, 292; Claproth, J., Primae lineae
jurisprudentiae extrajudicialis, 1759; Oesterley, F., Versuche aus dem Gebiete
der sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1830; Puchta, W., Handbuch des
gerichtlichen Verfahrens in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 2. A.
1831f.; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd. 2 1879; Ott,
E., Geschichte und Grundlehren des österreichischen Rechtsfürsorgeverfahrens,
1906; Hofmann, K., Die freiwillige Gerichtsbarkeit (jurisdictio voluntaria) im
kanonischen Recht, 1929; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege,
1953, 173; Jansen, P., Wandlungen im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
1964; Brehm, N., Freiwillige Gerichtsbarkeit, 2. A. 1993; Außerstreitverfahren,
1996; Außerstreitverfahren zwischen 1854 und 2005, hg. v. Rechberger, W., 2006;
Wanke, H., Zwischen geistlichem Gericht und Stadtrat, 2007
Freizügigkeit ist das Recht der freien Ortsveränderung (Abzugsfreiheit, Zuzugsfreiheit,
Aufenthaltsfreiheit). F. besteht nicht für Unfreie und bei fehlendem Zuzugsrecht.
Der →Augsburger Religionsfriede von 1555 gewährt Abzugsfreiheit (für
Andersgläubige) gegen Zahlung von Abzugsabgaben, das preußische Allgemeine
Landrecht (1794) das Recht zu freier Auswanderung, die Deutsche Bundesakte
(1815) F. innerhalb des Bundesgebiets, die Verfassung von 1849 (Art. 133)
Niederlassungsfreiheit innerhalb des Reichsgebiets und Auswanderungsfreiheit
(1867 Gesetz über die Freizügigkeit). In den Europäischen Gemeinschaften bzw.
in der Europäischen Union gilt die vom Europäischen Gerichtshof bejahte und im
Vertrag von Maastricht vom 7. 2. 1992 politisch geregelte F. der Arbeitnehmer
bzw. die Niederlassungsfreiheit für die Angehörigen der Mitgliedstaaten.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Möhlenbruch, R., Freier Zug,
1977; Scheuner, U., Die Auswanderungsfreiheit, FS R. Thoma 1950, 199; Freedom
of movement in the middle ages, hg. v. Horden, P., 2007; Stewen, S., Die
Entwicklung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts der Unionsbürger, 2011
Fremdbesitz ist der das Eigentum eines anderen an einer Sache anerkennende Besitz
(z. B. des Mieters, nicht des Diebes). Fremdbesitzer ist, wer eine Sache als
nicht ihm gehörig besitzt. Gegensatz des Fremdbesitzes ist der Eigenbesitz (z.
B. des Eigentümers oder des Diebes). Im römischen Recht ist an F. keine
Rechtserwerbswirkung und kein Besitzschutz des Prätors geknüpft (z. B. für
Mieter, Entleiher, Verwahrer, Ausnahmen Erbpächter, Prekarist, Faustpfandgläubiger,
Sequester).
Fremder im
Verhältnis zu einer Gemeinschaft von Menschen ist der Mensch, der nicht der Gemeinschaft
angehört. Er ist rechtlos (Feind), kann aber als Gast in das Recht aufgenommen
werden. In Rom entwickelt sich für die freien Nichtbürger (lat. [M.]
peregrinus) das besondere (lat.) →ius (N.) gentium (Fremdenrecht). Im
Frühmittelalter verbietet Karl der Große 802, dem Fremden das Gastrecht
vorzuenthalten. Die territoriale Rechtspartikularisierung des Hochmittelalters
ist dem Fremden nicht günstig. Dagegen verlangt das frühneuzeitliche
Naturrecht die völlige Gleichstellung des Fremden mit dem Einheimischen und
erfasst den Fremden grundsätzlich (Brunnemann, J./Movius, F., De iure
peregrinorum [Über das Recht der Fremden], Frankfurt an der Oder 1662,
Dissertation). Es entsteht das Meldewesen. Der Nationalstaat des 19. Jh.s lehnt
Fremde grundsätzlich ab. 1871 werden alle Deutschen im Deutschen Reich zu
Inländern. Wegen des starken Zustroms von Fremden infolge ökonomisch
motivierter internationaler Mobilisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s
werden detaillierte Ausländergesetze nötig.
Lit.: Söllner §§ 6, 7, 8, 9; Hübner 83,
460; Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 71, 88, 120; Köbler, WAS; Bar, L. v., Das
Fremdenrecht und seine volkswirtschaftliche Bedeutung, 1892; Frisch, H. v., Das
Fremdenrecht, 1910; Isay, E., Das deutsche Fremdenrecht, 1923; Weizsäcker, W.,
Die Fremden im böhmischen Landrechte, ZRG GA 45 (1925), 206; L’Étranger, 1958;
Scholla, P., Untersuchungen zur Rechtsstellung der Fremden in der Schweiz des
19. Jahrhunderts, Diss. jur. Freiburg i. Ü. 1987; Die Begegnung mit dem
Fremden, hg. v. Schuster, M., 1996; Seiring, C., Fremde in der Stadt
(1300-1800), 1999; Keechang, K., Aliens in Medieval Law, 2000; Fahrmeir, A.,
Citizens and Aliens, 2000; Lübke, C., Fremde im östlichen Europa, 2001;
Cavallar, G., The rights of strangers, 2002; Gosewinkel, D., Einbürgern und
Ausschließen, 2003; Der Fremde, hg. v. Dummer, J. u. a., 2004; Rici, C., Orbis
in urbe, 2005; Schwanke, I., Fremde in Offenburg, 2005; Strangers and Poor
People, hg. v. Gestrich, A. u. a., 2009; Gammerl, B., Untertanen, Staatsbürger
und andere, 2010; Fremde in der Stadt, hg. v. Bell, P. u. a., 2010; Raphael,
L., Zwischen Duldung, Einbürgerung und Privileg, ZRG GA 129 (2012), 183; The
Foreigner and the Law, hg. v. Achenbach, R. u. a., 2012
Freund ist der nahestehende
Mensch, vielfach auch der Verwandte (Blutsfreund). Er ist gesellschaftlich von
größerer Bedeutung als rechtlich.
Lit.:
Reinhard, W., Freunde und Kreaturen, 1979; McGuire, B., Friendship and
Community, 1988; Althoff, G., Verwandte, Freunde und Getreue, 1990;
Nötzold-Linden, U., Freundschaft, 1994; Garnier, C., Amicus amicis, inimicus
inimicis, 2000; Seidel, K., Freunde und Verwandte, 2009
Frevel ist
im mittelalterlichen Recht die Waghalsigkeit, die eine Untat bedeuten kann und
die sich daraus ergebende Rechtsfolge (Geldstrafe).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, WAS; His, R., Das
Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1 1920, 48, Neudruck 1964; Ruoff,
W., Die Züricher Räte als Strafgericht, Diss. jur. Zürich 1941; Kretschmer, B.,
Der Grab- und Leichenfrevel, 2000
Friedberg in Hessen wird nach keltischer, römischer und germanischer Besiedelung
1216 als Burg (staufische Reichsburg) und 1218 oder 1219 als Stadt (1257 als Reichsstadt
bestätigt) genannt. Das Recht der Stadt stimmt mit dem Recht Frankfurts am Main
weitgehend überein. 1802 fällt die Stadt, 1806 die Burg an Hessen. Seit 1834
bilden Stadt und Burg eine Gemeinde.
Lit.: Fertsch,
W., Der Rat der Reichsstadet Friedberg, 1913, Schartl, R., Das Privatrecht der
Reichsstadt Friedberg im Mittelalter, Diss. jur. Gießen 1987, Friedberg in
Hessen, hg. v. Keller, M. 1997ff.; Hoos, H., Kehillah Kedoschah - Spurensuche,
2. A. 2009
Friedberg,
Emil (Konitz 22. 12. 1837-Leipzig 7. 9. 1910), Sohn eines 1824 zur evangelischen
Kirche übergetretenen Richters, wirkt nach Promotion (1861 Emil Ludwig Richter)
und Habilitation (1862) als außerordentlicher Professor für Kirchenrecht,
Staatsrecht und Handelsrecht in Halle (1865), Freiburg im Breisgau (1868) und als
ordentlicher Professor in Leipzig (1869). Politisch tritt er für die Trennung
von Staat und Kirche und die Aufsicht des Staates über die Kirche ein (Die
Grenzen zwischen Staat und Kirche 1872). Bedeutsam sind seine kirchenrechtsgeschichtlichen
Editionen (→Corpus iuris canonici, 1879ff., Neudruck 1955, Quinque
compilationes antiquae, 1882, Neudruck 1956, Canonessammlungen zwischen Gratian
und Bernhard von Pavia, 1897, Neudruck 1958) und sein Lehrbuch des katholischen
und evangelischen Kirchenrechts (6. A. 1909). Er ist Anhänger der historischen
Rechtsschule.
Lit.: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hg. v.
Heinrichs, H. u. a., 1993, 283
Friedberg-Scheer →Thurn
und Taxis
Friede ist
der Zustand ungestörter Ordnung, in dem sich niemand der Gewalt bedient, um
seine besonderen Interessen zu verwirklichen. Ob er unter Menschen außer als
Ziel auch als Wirklichkeit jemals herrscht, ist fraglich. Der F. innerhalb des
Volkes lässt sich zunächst als Aufgabe aller Einzelnen vorstellen. Erst im
Laufe des Mittelalters drängt der Staat mit Unterstützung der Kirche (→Gottesfriede)
die →Fehde durch die Durchsetzung des Gewaltmonopols (→Strafrecht,
→Polizeirecht) zurück. Außerhalb des Volkes bildet der →Krieg
zweier oder mehrerer Völker den Gegensatz zum Frieden. Zur Beendigung des
Krieges bedarf es grundsätzlich eines (völkerrechtlichen) Friedensvertrags (z.
B. Friede von Münster und Osnabrück 1648, mehr als 2000 Friedensverträge in Europa
zwischen 1450 und 1789). Seit der zweiten Hälfte des 20. Jh.s ist der
Angriffskrieg zu Gunsten des Weltfriedens völkerrechtlich verboten, doch ist
das Verbot gegenüber dem Mächtigen bisher nicht wirklich durchsetzbar.
Lit.: Köbler, DRG 84; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2
1975, 543; Köbler, WAS; Osenbrüggen, E., Der Hausfrieden, 1863, Neudruck 1968;
Rosenstock, E., Herzogsgewalt und Friedensschutz, 1910; Wilke, K., Das
Friedegebot, 1911; His, R., Gelobter und gebotener Friede im deutschen
Mittelalter, ZRG GA 33 (1912), 139; Schneider, B., Friedewirkung und
Grundbesitz, 1913; Prutz, H., Die Friedensidee im Mittelalter, SB. d. Akad. d.
Wiss. München, 1920; Nestle, W., Der Friedensgedanke in der antiken Welt, 1938;
Wiesenthal, F., Die Wandlung des Friedensbegriffs, Diss. phil. München 1949; Raumer,
K., Ewiger Friede, 1953; Achter, V., Über den Ursprung des Gottesfriedens,
1955; Hattenhauer, H., Die Bedeutung der Gottes- und Landfrieden für die
Gesetzgebung in Deutschland, Diss. jur. Marburg, 1958; La Paix, 1961 (Recueils
de la Société Jean Bodin 15); Dickmann, F., Der Westfälische Frieden und die
Reichsverfassung, 1965; Weimann, K., Der Friede im Altenglischen, 1966; Åqvist,
G., Frieden und Eidschwur, 1968; Justus, W., Die frühe Entwicklung des
säkularen Friedensbegriffs, 1975; Rabe, H., Der Augsburger Religionsfriede
1550-1600, 1976; Körner, T., Iuramentum und frühe Friedensbewegung, 1977;
Duchhardt, H., Studien zur Friedensvermittlung in der frühen Neuzeit, 1979;
Fisch, J., Krieg und Frieden im Friedensvertrag, 1979; Renna, T., The Idea of
Peace, Journal of Medieval History 6 (1980) 143; Hattenhauer, H., Pax et
iustitia, 1983; Ermacora, F., Der unbewältigte Friede. St. Germain und die
Folgen, 1989; Schildt, B., Der Friedensgedanke im frühneuzeitlichen Dorfrecht –
Das Beispiel Thüringen, ZRG GA 107 (1990), 188; Hartmann, W., Der Friede im
früheren Mittelalter, 1992; Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A.
2007; Erkens, M., Die französische Friedensgerichtsbarkeit, 1994; Träger und
Instrumentarien des Friedens, hg. v. Fried, J., 1996; Tuck, R., The rights of
war and peace, 1999; Suche nach Frieden, hg. v. Brieskorn, N. u. a., Bd. 1ff.
2000ff.; Howard, M., Die Erfindung des Friedens, 2001; Kamp, H., Friedensstifter
und Vermittler im Mittelalter, 2001; Koppe, K., Der vergessene Friede, 2001; Schmidt,
K., Friede durch Vertrag, 2002; Frenz, B., Frieden, Rechtsbruch und Sanktion in
deutschen Städten vor 1300, 2003; Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und
18. Jahrhundert, hg. v. Klueting, H., 2003; Frieden stiften, hg. v. Althoff,
G., 2010; Raaflaub, K., Friedenskonzepte, HZ 290 (2010), 593; Pax perpetua, hg.
v. Schmidt-Voges, I. u. a., 2010; http://www.friedensvertraege.de; Duchhardt, H., Frieden im Europa
der Vormoderne, 2011; Frieden schaffen und sich verteidigen im Spätmittelalter,
hg. v. Naegle, G., 2012
Friedebann ist der besonders auf den Frieden abstellende Königsbann.
Friedelehe ist
(nach umstrittener Ansicht Herbert Meyers) die durch bloße Vereinbarung der
Brautleute (und Aufnahme einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft)
geschlossene Ehe (des mittelalterlichen Rechtes), bei welcher der Mann im
Gegensatz zur Eheschließung unter Mitwirkung des Vaters der Braut keine
Personengewalt (munt) über seine Friedel (Geliebte) gewinnt. Ihre tatsächliche
Bedeutung ist ganz unsicher. Von der Kirche wird sie abgelehnt. Möglicherweise
geht die morganatische Ehe des Adels auf eine ähnliche Vorstellung zurück.
Lit.: Hübner 642; Meyer, H., Friedelehe und Mutterrecht,
ZRG GA 47 (1927), 198; Haff, K., Das „Werven der echtinge“ des Friedelkindes,
ZRG GA 53 (1933), 316; Köstler, R., Raub-, Kauf- und Friedelehe bei den
Germanen, ZRG GA 63 (1943), 92; Meyer, H., Friedelehe und Mutterrecht, ZRG GA
47 (1927), 198; Ebel, E., Der Konkubinat nach altwestnordischen Quellen, 1993;
Esmyol, A., Geliebte oder Ehefrau?, 2002
Friedensgeld →fredus
Friedensgericht
Lit.: Erkens, M., Die französische Friedensgerichtsbarkeit
1789-1814 unter besonderer Berücksichtigung der vier rheinischen Departements,
1994
Friedensgesetzgebung →Landfriede
Friedensrichter s. Friedensgericht, Richter
Friedensvertrag ist der den Kriegszustand zwischen mehreren Staaten
beendende, vor allem seit Beginn der Neuzeit formalisierte völkerrechtliche
Vertrag am Ausgang eines Krieges (z. B. F. zwischen Ägyptern und Hethitern 1270
v. Chr., F. zwischen Rom und Karthago 201 v. Chr., F. von Troyes 1420, F. von
Münster und Osnabrück 1648, F. von Nimwegen 1678/9, F. von Rijswijk 1697, F.
von Lunéville 1801, F. von Versailles 1919, F. von St. Germain 1919).
Lit.: Fisch, J., Krieg und Frieden im Friedensvertrag,
1979; Zwischenstaatliche Freidenswahrung, hg. v. Duchhardt, H., 1991; Ziegler,
K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007; Peace treaties and
international law, hg. v. Lesaffer, R., 2004
Friedhof ist
der Ort, an dem die Toten bestattet werden. Die Totenbestattung geschieht
anfangs nach unterschiedlichem Brauchtum (Hügelgräber, Reihengräberfelder).
Mit der Christianisierung entwickelt sich in Erwartung von Auferstehung der F.
um die Kirche, auf dem Verbrechern, Selbstmördern, Ketzern oder Fremden die
Bestattung verweigert wird. Mit der neuzeitlichen Bevölkerungszunahme wird
der (mehr und mehr gemeindlich verwaltete) F. an den jeweiligen Ortsrand
verlegt. Nach dem Allgemeinen Landrecht Preußens (1794) ist eine Beerdigung nur
auf dem öffentlichen F. zulässig. Es werden besondere Satzungen oder Ordnungen
zur rechtlichen Regelung des Friedhofswesens geschaffen.
Lit.: Cohen, G., Der jüdische Friedhof, 1930; Derwein, H.,
Geschichte des christlichen Friedhofs, 1931; Gaedke, J., Handbuch des
Friedhofs- und Bestattungsrechts, 1954, 6. A. 1992, 10. A. 2010; Bader, K.,
Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1 1957; Fischer,
N., Vom Gottesacker zum Krematorium, 1996
Friedlosigkeit ist im mittelalterlichen Recht vermutlich der Zustand des
Ausgestoßenseins aus der Rechtsgemeinschaft. Wer friedlos ist, darf bußlos
getötet werden. Das tatsächliche Vorkommen der F. ist nicht gut bezeugt, so
dass die F. als Einrichtung zweifelhaft ist. →Acht, →Gottesfriede, →Landfriede
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 71, 87; Wilda, W., Das
Strafrecht der Germanen, 1842; Brunner, H., Abspaltungen der Friedlosigkeit,
ZRG GA 11 (1890), 62; Brunner, H., Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1f. 2. A. 1906ff.;
Haff, K., Zur Friedlosigkeit nach holsteinischem Recht, ZRG GA 62 (1942), 375;
Kaufmann, E., Zur Lehre von der Friedlosigkeit im germanischen Recht,
Gedächtnisschrift H. Conrad 1980, 32
Friedrich I. →Friedrich
I. Barbarossa
Friedrich II. (Iesi
bei Ancona 26. 12. 1194-Castel Fiorentino bei Lucera 13. 12. 1250), Sohn des
Staufers Heinrich VI. und Konstanzes von Sizilien sowie Enkel →Friedrich
Barbarossas, wird 1198 König von Sizilien und (1196/)1211/1212 deutscher König
(am 27. 7. 1214 Sieg über den Welfen Otto IV. in der Schlacht von Bouvines, 22.
11. 1220 Kaiserkrönung). Er errichtet in Sizilien mit Hilfe rechtlicher
Regelungen ([20] Assisen von Capua 1220, Konstitutionen von Melfi September? 1231)
eine fortschrittliche Verwaltung. Im eher vernachlässigten Reich verbrieft er vielleicht
mit ähnlicher Zielsetzung die von den Fürsten errungenen Rechte (→Confoederatio
cum principibus ecclesiasticis, 1220, →Statutum in favorem principum,
1231) und erreicht 1235 einen Landfrieden (Mainzer Reichslandfriede). Seine
Mitwelt versetzt er als (lat.) stupor (M.) mundi in vieler Hinsicht in
Erstaunen. Bald nach seinem Tode enden die Staufer und beginnt das Interregnum.
Lit.: Köbler, DRG 94, 101, 106, 108; Historia diplomatica
Friderici secundi, hg. v. Huillard-Bréholles, J., 1852ff.; Blondel, G., Étude
sur la politique de l’empereur Frédéric II, 1892; Kantorowicz, E., Kaiser
Friedrich II. 1927 (Materialband 1931), 6. unv. A. 1985 (Ergänzungsband 2. A.
1980); Schrader, E., Ursprünge und Wirkungen der Reichsgesetze Friedrichs II.
von 1220, 1231/32 und 1235, ZRG GA 68 (1951), 354; Zinsmaier, P., Zur
Diplomatik der Reichsgesetze Friedrichs II. (1216, 1220, 1231/(12)32, 1235, ZRG
GA 80 (1963), 82; Stupor mundi, hg. v. Wolf, G., 1966, 2. A. 1982; Kaiser
Friedrich II. in Briefen und Berichten seiner Zeit, hg. v. Heinisch, J., 1968,
6. A. 1978; Die Konstitutionen Friedrichs II. von Hohenstaufen für sein
Königreich Sizilien, hg. v. Conrad, H. u. a., 1973; Probleme um Friedrich II.,
hg. v. Fleckenstein, J., 1974; Ipser, K., Kaiser Friedrich der Zweite, 1977;
Federico II, 1980; Wolf, G., Kaiser Friedrich II. und das Recht, ZRG RA 102
(1985), 327; Zinsmaier, P., Beiträge zur Diplomatik der Urkunden Friedrichs
II., DA 41 (1985), 101; Bibliographie zur Geschichte Kaiser Friedrichs II. und
der letzten Staufer, 1986 (212 Quellentitel, 2014 Monographien und Aufsätze);
Martino, F., Federico II, 1988; Lammers, W., Friedrich II. (1212-1250), (in)
Kaisergestalten des Mittelalters, hg. v. Beumann, H., 3. A. 1991, 199; Stürner,
W., Friedrich II., 1992, 2. A. 2003, 3. A. 2010; Federico II., hg. v. Toubert,
P., 1994; Rösch, E./Rösch, G., Kaiser Friedrich II., 1995; Friedrich II., hg.
v. Esch, A. u. a., 1996; Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich
Sizilien, hg. v. Stürner, W., 1996; Sommerlechner, A., Stupor mundi?, 1999;
Kaiser Friedrich II., hg. v. Eickels, K. van u. a., 2000; Rotter, E., Friedrich
II. von Hohenstaufen, 2000; Die Urkunden Friedrichs II. 1198-1212, bearb. v.
Koch, W., Teil 1 2002, Teil 2 2007; Fumagalli, M., Federico II., 2004; Thomsen,
M., Ein feuriger Herr des Anfangs, 2005; Federico II., hg. v. Zecchino, O. u.
a., 2005; Gleixner, S., Sprachrohr kaiserlichen Willens, 2006; Houben, H.,
Kaiser Friedrich II., 2008; Kaiser Friedrich II. (1198-1250), 2008; Federico II
nel Regno di Sicilia, hg. v. Houben, H. u. a., 2008; Kaiser Friedrichs Welt,
hg. v. Fansa, M. u. a., 2008; Von der Kunst mit Vögeln zu jagen, hg. v. Fansa,
M., 2008; Rader, O., Friedrich II., 2010; Stürner, W., Staufisches Mittelalter,
2012
Friedrich I. Barbarossa (Rotbart) (nach 1122-Fluss Saleph/Kleinasien 10. 6. 1190)
aus der Familie der →Staufer ist der zwischen 1152 und 1190 im deutschen
Reich herrschende König (1155 Kaiser). Er führt 1156 im sog. (lat.) →privilegium
minus einen Ausgleich zwischen Staufern und →Welfen herbei, indem er den
Welfen das 1138 vom König entzogene Herzogtum →Bayern, vermindert um das
verselbständigte Herzogtum →Österreich, zurückgibt. 1158 lässt er auf
dem Reichstag von Roncaglia die →Regalien durch Juristen feststellen.
Durch Landfriedensgesetze geht er gegen Rechtsbruch vor. Eine konstante
römisch-rechtliche, Rechtsdenken oder Rechtspraxis prägende Komponente lassen
seine Urkunden noch nicht erkennen. Unter ihm beginnt die Zerschlagung der dem
König zu mächtigen Herzogtümer (1156 Bayern, 1180 Sachsen, vgl. auch 1168
Herzogtum Würzburg, 1184 Markgrafschaft Hennegau) in die das Reich letztlich
auflösenden →Länder. (Mit seiner ersten Frau – Adela von Vohburg -
scheint er im siebten Grad verwandt gewesen zu sein, so dass die Ehe aufgelöst
werden musste.)
Lit.: Köbler, DRG 94, 101, 106; Rassow,
P., Honor imperii, 1940; Heimpel, H., Kaiser Friedrich Barbarossa, 1942;
Hess-Gotthold, J., Hausmacht und Politik Friedrich Barbarossas im Raume des
heutigen Pfälzer Waldes, 1962; Die Urkunden Friedrichs I., hg. v. Appelt, H.,
Bd. 1ff 1975ff.; Friedrich Barbarossa, hg. v. Wolf, G., 1975; Opll, F., Das
Itinerar Kaiser Friedrich Barbarossas, 1978; Georgi, W., Friedrich Barbarossa
und die auswärtigen Mächte, 1990; Friedrich Barbarossa, hg. v. Haverkamp, A.,
1992; Kaiser Friedrich Barbarossa, hg. v. Engel, E./Töpfer, B., 1994; Petrus de
Ebulo, Liber ad honorem Augusti, 1994; Opll, F., Friedrich Barbarossa, 3. A.
1998, 4. A. 2010; Plassmann, A. Die Struktur des Hofes, 1998; Richter, K.,
Friedrich Barbarossa hält Gericht, 1999; Görich, K., Die Ehre Friedrich
Barbarossas, 2001; Dick, S., Die Königserhebung Friedrich Barbarossas, ZRG GA
121 (2004), 200; Laudage, J., Friedrich Barbarossa, hg. v. Hageneier, L. u. a.,
2009; Friedrich Barbarossa und sein Hof, red. v. Ruess, K., 2009; Görich, K.,
Friedrich Barbarossa, 2011 (unversöhnlich, rangbewusst, dünkelhaft); Pohl, M.,
Rationales Handeln im Zeitalter Friedrich Barbarossas, 2013
Friedrich II. der Große (Berlin 24. 1. 1712-Potsdam 17. 8. 1786) ist der
bedeutendste König in Preußen (1740-1786). Seine militärischen Erfolge
(Eroberung Schlesiens von Österreich) begründen Preußens Stellung als Großmacht
in Europa. Der Samuel von Cocceji übertragene Plan eines deutschen allgemeinen,
sich nur auf die Vernunft und die Landesverfassung gründenden Landrechts ([Prozessordnung]
Codex Fridericianus Marchicus 1747 verwirklicht, Projekt des Corporis juris
Fridericiani 1749-1754, gescheitert) und die nach dem Müller-Arnold-Prozess
(1779) gelungene Schaffung des preußischen Allgemeinen Landrechts (1794) gehen
maßgeblich auf den dem aufgeklärten Absolutismus (1740/1754 Abschaffung der
Folter, planvolle Kriminalpolitik, Bauernschutz, Toleranz) verpflichteten
Monarchen zurück.
Lit.: Heymann, E., Über die Bedeutung
der Philosophie Friedrichs des Großen für seine Rechtspolitik, 1934 (SB
Berlin); Ritter, G., Friedrich der Große, 1936; Jacobs, H., Friedrich der Große
und die Idee der Vaterlandsliebe, 1939; Jessen, H., Friedrich der Große und
Maria Theresia, 1965; Merten, D., Der Katte-Prozess, 1980; Hubatsch, W.,
Friedrich der Große und die preußische Verwaltung, 2. A. 1982; Schieder, T.,
Friedrich der Große, 1983; Dießelhorst, M., Die Prozesse des Müllers Arnold und
das Eingreifen Friedrichs des Großen, 1984; Aretin, K. Frhr. v., Friedrich der
Große, 1985; Panorama der fridericianischen Zeit, hg. v. Ziechmann, J., 1985;
Ausstellung des geheimen Staatsarchivs, 2. A. 1986; Analecta Fridericiana, hg.
v. Kunisch, J., 1987; Friedrich der Große und seine Zeit, hg. v. Hauser, O.,
1987; Fridericianische Miniaturen 2, hg. v. Ziechmann, J., 1991; Kunisch, J.,
Friedrich der Große und die preußische Königskrönung von 1701, 2002; Duffy, C.,
Friedrich der Große, 1994; Tagebuch oder Geschichtskalender aus Friedrichs des
Großen Regentenleben, Bd. 1ff. 2003ff.; Kunisch, J., Friedrich der Große, 2004,
5. A. 2005; Wehinger, B., Geist und Macht, 2004; Hahn, P., Friedrich
der Große und die deutsche Nation, 2007; Heinrich, G., Friedrich II. von
Preußen, 2009; Friedrich der Große als Leser, hg. v. Lottes, G. u. a., 2010; Burgdorf, W., Friedrich der Große, 2011;
Friedrich der Große in Europa,
hg. v. Sösemann, B. u. a., 2012, 2. unv. A. 2013; Hahn, P., Friedrich der
Große, 2012; Deutsches Historisches Museum, Friedrich der Große, 2012; Macke,
P., Suum cuique - Jedem das Seine, 2012; Friedrich der Große in Europa -
gefeiert und umstritten, hg. v. Sösemann, B., 2012; Friedrich der Große in
Europa, hg. v. Sösemann, B. u. a., 2012, 2. A. 2013
Friedrich III. (Innsbruck 21. 9. 1415-Linz 19. 8. 1495), Habsburger, (1424 bzw.) 1435
Erzherzog von Steyr, Kärnten und Krain, 2. 2. 1440 (nach seinem Vetter Albrecht
II.) König des Heiligen römischen Reiches, 19. 3. 1452 Kaiser, anerkennt 1453
das gefälschte privilegium maius
Lit.:
Heinig, P., Kaiser Friedrichs III. Hof, 1997; Koller, H., Kaiser Friedrich III.
2005
Friedrich III., der Weise (Torgau 17. 1. 1463-Lochau [Annaburg] 5. 5. 1525), 1486
Kurfürst von Sachsen (Ernestiner), Beschützer Martin Luthers, unverheiratet
Lit.:
Ludolphy, I., Friedrich der Weise, 1984, Neudruck 2006
Friedrich August I. (Dresden 12. 5. 1670-Warschau 1. 2. 1733, August der Starke), 1694
Kurfürst von Sachsen, 1697 mit Hilfe von Bestechungsgeldern (unter Übertritt
zum Katholizismus) König von Polen, 1724 Codex Augusteus (hg. v. Lünig, J.),
Förderer der Porzellanherstellung in Meißen
Lit.:
Czok, K., August der Starke und Kursachsen, 1987; Czok, K., August der Starke
und seine Zeit, 4. A. 2004; Groß, W., Die Wettiner, 2007
Friedrich Wilhelm (Cölln an der Spree 16. 02. 1620-Potsdam 09. 05. 1688) stärkt als Kurfürst
von Brandenburg (der große Kurfürst) und Herzog in Preußen in Kriegen die
monarchische Gewalt (geheimer Rat 4. 12. 1651 neu geordnet, Übergang zu
Realunion, stehendes Heer) unter Schwächung der Stände und privilegiert im
Edikt von Potsdam (29. 10. 1685) die aus Frankreich vertriebenen Hugenotten in
Preußen.
Lit.:
Opgenorth, E., Friedrich Wilhelm, 1971ff.; Oestreich, G., Friedrich Wilhelm,
1971; Neugebauer, W., Die Hohenzollern, 1996
Friese ist
der Angehörige des an der (südlichen) Nordsee siedelnden, im 1. Jh. n. Chr.
durch Plinius erwähnten, friesisch sprechenden germanischen Volkes. 734/785
werden die Friesen von den →Franken unterworfen. Um 802 wird in der →Lex
Frisionum ihr Recht aufgezeichnet. Dem folgen im Hochmittelalter zahlreiche
weitere Quellen des →friesischen Rechtes. 1464 wird Ostfriesland zu
einer Reichsgrafschaft erhoben. Im ausgehenden 20. Jh. sprechen noch rund
300000 Menschen in Deutschland und den Niederlanden die friesische Sprache.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 76; Köbler,
Historisches Lexikon; Heck, F., Die altfriesische Gerichtsverfassung, 1894;
Jaekel, H., Abba, Âsega und Redjêva, ZRG GA 27 (1906), 114; Jaekel, H.,
Êtheling, Frîmon, Frîling und Szêremon, ZRG GA 27 (1906), 275; His, R.,
Friesisches, ZRG GA 28 (1907), 439; Jaekel, H., Die münzmetrologischen
Anhaltspunkte für die Erkenntnis der altfriesischen Ständeverfassung, ZRG GA 30
(1909), 49; Jaekel, H., Chumas und twalepti, ZRG GA 30 (1909), 251; Mayer, E.,
Friesische Ständeverhältnisse, FS Hugo von Burkard, 1910; Die Friesen, hg. v.
Borchling, C. u. a., 1931; Siebs, B., Grundlagen und Aufbau der altfriesischen
Verfassung, 1933; Gosses, J., De friesche hoofdeling, 1933; Buijtenen, M., Het
friese dorp, 1961; Schmidt, H., Politische Geschichte Ostfrieslands, 1975;
Handbuch des Friesischen, hg. v. Munske, H., 2001; Die friesische Freiheit des
Mittelalters, hg. v. Lengen, H. van, 2003; Van der Velden, B., Waar gaan wij
heen met het Fries?, 2004; http://www.koeblergerhard.de/afrieswbhinw.html;
Bremmer, R./Vries, O./Laker, S., Advances in Old Frisian Philology, 2007; Hofmann,
D. u. a., Altfriesisches Handwörterbuch, 2008.
Friesisches Recht
ist das Recht der Friesen. Es begegnet zuerst in der →Lex Frisionum (um
802). Vielleicht seit dem 11. Jh. entwickeln die Friesen 17 Küren, 24
Landrechte, 7 Überküren und die Wundtaxen, die in 16 nach 1276 einsetzenden
Handschriften und einem Druck von 1485 (?) teils amtlich, teils nichtamtlich in
meist friesischer Sprache für das gemeinfriesische Gebiet aufgezeichnet
werden. Daneben stehen für einzelne Landschaften etwa die Westerlauwerschen
Schulzenrechte (Westfriesland 12. Jh.), die Hunsigoer Küren (Hunsigo, nördlich
von Groningen, 1252), das Rüstringer Recht (Rüstringen, westlich der
Wesermündung 12./13. Jh.), das Brokmer Recht (Brokmerbrief, um Aurich
1300-1345), das Emsiger Pfennigschuldbuch (1300) und verschiedene Beliebungen (→Siebenhardenbeliebung
1426) (altostfriesisch Rüstringer Recht, Brokmer Recht, Emsinger Recht). In der
ersten Hälfte des 13. Jh.s verfasst ein Geistlicher ein auf Rudolf von Schwaben
bezogenes Rechtsbuch (Rudolfsbuch). Im 14. und 15. Jh. entstehen unter Einfluss
der gelehrten Rechte Processus iudicii, Jurisprudentia Frisica und die Excerpta
Legum. Ergänzt werden die allgemeinen Bestimmungen durch rund 1300 Urkunden der
Jahre 1329 bis 1573. Seit dem 16. Jahrhundert wird das friesische Recht
allmählich zurückgedrängt und 1744/1794 durch Preußen in Ostfriesland
beseitigt.
Lit.: Richthofen, K. v., Friesische
Rechtsquellen, 1840, Neudruck 1960; Telting, A., Het oud-friesche Stadrecht,
1882; De friesche Stadrechten, hg. v. Telting, A., 1883; His, R., Die Überlieferung
der friesischen Küren und Landrechte, ZRG GA 20 (1899), 39; His, R., Das
Strafrecht der Friesen im Mittelalter, 1901; Jaekel, H., Hêmêthoga, Liudamon,
Ked, Koninges-orkene und Tolevabôth, ZRG GA 28 (1907), 164; Jaekel, H., Foged,
Skelta, Frâna und Bon, ZRG GA 28 (1907), 205; Die niederdeutschen Rechtsquellen
Ostfrieslands, hg. v. Borchling, C., Bd. 1 1908; Steller, W., Das
altwestfriesische Schulzenrecht, 1926; His, R., Untersuchungen zu den
älteren Rechtsquellen Ostfrieslands, ZRG GA 57 (1937), 58; Tägert, H.,
Familienerbe in Friesland, 1937; Oosten, M. van, De ambtshalve vervolging naar
oudfriesch recht, 1938; Fairbanks, S., The old west Frisian skeltana riucht,
1939; Oudfriese Taal- en Rechtsbronnen, hg. v. Sipma, P. u. a., Bd. 1ff.
1943ff.; Krogmann, W., Zu den Emsgauer Bußen, ZRG GA 69 (1952), 345; Krogmann,
W., Eine lateinische Vorstufe ostfriesischer Bußregister, ZRG GA 75 (1958),
352; Gerbenzon, P., Excerpta Legum, 1956; Snitser Recesboken 1490-1517, hg. v.
Osterhout, M., 1960; Ebel, W., Das Ende des friesischen Rechts in Ostfriesland,
1961; Das Rüstringer Recht, hg. v. Buma, W./Ebel, W., 1963; Das Brokmer Recht,
hg. v. Buma, W./Ebel, W., 1965; Ostfriesische Bauerrechte, hg. v. Ebel, Wilhelm
1964; Krogmann, W., Volksetymologische Umdeutungen einer friesischen Bußtaxe,
ZRG GA 82 (1965), 298; Krogmann, W., Die friesische Sage von der Findung des
Rechts, ZRG GA 84 (1967), 72; Krogmann, W., Die friesische Vorstufe des „Vetus
Ius Frisicum“ (17 Küren, 24 Landrechte, allgemeine Bußtaxen), ZRG GA 89 (1972),
33, 90 (1973) 31; Meijering, H., De Willekeuren van de Opstallsbom (1323),
1974; Westerlauwerssches Recht 1 Jus municipale Frisonum, hg. v. Buma, W. u.
a., 1977; Köbler, G., Verzeichnis der Übersetzungsgleichungen früher friesischer
Quellen, 1974; Gerbenzon, P., Apparaat voor de Studie van oudfries Recht, 1981;
Köbler, G., Altfriesisch-neuhochdeutsches und neuhochdeutsch-altfriesisches
Wörterbuch, 1983; Codex Aysma, hg. und übersetzt v. Buma, W. u. a., 1993;
Lokin, J. u. a., Het Rooms-Friese recht, 1999; Algra, N., Oudfries recht
800-1256, 2000; Lokin, J. u. a., Roman-Frisian Law of the 17th and 18th
Century, 2003; http://www.koeblergerhard.de/afrieswbhinw.html; Hempenius-van
Dijk, B., Hof van Friesland, 2004; Nijdam, H., Lichaam, eer en recht in
middeleeuws Friesland, 2008; Vries, O., Asega, is hetgingzijd?, 2010
Friesland ist das (kontinentale) Siedlungsgebiet
der Friesen an der südlichen Nordsee.
Lit.: Iterson, W. van,
Feudalisierungsversuche im westerlauwerschen Friesland, ZRG GA 97 (1962), 72;
Agena, G., Eine Studie über die verfassungs- und verwaltungsrechtlichen
Verhältnisse des Norderlandes, 1962; Le Bailly, M., Hof van Holland, Zeeland
en West-Friesland, 2008
Frist (Wort bereits für das
Germanische zu erschließen) ist der
bestimmte oder bestimmbare Zeitraum. Die F. spielt in jeder Gesellschaft, in
der die Zeit berechnet werden kann, eine Rolle. Für die Germanen wird in diesem
Zusammenhang davon berichtet, dass sie nach Nächten zählen und den Zeitpunkt
der Versammlung nach Vollmond und Neumond bestimmen. Mit der Verrechtlichung
aller Lebensverhältnisse gewinnt die genaue Bestimmung von Fristen (z. B. für
Leistungen, Prozesshandlungen, Verjährung u. s. w.) auf römischrechtlicher Grundlage in
der Pandektistik des 19. Jh.s ein immer größeres Gewicht (gesetzliche,
richterliche oder gewillkürte F.).
Lit.: Köbler, DRG 235; Grimm, J., Deutsche
Rechtsaltertümer, 1828, Bd. 2 4. A. 1899, Neudruck 1922, 1989, 1994, 505; Grotefend,
H., Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit,
13. A. 1991; Landes, D., Revolution in Time, 1983; Ziegeltrum, A., Grundfälle
zur Berechnung von Fristen, JuS 1986, 705; Kirste, S., Die Zeitlichkeit des
positiven Rechts und die Geschichtlichkeit des Rechtsbewusstseins, 1998; Schmitz,
M., Die Fristberechnung nach römischem Recht, 2002; Köbler, U., Werden, Wandel
und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Fristenlösung →Abtreibung
Fritzlar
Lit.: Quellen zur Rechtsgeschichte
der Stadt Fritzlar, hg. v. Demandt, K., 1939; Fritzlar im Mittelalter, 1974
Frölich, Karl (Oker/Harz 14. 4. 1877-Gießen 29. 4. 1953), 1924-1945 Rechtshistoriker in
Gießen, Rechtsarchäologe
Lit.:
Köbler, G., Gießener Gelehrte, 1982, 242
Fron ist
(als Ableitung zu ahd. fro [M.] Herr) im mittelalterlichen deutschen Recht der
(Dienst in) Bezug auf einen Herren. →Fronbote, Frondienst, Fronhof
Fronbote ist
im mittelalterlichen deutschen Recht der Gehilfe eines Richters für tatsächliche
Aufgaben (Botendienste, Ladungen, Wachdienste, Vollstreckungen). Nach dem
Sachsenspiegel (1221-1224) steht er nach Wahl durch den Richter auf Lebenszeit
im Dienst des Königs und ist durch doppelte Buße geschützt. Ihm entsprechen
andernorts Büttel, Scherge oder Weibel.
Lit.: Eggert, C., Der Fronbote im Mittelalter, 1897;
Peters, W., Bezeichnungen und Funktionen des Fronboten, 1991
Frondienst ist
im Mittelalter und in der frühen Neuzeit vor allem der einem Grundherrn oder Gerichtsherrn
zu erbringende Dienst (z. B. Pflügen, Säen, Eggen, Ernten, Mahlen, Backen,
Brauen, Spinnen, Weben, Fahren, Reiten, Bauen u. s. w.). Der sog. gemessene F. umfasst
selten mehr als die Hälfte der jährlichen Arbeitszeit. Seit dem Frühmittelalter
geht der tatsächlich geleistete F. auch wegen des Aufkommens der Geldwirtschaft
zurück und wird bis zur Mitte des 19. Jh.s durch die Bauernbefreiung beseitigt.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Siebeck, O., Der Frondienst als
Arbeitssystem, 1904; Dopsch, A., Herrschaft und Bauer in der deutschen
Kaiserzeit, 1939, 46ff.; Abel, W., Geschichte der deutschen Landwirtschaft,
1962, 93ff., 126ff.; Kuchenbuch, L., Bäuerliche Gesellschaft und
Klosterherrschaft, 1978, 124; Rösener, W., Bauern im Mittelalter, 3. A. 1987,
25ff.
Fronhof ist
der Haupthof (Salhof) des Grundherrn in der mittelalterlichen →Grundherrschaft.
Er wird vom Grundherrn selbst oder durch Verwalter bewirtschaftet. Zu ihm
gehört das umgebende Salland (Herrenland). Seit dem Hochmittelalter verliert
der F. mit dem Übergang zur →Rentengrundherrschaft einerseits und zur →Gutsherrschaft
andererseits seine Bedeutung und verschwindet mit der Beseitigung der
Grundherrschaft im 19. Jh. gänzlich.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 77, 96; Maurer, G.
v., Geschichte der Fronhöfe, Bd. 1ff. 1862f., Neudruck 1961; Kötzschke, R.,
Salhof und Siedelhof, 1953
Fronung ist
im mittelalterlichen deutschen Recht die öffentliche →Beschlagnahme von
Gegenständen (Grundstücken) im Zuge der Zwangsvollstreckung (zugunsten des
Königs). In der (lat. [F.]) Capitulatio de partibus Saxoniae (782/785) wird die
F. angeordnet, falls ein Verurteilter ein Urteilserfüllungsgelöbnis mangels eines
Bürgen nicht ablegen kann, in einem weiteren Kapitular (803), falls der
Beklagte auf viermalige Ladung nicht vor Gericht erscheint. Im Hochmittelalter
ist die F. nur in Ostfalen (Sachsenspiegel, Stadtrechte) gebräuchlich. Sie
soll den Schuldner zur Leistung veranlassen. Im 16. Jh. ist sie allgemein
geschwunden.
Lit.: Planitz, H., Die Fronung, ZRG GA 78 (1961), 39ff.;
Breßler, S., Schuldknechtschaft und Schuldturm, 2004
Frostathingslög ist das in 16 Teile gegliederte Rechtsbuch des um den
Drontheimfjord gelegenen norwegischen Gebiets, dessen erhaltener Text durch
eine zwischen 1260 und 1269 entstandene, 1728 verbrannte Handschrift
überliefert ist (Frostothingsbok). Der F. geht die →Gragas voraus.
Ihrerseits ist sie Vorbild für →Jarnsida und für das Reichsrecht König
Magnus Hakonarsons (1274).
Lit.: Meissner, R., Germanenrechte, 1939; Sveaas Andersen,
P., Samlingen av Norge, 1977
Frucht (Wort
830, lat. [M.] fructus) ist das Erzeugnis (z. B. Kalb, Apfel) einer Sache (z.
B. Kuh, Baum) und die sonstige ihrer Bestimmung gemäß aus ihr gewonnene
Ausbeute (z. B. Sand) sowie der seiner Bestimmung gemäß aus einem Recht
gewonnene Ertrag (z. B. Dividende). Im klassisch-römischen Recht wird die F.,
zu der nicht das folglich dem Eigentümer der Mutter gehörende Kind der Sklavin
und auch nicht der Zins für ein Kapital zählen, (erst) mit der Trennung von der
Muttersache rechtlich selbständig. Sie wird Eigentum des Eigentümers der
Muttersache (Substantialprinzip), sofern diesem nicht ein anderer Berechtigter
(z. B. Erbpächter) vorgeht. Im mittelalterlichen deutschen Recht fällt die
natürliche F. grundsätzlich dem zu, der die zu ihrer Gewinnung erforderlichen
Aufwendungen erbracht hat (Wer sät, der mäht, Produktionsprinzip). Mit der
Aufnahme des römischen Rechtes seit dem Spätmittelalter dringen die
romanistischen Regeln ein. Das Allgemeine Landrecht Preußens (1794) gibt dem
Fruchtziehungsberechtigten Eigentum bereits an der hervortretenden F. Allgemeines
Bürgerliches Gesetzbuch Österreichs (1811/1812) und Bürgerliches Gesetzbuch
(1896/1900) folgen dem römisch-gemeinen Recht.
Lit.: Kaser § 18 III; Hübner 463; Köbler, DRG 39; Coing,
H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, § 55; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Fernandes Fortunato,
S., Früchte und Nutzungen, 2012
fructus (lat.
[M.]) →Frucht
Frühkapitalismus ist die Anfangsstufe des →Kapitalismus am Beginn der
frühen Neuzeit (z. B. Fugger, Welser).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 134; Baltl/Kocher 109,
145; Strieder, J., Zur Genesis des modernen Kapitalismus, 1904; Sombart, W.,
Der moderne Kapitalismus, Bd. 2 1916; Trusen, H., Spätmittelalterliche
Jurisprudenz und Wirtschaftsethik, 1961
Frühkonstitutionalismus ist die eine Verfassung (Konstitution) erstrebende bzw.
modernisierend-kontrolliert gewährende (oktroyierende) politische Bewegung
des beginnenden 19. Jh.s (nach französischem Vorbild der Charte
Constitutionelle vom 4. 6. 1814 Nassau 1./2. 9. 1814, 1816 Schwarzburg-Rudolstadt,
Schaumburg-Lippe, Waldeck, Sachsen-Weimar, 1818/1819 Sachsen-Hildburghausen,
Bayern 26. 5. 1818, Baden 22. 8. 1818, Württemberg 25. 9. 1819, Hannover 1819,
Braunschweig 1820, Hessen-Darmstadt 1820, Sachsen-Coburg 1821, Sachsen-Meiningen
1824). Der F. hält an der Vorherrschaft des Monarchen fest, gewährt aber den
Ständen begrenzte Mitwirkungsrechte unter Einführung des Repäsentationsprinzips
im Landtag (konstitutionelle Monarchie). Im Gegensatz zur vorangehenden
landständischen Verfassung ist der Repräsentant nicht an die Anweisung oder
Interessen seines Standes gebunden, sondern soll seine Entscheidung unter
Berücksichtigungdges Wohles des gesamten Landes treffen. (Praktisch wenig
bedeutsame) Staatsbürgerrechte zur Sicherung einer dem unmittelbaren staatlichen
Einfluss entzogenen gesellschaftlichen Sphäre sind anerkannt, obwohl der
Vorrang der Verfassung noch fehlt.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Brandt, H., Der deutsche
Frühkonstitutionalismus, (in) Hessen, 1997, 39; Schulze, C.,
Frühkonstitutionalismus in Deutschland, 2002; Hilker, J., Grundrechte im
deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005
Frühmittelalter ist der etwa zwischen dem Untergang des weströmischen
Reiches (476 n. Chr.) und dem (Aussterben der ostfränkischen Karolinger [911]
bzw. dem) →Investiturstreit (1076) liegende Abschnitt des Mittelalters.
Lit.: Köbler, DRG 75; Köbler, G., Civis und ius civile im
deutschen Frühmittelalter, Diss. jur. Göttingen 1964; Schneider, R., Königswahl
und Königserhebung im Frühmittelalter, 1972; Bund, K., Thronsturz und
Herrscherabsetzung im Frühmittelalter, 1979; Prinz, F., Von Konstantin zu Karl
dem Großen, 2000; Buc, P., The Dangers of Ritual, 2001; The Early Middle Ages,
hg. v. McKitterick, R., 2001; Grant, M., Die Welt des frühen Mittelalters,
2003; Goetz, H., Europa im frühen Mittelalter, 2003; Wickham, C., Framing the
Early Middle Ages, 2005; Von der Spätantike zum frühen Mittelalter, hg. v.
Kölzer, T. u. a., 2009
Frühneuhochdeutsch ist die (von Germanisten des 20. Jh.s ausgesonderte,) zwischen
1350 (Mittelhochdeutsch) und 1650 (Neuhochdeutsch) gesprochene, frühe Stufe
der neuhochdeutschen Sprache (zeitliche Abgrenzung zum Mittelhochdeutschen
streitig).
Lit.: Götze, A., Frühneuhochdeutsches Glossar, 7. A. 1967;
Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, hg. v. Anderson, R. u. a., Bd. 1ff. 1986ff.;
Baufeld, C., Kleines frühneuhochdeutsches Wörterbuch, 1996
Frührezeption (des römischen Rechtes) ist der erste zeitliche Abschnitt der Aufnahme (→Rezeption)
des römischen Rechtes in mittelalterliche Rechtsordnungen. Angesichts der
Übernahme römischrechtlicher Vorstellungen bereits in frühmittelalterliche
Volksrechte lässt sich von F. schon für das Frühmittelalter sprechen. In einem
engeren Sinn schließt F. aber erst an die Wiederaufnahme der Beschäftigung mit
dem justinianischen Rechtstexten seit dem ausgehenden 11. Jh. an.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Hageneder, O., Zur
Frührezeption des römisch-kanonischen Prozessverfahrens im Lande ob der Enns,
FS K. Pivec, 1966, 131; Köbler, G., Zur Frührezeption der consuetudo, Hist. Jb.
89 (1969), 337
Frühsozialismus ist der erste zeitliche Abschnitt des Sozialismus. Er lässt
sich in seinem Beginn in die Mitte des 16. Jh.s setzen. Er endet um 1848. Seine
Zielsetzungen sind zumindest anfangs noch sehr allgemein und unterschiedlich.
Lit.: Der Frühsozialismus, hg. v. Ramm, T., 2. A. 1968;
Heis, R., Das Recht im frühen Sozialismus, Diss. jur. Innsbruck 1995
Fuchs, Ernst (Weingarten 15. 10. 1859-Karlsruhe 10. 4. 1929), Rechtsanwalt, entschiedener
Vertreter der freien Rechtsschule
Lit.:
Fuchs, E., Die Gemeinschädlichkeit der konstruktiven Jurisprudenz, 1909
Fuero (zu
lat. [N.] forum, Markt, Gericht) bzw. foro oder (katalanisch) fur ist in →Spanien
(bzw. Portugal) das teilweise bis in das 20. Jh. geltende landschaftliche Recht
des Hochmittelalters (im engeren Sinn das aufgezeichnete Stadtrecht oder Gebietsrecht).
Vor allem in Aragón und Valencia steht der besondere F. im Gegensatz zum
allgemeinen Recht. Der Name F. erwächst erst allmählich. Die ersten
überlieferten Fueros sind nicht umfangreich (Vorläufer cartas de población wie
z. B. für Valpuesta 804, dann F. von Castrojeriz 974, Sepúlveda 1076, bekannt
F. juzgo 13. Jh., F. de Aragón 1247, Llibre de les Costumes de Tortosa, Ende
13. Jh.). Von besonderer Bedeutung ist die Bewahrung von aus dem westgotischen
Volksrecht (→Lex Visigothorum) rührendem germanistischem Rechtsgut.
Unterscheiden lassen sich vor allem Privilegien, Urkunden über Abgaben und
Stadtrechte.
Lit.: Wohlhaupter, E., Die localen Fueros Aragons und ihre
Verbreitung, FS E. Heymann, 1940, 108; Hierneis, O., Das besondere Erbrecht der
sog. Foralrechtsgebiete Spaniens, 1966; Handbuch der Quellen und Literatur der
neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1 1973, 681;
Barrero García, A./Alonso Martín, M., Textos de derecho local español en la
Edad Media, 1989; Suárez Bilbao, F., El fuero judiego en la Espana cristiana,
2000
Fuero de Aragón
ist die Sammlung von Gesetzen oder Verordnungen, die besonders Aragón
betreffen. Den Auftrag hierzu erteilt König Jakob I. an den Bischof von Huesca
und ehemaligen Bologneser Scholasten Vidal de Canellas. Von dessen zwei
Kompilationen billigen die Cortes von Huesca 1247 die kleinere, weniger
romanistische. 1283 wird sie in das vom Adel König Peter III. abgerungene
(span.) Privilegio general (allgemeine Privileg) aufgenommen. Im 14. und frühen
15. Jh. wird sie um je ein Buch der vier in dieser Zeit herrschenden Könige
erweitert.
Lit.: Tilander, G., Los fueros de Aragón, 1937;
Wohlhaupter, E., Die localen Fueros Aragóns, FS E. Heymann, 1940, 108;
Wohlhaupter, E., Das Privatrecht der fueros de Aragón, TRG GA 62 (1942), 89, 63
(1943), 214, 64 (1944), 173; Lalinde Abadía, J., Los Fueros de Aragón, 1976, 4.
A. 1985
Fuero de Burgos
ist ein die Hauptstadt der Grafschaft →Kastilien betreffender Text des
spanischen Rechtes.
Lit.: Martínez Díez, G., Fueros en el territorio de la
provincia de Burgos, 1982
Fuero de Castiella ist das älteste Rechtsbuch
Kastiliens, in dem durch einen unbekannten Verfasser in Burgos nicht lange nach
1248 das kastilische Recht des 13. Jahrhunderts aufgezeichnet wird.
Lit.: Libro de los Fueros de
Castiella, hg. v. Sanchesz, S., 1924
Fuero de Cuenca
ist der ziemlich ausführliche, in 43 Kapitel gegliederte Fuero des spanischen Rechtes
im Königreich Leon und Navarra, den König Alfons VIII. (1189/1190 bzw. zwischen
November 1189 und März 1193 oder in der ersten Hälfte des 13. Jh.s) der 1177
zurückeroberten Stadt Cuenca gewährt.
Lit.: The Code of Cuenca, übers. v. Powers, J., 2000
Fuero de Francos
ist der 1095 von König Alfons VI. von Kastilien dem Dorf Logroño bei der
Erhebung zur Stadt verliehene Fuero des spanischen Rechtes, der später auch
anderen Städten gewährt wird (Miranda 1099, Toledo).
Fuero de Jaca
ist das 1063 von Sancho Ramírez bei der Erhebung des Ortes von einer villa zu
einer Stadt verliehene Recht von →Jaca.
Lit.: Ramos y Loscertales, J., Fuero de Jaca, 1927; Molho,
M., El Fuero de Jaca, 1964
Fuero de la Novenera ist die Sammlung des aragonesisch-navarrischen Gewohnheitsrechts,
in die auch bäuerliches Gewohnheitsrecht Eingang findet.
Fuero de León
ist ein von 1017(-1020) stammender, sich selbst als (lat. [N.]) Decretum
bezeichnender Text des spanischen Rechtes aus dem Königreich →Leon. Er
geht auf Alfons V. zurück. Seine ersten 20 Artikel betreffen das ganze Land,
die übrigen 28 nur einzelne Orte.
Lit.: García-Gallo, A., El fuero de Léon, AHDE 39 (1969), 5
Fuero del trabajo ist das 1938 erlassene, 1967 abgeänderte Arbeitsgesetzbuch →Spaniens.
Fuero de Madrid
ist das Recht von →Madrid.
Lit.: Sánchez, G., El Fuero de Madrid, (in) El Fuero de Madrid,
2. A. 1963
Fuero de Sepulveda ist der in einem Privileg König Alfons VI. von Kastilien
(1072-1109) enthaltene Fuero des spanischen Rechtes der südlichen Grenzgebiete
des Königreichs Kastilien (1076), den die Könige Alfons I. und Alfons II. von
Aragón auch in Teilen Aragoniens einführen.
Fuero de Soria ist
das Recht von Soria in Kastilien.
Lit.: Sánchez, G., Historia del Fuero de Soria, (in) Fueros
castellanos de Soria de Léon y Castilla, 1919, 227
Fuero de Teruel ist der ausführliche Fuero des
spanischen Rechtes der 1171 von Alfons II. von Aragón zurückeroberten Stadt
Teruel.
Fuero de Toledo
ist der die städtischen Privilegien Toledos zusammenfassende Fuero des
spanischen Rechtes, die allen Bewohnern gemeinsam sind. Er folgt dem nach der
Eroberung 1085 gewährten Fuero de Juzgo (der [westgotischen] Mozaraber) bzw.
Fuero der Kastilier bzw. Fuero de Francos nach.
Lit.: García-Gallo, G., Los Fueros de Toledo, AHDE 45
(1975), 341
Fuero de Zaragoza ist der Fuero des spanischen Rechtes, der die Interessen der sog.
Infanzones (ritterlichen Adligen) stärker berücksichtigt als die der Bürger.
fuero ecclesiastico (span.) kirchliche Gerichtsbarkeit in Spanien
Fuero general
ist die umfassende private Sammlung des spanischen Gewohnheitsrechts des Adels
und seiner Bauern in Aragón und Navarra aus dem 13. Jh.
Fuero Juzgo
ist die in verschiedenen Fassungen in das Kastilische übertragene (lat.) →Lex
(F.) Visigothorum, die auch nach der Zerstörung des Westgotenreiches in Spanien
durch die Araber für die unterworfenen Westgoten (Mozaraber) gilt. Der F. J.
ist auch das von der königlichen Rechtsprechung des vereinigten Königreiches
von Leon und Navarra in Leon - nicht in Kastilien - angewendete Recht. Nach
1240 verleiht König Ferdinand III. den zwölfteiligen F. J. an eroberte Städte
in Andalusien und Levante (Córdoba, Sevilla, Jaén, Murcia, Alicante, Jerez).
1263 wird der F. J. von König Alfons X. in den →Fuero real (bzw. den
Libro de las Leyes) modernisiert.
fuero militar
(span.) Militärgerichtsbarkeit in Spanien
fuero municipal
(span.) Stadtrecht in Spanien
Fuero real
(bzw. Libro de las Leyes) ist der 1255 oder 1263 von König Alfons X. dem Weisen
von Leon und Navarra aus dem →Fuero Juzgo modernisierte →Fuero des
spanischen Rechtes. Er passt den aus der frühmittelalterlichen (lat.) Lex (F.)
Visigothorum entwickelten Fuero Juzgo den hochmittelalterlichen Bedürfnissen an
und nimmt verschiedene römischrechtliche und kirchenrechtliche Sätze auf. Er
ist in vier Bücher gegliedert (Verfassung, Verfahren, Familie, Erbe und
Schulden sowie Strafe). Er wird bestimmten Städten in Leon und Kastilien
(Valladolid 1255, Madrid 1262) sowie Burgos und Soria verliehen, doch muss der
König 1272 die Fortgeltung der alten städtischen Fueros anerkennen. Von ihnen
werden viele bis 1340 neu aufgezeichnet.
Lit.: Martínez Díez, G., Leyes de Alfonso X.: Fuero Real,
1988
Fuero viejo de Castilla ist die umfassende private Zusammenstellung des
kastilischen Gewohnheitsrechts. Eine um 1248 entstandene Fassung ist
unsystematisch. Der F. v. d. C. erhält seine endgültige systematische und in
fünf Bücher gegliederte Gestalt um 1356. Seine wichtigste Quelle ist der Libro
de los Fueros.
Lit.: García González, F., El fuero viejo assistemático,
AHDE 41 (1971), 767
Fugger ist
der Angehörige einer 1367 in Augsburg als Weber genannten Familie, die in der
Linie von der Lilie durch die Fuggersche Handelsgesellschaft, das Kupfermonopol
und den Ablasshandel Weltgeltung erreicht. Als Bankiers der Päpste und der
Habsburger erlangen sie 1504 den Adel und 1511 den Grafenrang und finanzieren
die Wahl Karls V. zum Kaiser des Heiligen römischen Reiches . Sie bilden ein
anschauliches Beispiel des →Frühkapitalismus.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Pölnitz, G. Frhr. v.,
Jakob Fugger, Bd. 1f. 1949ff.; Pölnitz, G. Frhr. v., Fugger und Hanse, 1953;
Simnacher, G., Die Fuggertestamente, 1960; Pölnitz, G. Frhr. v., Die Fugger, 6.
A. 1999; Lutz, E., Die rechtliche Struktur süddeutscher Handelsgesellschaften,
1976; Nebinger, G./Rieber, A., Genealogie des Hauses Fugger, 1978;
Tietz-Strödel, M., Die Fuggerei, 1982; Mandrou, R., Die Fugger, 1997;
Häberlein, M., Die Fugger, 2006; Die Welt des Hans Fugger, hg. v. Burkhardt, J.
u. a., 2007; Dauser, R., Informationskultur und Beziehungswissen, 2008; Die
Fugger im Bild, hg. v. Bayerische Staatsbibliothek, 2010; Düvel, T., Die
Gütererwerbungen Jacob Fuggers des Reichen (1494-1525), 2013
Führer ist (der
von Adolf →Hitler im Nationalsozialismus beanspruchte) anführende Rang
innerhalb einer Gemeinschaft. Der F. (Adolf Hitler) steht außerhalb der
Verfassung. Er vereinigt nacheinander unterschiedliche Verfassungsstellungen in
sich (Reichskanzler, Reichspräsident). Sein Wille wird als Gesetz angesehen.
Nach dem Prinzip des Führers wird das →„Dritte Reich“ organisiert.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 222, 226, 229; Das
deutsche Führerlexikon, 1934; Fauser, M., Das Gesetz im Führerstaat, Arch. f.
öff. Recht 1965, 129; Majer, D., Grundlagen des nationalsozialistischen
Rechtssystems, 1987; „Führer—Erlasse – 1939-1945“, hg. v. Moll, M., 1997;
Radtke, H.. u. a., Straffreiheit durch Führerbefehl?. ZRG GA 129 (2012), 214
Führerschein ist
die Urkunde über die Berechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Führerscheine
werden kurz nach Erfindung der Kraftfahrzeuge (1876 N. A. Otto stationärer
Viertaktverbrennungsmotor, 1885 C. F. Benz verkehrsfähiges Kraftfahrzeug,
1886 G. Daimler) eingeführt. Die vorläufigen und regional unterschiedlichen
Berechtigungen löst 1910 auf Grund des Gesetzes über den Verkehr mit
Kraftfahrzeugen (3. 5. 1909) der F. in Preußen ab (1910 in Deutschland 36077
Führerscheine, 1924 121431 neue Führerscheine, 1957 rund 1081000, 1991 2122706).
Seit 1. 1. 1999 ist der F. in der Europäischen Union vereinheitlicht.
Führungsschicht ist die politische oder geistig führende Gruppe von
Menschen einer bestimmten Gesellschaft. Im Mittelalter stellt der Adel die F.
In der Aufklärung tritt der Bürger hinzu. In der Gegenwart wird die allgemeine
Meinung in erheblichem Maß durch die Medien Zeitung, Radio, Fernsehen und
Internet bestimmt, deren Träger die Führung mitgestalten.
Lit.: Preradovich, N. v., Die Führungsschichten in
Österreich und Preußen 1804-1918, 1955; Deutsche Führungsschichten in der
Neuzeit, hg. v. Hofmann, H. u. a., 1980; Wildenmann, R. u. a., Führungsschicht
in der Bundesrepublik Deutschland, 1981, 1982; Rösch, G., Der venezianische
Adel, 1989
Führungszeugnis
Lit.:
Burchardi, K., Strafregister und polizeiliches Führungszeugnis, 2. A. 1944
Fulgosius, Raphael ist der in Piacenza 1367
geborene, in Bologna und Pavia ausgebildete, ab 1388 in Pavia, Siena und Padua
lehrende, am 12. 9. 1427 verstorbene Jurist (commentarium in Digestum vetus,
commentarium zum Codex, Gutachten).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter,
Bd. 2 2007, 802
Fulda ist
die am 12. 3. 744 von dem Schüler Sturmi des Bonifatius in Hessen gegründete,
765 reichsunmittelbar (Reichsabtei) werdende Abtei mit sehr großer
Grundherrschaft und bedeutender Schriftkultur (aber im zweiten Drittel des 12. Jh.s
auch Fälschungen durch den Mönch Eberhard). Die dort 1723/1734 gegründete
Universität wird nach der Säkularisation (1802, Fürst von Oranien-Nassau, dann
Königreich Westphalen, danach Hessen) aufgehoben.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Roller, O., Eberhard
von Fulda, Diss. phil. Marburg 1901; Urkundenbuch des Klosters Fulda, Bd. 1
1913; Werner-Hasselbach, T., Die älteren Güterverzeichnisse der Reichsabtei
Fulda, 1942; Lübeck, K., Die Hofämter der Fuldaer Äbte im frühen Mittelalter,
ZRG GA 65 (1947), 177; Lübeck, K., Die Fuldaer Bürgeraufstände, ZRG GA 68
(1951), 410; Mauersberg, H., Die Wirtschaft und Gesellschaft Fuldas, 1969;
Jäger, B., Das geistliche Fürstentum Fulda in der frühen Neuzeit, 1986; Rathsack,
M., Die Fuldaer Fälschungen, 1989; Heinemeyer, W. u. a./Fulda in seiner
Geschichte, 1995; Meyer zu Ermgassen, H., Der Codex Eberhardi des Klosters
Fulda, 1995f., (1995, 1996, Index 2007, Bd. 4 Der Buchschmuck, 2009); Theisen,
F., Mittelalterliches Stiftungsrecht, 2002; Codex Diplomaticus Fuldensis,
Index and Introduction, hg. v. Hofmann, J., 2010
Fund (9. Jh.) ist das Entdecken und Ansichnehmen einer verlorenen
(besitzlosen, aber nicht eigentümerlosen) beweglichen Sache eines anderen. Der
Finder muss den F. kundtun. Der Eigentümer muss dem Finder nach einzelnen
mittelalterlichen Rechtsquellen einen Lohn zahlen. Meldet sich der Eigentümer
innerhalb einer Frist (nach Aufgebot) nicht, so fällt die Sache teils an den
Finder, teils an den König, Kirche, Gemeinde oder Grundherrn, seit der Neuzeit
an den Finder. Erst das Allgemeine Landrecht Preußens (1794) und das
Bürgerliche Gesetzbuch des Deutschen Reiches (1896/1900) schaffen einheitliche
Regeln für ihr Geltungsgebiet.
Lit.: Hübner 457; Delbrück, B., Vom
Finden verlorener Sachen, Jh. Jb. 3 (1859), 1ff.; Hopmann, G., Der
Eigentumserwerb an der gefundenen Sache nach deutschen Rechtsquellen, 1905;
Vobach, G., Die Lehre vom Funde, 1910; Hübner, J., Der Fund, 1914; Lins, S.,
Das Fundrecht des BGB, 1994; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010
Fünfkirchen (Pécs) ist bereits in römischer Zeit ein wichtiger Ort (Sopianae, später
Quinque ecclesiae) und seit 1367 Sitz einer Universität, von 1833 bis 1923 Sitz
eines Rechtsgymnasiums.
Lit.:
Roth, H. u. a., Fünfkirchen, 2010; Pécsi
jogászprofesszorok emlékezete (1923-2008). Antológia [Das Gedächtnis der
Juraprofessoren zu Fünfkirchen. Eine Anthologie], hg. v. Kajtár, I. 2008;
A Pécsi Püspöki Joglyceum emlékezete
1833-1923, hg. v. Kajtár, I. u. 1.-, 2009; Roth, H., Geschichte einer
europäischen Kulturhauptstadt, 2010
Fur (lat.
[M.]) ist im römischen Recht der →Dieb. Der auf frischer Tat ertappte
(und damit handhafte) freie Dieb (lat. [M.] f. manifestus) darf im altrömischen
Recht getötet werden und wird später als Sklave zugesprochen, der unfreie f.
manifestus darf vom tarpeischen Felsen gestürzt werden. Jeder andere f. hat das
Doppelte des Wertes zu leisten und wird infam.
Lit.: Kaser §§ 32 II, 51 I
Furiosus (lat.
[M.]) ist im römischen Recht der →Geisteskranke, der ohne weiteres
geschäftsunfähig und deliktsunfähig ist und einen (lat. [M.]) curator (Pfleger)
hat.
Lit.: Kaser § 14 IV; Boari, M., Qui venit contra iura. Il
furiosus, 1983
Fürkauf ist
im 13. bis 16. bzw. 19. Jh. der Vorkauf (unter Umgehung des Marktes und in
großen Mengen zwecks künstlicher Verknappung und Verteuerung). Er wird
zeitweise verboten. Der Liberalismus beseitigt die der Bekämpfung des Wuchers
dienenden Einschränkungen grundsätzlich.
Lit.: Crebert, H., Künstliche Preissteigerung,
1916; Blaich, F., Die Reichsmonopolgesetzgebung im Zeitalter Karls V., 1967; Hof,
H., Wettbewerb im Zunftrecht, 1983
Furs de Valencia sind die nach 1240 abgefassten →Fueros (Gesetze bzw. Verordnungen)
des Königreichs von Valencia des spanischen Rechtes, die in einer 1330
entstandenen, völlig romanisierten Fassung Alfons’ IV. bekannt sind. 1482 wird
eine erweiterte, chronologisch geordnete Sammlung von Gabriel de Riucech unter
dem Titel Furs e ordinacions de València veröffentlicht, 1707 wird der F. d.
V. von König Philipp V. abgeschafft. 1708 werden die Fueros alfonsinos in
Valencia für weitergeltend erklärt.
Lit.: Barrero, A., El Derecho romano en los Furs de
Valencia de Jaime I, AHDE 41 (1971), 639
fur (M.) manifestus (lat.) →handhafter →Dieb, →Diebstahl
Fur semper in mora (lat.). Der Dieb ist immer in Verzug (und muss deshalb bei
Untergang der entwendeten Sache durch Zufall ohne Verschulden Schadensersatz
leisten).
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007 (Tryphonius
um 160-um 220, Digesten 13, 1, 20)
Fürsorge ist
zunächst allgemein die Sorge für das Wohl eines Lebewesens, danach insbesondere
die Unterstützung Einzelner aus allgemeinen Mitteln in Notlagen. F. tätigt
anfangs die Familie, dann die Kirche und die Grundherrschaft, seit der frühen
Neuzeit auch der Wohlfahrtsstaat (Armenpflege für Waisen, Bettler, Witwen,
Alte, Kranke, Straftäter, Verwahrloste, Wohlfahrtspolitik, Sozialpolitik). In
Preußen (ALR II, 19 § 1) wird hierfür das Gesetz über die Verpflichtung zur
Armenpflege vom 31. 12. 1842 (Unterstützungswohnsitz) erlassen, im Deutschen
Reich das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6. 6. 1870
(preußisches Ausführungsgesetz vom 8. 3. 1871)(, die
Sozialversicherungsgesetzgebung) und die Verordnung über die Fürsorgepflicht
vom 13. 2. 1924, ergänzt durch die Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und
Maß der öffentlichen Fürsorge vom 4. 12. 1924 (kein Rechtsanspruch, Träger
Ortsarmenverbände bzw. Gemeinden, in Städten 5,6-8 % Unterstützungsempfänger,
auf dem Land 0,5-0,8 %) (gehobene F.) (1. 4. 1924 Reichsjugendwohlfahrtsgesetz
mit wegen der Inflation verringertem Leistungsumfang). In Deutschland, in
dessen östlichem Teil 1956 die überkommene F. in der Verordnung über die
allgemeines Sozialfürsorge des Jahres 1956 zusammengefasst und als Übergangserscheinung
auf dem Weg zum Sozialismus angesehen wird, wird in der zweiten Hälfte des 20.
Jh.s aus der F. die seit einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
vom 24. 6. 1954 Ansprüche anerkennende →Sozialhilfe (Hilfe, Förderung,
Bundessozialhilfegesetz zum 1. 6. 1962, zum 1. 1. 2005 Sozialgesetzbuch XII,
für Jugendliche Jugendschutzgesetz vom 4. 12. 1951, Jugendwohfahrtsgesetz vom
11. 8. 1961, Kinder- und Jugendhilfesgesetz zum 1. 1. 1991).
Lit.: Moeller, E. v., Die
Elendenbrüderschaften, 1906; Dilger, A., Die Grundlagen des Fürsorgerechts,
Diss. jur. Tübingen 1945 masch.schr.; Scherpner, H., Geschichte der
Jugendfürsorge, 2. A. 1979; Sachße, C./Tennstedt, F., Geschichte der
Armenfürsorge, Bd. 1ff. 1980ff.; Jutte, R., Obrigkeitliche Armenfürsorge,
1984; Hauser, S., Geschichte der Fürsorgegesetzgebung in Bayern, Diss. jur.
München 1986; Peukert, D., Grenzen der Sozialdisziplinierung, 1986; Breitenhorn,
A., Randgruppen im ALR, 1994; Boldorf, M., Sozialfürsorge in der SBT/DDR
1945-1953, 1998; Armengesetzgebung und Freizügigkeit (1867-1881), hg. v.
Sachße, C. u. a., 2000; Stolleis, M., Geschichte des Sozialrechts in Deutschland,
2003; Willing, M., Das Bewahrungsgesetz (1918-1967), 2003; Föcking, F.,
Fürsorge im Wirtschaftsboom, 2007; Medizin und Sozialwesen in Mitteldeutschland
zur Reformationszeit, hg. v. Oehmig, S., 2007; Marx-Jaskulski, K., Armut und
Fürsorge auf dem Land, 2008; Bulling, S., Die zivilrechtliche Erwachsenenfürsorge
des 19. Jahrhunderts, 2013; Foege, L., Wessenbergs Herzenskind, 2014
Fürsprech,
Fürsprecher, Vorsprecher, ist im hoch- und spätmittelalterlichen deutschen
Recht der Vertreter eines Menschen im Wort vor Gericht (ahd. [einmal] furisprehho
um 790 für lat. orator, M., Redner). Er wird vielleicht entwickelt, um die möglicherweise
allmählich in bestimmten Verfahrenslagen entstehende Gefahr zu vermeiden, durch
einen bloßen Fehler im Wort (z. B. Husten, Räuspern, Versprechen) einen
Rechtsstreit zu verlieren. Seine Rede kann die im Wort vertretene Partei
billigen oder verwerfen und selbst richtig ausführen. Der F. ist erst im 12.
Jh. in deutschen, französischen und englischen Quellen belegt und könnte eine
Antwort auf das Eindringen gelehrter Genauigkeit in das Verfahren sein. Ein
Zwang, einen F. zu nehmen, erscheint erst im 15. Jh. Im Übrigen kann die Partei
einen F. wählen oder nach dem Sachsenspiegel (1221-1224) den Richter um einen
F. bitten. Wirkung hat der Vortrag des Fürsprech(er)s nur nach Billigung durch
die Partei. 1255 gibt es in Lübeck bereits 5 berufsmäßige Fürspreche®
(Vorspraken). Seit dem 15. Jh. wird der F. zum frei handelnden Beistand, seit
dem 16. Jh. verschmilzt er mit dem Anwalt zum Vertreter in der Sache. In der
Schweiz ist der Fürsprecher in manchen Kantonen der Rechtsanwalt.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG
116; Siegel, H., Die Erholung und Wandelung, SB. d. Akad. d. Wiss. Wien 42
1853; Laß, L., Die Anwaltschaft im Zeitalter der Volksrechte und Kapitularien,
1891; Bauhofer, A., Fürsprechertum und Advokatur im Kanton
Zürich, Zürcher Taschenbuch 1926; Bader, K., Vorsprecher und Anwalt in den
fürstenbergischen Gerichtsordnungen, 1931; Schudel, H., Fürsprecher und Anwälte
im schaffhauserischen Recht, Diss. jur. Zürich 1940; Müller, L., Die Freiheit
der Advokatur, 1972; Failenschmid, H., Anwalt und Fürsprech nach
altwürttembergischen und benachbarten Rechtsquellen, 1981; Meyer, T., Gefahr
vor Gericht, 2009
Fürsprecher →Fürsprech
Fürst ist
im mittelalterlichen und neuzeitlichen deutschen Recht der Adlige, dessen
Stellung (die des Königs oder) ursprünglich durch die unmittelbare Belehnung
durch den König gekennzeichnet ist. Er ist also Erster oder bei mehreren Ersten
einer von diesen. Dazu zählen im Frühmittelalter die Großen des Reiches und des
Königs (Herzöge, Grafen, Pfalzgrafen, Markgrafen, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte,
Äbtissinnen). Kennzeichen sind Teilhabe am Reich und Herrschaft über einen
Teil (z. B. eine Grafschaft), doch ist die Abgrenzung nach unten nicht
eindeutig (im 13. Jh. etwa 110-120 Reichsfürsten, davon etwa 90 geistlich,
davon etwa 45 Äbte und Äbtissinnen). Der F. kann unter besonderen Umständen
abgesetzt werden (zwischen 768 und 1056 in 177 Fällen erfolgreich, immerhin
durchschnittlich alle zwei Jahre einmal). Das wichtigste Recht der Fürsten ist
die Wahl des Königs, die sich aber im 13. Jh. auf die →Kurfürsten
beschränkt. Etwa gleichzeitig wird die Stellung als Reichsfürst genauer
festgelegt auf die meisten Herzöge, einen Teil der Markgrafen, Pfalzgrafen und
Landgrafen und einzelne Grafen (herzogsgleiche Landesherrschaft und
reichsunmittelbares Lehen) sowie die geistlichen Reichsfürsten (Erzbischöfe,
viele Bischöfe, viele Äbte und Äbtissinnen, einzelne Pröpste). 1184/1188 wird
der Graf von Hennegau bzw. Namur als erster förmlich zum Reichsfürsten erhoben
(Braunschweig-Lüneburg 1235). Demgegenüber wird in Frankreich die Zahl der
Fürsten verringert und in England auf den Prinzen von Wales beschränkt. Als
Landesherr gerät der F. im Laufe der Zeit in einen Interessengegensatz zum
König. Im Reichstag des Heiligen römischen Reiches gibt es 1582 53 Virilstimmen
weltlicher und 46 Virilstimmen geistlicher Fürsten, 1792 64 Virilstimmen weltlicher
Fürsten und 38 geistlicher Fürsten. Seit 14. 8. 1919 darf der Titel F. in
Deutschland nicht mehr verliehen werden und gilt der überkommene Titel F. als
Teil des Namens.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 98, 111, 130, 149,
154, 167, 195; Köbler, WAS; Seckendorff, V. v., Teutscher Fürstenstaat, 1656,
Neudruck 1976; Schulze, H., Das Recht der Erstgeburt in den deutschen
Fürstenhäusern, 1851; Boerger, R., DIe Belehnungen der deutschen geistlichen Fürsten,
1901; Fehr, H., Fürst und Graf im Sachsenspiegel, SB. d. sächs. Ges. d. Wiss.
58, 1906; Schulte, A., Fürstentum und Einheitsstaat in der deutschen
Geschichte, 1921; Schröder, E., Herzog und Fürst, ZRG GA 44 (1924), 1; Kraemer,
H., Der deutsche Kleinstaat des 17. Jahrhunderts im Spiegel von Seckendorffs
Fürstenstaat, 1922, Neudruck 1974; Schroeder, E., Herzog und Fürst, ZRG GA 44
(1924), 1; Kienast, W., Die deutschen Fürsten im Dienste der Westmächte, Bd.
1f. 1924ff.; Mayer, T., Fürsten und Staat, 1950; Petersohn, J., Fürstenmacht
und Ständetum in Preußen, 1963; Willoweit, D., Rechtsgrundlagen der
Territorialgewalt, 1975; Goetz, H., „Dux“ und „ducatus“, 1977; Lanzinner, M.,
Fürst, Räte und Landstände, 1980; Der dynastische Fürstenstaat, hg. v. Kunisch,
J., 1982; Hergemöller, B., Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56,
1983; Klein, T., Die Erhebungen in den deutschen Fürstenstand 1550-1806, Bll.
f. dt. LG. 122 (1986), 137; Krah, A., Absetzungsverfahren als Spiegelbild von
Königsmacht, 1987; Ay, K., Land und Fürst im alten Bayern, 1988; Der Fürst, hg.
v. Weber, W., 1998; Schlinker, S., Fürstenamt und Rezeption, 1999; Schlick, J.,
König, Fürsten und Reich 1056-1159, 2001; Principes, hg. v. Nolte, C., 2002;
Fürstin und Fürst, hg. v. Rogge, J., 2004; Gottwald, D., Fürstenrecht und
Staatsrecht im 19. Jahrhundert, 2009; Hammes, B., Ritterlicher Fürst und
Ritterschaft, 2010
Fürstenberg
Lit.: Barth, F., Die
Verwaltungsorganisation der gräflich fürstenbergischen Territorien, Schriften
des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar 16 (1926), 48; Link,
R., Verwaltung und Rechtspflege im Fürstentum Fürstenberg, 1944;
Bieberstein-Krasicki, D. Graf v., Das Prozessrecht der Gerichts- und
Landesordnungen der fürstenbergischen Territorien, 1948; Bader, K./Platen, A.
v., Das große Palatinat des Hauses Fürstenberg, 1954; Eltz, E., Die
Modernisierung einer Standesherrschaft, 1980; Asch, R., Verwaltung und
Beamtentum, 1986
Fürstenberg
Fürstenbergische Geschichte, Bd.
1ff. bearb. v. Klocke, F. v. 1971; Die Tagebücher Kaspars von Fürstenberg, hg.
v. Bruns, A., 1985, 2. A. 1987
Fürstenspiegel ist die literarische Darstellung der Pflichten eines
Fürsten. Die älteren Quellen des Fürstenspiegels sind hauptsächlich Xenophons
(430-354 v. Chr.) Beschreibung der Erziehung des Kyros, die aus Plutarch
(46-125) erstellte (lat.) Institutio (F.) Traiani, die Selbstbetrachtungen Marc
Aurels (121-180) und Augustinus’ Bild vom glücklichen Herrscher im Gottesstaat
(413-426). Zunächst christlich, später humanistisch betont bauen auf ihnen F.
vom 9. Jh. bis in die Neuzeit (Fürstenlehre) auf (z. B. Jonas von Orléans,
Sedulius Scotus, Hinkmar von Reims, Gottfried und Johannes von Viterbo, Johann
von Salisbury, Polycratius, 1159, Gilbert von Tournais, Vincenz von Beauvais, Thomas
von Aquin, De regimine principum, 1265/1266, Fortescue J., De laudibus legum
Angliae, um 1470, Machiavelli, N., Il principe, 1532, Fénelon, Les aventures de
Télémaque, 1699), wobei seit der frühen Neuzeit der Landesherr an die Stelle
des Königs tritt. Zu Beginn des 19. Jh.s werden die konservativen
Regierungshandbücher entbehrlich.
Lit.: Kleineke, W., Englische
Fürstenspiegel, 1937; Berges, W., Die Fürstenspiegel des hohen und späten
Mittelalters, 1938; Anton, H., Fürstenspiegel und Herrscherethos in der
Karolingerzeit, 1968; Singer, B., Die Fürstenspiegel, 1981; Politische
Tugendlehre und Regierungskunst, hg. v. Mühleisen, H. u. a., 1990;
Fürstenspiegel der frühen Neuzeit, hg. v. Mühleisen, H. u. a., 1996; Graßnick,
U., Ratgeber des Königs, 2004; Ahl, I., Humanistische Politik zwischen
Reformation und Gegenreformation, 2004; Fürstenspiegel des frühen und hohen
Mittelalters, hg. v. Anton, H., 2006; Historische Exempla in Fürswtenspiegeln
und Fürstenlehren, hg. v. Reinle, C. u. a., 2011
Fürstentum ist
das Herrschaftsgebiet und die Stellung eines →Fürsten.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Schotte, W., Fürstentum und Stände
in der Mark Brandenburg, 1911; Dunkhase, H., Das Fürstentum Krautheim, 1968;
Werner, K., Die Entstehung des Fürstentums, Bd. 1f. 1970; Thomas, H., Zwischen
regnum und imperium, 1973; Geistliche Staaten in Oberdeutschland, hg. v. Wüst,
W., 2002
Fürstprimas ist
der in der Rheinbundakte von 1806 für den bisherigen Reichserzkanzler Karl
Theodor von Dalberg (1744-1817) vergebene geistlich-weltliche Titel. Das Fürstentum
des F. (Regensburg mit Aschaffenburg und Wetzlar) wird durch Napoleon (1808)
in ein weltliches Großherzogtum umgewandelt, das 1813 endet.
Lit.: Färber, K., Der Übergang des dalbergischen
Fürstentums Regensburg an das Königreich Bayern, 1985
Fürth
Lit.: Hofmann, M., Die mittelalterliche
Entwicklung der Gerichtsverhältnisse im alten Amt Fürth, 1932; Mauersberg, H.,
Wirtschaft und Gesellschaft Fürths, 1974; Windsheimer, B., Geschichte der Stadt
Fürth, 2007
Furtum (lat.
[N.]) ist im römischen Recht die Sachentziehung bzw. der Diebstahl ([lat.]
contrectatio rei fraudulosa lucri faciendi gratia, tückische Ergreifung einer Sache
zwecks Gewinnerzielung). →fur
Lit.: Kaser § 51 I; Söllner § 8; Köbler, DRG 27, 48;
Köbler, LAW
Fusion (F.), Gießung, Verbindung
Fusionsvertrag ist der eine Fusion anstrebende oder bewirkende Vertrag (z. B. 8. 4. 1965 Vertrag zur Einsetzung eines
gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften
mit Wirkung vom 1. 7. 1967).
Fuß als der
unterste Teil des stehenden menschlichen Körpers wird bis in die Gegenwart als
Maßeinheit (zwischen 250 und 429 mm) verwendet (z. B. engl. foot 304,8 mm).
Lit.: Grimm, J., Deutsche Rechtsaltertümer, 1828, Bd. 1 4.
A. 1899, Neudruck 1922, 1989, 1994, 141, 196, 213
Füssen
Lit.: Das Füssener Bürgerbuch, hg.
v. Weitnauer, S., 1940; Das Füssener hochstiftische Urbar von 1398, bearb. v.
Dertsch, R., 1940; Rump, H., Füssen, 1977
Futhark ist
die der herkömmlichen Zeichenfolge (f, u, th, a, r, k u. s. w.) entsprechende Benennung der
germanischen Runenschrift.
Lit.: Krause,
W., Die Runeninschriften im älteren Futhark, 1966
G
Gabe ist
der Vorgang und der Gegenstand der gewollten Übergabe einer Sache oder eines
Menschen von einem Menschen oder einer Person an einen anderen Menschen oder an
eine andere Person. Nach einem jüngeren Rechtssprichwort soll in der älteren
Zeit gegolten haben: G. schielt nach Entgelt. Demgegenüber kennt das römische
Recht die unentgeltliche G. (→Schenkung). Sie wird allgemein anerkannt,
ohne dass sie größere wirtschaftliche Bedeutung erlangt.
Lit.: Kaser; Hübner 575; Köbler, DRG 74; Heusler, A.,
Institutionen, Bd. 2 1885f., 370ff.; Mauss, M., Essai sur le don, 1923 (= Die
Gabe, 1968); Pappenheim, M., Über die Rechtsnatur der altgermanischen
Schenkung, ZRG GA 53 (1933), 35; Hyland, R., Gifts, 2009
gabella (mlat. [F.]) Abgabe, Steuer (F.)
Gabella (F.) emigrationis (mlat.) ist die im 11./12. Jh. erscheinende, vor allem in
der frühen Neuzeit verbreitete Auswanderungsabgabe (Abfahrtsgeld, vgl. ALR II
17 §§ 141ff.) in Höhe von meist rund 10% des inländischen Vermögens.
Gabella (F.) hereditaria (mlat.) ist im Mittelalter die Erbschaftsabgabe beim
Erbfall Fremder an König, Landesherrn oder Stadt. Ein Gesetz Kaiser Friedrichs
II. von 1220 hebt sie auf, wird aber nicht beachtet.
Lit.: Meynal, E., Études sur la gabelle, TRG 3 (1922), 119
gafol (ae.)
Abgabe, Zins
Gage (F.) Entlohnung (1. H.
17. Jh.s aus dem Französischen) zunächst in Heer und Marine, danach am Theater
Gagern,
Wilhelm August Heinrich Freiherr von (Bayreuth 20. 8. 1799-Darmstadt 22. 5.
1888) wird nach dem Rechtsstudium in Heidelberg und Jena (Burschenschaft) 1821 Regierungsrat
in Hessen, am 5. 3. 1848 Leiter des Staatsministeriums Hessen-Darmstadts, und am
19. 5. 1848 Präsident der deutschen Nationalversammlung.
Lit.: Buchner, K., Heinrich von Gagern, 1848; Schücking,
L., Heinrich von Gagern, 1849; Wentzcke, P., Heinrich von Gagerns, 1957;
Möller, H., Heinrich von Gagern, 2004
Gagnér, Sten (Uppsala 3. 3. 1921-München 24. 5. 1900) wird nach dem Studium von Recht,
Philosophie, Geschichte und Philologie in Uppsala und praktischer Tätigkeit
bei Polizei und Justiz 1964 Professor für Rechtsgeschichte in München.
Lit.:
Gagnér, S., Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, 1960; Rückert, J.,
Sten Gagnér zum Gedächtnis, ZRG GA 119 (2000), 1094ff.
Gaill,
Andreas (Köln 12. 11. 1526-Köln 11. 12. 1587), Patrizierssohn, wird nach dem
Rechtsstudium in Köln, Orléans, Löwen und Bologna (Promotion 1555) Anwalt in
Köln, 1558 Beisitzer am Reichskammergericht in Speyer, 1569 Reichshofrat in
Wien (1573 von Gaill) und 1584 Kanzler im Erzstift Köln. In seinen (lat.)
Practicarum observationum libri (M.Pl.) duo (Zwei Bücher praktischer Beobachtungen)
(1578) bemüht er sich wie schon zuvor →Mynsinger (Singularium observationum
…) um eine systematische Darstellung der Entscheidungen des →Reichskammergerichts
und gewährt dabei auch einheimischen Statuten und Gewohnheitsrechtssätzen
Raum.
Lit.: Köbler, DRG 143; Burckhard, H., Andreas Gaill, 1887; Kempis,
K. v., Andreas Gaill, 1988
Gairethinx (N.)
Speergedinge →Launegild
Lit.: Schröder, R., Gairethinx, ZRG GA 7 (1886), 53
Gaius ist
der in der Mitte des 2. Jh.s n. Chr. lebende, hauptsächlich in der Provinz
tätige, nicht mit dem (lat.) ius (N.) respondendi (Antwortrecht) begabte
Verfasser (eines Kommentars zu dem in den Provinzen üblichen Rechtsschutzregister
des Privatrechts und) des in vier Bücher (lat. [M. Pl.] commentarii) über
personae (Personen), res (Sachen, 2 Bücher, Sachenrecht, Erbrecht, Schuldrecht)
und actiones (Klagansprüche, Zivilprozess) gegliederten Lehrbuchs →Institutionen
(159?, 161?). Er gehört der Rechtsschule der Sabinianer (→Julian) an.
Sein auf (lat.) →ius (N.) civile (römisches Recht) und (lat.) →ius
(N.) gentium (Fremdenrecht) als Rechtsquellen beschränktes, in einer späteren
Fassung vor allem durch eine wohl dem 5. Jh. entstammende, 1816 in Verona von
Barthold Georg Niebuhr aufgefundene Palimpsesthandschrift und zwei in Ägypten entdeckte
Handschriftenbruchstücke unmittelbar überliefertes System der Einrichtungen
des Rechtes (lat. institutiones) wird im Kern von dem oströmischen Kaiser
Justinian in dessen Institutionen (533) übernommen. In den Digesten sind 542
Fragmente aus Werken des Gaius verwertet.
Lit.: Kaser § 2; Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 34; Söllner
§§ 5, 7, 16, 19, 20, 22, 23; Köbler, DRG 30, 52, 54; Honoré, A., Gaius, 1962;
Nelson, H./David, M., Überlieferung, Aufbau und Stil von Gai Institutiones,
1981; Wieacker, F., Römische Rechtsgeschichte, Bd. 1 1988, 131; Nelson,
H./Manthe, U., Gai Institutiones III 1-87, 1992; Vano, C., Il nostro autentico
Gaio, 2000; Gaius, Institutiones. Lateinisch und deutsch, hg. v. Manthe, U.,
2004, 2. unv. A. 2010; Vano, C. Der Gaius der historischen Rechtsschule, 2008
Gaius von Autun
(lat. Gaius [M.] Augustodunensis) ist der in größeren Fragmenten einer
Palimpsesthandschrift aus Autun erhaltene klassizistisch-spätnachklassische
Kommentar wohl des 5. Jh.s zu →Gaius.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 39 II 2; Köbler, DRG 52
Galater →Kelte
Galeere (F.) mit Rammsporn, Rudern und Segeln ausgestattetes Kriegsschiff
Galeerenstrafe ist die seit dem 15. Jh. im Mittelmeerraum (Rom 1471,
Spanien 1502, Kirchenstaat 1511, Frankreich 1516) verhängte Strafe, auf einer
Galeere angekettet zu rudern. In den österreichischen Erblanden und Böhmen wird
die G. von 1556 bis 1768 verwendet. In Frankreich endet sie sachlich mit der
Aufgabe der Galeeren (1749), wird aber rechtlich erst am 27. 3. 1852
abgeschafft. In der Türkei wird sie bis zum 20. Jh. gebraucht.
Lit.: Frauenstädt, P., Zur Geschichte der Galeerenstrafe in
Deutschland, Z. f. ges. StrafRWiss. 16 (1896), 518; Carlen, L., Die
Galeerenstrafe im Militärstrafrecht, ZRG GA 92 (1975), 210; Carlen, L., Die
Galeerenstrafe in der Schweiz, Z. f. d. ges. StrafRWiss. 88 (1976), 557;
Schlosser, H., Die Strafe der Galeere, ZNR 10 (1988), 19; Tournier, G., Les
galères de France, 2005
Galgen ist
die meist aus zwei Pfosten (oder Astgabeln) und einem Querholz bestehende
künstliche Vorrichtung (lat. patibulum, bargus, furca) zur Tötung von Menschen
durch Aufhängen an einem Strick. Bereits die Germanen hängen den Volksverräter.
Seit wann dazu der G. verwendet wird, ist unklar. Im Hochmittelalter. in dem
der Sachsenspiegel Diebstahl mit Hängen bedroht, ist Erhängen am G. eine ehrenmindernde
Strafe. Seit 1871 ist die →Todesstrafe in Deutschland durch Enthaupten
zu vollziehen. Die Alliierten bestrafen die nationalsozialistischen
Kriegsverbrecher 1946 durch Erhängen (ähnlich im Irak 2006). Überreste
ehemaliger G. sind in Beerfelden, Hopfmannsfeld, Kleinschierstedt, Münzenberg,
Pfungstadt, Rixfeld, Seeburg und Wörth am Main vorhanden.
Lit.: Grimm, J., Deutsche Rechtsaltertümer, 1828, Bd. 2 4.
A. 1899, Neudruck 1922, 1989, 1994, 257f.; His, R., Das Strafrecht des
deutschen Mittelalters, Bd. 1f. 1920ff., Neudruck 1964; Frölich, K., Stätten
mittelalterlicher Rechtspflege, 1940; Wohlhaupter, E., Haargalgen,
Müllergalgen, ZRG GA 63 (1943), 324; Frank, H., Im Angesicht des Galgens, 1953;
Martschukat. J., Inszeniertes Töten, 2000; Over galg en rad, hg. v. Luning, H.
u. a., 2010
Galicien ist
die im Nordwesten der iberischen Halbinsel gelegene Landschaft, die zunächst
von Kelten besiedelt ist. Nach dem Ende der römischen Herrschaft dringen im 5.
und 6. Jh. Sweben (Sueben) und Westgoten, 711/718 Araber ein. Mit der Lösung
von den Arabern fällt G. meist an →Leon und mit diesem an →Kastilien.
1979 erhält G. in Spanien Autonomie.
Lit.: Tranoy, A., La Galice Romaine, 1981; García Oro, J.,
Galicia, 1987; Galicia, hg. v. Hann, C. u. a., 2005
Galizien (Halic-Volhynien,
→Wolhynien) ist die nördlich der Karpaten gelegene Hügellandschaft, die
nach dem Abzug der Germanen im 6. Jh. von Slawen (Polen im Westen, Ukrainer im
Osten) besetzt wird. Im 11. bzw. 12. Jh. entsteht ein Fürstentum G. (Galitsch).
G. gelangt im Spätmittelalter (1349/1387) an →Polen. 1772 wird das
östliche G. dem österreichischen Königreich G. und Lodomerien zugeteilt, 1795
kommen weitere Gebiete hinzu (→Westgalizien, für das 1797 ein Allgemeines
Bürgerliches Gesetzbuch erlassen wird). Hauptstadt von Galizien-Lodomerien ist
Lemberg. 1846 wird das seit 1815 selbständige Krakau annektiert und mit
Galizien-Lodomerien vereinigt, welches das größte Kronland Zisleithaniens ist. 1918
annektiert das wiedergebildete Polen G. Ostgalizien wird 1939 von der
Sowjetunion in Besitz genommen.
Lit.: Köbler, DRG 131; Köbler, Historisches Lexikon;
Baltl/Kocher; Stupnicki, H., Das Königreich Galizien und Lodomerien, 1853;
Pohl, D., Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien, 1996;
Röskau-Reidel, I., Galizien, Bukowina, Moldau, 1999; Bachmann, K., Ein Herd der
Feindschaft gegen Russland, 2001; Fellerer, J., Mehrsprachigkeit im galizischen
Verwaltungswesen, 2004; Struve, K., Bauern und Nation in Galizien, 2005; Maner,
H., Galizien, 2007; ; Wolff, L., The Idea of Galicia, 2010; Kuzmany, B., Brody,
2011
Gallicus →mos
Gallicus
Gallien (lat.
[F.] Gallia) ist das Gebiet zwischen Apennin und Alpen (Gallia citerior) und
seit Caesar (58-51 v. Chr.) das Land der Gallier zwischen Rhein, Alpen,
Mittelmeer, Pyrenäen und Atlantik (Gallia ulterior). Nach der Eroberung Galliens
durch die Römer (225-51 v. Chr.) wird G. romanisiert. Um 500 ist es fast
vollständig im Besitz der rasch romanisierten →Franken. →Frankreich
Lit.: Stroheker, K., Der senatorische Adel im spätantiken
Gallien, 1948 (5 bzw. 8 Namen von insgesamt 411 Personen); Lugge, M., Gallia
und Francia, 1960; Lerat, L., La Gaule romaine, 1977; Gallien in der
Spätantike, hg. v. Römisch-germanischen Zentralmuseum, 1980; Wightman, E.,
Gallia Belgica, 1985; King, A., Roman Gaul, 1990; Recht im
frühmittelalterlichen Gallien, hg. v. Siems, H. u. a., 1995; Woolf, G.,
Becoming Roman, 1998; Freyberger, B., Südgallien, 1999; Wierschowski, L.,
Fremde in Gallien, 2001; Botermann, H., Wie aus Galliern Römer wurden, 2005;
Mériaux, C., Gallia irradiata, 2006; Reddé, M., L’architecture de la Gaule
romaine, 2006
Galway an
einer irischen Atlantikbucht erscheint 1124 erstmals. Im 14. Jh. wird es Stadt.
1845 erlangt es eine Universität.
Gandinus (de
Gandino), Albertus (Crema/Lombardei um 1245-nach [?] 1311) wird nach dem
Rechtsstudium in Padua (1265-1275, Schüler Guido da Suzzaras) Richter in Lucca
(1281), Bologna (1284), Perugia (1286/1287), Florenz (1288), Bologna (1289,
1294/1295), Siena (1299) und Perugia (1300), 1305 Herr (Podestà) in Fermo und
1310 Höchstrichter in Florenz. Eine universitäre Tätigkeit übt er nicht aus. 1286/1287
veröffentlicht er eine in erster Fassung in Perugia verfasste Sammlung
berühmter Rechtsfragen (lat. libellus de maleficiis, vor allem des Odofredus
und des Guido da Suzzara), die erweitert und erstmals systematisiert (5
Verfahrensarten [lat. accusatio, denunciatio, inquisitio, exceptio, notorium],
gemeinsame Fragen dieser Verfahrensarten [Ladung, Stellvertretung, Bann u. s. w.], Strafrecht) 1299 in Siena und 1300
in Perugia erscheint, als (lat.) Tractatus (M.) de maleficiis (Abhandlung von
Verbrechen) bekannt ist und in Deutschland im 15. Jh. (→Klagspiegel, →Constitutio
Criminalis Bambergensis 1507) aufgenommen wird. Daneben stellt er (lat.)
Quaestiones (F.Pl.) statutorum (Fragen der Statuten) zusammen (Bologna 1289).
Lit.: Albertus Gandinus, Quaestiones, hg. v. Solmi, A, (in)
Bibliotheca Iuridica medii aevi 3, 1901, 155ff.; Kantorowicz, H., Albertus
Gandinus und das Strafrecht der Scholastik, 1907ff. (in Bd. 2 Ausgabe des Tractatus);
Kantorowicz, H., Geschichte des Gandinus-Textes, ZRG RA 42 (1921), 1, 43
(1922), 1; Kantorowicz, H., Leben und Schriften des Albertus Gandinus, ZRG RA
44 (1924), 224; Vallerani, M., La giustizia pubblica medievale, 2005; Lange,
H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 468
Ganerbe ist
der Angehörige einer rechtlich ungeteilten Erbengemeinschaft, insbesondere in
der Ritterschaft. Eine Ganerbschaft kann auch durch Vertrag begründet werden.
Ziel ist dabei die Erhaltung des Familienguts, weswegen eine Teilung oft nur
hinsichtlich der Nutzung erfolgt. Der Erhaltung dient auch die Begründung eines
→Familienfideikommisses. Trotz dessen Vordringens bestehen
ritterliche Ganerbschaften bis zum 19. Jh.
Lit.: Hübner 157f., 251, 429; Köbler, WAS; Wippermann, E.,
Über Ganerbschaften 1873; Zimmermann, J., Ritterschaftliche Ganerbschaften in
Rheinhessen, Diss. phil. Mainz, 1957; Alsdorf, F., Untersuchungen zur
Rechtsgestalt und Teilung der Ganerbenburgen, 1980
Gans,
Eduard (Berlin 23. 3. 1797-5. 5. 1839), aus alter norddeutscher jüdischer Hoffaktorenfamilie,
wird nach dem Studium von Rechtswissenschaft, Philosophie und Geschichte in
Berlin, Göttingen und Heidelberg (Promotion), Ablehnung der Zulassung zu
Lehrtätigkeit in Berlin (1822, Savigny) und nach der Taufe (1825) 1826 in
Berlin außerordentlicher, 1828 ordentlicher Professor für römisches und
bürgerliches Recht in Berlin (mit großem Zulauf). Im Streit mit →Savigny (u.
a. über Besitz) tritt er gegen die Erforschung geschichtlicher Einzelheiten und
für der Aufklärung verpflichtete philosophisch-universalgeschichtliche Studien
(Scholien zum Gajus 1819, Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung,
Bd. 1ff. 1824ff., Neudruck 1963) ein. Er betreibt Rechtsvergleichung und
vertritt Georg Willhelm Friedrich Hegels Philosophie. Einer seiner Schüler ist
Karl Marx.
Lit.: Reissner, H., Eduard Gans, 1965; Braun, J., Die „Lex
Gans“ – ein Kapitel aus der Geschichte der Judenemanzipation in Preußen, ZRG GA
102 (1985), 60; Eduard Gans, hg. v. Waszek, N., 1991; Deutsche Juristen
jüdischer Herkunft, hg. v. Heinrichs, H. u. a., 1993, 45; Braun, J., Judentum,
1997; Eduard Gans 1797-1839, hg. v. Blänkner, R. u. a., 2002; Gans, E.,
Naturrecht und Universalrechtsgeschichte, hg. v. Braun, J., 2005; Nielsen, E.,
Ehe, väterliche Gewalt und Testierfreiheit in „weltgeschichtlicher Betrachtung“,
2006; Gans, E., Briefe und Dokumente, hg. v. Brun, J., 2011
Ganshof, François-Louis (Brügge 14. 3. 1895-Brüssel 26. 6. 1980), Schüler Henri Pirennes,
Professor für mittelalterliche Geschichte in Gent (Was waren die
Kapitularien?, Was ist das Lehnswesen? 1961, 6. A. 1983)
Gant (F., zu lat. [in]
quantum, [zu] wieviel) ist im mittelalterlichen deutschen Recht die Versteigerung eines
(verpfändeten) Gegenstands im Wege der Zwangsvollstreckung. Sie entsteht in
der (oberdeutschen) Stadt (Zürich 1372, Leutkirch 1382, Bremgarten 1417,
Augsburg 1447, Nürnberg 1479, Freiburg im Breisgau 1520, Württemberg 1555,
Bayern 1611). Sie will die Selbsthilfe eindämmen und den Schuldner vor
übermäßigem Wertverlust sichern. Zu diesem Zweck werden besondere Gantordnungen
(z. B. Augsburg 1447) erlassen. Danach muss das vom Büttel oder Fronboten
verwahrte (bewegliche) Pfand öffentlich zum Kauf angeboten und an den
Meistbietenden gegen Barzahlung ausgehändigt werden. Im 19. Jh. unterliegt
die G. dem Konkurs.
Lit.: Köbler, DRG 116; Planitz, H., Die Vermögensvollstreckung,
Bd. 1 1912, 680; Leisner, L., Das bayerische Gantrecht, 1971; Bornhorst, R.,
Das bayerische Insolvenzrecht im 19. Jahrhundert, 2002; Spann, M., Der
Haftungszugriff auf den Schuldner, 2004
Garantie ist
die einem anderen gegenüber abgegebene Beteuerung der Richtigkeit einer
Erklärung. Sachlich wirkt sich der Gedanke der G. bereits in der (lat. [F.])
custodia des römischen Rechtes aus. Als eigener Vertrag erscheint der
Garantievertrag wohl erst im 20. Jh.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Mager, U., Einrichtungsgarantien,
2003
Garantismus ist eine Form des Wohlfahrtsstaats,
bei der ein Grundeinkommen garantiert wird.
Lit.: Opielka, M., Sozialpolitik,
2004
García Goyena,
Florencio (1783-1835) wird nach dem Rechtsstudium in Madrid und Salamanca
Verwaltungsbeamter, Richter und Justizminister (1847). 1851 legt er einen an
Frankreich, Preußen und Österreich orientierten, das partikulare Recht Spaniens
missachtenden Entwurf eines (span.) Codigo civil (Zivilgesetzbuchs) vor. Erst
1888/9 gelingt ein spanisches Zivilgesetzbuch.
Lit.: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
3,1,497
Gareis,
Karl (Bamberg 24. 4. 1844-München 15. 1. 1923) wird nach dem Rechtsstudium
Professor in Bern, Gießen, Königsberg und München (Das deutsche Handelsrecht,
9. A. 1909, Enzyklopädie und Methodologie der Rechtswissenschaft, 5. A. 1920).
Lit.: Schwab, D., Geschichtliches Recht und moderne Zeiten,
FS H. Hübner, 1984, 215; Rehbinder, M., Karl Gareis und Felix Dahn zur Theorie
des Urheberrechts (in) Gedächtnissschrift Herbert Hofmeister, 1996, 621
Garsten ist die im Siedlungsgebiet der Bayern 985
urkundlich erwähnte spätere Marktgemeinde Oberösterreichs, in der 1107 ein 1787
aufgelöstes Benediktinerkloster errichtet wird, aus dem zwei Traditionsbücher
des späteren 12. Jh.s bekannt sind.
Lit.: Haider, S., Studien zu den
Traditionsbüchern des Klosters Garsten, 2008
Garten ist
das durch Hecke oder Zaun abgegrenzte, intensiv durch Pflanzenanbau
bewirtschaftete Grundstück. Da der G. die Allgemeinheit von der Mitbenutzung
ausschließt, bedarf seine Einrichtung zeitweise der Zustimmung der
Grundherrschaft oder Gemeinde.
Lit.: Bader, K., Gartenrecht, ZRG GA 75 (1958), 252;
Weymuth, H., Erscheinungsformen und Bedeutungen der extramuralen Rechtsbereiche
nordostschweizerischer Städte, Diss. jur. Zürich 1967
Gas ist der Zustand eines Körpers und der Körper,
in dem sich alle Moleküle vollkommen frei bewegen und der Körper jeden
verfügbaren Raum vollständig und gleichmäßig ausfüllt.
Lit.: L’industrie du gaz en
Europe, hg. v. Paquier, S. u. a., 2005; Auf der Suche nach Eden, hg. v.
Stolberg, E., 2008
Gascogne im
Südwesten des Frankenreichs ist ein nach den mit den Basken verwandten Wasconen
benanntes, seit 768 selbständiges Herzogtum, das 1052 an Aquitanien fällt.
Lit.: Histoire de la Gascogne, hg. v. Bordes, M., 1978
Gasparri,
Pietro (Ussita 5. 5. 1852-Rom 18. 11. 1934) wird nach der Ausbildung in Rom
Doktor der Philosophie, Theologie und Kanonistik, 1880 Professor für
kanonisches Recht und 1901 Sekretär einer Kurienkongregation. Auf seine
Anregung, ein neues kirchliches Gesetzbuch zu schaffen, ernennt ihn Papst Pius
X. 1904 zum Sekretär der für die Gesetzgebung eingerichteten Kardinalskommission.
1917 wird der von ihr erarbeitete →Codex iuris canonici veröffentlicht.
Lit.: Stickler, A., Historia iuris canonici latini, Bd. 1
1950, 376; Müller, A./Elsener, F./Huizing, P., Vom Kirchenrecht zur
Kirchenordnung?, 1968, 29
Gast ist der
in den Schutz eines Gastgebers aufgenommene Mensch, insbesondere der Fremde.
Für ihn entwickeln sich schon früh einige besondere Rechtssätze.
Lit.: Kaser § 13 I 2b; Köbler, DRG 15; Rudorff, H., Zur
Rechtsstellung der Gäste im mittelalterlichen städtischen Prozess, 1907;
Schultze, A., Über Gästerecht und Gastgerichte, HZ 101 (1908), 473; Hellmuth,
L., Gastfreundschaft und Gastrecht bei den Germanen, 1984; Peyer, H., Von der
Gastfreundschaft zum Gasthaus, 1987; Hartmann, J., Staatszeremoniell, 1988, 4.
A. 2007; Berger, J., Die Geschichte der Gastfreundschaft im
hochmittelalterlichem Mönchtum 1999; Stein-Hölkeskamp, E., Das römische
Gastmahl, 2005
Gastalde (zu lang. *gastald Erwerb, Gewinn?) ist im
frühmittelalterlichen Italien der vielleicht um 590 (584?) geschaffene
langobardische Amtsträger teils des Königs, teils der Herzöge. Er bleibt in
Oberitalien trotz der teilweisen Umwandlung in den Grafen bis in das
Hochmittelalter bedeutsam.
Lit.: Schneider, F., Die Reichsverwaltung der Toscana,
1914; Mor, C., Lo stato longobardo nel VII secolo, Sett. di Spoleto V 1969, Bd.
1, 271; Conti, P., Il ducato di Spoleto, 1982; Priester, K., Geschichte der
Langobarden, 2004
Gaster
Lit.: Gmür, E., Rechtsgeschichte
der Landschaft Gaster, 1905
Gastung ist
die einem →Gast meist auf Grund einer Verpflichtung zu erbringende
Leistung.
Lit.: Brühl, C., Fodrum, gistum, servitium regis, Bd. 1f.
1968
Gastwirt ist der geschäftsmäßig andere Menschen
beherbergende und mit Speisen und Getränken bedienende Unternehmer. Für ihn
gilt bereits im römischen Recht das wohl aus Vertragsgewohnheit entstandene besondere
(lat. [N.]) receptum nautarum cauponum et stabulariorum, das der Gefährdung
der vielfach fremden Gäste durch den bodenständigen G. Rechnung trägt. Der geschädigte
Gast hat die (lat.) actio de recepto. Den nach Aufnahme des römischen Rechtes
entwickelten gemeinrechtlichen Lehren folgend wird am Ende des 19. Jh.s noch
eine vertragliche Haftung angenommen, später die Haftung als gesetzlich
angesehen.
Lit.: Immenhauser, M., Das Dogma
von Vertrag und Delikt, 2006; Zimmermann, R., Geschichte der Gastwirtshaftung
in Deutschland, (in) Usus modernus pandectarum, 2007, 271ff.; Hellwege, P., Der
formularmäßige Ausschluss der Haftung der Gastwirte, ZNR 2007, 240ff.; Girtler,
R., Herrschaften wünschen zahlen, 2008
Gatterzins ist in Mittelalter und früher Neuzeit der vom Zinsberechtigten am Zaun
(Gatter) des Zinspflichtigen (Freien) abzuholende Zins.
Gattungskauf ist
der →Kauf einer nur der Gattung nach bestimmten Sache. Er ist dem
römischen Recht erst in der Form des Kaufes einer zu einem Vorrat gehörigen
Sache bekannt.
Lit.: Kaser § 41 II 2; Ernst, W., Gattungskauf und
Lieferungskauf, ZRG RA 114 (1997), 272; Ernst, W., Kurze Rechtsgeschichte des
Gattungskaufs, ZEuP 1999
Gattungsschuld ist die bereits dem römischen Recht bekannte, auf die
Leistung eines nur der Gattung (lat. [N.] genus) nach bestimmten Gegenstands
gerichtete →Schuld. Bei ihr trägt die Gefahr des zufälligen Untergangs
der Schuldner, der so lange leisten muss, wie die Gattung nicht erschöpft ist ([lat.]
genus non perit bzw. →genus perire non censetur, Gattung geht nicht
unter).
Lit.: Kaser § 34 III 2
Gau ist die
als besondere Einheit angesehene kleinere (, wasserreiche, siedlungsgünstige)
Landschaft (lat. [M.] pagus, z. B. Aargau, Breisgau, Pongau, Rheingau, Thurgau,
in den Quellen bis zum 12. Jh. etwa 150 von insgesamt 500 Landschaftsnamen).
Sie hat insbesondere im Frühmittelalter Bedeutung, in dem der G. nach
umstrittener Ansicht den örtlichen Tätigkeitsbereich eines →Grafen (lat.
comes, →comitatus) bezeichnet, ohne dass auch in nur einem einzigen Fall
die Deckungsgleichheit der Gauangaben der Quellen und der jeweils gegebenen
Bezirke der Grafen erwiesen und ohne dass von einem lückenlosen unveränderlichen
Netz von Gauen ausgegangen werden kann. Es lassen sich mehrere Grafschaften
innerhalb eines pagus und verschiedene pagi innerhalb einer Grafschaft
nachweisen. Im Dritten Reich wird - vorbereitet durch die Romantik des 19. Jh.s
- vor allem ab 1928 der G. unter einem Gauleiter künstlich wiederbelebt (Baden,
bayerische Ostmark, Berlin, Düsseldorf, Essen, Franken, Halle-Merseburg,
Hamburg, Hessen-Nassau, Koblenz-Trier/Moselland, Köln-Aachen, Kurhessen,
Kurmark, Magdeburg-Anhalt, Mainfranken, Mecklenburg, München-Oberbayern,
Ost-Hannover, Ostpreußen, Pommern, Saarpfalz/Westmark, Sachsen, Schlesien,
Schleswig-Holstein, Schwaben, Süd-Hannover-Braunschweig, Thüringen, Weser-Ems,
Westfalen-Nord, Westfalen-Süd, Württemberg-Hohenzollern, (1939) Kärnten, Niederdonau,
Oberdonau, Salzburg, Steiermark, Tirol-Vorarlberg, Wien, Sudetenland,
Danzig-Westpreußen, Wartheland).
Lit.: Köbler, WAS; Baumann, F., Die Gaugrafschaften im
Wirtembergischen Schwaben, 1879; Curs, O., Deutschlands Gaue im 10.
Jahrhundert, Diss. phil. Göttingen 1908; Werneburg, R., Gau, Grafschaft und
Herrschaft in Sachsen, 1910; Bauer, A., Gau und Grafschaft in Schwaben, 1927;
Prinz, J., Pagus und comitatus in den Urkunden der Karolinger, AUF 17 (1941),
329; Bohnenberger, K., Frühalemannische Landstrichsnamen, Z. f. württ.
Landesgesch. 7 (1943), 99; Bohnenberger, K., Landstrichs- und Gebietsbezeichnungen
in den südwestdeutschen Urkunden des 8.-10. Jahrhunderts, ZGO N. F. 56 (1943),
1; Hamm, E., Herzogs- und Königsgut, Gau und Grafschaft im
frühmittelalterlichen Bayern, Diss. phil. München 1949 (masch.schr.); Krüger,
S., Studien zur sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Jahrhundert, 1950; Metz,
W., Bemerkungen über Provinz und Gau, ZRG GA 73 (1956), 361; Diepolder, G., Die
Orts- und in-pago-Nennungen im bayrischen Stammesherzogtum, Z. f. bay. LG. 20
(1957), 364; Hessler, W., Mitteldeutsche Gaue, 1957; Polenz, P. v.,
Landschafts- und Bezirksnamen im frühmittelalterlichen Deutschland, 1961;
Wagner, G., Die Verwaltungsgliederung im karolingischen Reich, 1963; Niemeyer,
W., Der pagus des frühen Mittelalters in Hessen, 1968; Hüttenberger, P., Die
Gauleiter, 1969; Nonn, U., Pagus und comitatus in Niederlothringen, 1983;
Borgolte, M., Geschichte der Grafschaften Alemanniens, 1984; Puhl, R., Die Gaue
und Grafschaften des frühen Mittelalters im Saar-Mosel-Raum, 1999; Bauer, T.,
DIe mittelalterlichen Gaue, 2000; Rumschöttel, H./Ziegler, W., Staat und Gaue
in der NS-Zeit in Bayern, 2003; Springer, M., Die Sachsen, 2004; Die NS-Gaue,
hg. v. John, J. u. a., 2007
Gaudenzi →Fragmenta
Gaudenziana
Gauner ist
die vielleicht auf Ionier (Griechen) anspielende, aus dem Westjiddischen
kommende Bezeichnung (16. Jh., lat. Liber vagatorum 1510) für Spieler oder Straftäter,
die zeitweise eine aus unterschiedlichen Gegebenheiten erwachsende Schicht von
nichtsesshaften Rechtsbrechern bilden, die im 18. und 19. Jh. eine gewisse
Dichte erreicht.
Lit.: Ave-Lallemant, F., Das deutsche Gaunertum, Bd. 1ff.
1858ff.; Frauenstädt, P., Das Gaunertum des deutschen Mittelalters, Z. f. d.
ges. StrafRWiss. 18 (1898), 331; Günther, L., Die deutsche Gaunersprache, 1919;
Radbruch, G./Gwinner, H., Geschichte des Verbrechens, 1951, 291; Küther, C.,
Räuber und Gauner in Deutschland, 1976; Schubert, E., Arme Leute, Bettler und
Gauner, 1983; Jütte, R., Abbild und soziale Wirklichkeit, 1988; Blauert,
A./Wiebel, E., Gauner- und Diebslisten, 2001; Danker, U., Die Geschichte der
Räuber und Gauner, 2001; Härter, K., Policey und Strafjustiz in Kurmainz, 2005
Gebärde ist
die eine innerliche Einstellung ausdrückende äußerliche Haltung eines Menschen,
insbesondere des Gesichts und der Hände. Bestimmte Gebärden können in
bestimmter Umgebung eine rechtliche Bedeutung haben (z. B. Erheben der Schwurhand
bei einem Eid). Der schwierigen Untersuchung rechtsgeschichtlicher Gebärden
widmet sich die Rechtsarchäologie.
Lit.: Sittl, C., Die Gebärden, 1890; Grimm, J., Deutsche
Rechtsaltertümer, 1828, 4. A. 1899ff., Neudruck 1922, 1989, 1994; Amira, K. v.,
Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, 1905; Panzer,
M., Tanz und Recht, 1938; Künßberg, E. Frhr. v., Schwurgebärde und
Schwurfingerdeutung, 1941; Schwerin, C. Frhr. v., Einführung in die
Rechtsarchäologie, 1943; Garnier, F., Le langage de l’image, 1981; Schmidt-Wiegand,
R., Gebärdensprache im mittelalterlichen Recht, Frühmittelalterl. Studien 16
(1982), 363; Köbler, G., Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte, 1988; Schmidt,
J., Die Logik der Gesten, 1992; Kocher, G., Zeichen und Symbole des Rechts,
1992; Kresse, D./Feldmann, G., Handbuch der Gesten, 1999
Gebäude ist
das von Menschen geschaffene Bauwerk. Es ist im älteren deutschen Recht Fahrnis
und kann daher einen anderen Eigentümer haben als das Grundstück, auf dem es
errichtet ist. Mit der Aufnahme des römischen, auch besondere Gebäudeservituten
kennenden Rechtes seit dem Spätmittelalter wird es mehr und mehr als
wesentlicher Bestandteil des Grundstücks angesehen. Seit dem 17. Jh. wirkt sich
das →Baurecht immer stärker auf die Errichtung von Gebäuden aus.
Lit.: Hübner 188f.
Gebietsgemeinde ist die auf ein (größeres) Gebiet bezogene Gemeinde (z. B. österreichisches
provisorisches Gemeindegesetz vom 17. 3. 1849, später wieder aufgegeben).
Geblütsrecht ist
das auf Grund der Verwandtschaft bestehende Recht oder Anrecht auf einen
Gegenstand. In Bezug auf das deutsche Königtum kann sich ein G. gegenüber dem
Wahlgrundsatz nicht entscheidend durchsetzen. Dagegen steigert sich in den
Ländern das G. sogar zum Erbrecht (Erbmonarchie).
Lit.: Mitteis, H., Die deutsche Königswahl, 1938, 2. unv. A.
1944, Neudruck 1965, 1981, 28; Rörig, F., Geblütsrecht und freie Wahl, Abh. d.
Akad. d. Wiss. Berlin, 1948
Gebot ist
die hoheitliche Anordnung eines bestimmten Verhaltens (, im Zivilverfahrensrecht
im Rahmen der Zwangsvollstreckung das Angebot zu einem öffentlichrechtlichen
Vertrag). Das G. findet sich, wo immer Hoheitsgewalt besteht. Seine besondere
Bedeutung zeigt sich bei der Entstehung des →Staates.
Lit.: Köbler, DRG 139; Willoweit, D., Gebot und Verbot im
Spätmittelalter, Hess. Jb. f. LG. 30 (1980), 94; Simon, T., Grundherrschaft und
Vogtei, 1995; Schildt, B., Bauer, Gemeinde, Nachbarschaft, 1996
Gebotenes Ding ist
das durch einzelnes →Gebot besonders festgesetzte →Ding.
Gebotsgewalt ist die Gewalt zum Erlass von Geboten.
Gebrauch (lat.) usus (M.)
Gebrauchsmuster ist die Gestaltung einer Arbeitsgerätschaft oder eines
Gebrauchsgegenstands oder eines Teiles davon, die dem Arbeitszweck oder Gebrauchszweck
durch eine neue Gestaltung, Anordnung oder Vorrichtung dienen soll. In
Deutschland wird 1876 bzw. 1891 das erste Gebrauchsmustergesetz erlassen.
Lit.: Müller, E., Die Entwicklung des Erfindungsschutzes,
1898
Gebühr ist
die Geldleistung, die als Gegenleistung für eine besondere, vom Einzelnen
veranlasste Inanspruchnahme der Verwaltung verlangt wird (Otto Mayer 1895). Eine
solche Gegenleistung ist als (lat. [F.]) sportula bereits dem römischen Recht
bekannt. Im Mittelalter entwickeln die Landesherren, auf welche die Regalien
übergehen, und die Grundherren vielfältige Einnahmequellen. Auch die Kirche
verlangt für bestimmte Handlungen Gegenleistungen, selbst für den besonderen
Sündenerlass. Eine eindeutige Trennung zwischen G. und Steuer vollzieht erst
das späte 19. Jh. (Preußen Landgemeindeordnung vom 3. 7. 1891,
Kommunalabgabengesetz vom 14. 7. 1893). In gewisser Weise spiegelt die G. die
Geschichte des Staates, seiner Finanzierung und Verrechtlichung wider.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 36 II 4; Moll, W., Über
Gebühren, 1916; Domschke, M., Der Gebührenbegriff, 1928; Waitz, H., Die
Entwicklung des Begriffs der Regalien, Diss. jur. Frankfurt am Main 1939;
Hansmeyer, K./Fürst, D., Die Gebühr, 1968; Sackofsky, U., Umweltschutz durch
nichtsteuerliche Abgaben, 2000; Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, hg. v.
Sackofsky, U. u. 1., 2000
Gebundener Tag ist (im Mittelalter) ein bestimmte rechtlich bedeutsame Handlungen
ausschließender Tag (z. B. Sonntag), vgl. Sachsenspiegel Landrecht II 66,2).
Geburt (Wort bereits für das Germanische zu erschließen) ist der Vorgang, durch den die Leibesfrucht des Menschen
(oder eines höheren Tieres) aus dem mütterlichen Körper an die Außenwelt
gelangt. Nach dem römischen Recht wird zwar das noch ungeborene Kind (lat. →nasciturus)
für die Erbfolge nach seinem Vater als bereits geboren fingiert, doch beginnt
im Übrigen erst mit der G. die →Rechtsfähigkeit. Nach (germanischem? und)
mittelalterlichem Recht muss das Kind nach der G. vom Vater bzw. der Familie
besonders aufgenommen werden. Verschiedentlich wird auch eine gewisse
Lebenskraft als Voraussetzung für einen Rechtserwerb verlangt. Für die
christliche Kirche wird der Mensch erst durch die Taufe zur Person. Seit etwa
1800 wird die G. (auf bestimmtem Gebiet oder von bestimmten Eltern) für den
Erwerb der Staatsangehörigkeit wichtig. In Deutschland führt das Reichspersonenstandsgesetz
vom 6. Februar 1875 die öffentliche Beurkundung jeder G. durch den
Standesbeamten ein. Nach § 1 BGB (1896/1900) beginnt mit Vollendung der Geburt
die Rechtsfähigkeit.
Lit.: Kaser § 13 II; Hübner § 6; Köbler, DRG 75, 120, 129;
Brunner, H., Die Geburt eines lebenden Kindes und das eheliche Vermögensrecht,
ZRG GA 16 (1895), 63; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, 248,
253; Peters, R., Der Schutz des neugeborenen, insbeondere des missgebildeten
Kindes, 1988; Labouvie, E., Andere Umstände, 1998, 2. A. 2000; Uebe, A., Die
rechtliche Situation der Hebammen in der Geburtshilfe, 2000; Schumann, E., Unrechtsausgleich
im Frühmittelalter, ungedr. Habilitationsschrift Leipzig 2003; Drescher, T.,
Beginn des Menschseins, 2004; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Schlumbohm, J., Lebendige Phantome
- Ein Entbindungshospital, 2012 (Göttingen 1751)
Geburtenregister ist das durch das Konzil von Trient (1545-63) in der Kirche
vorgesehene, die →Geburten festhaltende Verzeichnis. Es geht am Ende des
19. Jh.s auf den Staat über (→Personenstandsgesetz).
Geburtsstand ist
im römischen und mittelalterlichen Recht der durch die →Geburt erworbene
Stand (z. B. Adliger, Freier, Unfreier, Sklave).
Gedächtniszeuge ist der bewusst beigezogene Zeuge im Gegensatz zum zufälligen Zeugen.
Gedanken sind frei.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 123 (Franck 1541)
Gedinge ist
im mittelalterlichen Recht die Vereinbarung oder auch die Verhandlung. In
Frankreich und England wird im 12. Jh. der Vereinbarung der Vorrang vor dem
allgemeinen Recht gewährt (G. bricht Landrecht), in Deutschland anscheinend im
14. Jh.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, WAS; Stölzel, A., Geding,
Appellation, Hof, Hofgericht und Räte, Abschied und Urteil, 1912; Hagemann, H.,
Gedinge bricht Landrecht, ZRG 87 (1970), 114
Gefahr (Wort um 1275 im Schwabenspiegel) ist
die Wahrscheinlich→keit des Eintritts eines Schadens. Grundsätzlich muss
jeder Mensch sich selbst vor Schäden schützen, weshalb im römischen Recht der
Grundsatz gilt (lat.) casum sentit dominus (den Fall spürt der Herr). Vor der
G. des Verfahrensverlustes durch Verfahrensfehler soll im hochmittelalterlichen
Recht der →Fürsprech schützen. Beim Kauf teilt das römische Recht die G.
(lat. [N.] periculum) des zufälligen Untergangs der Kaufsache zwischen
Kaufvertragsabschluss und Vertragserfüllung grundsätzlich dem Käufer zu, der
den Kaufpreis zahlen muss, obwohl er wegen Freiwerdens des Schuldners von der
Leistungspflicht die Kaufsache nicht erhält (periculum est emptoris,
Preisgefahr).
Lit.: Kaser §§ 34, 41, 42, 62; Siegel, H., Die Gefahr vor
Gericht und im Rechtsgang, SB. d. Akad. d. Wiss. Wien 51, 1866; Mitteis, H.,
Rechtsfolgen des Leistungsverzugs beim Kaufvertrag, 1913; Ernst, W., Das
klassische römische Recht der Gefahrtragung, Diss. jur. Bonn 1981; Bauer, M.,
Periculum emptoris, 1998; Pennitz, M., Das periculum rei venditae, 2000; Müller,
C., Gefahrtragung bei der locatio conductio, 2002; Köbler, U., Werden, Wandel
und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gefährdung (1794) ist die Schaffung der Möglichkeit eines Schadenseintritts.
Lit. Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gefährdungshaftung (Rümelin 1896) ist das einseitig verpflichtende gesetzliche
Schuldverhältnis, in dessen Rahmen der Schaden zu ersetzen ist, der durch eine
erlaubte, abstrakt gefährliche Betätigung oder Anlage entsteht. Die G. ist eine
Art der Erfolgshaftung. Einzelne Fälle von E. kennt bereits das ältere Recht.
Die Erfolgshaftung entsteht als G. in der Zeit, in der sich auf der Grundlage
des Liberalismus der Verschuldensgrundsatz des Schadensersatzrechts
durchsetzt. Beispielhaft verwirklicht wird die G. durch den von Friedrich Carl
von Savigny mittels eines schriftlichen Votums fördernd beeinflussten § 25 des
preußischen Eisenbahngesetzes vom 3. 11. 1838. Mit der
sozialversicherungsrechtlichen Lösung der Haftung bei Arbeitsunfall durch
pauschale Versicherungsbeiträge des Arbeitgebers schwindet das Bedürfnis nach
einer allgemeinen Regelung der G. Diese wird Einzelgesetzen überlassen (1871
Reichshaftpflichtgesetz, 1900 Wildschaden, Tierhaltung [im BGB, 30. 5. 1908
gemildert], 1909 Automobilgesetz/Kraftverkehrsgesetz, 1. 8. 1922 Luftfahrzeuge,
29. 4. 1940 Sachschäden durch Eisenbahn und Straßenbahn, 15. 8. 1943
Energieanlagen, 1957 Wasserhaushaltsgesetz, 1959 Atomgesetz, 1961 Arzneimittelgesetz
1961, 1980 Bundesberggesetz, 1989/1990 Produkthaftungsgesetz, 1990 Bundesdatenschutzgesetz,
1990 Gentechnikgesetz, 1991 Umwelthaftungsgesetz, 2007 Umweltschadensgesetz).
In der Regel ist der Umfang der Haftung summenmäßig beschränkt. Ausgeschlossen
ist die G. meist bei höherer Gewalt oder Verschulden des Geschädigten.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 216, 242; Ogorek,
R., Untersuchungen zur Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1975; Baums, T., Die
Einführung der Gefährdungshaftung durch F. C. von Savigny, ZRG GA 104 (1987),
277; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 2 1989, 524ff.; Gadow, O. v., Die
Zähmung des Automobils, 2002; Jansen, N., Die Struktur des Haftungsrechts,
2003; Bürge, A., Die Entstehung und Begründung der Gefährdungshaftung im 19.
Jahrhundert, FS Canaris 2007; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gefahrenabwehr →Gefahr, →Polizei
Gefahrgeneigte Tätigkeit
ist im 20. Jh. in Deutschland die Tätigkeit eines Arbeitnehmers, die mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden des Arbeitnehmers, Arbeitgebers
oder eines Dritten führt, für die der Schädigende aus sozialen Gründen nicht
nach den allgemeinen Haftungsgrundsätzen einstehen soll, so dass der
Arbeitgeber ohne Verschulden einstehen muss. 1995 dehnt das
Bundesarbeitsgericht diese Risikoverteilung auf alle Arbeitsverhältnisse aus,
so dass die g. T. als solche überflüssig wird.
Lit.: Köbler, G., Mittlere Fahrlässigkeit und dogmatische
Einordnung der Arbeitnehmerhaftung, AcP 1969, 404; Ehrenberg, S., Die
rechtshistorischen Wurzeln des Begriffs der gefahrgeneigten Arbeit, Diss. jur.
Frankfurt am Main 1998; Brandt, P., Geschichtliche Entwicklung, 1998
Gefahrtragung (Tragung der Leistungsgefahr bzw. Preisgefahr) →Gefahr
Lit.: Heuer, P., Der Annahmeverzug, 1911; Thielmann, G., Traditio
und Gefahrübergang, ZRG RA 106 (1989), 292; Bauer, M., Periculum emptoris, 1998
Gefahrübergang ist der Übergang der Gefahr der Tragung eines Verlusts von
einer Person auf eine andere Person (z. B. bei einem Kauf).
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Gefälle sind
im mittelalterlichen deutschen Recht Abgaben auf der Seite des Leistenden und
Einkünfte auf der Seite des Empfängers.
Lit.: Kroeschell, DRG 2
Gefangenenbefreiung
Lit.:
Hofmann, H., Die Gefangenenbefreiung, 1903
Gefangener ist der gegen seinen Willen von anderen von der Bewegungsfreiheit ausgeschlossene
Mensch (z. B. Kriegsgefangener, Strafgefangener).
Gefängnis (13. Jh. „Gefangennahme, Gefangenschaft“) ist das für einen
meist hoheitlich angeordneten Freiheitsentzug eines Menschen verwendete Gebäude
und der für den Betroffenen dort entstehende Zustand. Im Gegensatz zu dem
deutlich älteren Freiheitsentzug durch Kriegsgefangenschaft oder zur
Untersuchung wird der auch in Rom unbekannte Freiheitsentzug als Strafe (in
vergitterten Gebäuden) erst zwischen 1250 und dem 15. Jh. bedeutsamer (z. B.
Venedig, Florenz, Bologna, Siena). Das seit etwa 1400 verbreitete G. dieser
Zeit ist einfach und zumindest teilweise unmenschlich, wogegen sich erstmals
John Howard ([engl.] State of prisons in England and Wales, 1777, Der Zustand
der Gefängnisse in England und Wales) wendet. Mit dem Allgemeinen Landrecht
Preußens (1794) wird die Freiheitsstrafe wichtigste Strafe. Am 7. 6. 1923
vereinbaren die Länder des Deutschen Reiches Grundsätze für den Vollzug von
Freiheitsstrafen. Einzelne Ansätze zu einer beschränkten Gefangenenmitverantwortung
verdichten sich nur allmählich. 1969 wird das G. verbal beseitigt (Justizvollzugsanstalt).
Lit.: Köbler, DRG 205; Quanter, R., Deutsches Zuchthaus-
und Gefängniswesen, 1905, Neudruck 1970; Bohne, G., Die Freiheitsstrafe, Bd.
1f. 1922ff.; Hippel, R. v., Deutsches Strafrecht, Bd. 1 1925; Appenzeller, G.,
Strafvollzug und Gefängniswesen im Kanton Solothurn, 1957; Blesken, H., Ältere
deutsche Gefängnisnamen, ZRG GA 80 (1963), 357; Foucault, M., Überwachen und
Strafen, 1976; Lawn, E., Gefangenschaft, 1977; Zwicky, J., Das Gefängniswesen
zur Zeit der Helvetik, Diss. jur. Zürich 1982; The Oxford History of the
Prison, ed. by Morris, N., 1996; Schildt, B., Tumult und Aufruhr in Bernburg,
(in) Rechtsgeschichte in Halle, hg. v. Lieberwirth, R., 1998, 53; Krause, J.,
Gefängnisse im römischen Reich, 1996; Krause, T., Geschichte des deutschen Strafvollzugs,
1999; Sidorowitz, M., H. B. Wagenitz und die Reform des Vollzuges der
Freiheitsstrafe an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, 2000; Nutz, T.,
Strafanstalt als Besserungsmaschine, 2001; Dunbabin, J., Captivity and
Imprisonment in Medieval Europe 1000-1300, 2002; Gefängnis und Gesellschaft,
hg. v. Ammerer, G., 2003; Breßler, S., Schuldknechtschaft und Schuldturm,
2004; Schäfer, J., Nicht-monetäre Entlohnung von Gefangenenarbeit, 2006;
Ohlemann, K., Historische Entwicklung der Gefangenenmitverantwortung in den
deutschen Gefängnissen, 2007; Bretschneider, F., Gefangene Gesellschaft, 2008; Rosenblum,
W., Beyond the Prison Gates, 2008; Geltner, G., The Medieval Prison, 2008;
Maes, E., Van gevangenisstraf naar vrijheidsstraf, 2009
Geffcken, Heinrich Otto Wilhelm (Berlin 27. 6. 1865-Köln 5. 2. 1916) wird nach
dem Studium von Geschichte und Rechtswissenschaft in Freiburg im Breisgau,
Leipzig (Friedberg, Sohm) und Berlin, der Promotion (1890, 1892) und der
Habilitation (1894) 1898 Professor in Rostock, 1903 der Handelshochschule
Köln.
Gefolgschaft (19. Jh.) ist im germanischen Recht möglicherweise die Gruppe (lat.
[M.] comitatus, Begleitung) um einen Adligen gescharter junger Krieger
(Tacitus, Germania c. 13, 14). Die Verbindung zu jüngeren Erscheinungen (z. B.
Vasallität) ist ungesichert. Weiterreichende Vorstellungen (Georg Waitz 1844,
Otto von Gierke 1868, Heinrich Brunner 1906, Richard Schröder 1932) sind fragwürdig.
Lit.: Brunner, H., Zur Geschichte des fränkischen
Gefolgswesens, ZRG GA 9 (1888), 210; Seeck, O., Das deutsche Gefolgswesen auf
römischem Boden, ZRG GA 17 (1896), 97; Kienle, R. v., Germanische
Gemeinschaftsformen, 1939; Naumann, H., Germanisches Gefolgschaftswesen, 1939;
Rehfeldt, B., König, Gefolgschaft und Volk im germanischen Altertum, 1942; Bretschneider,
G., Die altnordische Gefolgschaft, Diss. jur. Bonn 1950; Schlesinger, W.,
Herrschaft und Gefolgschaft in der deutschen Verfassungsgeschichte, HZ 176
(1953), 225; Kuhn, H., Die Grenzen der germanischen Gefolgschaft, ZRG GA 77
(1960), 1; Kroeschell, K., Haus und Herrschaft im frühen deutschen Recht, 1968;
Olberg, G. v., Freie, Nachbarn und Gefolgsleute, 1983; Kristensen, A., Tacitus’
germanische Gefolgschaft, 1983; Kroeschell, K., Studien zum frühen und
mittelalterlichen deutschen Recht, 1995, 183
Gegen den Lügner gibt es keine Redlichkeit. →Lüge
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 231 (Graf/Dietherr 1864)
Gegenkönig ist der nach Abschwächung des frühmittelalterlichen Geblütsrechts und
vor Verfestigung des spätmittelalterlichen Wahlrechts gegenüber einem
gewählten König gewählte zweite König des 11. bis 14. Jh.s (Rudolf von Rheinfelden
1077, Hermann von Salm 1081, Konrad von Franken 1127, Friedrich II. 1212,
Heinrich Raspe 1246, Wilhelm von Holland 1248, Alfons von Kastilien 1257, Karl
IV. 1346, Günther von Schwarzburg 1349).
Lit.:
Mitteis, H., Die deutsche Königswahl, 1938, 2. unv. A. 1944; Muylkens, M., Reges geminati -
Die Gegenkönige in der Zeit Heinrichs IV., 2012
Gegenpapst ist der gegenüber einem gewählten Papst gewählte zweite Papst (lat. antipapa
1127, etwa 25-40).
Lit.:
Anastasio, L., Istoria degli Antipapi, 1754
Gegenreformation (Johann Stephan Pütter, Leopold von Ranke) ist die mit Hilfe
staatlicher Gewalt (Religionsbann, lat. ius reformandi) ausgeführte Gegenbewegung
der katholischen Kirche gegen die kirchliche Reformation Martin →Luthers
(1517) zwischen 1555 und 1648 bzw. die gewaltsame Rekatholisierung protestantisch
gewordener Gebiete hauptsächlich durch Jesuiten (im sog. Zeitalter der Konfessionalisierung).
Sie beruht gedanklich auf dem im Augsburger Religionsfrieden gesicherten Grundsatz
(lat.) →cuius regio, eius religio. Sie wirkt sich deutlich in Bayern,
Fulda, Würzburg, Österreich (Böhmen, Oberösterreich, Niederösterreich),
Oberpfalz und Kurpfalz aus, bis der Friede von Münster und Osnabrück 1648 den
Untertanen den Bekenntnisstand des Jahres 1624 gewährt. In Spanien, Italien
und Frankreich, Ungarn, Polen und dem Baltikum ist die dem Absolutismus
verbundene G. ebenfalls erfolgreich, in England, den Niederlanden und
Skandinavien scheitert sie. Die von der Kirche in der G. in Anspruch genommene
Hilfe des Staates bewirkt das Staatskirchentum des Absolutismus.
Lit.: Köbler, DRG 130; Elkan, A., Entstehung und
Entwicklung des Begriffs Gegenreformation, HZ 112 (1914), 473; Brandi, K.,
Gegenreformation und Religionskriege, 1930, 2. A. 1941; Zeeden, E., Das
Zeitalter der Gegenreformation, 1967; Die Territorien des Reiches im Zeitalter
der Reformation und Konfessionalisierung 1500-1650, hg. v. Schindling, A. u.
a., 1989ff.; Lutz, H., Reformation und Gegenreformation, 1991, 4. A. 1997, 5.
A. 2002; Herzig, A., Der Zwang zum rechten Glauben, 2000; Pörtner, R., The
Counter-Reformation in Central Europe, 2001; Lotterer, J., Gegenreformation als
Kampf um die Landesherrschaft, 2003; Deventer, J., Gegenreformation in
Schlesien, 2003; Weiß, D., Katholische Reform und Gegenreformation, 2005;
Staatsmacht und Seelenheil, hg. v. Leeb, R. u. a., 2007
Gegenstand (1579) ist die vom Menschen behandelte Gegebenheit. Der G.
kann körperlich oder unjörperlich sein.
Lit. Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010
Gegenzeichnung ist die Unterschrift eines zweiten Menschen nach der
Unterschrift eines zu einer Handlung in erster Linie zuständigen Menschen. Sie
wird seit dem 19. Jh. als G. eines Ministers (Preußen 1808) zur Einschränkung
der Rechte des Monarchen verwendet.
Lit.: Köbler, DRG 193, 194; Schulz, A., Die Gegenzeichnung,
1978; Weber, C., Das Gegenzeichnungsrecht, 1997
Gehalt ist
die alimentierende Vergütung des →Beamten und Angestellten (Westfalen
1571, Zuordnung zu Tätigkeitsgruppen seit 19. Jh.), die seit der zweiten Hälfte
des 20. Jh.s verstärkt in das allgemeine Entgelt eingeordnet wird.
Lit.:
Schulz, G., Die Angestellten seit dem 19. Jahrhundert, 2000
geheim, Adj., nicht öffentlich
Lit.: Deutsche Geheimgesellschaften, hg. v. Hermand, J. u. a., 2013
gehegtes Ding →Hegung,
Ding
Geheimdienst ist die staatliche Einrichtung zur geheimen Ermittlung gegen dem Staat
drohende Gefahren.
Lit.:
Krieger, W., Geschichte der Geheimdienste - von den Pharaonen bis zur CIA, 2009
Geheimer Rat ist
die Gesamtheit der den Fürsten nichtöffentlich beratenden Personen. Der geheime
Rat entsteht zu Beginn der frühen Neuzeit aus dem Hofrat in Österreich (1527),
Bayern (vor 1550, 1579), Kursachsen (1547/1574), Brandenburg (1604), Württemberg
(1629), Baden (1655), Frankreich und Burgund (1604). Er berät oder entscheidet
in den wichtigsten Angelegenheiten (mit anderen Behörden). Er wird seit dem
späten 17. Jh. durch das Kabinett (Konferenz, Staatsrat) und im 19. Jh. durch
das Ministerium verdrängt. Der Titel Geheimer Rat wird 1919 beseitigt.
Lit.: Mitteis, H./Lieberich, H., Deutsche Rechtsgeschichte,
19. A. 1992, §§ 35, 41; Hess, U., Geheimer Rat und Kabinett in den
ernestinischen Staaten Thüringens, 1962; Matthias, E., Zwischen Räten und
Geheimräten, 1970; Die Rolle des Juristen bei der Entstehung des modernen
Staates, hg. v. Schnur, R., 1986; Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen
Reich, hg. v. Paravicini, W. u. a., 2005
geheimer Vorbehalt
→Mentalreservation
geheime Staatspolizei →Gestapo
Lit.: Heuer, H., Geheime Staatspolizei,
1995
Geheimschrift ist die bereits früh entwickelte, der Abwehr der Kenntnis unbefugter
Dritter von einem Inhalt einer verkörperten Erklärung dienende Schrift.
Lit.:
Meister, A., die Anfänge der modernen diplomatischen Geheimschrift, 1902;
Dröscher, E., Die Methoden der Geheimschrift, 1921; Beutelspacher, A.,
Kryptologie, 1987, 7. A. 2005; Singh, S., Geheime Botschaften, 2002
Gehilfe (um 1000) ist der einem anderen Menschen helfende, eher nachgeordnete
Mensch.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gehilfenhaftung ist die Haftung eines Herrn für einen Gehilfen. Sie findet
sich schon im römischen Recht ([lat.] →noxae datio [F.]). Im deutschen
Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) wird zwischen →Erfüllungsgehilfen des
rechtsgeschäftlichen Bereiches und →Verrichtungsgehilfen des außerrechtsgeschäftlichen
Bereiches unterschieden.
Lit.: Köbler, DRG 27, 214; Seiler, Die deliktische
Gehilfenhaftung, JZ 1967, 525; Bodenhausen, E. Frhr. v., Haftung des
Geschäftsherrn für Verrichtungsgehilfen, 2000
Geisel ist
der in Gewahrsam genommene Mensch, der mit Freiheit oder Leben für die
Erfüllung bestimmter Pflichten (oder das Erreichen eines sonstigen Zieles)
haftet. Das vereinbarte Stellen und das einseitige Nehmen einer G. sind sehr
alt. Sie finden sich sowohl unter Völkern wie auch unter Einzelnen. Der bzw.
die G. darf anfangs bei Nichterfüllung getötet oder verknechtet werden. Im
Privatrecht endet das Tötungsrecht bereits früh und wird das Stellen oder
Nehmen von Geiseln schon im frühen Mittelalter durch andere Sicherungsmittel
ersetzt. Im Völkerrecht schließt das Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsopfer
von 1949 die Geiselnahme aus. Das gewaltsame Nehmen einer Geisel durch
Straftäter findet sich bis zur Gegenwart.
Lit.: Hübner; Köbler, DRG 74, 128; Köbler, WAS; Lechner,
A., Das Obstagium oder die Geiselschaft nach schweizerischen Quellen, 1906;
Gierke, O., Schuld und Haftung im älteren deutschen Recht, 1910, 50, 127;
Lutteroth, A., Der Geisel im Rechtsleben, 1922; Ogris, W., Die persönlichen
Sicherheiten im Spätmittelalter, ZRG GA 82 (1965), 140; Allen, J., Hostages and
Hostage-Taking in the Roman Empire, 2006
Geisteskranker (geisteskrank 1807, Geisteskrankheit 1846) ist der an einer
erheblichen Störung der Geistestätigkeit leidende Mensch. Er ist als (lat.
[M.]) →furiosus im römischen Recht ohne weiteres geschäftsunfähig und
deliktsunfähig und erhält einen (lat.) curator (M., Pfleger). Auch das
mittelalterliche deutsche Recht schließt den Geisteskranken vom Handeln im
Rechtsverkehr aus. Am Ende des Spätmittelalters wird das römische Recht
aufgenommen. Der Geisteskranke kann durch →Entmündigung unter
Vormundschaft gestellt werden. Zum 1. 1. 1992 wird in Deutschland die
Entmündigung durch die →Betreuung ersetzt.
Lit.: Kaser § 14 IV; Hübner; Köbler, DRG 36; Mitteis,
H./Lieberich, H., Deutsches Privatrecht, 9. A. 1981, Kap. III 6; Selesnick, S.,
Geschichte der Psychiatrie, 1969; Jetter, D., Grundzüge der Geschichte des
Irrenhauses, 1981; Kuban, S., Das Recht der Verwahrung und Unterbringung,
1997; Platen-Hallermund, A., Die Tötung Geisteskranker, 3. unv. A. 1998;
Dettling, A., Von Irren und Blödsinnigen, 2008; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Griebl, L., Die
Behandlung von Verschwendern und Geisteskranken, 2010; Madness in Medieval
Lawand Custom, hg. v. Turner, W., 2010
Geisteswissenschaft ist die auf den Geist des Menschen im Gegensatz zur Natur
(Naturwissenschaft) bezogene Wissenschaft (z. B. Sprachwissenschaft, Religionswissenschaft,
Sozialwissenschaft).
Lit.: Eckel, J., Geist der Zeit, 2008
geistiges Eigentum
(seit Ende des 18. Jh.s in Naturrecht und Rechtsphilosophie vertretene
Auffassung des eigentumsgleichen Erfinderrechts, intellectual property, Johann
Gottlob Fichte 1793) →Urheberrecht
Lit.: Lamprecht, G., Versuch eines vollständigen Systems
der Staatslehre, 1784; Fichte, J., Sämtliche Werke, Bd. 8 19846, 223;
Klostermann, R., Das geistige Eigentum an Schriften, Kunstwerken und
Erfindungen, 1867ff.; Kohler, J., Das Autorrecht, 1880; Wadle, E., Das geistige
Eigentum in der Reichsverfassung, (in) Verfassungsrecht und Völkerrecht, 1989,
929; Wadle, E., Geistiges Eigentum, Bd. 1f. 1996ff.; Löhnig, M., Der Schutz des
geistigen Eigentums von Autoren im preußischen Landrecht von 1794, ZNR 2007,
197ff.; Grundlagen und Grundfragen des geistigen Eigentums, hg. v. Pahlow, L.
u. a., 2008; Ahrens, H. u. a., Modellgesetz für geistiges Eigentum, 2011; Von
Goethe zu Google, hg. v. Götz von Olenhusen, I. u. a., 2011; Richardson,
M./Thomas, J., Fashioning Intellectual Property, 2012; Ahrens, H. u. a.,
Modellgesetz für geistiges Eigentum. Normtext und Begründung. 2012
geistlich (Adj.) den Geist betreffend, kirchlich
Geistliche Bank ist
die Gesamtheit der geistlichen Fürsten eines Verfassungsgremiums
(insbesondere des Reichstags des Heiligen römischen Reiches [deutscher
Nation]). 1521 enthält die Reichsmatrikel 50 geistliche Fürsten und 83
Reichsprälaten. 1792 umfasst die g. B. dort 35 Virilstimmen und 2 Kuriatstimmen
der schwäbischen und rheinischen Prälatenbank mit zusammen zuletzt etwa 40
Mitgliedern und Vorsitz Österreichs bzw. Salzburgs.
Lit.: Domke, W., Die Virilstimmen im Reichsfürstenrat von
1495-1654, 1882; Conrad, H., Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2 1966, 97
Geistliche Gerichtsbarkeit ist vor allem die Gerichtsbarkeit der christlichen Kirche. Sie geht auf
den Apostel Paulus (1. Kor. 5, 12-13, 6, 1-8, 2. Kor. 13, 10) und Kirchenväter
(z. B. Tertullian, Cyprian) zurück. In den ersten drei Jahrhunderten n. Chr.
entsteht die (lat. [F.]) episcopalis audientia (bischöfliche Anhörung). 318
verleiht Kaiser Konstantin den Bischöfen Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Sachen
(auch über Nichtchristen) (CT 1, 27, 1). 323 stellt Kaiser Konstantin in einem
Reskript (Const. Sirmond. 1) das Urteil des Bischofs dem Urteil des Präfekten
gleich und sieht Vollstreckung durch weltliche Amtsträger vor. Gegen die
Entscheidung des Bischofs ist Berufung an die Provinzialsynode möglich. Vielleicht
seit dem 4./5. Jh. übernimmt der Bischof außer dem Schutz der Geistlichen auch
den Schutz der Armen, Witwen, Waisen und Fremden. Diese römischrechtlich
geprägte g. G. dauert unter Aufnahme einheimischer Gegebenheiten (z. B.
Reinigungseid, Gottesurteil) im Mittelalter fort. Hinzukommen grundherrliche
Gerichtsbarkeit und aus dem bischöflichen Visitationsrecht hervorgehende
Sendgerichtsbarkeit (Sendhandbuch Abt Reginos von Prüm um 906). Seit Papst
Innozenz II. (1130-1143) ist die Berufung an den Papst möglich, der unabhängig
von der Gerichtsbarkeit der Bischöfe, die ihrerseits einen Teil ihrer Gerichtsbarkeit
an Archidiakone abgeben, wegen der Vielzahl der Fälle delegierte Richter (in
der Nähe der Parteien) einsetzt. In Frankreich im ausgehenden 12. Jh., im
Heiligen römischen Reich seit dem 13. Jh. wird der Offizial als Einzelrichter Stellvertreter
des Bischofs in der Gerichtsbarkeit. Die geistlichen Gerichte wenden das im
12. Jh. ausgebildete römisch-kanonische Verfahren (mit Schriftlichkeit) an,
beachten die Verhandlungsmaxime und sichern die Vollstreckbarkeit. Sie
entwickeln ein von Papst Clemens (1305-1314) festgeschriebenens, summarisches
und deswegen schnelleres Verfahren (Clem. 2. 1. 2), ein besonderes Verfahren in
Ehesachen und ein Schiedsgerichtsverfahren. Seit Papst Innozenz III.
(1198-1216) entwickelt sich ein Offizialmaxime und Instruktionsmaxime verbindendes
Inquisitionsverfahren, das seit dem 15. Jh. das Akkusationsverfahren
verdrängt. Papst Gregor IX. ordnet 1231 die Ketzerverfolgung durch Inquisitoren
(Dominikaner, Franziskaner) an, Papst Innozenz IV. lässt 1252 unter Berufung
auf die Rechtssetzung Kaiser Friedrichs II. die Folter durch weltliche
Amtsträger zu.
Lit.:
Jacobi, E., Der Prozess im Decretum Gratiani, ZRG KA 3 (1913), 223ff.; Trusen,
W., Anfänge des gelehrten Rechtes in Deutschland, 1962; Hageneder, O., Die
geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich, 1967; Schwab, C., Das
Augsburger Offizialatsregister (1348-1352), 2001; Kéry, L., Gottesfurcht und
irdische Strafe, 2006; Nörr, K., Über die mittelalterliche Rota Romana, ZRG KA
93 (2007), 220ff.
Geistlicher (Kleriker) ist der Inhaber eines
höheren kirchlichen Amtes der anerkannten öffentlichrechtlichen
Religionsgemeinschaften (z. B. Priester). Er wird schon im Altertum vom Laien
durch besonderes Recht geschieden. Infolge seiner Schriftkundigkeit ist er
seinen Mitmenschen auch im Mittelalter überlegen. Zahlreiche Rechtsvorschriften
gewähren ihm besonderen Schutz.
Lit.: Köbler, DRG 99; Prochnow, F., Das Spolienrecht und
die Testierfreiheit der Geistlichen, 1919, Neudruck 1965; Reinhard, U.,
Untersuchungen zur Stellung der Geistlichkeit bei den Königswahlen, 1975;
Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983
Geistlicher Fürst
ist der Landesherr (→Fürst) des Heiligen römischen Reiches , dem seine
Landesherrschaft auf Grund seines geistlichen Amtes zusteht (z. B. Erzbischof
von Mainz). Am Beginn des 19. Jh.s umfassen die weltlichen Herrschaftsgebiete
der (66) geistlichen Fürsten des Heiligen römischen Reichs rund 95000
Quadratkilometer mit mehr als drei Millionen Einwohnern.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Geistliche Staaten in
Oberdeutschland im Rahmen der Reichsverfassung, hg. v. Wüst, W., 2003
Geistlicher Vorbehalt
(lat. reservatum [N.] ecclesiasticum) ist der für den Fall eines Übertritts
eines Inhabers eines geistlichen Amtes (z. B. Fürstbischofs, Fürstabts) vom
katholischen Glauben zum protestantischen Glauben im Augsburger
Religionsfrieden (1555, § 18) durch einseitige, von den protestantischen
Reichsständen nur geduldete Anordnung des Kaisers festgelegte Vorbehalt
gegenüber dem Grundsatz (lat.) cuius regio, eius religio (ius reformandi), dass
der Inhaber des geistlichen Amtes zwar seine persönliche Rechtsstellung behält,
aber sein geistliches Amt und die damit verbundenen (weltlichen Herrschafts-)Rechte
aufgeben muss und das für die Besetzung der Stelle zuständige Gremium einen
katholischen Nachfolger wählen kann. Damit werden auch die
Mehrheitsverhältnisse im Fürstenrat und im Kurfürstenrat des Reichstags zu
Gunsten der katholischen Mehrheit gefestigt und wird die Wahl eines
protestantischen Königs bzw. Kaisers eigentlich ausgeschlossen. 1648 wird eine
Garantie des Besitzstands vom 1. 1. 1624 vereinbart.
Lit.: Brandi, K., Reformation und Gegenreformation, 1927;
Gotthard, A., Der Augsburger Religionsfriede, 2004; Als Frieden möglich war,
hg. v. Hoffmann, C. u. a., 2005
Geistliches Recht
(lat. ius [N.] canonicum) ist das die christliche(n) Kirche(n) betreffende, im
Gegensatz zum weltlichen Recht (lat. ius [N.] civile) stehende Recht. →Kirchenrecht
Lit.: Köbler, DRG 106; Köbler, G., Das Recht im frühen
Mittelalter, 1971; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983
Geld (Wort in einfacherem Sinn
bereits germanisch belegt, Geldrente 1507) ist das (von einem Staat oder einer durch ihn ermächtigten
Stelle beglaubigte,) zum Umlauf in der Öffentlichkeit bestimmte Zahlungsmittel.
Seine Zwecke (Tauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel, Recheneinheit), Stoffe
(Nichtmetall, Metall, Papier, elektrischer Strom) und seine Übertragungsformen
(Übereignung, Abtretung) ändern sich im Laufe der Geschichte. Die Geschichte der
Metallmünzen beginnt wohl bei den Lydern um 700 v. Chr. Im altrömischen Recht
ist Tauschmittel anfangs das Vieh (lat. [N.] pecus →lat. pecunia [F.]
G.). Dann wird Rohkupfer zuerst gewichtsmäßig gehandelt und im 4. Jh. v. Chr.
nach kleinasiatischem Vorbild (7. Jh., Griechenland 6. Jh. v. Chr.) in feste
Größen mit zugehörigen Gewichtsangaben gebracht. Um 300 v. Chr. werden Münzen
von 330 g (lat. libra [F.] Pfund) geschaffen, denen später Silbermünzen (187 v.
Chr. Silberdenar mit 10 As von 4,55 g Gewicht), seit Caesar († 44 v. Chr.)
Goldmünzen (lat. [M.Pl.] aurei) folgen. Die Germanen kennen zwar römische
Münzen, verwenden sie aber nicht als G. Im Frühmittelalter sind Pfennig,
Schilling und Pfund hauptsächlich Rechnungseinheiten, wenn auch in
karolingischer Zeit ein königlicher Silberdenar geprägt wird. Als Grabbeigaben
aufgefundene Feinwaagen deuten darauf hin, dass auch bei Münzen das Gewicht des
Metalls noch entscheidend ist. Im Hochmittelalter bewirkt das als einfachstes
Tauschmittel anerkannte und damit als Zahlungsmittel wieder vorherrschende G.
die Umwandlung der Naturalwirtschaft in die Geldwirtschaft. Etwa seit dem 12.
Jh. reichen dabei die gewonnenen Edelmetallbestände (z. B. Silber in Freiberg,
Friesach, Iglau oder Kuttenberg) für den Geldverkehr breiterer Bevölkerungsschichten
aus (Venedig 1194 grosso mit 2,19 Gramm, Frankreich 1266 gros turnois, um 1300
Prager Groschen, 1242 Goldprägung in Genua und Florenz [fiorino, Gulden, seit
etwa 1340 auch im Rheinland], Venedig 1284 Dukaten bzw. Zechinen). Seit der
frühen Neuzeit, in der im 16. Jh. in Mitteleuropa der Silberbergbau
wiederbelebt wird (Schwaz, Schneeberg, Annaberg, Buchholz, Joachimstal, große
Silbermünze Taler) und große Silbermengen zwischen 1550 und 1650 aus Amerika
eingeführt werden, tritt nach vielen Münzkrisen vor allem als Folge zahlreicher
Kriege im 18. Jh. zum Metallgeld (Münze) das Papiergeld hinzu (Österreich,
Frankreich, Preußen, England, gesetzliches Zahlungsmittel England 1833,
Frankreich 1870), seit der Mitte des 19. Jh.s zum Hartgeld (im Deutschen Bund
im Norden Taler, im Süden Gulden, im Deutschen Reich 1873 Goldwährung mit Mark)
und Zeichengeld das durch Guthaben bei einer Kontostelle gebildete
unkörperliche Buchgeld (Giralgeld), seit dem Ende des 20. Jh.s das elektronisch
gespeicherte Guthaben (Plastikgeld, Netzgeld). Im Juli 1944 einigen sich die
Vertreter von 44 Staaten in Bretton Woods auf eine neue Weltwährungsordnung
fester Wechselkurse, die bis 1959 im Wesentlichen umgesetzt wird, aber 1971
zusammenbricht. Im März 1979 verabschieden acht Staaten der europäischen
Gemeinschaften ein europäischen Waährungssystem, aus dem zum 1. 1. 1999 eine
europäische Währungsunion hervorgeht (Belgien, Deutschland, Finnland,
Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal,
Spanien, 2001 Griechenland, 2004 Slowenien), die zum 1. 1. 2002 Euro und Cent
in Münzen und Banknoten einführt. Für Münzen und Geldscheine gilt im
Wesentlichen das Recht der Sachen. Ungelöst ist die Problematik der
Geldentwertung (Inflation), die aus dem Ungleichgewicht zwischen Geldmenge und
Gütermenge erwächst bzw. von daran Interessierten angestrebt wird.
Lit.: Kaser §§ 26 III, 32 II; Hübner; Köbler, DRG 96, 97,
119; Köbler, WAS; Taeuber, W., Geld und Kredit im Mittelalter, 1933; Mickwitz,
G., Die Systeme des römischen Silbergeldes im 4. Jahrhundert nach Christus,
1933; Laurent, H., La loi de Gresham au moyen âge, 1933; Gaettens, R., Das
Geld- und Münzwesen der Abtei Fulda, 1957; Völlmy, H., Zur Geschichte des
schweizerischen Papiergeldes, Diss. staatswiss. Basel 1966; Nau, E., Epochen
der Geldgeschichte, 1972; Rittmann, H., Deutsche Geldgeschichte 1484-1914,
1975; Kiefner, H., Geld und Geldschuld in der Privatrechtsdogmatik des 19.
Jahrhunderts, (in) Wissenschaft und Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 5
1980, 27; Rittmann, H., Deutsche Geldgeschichte seit 1914, 1986; La repubblica
internazionale del denaro tra 15 e 16 secolo, hg. v. Maddalena, A. de u. a.,
1986; Spufford, P., Money, 1988, 2. A. 1989, 3. unv. A. 1993; North, M., Das
Geld, 1994; Duncan-Jones, R., Money and Government, 1994; Howgego, C., Geld in
der antiken Welt, 2000, 2. A. 2009; Sprenger, B., Das Geld der Deutschen, 3. A.
2001; Ott, K., Geld und Geldwerttheorien, 1998; Weatherford, J., Eine kurze
Geschichte des Geldes, 1999; Geldgeschichte vs. Numismatik, hg. v. Kaenel, H.
u. a., 2004; Geld im Mittelalter, hg. v. Grubmüller, K. u. a., 2005; Steinbach,
S., Das Geld der Nonnen und Mönche, 2007; Gray, R., Money Matters, 2008; The
Monetary Systems of the Greeks and the Romans, hg. v. Harris, W., 2008; Brodbeck,
K., Die Herrschaft des Geldes, 2009, 2. A. 2011; Giesecke & Devrient -
Banknotendruck 1854-1943, 2009; Grabowski, H., Kleiner deutscher
Papiergeldkatalog von 1871 bis heute, 2010; Schnaas, D., Kleine
Kulturgeschichte des Geldes, 2010, 2. A. 2012; Gerber, J. u. a.,
Gedenkbanknoten der Welt 2011; Le Goff, J., Le Moyen Age et l’argent, 2010 bzw.
Geld im MIttelalter, 2011; Devrient, L. u. a. Giesecke & Devrient -
Banknotendruck 1955-2002, 2014
Geldbuße ist im 20. Jh. die für eine Ordnungswidrigkeit (§ 1 Ordnungswidrigkeitengesetz
von 1952) an den Staat zu entrichtende Geldleistung (Verwaltungssanktion für
rechtswidrige Handlungen mit geringerem Unrechtsgehalt ohne sozialethisches Unwerturteil
über die Tat und die Person des Täters). Die inhaltliche Abgrenzung zur
Geldstrafe ist schwierig.
Lit.:
Goldschmidt, J., Das Verwaltungsstrafrecht, 1902, Schmidt, E., Das neue
westdeutsche Wirtschaftsstrafrecht, 1950; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Geldern
Lit.: Jappe Alberts, W., De Staten
van Gelre en Zutphen, 1950; Geldersche Wyssenissen van het Hoofdgerecht te
Roermond, hg. v. Janssen de Limpens, K., 1953; Reichsarchiv der Provinz
Gelderland in Arnheim, bearb. v. Vollmer, B., 1957; Nikolay, W., Die Ausbildung
der ständischen Verfassung in Geldern und Brabant während des 13. und 14. Jahrhunderts,
1985; Lieven, J., Adel, Herrschaft und Memoria, 2008; ; Berkvens, A.,
Plakkaten, Ordonnanties en Circulaires voor Pruisisch Gelre 1713-1798, 2012
Geldkondemnation (lat. condemnatio [F.] pecuniaria) ist im klassischen
römischen Recht die (notwendige) Verurteilung des Schuldners auf den Schätzwert
(lat. quanti ea res erit, was die Sache wert ist) einer streitigen bestimmten
Sache im →Formularverfahren. Sie soll es auch einem Dritten gestatten,
den Beklagten auszulösen. Sie tritt im →Kognitionsverfahren zurück.
Lit.: Kaser § 35 I 2; Söllner § 9; Köbler, DRG 33, 34, 42
Geldschuld ist
die in Geld zu erfüllende Schuld. Die G. wird schon im römischen Recht als
Gattungsschuld angesehen. Mit Ausweitung der Geldwirtschaft wird sie immer
häufiger.
Lit.: Kiefner, H., Geld und Geldschuld in der
Privatrechtsdogmatik des 19. Jahrhunderts, (in) Wissenschaft und Kodifikation,
hg. v. Coing, H., Bd. 2 1977, 74ff.; Ahrens, M., Der mittellose Geldschuldner,
1994
Geldstrafe ist
die auf Geldleistung an den Staat lautende →Strafe, wird teilweise aber
auch als jede als Sanktion für ein Unrecht vom Täter an die öffentliche Gewalt
oder das Opfer (Privatstrafe) zu zahlende, nicht nur Schaden ausgleichende
Geldsumme verstanden. Vielleicht aus dem plebejischen Bereich stammend, ist
sie bereits dem späteren altrömischen Recht bekannt. Im Frühmittelalter
herrscht die davon zu unterscheidende, in Geld nur berechnete Buße des →Kompositionensystems
vor, von der nur ein Teil (lat. [M.]→fredus) an die Allgemeinheit fällt,
doch wird z. B. in einem Neungeld, Achtgeld oder Gewette auch eine besondere
Einwirkung auf den Täter gesehen. Die hochmittelalterlichen und spätmittelalterlichen
peinlichen Strafen sind in Geld nur ablösbar. In der frühen Neuzeit schließt
zwar die Constitutio Criminalis Carolina (1532) die G. aus, doch sehen die
Reichspolizeiordnung von 1530, Landesordnungen und Stadtrechte in vielen
Fällen G. vor. Das preußische Allgemeine Landrecht (1794) droht G. bei
Münzdelikten, Bestechung, Wucher, Fälschung und Betrügerei an. Das preußische
Strafgesetzbuch (1851) und das Reichsstrafgesetzbuch (1871) dehnen die G. aus,
sind aber noch durch die Freiheitsstrafe gekennzeichnet. Die Strafrechtsreformen
(21. 12. 1921/1. 1. 1922, 9. 4. 1923, 1969, 1975) des 20. Jh.s verstärken vor
allem auch wegen der ungünstigen Auswirkungen kurzer Freiheitsstrafen (43
Prozent aller Verurteilungen) auf die Täter diese Entwicklung (um 1980 mehr als
80 Prozent aller Strafurteile). Dabei wird aus relativen Gleichheitsvorstellungen
nach skandinavischem Vorbild die Höhe der G. von den wirtschaftlichen Verhältnissen
(Einkünften) des Täters abhängig (sog. Tagessätze, 1975). Eine besondere Art
der G. ist die Vermögensstrafe (anteiliger oder vollständiger Einzug des
Vermögens des Täters, z. B. § 43a StGB zwischen 1992 und 2002).
Lit.: Köbler,
DRG 20, 119, 158, 205, 236; Mommsen, T., Römisches Strafrecht, 1899, Neudruck
1961; Neumaier, R., Die geschichtliche Entwicklung der Geldstrafe, Diss. jur.
Tübingen 1947; Gudian, G., Geldstrafrecht und peinliche Strafe im späten
Mittelalter, FS A. Erler 1977, 273; Die Geldstrafe im deutschen und
ausländischen Recht, hg. v. Jescheck, H. u. a., 1978; Rüping, H./Jerouschek,
G., Grundriss der Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007; Stapenhorst, H., Die
Entwicklung des Verhältnisses von Geldstrafe zu Freiheitsstrafe seit 1882, 1993;
Ebert, I., Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004; Malolepszy, M.,
Geldstrafe und bedingte Freiheitsstrafe nach deutschem und polnischem Recht,
2007
Geldwäsche ist
der Umtausch des aus rechtswidrigem Verhalten erlangten Geldes ist nicht
erkennbar rechtswidrig erlangtes Geld (in Deutschland seit 1992 strafbar).
Lit.: Remmers, B., Die Entwicklung der Gesetzgebung zur
Geldwäsche, 1998
Geldwirtschaft ist die auf den Gebrauch von →Geld als Zahlungsmittel
aufbauende Wirtschaft (z. B. seit dem Hochmittelalter). Die G. verdrängt die
Naturalwirtschaft.
Lit.: Köbler, DRG 29, 96, 97; Dopsch, A., Naturalwirtschaft
und Geldwirtschaft, 1930
Gelegenheit macht Diebe.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 71 (Pistorius 1716)
Gelehrter Richter
ist der durch universitäre Ausbildung gekennzeichnete Richter. Der gelehrte
Richter erscheint im 13. Jh. im kirchlichen Gericht (als →Offizial). Im
königlichen Kammergericht des Reiches begegnen Doktoren der Rechte seit dem
Beginn des 15. Jh.s. Im Reichskammergericht muss 1495 die Hälfte der Beisitzer
gelehrt sein. Erst später wird es üblich, dass (auch) der Richter als der
Vorsitzende gelehrt ist. Im Übrigen sind die Mitglieder der Gerichte (Urteiler,
Schöffen) bis in das 18. Jh. vielfach Laien. Im 18. Jh. werden die
Assessorstellen der Obergerichte mit nach besonderen Vorschriften geprüften
Juristen besetzt.
Lit.: Stölzel, A., Die Entwicklung des gelehrten
Richtertums in deutschen Territorien, Bd. 1f. 1872; Lenel, P., Scheidung von
Richter und Urteilern, ZRG RA 34 (1913), 440; Döhring, E., Geschichte der deutschen
Rechtspflege, 1953, 53; Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954;
Fried, J., Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert, 1974; Gelehrte
im Reich, hg. v. Schwinges, R., 1996; Verger, J., Le gens de savoir, 1997
Gelehrtes Recht
ist das an der Universität durch Lehre vermittelte Recht. G. R. ist demnach das
römische (weltliche) Recht und das kirchliche (geistliche) Recht. Dem gelehrten
Recht steht das einheimische Recht der einzelnen Rechtsgebiete gegenüber. In
den Rechtsquellen der Neuzeit werden g. R. und einheimisches Recht in
vielfältiger Weise zu neuen Einheiten verknüpft (→Reformation, →Kodifikation).
Lit.: Coing, H., Römisches Recht in
Deutschland, 1962; Trusen, W., Anfänge des gelehrten Rechtes in Deutschland,
1962; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967;
Budischin, H., Der gelehrte Zivilprozess in der Praxis geistlicher Gerichte,
1974; Fried, J., Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert, 1974;
Nörr, K., Zum institutionellen Rahmen der gelehrten Rechte im 12. Jahrhundert,
FS H. Coing 1982, 233; Gouron, A., Zu den Ursprüngen des gelehrten Strafrechts,
FS H. Thieme 1986, 43; Trusen, W., Gelehrtes Recht, 1997 Geleit ist die Begleitung und meist auch sichere Führung eines
Reisenden (oder einer Sache durch Bewaffnete gegen Entgelt, lat. [M.] conductus).
Das G. zu gewähren ist im Mittelalter ein bedeutsames, Einkünfte und Gewalt
vermittelndes Recht, das vom König auf den Landesherrn übergeht (Regal,
Westfalen 1180). Im Einzelnen werden viele Arten von G. unterschieden. Im 19.
Jh. schwindet das G. (Reichsdeputationshauptschluss für Frankfurt, Deutscher
Zollverein 1833/1834, Schweiz 1848). Freies G. ist das Recht auf ungehinderte
Hinreise und Rückreise (z. B. im Rahmen eines Prozesses).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 113; Kalisch, H.,
Über das Verhältnis des Geleitsregals zum Zollregal, Diss. jur. Berlin 1901; Fiesel,
L., Zum früh- und hochmittelalterlichen Geleitsrecht, ZRG GA 41 (1920), 1;
Wilhelm, R., Das Zollgeleit in der Grafschaft und im Herzogtum Württemberg,
Diss. jur. Tübingen 1957; Wiederkehr, G., Das freie Geleit, 1977; Müller, U.,
Das Geleit, 1991
Gelnhausen ist
der 1133 erstmals bezeugte Ort (der Reginbodonen, 1158 Erzbischof von Mainz,
1160 Kaiser Friedrich Barbarossa, 1170 Stadtrecht) im unteren Kinzigtal, in
dessen Pfalz 1180 das Verfahren gegen Herzog →Heinrich den Löwen
stattfindet, in dem er nach Landrecht in Acht getan und nach Lehnrecht seiner
Herzogtümer →Sachsen und →Bayern verlustig erklärt wird, so dass
die Herzogtümer in →Länder aufgeteilt werden können. Die Reichsstadt G.
wird mehrfach verpfändet und verliert 1803 die Reichsunmittelbarkeit. →Konrad
von G.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Junghans, F., Versuch
einer Geschichte der freien Reichsstadt Gelnhausen, 1886; Güterbock, F., Die
Gelnhäuser Urkunde und der Prozess Heinrichs des Löwen, 1920; Schmerbach, K.,
Der Oberhof Gelnhausen, Geschichtsbll. f. Gelnhausen 1966, 13ff.; Der
Reichstag von Gelnhausen, hg. v. Patze, H., 1981; Zunft- und Handwerksurkunden
der freien Reichsstadt Gelnhausen, hg. v. Weyrauch, T., 1996; Zieg, M., Gelnhäuser
Regesten, 2008
Gelöbnis ist
die Erklärung, mit der jemand zustimmt (z. B. →Erbenlaub) oder verspricht.
Das G., dem im römischen Bereich die (lat.) sponsio (F.) entspricht, erscheint
bereits im Frühmittelalter (z. B. Urteilserfüllungsgelöbnis) und kann von
Gebärden begleitet sein. Die Folgen des Bruches des Gelöbnisses hängen von
verschiedenen Umständen ab und reichen von der Leistungsklage über die
Schadensersatzklage, die Buße und die Geldstrafe bis zur →Strafe an Leib
und Leben. In der Neuzeit wird das. G. durch die Bezeichnung Versprechen zurückgedrängt,
doch werden noch immer (feierliche) Gelöbnisse abgegeben.
Lit.: Hübner 521, 632, 677; Köbler, DRG 15; Puntschart, P.,
Schuldvertrag und Treugelöbnis, 1896; Gierke, O., Schuld und Haftung, 1910;
Reincke, H., Die Bedeutung der Gelöbnisgebärde, ZRG GA 40 (1919), 280; His, R.,
Schlichtes Gelöbnis und Gelöbnis auf Treue, ZRG GA 41 (1920), 386; Strätz, H.,
Treu und Glauben, 1974; Nanz, K., Die Entstehung des allgemeinen
Vertragsbegriffs im 16. und 18. Jh., 1985
Geltung ist
die Anwendbarkeit und die Anwendung. Ein Rechtssatz gilt rechtsdogmatisch,
wenn eine entsprechende Sollensanforderung besteht. Er gilt rechtssoziologisch,
wenn er tatsächlich angewendet wird.
Lit.: Vienken, T., Die Geltungsdauer rechtlicher Dokumente
im früh- und hochmittelalterlichen Reich, 1942; Luig, K., Der Geltungsgrund des
römischen Rechtes im 18. Jahrhundert, (in) Formazione storica, Bd. 2 1977, 819;
Nehlsen, H., Aktualität und Effektivität der ältesten germanischen
Rechtsaufzeichnungen, (in) Vorträge und Forschungen 23 1977, 449; Wagner, W.,
Geltungsbereiche ausländischer Kodifikationen im Deutschen Reich, Ius commune
14 (1987), 203; Wesener, G., Einflüsse und Geltung des römisch-gemeinen Rechts
in den altösterreichischen Ländern, 1989
Gemara (F.)
→Mischna
Gemeinde ist
die einfache unmittelbare kommunale(, dem Staat eingegliederte) Gebietskörperschaft
mit (vom Staat abgeleiteter) Gebietshoheit zur Selbstverwaltung universal
überlassener örtlicher (eigener) Aufgaben und zur Fremdverwaltung zugewiesener (staatlicher)
Aufgaben. Als solche Gemeinden sind im Altertum außer Rom (und anderen
Stadtstaaten) die Provinzstädte anzusehen, für welche die Kaiser
Gemeindeordnungen erlassen (z. B. Salpensa, Malaca, Irni[um]). Im Mittelalter
findet sich die G. wohl zuerst in Italien (Mailand 11. Jh.). Im Heiligen
römischen Reich erscheint die G. (Stadt, Dorf) seit dem Hochmittelalter
(12./13. Jh.). Sie hat eigene Organe. Befugnisse und Mittel (z. B. Allmende). In
der frühen Neuzeit verliert sie ihre älteren Rechte durch (vereinheitlichende)
Maßnahmen des absoluten Staates (und der Grundherrschaft). Insbesondere unter
Napoleon werden in den von ihm beherrschten Gebieten (1797-1813) die Gemeinden
zu untersten Behörden des Staates. Im 19. Jh. erhält die G. (wieder) →Selbstverwaltung
(Preußen 19. 11. 1808 Städteordnung, 17. 3. 1831 revidiert, Bayern 1818/1839,
Württemberg 1822, Baden 1831 Gemeindegesetz, Sachsen 1832, Kurhessen 1834,
Braunschweig 1834, Hannover 1851, Westfalen 1841 Landgemeindeordnung, Rheinprovinz
1845 Gemeindeordnung, Preußen 30. 9. 1853 Städteordnung, Bayern 1869
Gemeindeordnung, Preußen 1872 Kreisordnung, 1875 Provinzialordnung, 3. 7.
1891 Landgemeindeordnung [, Österreich 4. 3. 1849 provisorisches
Gemeindegesetz, 5. 3. 1862 Reichsgemeindegesetz], Neuregelung Art. 115-120
B-VG 12. 7. 1962). Vorübergehend beseitigen das Dritte Reich, in dem sich
anscheinend die Gemeinden den Zielen des Nationalsozialismus zumindest
teilweise öffnen, und die Deutsche Demokratische Republik die in Art. 127, 17
II WRV (und 28 GG) verfassungsmäßig garantierte Selbstverwaltung. Insgesamt
bleibt die G. aber in durch Verwaltungsreformen vergrößertem Umfang bestehen.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 32 I 4; Köbler, DRG 197;
Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 726; Köbler, WAS; Gierke, O., Das
deutsche Genossenschaftsrecht, 1868ff.; Bilinski, L. v., Die
Gemeindebesteuerung und deren Reform, 1878, Neudruck 2013; Ryffel, H., Die
schweizerischen Landsgemeinden, 1904; Schrötter, R., Die rechtliche Natur der
sogenannten Gemeindenutzungen in Bayern, 1934; Bader, K., Studien zur
Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff.; Heider, J.,
Von der Gemain zur politischen Gemeinde, Schwäbische Blätter für Heimatkunde 9
(1958), 70; Siegrist, J., Die Gemeinde Unterkulm, 1957; Die Anfänge der
Landgemeinde und ihr Wesen, hg. v. Mayer, T., Bd. 1f. 1964; Heffter, H., Die
deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, 1969; Handbuch der bayerischen
Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799-1980, hg. v. Volkert, W., 1983; Ogris, W.,
Die Entwicklung des österreichischen Gemeinderechts im 19. Jahrhundert, (in)
Die Städte Mitteleuropas, hg. v. Rausch, W., 1983, 83; Blickle, P.,
Gemeindereformation, 1985; Steiner, P., Die Gemeinden, Räte und Gerichte im
Nidwalden des 18. Jahrhunderts, Diss. jur. Basel 1986; Weiß, J., Die
Integration der Gemeinden in den modernen bayerischen Staat, 1986; Wunder, H.,
Die bäuerliche Gemeinde in Deutschland, 1986; Ennen, E., Die europäische Stadt
des Mittelalters, 4. A. 1987; Goetz, H., Gottesfriede und Gemeindebildung, ZRG
GA 105 (1988), 122; Landgemeinde und Stadtgemeinde, hg. v. Blickle, P., 1991; Nolte,
P., Gemeindebürgertum und Liberalismus in Baden 1800-1850, 1994; Schachner-Blazizek,
A., Gemeinderecht und Gemeindeverwaltung, 1995, Gemeinde und Staat im alten
Europa, hg. v. Blickle, P., 1998; Information, Kommunikation und
Selbstdarstellung in mittelalterlichen Gemeinden, hg. v. Haverkamp, A., 1998;
Gemeindeleben, hg. v. Rudert, T. u. a. 2001; Gotto, B., Nationalsozialistische
Kommunalpolitik, 2006; Die Gemeinde - FS Heiko Faber, hg. v. Frank, F. u. a.,
2007; Land, Dorf und Kirche - Gemeindebildung vom Mittelalter bis zur Neuzeit
in Nordwestdeutschland, hg. v. Vogtherr, T. u. a., 2009; Lutterbeck, K.,
Politische Ideengeschichte als Geschichte administrativer Praxis, 2011
Gemeinderecht ist die Gesamtheit der die →Gemeinde betreffenden Rechtssätze. Im
römischen Altertum erhalten die einzelnen Gemeinden in Italien zunächst eine
ziemlich verschiedene Stellung als (lat.) oppidum (N.), colonia (F.) oder
municipium (N.) mit teils eigener, teils römischer Verwaltung, bis vermutlich
unter Caesar eine in Magistrate, Senat (lat. ordo [M.] decurionum, Gemeinderat)
und Volksversammlung gegliederte, einheitliche Kommunalverfassung eingerichtet
wird ([lat.] lex [F.] Iulia municipalis, julisches Stadtgesetz). Im deutschen
Reich ist das G. unterschiedlich. Umfassende staatliche Regelungen werden erst
im 19. Jh. geschaffen. 1935 wird eine einheitliche Deutsche Gemeindeordnung
erlassen. Nach 1945 ist das G. wieder Landesrecht, so dass es sich von Land zu
Land unterscheidet.
Lit.: Köbler, DRG 197, 198, 234, 259; Haase, C., Die
oldenburgische Gemeindeordnung von 1855, Oldenburger Jahrbuch 55 (1955), 1;
Oberndorfer, P., Gemeinderecht und Gemeindewirklichkeit, 1971; Engeli, C./Haus,
W., Quellen zum modernen Gemeindeverfassungsrecht in Deutschland, 1975;
Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. v. Jeserich, K. u. a., Bd. 1ff. 1983ff.;
Low, P., Kommunalgesetzgebung im NS-Staat, 1992; Die bayerischen Gemeindeordnungen,
hg. v. Knemeyer, F., 1994
Gemeinderschaft ist die aus der (von Brüdern gebildeten) Erbengemeinschaft
der bäuerlichen Miterben entwickelte gesamthänderische Personenvereinigung des
deutschen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rechtes (z. B. Ganerbschaft).
Sie wird später weitgehend durch den Teilungsgrundsatz einerseits und durch
das Anerbenrecht andererseits verdrängt. Gemeinderschaftliche Vorstellungen
leben in der offenen Handelsgesellschaft und in der Kommanditgesellschaft bzw.
der Gesamthand fort.
Lit.: Hübner 154ff.; Huber, M., Die Gemeinderschaft der
Schweiz, 1897
Gemeindeverfassung ist die Verfassung der →Gemeinde.
Gemeindezeuge ist der als Nachbar oder Genosse über ihm bekannte
Verhältnisse in der Gemeinde aussagende Zeuge (Heinrich Brunner), dessen
Bedeutung seit dem Spätmittelalter schwindet.
Lit.:
Ruth, H. Zeugen und Eideshelfer, 1922; Kornblum. U., Das Beweisrecht des
Ingelheimer Oberhois. Diss. jur. Frankfurt 1960
Gemeiner Pfennig
ist die am 7. 8. 1495 im Heiligen römischen Reich (im Rückstand gegenüber der weiter fortgeschrittenen
Steuergesetzgebung der Nachbarländer, besonders Frankreichs) für vier Jahre
eingeführte Abgabe (versuchte Kopfsteuer für die gesamte Bevölkerung). Der
gemeine Pfennig ist je nach Vermögen auf 1/24 Gulden, ½ Gulden und 1 Gulden
festgesetzt. Er wird nur teilweise eingesammelt und nur teilweise an die
sieben dazu bestimmten Schatzmeister abgeliefert (43254 Gulden statt 2
Millionen erwarteter Gulden). Ähnliche Versuche der Jahre 1512, 1542 (700000
Gulden) und 1544 400000 Gulden) scheitern gleichfalls weitgehend.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Gothein, E., Der gemeine Pfennig
auf dem Reichstage von Worms, 1877; Lanzinner, M., Friedenssicherung, 1993; Schmidt,
P., Der gemeine Pfennig von 1495, 1989; Rauscher, P., Zwischen Ständen und
Gläubigern, 2004; Das Steuerregister des gemeinen Pfennigs für das Bistum
Worms, hg. v. Lohmann, E., 2005
Gemeines deutsches Privatrecht ist das dem gemeinen (römischen Privat-)Recht seit dem 17.
Jh. (Conring, Thomasius, Beyer) gegenübergestellte Privatrecht deutschrechtlicher
Herkunft (→deutsches Privatrecht). Mit der Schaffung des deutschen
Bürgerlichen Gesetbuchs (1896/1900) verliert es seine unmittelbare Geltung.
Lit.: Köbler, DRG 186, 205; Wieacker, F.,
Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Borrmann, K., Gemeines
deutsches Privatrecht bei Carl Joseph Anton Mittermaier, 2009
Gemeines Recht
ist das allgemeine Recht im Gegensatz zu einem besonderen Recht. Schon (in der
Philosophie des Aristoteles, 384-322 v. Chr. und) im römischen Recht (z. B.
Institutionen des Gaius [um 160 n. Chr.] 1, 1, Institutionen Justinians [534 n.
Chr.] 1, 2, 1) ist eine derartige Gegenüberstellung eines (lat.) ius (N.)
commune und mehrerer besonderer Rechte etwa der römischen Bürger oder eines
räumlich bzw. ständisch bzw. personal abgegrenzten Bereichs bekannt, wobei
meist dem besonderen Recht der Vorrang eingeräumt wird. Sie findet sich
vereinzelt auch im frühen Mittelalter, häufiger seit dem Hochmittelalter. Als
g. R. kann dabei das römische Recht, das kirchliche Recht, das römische und (mit
abnehmendem Gewicht das) kirchliche Recht oder auch ein sonstiges allgemeines
Recht im Gegensatz zu einem besonderen Recht (einschließlich eines Privilegs)
bezeichnet werden. Im Verhältnis beider entwickeln die Juristen der oberitalienischen
Städte im Hochmittelalter den grundsätzlichen Vorrang des eigenen besonderen
Stadtrechts (Statutes) vor dem gemeinen Recht (römisch-kanonischem Recht). Dem
folgt § 3 der Reichskammergerichtsordnung von 1495, der wohl die redlichen
ehrbaren und leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewohnheiten der Fürstentümer,
Herrschaften und Gerichte dem gemeinen Recht vorgehen lässt. Allerdings müssen
sie redlich, ehrbar und leidlich sein und besonders vorgebracht, d. h. nachgewiesen
werden. Weil die Anforderungen an diese Voraussetzungen verschärft werden, hat
im 17. Jh. das gemeine Recht in der Form des römischen Rechtes die Vermutung
der Anwendbarkeit für sich. Zusätzlich wird vor allem für bestimmte Sachgebiete
ein gemeines deutsches Privatrecht erarbeitet (z. B. Johann Stephan Pütter
1725-1809, Justus Friedrich Runde 1741-1807), dessen Anwendbarkeit im
Verhältnis zum gemeinen Recht im Einzelfall geklärt wird. Im 18. Jh. werden das
gemeine Recht und das gemeine deutsche Privatrecht durch die inhaltlich von ihnen
mitgeprägten Kodifikationen (ALR, ABGB) zurückgedrängt. Mit dem Inkrafttreten
des →deutschen Bürgerlichen Gesetbuchs (1. 1. 1900) endet für 16,5
Millionen Menschen in Hessen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg,
Mecklenburg, Neuvorpommern, Rügen, Schleswig-Holstein u. s. w. (insgesamt in 93 verschiedenen
Gebieten) die unmittelbare Geltung des gemeinen Rechtes in Deutschland. →Allgemeines
deutsches Recht, →common law
Lit.: Söllner §§ 2, 3, 25; Köbler, DRG 107, 137, 184;
Linck, H., De dubia ac difficili iuris communis definitione, 1680; Wieacker,
F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Wiegand, W., Zur
Herkunft und Ausbreitung der Formel habere fundatam intentionem, FS Hermann
Krause 1975, 126ff.; Wiegand, W., Studien zur Rechtsanwendungslehre der
Rezeptionszeit, 1977; Bellomo, M., L’Europa del diritto comune, 1988; Wesener,
G., Einflüsse und Geltung des römisch-gemeinen Rechts in den
altösterreichischen Ländern in der Neuzeit, 1989; Gemeines Privatrecht in der
Europäischen Gemeinschaft, hg. v. Müller-Graf, 1993; Schlosser, H., Grundzüge
der neueren Privatrechtsgeschichte, 9. A. 2001, 10. A. 2005; Nève, P.,
(Europäisches) ius commune und (nationales) gemeines Recht, FS K. Kroeschell,
hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter,
1997ff.; Watson, A., Legal history and a common law for Europe, 2001; Schröder,
J., Recht als Wissenschaft, 2001, 2. A. 2012; Oestmann, P., Rechtsvielfalt vor
Gericht, 2002; Daniel, A., Gemeines Recht, 2003; Bellomo, M., Europäische
Rechtseinheit, 2005
Gemeines Sachsenrecht ist das auf der Grundlage des →Sachsenspiegels
(1221-1224), der Glosse zum Sachsenspiegel und der sog. Richtsteige (sowie des
sächsischen Weichbildrechts Magdeburgs [str.]) entwickelte, in Sachsen mehr
oder weniger allgemein anerkannte Recht, dessen Durchsetzung vor allem die
Schöffenstühle von Magdeburg, Leipzig, Dohna, Halle und (1529) Wittenberg, die
juristischen Fakultäten in Leipzig, (1502) Wittenberg und Jena sowie die
verschiedenen Hofgerichte (Leipzig, Wittenberg, Jena) fördern. Die Gesetze
einzelner Länder engen zwar den Geltungsbereich des gemeinen Sachsenrechts ein,
entwickeln dieses aber auch durch ihre Grundgedanken fort (z. B. Kursächsische
Konstitutionen). Die Geltung des gemeinen Sachsenrechts betrifft das
Kurfürstentum Sachsen (bis 1863/1865), Schlesien, Brandenburg, die
sachsen-ernestinischen Teilfürstentümer (z. B. Sachsen-Weimar-Eisenach,
Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg: „Thüringen“ bis
1900), Schwarzburg, Reuß, Anhalt (bis 1900), Hannover, Lüneburg, Lauenburg,
Holstein, Braunschweig (bis 16. Jh.) und dazwischenliegende kleinere Länder. Gegen
1700 wird das gemeine Sachsenrecht auch bescheidener Lehrgegenstand an den
Universitäten Sachsens. Die Rechtsakte Kursachsens werden 1724 von Johann
Christian Lünig in einer amtlichen Sammlung (Codex Augusteus, Teil 1)
veröffentlicht. Mit dem sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch (1863/1865) und
dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1. 1. 1900) wird die Geltung des
gemeinen Sachsenrechts (zuerst in Sachsen und dann auch in Thüringen und Anhalt)
beendet.
Lit.: Weiske, J., Die Quellen des gemeinen sächsischen
Rechts, 1846; Haubold, C., Lehrbuch des königlich-sächsischen Privatrechts, 3.
A. 1847; Heimbach, C., Lehrbuch des partikulären Privatrechts, 1848; Emminghaus,
G., Pandekten des gemeinen sächsischen Rechts, 1848; Schultze von Lasaulx, H.,
Die Krise des gemeinen Sachsenrechts, FS J. Hedemann, 1938, 51; Günther, G.,
Römisches Recht in Thüringen, Diss. jur. Jena 1957 (Druck 2008).; Sachsen im
Spiegel des Rechts, hg. v. Schmidt-Recla, A. u. a., 2001; Kroeschell, K., recht
und unrecht der sassen, 2005; Grundlagen für ein neues Europa, hg. v. Lück, H.
u. a. 2009
Gemeines Strafrecht
ist das auf der Grundlage der →Constitutio Criminalis Carolina (1532),
die den örtlichen Gewohnheiten und Satzungen nachgehen will, gebildete
deutsche Strafrecht des 16. bis 18. Jh.s.
Lit.: Kroeschell, DRG 2
Gemeinfreier ist
(seit dem späten 18. Jh.) der allgemeine →Freie der germanischen Zeit und
des frühen Mittelalters. Im Gegensatz zur klassischen Lehre der deutschen Rechtsgeschichte
ist es in der Gegenwart streitig geworden, ob es in der fraglichen Zeit eine
breite, „den Staat tragende“ Schicht freier Leute unter einem Adel mit schwach
ausgeprägten Vorrechten gegeben hat. In jedem Fall nimmt die Zahl der Freien im
Frühmittelalter infolge der Ausbreitung der →Grundherrschaft ab.
Lit.: Köbler, DRG 71; Brunner, H., Nobiles und Gemeinfreie,
ZRG GA 19 (1898), 76; Heck, P., Die Gemeinfeien der karolingischen Volksrechte,
1900; Mayer, T., Königtum und Gemeinfreiheit im frühen Mittelalter, DA 6
(1943), 239; Das Problem der Freiheit, hg. v. Mayer, T., 4. unv. A. 1981
Gemeingebrauch (um 1830) ist der aus mehreren Wurzeln (z. B. Allmende, römisches
Recht) erwachsene, grundsätzlich jedermann gebührenfrei offen stehende bestimmungsgemäße
Gebrauch einer der Allgemeinheit gehörenden oder gewidmeten Sache (z. B.
Fluss, Straße, Wald?). Gegensatz hierzu ist die gebührenpflichtige
Sondernutzung öffentlicher Sachen.
Lit.:
Ubbelohde, A., Die Interdikte zum Schutz des Gemeingebrauchs, 1893; Lewy, R.,
Zur Geschichte und heutigen Berechtiguing des Begriffs öffentliche Sachen im
Gemeingebrauch, Diss. jur. Greifswald 1910; Knapp, M., Gemeingebrauch und
Staatseigentum, 2003
Gemeinschaft (Wort 765, gemeinschaftlich 1691, gemeinschaftliches Testament 1766) ist die
durch eine Gemeinsamkeit verbundene Mehrheit von Personen, insbesondere im
Schuldrecht die gemeinschaftliche Inhaberschaft eines einzelnen Rechtes durch
mehrere. G. ist im klassischen römischen Recht die vielleicht in den letzten
vorchristlichen Jahrhunderten aus wirtschaftlichen Gründen entwickelte (lat.) →communio
(F.) pro indiviso, bei der über die ganze Sache alle Gemeinschafter zusammen
verfügen können und jeder Gemeinschafter unabhängig von den anderen über seinen
(rechnerischen) Anteil. Aufgelöst wird diese G. mit Hilfe der jederzeit
möglichen allgemeinen Teilungsklage (lat. actio [F.] communi dividundo). Seit
dem Spätmittelalter wird die römischrechtliche, dem Gesamthandsgrundsatz
widersprechende G. in Deutschland übernommen.
Lit.: Kaser § 23 IV; Köbler, DRG 25; Schultze, A., Zur
Rechtsgeschichte der germanischen Brüdergemeinschaft, ZRG GA 56 (1936), 264;
Conrad, H., Individuum und Gemeinschaft in der Privatrechtsordnung des 18. und
beginnenden 19. Jahrhunderts, 1956; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1
1985, 293, 549; Person und Gemeinschaft im Mittelalter, hg. v. Althoff, G. u.
a., 1988; Schnorr, R., Die Gemeinschaft nach Bruchteilen, 2004; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gemeinschaftsrecht →Europäische Gemeinschaft
Lit.: Emmerich, W., Gemeinschaftsrecht und nationale
Rechte, 1971; Nicolaysen, G., Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1979
Gemeinwerk ist
die vielleicht aus der mittelalterlichen Grundherrschaft entwickelte Pflicht
der Mitglieder einer örtlichen Gemeinschaft zur tatsächlichen Leistung
persönlicher Dienste zu Gunsten der Gemeinschaft und das daraus entstehende
Werk (z. B. Mauer, Deich, Straße, Brücke). Das G. ist vor allem im
mittelalterlichen Dorf bedeutsam. Seit dem 18. Jh. wird als Ergebnis der
Geldwirtschaft das G. weitgehend durch Abgaben bzw. Steuern ersetzt.
Lit.: Gremler, F., Die Naturaldienste im
preußischen Gemeinderecht, Diss. jur. Bonn 1912; Durgiai, E., Das Gemeinwerk,
Diss. jur. Bern 1943; Bader,
K., Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde, 1962.
Gemeinwohl (lat.
salus [F.] publica, bonum (N.) commune) ist das allgemeine Wohl einer
Gesellschaft. Das G. ist vielfach Ziel eines Staates (Wohlfahrtsstaat). Es
kann dabei zur Unterdrückung missbraucht werden. Im Liberalismus soll es sich
durch eigennütziges Handeln aller von selbst einstellen.
Lit.: Merk, W., Der Gedanke des gemeinen Besten, FS Alfred
Schultze 1940, 2. A. 1968; Stolleis, M., Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen
Recht, 1974; Honsell, T., Gemeinwohl und öffentliches Interesse, ZRG RA 95
(1978), 93; Hibst, P., Utilitas publica, 1991; Gemeinwohl, Freiheit, Vernunft,
Rechtsstaat, hg. v. Ebel, F., 1995; Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische
Semantiken politischer Leitbegriffe, hg. v. Münkler, H. u. a., 2001; Gemeinsinn
und Gemeinwohl in der römischen Antike, hg. v. Jehne, M. u. a., 2013
Gemischtes Bezirksamt ist in Österreich von 1852 bis 1868 die staatliche, durch Zusammenlegung
von Bezirkshauptmannschaft und Bezirksgericht entstehende Verwaltungs- und
Gerichtsbehörde erster Instanz.
Genannter
Lit.: Schall, K., Die Genannten in
Nürnberg, 1971
Genealogie (F.)
Familienkunde
Lit.: Köbler, DRG 2; Forst de Battaglia, O.,
Wissenschaftliche Genealogie, 1948; Melville, G., Vorfahren und Vorgänger,
(in) Die Familie als sozialer und historischer Verband, 1987, 203; Europäische
Stammtafeln, hg. v. Schwennicke, D., 1998, 2. A. 2005, N. F. Bd. 26 2008;
Hlawitschka, E., Die Ahnen der hochmittelalterlichen deutschen Könige, Kaiser
und ihrer Gemahlinnen 1 (911-1137), 2007
Genehmigung (1747) ist die Erklärung des Einverständnisses mit dem Verhalten
eines anderen. Sie ist bereits dem römischen Recht bekannt. Sie entwickelt sich
im Verwaltungsrecht zu einer Erlaubnis oder zu einer nachträglichen Billigung,
im Privatrecht zur nachträglichen Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft.
Lit.: Kaser §§ 11 IV, 49 II, 53 I; Kroeschell, DRG 2;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Generalauditeur ist im 17. Jh. nach spanisch-niederländischem (1587) und schwedischem
(1621) Vorbild im Heiligen römischen Reich der Leiter der Rechtspflege des Heeres
(1638/1651 Brandenburg, vor 1649 Reich). 1898 wird der G. durch die
Militärstrafgerichtsordnung beseitigt.
Lit.: Meyer, O., Die Stellung des preußischen
Generalauditeurs, Arch. Mil.R. 3 (1911/2), 138, 4 (1912/3), 349; Hülle, W., Das
Auditoriat in Brandenburg-Preußen, 1971; Modéer, K., Gerichtsbarkeit der
schwedischen Krone, 1975
Generaldirektorium (Generaloberfinanzkriegs- und -domänendirektorium) ist die
aus einer zentralen Fachbehörde der Domänenverwaltung und aus dem
Generalkriegskommissariat erwachsene oberste Behörde in →Preußen im 18.
Jh. (1722/1723-1806/1807), die 1749 Österreich als Vorbild dient.
Lit.: Hartung, F., Die Entwicklung des Generaldirektoriums
in Preußen 1723-1876, FuF 18 (1942), 110; Neugebauer, W., Residenz, Verwaltung,
Repräsentation, 1999
Generalgouvernement ist die im frühen 19. Jh. und von 1939 bis 1945
verwendete Bezeichung für eine umfassende Verwaltungseinrichtung.
Lit.:
Napoleon, hg. v. Veltzke, V., 2007
Generalhypothek ist die im römischen Recht mögliche →Hypothek am
ganzen Vermögen eines Pfandschuldners. Sie wird teilweise in der Neuzeit in
Deutschland aufgenommen. Sie verunsichert durch fehlende Offenkundigkeit das
Kreditwesen, weshalb sie später beseitigt wird.
Lit.: Kaser § 31; Köbler, DRG 41; Wagner, H.,
Voraussetzungen, Vorstufen und Anfänge der römischen Generalverpfändung, 1967;
Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.
Generalklausel (1896?) ist der nur einen allgemeinen Grundsatz aufstellende, die
konkrete Bestimmung im Einzelfall den Gerichten überlassende Rechtssatz (z.
B. §§ 138, 157, 242, 826 BGB, lat. generalis clausula, D. 4. 6. 26. 1 und 4. 6.
33 pr.). Die G. hat (wie Billigkeit oder Naturrecht) den Vorzug der Offenheit
für nichtvorhersehbare Umstände zu Gunsten inhaltlicher Gerechtigkeit für sich
und den Nachteil der Rechtsunsicherheit gegen sich. Im 20. Jh. wird dem
Gesetzgeber die Flucht in die Generalklauseln vorgehalten.
Lit.: Köbler, DRG 229; Hedemann, J., Die Flucht in die
Generalklauseln, 1933; Börner, F., Die Bedeutung der Generalklauseln, 1989;
Nowak, C., Die praktische Bedeutung der Generalklauseln und unbestimmten
Rechtsbegriffe in den großen Kodifikationen der DDR, Diss. jur. Köln 1993; Die
Generalkluasel im europäischen Privatrecht, hg. v. Baldus, C. u. a., 2006
Generalkriegskommissar (z. B. Brandenburg-Preußen 1609-1722)
Generalpfand ist das im römischen Recht mögliche Pfand am gesamten gegenwärtigen
Vermögen eines Pfandschuldners. →Generalhypothek
Generalprävention ist der →Strafzweck, der auf allgemeine Vorbeugung
gegenüber Straftaten durch Abschreckung auch unbekannter Dritter gerichtet ist
(Feuerbach 1813).
Lit.: Köbler, DRG 204; Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss
der Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007
Generalstaatsanwalt ist der oberste Leiter einer gesamten Staatsanwaltschaft
(z. B. DDR).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.
Generalstände (M.Pl.) allgemeine →Stände, états généraux
Lit.: Soule, C., Les États généraux de France (1302-1798),
1968; Bulst, L., Die französischen Generalstände, 1992
Genf am
Ausfluss der Rhone aus dem Genfer See wird unter den 121 v. Chr. den Kelten
folgenden Römern um 400 Sitz eines Bischofs und gelangt 1033 mit Burgund an das
deutsche Reich. Seit 1536 wirkt in G. Calvin reformatorisch. 1559 erhält es
eine Akademie für Theologie und humanistische Fächer. 1815 wird G. Mitglied der
Eidgenossenschaft der →Schweiz. Im frühen 19. Jh. werden Privatrecht und
Prozessrecht (1819) gesetzlich geregelt (→Bellot). 1873 erlangt G. durch
Aufnahme der Medizin eine Universität.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Cramer, J., Précis de
l’histoire du droit genevois, 1761; Borgeaud, C. u. a., Histoire de l’Université,
Bd. 1ff. 1900ff.; Rivoire, É. u. a., Les sources du droit du canton du Genève,
Bd. 1f. 1927ff.; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,450, 3,2,1866;
Histoire de Genève, hg. v. Guichonnet, P., 1974, 3. A. 1986
Genfer Konvention
ist die (seit dem 22. 8. 1864) in Genf abgeschlossene völkerrechtliche
Vereinbarung (z. B. zur Humanisierung des Kriegsrechts).
Lit.: Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007
Genosse →Genossenschaft
Genossenschaft ist die Personenvereinigung zur Erfüllung der von ihren
Mitgliedern (Genossen, Mitnutzern) angestrebten Zwecke, insbesondere der
Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs.
Sie ist im Gegensatz zur Herrschaft durch Gleichheit gekennzeichnet. Ihre
ältesten Formen betreffen die vielleicht von Verwandtschaften ausgehende gemeinsame
Nutzung von Land. Bedeutsam ist die möglicherweise noch ins Frühmittelalter zurückreichende
→Markgenossenschaft. Besondere Erwähnung verdient auch die durch
eidlich bestärkte Vereinbarung entstehende →Eidgenossenschaft. Eine
stärkere Verfestigung zeigt die im 12. Jh. sichtbare (als G. erklärbare)
Stadtgemeinde. Genossenschaftlich organisiert sind im Hochmittelalter
auch →Gemeinderschaft, →Zunft, Bruderschaft, →Universität,
bergrechtliche →Gewerkschaft, Waldgenossenschaft und Deichgenossenschaft.
In der frühen Neuzeit drängt der Einfluss der gelehrten Rechte die G.
zugunsten der römischrechtlichen (lat. [F.]) →societas bzw. (lat. [F.]) →universitas
zurück. Die G. neigt zur Verselbständigung und zur Ersetzung der Einstimmigkeit
durch die Mehrheit. Die hierauf gegründete Theorie des 19. Jh.s, dass die →juristische
Person eine Fiktion sei, wird von Georg von →Beseler (1809-1888, 1843) und
Otto von →Gierke (1841-1821) (Theorie der realen Verbandspersönlichkeit
1868ff.) bekämpft. In Preußen bzw. dem Norddeutschen Bund wird 1867/1868, in
Österreich am 9. 4. 1873 ein Gesetz betreffend die G. (Gesellschaft mit offener
Mitgliederzahl, bei Eintragung in das Genossenschaftsregister juristische
Person) geschaffen (Konsumgenossenschaft, Raiffeisengenossenschaft,
Wohnungsbaugenossenschaft).
Lit.: Hübner 123ff.; Köbler, DRG 96, 121, 174, 177, 207,
218; Köbler, WAS; Gierke, O. v., Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1ff.
1868ff.; Gierke, O. v. Die Genossenschaftstheorie, 1887; Solmi, A., Le
associazioni in Italia, 1898; Haff, K., Zur Rechtsgeschichte der mittelalterlichen
Transportgenossenschaften, ZRG GA 31 (1910), 253; Weimann, K., Die Mark- und
Walderbengenossenschaften des Niederrheins, 1911; Bader, K., Das
mittelalterliche Dorf, Bd. 1ff. 1957ff.; Schlosser, M., Genossenschaften in
der Grafschaft Ysenburg, 1956; Faust, H., Geschichte der
Genossenschaftsbewegung, 1965; Bludau, K., Nationalsozialismus und Genossenschaften,
1968; Laufs, A., Genossenschaftsdoktrin und Genossenschaftsgesetzgebung vor
100 Jahren, JuS 1968, 311; Spindler, H., Von der Genossenschaft zur
Betriebsgemeinschaft, 1982; Schröder, J., Zur älteren Genossenschaftstheorie,
Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/3), 399; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und
Recht, 1985; Gericht, Genossenschaft und Policey, hg. v. Dilcher, G. u. a.,
1986; Schubert, W., Zur Entstehung der Genossenschaftsgesetze Preußens und des
Norddeutschen Bundes (1863-1868), ZRG GA 105 (1988), 97; Hundert Jahre
Genossenschaftsgesetz, hg. v. Institut für Genossenschaftswesen u. a., 1989;
Akademie für deutsches Recht 1933-1945, Protokolle der Ausschüsse 4, Ausschuss
für Genossenschaftsrecht, hg. v. Schubert, W., 1989; Hettrich, E./Pöhlmann, P.,
Genossenschaftsgesetz, 1995; Hardtwig, W., Genossenschaft, Sekte, Verein,
1997; Helin, I., Vom Brodverein zur co op, 1998; Zinke, J., Die Entwicklung der
landwirtschaftlichen Genossenschaften in der Weimarer Republik, 1999;
Kattinger, D., Die gotländische Genossenschaft, 1999; Wilcken, C., Die
Reformbestrebungen zum Genossenschaftsgesetz in der Frühzeit der
Bundesrepublik, 2000; Peters, M., Die Genossenschaftstheorie Otto von Gierkes,
2002; Schneider, R., Altrechtliche Personenzusammenschlüsse, 2003; Janssen,
A., Die bleibende Bedeutung des Genossenschaftsrechts Otto von Gierkes, ZRG GA
122 (2005), 352; Schlütz, F., Ländlicher Kredit, 2013
Genossenschaftsgesetz →Genossenschaft
Genozid (N.,
M.,) →Völkermord
Lit.: Grenke, A., Der Genozid in der
Weltgeschichte, 2001; Genesis des Genozids, hg. v. Mallmann, K. u. a., 2004;
Barth, B., Genozid, 2006; Kallis, A., Genocide and Fascism, 2009; The Genocide
Convention, hg. v. Wilt, H. van der u. a., 2012
gens (lat. {[F.])
Sippenverband, Volk
Gent an der
Leie (kelt. ganda Zusammenfluss, 7./8. Jh. [lat.] pagus [M.] Gandao) erscheint
im 10. Jh. als Handelsort. Nach Paris ist es zweitgrößte Stadt nördlich der
Alpen. Im 12. Jh. erlangen die Kaufleute wichtige Rechte. Über Flandern, Burgund
(1384) gelangt G. an Habsburg (1477)/Spanien (M. 16. Jh.s) (1568
Freiheitskampf der Niederlande). Von den Niederlanden löst sich 1830 Belgien
(mit G.). 1879 wird G. Sitz einer Universität.
Lit.: Oppermann, O., Die älteren Urkunden des Klosters
Blandinium und die Anfänge der Stadt Gent, 1928; Werveke, H. van, Kritische
studiën betreffende de oudste geschiedenis van de stad Gent, 1933; Werveke, H.
van, De gentsche stadsfinanciën, 1934; Verhulst, A., De Sint-Baafsabdij te
Genbt en haar grondbezit, 1958; Koch, A., Gentse keuren van vóór 1240, 1960;
Verhulst, A., Die Frühgeschichte der Stadt Gent, FS Edith Ennen, 1972, 108;
Gent, red. Decavele, J., 1989
Gentechnologie ist die auf die Gene der Lebewesen
bezogene, in Deutschland seit 20. 6.
1990 gesetzlich geregelte Technologie.
Lit.: Salem, S., Die öffentliche Wahrnehmung der Gentechnik in der
Bundesrepublik Deutschland seit den 60er Jahren, 2013
Gentile ist
der Angehörige eines Sippenverbands (lat. [F.] gens) im römischen Recht. Er
ist nachrangig Erbe.
Lit.: Kaser § 12 I 1; Söllner §§ 4, 8; Köbler, DRG 21
Gentili,
Alberico (1552-1608) wird nach dem Rechtsstudium in Perugia Richter in Ascoli.
Auf der Flucht der Familie vor der Inquisition gelangt er 1581 nach Oxford
(1587 Professor für civil law) und veröffentlicht vor allem bedeutende
völkerrechtliche (kriegsrechtliche) Werke (De iure belli commentationes [F.Pl.]
tres, 1588f., Drei Abhandlungen zum Kriegsrecht). Nach 1590 wird er als Anwalt
tätig.
Lit.: Hugo Grotius and International Relations, hg. v.
Bull, H. u. a., 1990, 133
gentry (engl.)
Landadel (seit 15. bzw. 16. Jh.)
Lit.: Gentry, hg. v. Jones, M., 1986
Genua am
südlichen Steilabfall der Alpen zum Mittelmeer kommt über Römer, Ostgoten,
Byzantiner und Langobarden an die Franken. Seit dem 10. Jh. erlangt es eine
eigene Verwaltung. Vielfach unter fremder Herrschaft, wird es 1815 mit dem
Königreich Sardinien-Piemont (1861 Italien) vereinigt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Chiaudano, M., Contratti
commerciali Genovesi, 1925; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
2,2,162; Airaldi, G., Genova, 1986; Schweppenstette, F., Die Politik der
Erinnerung, 2003
genus (lat. [N.]) Geschlecht,
Gattung
Genus perire non censetur (lat.). Von einer Gattung wird nicht angenommen, dass sie
untergeht. →Gattungsschuld
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
Genuss
Lit.: Menninger, A., Genuss im
kulturellen Wandel, 2. A. 2008
Gény,
François (1861-1959) kommt über Algier (1887) und Dijon (1892) nach Nancy
(1901, 1905 ordentlicher Professor für bürgerliches Recht) und verfasst
bedeutsame Studien über Natur und Methode des Privatrechts (Méthode
d’interprétation et sources en droit privé positif, 1899, Science et technique
en droit privé positif, 1913ff.).
Lit.: Dabin, J. u. a., Le centenaire du doyen François
Geny, 1963
geometricus →mos
geometricus
Georgenberger Handfeste
ist die umfangreichere (von mehreren) Urkunde(n) über den am 17. 8. 1186 auf
dem im Bereich der Stadt Enns liegenden St. Georgsberg (Georgenberg) (mündlich)
abgeschlossenen Erbvertrag zwischen dem kinderlosen, kranken Herzog Otakar IV.
von →Steiermark und Herzog Leopold V. von →Österreich, auf Grund
dessen mit dem Tod Otakars IV. 1192 die Steiermark an Österreich fällt.
Lit.: Köbler, DRG 94; Baltl/Kocher; Spreitzhofer, K., Die
Georgenberger Handfeste, 1986
Gerade ist
vielleicht schon im germanischen Recht die Ausstattung der Braut für die
Verheiratung (vgl. rhedo in der [lat.] Lex [F.] Thuringorum [802, 35] und
mahalareda in der [lat.] Lex [F.] Burgundionum [um 500, 86]). Im
Hochmittelalter umfasst sie im Verbreitungsgebiet des Sachsenspiegels (Ssp
LdR I 5, 24, 27, 28, III 38) Schmuck, Kleider, Gefäße und Hausrat (Bett,
Kiste, Gebetbuch, vielleicht Gänse, Enten, Schafe). Beim Tod des Hausvaters
fällt sie (vor allem in der Stadt) als Voraus an die Ehefrau, beim Tod der Frau
(vor allem auf dem Land) an eine bestimmte nichtverheiratete weibliche (nächste)
Verwandte (oder einen Geistlichen). Seit dem Spätmittelalter (Lübeck 1275)
tritt die G. zurück (Beaunschweig-Lüneburg 1618, Sachsen 1814). Letzte Spuren
finden sich noch im Bürgerlichen Gesetzbuch Sachsens (1863/1865) und des
Deutschen Reiches (1896/1900, Hausrat).
Lit.: Hübner 664, 739; Köbler, DRG 89, 123, 162; Hradil,
P., Zur Theorie der Gerade, ZRG GA 31 (1910), 67; Heukamp, B., Die Gerade,
1912; Schmitt, A., Das Fortleben der Gerade, 1913; Frommhold, E., Das Recht der
Gerade, Diss. jur. Leipzig 1934; Bungenstock, W., Heergewäte und Gerade, Diss.
jur. Göttingen 1966; Ottenjohann, H., Das Sondervermögen „Gerade“, (in) Aus dem
Leben gegriffen, 1995, 379; Gottschalk, K., Streit um Frauenbesitz, ZRG GA 114
(1997), 182; Gottschalk, K., Eigentum, 2003
Gerber,
Karl Friedrich Wilhelm (Ebeleben 11. 4. 1823-Dresden 23. 9. 1891),
Gymnasialdirektorssohn, wird nach dem Rechtsstudium in Leipzig und Heidelberg (Mittermaier,
Vangerov, Puchta, Hänel, Albrecht), der Promtion in Heidelberg (2. 2. 1843),
einer praktischen Tätigkeit in Sondershausen und der Habilitation in Jena
(1844) 1846 außerordentlicher Professor in Jena, 1847 ordentlicher Professor
in Erlangen, 1851 Tübingen, 1862 Jena und 1863 Leipzig. 1871 wird er
Kultusminister Sachsens. 1846 legt er eine von Puchta beeinflusste Untersuchung
über das wissenschaftliche Prinzip des →gemeinen deutschen Privatrechts
vor, in der er das deutsche Recht statt als Rechtsquelle als bloßes System von
Rechtsgedanken (Geist des deutschen Rechtes) auf der Grundlage des freien
Willens versteht. Hierauf gründet er sein erfolgreiches romanistisch
beeinflusstes Lehrbuch System des deutschen Privatrechts (1848/9, 17. A. 1898),
in dem er den Geist des deutschen Rechtes in konkrete juristische Sätze fasst.
1852 lässt er die auf den Willensäußerungen der Einzelnen als Glieder der
Volksverbindung beruhende Untersuchung über öffentliche Rechte folgen, die
1865 zu Grundzügen eines Systems des deutschen Staatsrechts (mit den vier
Abteilungen Staatsgewalt [Willensmacht des Staates], Organe des Staates,
[Formen der] Willensäußerungen des Staates, Rechtsschutz) werden, die den →Staat
als →juristische Person verstehen und in Ersetzung der
staatswissenschaftlichen Betrachtung durch konsequent juristisches Denken die
moderne deutsche Staatsrechtswissenschaft begründen (3. A. 1880).
Lit.: Köbler, DRG 205; Wilhelm, W., Zur juristischen
Methodenlehre im 19. Jahrhundert, 1958; Pauly, W., Der Methodenwandel im
deutschen Spätkonstitutionalismus, 1993; Pöggeler, W., Einleitung zu Gerber,
C., Das wissenschaftliche Pinzip des gemeinen deutschen Privatrechts, Neudruck
1998; Lewinski, K. v., Deutschrechtliche Systembildung im 19. Jahrhundert,
2001; Briefe deutscher und Schweizer Germanisten an Karl Josef Anton
Mittermaier, hg. v. Jeowik, L., 2001; Schmidt-Radefeldt, S., Carl Friedrich von
Gerber (1823-1891), 2003; Bürger, J., Carl Friedrich Wilhelm von Gerber als
sächsischer Kultusminister, 2007; Kremer, C., Die Willensmacht des Staates -
Die gemeindeutsche Staatsrechtslehre des Carl Friedrich von Gerber, 2008
Gerechter Krieg
(lat. bellum [N.] iustum) ist der gerechtfertigte Fall einer gewaltsamen
Auseinandersetzung von Völkern oder Staaten. Nach Cicero (106-43 v. Chr., De re
publica 3, 23) begründen Rache und Vertreibung von Feinden allein den gerechten
Krieg. In gleicher Weise anerkennt das Christentum (Augustinus 354-430)
Verteidigung und Strafe als Grund eines gerechten Krieges, zu dem noch die
rechte Gesinnung des Kriegführenden hinzukommen muss. Thomas von Aquin (um
1270) fordert die (lat. [F.]) auctoritas des Herrschers, den gerechten Grund und
die rechte Einstellung (Summa Theologiae 2, 2, q. 40 a. 1). Fehde und Krieg
lassen sich allerdings kaum trennen. Bei Bartolus (Tractatus represaliarum,
1354) steht das Recht der Kriegführung auch selbständigen Fürsten und
Stadtstaaten zu. Francisco de Vitoria († 1546) begründet mit Hinweis auf den in
einem unüberwindlichen Irrtum Befangenen die Lehre vom beiderseits gerechten
Krieg. Nach Alberico Gentili (1588) schränkt Grotius (1583-1643) demgegenüber
dahin ein, dass zwar nur einer der Kriegsführenden im Recht sein könne, beide
aber in gutem Glauben streiten könnten. Im 18. Jh. wird auf eine Untersuchung
von ungerechten Kriegen und gerechten Kriegen verzichtet. Im 19. Jh. herrscht
die Lehre vom freien Kriegsführungsrecht der souveränen Staaten. Dagegen erfolgt
nach dem ersten Weltkrieg (1914-1918) eine Rückkehr zur Lehre vom gerechten
Krieg (Satzung des Völkerbunds, Briand-Kellogg-Pakt 1928, Satzung der Vereinten
Nationen), so dass der Angriffskrieg verboten wird.
Lit.: La Paix, 1961, Recueils de la Société Jean Bodin 15;
Tooke, J., The Just War in Aquinas and Grotius, 1965; Russel, F., The Just War,
1975; Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007; Stumpf, C., Vom
heiligen Krieg zum gerechten Krieg, ZRG KA 118 (2001), 1; Loreto, L., Il bellum
iustum e i suoi eqivoci, 2001; Guerra giusta?, hg. v. Calore, A., 2003; From
Just War to Modern Peace Ethics, hg. v. Justenhoven, H. u. a., 2012
gerechter Preis →Preis,
(lat.) iustum pretium (N.)
Gerechtigkeit ist das zeitlos gültige Maß richtigen Verhaltens. Bereits Aristoteles
(384-322 v. Chr.) unterscheidet die ausgleichende G. (lat. iustitia [F.]
commutativa) zwischen den Einzelnen und die austeilende G. (lat. iustitia [F.]
distributiva) zwischen Allgemeinheit und Einzelnen. Ulpian (170-223) erklärt
die G. (lat. [F.] iustitia) als den ständigen Willen, jedem sein Recht dadurch
zu gewähren, dass man ehrbar lebt, den anderen nicht verletzt und jedem das
Seine gibt. Das Christentum bestimmt die G. durch die in der Natur sich
zeigende göttliche Ordnung. Seit der Neuzeit versucht der Mensch die G. mit
Hilfe der (der Natur des Menschen entsprechenden) Vernunft zu ermitteln. Die G.
vollkommen zu verwirklichen, muss dabei wohl als wünschenswertes Ideal
angesehen werden, das tatsächlich nicht oft genug erreicht wird. Wie vieles
andere Unsichtbare versucht der Mensch auch, die G. in Bildern
(Gerechtigkeitsbildern) hilfsweise sichtbar zu machen.
Lit.: Köbler, DRG 2, 254; Frommhold, G., Die Idee der
Gerechtigkeit in der bildenden Kunst, 1925; Simon, K., Abendländische
Gerechtigkeitsbilder, 1948; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4 1984, 231;
Welzel, H., Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1951, 4. A. 1962; Kissel,
O., Die Justitia, 1984, 2. A. 1997; Schimmler, B., Recht ohne Gerechtigkeit,
1984; Dickhuth-Harrach, H. v., Gerechtigkeit statt Formalismus, 1986; Recht und
Gerechtigkeit im Spiegel der europäischen Kunst, hg. v. Pleister, W. u. a.,
1988; Sellert, W., Recht und Gerechtigkeit in der Kunst, 1993; Schild, W.,
Bilder von Recht und Gerechtigkeit, 1995; Manthe, U., Beiträge zur Entwicklung
des antiken Gerechtigkeitsbegriffes, ZRG RA 114 (1997), 1; Gerechtigkeit, hg.
v. Assmann, J. u. a., 1998; Justiz und Gerechtigkeit, hg. v. Griesebner, A.,
2002; Prodi, P., Eine Geschichte der Gerechtigkeit, 2003; Hayek, F. v., Recht,
Gesetz und Freiheit, 2003; Brüschweiler, A., Gerechtigkeit durch Ironisierung,
2003; Duvanel, L., La justice contractuelle, 2004; Schröder, J., Verzichtet
unser Rechtssystem auf Gerechtigkeit?, 2005; Petersen, J., Nietzsches
Genialität der Gerechtigkeit, 2008; Schlotmann, K., Recht und Gerechtigkeit im
Werk Heinrich Bölls, 2008; Rüthers, B., Das Ungerechte an der Gerechtigkeit, 3.
A. 2009; Sutter, C., Flämische Gerechtigkeitsbilder, 2009; Sen, A., Die Idee
der Gerechtigkeit, 2010; Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs des
späteren Mittelalters, hg. v. Schulte, P. u. a., 2012; Justice in Warteime and
Revolutions. Europe 1795-1950, hg. v. De Koster, M. u. a., 2012
Gerhabe ist
an manchen Orten eine mittelalterliche Bezeichnung für den →Vormund.
Lit.:
Haff, K., Gerhaben-Stellen aus unveröffentlichten Urkunden des Allgäus, ZRG GA
51 (1931), 512
Gericht ist
die (staatliche) Einrichtung, welche die Entscheidung in Streitigkeiten durch
Rechtsanwendung auf die Wirklichkeit ausüben soll. Das altrömische Recht
unterscheidet dabei (im Zivilverfahren) zwischen dem G. (lat. [N.] ius) und dem
Richter (lat. [M.] iudex). Das G. findet auf dem Markt (lat. [N.] forum) vor
dem zuständigen Magistrat (seit 367 v. Chr. lat. [M.] praetor) statt, der darüber
entscheidet, ob die Rechtsordnung für das Begehren des Verfolgers einen Schutz
(lat. [F.] actio) enthält und danach gegebenfalls unter Auswahl oder Auslosung
seitens der Parteien den Richter ermittelt. Seit Augustus (63 v. Chr.-14 n.
Chr.) tritt an die Stelle von Magistrat und Richter der einheitliche
öffentliche Amtsträger des →Kognitionsverfahrens, der untersucht und
entscheidet. Bei den Germanen finden demgegenüber die Entscheidungen in
Streitigkeiten anfangs vermutlich in der vom König oder mehreren Großen
geleiteten →Volksversammlung unter freiem Himmel statt, wobei ein
Entscheidungsvorschlag aus dem →Umstand vorgebracht wird. Im
Frühmittelalter leitet zunächst der König oder der (fränkische) (lat.-ad. [M.])
→thunginus (Dingmann) die Versammlung auf dem →Malberg, und →Rachinburgen
schlagen ein Urteil vor. Später verdrängt der →Graf den thunginus.
Zwischen 770 und 780 ersetzt Karl der Große die Rachinburgen durch →Schöffen
als Urteiler. Im geistlichen Gericht (Lüs. aus lat. [F.] correctio?) des
fränkischen Reiches entsprechen dem Grafen und den Schöffen der Bischof bzw.
Archidiakon bzw. Archipresbyter und die Sendschöffen, bis seit dem späten 12.
Jh. (Reims, Mainz), allgemeiner seit 1246 der gelehrte →Offizial des
Bischofs als ständiger, ordentlicher (berufsmäßiger) Einzelrichter, der
selbst entscheidet, erscheint. Noch im Reichskammergericht (1495) ist der
Richter grundsätzlich nur Verhandlungsleiter und ist die Hälfte der Beisitzer
(Assessoren) nur adlig und (zunächst) nicht rechtsgelehrt. Im Laufe der frühen
Neuzeit wird das mehr und mehr in festen Gebäuden tagende, bei anderen
Einrichtungen (z. B. rechtswissenschaftlichen Fakultäten) unter Aktenversendung
Rat erbitten könnende G. aber zu Lasten der Laien zunehmend mit rechtsgelehrten
Berufsjuristen besetzt und entscheidet (auch) der Richter (zumindest mit). Demgegenüber
belebt der Liberalismus des 19. Jh.s das Laienelement wieder (→Schwurgericht).
Zugleich ordnet er die Gerichte durch Gesetz (Gerichtsverfassungsgesetz,
Gerichtsorganisationsgesetz) und verdrängt die nichtstaatliche Streitentscheidung.
In der Gegenwart ist in Deutschland die →Gerichtsbarkeit in
unterschiedliche Zweige von Gerichten (ordentliches Gericht, Arbeitsgericht,
Finanzgericht, Sozialgericht, Verfassungsgericht, Verwaltungsgericht)
gegliedert. Diese sind in mehrere Instanzen gestuft (z. B. Amtsgericht,
Landgericht, Oberlandesgericht, Bayerisches Oberstes Landesgericht [bis 2004],
Bundesgerichtshof). Die meisten der sehr vielen Rechtsstreitigkeiten
werden durch Berufsrichter entschieden. Neben der Entscheidung von
Rechtsstreitigkeiten übernimmt das G. bereits im Mittelalter auch Verwaltungsaufgaben
(Registergericht, freiwillige Gerichtsbarkeit).
Lit.: Kaser §§ 80ff.; Köbler, DRG 111, 116, 150; Köbler,
WAS; Luschin von Ebengreuth, A., Geschichte des älteren Gerichtswesens in
Österreich, 1879; Rosenthal, E., Geschichte des Gerichtswesens und der
Verwaltungsorganisation Baierns, Bd. 1 1889, Neudruck 1968, 1984; Das älteste
Gerichtsbuch der Stadt Wiesbaden, hg. v. Otto, F., 1900; Funk, M., Die
lübischen Gerichte, ZRG GA 26 (1905), 53; Lenel, P., Die Scheidung von Richter
und Urteilern, ZRG RA 34 (1913), 440; Brünneck, W. v., Zur Geschichte der
Gerichtsverfassung der Stadt Frauenburg (im Ermlande), ZRG GA 37 (1916), 313;
Jecklin, C., Das Chorherrengericht zu Schiers, Jahresbericht der
historisch-antiquarischen Gesellschaft Graubündens 49 (1919); Pöhlmann, C.,
Gerichtssäule, ZRG GA 41 (1920), 387; Hillmann, H., Das Gericht als Ausdruck deutscher
Kulturentwicklung im Mittelalter, 1930; Frölich, K., Stätten mittelalterlicher
Rechtspflege auf südwestdeutschem Boden, 1938; Grosse, W., Land- und
Godingstätten in den Schwabengaugrafschaften, Festschrift für Walter
Möllenberg, 1939, 53; Grosse, W., Die mittelalterlichen Gerichte und
Dingstätten im Harzgau, Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und
Altertumskunde 72 (1939), 1; Braun, E., Die Entwicklung der Gerichtsstätten in
Deutschland, Diss. jur. Erlangen 1944; Kern, E., Geschichte des
Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Eberhard, H., Die Gerichtsorganisation der
Landgrafschaft Thüringen im Mittelalter, ZRG 75 (1958), 108; Köbler, G.,
Richten, Richter, Gericht, ZRG GA 87 (1970), 57; Müller-Volbehr, J., Die
geistlichen Gerichte in den Braunschweig-Wolfenbüttelschen Landen, 1972;
Krause, H., Mittelalterliche Anschauungen vom Gericht, 1974 (SB München);
Köbler, G., Gericht und Recht in der Provinz Westfalen (1815-1945), FS G.
Schmelzeisen, 1980, 166; Schubert, W., Die deutsche Gerichtsverfassung
1869-1877, 1981; Drüppel, H., Iudex civitatis, 1981; Keller, O., Die Gerichtsorganisation
des Raumes Marburg im 19. und 20. Jahrhundert, 1982; Handbuch der bayerischen
Ämter, Gemeinden und Gerichte, hg. v. Volkert, W., 1983; Schumacher, U.,
Staatsanwaltschaft und Gericht im Dritten Reich, 1985; Turner, R., The English
Justiciary, 1985; Weitzel, J., Dinggenossenschaft und Recht, 1985; Dülmen, R.
van, Theater des Schreckens, 1985; Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey,
hg. v. Dilcher, G. u. a., 1986; Köbler, G., Bilder aus der deutschen Rechtsgeschichte,
1988; Prozessflut?, hg. v. Blankenburg, E., 1989; Franz, E./Hofmann, H./Schaab,
M., Gerichtsorganisation in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen im 19. und 20.
Jahrhundert, 1989; Das Oberste Gericht der DDR, 1989; Ackermann, R.,
Mittelalterliche Kirchen als Gerichtsorte, ZRG GA 110 (1993), 530; Rose, M.,
Das Gerichtswesen des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken im 18. Jahrhundert, 1994;
Klemmer, K./Wassermann, R./Wessel, T., Deutsche Gerichtsgebäude, 1993;
Justizgebäude in Sachsen, 1995; Ishikawa, T. Das Gericht im Sachsenspiegel, FS
K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Lück, H., Die kursächsische
Gerichtsverfassung, 1997; Richter, K., Friedrich Barbarossa hält Gericht, 1999;
Schuster, P., Eine Stadt vor Gericht, 2000; Zehetmayer, R., Kloster und
Gericht, 2001; Lenzing, A., Gerichtslinden und Thingplätze in Deutschland,
2005; Höchstgerichte in Europa, hg. v. Auer, L. u. a., 2007; Gerichtskultur im
Ostseeraum, hg. v. Knothe, H. u. a., 2007; Deutsche Justizinstitutionen in
Geschichtswerken und Festschriften, hg. v. Vormbaum, T., 2007 (Bibliographie);
Strauch, D., Rheinische Gerichte in zwei Jahrhunderten, 2007; Loroch, S.,
Zeitungsrubrik Gerichtssaal, 2009; Waldstätten, A., Staatliche Gerichte in
Wien seit Maria Theresia, 2012; Oestmann, P., Geistliche und weltliche Gerichte
im Alten Reich, 2012; Gerichtsstätten in Hessen, bearb. v. Eckhardt, W., 2012 http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/index/sn/gsr;
European Supreme Courts, hg. v. Van Rhee, R., 2013; Diestelkamp, B., Vom
einstufigen Gericht zur obersten Rechtsmittelinstanz, 2013
Gerichtliche Medizin (oder
Gerichtsmedizin) ist die rechtlich bzw. verfahrensrechtlich bedeutsame Medizin.
Im Mittelalter werden allmählich ärztliche Sachverständige in das Verfahren vor
Gericht eingeführt. Die erste bekannte richterliche Leichenöffnung findet in
Bologna 1302 statt. Die Constitutio Criminalis Carolina (1532) behandelt die
Bedeutung verständiger Frauen und verständiger Ärzte für das Strafverfahren
allgemein. Im 18. Jh. erscheint die (lat.) medicina (F.) forensis als Vorlesung
an den Universitäten. Eigene Lehrstühle folgen etwas später nach (Wien 1804,
Prag 1807), ein eigenes Fach 1835. 1901 wird im Deutschen Reich g. M. für
einige Zeit Pflichtfach des Studiums.
Lit.: Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer,
1970; Bader, K., Ärztliche Sachverständige im Mittelalter, 1976
Gerichtsakte ist
die (unter Einschränkung der Mündlichkeit) seit dem 14. Jh. einsetzende) →Akte
eines Gerichts.
Lit.: Kroeschell, DRG 2
Gerichtsbarkeit ist die auf Verwirklichung der bestehenden Rechtsordnung
gerichtete Tätigkeit (des Staates bzw. der Allgemeinheit) (Judikative). →Gericht
Lit.: Kaser §§ 80, 87; Meyer, G., Die Gerichtsbarkeit über
Unfreie und Hintersassen, ZRG GA 2 (1881), 83, 3 (1882), 102; Goldhardt, O.,
Die Gerichtsbarkeit in den Dörfern des mittelalterlichen Hennegaues, 1909;
Brand, E., Eidgenössische Gerichtsbarkeit, Bd. 1ff. 1952ff.; Hirsch, H., Die
hohe Gerichtsbarkeit, 1922, 2. A. 1958; Lieberich, H., Zur Feudalisierung der
Gerichtsbarkeit in Baiern, ZRG GA 71 (1954), 242; Tomaschek, J., Die höchste
Gerichtsbarkeit des deutschen Königs und Reiches im 15. Jahrhundert, 1965;
Hageneder, O., Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich,
1967; Laufs, A., Die Anfänge einheitlicher höchster Gerichtsbarkeit in
Deutschland, JuS 1969, 256; Nordhoff-Behne, H., Gerichtsbarkeit und
Strafrechtspflege in der Reichsstadt Schwäbisch-Hall, 1971; Modéer, K.,
Gerichtsbarkeiten der schwedischen Krone im deutschen Reichsterritorium, Bd. 1
1975; Müller-Kinet, H., Die höchste Gerichtsbarkeit im deutschen Staatenbund
1806-1866, 1975; Rödel, U., Königliche Gerichtsbarkeit, 1979; Globig, G.,
Gerichtsbarkeit als Mittel sozialer Befriedung, 1985; Schild, W., Alte
Gerichtsbarkeit, 2. A. 1987; Deter, G., Handwerksgerichtsbarkeit zwischen
Absolutismus und Liberalismus, 1987; Schild, W., Geschichte der
Gerichtsbarkeit, 1995; Oberste Gerichtsbarkeit und zentrale Gewalt im Europa
der frühen Neuzeit, hg. v. Diestelkamp, B., 1996; Harendil, H.,
Gesellschaftliche Gerichtsbarkeit, 1997; Royer, J., Histoire de la justice en
France, 1997; Albert, D., Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter, 1998;
Drecktrah, V., Die Gerichtsbarkeit in den Herzogtümern Bremen und Verden, 2002;
Shirley, K., The Secular Jurisdiction of Monasteries, 2004; Praxis der
Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters, hg. v.
Arlinghaus, F., 2006; Murauer, R., Die geistliche Gerichtsbarkeit im Salzburger
Eigenbistum Gurk im 12. und 13. Jahrhundert, 2009; Die Höchstgerichtsbarkeit im
Zeitalter Karls V., hg. v. Czeguhn, I. u. a., 2011
Gerichtsbote ist in Mittelalter und Frühneuzeit der Entscheidungen (z. B. Ladungen) des
Gerichts übermittelnde Gerichtsbedienstete (z. B. Fronbote, Büttel, Waibel).
Lit.:
Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege, 1953
Gerichtsbuch ist
das bei einem →Gericht (vielleicht seit dem 13. Jh.) geführte Buch über
gerichtliche Handlungen der streitigen oder freiwilligen Tätigkeit (z. B.
Urteile, Rügen, Klagen, Protokolle, Vergleiche, Rechtsgeschäfte).
Gerichtsbücher sind (mit unterschiedlichen Bezeichnungen) beispielsweise
überliefert aus den Städten Worms, Bamberg, Bingen, Stralsund, Luckau und aus
vielen Dörfern (z. B. Niederingelheim, Eppelsheim, Hamm, Erpolzheim, vor
allem in Bayern, Pfalz, Schlesien und Brandenburg).
Lit.: Rehme, P., Über Stadtbücher als Geschichtsquelle,
1913; Frommhold, G., Das Gerichtsbuch von Pfalzfeld, ZRG GA 47 (1927), 664;
Schultheiß, W., Über spätmittelalterliche Gerichtsbücher aus Bayern und
Franken, FS H. Liermann, 1964, 264; Das Kulmer Gerichtsbuch (1330-1430), hg. v.
Lückerath, C. u. a., 1999
Gerichtsgebäude ist das (seit etwa 1730 [Kammergericht] bzw. 1830 [Köln vor 1834]) der
räumlichen Unterbringung (nur) des Gerichts dienende Gebäude.
Lit.:
Klemmer, K., Deutsche Gerichtsgebäude, 1993; Justizgebäude in Sachsen, hg. v.
sächs. Staatsministeium der Justiz, 1995; Kähne, V., Stätten der Justiz in
Berlin, 2007; Der Wiener Justizpalast, hg. v. Bundesministerium der Justiz, 2007;
Müller, S., Das Reichsgericht in Leipzig, 2008
Gerichtsgebrauch ist (seit dem 16./17. Jh.) die an einem oder mehreren
Gerichten geübte besondere Art der Rechtsanwendung.
Lit.: Schumacher, D., Das rheinische
Recht, 1970; Sellert, W.,
Prozessgrundsätze und stilus curiae am Reichshofrat, 1973; Schröder, J.,
Wissenschaftstheorie und Lehre der praktischen Jurisprudenz, 1979
Gerichtsgefälle sind die an ein →Gericht zu erbringenden vermögenswerten
Leistungen (Gefälle, Wort vereinzelt seit 13. Jh.). Sie dienen der
Unterhaltung der mit der Gerichtsbarkeit betrauten Menschen. Zu ihnen gehört z.
B. das Friedensgeld. Seit dem Mittelalter begegnen Geldleistungen für einzelne
Gerichtshandlungen, wie beispielsweise auch für die Tätigkeit des →Gerichtsschreibers.
Hieraus entwickeln sich bis zum Beginn der Neuzeit an vielen Stellen besondere
Ordnungen für im voraus zu erhebende →Gebühren (Kosten), die der im
Verfahren Unterliegende zu erstatten hat. Später finden die G. über den
allgemeinen Staatshaushalt Verwendung zur Besoldung des Gerichtspersonals mit
festen Gehältern.
Lit.: Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im
Mittelalter, Bd. 1 1879; Döhring, E., Geschichte der deutschen Rechtspflege,
1953, 75ff.; Gudian, G., Ingelheimer Recht im 15. Jahrhundert, 1968
Gerichtsherr ist der Herr des Gerichts, der Herrschaft über das Gericht hat (z. B.
König, Landesherr, Stadt, Grundherr).
Gerichtshof ist
das mit mehreren Richtern besetzte (obere) Gericht bzw. ein Hof, an dem Gericht
gehalten wird. Seit 2009 bezeichnet sich der 1951 geschaffene Europäische
Gerichtshof als G., während das Gesamtsystem der Gerichtsbarkeit der
Europäischen Union G. der Europäischen Union genannt wird.
Lit.: Zimmermann, R., Der oberste Gerichtshof für die
britische Zone (1948-1950), ZNR 3 (1981), 158; Constitutionalising the EU
Judicial System, hg. v. Cardonnel, P. u. a., 2012
Gerichtslaube ist der als Laube gestaltete Ort der Abhaltung eines Gerichts. Bereits
809 sieht ein Kapitular Kaiser Karls des Großen Dächer für
Gerichtsversammlungen als Schutz gegen schlechtes Wetter vor. Seit dem 13. Jh.
tagt in Städten das Gericht (auch) in nach drei Seiten offenen steineren Lauben
an Rathäusern (z. B. Freiburg im Breisgau 1280).
Lit.:
Funk, W., Alte deutsche Rechtsmale, 1940; Klemmer, K. u. a., Deutsche
Gerichtsgebäude, 1993
Gerichtsmagistrat ist in Rom der für die Gerichtsbarkeit und damit für die Einsetzung von
entscheidenden Gerichten zuständige Magistrat (Prätor, kurulischer Ädil,
Statthalter u. a.).
Gerichtsmedizin (oder gerichtliche Medizin)ist die für gerichtliche Zwecke notwendige medizinische
Betrachtung (z. B. Leichenschau, Lehrstuhl Heidelberg 1766, seit 1835 als Fach
eingerichtet, Institut Berlin 1887, 1968 Rechtsmedizin).
Lit.: Handbuch der gerichtlichen Medizin, hg. v. Maschka,
J., 1881; Geschichte der gerichtlichen Medizin, hg. v. Mallach, H., 1996; Lorenz,
M., Kriminelle Körper – Gestörte Gemüter, 1999; Herber, F., Gerichtsmedizin
unterm Hakenkreuz, 2002; 100 Jahre Deutsche Gesellschaft für gerichtliche
Medizin, hg. v. Madea, B., 2004
Gerichtsordnung ist die Gesamtheit der für ein →Gericht unmittelbar
geltenden Rechtssätze. Sie entwickelt sich aus dem von der Kirche geförderten
Gedanken, dass ein rechtliches Verfahren in klarer Weise geordnet sein soll
(lat. ordo [M.] iudiciarius). In der Neuzeit wird hieraus die →Prozessordnung.
Lit.: Fischel, A., Die Olmützer Gerichtsordnung, 1903;
Meier, A., Die Geltung der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. im
Gebiete der heutigen Schweiz, 1910; Meyer, D., Gerichtsverfahren und
Zivilprozess nach der Solmser Gerichtsordnung von 1571, Diss. jur. Göttingen
1972; Kleinheyer, G., Die Regensburger peinliche Gerichtsordnung, FS H. Krause
1975, 110; Dank, E., Die Appellationsvorschriften der bayerischen
Gerichtsordnung von 1520, 1977; Loschelder, M., Die österreichische Allgemeine
Gerichtsordnung von 1781, 1978; Bader, K., Landes- und Gerichtsordnungen im
Gebiet des Fürstentums Fürstenberg, FS G. Schmelzeisen, 1980, 9
Gerichtsschreiber ist der wohl seit dem 14. Jh. an einzelnen →Gerichten
zur Aufzeichnung von Rechtshandlungen bestellte besondere →Schreiber.
Seine Rechtskenntnisse sind vielfach denen des ungelehrten Richters und der
ungelehrten Schöffen überlegen. 1923/1927 wird im Deutschen Reich die
Amtsbezeichnung G. durch Urkundsbeamter ersetzt.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Battenberg, F., Gerichtsschreiberamt
und Kanzlei des Reichshofgerichts 1235-1491, 1974; Dumke, D., Vom
Gerichtsschreiber zum Rechtspfleger, 1993
Gerichtsstab →Richterstab
Lit.: Rintelen, M., Der Gerichtsstab in den
österreichischen Weistümern, FS H. Brunner, 1910, 631; Kocher, G., Richter und
Stabübergabe, 1971
Gerichtsstand ist die örtliche, teilweise auch sachliche Zuständigkeit eines Gerichts.
Nach dem G. entscheidet sich, ob eine an einem Gericht erhobene Klage zulässig
ist. Der G. ist spätestens seit dem Hochmittelalter sehr bedeutsam.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Battenberg, F., Die
Gerichtsstandsprivilegien der deutschen Kaiser und Könige, 1983; Hubig, S., Die
historische Entwicklung des § 23 ZPO, 2002; Quick, E., Forum contractus. Eine
Untersuchung zur Gerichtsstandslehre im usus modernus, 2011
Gerichtsstätte ist die Stätte, an der Gericht stattfindet. Sie befindet
sich anfangs unter freiem Himmel (bei den Franken auf dem Malberg, [lat.]
mallobergus). 809 empfiehlt Karl der Große Lauben. Seit dem 13. Jh. erscheinen in
den Städten steinerene Gerichtslauben und danach Gerichtshäuser (z. B. Justizpaläste
im 19. Jh.).
Lit.: Planck,
J., Das deutsche Gerichtsverfahren, Bd. 1 1879; Frölich, K., Stätten
mittelalterlicher Rechtspflege, 1938; Funk, W., Alte deutsche Rechtsmale, 1940;
Braun, E., Die Entwicklung der Gerichtsstätten in Deutschland, Diss. jur.
Erlangen 1944; Klemmer, K. u. a., Deutsche Gerichtsgebäude, 1993; Dolch, M.,
Öffentliche Gerichtsstätten in mittelrheinischern Urkunden des Hoch- und
Spätmittelalters (in) Archiv für hess. Gesch. N. F. 68 (2010), 1 (360 Angaben)
Gerichtsverfahren ist das vor und von →Gerichten durchgeführte
Verfahren. Dabei wird bereits im altrömischen Recht zwischen Zivilverfahren und
Strafverfahren und zwischen Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren
unterschieden. Allerdings setzt sich das G. nur langsam gegenüber der →Selbsthilfe
des Verletzten durch. Mit der Entwicklung Roms zum Weltreich wird dabei die
gerichtliche Tätigkeit des Staates immer umfassender. Umgekehrt ist auch in den
germanischen Anfängen das G. gegenüber der →Selbsthilfe (→Fehde)
selten. König und Kirche fördern das G. seit dem Frühmittelalter. Auf die Klage
des Verletzten und die Klagantwort des Beklagten entscheiden die unter der
Leitung des →Richters versammelten →Schöffen den Streit durch ein
meist zweizüngiges →Urteil. Entlastet sich der Beklagte nicht (durch
Eid), so siegt der Kläger. Die Vollstreckung führt der Kläger selbst durch.
Eine Überprüfung des Urteils steht nur dem König zu. Wohl erst im
Hochmittelalter (str.) treten Zivilverfahren und Strafverfahren auseinander. Im
Strafverfahren gewinnt die amtliche Untersuchung an Bedeutung. Das Zivilverfahren
wandelt sich unter oberitalienisch-kanonistischem Einfluss (Schriftlichkeit).
Die Berufung (Appellation) an ein Obergericht wird möglich. In England ändert
sich das G. am stärksten zwischen 1154 und 1272. In der Neuzeit erlangt eine
Sonderstellung auch das Gebiet des sächsischen Rechtes. Im 19. Jh. beeinflusst
das freiere Verfahren der französischen Gesetze Zivilprozess und Strafprozess
in den deutschen Staaten.
Lit.: Wetzell, G., System des ordentlichen Zivilprozesses, 1861,
3. unv. A. 1978; Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd.
1f. 1879, Neudruck 1973; Bartmann, J., Das Gerichtsverfahren vor und nach der
Münsterischen Landgerichtsordnung von 1571, 1908; Döhring, E., Geschichte der deutschen
Rechtspflege, 1953; Leiser, W., Der gemeine Zivilprozess in den badischen
Markgrafschaften, 1961; Wesener, G., Das innerösterreichische
Landschrannenverfahren, 1963; Schmidt, E., Einführung in die Geschichte der
deutschen Strafrechtspflege, 1947, 3. A. 1965; Wiggenhorn, H., Der
Reichskammergerichtsprozess, Diss. jur. Münster 1966; Markov, J., Das
landrechtliche Gerichtsverfahren in Böhmen und Mähren bis zum 17. Jahrhundert,
ZRG GA 83 (1966), 145; Bomsdorf, F., Prozessmaximen und Rechtswirklichkeit,
1971; Meyer, D., Gerichtsverfahren und Zivilprozess nach der Solmser
Gerichtsordnung von 1571, Diss. jur. Göttingen 1972; Caenegem, R. van, History
of European Civil Procedure, 1973; Nörr, K., Zur Stellung des Richters im
gelehrten Prozess der Frühzeit, 1967; Fowler-Magerl, I., Ordo iudiciorum vel
ordo iudicicarius, 1984; Green, F., Verdict According to Conscience, 1985
Gerichtsverfassung ist die grundsätzliche organisatorische Gestaltung der
Rechtspflege im Sinne einer allgemeinen Verfasstheit. Sie ist anfangs ziemlich
einfach, entwickelt sich aber seit dem hohen Mittelalter mit dem Übergang
wesentlicher Teile der Gerichtsbarkeit vom König auf die Landesherren zu großer
Vielfalt. 1877/1879 wird im Deutschen Reich die partikuläre G. durch das
Gerichtsverfassungsgesetz vereinheitlicht (im Bereich der ordentlichen
Gerichtsbarkeit Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, Reichsgericht,
in Österreich Jurisdiktionsnorm von 1895 mit Bezirksgerichten, Landesgerichten
(bzw. Kreisgerichten), Oberlandesgerichten und Oberstem Gerichtshof [in
Wien]). Veränderungen seit 1933 werden 1945 wieder beseitigt (Gesetz Nr. 4 des
Alliierten Kontrollrats vom 30. 10. 1945). 1950 folgt dem untergegangenen Reichsgericht
der Bundesgerichtshof. Neben den ordentlichen Gerichten stehen
Verfassungsgerichte, Verwaltungsgerichte, Arbeitsgerichte, Sozialgerichte und
Finanzgerichte. Die Sonderentwicklungen in der sowjetischen Besatzungszone
bzw. der Deutschen Demokratischen Republik (1949, Gesetz über die gesellschaftlichen
Gerichte vom 11. 6. 1968, Gesetz vom 27. 9. 1974) werden 1990 rückgängig
gemacht. Beeinflusst wird die nationale G. seit 1951/1952 auch zunehmend durch
europäische Gerichte. →Gericht
Lit.: Kaser §§ 80, 87; Söllner §§ 9, 17; Köbler, DRG 183,
200; Kühns, F., Geschichte der Gerichtsverfassung und des Prozesses der Mark
Brandenburg, Bd. 1f. 1865ff., Neudruck 1969; Sohm, R., Die fränkische Reichs-
und Gerichtsverfassung, 1871; Schröder, R., Die Gerichtsverfassung des
Sachsenspiegels, ZRG GA 5 (1884), 1; Probst, K., Die Entwicklung der
Gerichtsverfassung und des Zivilprozesses in Kurhessen, 1911; Meister, E.,
Ostfälische Gerichtsverfassung im Mittelalter, 1912; Lenel, P., Die Scheidung
von Richter und Urteilern, ZRG RA 34 (1913), 440; Knapp, H., Alt-Regensburgs
Gerichtsverfassung, Strafverfahren und Strafrecht, 1914, Neudruck 1978;
Wohlhaupter, E., Hoch- und Niedergericht in der mittelalterlichen Gerichtsverfassung
Bayerns, 1929; Blankenhorn, R., Die Gerichtsverfassung der Carolina, Diss. jur.
Tübingen 1939; Baltl, H., Die ländliche Gerichtsverfassung Steiermarks, Archiv
f. österreich. Gesch. 118 (1951); Schlesinger, W., Zur Gerichtsverfassung des
Markengebietes östlich der Saale, Jb. f. d. Gesch. Mittel- und Ostdeutschlands
2 (1953); Beiträge zur Geschichte des Gerichtswesens im Lande Braunschweig,
1954; Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Lohmann, U.,
Gerichtsverfassung und Rechtsschutz in der DDR, 1966; Weinkauff, H./Wagner, A.,
Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts
im nationalsozialistischen Staat, 1968; Weiss, U., Die Gerichtsverfassung in
Oberhessen, 1978; Schubert, W., Die deutsche Gerichtsverfassung (1869-1877),
1981; Holthöfer, E., Ein deutscher Weg zu moderner und rechtsstaatlicher
Gerichtsverfassung, 1997; Lück, H., Die kursächsische Gerichtsverfassung, 1997;
Grilli, A., Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer, 1998;
Forster, M., Die Gerichtsverfassung und Zivilgerichtsbarkeit in Straubing,
Diss. jur. Regensburg 1999; Schartl, R., Gerichtsverfassung und Zivilprozess in
Frankfurt am Main im Spätmittelalter, ZRG GA 123 (2006), 136
Gerichtsverfassungsgesetz →Gerichtsverfassung
Gerichtsvollzieher ist seit dem 19. Jh. der mit den Zustellungen, Ladungen und
Vollstreckungen zu betrauende Beamte (schon 1793/195 AGO Preußens Exekutoren).
Zuvor werden seine Aufgaben vom Büttel, Fronboten oder Gerichtsdiener wahrgenommen.
Vorbild des Gerichtsvollziehers ist der huissier des Code de procédure civile
Frankreichs von 1806 (in Kraft 1807), der in Berg 1813 und in den
Generalgouvernements Mittelrhein und Niederrhein 1814 in G. umbenannt wird (Baden
1851). 1877/1879 werden die territorial unterschiedlichen Gestaltungen grundsätzlich,
1964 entsprechend der früheren preußischen Regelung stärker vereinheitlicht.
Lit.: Köbler, DRG 202; Schneider, E., Die rechtliche
Stellung des Gerichtsvollziehers 1910; Schneider, J., Das
Gerichtsvollzieherwesen in den deutschen Ländern, 1934; Ziegler, H., Die
Stellung des Gerichtsvollziehers in der Zwangsvollstreckung nach dem Entwurf
einer ZPO von 1931, Diss. jur. Freiburg im Breisgau 1936; Kern, E., Geschichte
des Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Deutsch, A., 200 Jahre modernes
Gerichtsvollzieherwesen, DGVZ 2007, 1
Gerichtszeugnis ist vor allem die Aussage des →Gerichts (Richter und
Schöffen) über Handlungen und Ereignisse vor Gericht. Das G. wird im
Hochmittelalter häufig. Es erbringt vollständigen Beweis einer Behauptung und
kann nicht gescholten werden. Sachlich kann ein G. auch in einer
Gerichtsurkunde enthalten sein. Mit zunehmender Verschriftlichung des menschlichen
Lebens einschließlich des Rechtes verliert das G. an Bedeutung. Nach § 291 ZPO
bedürfen gerichtsbekannte Tatsachen keines Beweises.
Lit.: Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im
Mittelalter, Bd. 2 1897, 157; Brunner, H., Abhandlungen zur Rechtsgeschichte,
1985; Kornblum, U., Das Beweisrecht des Ingelheimer Oberhofes, Diss. jur.
Frankfurt am Main 1960; Sellert, W., Prozessgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat,
1973; Battenberg, F., Reichsacht und Anleite, 1986
Germane ist
der Angehörige der Völker, die sich von den Indogermanen abgespaltet haben und
die besondere gemeinsame Sprache Germanisch sprechen. Die Germanen werden
vielleicht (in der ersten Hälfte des 2. Jt.s v. Chr. oder) in der Mitte des 1. Jt.s
v. Chr. in Norddeutschland (und Südskandinavien) sichtbar. Sie lassen sich in
mehrere Großgruppen (z. B. Nordgermanen, Ostgermanen, Westgermanen, im
Einzelnen str.) und viele (bei Ptolemäus 68) kleinere, seit 325 v. Chr. im
griechisch-römischen Schrifttum genannte Völker gliedern(, für die sich 54
Fälle von Bündnissen oder Feindschaften ermitteln lassen). Sie siedeln meist in
Dörfern mit bis zu 20 Höfen mit bis zu 30 Metern langen Wohnstallhäusern. Ihr
nicht sicher deutbarer Name ist um 90 v. Chr. bei dem antiken Schriftsteller
Poseidonios erstmals bezeugt. Seit dem 1. Jh. v. Chr. dringen einzelne Gruppen nach
Süden (Teutonen 102 v. Chr. bei Aix, Kimbern 101 v. Chr. bei Vercellae von den
Römern geschlagen). Auf etwa 235 n. Chr. ist ein 2008 entdeckter
römisch-germanischer Kampfplatz bei Northeim am Westrand des Harzes zu
datieren. Im 4. Jh. überwinden sdie Germanen den ab 84 n. Chr. von den Römern
gegen sie errichteten Grenzwall (lat. [M.] →limes) und brechen unter dem
Druck der Hunnen ab 375 in der →Völkerwanderung in das weströmische
Reich ein. 476 setzt der Söldnerführer →Odowakar den weströmischen Kaiser
Romulus Augustulus ab. Es entstehen im Zuge einer Umgestaltung der römischen Welt
verschiedene Reiche einzelner, aus den G. hervorgegangener Stämme (Franken,
Goten, Burgunder, Alemannen, Langobarden, Vandalen, Angelsachsen). Das Wissen
über die G. entstammt im Wesentlichen den römischen Schriftstellern (Caesar,
Tacitus) und archäologischen Funden.
Lit.: Köbler, DRG 66; Dahn, F., Die
Könige der Germanen, Bd. 1ff. 1861ff.; Ross, D., The early history of
landholding among the Germans, 1883; Rhamm, K., Die Großhufen der Nordgermanen,
1905; Grönbech, W., Kultur und Religion der Germanen, Bd. 1f. 1909ff. 1937ff.,
13. A. 2002; Kossinna, G., Die Herkunft der Germanen, 1911; Reallexikon der germanischen Altertumskunde, hg. v.
Hoops, J., 1911-1919, 2. A. 1973-2007 (35 Bände, 22358 Seiten, 5124 Artikel,
3376 Abbildungen, 952 Tafeln, 2 Registerbände, 1443 Autoren, zahlreiche
Ergänzungsbände); Roessingh, D., Het gebruik en bezit van den grond, 1915;
Mayer, E., Germanische Geschlechtsverbände und das Problem der
Feldgemeinschaft, ZRG GA 44 (1924), 30; Frahm, F., Cäsar und Tacitus als
Quellen für die altgermanische Verfassung, Historische Vierteljahrsschrift 24
(1928), 145; Koehne, C., Die Streitfragen über den Agrarkommunismus der
germanischen Urzeit, 1928; Voltelini, H. v., Nordgermanische Grabfunde, ZRG GA
51 (1931), 111; Neckel, G., Liebe und Ehe, 1932; Schmidt, L., Geschichte der
deutschen Stämme. Die Ostgermanen, 2. A. 1934; Höfler, O., Kultische
Geheimbünde der Germanen, 1934; Gædeken, P., Retsbrudet, 1934; Wührer, K.,
Beiträge zur ältesten Agrargeschichte des germanischen Nordens, 1935; Eckhardt,
K., Irdische Unsterblichkeit, 1937; Schultz, W., Altgermanische Kultur, 4. A.
1937; Germanische Altertumskunde, hg. v. Schneider, H., 1938; Schulz, W.,
Indogermanen und Germanen, 2. A. 1938; Meyer, H., Das Wesen des Führertums in
der germanischen Verfassungsgeschichte, 1938; Schmidt, L., Geschichte der
deutschen Stämme. Die Westgermanen, 1938; Eckhardt, K., Ingwi und die
Ingweonen, ZRG GA 59 (1939), 1; Haller, J., Der Eintritt der Geermanen in die
Geschichte, 1939; Paulsen, P., Axt und Kreuz bei den Nordgermanen, 1939;
Kienle, R., Germanische Gemeinschaftsformen, 1939; Thaerigen, G., Die
Nordharzgruppe der Elbgermanen, 1939; Eckhardt, K., Ingwi und die Ingweonen, 2.
A. 1940; Kramer, K., Die Dingbeseelung in der germanischen Überlieferung, 1940;
Rehfeldt, B., Recht, Religion und Moral bei den frühen Germanen, ZRG GA 71
(1954), 1; Scovazzi, M., Le origini del diritto germanico, 1957; Germanen, hg.
v. Krüger, P., 5. A. 1988; Mildenberger, G., Sozial- und Kulturgeschichte der
Germanen, 2. A. 1977; Uslar, R. v., Die Germanen, 1980; Steuer, H.,
Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa, 1982; Germanenprobleme
aus heutiger Sicht, hg. v. Beck, H., 1986; Jacoby, M., Germanisches Recht und
Rechtssprache zwischen Mittelalter und Neuzeit, 1986; Picard, E., Germanisches
Sakralkönigtum?, 1991; Price, A., The Germanic Warrior Clubs, 2. A. 1996;
Wolfram, H., Die Germanen, 1995, 7. A. 2002, 8. A. 2005; Günnewig, B., Das Bild
der Germanen und Britannier, 1998; Todd, M., Die Germanen, 2000; Pohl, W., Die
Germanen, 2000; Ernst, P./Fischer, G., Die germanischen Sprachen, 2001; Krause,
A., Die Geschichte der Germanen, 2002; Hermand, J./Niedermeier, M., Revolutio
germanica. Die Sehnsucht nach der alten Freiheit der Germanen 1750-1820, 2002;
Bemmann, K., Arminius und die Deutschen, 2002; Maier, B., Die Religion der
Germanen, 2003; Simek, R., Religion und Mythologie der Germanen, 2003; Arminius
und die Varusschlacht, hg. v. Wiegels, R. u. a., 3. A. 2003; Simek, R., Götter
und Kulte der Germanen, 2004; Maier, G., Ämter und Aufträge in der Romania
Gothica, 2004; Kakoschke, A., Germanen in der Fremde, 2004 (174 Fälle); Busch,
J., Das Germanenbild der deutschen Rechtsgeschichte, 2004; Fruscione, D., Zur
Frage eines germanischen Rechtswortschatzes, ZRG GA 122 (2005), 1; Rothenhöfer,
P., Die Wirtschaftsstrukturen im südlichen Niedergermanien, 2005; Wiwjorra, I.,
Der Germanenmythos, 2006; Die Germanen in der Völkerwanderung, hg. v. Goetz, H.
u. a., 2006; Timpe, D., Römisch-germanische Begegnung in der späten Republik
und frühen Kaiserzeit, 2006 (Aufsätze); Simek, R., Die Germanen, 2006;
Ausbüttel, F., Germanische Herrscher, 2007; Wells, P., Die Germanen sprechen
2007; Feindliche Nachbarn - Rom und die Germanen, 2008; Bleckmann, B., Die
Germanen, 2009; Tausend, K., Im Inneren Germaniens, 2009; Mohr, A., Eheleute,
Männerbünde, Kulttransvestiten, 2009; Ausbüttel, F., Die Germanen, 2009; Euler,
W./Badenheuer, K., Sprache und Herkunft der Germanen, 2009; Kleineberg, A.,
Germania und die Insel Thule, 4. A. 2010, 2. unv. A. 2011 (!); Timpe, D., Die
Varusschlacht HZ 294 (2012). 593
Germania (bzw.
De origine et situ Germaniae) ist ein 98 n. Chr. (?) verfasstes Werk des
römischen Schriftstellers Publius Cornelius Tacitus (um 55-nach 115, 97 Konsul)
über die Germanen und das von ihnen bewohnte Gebiet (lat.) G. (zwischen Rhein,
Donau, Weichsel und Ostsee), wobei die Römer zwischen ihren Provinzen (lat.) Germania
superior und Germania inferior bzw. Germania I und Germania II sowie der
nichtrömischen Germania im Nordosten trennen und der Name G. bezeugt ist bei
Caesar, Cicero, Velleius Paterculus, Plinius maior, Pomponius Mela, Frontin,
Tacitus, Plinius minor, Sueton, Ptolemaeus, Junianus Justinus, Ammianus
Marcellinus, Historia Augusta u. s. w. sowie in den Digesten. Die G. schildert
das Naturvolk der Germanen als ein gegen den Sittenverfall in Rom
nachzuahmendes Vorbild. Deshalb bedürfen die Aussagen dieser für die
germanische Zeit wichtigsten Geschichtsquelle sorgfältiger Prüfung.
Überliefert ist die G. durch eine Hersfelder bzw. Fuldaer, 1455 nach Italien
gebrachte und dort in ihrem die G. betreffenden Teil verschollene Sammelhandschrift
des 9. oder 10. Jh.s.
Lit.: Müllenhoff, K., Die Germania des Tacitus, 1900, neuer
Abdruck 1920; Norden, E., Die germanische Urgeschichte in Tacitus’ Germania,
1920, 6. A.. 1974; Lintzel, M., Germanische Monarchien und Republiken in der
Germania des Tacitus, ZRG GA 54 (1934), 227; Die Germania des Tacitus, hg. v.
Much, R. u. a., 1937, 3. A. 1967; Melander, K., Tacitus Germania als Quelle der
deutschen Frühgeschichte, 1940; Krapf, L., Germanenmythos und Rechtsideologie,
1979; Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus, Teil 1f., hg. v.
Jankuhn, H. u. a., 1989ff.; Gall, L., Die Germania als Symbol nationaler
Identität, 1993; Altes Germanien, hg. v. Goetz, H. u. a., 1995; Germania, hg.
v. Fuhrmann, M., 2000; Germania inferior, hg. v. Grünewald, T., 2001; Däumer,
J., Aufstände in Germanien und Britannien, 2005; Krebs, C., Negotiatio Germaniae,
2005; Riemer, U., Die römische Germanienpolitik, 2006; Römische Präsenz und
Herrschaft in Germanien, hg. v. Lehmann, G u. a., 2007; Schulz, M., Caesar zu
Pferde, 2008; Roms vergessener Feldzug, hg. v. Pöppelmann, H. u. a., 2013
Germanische Sprache ist die aus späterer Überlieferung germanischer bzw. germanistischer
Sprachen (Gotisch, Burgundisch, Wandalisch, Altnordisch, Altenglisch, Altfriesisch,
Altniederfränkisch, Altsächsisch, Althochdeutsch, Langobardisch bzw. Mittelenglisch,
Mittelniederdeutsch, Mittelmitteldeutsch, Mittelhochdeutsch bzw. Schwedisch,
Dänisch, Norwegisch, Isländisch, Färöisch, Englisch, Deutsch, Niederländisch,
Friesisch, Afrikaans, Jiddisch und Amerikanisch) rückerschlossene gemeinsame
Sprache der germanischen Völker (oder Germanen). Sie ist wie Altindisch,
Altiranisch, Griechisch, Lateinisch, Keltisch oder Slawisch eine aus dem
Indogermanischen entstandene Sprache. Besondere Kennzeichen sind Festlegung
des ursprünglich freien Akzents auf die Stammsilbe und dadurch bedingte
Kürzung der Endsilben, erste (germanische) Lautverschiebung, grammatischer
Wechsel, Beschränkung auf die Zeiten Gegenwart und Vergangenheit, Bildung
schwacher Verb(form)en mittels eines Dentalsuffixes (ed) und schwache Formen
bei Adjektiven nach dem Muster der Substantive. Der Vorgang des sprachlichen
Umbaus vom Indogermanischen zum (Ur-)Germanischen wird auf Mitteleuropa bezogen
(z. B. Aller, Elz, Ohm) und mit der Sesshaftwerdung (und der Schnurbandkeramik)
verbunden. Das Germanische ist von anderen Sprachen beeinflusst (z. B. Latein,
Keltisch, Baltisch, Griechisch) und hat andere Sprachen beeinflusst (z. B.
Finnisch). Gegliedert wird es beispielsweise in Nordgermanisch, Westgermanisch,
Südgermanisch und Ostgermanisch.i
Lit.: Krahe,
H., Sprache und Vorzeit, 1954; Sonderegger, S., Grundzüge deutscher Sprachgeschichte,
1979; Köbler, G., Germanisches Wörterbuch, 2. A. 1982; Germanische Rest- und
Trümmersprachen, hg. v. Beck, H., 1986; Schmidt-Wiegand, R., Stammesrecht und
Volkssprache, 1991; Scardigli, P., Der Weg der deutschen Sprache, 1994; Pohl,
W., Die Germanen, 2000; Euler, W./Badenheuer, K., Sprache und Herkunft der Germanen. Abriss des
Protogermanischen vor der ersten Lautverschiebung, 2009; Euler, W., Das
Westgermanische, 2014
Germanisches Recht
ist die Gesamtheit der bei den verschiedenen Stämmen der →Germanen
geltenden Rechtssätze, deren Bestand aus unterschiedlichen Überlegungen
verschiedentlich angezweifelt wird. Das germanische Recht ist infolge der
bescheidenen Überlieferung nur teilweise (z. B. durch Caesar und Tacitus)
bekannt oder (aus jüngeren Texten mit erheblicher Ungewissheit) erschließbar.
Es ist vermutlich größtenteils als Gewohnheitsrecht entstanden, wenngleich auch
einzelne Rechtssetzungsakte wahrscheinlich sind. Ein mythischer Gesetzgeber
ist ebensowenig anzunehmen wie ein germanischer Rechtsgott. Die einzelne, in
Raum und Zeit individuelle germanische Völkerschaft behandelt ihre allgemeinen
Angelegenheiten in der von einem König oder mehreren Vornehmen geleiteten →Volksversammlung.
Dort entstehen auch (Meinungen, Entscheidungen oder) Urteile in
Streitigkeiten. Eine allgemeine Verfolgung findet nur bei wenigen
Verhaltensweisen (Volksverrat, Unzucht) statt. In der Familie steht der Hausvater
an der Spitze. Die Ehe ist grundsätzlich Einehe und wird vom Gewalthaber
(Vater, Vormund) über die Frau mit dem Mann abgeschlossen. Sie kann durch
Einverständnis der Eheleute oder durch Erklärung des Mannes aufgelöst werden.
Beim Tod fallen die Güter an die Kinder oder weiteren Verwandten. Ein Testament
gibt es nicht. Streitig ist, ob neben Haus und Hof auch Acker und Wiese einzeln
zugeordnet sind und der Berechtigte über sie verfügen kann. Die wohl seltenen
Tauschgeschäfte und Vergabungen erfolgen als Handgeschäfte. Unrechtserfolge
ziehen die →Fehde nach sich, doch ist ein Ausgleich durch Leistungen, die
teils an den Verletzten, teils an die Allgemeinheit gehen, möglich.
Lit.: Wilda, W., Das Strafrecht der
Germanen, 1842, Neudruck 1960; Grundriss der germanischen Philologie, hg. v.
Paul, H., 1890 (Recht v. Amira, K. v.); Brunner, H., Deutsche Rechtsgeschichte,
Bd. 1 2. A. 1906, Neudruck 1958; Schreuer, H., Altgermanisches Sakralrecht, ZRG
GA 34 (1913), 313; Beyerle, F., Das Entwicklungsproblem im germanischen Rechtsgang,
1915; Amira, K., Die germanischen Todesstrafen, 1922; Sonderegger, S., Die
ältesten Schichten einer germanischen Rechtssprache, FS K. S: Bader 1965, 419; Wiebrock,
I., Die Sippe bei den Germanen der Frühzeit, 1979; Murray, Germanic Kinship
Structure, 1983; Joswig, D., Die germanische Grundstücksübertragung, 1984;
Kroeschell, K., Germanisches Recht als Forschungsproblem, FS H. Thieme, 1986;
Landau, P., Prinzipien germanischen Rechts als Grundlage nationalistischer und
völkischer Ideologie, (in) Zur Geschichte und Problematik der
Nationalphilologien in Europa, hg. v. Fürbeth, F., 1999; Fruscione, D., Zur
Frage eines germanischen Rechtswortschatzes, ZRG GA 122 (2005), 1
Germanist ist
der sich mit den (Germanen und) Deutschen befassende Rechtswissenschaftler
oder Sprachwissenschaftler (oder auch Historiker). Er steht in Gegensatz zum
Romanisten. Die Unterscheidung entwickelt sich seit dem (17. Jh. [Conring, H.],
De origine iuris Germanici, 1643, Hauschild 1741, Cg. [!] 1780 bzw.) 19. Jh.
(Eichhorn, Grimm, Brunner). 1846 in Frankfurt am Main und 1847 in Lübeck
treffen sich Germanisten der Staaten des Deutschen Bundes zu (auch politisch
geprägten) Tagungen. Die für Nürnberg und das Jahr 1848 geplante Fortsetzung
entfällt wegen der revolutionären Unruhen. Danach verliert die
Gegenüberstellung von juristischen Germanisten und juristischen Romanisten
allmählich mit der Positivierung, Kodifizierung und auch Internationalisierung
des Rechtes an Bedeutung. Ab 1860 wird ein deutscher Juristentag veranstaltet,
ab 1927 ein deutscher Rechtshistorikertag.
Lit.: Gierke, O. v., Die historische Rechtsschule und die
Germanisten, 1903; Marx, H., Die juristische Methode der Rechtsfindung aus der
Natur der Sache, Diss. jur. Göttingen 1967; Röthewr, K., Die Germanistenverbände,
1980; Dilcher, G./Kern, B., Die juristische Germanistik des 19. Jahrhunderts,
ZRG GA 101 (1984), 1; Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in
Europa, hg. v. Fürbeth, F. u. a., 1999; Internationales Germanistenlexikon 1800
bis 1950, hg. v. König, C., 2003; Netzer, K., Wissenschaft aus nationaler
Sehnsucht – Verhandlungen der Germanisten 1846 und 1847, 2006; Schäfer, F.,
Juristische Germanistik, 2008
Germanistik ist die (Germanen und) Deutsche betreffende
Wissenschaft in Recht, (Sprache und Geschichte) in Gegensatz etwa zu Recht
fremder Herkunft oder zu fremden Sprachen. Als Wissenschaft des einheimischen
deutschen Rechtes wird sie 1699 von Christian Thomasius in seinem Summarischen
Entwurf derer Grundlehren gefasst. Dem folgen bis etwa 1750 die
protestantischen Universitäten (z. B. Halle, Göttingen, Erlangen), danach auch
die katholischen. 1741 wird anscheinend erstmals von G. geschrieben. Wichtigste
Inhalte sind deutsches Privatrecht (bis etwa 1970), partikulares einheimisches
Recht (bis etwa 1918) und Handelsrecht und Wechselrecht (1847 bzw. 1861 durch
gesetzliche Regelungen verselbständigt). Germanistische Juristen sind (nach Conring
und Thomasius) etwa Beyer, Kestner, Senckenberg, Heineccius, Pütter, Selchow, Grimm,
Eichhorn. Heise, Reyscher, Beseler, Mittermaier, Schmidt, Sohm, Gerber, Eugen Huber
oder Gierke. Seit etwa 1900 betrifft G. hauptsächlich die Sprachwissenschaft
Lit.: Gierke, O., Die historische Rechtsschule, 1903;
Germanistik und deutsche Nation, hg. v. Müller, J., 1974, Neudruck 2000;
Dilcher, G./Kern, B., Die juristische Germanistik des 19. Jahrhunderts, ZRG GA
100 (1984), 1; Schäfer, F., Juristische Germanistik, 2008; Schäfer, F.,
Zwischen BGB und Schützengräben, ZNR 2009, 52; Schäfer, F., Aufbruch in die
Moderne, ZRG GA 129 (2011), 212
Gerüfte (Gerüft) ist im mittelalterlichen deutschen Recht die durch Rufen
bzw. Geschrei erfolgende Verlautbarung eines (rechtswidrigen) Geschehens (z.
B. einer Vergewaltigung) oder einer drohenden Gefahr. Dem G. ist zwecks
Hilfestellung von vielen Folge zu leisten. Es befreit den Rufenden von dem
Verdacht der Verheimlichung einer Tat (z. B. Vorwurf des Mordes bei Tötung [in
Notwehr]).
Lit.: Söllner § 8; Köbler, DRG 70; Köbler, WAS; Grimm, J.,
Deutsche Rechtsaltertümer, 1828, 4. A. 1899, Neudruck 1922, 1989, 1994, 190,
517; Meyer, H., Gerüft, Handhaftverfahren und Anefang, ZRG GA 37 (1916), 382;
His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Bd. 1ff. 1920ff., Neudruck
1964
Gesamtgläubigerschaft ist die Gläubigerschaft, bei der jeder Gläubiger die
gesamte Schuld verlangen kann, der Schuldner aber nur einmal zu leisten
verpflichtet ist.
Lit.: Riedler, A. Gesamt- und Teilgläubigerschaft, 1998
Gesamthand (1864, gesamte Hand um 1275 Deutschenspiegel) ist die Mehrheit von Menschen, denen ein Sondervermögen in
besonderer Art und Weise (gesamthänderisch) zusteht. Vielleicht fällt in
einfachen Gesellschaften der Nachlass eines Menschen an mehrere Erben allgemein
in der Art und Weise an, dass der einzelne Beteiligte über seinen Anteil (am
Nachlass und einzelnen Nachlassgegenständen) nicht (allein) verfügen kann.
Jedenfalls deuten die mittelalterlichen Rechtsquellen auf eine derartige
Gestaltung (zu gesamter Hand) in Deutschland (→Ganerbschaft, →Gemeinderschaft,
→Handelsgesellschaft). In der frühen Neuzeit behandelt die
Rechtswissenschaft diese Verbindungen meist als (lat. [F.]) →societas
oder →communio. Daneben entwickelte sich seit dem Ende des 17. Jh.s für
eheliche Gütergemeinschaft, Gesamtbelehnung, Ganerbschaft und
Markgenossenschaft auch eine Vorstellung eines (lat.) dominium (N.) plurium in
solidum (Eigentum mehrerer als Einheit). Im 19. Jh. versteht Georg →Beseler
(1809-1888, Lehre von den Erbverträgen 1835, [lat.] dominium plurium in solidum,
Juristenrecht und Volksrecht 1843, System des gemeinen deutschen Privatrechts,
1847) unter der G. eine Gemeinschaft, die für bestimmte Beziehungen die Grenzen
der Persönlichkeit ihrer Glieder aufhebt und dieselbe gleichmäßig über die den
Gliedern gemeinsam gewordene Rechtssphäre erweitert, ohne dass jedoch ein
neues selbständiges Rechtssubjekt in der Vereinigung begründet wird. In der
Schweiz anerkennt Johann Caspar Bluntschli für das Privatgesetzbuch Zürichs
(1854/1856) neben dem Miteigentum ein Gesamteigentum (vgl. Art. 652ff. ZGB
1907/1911). Nach dem Protest Otto von →Gierkes (1888/1889), dass ein
Bürgerliches Gesetzbuch, das deutsch sein wolle, den deutschen, sozialen Gemeinschaftsgedanken
nicht aus dem Recht weisen dürfe, wird auf Grund von Vorschlägen des Stettiner
Rechtsanwalts Emil von Boyens die G. als Prinzip, als dessen Kennzeichen die gemeinsame
Verfügung der mehreren Beteiligten über den Gegenstand und die Anwachsung der
Berechtigung beim Wegfall eines Beteiligten (an die Berechtigungen der
Verbleibenden) angesehen werden, an einzelnen Stellen noch in die in Kraft
gesetzte Fassung des deutschen →Bürgerlichen Gesetbuchs (1. 1. 1900)
aufgenommen (Gesellschaft, eheliche Gütergemeinschaft, Erbengemeinschaft).
Die G. ist nicht juristische Person. Ihre rechtliche Gestaltung ist lange streitig.
2001 spricht der Bundesgerichtshof Deutschlands der nach außen im
Rechtsverkehr auftretenden Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes als Gesamthand
Rechtsfähigkeit zu, womit die G. von ihren geschichtlichen Wurzeln gelöst wird.
Lit.: Hübner 154, 250, 570, 680; Kroeschell, DRG 2, 3;
Köbler, DRG 122, 207; Gierke, O., Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 2
1873, 923; Frommhold, G., Zur Geschichte der gesamten Hand, ZRG GA 37 (1916),
504; Breitbach, H., Gesamthand und Unternehmen, Diss. jur. 1929; Steinbach, R.,
Die deutschen Rechtsgemeinschaften zur gesamten Hand, Diss. jur. 1936; Buchda,
G., Geschichte und Kritik der deutschen Gesamthandlehre, 1936; Schulze-Osterloh,
J., Das Prinzip der gesamthänderischen Bindung, 1972; Seif, U., Die Gesamthand
als Konstruktion der Germanistik, ZRG GA 118 (2001), 302; Wächter, T., Die
Aufnahme der Gesamthandsgemeinschaften in das Bürgerliche Gesetzbuch, 2002;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession) ist die Nachfolge in einen Inbegriff
oder eine Gesamtheit von Vermögensgegenständen ohne einzelne Übertragungsakte.
Sie ist schon dem römischen Recht bei der →Erbfolge bekannt. An
tatsächlicher Bedeutung wird sie aber von der im Übrigen vorgesehenen
Einzelrechtsnachfolge (z. B. durch Übereignung) übertroffen.
Lit.: Kaser § 65 II; Köbler, DRG 37, 59, 210; Eisenhardt,
U., Deutsche Rechtsgeschichte, 4. A. 2004
Gesamtschuld (Gesamtschuldner 1807) ist die
Schuld, die mehrere in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu
bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung insgesamt nur einmal zu
fordern berechtigt ist. Sie ist bereits im klassischen römischen Recht (lat.
[N.] [debitum] in solidum) zumindest in den Wurzeln angelegt (Celsus D. 31, 16
frühes 2. Jh., Papinian E. 2. Jh.) und in der Kompilation Justinians (527-534)
von der Stipulation aus verallgemeinert. Wegen ihrer Brauchbarkeit für den
Gläubiger mehrerer Schuldner hat sie sich bis zur Gegenwart behauptet.
Lit.: Kaser § 56 II 1; Köbler, DRG 44; Ehmann, H., Die
Gesamtschuld, 1972; Winter, H., Teilschuld, Gesamtschuld und unechte
Gesamtschuld, 1985; Wesenberg, G./Wesener, G., Neuere deutsche
Privatrechtsgeschichte, 4. A. 1985, 51 (Solidarität); Schmieder, P., Duo rei.
Gesamtobligationen im römischen Recht, 2007; Meier, S., Gesamtschulden, 2010;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Gesandter ist
der diplomatische Vertreter eines Staates bei einem anderen Staat oder einer
internationalen Organisation. Bereits im römischen Recht ist der fremde
Gesandte wegen der Wichtigkeit auswärtiger Beziehungen unverletzlich. Im 15.
Jh. wird in Italien der ständige Gesandte geschaffen. Seit dem 19. Jh. wird
das Völkerrecht bezüglich des Gesandten bzw. der Gesandtschaft (z. B.
Unbetretbarkeit des Gebäudes) genauer ausgestaltet (Wiener Reglement vom 19. 3.
1815, Aachener Protokoll vom 21. 11. 1818, danach Wiener Übereinkommen vom 18.
4. 1961).
Lit.: Krauske, O., Zur Entwicklung der ständigen
Diplomatie, 1885; Menzel, V., Deutsches Gesandtschaftswesen im Mittelalter,
1892; Borgolte, M., Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden,
1976; Cuttino, G., English Medieval Diplomacy, 1985; Ziegler, K.,
Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007; Gesandtschafts- und Botenwesen im
spätmittelalterlichen Europa, hg. v. Schwinges, R. u. a., 2003; Aus der
Frühzeit europäischer Diplomatie, hg. v. Zey, C. u. a., 2008
Geschäft (um 765 belegt)
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Geschäftsfähigkeit (1779, geschäftsfähig 1573) ist
die Fähigkeit, mit rechtlicher Wirkung durch eigene Handlung Rechtsgeschäfte
vorzunehmen. Sie wird bereits vom römischen Recht dem Kind (lat. [M.] infans)
(unter 7) (und dem Geisteskranken sowie dem Verschwender) abgesprochen. Der
etwas ältere Unmündige (lat. [M.] impubes infantia maior) kann rechtlich
unvorteilhafte Geschäfte nur mit Einverständnis des Vormunds vornehmen. Um 200
v. Chr. sieht eine (lat.) lex (F.) Laetoria vor, dass die noch nicht 25jährigen
(lat. minores) geschützt werden, woraus die Möglichkeit entwickelt wird, durch
Wiederherstellung des früheren Zustands (lat. in integrum restitutio [F.]) die
Leistungen und sonstigen benachteiligenden Maßnahmen wieder rückgängig zu
machen. Im germanischen Recht steht das Kind bis zu seiner Verselbständigung
unter der Hausgewalt des Hausvaters oder bis zur Wehrhaftmachung bzw.
Geschlechtsreife unter der Hausgewalt des Vormunds. Zwar sind die Geschäfte von
Unmündigen wohl an sich wirksam, aber die Unmündigen können die von ihnen oder
vom Inhaber der Personalgewalt getätigten Geschäfte nach Erreichen der
Mündigkeit widerrufen und umgekehrt Geschäfte, durch die sie verpflichtet
werden, nicht erfüllen, solange ihr Vermögen von einem Gewalthaber verwaltet
wird. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes seit dem Spätmittelalter werden
dessen Regeln (abgeändert) übernommen. Geschäfte der Geschäftsunfähigen sind
nichtig (Kinder unter 7, Entmündigte, Geisteskranke), Geschäfte der beschränkt
Geschäftsfähigen bedürfen der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters, soweit
sie nicht lediglich rechtlich vorteilhaft sind. Der Ausdruck G. wird am 12. 7.
1875 in Preußen verwendet. Die unbeschränkte G. tritt nach dem Bürgerlichen
Gesetzbuch (1. 1. 1900) mit 21 Jahren ein, in der Deutschen Demokratischen
Republik (1950) mit 18 Jahren und in der Bundesrepublik Deutschland 1975 auch
mit 18 Jahren(, vgl. auch § 105a BGB von 2002).
Lit.: Kaser § 14 I; Hübner 55; Köbler, DRG 160, 207;
Knothe, H., Die Geschäftsfähigkeit der Minderjährigen, 1983; Wolter, U.,
Termingeschäftsfähigkeit kraft Information, 1991; Benöhr, H., Über Udo Wolters
Buch zu Termingeschäftsfähigkeit kraft Information, ZRG GA 112 (1995), 413;
Minzenmay, S., Die Wurzeln des Instituts der Geschäftsfähigkeit im Naturrecht
des 17. Jahrhunderts, 2003; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010
Geschäftsführung ohne Auftrag (Geschäftsführung 1691, Geschäftsführung ohne Auftrag
1811, Geschäftsführer 1807, Geschäftsherr 1351) ist das gesetzliche,
unvollkommen zweiseitige Schuldverhältnis, das dadurch entsteht, dass ein
Geschäftsführer (ohne Auftrag) für einen anderen (Geschäftsherrn) ein Geschäft
besorgt, obwohl zwischen ihnen noch kein Rechtsverhältnis (Auftrag) besteht.
Die G. o. A. (lat. negotia [N.Pl.] gesta, geführte Geschäfte) ist im römischen
Recht entsprechend ihrer Stellung im Edikt des Prätors vermutlich von der
Vertretung (eines abwesenden Freundes) im Rechtsstreit ausgegangen. Die
Verpflichtungen aus der Tätigkeit (Herausgabe des vom Geschäftsführer Erlangten,
Ersatz der Aufwendungen des Geschäftsführers) werden wie beim Auftrag auf die
Treue (lat. [F.] fides) begründet. Justinian ordnet die G. o. A. als
Quasikontrakt ein. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes wird die G. o. A. als
gesetzliches Schuldverhältnis in Deutschland übernommen.
Lit.: Kaser § 44 II; Söllner § 9; Köbler, DRG 47;
Wollschläger, C., Die Geschäftsführung ohne Auftrag, 1976; Coing, H.,
Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, § 98; Sippel, H., Geschäftsführung ohne
Auftrag, 2005; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Geschäftsgrundlage ist die Gesamtheit der wesentlichen, nicht (besonders vereinbarten) Vertragsbestandteil
gewordenen Voraussetzungen eines Vertragsschlusses. Oertmann gibt der Lehre
vom Wegfall der G. eine sich im 20. Jh. durchsetzende Gestalt. 2002 erfolgt
eine allgemeine Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch Deutschlands. →clausula rebus sic stantibus
Lit.: Zirker, M., Vertrag und Geschäftsgrundlage, 1996;
Reiter, C., Vertrag und Geschäftsgrundlage im deutschen und italienischen
Recht, 2002; Huang, Z., Zur Lehre von der Geschäftsgrundlage nach altem und
neuem Recht, 2009
Geschäftsordnung ist die einer Geschäftsführung einer Gruppe von Menschen
zugrundegelegte Ordnung. Sie entsteht anfangs nur inhaltlich, wird aber im
politischen Bereich in England seit dem 16. Jh. in Fallsammlungen abgebildet. In
Frankreich gibt sich 1814 die Abgeordnetenkammer eine formelle G. die zum
Vorbild für viele weitere Geschäftsordnungen wird.
Lit.: Hatsell, J., Precedents of proceedings in the House
of Commons, 1781; Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit 1848, hg. v.
Deutschen Bundestag, 1986; Hayungs, C., Die Geschäftsordnung des hannoverschen
Landtages, 1999; Mertens, B., Gesetzgebungskunst im Zeitalter der
Kodifikationen, 2004
Geschäftsunfähigkeit →Geschäftsfähigkeit
Geschäftszeuge ist der zu einem Geschäft als →Zeuge zugezogene
Mensch. Er findet sich bereits im frühen römischen und wohl auch im
germanischen Recht. Mit Vordringen der Schriftlichkeit verliert er gegenüber
der dauerhafteren Urkunde seit dem Hochmittelalter grundsätzlich an Bedeutung.
Lit.: Ruth, R., Zeugen und Eideshelfer, 1922; Lepsius, S.,
Von Zweifeln zur Überzeugung, 2003
Geschichte ist das in der Dimension Zeit Geschehene und die (im
Rahemen der Rhetorik) damit befasste Wissenschaft (Anfänge bei [Eunapios,
]Herodot und Thukydides in der griechischen Antike). Besondere Gebiete der G.
sind beispielsweise das Recht, die Gesellschaft oder die Wirtschaft. Methode
der G. ist das Verstehen des Vergangenen durch den gegenwärtigen Betrachter.
Grundfiguren der Geschichtsschreibung sind nach Alexander Demandt Dekadenzgedanke,
Fortschrittsbewusstsein samt Fortschrittskritik, Kreislauftheorien, Epochenbewusstsein,
Aufklärung, historischer Idealismus, universaler Individualismus,
Historismus, historischer Materialismus, paradigmatisches Geschichtskonzept,
Morphologie der Weltgeschichte, Geschichtsbiologismus und posthistorische
Apokalyptik. Im 19. Jh. wird die G. zu einer eigenständigen Wissenschaft
(Leopold von Ranke, Johann Gustav Droysen)
Lit.:
Wattenbach, W., Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, 1858; Below, G.
v., Die deutsche Geschichtsschreibung, 1916; Rothenbücher, K., Über das Wesen
des Geschichtlichen, 1926; Wattenbach, W., Deutschlands Geschichtsquellen, Bd.
1ff. 1938ff.; Brandenburg, E., Der Begriff der Entwicklung, 1941 (SB Leipzig);
Weis, E., Geschichtsschreibung und Staatsauffassung in der französischen
Enzyklopädie, 1956; Dahlmann/Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte, 10.
A. Bd. 1f. 1969ff.; Fuchs, K./Raab, H., Wörterbuch Geschichte, 11. A. 1998;
Baumgart, W., Bücherverzeichnis zur deutschen Geschichte, 15. A. 2003, 17. A.
2010; Brandt, A., Werkzeug des Historikers, 1958, 17. A. 2007; Postel, R.,
Johann Martin Lappenberg, 1972;Henze, D., Enzyklopädie der Entdecker und
Erforscher der Erde, Bd. 1ff. 1978ff. (Sonderausgabe 2011); Meister, K., Die
griechische Geschichtsschreibung, 1990; Simon, C., Historiographie, 1996;
Demandt, A., Geschichte der Geschichte, 1997; Burkardt, J., Die historischen
Hilfswissenschaften in Marburg, 1997; Iggers, G., Deutsche
Geschichtswissenschaft, 4. A. 1997; Hauptwerke der Geschichtschreibung, hg. v.
Reinhardt, V., 1997; Flach, D., Römische Geschichtsschreibung, 3. A. 1998; Das
europäische Geschichtsbuch, 1998; Kirste, S., Die Zeitlichkeit des positiven
Rechts, 1998; Goetz, H., Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein, 1999;
Das Jahrtausend im Spiegel der Jahrhunderte, hg. v. Gall, L., 1999; Chun, J.,
Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit, 2000; Geschichtskultur, hg. v. Mütter,
B. u. a., 2000; Mehl, A., Römische Geschichtsschreibung, 2001; Kompass der
Geschichtswissenschaft, hg. v. Lottes, G. u. a., 2001; Internet-Handbuch
Geschichte, hg. v. Jenks, S. u. a., 2001; Wolfrum, E., Geschichte als Waffe,
2001; Die Nation schreiben, hg. v. Conrad, C. u. a., 2002; Geschichtswissenschaft
um 1950, hg. v. Duchhardt, H., 2002; Lexikon Geschichtswissenschaft, hg. v.
Jordan, S., 2002; Geschichte(n) der Wirklichkeit, hg. v. Landwehr, A., 2002;
Kompass der Geschichtswissenschaft, hg. v. Eibach, J. u. a., 2002; Fellner, F.,
Geschichtsschreibung und nationale Identität, 2002; Formen römischer Geschichtsschreibung
von den Anfängen bis Livius, hg. v. Eigler, U., 2003; Howell, M./Prevenier, W.,
Werkstatt des Historikers, 2004; Freytag, N./Piereth, W., Kursbuch Geschichte,
2004; Griff nach der Deutungsmacht, hg. v. Winkler, A., 2004;
Geschichtspolitik, hg. v. Fröhlich, C. u. a., 2004; Wozu Geschichte(n)?, hg. v.
Sommer, A. u. a., 2004; Fried, J., Der Schleier der Erinnerung, 2004; Herbst,
L., Komplexität und Chaos, 2004; Schramm, G., Fünf Wegscheiden der
Weltgeschichte, 2004; Fasolt, C., The Limits of History, 2004; Henning, E.,
Auxilia historica, 2. A. 2004; Clemens, G., Sanctus amor patriae, 2004;
Zwenger, T., Einführung in die Geschichtsphilosophie, 2005; Tschopp, S., Das
Unsichtbare begreifen, HZ 280 (2005), 39; Geschichtsdarstellung, hg. v. Borsò,
V. u. a., 2005; Baberowski, J., Der Sinn der Geschichte, 2005; Nolte, H.,
Weltgeschichte, 2005; Geschichte für Leser, hg. v. Hardtwig, W. u. a., 2005;
Völkel, M., Geschichtsschreibung, 2005; Historische Hilfswissenschaften, hg.
v. Diederich, T. u. a., 2005; Nagel, A., Im Schatten des Dritten Reichs, 2005
(Mayer, Aubin, Baethgen, Heimpel, Grundmann, Tellenbach, Schlesinger, Bosl,
Beumann); Fellner, F. u. a., Österreichische Geschichtswissenschaft im 20.
Jahrhundert, 2006; Christ, K., Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie,
2006; Hasberg, W., Didaktik der Geschichte, 2006; Pape, J., Der Spiegel der
Vergangenheit, 2006; Völkel, M., Geschichtsschreibung, 2006; Große, J., Kritik
der Geschichte, 2006; Timpe, D., Antike Geschichtsschreibung, 2007; Langewiesche,
D., Zeitwende. Geschichtsdenken heute, hg. v. Plaert, U. u. a., 2008; Österreichische
Historiker 1900-1945, hg. v. Hruza, K., Bd. 1f. 2008ff.; Geschichte, hg. v.
Budde, G. u. a., 2008; Die Rückkehr der deutschen Gesxhichtswissenschaft, hg.
v. Pfeil, U., 2008; Goetz, H., Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein
im hohen Mittelalter, 2. A. 2009; Henning, E., 175 Fragen & Antworten rund
um die historischen Hilfswissenschaften, 2009; WBG Weltgeschichte, hg. v.
Demel, W. u. a., Bd. 1ff. 2009ff.; Nolte, H., Weltgeschichte des 20.
Jahrhunderts, 2009; Daniels, M., Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, 2009;
Geschichte schreiben, hg. v. Rau, S. u. a., 2009; 150 Jahre Geschichtsforschung,
2009; Historiographie an europäischen Höfen, hg. v. Völkerl, M. u. a., 2009;
Nolte, H., Weltgeschichte des 20. Jahrhundewrts, 2009; Näf, B., Antike
Geschichtsschreibung, 2010; Fritz, H. u. a., Fachwissenschaft Geschichte, 2010;
Mégier, E., Christliche Weltgeschichte im 12. Jahrhundert, 2010; Paravicini,
W., Die Wahrheit der Historiker, 2010; Geschichtswissenschaft in der
Demokratie, hg. v. Cornelißen, C., 2010; Vademekum der Geschichtswissenschaften,
9. A. 2010, 10. A. 2012; Dunkhase, J., Werner Conze, 2010; Kamp, A., Vom
Palöolithikum zur Postmoderne - Die Genese unseres Epochen-Systems, Bd. 1 2010;
Greiert, A., Viele sind berufen, aber wenige auserwählt, HZ 292 (2011), 398;
Demandt, A., Philosophie der Geschichte, 2011; Haber, P., Digital Past, 2011; The
Oxford History of Historical Writing, hg. v. Woolf, D., Bd. 1ff. 2011ff.; Geschichtsvorstellungen,
hg. v. Patzold, S. u. a., 2012; Gierl, M., Geschichte als präzisierte Wissenschaft
- Johann Christoph Gatterer, 2012; Geschichtsschreibung als
herrschaftskritische Aufgabe, hg. v.
Kuretsidis-Haider, C. u. a., 2013; Iggers, G. u. a., Geschichtskulturen,
2014; Rösener, W., Das Max-Planck-Institut für Geschichte (1956-2006) - Fünfzig
Jahre Geschichtsforschung, 2014
Geschlecht ist der (agnatische) Familienverband und die natürliche Verschiedenheit von Lebewesen
hinsichtlich der Fortpflanzungsfunktion (Geschlechterforschung).
Lit.: Stoob, H., Die
dithmarsischen Geschlechterverbände, 1951; Frauen in
der Geschichte des Rechts, hg. v. Gerhard, U., 1997; Duncker, A., Gleichheit
und Ungleichheit in der Ehe, 2003; Gottschalk, K., Eigentum, Geschlecht,
Gerechtigkeit, 2003; Fried, J., Konradiner und kein Ende, ZRG GA 123 (2006), 1;
Geschlechterbeziehungen in Ostmitteleuropa nach dem zweiten Weltkrieg, hg. v.
Kraft, C., 2008; Gender Difference in European Legal Cultures, hg. v.
Gottschalk, K., 2013
Geschlechtsvormundschaft →Vormundschaft,
Frau
Lit.:
Signori, G., Geschlechtsvormundschaft und Gesellschaft, ZRG GA 116 (1999), 119
Geschmacksmuster ist das ästhetisch wirkende gewerbliche Muster oder Modell,
das durch Gesetz zugunsten des Urhebers besonders geschützt ist. Seine Anfänge
gehen auf Zunftordnungen in Florenz (1418), Genf (1432), Flandern und Burgund
zurück. Staatliche Regelungen werden im 18. Jh. in Frankreich (1711, 1744) und
England (1787) erlassen. Eine Unterscheidung zwischen Kunstwerk und G. findet
Frankreich (1787, 1806). In Deutschland wird am 11. 1. 1876 das Geschmacksmustergesetz
geschaffen.
Lit.: Schmid, P., Die Entwicklung des Geschmacksmusterschutzes,
1896; Werner, H., Die Geschichte des deutschen Geschmacksmusterrechtes, Diss.
jur. Erlangen 1954
Geschworener (lat.
[M.] iuratus) ist der Mensch, der einen Schwur (→Eid) abgelegt hat (,
eine Handlung rechtmäßig auszuführen). Geschworene treten im römischen Recht
und auch im Frühmittelalter im deutschen Recht auf. Insbesondere Inhaber eines
Amtes müssen einen Eid leisten, ihr Amt rechtmäßig auszuüben (z. B. Richter,
Schöffe, Bürgermeister, Ratmann). Im 19. Jh. wird das →Schwurgericht mit
besonderen Geschworenen besetzt.
Lit.: Söllner §§ 8, 9, 11; Köbler, DRG 263; Biener, F.,
Beitrag zur Geschichte des Inquisitionsprozesses und der Geschworenengerichte,
1827, Neudruck 1965; Gneist, R. v., Die Bildung der Geschworenengerichte in
Deutschland, 1849, Neudruck 1967; Mayer, E., Geschworenengericht und
Inquisitionsprozess, 1916; Kern, E., Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts,
1954; Behrends, O., Die römische Geschworenenverfassung, 1970; Kleinz, A.,
Individuum und Gemeinschaft in der juristischen Germanistik, 2001
Geschworenengericht ist in Österreich bis 1993 das Gericht, in dem seit 18. 5. 1848 Laien (Geschworene,
zunächst nur in Pressedelikten, in sonstigen Delikten 17. 1. 1850, 1852
abgeschafft, wiedereingeführt für Pressedelikte mit Gesetz vom 9. 3. 1869, allgemein
ab 23. 5. 1873) allein über die Schuldfrage zu entscheiden haben (aufgehoben
vom 19. 6. 1934-22. 11. 1950).
Lit.:
Olechowski, T., Die Entwicklung des Preßrechts in Österreich bis 1918, 2004
Geselle ist
ursprünglich der Mensch, der (mit einem anderen Menschen) im selben Raum lebt.
Im 18. Jh. wird G. (in Ablösung von Knecht) zur Bezeichnung des Handwerkers,
der nach einer Lehrzeit eine Prüfung bestanden hat und noch nicht Meister ist.
Lit.: Köbler, WAS; Schanz, G., Zur Geschichte der deutschen
Gesellenverbände, 1877; Wissel, R./Hahm, K., Des alten Handwerks Recht und
Gewohnheit, Bd. 1ff. 2. A. 1981; Reininghaus, W., Die Entstehung der
Gesellengilden im Spätmittelalter, 1981; Historische und rechtshistorische
Beiträge und Untersuchungen zur Frühgeschichte der Gilde, hg. v. Jankuhn, H. u.
a., 1981; Schulz, K., Handwerksgesellen und Lohnarbeiter, 1985; Wesoly, K.,
Lehrlinge und Handwerksgesellen am Mittelrhein, 1985; Reith, R., Arbeits- und
Lebensweise im städtischen Handwerk, 1988; Bräuer, H., Gesellen im sächsischen
Zunfthandwerk 1989; Wadauer, S., Die Tour der Gesellen, 2005
Gesellschaft (Wort 830 Tatian, Gesellschaftsvermögen 1742) ist die Gesamtheit von Menschen, insbesondere im
Privatrecht die Vereinigung mehrerer Menschen (ausnahmsweise nach neuerer
Entwicklung auch die Tätigkeit eines einzigen Menschen) durch Rechtsgeschäft
zur Erreichung eines (gemeinsamen) Zweckes. Im altrömischen Recht schließt sich
die G. an die Hauserbengemeinschaft (lat. [N.] →consortium, ohne
persönliche Haftung der Gesellschafter) an. Daneben entwickelt sich in den
letzten vorchristlichen Jahrhunderten ein formfreier Zusammenschluss zu gemeinschaftlichen
Handelsunternehmungen. Aus beiden entsteht die G. (lat. [F.] →societas).
Wohl auch im Anschluss an die Miterbengemeinschaft bilden sich im Hochmittelalter
vertragliche Zusammenschlüsse zu Handelszwecken unterschiedlicher Ausgestaltung
(stille G., offene G., beschränkte Haftung, unbeschränkte Haftung, Mitarbeit,
Kapitaleinsatz, wahrscheinlich persönliche Haftung des Gesellschafters,
erstmals jedenfalls angeordnet in Stadtrechtsreformationen). Hieraus werden
allmählich die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft und die
stille G. Nach Entdeckung der neuen Welt bewirken hoher Kapitalbedarf und
großes Risiko (der Seefahrt) die Ausbildung der →Aktiengesellschaft (Anfang
17. Jh.). In den Kodifikationen zwischen 1794 und 1811 wird das Gesellschaftsvermögen
zum eigenen Haftungsvermögen. Im 19. Jh. wird das Recht der G. genauer geregelt
(Code de commerce, ADHGB 1861). 1892 wird im Deutswchen Reich durch Gesetz eine
besondere →G. mit beschränkter Haftung geschaffen. Die Grundform der
nichtrechtsfähigen G. wird im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) als →Gesamthand
ausgestaltet. In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s wird zunächst bei der G. mit
beschränkter Haftung die →Einmanngesellschaft zugelassen und 2001 die
Teilrechtsfähigkeit und damit auch die Parteifähigkeit einer
bürgerlichrechtlichen Außengesellschaft anerkannt.
Lit.: Kaser § 43; Hübner § 41; Köbler, DRG 14, 17, 29, 45,
46, 51, 64, 67, 98, 121, 135, 146, 167, 176, 207, 225, 252; Köbler, WAS;
Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 801; Goldschmidt, L., Handbuch des
Handelsrechts, 1864, 2. A. 1875, darin Universalgeschichte des Handelsrechts,
(Bd. 1 3. A.) 1891, Neudruck 1957; Lehmann, K., Die geschichtliche Entwicklung
des Aktienrechts, 1895, Neudruck 1968; Weber, M., Zur Geschichte der
Handelsgesellschaften, 1898; Silberschmidt, W., Beteiligung und
Teilhaberschaft, 1915; Lévy-Bruhl, H., Histoire juridique des Sociétés de
Commerce en France, 1938; Lutz, E., Die rechtliche Struktur süddeutscher
Handelsgesellschaften, 1976; Servos, R., Die Personenhandelsgesellschaften und
die stille Gesellschaft, Diss. jur. Köln 1984; Weißen-Micus, M.,
Tatbestandsmerkmale des Gesellschaftsvertrags im 19. Jahrhundert, 1985; Coing,
H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1 1985, § 107; Blickle, P., Unruhen in der
ständischen Gesellschaft, 1988, 2. A: 2010, 3. A: 2012; Misera, K., Klagen
manente societate, FS R. Nirk, 1992, 697; Reiter, H., Die Handelsgesellschaft
Villeroy & Boch, 1992; Cordes, A., Stuben und Stubengesellschaften, 1993;
Gall, L., Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, 1993, 2. A. 2012;
Friedeburg, R. v., Ländliche Gesellschaft und Obrigkeit, 1997; Cordes, A.,
Spätmittelalterlicher Gesellschaftshandel im Hanseraum, 1998; Hartung, W.,
Geschichte und Rechtsstellung der Compagnie in Europa, Diss. jur. Bonn 2000;
Hofmeister, J., Die Entwicklung des Gesellschafterwechsels, 2002; Thomas, F.,
Die persönliche Haftung von Personengesellschaftern, 2003; Meissel, F., Societas,
2004; Weiss, M., Rechtsfähigkeit, Parteifähigkeit und Haftungsordnung der
BGB-Gesellschaft, 2005; Politische Vereine, Gesellschaften und Parteien in
Zentraleuropa 1815-1848/49, hg. v. Reinalter, H., 2005; Jahntz, K.,
Privilegierte Handelscompagnien in Brandenburg und Preußen, 2006; Hasselmann,
N., Die Lehre Ulmers zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 2007; Oechsler, J.,
Die Geschichte der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, NJW 2008, 2471;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010; Stamm, V., Soziale Zwischengruppen in der mittelalterlichen
Agrargesellschaft, HZ 291 (2010), 1; Riedel, M., Bürgerliche Gesellschaft, 2011;
Cassels, N., Social Legislation of the East India Company, 2013
Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist die im Vergleich zur älteren Aktiengesellschaft einfacher
gestaltete, rechtsfähige Kapitalgesellschaft, die unter Aufnahme einzelner
Züge der englischen limited company (act von 1882) (am 20. 4.) 1892 im Deutschen
Reich (Österreich 6. 3. 1906, Schweiz 1937) durch besonderes Gesetz geschaffen
wird und die im 20. Jh. beachtliche Verbreitung erfährt. Zulässig wird die
Einpersonengesellschaft. Im Wettbewerb mit der Limited des englischen Rechtes
werden am Beginn des 21. Jh.s die formalen Voraussetzungen herabgesetzt.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Köbler, DRG 218, 272; Schubert,
W., Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Quaderni Fiorentini 11/12
(1982/3), 589; Entwurf des Reichsjustizministeriums zu einem Gesetz über
Gesellschaften mit beschränkter Haftung von 1939, hg. v. Schubert, W., 1985;
Akademie für deutsches Recht 1933-1945. Ausschuss für GmbH-Recht, 1986; Stroth,
R., Das Recht der GmbH, Diss. jur. Tübingen 1991; Koberg, P., Die Entstehung
der GmbH in Deutschland und Frankreich, 1992; Stupp, M., GmbH-Recht im
Nationalsozialismus, 2002; Kalss, S./Eckert, G., Zentrale Fragen des
GmbH-Rechts, 2005; Rechtstransfer in der Geschichte, hg. v. Duss, V. u. a.,
2006, 446ff.; Bezler, E., Die Bedeutung des Stammkapitals für die GmbH, 2009;
Spiegel, S., Einführung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 2009;
Kautzsch, M., Die GmbH, 2010; Georg, D., Gesellschafterdarlehen in der
Insolvenz, 2011; Quellen zur GmbH-Reform von 1958 bis zum GmbH-Änderungsgesetz
von 1980, hg. v. Schubert, W., 2011; Geißler, M., Geschichte und juristische
Gegenwart gesellschaftsinterner Nutzungsüberlassung, 2010; Communicating
Sustainability, hg. v. Mantl, J. u. a., 2012
Gesellschafter (Wort Nürnberg 1484) ist das
Mitglied einer (wirtschaftlichen) →Gesellschaft.
Lit. Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gesellschaftsrecht (1615) ist die Gesamtheit der
(handelsrechtliche) →Gesellschaften betreffenden Rechtssätze. Das G.
verselbständigt sich als besonderes Rechtsgebiet seit dem 19. Jh.
Lit.: Adler, K., Zur Entwicklungslehre und Dogmatik des
Gesellschaftsrechts, 1895; Löber, B., Das spanische Gesellschaftsrecht im 16.
Jahrhundert, Diss. jur. Freiburg im Breisgau 1967; Handbuch der Quellen und
Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H.,
Bd. 1ff. 1973ff., 3,3,2969; Neuere Tendenzen im Gesellschaftsrecht, hg. v. Crone,
H. v. d., 2003; VOC 1602-2002 400 Years of Company Law, hg. v. Gepken-Jager, E.
u. a., 2005; Wörner, B., Adelbert Düringers Einfluss als Richter am
Reichsgericht, 2007; Hein, J. v., Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts
in Deutschland, 2008; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010; Meincke, J., Das Gesellschaftsrecht in den Institutionen Iustinians FS
Georg Maier-Reimer, 2010, 443
Gesellschaftsvertrag (1793 Fichte) ist nach älteren
Vorläufern (u. a. Plato, Cicero, Althusius, Hobbes] politisch der von den
Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft zur Beseitigung des Kampfes aller
gegen alle (idealtypisch) geschlossene Vertrag (Jean Jacques →Rousseau
[1712-1778], [frz.] contrat [M.] social 1762), durch den sich jeder Einzelne
verpflichtet, sich dem allgemeinen, auf das allgemeine Wohl ausgerichteten
Willen zu unterwerfen (kritisch dazu Kant, Hegel, Bentham, Marx und Engels),
privatrechtlich der zwischen den Gesellschaftern einer (Handel treibenden) →Gesellschaft
abgeschlossene Vertrag.
Lit.: Söllner § 9; Köbler, DRG 191; Crezelius, G., Neuzeitliche
Gesellschaftsverträge, 1987; The Social Contract from Hobbes to Rawls, hg. v.
Boucher, D. u. a., 1994; The Social Contract Theorists, hg. v. Morris, C.,
1999; Pezzillo, L., Rousseau et le Contrat social, 2000; Köbler, U., Werden,
Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gesetz ist
die abstrakte und allgemeine, in einem festgelegten Verfahren durch Festsetzung
geschaffene rechtliche Regelung. Sein Kern ist die bewusste Festsetzung eines
Inhalts durch besondere Handlung der dazu Berechtigten oder sich dazu
berechtigt Fühlenden. Als G. erscheint - (nach dem Codex Urnammu des Königs Urnammu von Lagusch [Ur, um 2100 v.
Chr.] und dem Codex des babylonischen Königs →Hammurapi [1728-1686 v.
Chr. ],) nach den Festsetzungen →Lykurgs, →Solons und →Drakons
in griechischen Stadtstaaten sowie nach sagenhaften römischen Königsgesetzen -
in Rom 451/450 v. Chr. in das →Zwölftafelgesetz (lat. lex [F.] duodecim
tabularum). In der Folge gibt es zahlreiche römische, jeweils nach ihrem
Urheber benannte Einzelgesetze (→lex). Seit Augustus (63 v. Chr.-14 n.
Chr.) greift der Herrscher (Prinzeps, Kaiser) vielfach zur Festsetzung (lat.
[F.] constitutio), um das Recht zu gestalten. Dabei werden am Ende des
Altertums umfassende, älteres Recht aber nur kompilierende Gesetzbücher (lat.
[M.Pl.] codices) in Kraft gesetzt (→Codex Theodosianus, →Codex).
Demgegenüber ist bei den Germanen wegen ihrer einfachen gesellschaftlichen
Verhältnisse die Setzung von Recht wohl selten. Die fränkischen Herrscher
schließen deshalb in einzelnen Konstitutionen und zusammenfassenden Kapitularien
eher an römische Vorbilder an. Im 11. und 12. Jh. tritt der Setzungsgedanke
wieder hervor (→Landfriede, str., a. M. Thomas Simon im Anschluss an
Fritz Kern). Er bleibt im Heiligen römischen Reich aber wegen der Schwäche des
Königs bzw. Kaisers und der damit verbundenen Schwerfälligkeit des Gesetzgebungsverfahrens
eher Ausnahme. Dagegen wird der absolutistische Landesherr vielfach
gesetzgeberisch tätig. Die gewichtigsten Zeugnisse dieses Wirkens sind die →Polizeiordnungen,
→Reformationen und vor allem die naturrechtlichen Gesetzbücher (→Kodifikationen)
der Wende vom 18. zum 19. Jh. ([Bayern 1751-1756], preußisches Allgemeines
Landrecht 1794, französischer Code civil 1804, österreichisches Allgemeines
Bürgerliches Gesetzbuch 1811/1812), doch ist bis dahin eine durchgehende
Trennung von Gesetz und untergesetzlicher Normsetzung unbekannt, zumal
Gesetzgebung und Gesetzesausführung noch nicht getrennt sind. Mit dem 19. Jh.
beginnt eine noch immer steigende, vom Rechtsstaatsgedanken und der
beachtlichen Vergütung der gesetzgeberischen Tätigkeit der Abgeordneten und
ihrer Gehilfen nicht unwesentlich beeinflusste Gesetzesflut. Paul Laband trennt
das formelle G. vom materiellen Gesetz (Rechtsverordnung).
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Köbler, DRG 4, 6, 31, 50,
52, 78, 101, 138, 181, 189, 199, 254; Köbler, WAS; Geschichtliche
Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 863; Schubert, A., Augustins Lex-aeterna-Lehre,
1924; Wengler, L., Die Quellen des römischen Rechtes, 1953; Ebel, W.,
Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 1956, 2. A. 1958, Neudruck 1988;
Böckenförde, E., Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1958; Kopp, H., Inhalt und
Form der Gesetze, 1958; Gagnér, S., Studien zur Ideengeschichte der
Gesetzgebung, 1960; Kirschenmann, D., „Gesetz“ im Staatsrecht und in der
Staatsrechtslehre des Nationalsozialismus, 1970; Köbler, G., Das Recht im
frühen Mittelalter, 1971; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.;
Schott, C., Rechtsgrundsätze und Gesetzeskorrektur, 1975; Genicot, L., La Loi,
1977; Willoweit, D., Gesetzespublikationen und verwaltungsinterne Gesetzgebung,
(in) Gedächtnisschrift H. Conrad, 1979, 601; Berman, H., Law and Revolution,
1983; Lübbe-Wolff, G., Das wohlerworbene Recht als Grenze der Gesetzgebung im
neunzehnten Jahrhundert, ZRG GA 103 (1986), 104; Zum römischen und
neuzeitlichen Gesetzesbegriff, hg. v. Behrends, O. u. a., 1987; Karpen, U.,
Entwicklung des Gesetzesbegriffes in Deutschland, Gedächtnisschrift W. Martens,
1987; Hattenhauer, H., Richter und Gesetz (1919-79), ZRG GA 106 (1989), 46; Das
Gesetz in Spätantike und Frühmittelalter, hg. v. Sellert, W., 1992; Flach, D.,
Die Gesetze der frühen römischen Republik, 1994; Nomos und Gesetz, hg. v.
Behrends, O. u. a., 1995; Klemmer, M., Gesetzesbindung und Richterfreiheit,
1996; Schilling, L., Gesetzgebung im Frankreichs Ludwigs XIII., Ius commune 24
(1997), 91; Simon, T., Krise oder Wachstum?, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler,
G. u. a., 1997; Gesetz und Gesetzgebung im Europa der frühen Neuzeit, hg. v.
Dölemeyer, B. u. a., 1998; Weber, R., Das Gesetz bei Philon von Alexandria und
Flavius Josephus, 2001; Igwecks, T., Die drei Lesungen von Gesetzen im
deutschen Bundestag, 2002; Elster, M., Die Gesetze der mittleren römischen
Republik, 2003; Holzborn, T., Die Geschichte der Gesetzespublikation, 2003;
Caroni, P., Gesetz und Gesetzbuch, 2003; Stolleis, M., Das Auge des Gesetzes,
2004, 3. A: 2014; Schröder, J., Gesetz und Naturgesetz in der frühen Neuzeit,
2004; Gesetz und Vertrag, hg. v. Behrends, O. u. a., 2004ff.; Schilling, L.,
Normsetzung in der Krise, 2005; Alexandrino Fernandes, J., Die Theorie der
Interpretation des Gesetzes, 2005 Albrecht, M., Die Methode der preußischen
Richter, 2005; Vec, M., Recht und Normierung in der industriellen Revolution,
2006; Der biblische Gesetzesbegriff, hg. v. Behrends, O., 2006; Schennach, M.,
Zuschreiben von Bedeutung, ZRG GA 125 (2008), 133; Transformation des
Gesetzesbegriffs im Übergang zur Moderne? hg. v. Walther, M. u. a., 2008; Kullmann,
W., Naturgesetz in der Vorstellung der Antike, 2010; Landau, P., Kritische
Anmerkungen zu Thomas Simons Bestreitung der gesetzespositivistischen Umwälzung
des hohen Mittelalters (in FS Jan Schröder, 2013, 81; Schmidt-Gabain, F., Die
Seelen der Gesetze, 2014
Gesetzblatt ist
das amtliche Druckwerk, in dem Gesetze (und Rechtsverordnungen) zu
veröffentlichen sind (nach älteren lokalen vermischten und oft nur teilweise
abdruckenden Intelligenzblättern z. B. Frankreich 4. 12. 1793 Bulletin des lois
de la république, 1795 bzw. 1803 feste Zeitpunkte für das Inkrafttreten, Bayern
1799 bzw. 1800/1802 Kurbayrisches Regierungs- und Intelligenzblatt, Baden 1803
Kurfürstliches Regierungsblatt, Württemberg 1807 Königlich württembergisches
Staats- und Regierungsblatt, Westphalen 1807, Großherzogtum Hessen 1808
Großherzoglich Hessische Zeitung, Preußen 1810 Gesetzessammlung,
Mecklenburg-Schwerin 1812, Oldenburg 1814, Hannover 1818, Sachsen 1818,
Österreich 1. 10. 1849 Allgemeines Reichs-Gesetz- und Regierungsblatt für das
Kaisertum Ö., Schleswig-Holstein 1849, Verfassung des Deutschen Reiches von
1871, Frist von 14 Tagen). Um etwa 1860 ist die formelle Gesetzespublikation
durchgesetzt, die inhaltliche Kenntnisnahme der Öffentlichkeit zweitrangig.
Lit.: Lukas, J., Über die Gesetzespublikation in Österreich
und dem Deutschen Reiche, 1903; Silvestri, G., Die deutschsprachigen
Gesetzblätter Österreichs, 1967; Willoweit, D., Gesetzespublikationen und
verwaltungsinterne Gesetzgebung in Preußen vor der Kodifikation, Gedächtnisschrift
H. Conrad 1979, 601; Ruppert, S., Die Entstehung der Gesetzblätter (in) Juristische
Zeitschriften, hg. v. Stolleis, M., 1999, 67ff.; Holzborn, T., Die Geschichte
der Gesetzespublikation, 2003; Mertens, B., Gesetzgebungskunst, 2004
Gesetzbuch (1410?) ist das umfassende
Gesetz. Es findet sich (als Kompilation) bereits im Altertum (Codex
Theodosianus, Codex Justinianus). Danach erscheint es (als Kodifikation) wieder
in der frühen Neuzeit (z. B. ALR, Code civil, ABGB u. s. w.).
Lit.: Caroni, P., Gesetz und Gesetzbuch,
2003; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010; ; Strauch, D., Rechtsbücher und Gesetzbücher im Norden, ZRG GA 130
(2013), 37
Gesetzesauslegung →Auslegung, →Interpretation, →Gesetz
Lit.: Wesel, U., Rhetorische Statuslehre und
Gesetzesauslegung der römischen Juristen, 1967; Pauly, S., Organisation,
Geschichte und Praxis der Gesetzesauslegung des königlich preußischen
Oberverwaltungsgerichts 1875-1933, 1987
Gesetzesinitiative ist die Initiative zur Schaffung eines Gesetzes. Sie steht zunächst dem
Monarchen zu (Baden 1818, Bayern 1818, Sachsen 1831), wird aber bald auch den
Volksvertretungen zugesprochen (Kurhessen 1831, Preußen 1850). Im Deutschen Reich von 1871 hat
sie der Bundesrat und der Reichstag sowie nach streitiger Ansicht der Kaiser, 1919
die Reichsregierung und die Mitglieder des Reichstags (daneben Volksentscheid),
in der Bundesrepublik Deutschland (1949) die Bundesregierung, der Bundestag
und der Bundesrat, in Österreich (1920 die Mitglieder des Nationalrats, der
Bundesrat bzw. ein Drittel seiner Mitglieder und die Bundesregierung (seit 1991
auch Volksbegehren), in der Schweiz (1919) jedes Mitglied der Bundesversammlung,
jede politische Kommission, jeder Kanton und der Bundesrat (Regierung, daneben
u. U. das Staatsvolk).
Gesetzespositivismus ist die Form des Positivismus im Recht, die im letzten
Drittel des 19. Jh.s das Recht allein auf das den Volkswillen verkörpernde →Gesetz
gründet. Der G. geht davon aus, dass das ordnungsmäßige Zustandekommen des
Gesetzes Willkür ausschließt und Gerechtigkeit gewährleistet. Deshalb bindet er
den Richter fest an das Gesetz.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2, 3; Köbler,
DRG 189
Gesetzessammlung, Gesetzsammlung, ist die Zusammenstellung von einzelnen
Gesetzen zwecks Vermehrung der Rechtssicherheit. Sie erfolgt im Altertum
zunächst privat (→Codex Gregorianus 294, →Codex Hermogenianus) und
danach im besonderen Gesetzbuch (→Codex Theodosianus, →Codex). Auch
in der Neuzeit erweisen sich teils amtliche, teils private Gesetzessammlungen
als notwendig oder sinnvoll.
Lit.: Köbler, DRG 181; Codex Austriacus, 1704, 1748, 1752,
1777; Justizgesetzsammlung (Österreichs), 1780-1848; Politische Gesetzsammlung
(Österreichs) 1793-1848; Quellensammlung zum deutschen Reichsstaatsrecht, hg.
v. Triepel, H., 5. A. 1931
Gesetzessprecher ist der für Island (930-1262/1271) gesicherte bzw.
abgeändert auch vielleicht für Norwegen (um 1100) und Schweden wahrscheinliche,
auf Zeit oder Lebenszeit gewählte Rechtskundige, der in der Volksversammlung (→Ding)
das Recht mündlich vorträgt. Die Herkunft des Gesetzessprechers ist unbekannt.
In Island verschwindet der G. im 13. Jh. wieder (1263 Anschluss an Norwegen).
Lit.: Köbler, DRG 70; Maurer, K., Das Alter des
Gesetzessprecheramtes in Norwegen, FG L. Arndt, 1875, 1; Schröder, R.,
Gesetzsprecheramt und Priestertum bei den Germanen, ZRG GA 4 (1883), 215;
Lehmann, K., Zur Frage nach dem Ursprunge des Gesetzsprecheramtes, ZRG GA 6
(1885), 193; Haff, K., Der germanische Rechtssprecher als Träger der Kontinuität,
ZRG GA 66 (1948), 364; Rehfeldt, B., Saga und Lagsaga, ZRG GA 72 (1955), 34;
See, K. v., Altnordische Rechtswörter, 1964, 44, 82, 107, 195
Gesetzesumgehung →Umgehungsgeschäft
Lit.: Schröder, J., Gesetzesauslegung und Gesetzesumgehung,
1985; Benecke, M., Gesetzesumgehung im Zivilrecht, 2004
Gesetzesvorbehalt ist die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung für Eingriffe (der
Verwaltung) in Rechte der Bürger. Nach älteren Ansätzen der Polizeirechtswissenschaft
des 18. Jh.s wird der G. 1878 von Paul Laband gefordert. Das Wort wird 1895 von
Otto Mayer geprägt.
Lit.:
Jesch, D., Gesetz und Verwaltung, 2. A. 1968; Engert, M., Die historische
Entwicklung des Rechtsinstituts Verwaltungsakt, 2002
Gesetzgeber ist
der Urheber eines →Gesetzes. In monarchisch geprägten Zeiten ist dies der
→Monarch (z. B. Augustus, Diokletian, Justinian), in demokratisch
strukturierten Gesellschaften das →Parlament als die Vertretung des
Volkes.
Lit.: Kleeberger, W., Die Aufgaben der bayerischen Gesetzgebung
in der Vorstellungswelt des 18. Jahrhunderts, Diss. jur. München 1958;
Lieberich, H., Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber, ZRG GA 76 (1959), 173;
Archi, G., Giustiniano legislatore, 1970; Hesse, H., Gesetzgeber und
Gesetzgebung in Bayern 1848-1870, 1984; Kipper, E., Johann Paul Anselm
Feuerbach, 2. A. 1989; Kummerer, C., Der Fürst als Gesetzgeber in den
lateinischen Übersetzungen von Averroes, 1989; Hölkeskamp, K., Schiedsrichter,
Gesetzgeber und Gesetzgebung im antiken Griechenland, 1999; Miersch, M., Der
sogenannte réferé législatif. Eine Untersuchung zum Verhältnis Gesetzgeber,
Gesetz und Richteramt, 2000
Gesetzgebung ist
die Schaffung eines (formellen) →Gesetzes. Sie ist im Altertum in
erheblichem Umfang üblich. Im Frühmittelalter ist sie möglich, aber wohl
selten. Im Hochmittelalter wird sie verstärkt aufgegriffen. Dabei entsteht im
Umkreis der oberitalienischen Städte auf der Grundlage der von der Scholastik
aufgenommenen Politik des Aristoteles die erste Gesetzgebungslehre, welche
die Gesetzgebung in die Mitte der Regierungstätigkeit des Fürsten stellt,
aber nördlich der Alpen erst am Ausgang des Mittelalters wirksam wird. Die
größte Bedeutung erlangt die G. seit dem Absolutismus (Kodifikationen) und der
Aufteilung der Gewalten sowie der Anerkennung des Rechtsstaats. Ab 1888
entwickelt sich in Deutschland eine eigenständige Methodenbewegung legislative
Rechtswissenschaft (Rudolf Stammler), seit etwa 1970 eine Gesetzgebungslehre.
Angesichts der Professionalisierung der Gesetzgebung nimmt die Zahl der
Gesetzgebungsakte auf vordem unbekannte Größe zu (Gesetzgebungsflut des
seine Daseinsberechtigung nachweisen wollenden Parlaments).
Lit.: Köbler, DRG 191; Niese, H., Die Gesetzgebung der
normannischen Dynastie im regnum Siciliae, 1910; Hartz, W., Die Gesetzgebung
des Reichs und der weltlichen Territorien in der Zeit von 1495-1555, Diss.
phil. Marburg, 1931; Ebel, W., Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland,
1956, 2. A. 1958, Neudruck 1988; Hattenhauer, H., Die Bedeutung der Gottes- und
Landfrieden, Diss. jur. Marburg 1958; Gagnér, S., Studien zur Geschichte der
Gesetzgebung, 1960; Mühl, M., Untersuchungen zur altorientalischen und
althellenischen Gesetzgebung, 1963; Wolf, A., Typen der Gesetzgebung im
Mittelalter, Ius commune 1 (1967); Vanderlinden, J., Le concept de code en
Europe occidentale, 1967; Birtsch, G., Gesetzgebung und Repräsentation im
späten Absolutismus, HZ 208 (1969), 265; Köbler, G., Das Recht im frühen
Mittelalter, 1971; Dilcher, H., Die sizilianische Gesetzgebung Kaiser
Friedrichs II., 1975; Ziller, G., 30 Jahre Bundesgesetzgebung, (in) Bulletin
der Bundesregierung 11. September 1979, Nr. 103, 960; Kussmaul, P., Pragmaticum
und lex, 1981; Schulze, R., Geschichte der neueren vorkonstitutionellen Gesetzgebung,
ZRG GA 98 (1981), 157; Kocher, G., Zur Funktion der Gesetzgebung im 18.
Jahrhundert, (in) Das achtzehnte Jahrhundert, Bd. 1 1983, 44; Jakobs, H.,
Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht, 1983; Stolleis, M.,
Condere leges et interpretari. Gesetzgebungsmacht und Staatsbildung im 17.
Jahrhundert, ZRG GA 101 (1984), 89; Gesetzgebung als Faktor der
Staatsentwicklung, 1984; Biesemann, J., Das Ermächtigungsgesetz als Grundlage
der Gesetzgebung im nationalsozialistischen Staat, 1985; Renaissance du pouvoir
législatif et génèse de l´État, hg. v. Gouron, A. u. a., 1988; Gesetzgebung und
Dogmatik, hg. v. Behrends, O. u. a., 1989; Wolf, A., Gesetzgebung in Europa
1100-1500, 2. A. 1996; Ullrich, N., Gesetzgebungsverfahren und Reichstag,
1996; Simon, T., Krise oder Wachstum? FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u.
a., 1997; Gesetz und Gesetzgebung in der frühen Neuzeit, hg. v. Dölemeyer, B.
u. a., 1998; Legislation und Justice, hg. v. Padoa Schioppa, A. u. a., 1995;
Fuhrmann, J., Theorie und Praxis in der Gesetzgebung des Spätmittelalters in
Deutschland, 2001; Prudentia legislatoria, hg. v. Maier, H. u. a., 2003;
Mester, G., Die Volksinitiative in Sachsen, 2003; Mertens, B.,
Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen, 2004; Schöler, C., Die
deutsche Rechtseinheit, 2004; Schwieger, C., Volksgesetzgebung in Deutschland,
2005; Emmenegger, S., Gesetzgebungskunst, 2006; Mohnhaupt, H., Grundlinien in
der Geschichte der Gesetzgebung auf dem europäischen Kontinent vom 16. bis 18.
Jahrhundert, ZNR 28 (2006), 124ff.; Gesetzgebung in antiken Gesellschaften -
Israel, Griechenland, Rom, hg. v. Burckhardt, L. u. a., 2007; Meyer, A.,
Dominus noster vult - Anmerkungen zur päpstlichen Gesetzgebung im
Spätmittelalter, HZ 289 (2009), 607; Schennach, M., Gesetz und Herrschaft, 2010
gesetzlich (Adj.) auf Gesetz beruhend, Gesetz betreffend
Gesetzlicher Richter
ist der vom Gesetz durch allgemeine Regeln für den einzelnen Fall vorweg festgelegte
zuständige Richter. Mit dieser Einrichtung soll im Rechtsstaat unlauterer
persönlicher Einflussnahme vorgebeugt werden. Nach älteren, bis ins
Mittelalter (Kirchenrecht C. 2. q. 1. c. 7) zurückreichenden Ansätzen (z. B.
auch Petition of right 1628, Bill of rights 1701, Act of settlement 1701, Art.
171 der Verfassung Frankreichs von 1791) wird sie (unabhängig vom modernen
Rechtsstaatsbegriff) im Deutschen Bund in den Verfassungen des 19. Jh.s
verwirklicht (Baden 1818 ordentlicher Richter, Hessen 1820 g. R., Verfassung
des Deutschen Reiches 1848, Gerichtsverfassungsgesetz von 1877/1879, Einschränkungen
im Nationalsozialismus und in der Deutschen Demokratischen Republik, Sicherung
in Art. 6 I EMRK).
Lit.: Köbler, DRG 200; Pfeiffer, W., Die Selbständigkeit und
Unabhängigkeit des Richteramtes, 1851; Menzel, W., Ausnahmegericht und
gesetzlicher Richter, Diss. jur. 1925; Kern, E., Der gesetzliche Richter, 1927;
Scupin, H., Der gesetzliche Richter im Bonner Grundgesetz, Diss. jur. Tübingen
1963; 2003; Seif, U., Recht und Justizhoheit, 2003; Müßig, U., Der gesetzliche
Richter ohne Rechtsstaat?, 2007
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist die Bindung der Tätigkeit der staatlichen
Verwaltungsbehörden an rechtliche Vorschriften. Die G. d. V. wird erstmals
1810 von W. J. Behr zur Verhinderung übermäßiger Einschränkungen der
menschlichen Handlungsfreiheit eingefordert (System der allgemeinen
angewandten Staatslehre).
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 199
Gesinde (Wort bereits für das Germanische zu erschließen) ist die Gesamtheit der in einem Hauswesen beschäftigten und
der Personalgewalt des Hausvaters unterstehenden Dienstboten (um 1800 10% der
Bevölkerung). Zu unterscheiden ist dabei zwischen unfreiem und freiem G. Für
das unfreie G. gelten zunächst die allgemeinen Regeln der →Grundherrschaft.
Für das freie G. entwickeln sich in den Städten im Spätmittelalter besondere
Gesindevorschriften (z. B. Freiberg um 1300). Im 18. Jh. werden im Heiligen
römischen Reich zahlreiche Gesindeordnungen erlassen und werden (nach einem Landrechtsentwuf
Friedrich Esaias Philipp von Pufendorfs in den Jahren 1770-1772) dann auch in
Kodifikationen allgemeine Regeln festgelegt.
Lit.: Köbler, DRG 127; Köbler, WAS; Dorn, J., Versuch einer
ausführlichen Abhandlung des Gesinderechts, 1794; Hertz, G., Die
Rechtsverhältnisse des freien Gesindes, 1881, 2. A. 1935; Wuttke, R.,
Gesindeordnungen und Gesindezwangsdienst in Sachsen, 1893; Kähler, W.,
Gesindewesen und Gesinderecht in Deutschland, 1896; Fuld, L., Das bürgerliche
Recht und das Gesinderecht, 1899; Lennhoff, E., Das ländliche Gesindewesen in
der Kurmark Brandenburg, 1906; Könnecke, O., Rechtsgeschichte des Gesindes in
West- und Süddeutschland, 1912, Neudruck 1970; Götsch, S., Beiträge zum
Gesindewesen in Schleswig-Holstein zwischen 1740 und 1840, 1978; Vormbaum, T.,
Politik und Gesinderecht im 19. Jahrhundert, 1981; Haus und Familie in der
spätmittelalterlichen Stadt, hg. v. Haverkamp, A., 1984; Schröder, R., Zur
Arbeitsverfassung des Spätmittelalters, 1984; Schröder, R., Das Gesinde war
immer frech und unverschämt, 1992; Dürr, R., Gesinde in der Stadt, 1995;
Gesinde im 18. Jahrhundert, 1995; Arbeiten im Mittelalter, hg. v. Postel, V.,
2006; Dienstbotinnen, hg. v. Barth-Scalmani, G. u. a., 2007; Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010;
Sagemann, M., Krankenfürsorge für das Gesinde, 2012
Gesta (N.Pl.) municipalia (lat.) sind im ausgehenden Altertum gemeindliche
Verzeichnisse oder öffentliche Akten.
Lit.: Hirschfeld, B., Die gesta municipalia, Diss. Marburg
1904; Recht und Schrift im Mittelalter, hg. v. Classen, P., 1977
Gestaltungsrecht ist das Recht auf Gestaltung bzw.
Änderung einer Rechtslage in einem fremden Rechtsbereich durch eigene Handlung
(z. B. einseitiges Rechtsgeschäft). Es geht in seiner Entwicklung auf Savigny
(anfechtbares Rechtsgeschäft), Windscheid (1856), Brinz und Zitelmann zurück.
Den Begriff Gestaltungsrecht prägt Emil Seckel (1903).
Lit.: Steiner, R., Das
Gestaltungsrecht, 1984; Hattenhauer, C., Einseitige private Rechtsgestaltung,
2011
Geständnis (lat.
[F.] confessio) ist das Eingestehen der Wahrheit einer von einem anderen
behaupteten Tatsache durch einen Verfahrensbeteiligten. Das G. gehört, weil es
weiteren Streit entbehrlich macht, schon in die Anfänge des Verfahrensrechts.
Dort wird es später als Königin der Beweismittel angesehen. Seiner Erzielung
dient vor allem vom 13. Jh. bis zum 18. Jh. die →Folter. In der Gegenwart
dienen fast drei Viertel der strafverfahrsnrechtlichen Ermittlung der Erlangung
eines Geständnisses und beruht rund die Hälfte der Verurteilungen auf einem G.,
wobei über das G. eine Absprache möglich ist.
Lit.: Kaser § 84 I 2; Köbler, DRG 117; Planck, J., Das
deutsche Gerichtsverfahren, 1879; Beyerle, F., Das Entwicklungsproblem im
germanischen Rechtsgang, 1914, 400; Kleinheyer, G., Zur Rolle des Geständnisses
im Strafverfahren, (in) Gedächtnisschrift H. Conrad, 1980, 367ff.; Hauser, J.,
Geständnis und Absprache, 2007
Gestapo (geheime
Staatspolizei) ist die aus meist fähigen und harten, dem Staat aus Überzeugung
dienenden, selbst vor brutalsten Maßnahmen nicht zurückschreckenden Polizisten
zusammengesetzte politische Polizei (z. B. im nationalsozialistischen Deutschen
Reich). Etwa einem Drittel der Gestapochefs des Jahres 1938 gelingt die
Erreichung einer ihrer Ausbildung entsprechenden beruflichen Stellung in der
Bundesrepublik Deutschland.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Weyrauch, W., Gestapo V-Leute,
1989; Gellately, R., Die Gestapo und die deutsche Gesellschaft, 2. A. 1994;
Heuer, H., Geheime Staatspolizei, 1995; Die Gestapo, hg. v. Paul, G. u. a.,
1995; Johnson, E., Nazi Terror, 1999; Stolle, M., Die Geheime Staatspolizei in
Baden, 2001; Schmidt, S., Gestapo, Strafjustiz und „Kanzelmissbrauch“ in
Südbayern 1933 bis 1939, 2002; Bornschein, J., Gestapochef Heinrich Müller,
2004; Dams, C. u. a., Die Gestapo, 2008; Die Gestapo nach 1945, hg. v.
Mallmann, K. u. a., 2009; Wallbaum, K., Der Überläufer - Rudolf Diels
(1900-1957, 2010; Thalhofer, E., Entgrenzung der Gewalt, 2010
gestio (lat.
[F.]) Betragen, Führung
Gesundes Volksempfinden ist im Dritten Reich (1933-45) die der Ideologie
entsprechende allgemeine Anschauung, die als Korrektiv eines formaljuristisch
gefundenen, dem →Nationalsozialismus unannehmbar erscheinenden
richterlichen Ergebnisses verwendet wird.
Lit.: Rückert, J., Das „gesunde Volksempfinden“ - eine
Erbschaft Savignys, ZRG GA 103 (1986), 199
Gesundheit ist der Zustand vollkommenen
Wohlbefindes eines Lebewesens. 1876 wird im Deutschen Reich als oberste
Reichsbehörde für das Medizinalwesen ein Kaiserliches Gesundheitsamt
gegründet (1918 Reichsgesundheitsamt, 1952 Bundesgesundheitsamt, 1994
aufgelöst zu Gunsten des Bundesinstituts für Infektionskrankheiten, des
Bundesinstituts für Verbraucherschutz und Veterinärmedizin und des
Bundesinstituts für Arzneimittel und medizinische Produkte).
Lit.: Möller, C.,
Medizinalpolizei, 2005; Grumbach, T., Kurmainzer Medicinalpolicey, 2006 (von
1650 bis 1803 etwa 240 landesherrliche „Gesetzte“); Hüntelmann, A., Hygiene im
Namen des Staates, 2008; Briesen, D., Das gesunde Leben, 2010; Hierholzer, V.,
Nahrung nach Norm, 2010; Schlich, T.,
The Origins of Organ Transplantation Surgery and Laboratory Sciende, 1880-1930,
2010; Kerscher, W., Der preußische Weg zum Impfzwang, 2011; Oliver, L., The
Body Legal in Barbaqrian Law, 2011 Die Behandlung der Sozial- und
Gesundheitspolitik in den thüringischen Landtagen, hg. v. Thüringer Landtag,
2012;
Geteiltes Eigentum
ist das (seit dem Hochmittelalter in Anlehnung an die im römischen Recht dem
Erbpächter eröffnete [lat.] rei vindicatio [F.] utilis anerkannte,) an
mindestens zwei in unterschiedlicher Stärke berechtigte Beteiligte aufgeteilte
„Eigentum“ (z. B. Obereigentum mit Anrecht auf Substanz, Untereigentum [neben
Recht auf die Substanz vor allem Nutzung]). Es wird von Naturrecht,
Liberalismus, Kant und vor allem von →Thibaut (1801) abgelehnt und zwar
noch nicht vom Allgemeinen Landrecht Preußens (1794) und dem Allgemeinen
Gesetzbuch Österreichs (1811/1812, § 357 ABGB, veraltet spätestens mit der
Grundentlastung 1848), aber doch bereits vom Bürgerlichen Gesetzbuch Sachsens
(1863) und vom deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) ausgeschlossen. Es
soll in veränderter Form im Vorbehaltseigentum, im Sicherungseigentum oder in
der Wohnraummiete fortleben (str.).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Pichler, J., Das geteilte Eigentum
im ABGB, ZNR 1986, 23; Krauss, F., Das geteilte Eigentum im 19. und 20.
Jahrhundert, 1999; Lehmann, J., Sachherrschaft, 2004
Geverde (F.) Gefahr, Gefährdung
Lit.: Gudian, G., Zur rechtlichen
Bedeutung der Formel „ane geverde“ im Spätmittelalter, ZRG GA 82 (1965), 333
Gewähr (Sachsen 1390)
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Gewährleistung (Hannover 1706) ist das Einstehen
für die Mangelfreiheit (Freiheit von Sachmangel und Rechtsmangel) einer Sache
oder eines Werkes. Sie findet sich bereits im römischen Kaufrecht (→Wandelung,
→Minderung, Entwerung). Entsprechend muss auch der Vermieter einstehen. Mit
der Aufnahme des römischen Rechtes wird sie (den einheimischen Grundsatz „Augen
auf, Kauf ist Kauf“ zurückdrängend) übernommen.
Lit.: Kaser § 41; Hübner; Köbler, DRG 46, 214; Lautner, J.,
Grundsätze des Gewährleistungsrechts, 1937; Jakab, E:, Praedicere und cavere
beim Marktkauf, 1997; Ernst, W., Neues zur Sachmängelgewährleistung, ZRG GA 116
(1999), 208; Wenzel, A., Das Gewährleistungsrecht in der Spruchpraxis des
preußischen Kammergerichts von 1794-1810, 2006; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Wiegard, G., Vom tempus
utile zum bref délai, 2014
Gewährschaft ist
das Einstehen des Veräußerers einer Sache für den Fall, dass ein Dritter von
dem Erwerber die Sache herausverlangt. Im römischen Recht erhält der Erwerber
aus der (lat. [F.]) mancipatio das Recht, in einem solchen Fall den Veräußerer
als seinen (lat. [M.]) auctor zu prozessualer Beistandschaft zu veranlassen, um
die Sache gegen den (angreifenden) Dritten zu verteidigen. Verweigert der
Veräußerer die Unterstützung oder erteilt er sie erfolglos, so dass der Dritte
die Sache erhält, so haftet der Veräußerer dem Erwerber auf den doppelten
Kaufpreis. Außerhalb der (lat. [F.]) mancipatio wird dieses Ergebnis durch eine
vertragliche Abrede auf Leistung des doppelten Kaufpreises erreicht. Im
deutschen Recht entwickelt sich im Frühmittelalter (str.) eine
Gewährschaftsbürgschaft und daraus eine allgemeine G.
Lit.: Kaser § 41 V; Hübner 577f.; Rabel, E., Die Haftung
des Verkäufers wegen Mangels im Recht, 1902; Gillis, F., Gewährschaftszug und
laudatio auctoris, 1911; Ullrich, G., Eine Urkunde über Gewährschaft nach
fränkischem Recht, ZRG GA 59 (1939), 269; Eckhardt, K., Gewährschaft und
Übereignung, Beiträge zur Geschichte der Werralandschaft 4, 1937; Partsch, G.,
Zur Entwicklung der Rechtsmangelhaftung des Veräußerers, ZRG GA (1960), 87
Gewalt (Wort 790 belegt) ist der Einsatz
von Kraft zur Erreichung eines Zieles sowie die Möglichkeit hierzu. Der moderne
Staat strebt das Gewaltmonopol an. Deswegen versucht er die G. des Einzelnen
möglichst auszuschließen. →väterliche Gewalt
Lit.: Köbler, WAS; Geschichtliche
Grundbegriffe, Bd. 3 1982, 817; Böckenförde, E., Gesetz und gesetzgebende
Gewalt, 2. A. 1981; Buisson, L., Potestas und caritas, 2. A. 1982; Wenninger,
L., Geschichte der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis, 1982; Richardi, H.,
Schule der Gewalt, 1983; Willoweit, D., Die Herausbildung des staatlichen
Gewaltmonopols, (in) Konsens und Konflikt, hg. v. Randelzhofer, A. u. a., 1986,
313; Roth, A., Kollektive Gewalt und Strafrecht, 1989; Die Gewalt in der Geschichte,
hg. v. Sieferle, R., 1998; Lacour, E., Schlägereien und Unglücksfälle, 2000;
Violence in Medieval Society, hg. v. Kaeuper, R., 2000; Ruff, J., Violence in
early modern Europe 1500-1800, 2001; Töngi, C., Geschlechterbeziehungen und
Gewalt, 2002; Gewalt, hg. v. Bulst, N. u. a., 2004; Töngi, C., Um Leib und
Leben, 2004; Hahn, J., Gewalt und religiöser Konflikt, 2004; A Great Effusion
of Blood?, hg. v. Meyerson, M. u. a., 2004; Gewalt im Mittelalter, hg. v.
Braun, M. u. a., 2005; Gewalt in der frühen Neuzeit, hg. v. Ulbrich, C. u. a.,
2005; Angenendt, A., Toleranz und Gewalt, 2006; Boari, M., La coercizione
privata nella Magna Glossa, 2007; Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text
des Altertums, hg. v. Zimmermann, M., 2009; Metz, K., Geschichte der Gewalt,
2010¸ Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; North,
D. u. a., Gewalt und Gesellschaftsordnungen, 2011; Schimrosczyk, C.,
Zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten gegen Gewalt in der Ehe, 2012; Kollektive Gewalt
in der Stadt - Europa 1890-1939, hg. v. Lenger, F., 2013
Gewaltenteilung (Gewaltentrennung) ist die Aufteilung der staatlichen Hoheitsgewalt in mehrere
grundsätzlich autonome und als gleichwertig geltende, sich gegenseitig
kontrollierende und beschränkende, von unterschiedlichen Menschen innegehabte
Gewalten. Die Vorstellung von der Notwendigkeit der G. entsteht unabhängig von
älteren Gedankengängen (z. B. Herodot, Plato [427-347 v. Chr.], Aristoteles [384-322
v. Chr., dreigliederige Funktionszuschreibung von gesetzgebender, ausführender
und richterlicher Staatskompetenz], Polybios [2. Jh. v. Chr.], Cicero [106-43
v. Chr.]) und Wirklichkeitsansätzen (römische Republik) in der frühen Neuzeit
(Florenz 16. Jh., Henning Arnisaeus, Johannes Limnaeus) als Folge der gegen den
→Absolutismus eines Monarchen gerichteten Aufklärung. Vielleicht schon (vor)
1690 entwickelt John →Locke (1632-1704) in England zur Sicherung der
Freiheit des Einzelnen die Trennung von ausführender Gewalt (executive power)
und gesetzgebender Gewalt (legislative power) (1690 Two Treatises of
Government, Zwei Abhandlungen über die Regierung). 1730/1731 greift dort Henry
St. John Viscount Bolingbroke (1678-1751) in seinen Remarks on the History of
England die dreigliederige G. des Aristoteles theoretisch wieder auf. 1748 setzt
sich in Frankreich Charles de Secondat Baron de la Brède et de →Montesquieu
(1689-1755) unter Ausschluss rechtsfreier Handlungsspielräume etwa des Königs sehr
wirkungsvoll für die Dreiteilung Exekutive, Legislative und Judikative ein (De
l’ésprit des lois, Vom Geist der Gesetze). Als staatlicher Grundsatz werden
diese Gedanken erstmals 1776 in Nordamerika in den Bill of Rights von 1776 und
1780 und in der Philadelphia Convention umgesetzt. In Frankreich greifen dies
1789 die Déclaration des droits de l’homme et du citoyen (Erklärung der
Menschenrechte und Bürgerrechte, Art. 16), am 16. 8. 1790 ein besonderes Gesetz
und 1791 (III, Art. 3-5), 1795 und 1848 die Verfassungen auf. Im deutschen
Bereich behält die Vorstellung von der Einheit des Staates und der Macht der
Fürsten Gewicht, steht die Staatswissenschaft der Gewaltenteilungslehre
mehrheitlich kritisch gegenüber und übernehmen die meisten, entweder dem
Vorbild Frankreichs von 1814 oder dem Vorbild Belgiens von 1831 folgenden Verfassungen
der deutschen Einzelstaaten in ihren Text (nur) die Bestimmung, dass alle
Gesetze der Zustimmung des Landtags bedürftig seien, welche die Freiheit oder
das Eigentum der Staatsangehörigen betreffen. Später wird das
Gewaltenteilungsschema leitendes Ordnungsprinzip. In der Verfassung des
Deutschen Reiches von 1871 ist die G. zwischen Exekutive und Legislativew im Nebeneinander
von Reichstag und Reichsrat einerseits und monarchischem Präsidium andererseits
erkennbar. Durch die Verfassung von Weinmar (1919) wird das dreigliederige
Gewaltenteilungsprinzip im Deutschen Reich eingeführt. In der Demokratie, in
der alle Gewalt vom Volk ausgeht, wird die G. verschiedentlich in Frage
gestellt (z. B. Volksdemokratie), hat aber auch hier als Schutz vor Missbrauch
tatsächliche Vorzüge. Vom 24. 3. 1933/30. 1. 1934 bis 1945 wird die Gewaltenteilung
im Deutschen Reich zumindest tatsächlich aufgehoben. Art. 20 II GG kehrt zur G.
zurück. In England werden die Gewalten 2003 entflochten.
Lit.:
Köbler, DRG 190, 197, 200; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 923;
Klimowski, E., Die englische Gewaltenteilungslehre bis zu Montesquieu, 1927;
Kägi, O., Zur Entstehung, Wandlung und Problematik des
Gewaltenteilungsprinzips, 1937; Imboden, M., Montesquieu und die Lehre von der
Gewaltentrennung, 1959; Korioth, S., Monarchisches Prinzip und Gewaltenteilung
unvereinbar? (in) Der Staat 37(1998), 27ff.; Gewaltentrennung im Rechtsstaat,
hg. v. Merten, D., 1989; Executive and Legislative Powers in the Constitutions
of 1848-1849, hg. v. Dippel, H., 1999; Pahlow, L., Justiz und Verwaltung, 2000;
Pahlow, L., Zur Theorie der Gewaltenteilung im 18. Jahrhundert (in) Aufklärung
15 (2003), 275; Máthé, G., Die Problematik der Gewaltentrennung, 2004; Racky,
M., Die Diskussion über Gewaltenteilung und Gewaltentrennung im Vormärz, 2005; Höchli,
D., Der Florentiner Republikanismus, 2005; Maier, C., Gewaltenteilung bei
Aristoteles, 2006; Riklin, A., Machtteilung, 2006
Gewaltverhältnis ist das von Gewalt bestimmte Verhältnis (z. B. zwischen
Allgemeinheit und Einzelnem).
Lit.:
Wenninger, L., Geschichte der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis, 1982
Gewann ist
die vielleicht in der Grundherrschaft im Hochmittelalter und im
Spätmittelalter ausgebildete Unterteilung der Ackerflur des mittelalterlichen
Dorfes in Gruppen gleichförmiger und einheitlich zu bewirtschaftender Streifen,
wobei jeder Hofstätte eines Dorfes in jedem Gewann ein Flurstück zugeteilt wird.
Die Gewanne werden wegen ihrer verhältnismäßigen Unwirtschaftlichkeit in der
maschinenbestimmten Landwirtschaftdurch die Flurbereinigung beseitigt.
Lit.: Haff, K., Gewann – Aas, ZRG GA 42 (1921), 465; Bader,
K., Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1 1957, 42;
Rösener, W., Bauern im Mittelalter, 1985; Rösener, W., Agrarwirtschaft, 1992
Gewedde s. Gewette
Lit.: Ebel, F., Der Traktat „Von
gewedde, ZRG GA 99 (1982), 276
Gewerbe ist
die erlaubte, auf Dauer und Gewinnerzielung (str.) gerichtete selbständige
Tätigkeit. In Rom finden sich neben der Plantagenwirtschaft von
Großgrundherren auch mit Hilfe von Sklaven betriebene Manufakturen für
Textilien, Metallwaren und Keramik, die noch keinen Maschineneinsatz kennen. In
den Wirren des 3. Jh.s n. Chr. verfällt die gewerbliche Produktion. Sie
beginnt neu in der frühmittelalterlichen Grundherrschaft (z. B. Schmied, Töpfer,
Weber), gelangt aber erst in der hochmittelalterlichen Stadt zu größerer
Bedeutung. Dort wird das G. in der →Zunft organisiert und reglementiert.
Im 19. Jh. löst der Liberalismus die Zwangsordnung auf, nimmt den Zünften den
Zunftzwang und schafft die →Gewerbefreiheit, aber auch die staatliche
Gewerbeaufsicht.
Lit.: Köbler, DRG 67, 78, 97, 134, 175, 225, 250;
Eberstadt, R., Das französische Gewerberecht, 1899; Schulte, E., Das
Gewerberecht der deutschen Weistümer, 1909; Peterka, O., Das Gewerberecht
Böhmens im 14. Jahrhundert, 1909; Schulte, E., Das Gewerberecht der deutschen
Weistümer, 1909; Fecht, O., Die Gewerbe der Stadt Zürich, 1909; Koehne, C.,
Gewerberechtliches in deutschen Rechtssprichwörtern, 1915; Heimpel, H., Das
Gewerbe der Stadt Regensburg, 1926; Mannert, L., Die öffentliche Förderung der
gewerblichen Produktionsmethoden, 1930; Huber, H., Die Arbeitsverfassung im
Süderländer und Siegener Eisengewerbe, Diss. jur. Göttingen 1956; Kreutzberger,
E., Das Gewerberecht der Reichsstadt Goslar, 1959; Henning, F., Wirtschafts-
und Sozialgeschichte, Bd. 1ff. 1973f.; Vom Gewerbe zum Unternehmen, hg. v.
Willoweit, D. u. a., 1982; Weyrauch, T., Städtische Amts- und Gewerbeordnungen,
1987; Reininghaus, W., Gewerbe in der frühen Neuzeit, 1990; Ziekow, J.,
Freiheit und Bindung des Gewerbes, 1992; Karl, M., Fabrikinspektoren in
Preußen, 1993; Kraushaar, M., Die Gewerbegerichte, (in) Arbeit und Recht, 1995,
313; Rohde, J., Das Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen im Gewerbe- und
Immissionsschutzrecht von 1810 bis in die Gegenwart, 2000; Vorindustrielles
Gewerbe, hg. v. Häberlein, M. u. a., 2004; Sack, R., Das Recht am
Gewerbebetrieb, 2007
Gewerbefreiheit ist die Freiheit der gewerblichen Betätigung (Frankreich
1791, Preußen 1807/1810/1811/1845, England 1814, Dänemark 1849/1857, Österreich
1859). Sie ist im Einzelnen im Deutschen Reich durch die →Gewerbeordnung
(ursprünglich des Norddeutschen Bundes) von 1869 näher ausgestaltet. Innerhalb
der Europäischen Gemeinschaft/Europäischen Union sind alle nicht aus zwingenden
Gründen des Allgemeininiteresses notwendigen Beschränkungen grenzüberschreitender
gewerblicher Betätigung rechtswidrig bzw. verboten.
Lit.: Köbler, DRG 175, 176; Rohrscheidt, K. v., Vom
Zunftzwange zur Gewerbefreiheit, 1898; Handbuch der Quellen und Literatur der
neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff.
1973ff., 3,3,3527; Vogel, B., Allgemeine Gewerbefreiheit, 1983; Baryli, A.,
Konzessionssystem contra Gewerbefreiheit, 1984; Quante, C., Die geistesgeschichtlichen
Grundlagen und die Entwicklung der Gewerbefreiheit in Deutschland, 1984; Schnattinger,
A., Die Rückwirkung des Europarechts auf das deutsche Gewerberecht, 2005
Gewerbegericht ist das für Gewerberechtsstreitigkeiten
(Arbeitsrechtsstreitigkeiten) zuständige Gericht. Nach mittelalterlichen
Vorläufern innerhalb der Zünfte entstehen zu Beginn des 19. Jh.s auf deutschem
Boden besondere gewerbliche Fachgerichte, die aber von geringer Bedeutung
bleiben. In Frankreich gründet Napoleon für Lyon am 18. 3. 1806 einen Conseil
de Prud’hommes als Ausnahme von der ordentlichen Gerichtsbarkeit, was von 1809
an verallgemeinert wird und über das Rheinland und Elsass-Lothringen auch
Eingang im deutschsprachigen Raum findet. Die Gewerbeordnung Preußens von
1845 sieht für Streitigkeiten die Anrufung des Gemeindevorstehers vor, was die
Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes 1869 übernimmt. Am 29. 7. 1890 wird
ein Reichsgesetz betreffend Gewerbegerichte geschaffen. Die danach
eingerichteten Gewerbegerichte (Bayern etwa 80) erweisen sich nur als bedingt
erfolgreich und werden 1927 durch die Arbeitsgerichte (23. 12. 1926/1. 7. 1927)
abgelöst.
Lit.: Zimmermann, U., Die
Entwicklung der Gewerbegerichtsbarkeit in Deutschland, 2005
Gewerbeordnung ist die rechtliche Regelung des Rechtes der →Gewerbe
(z. B. Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe, 1811 [Preußen], Braunschweig
1821, Bayern 1825, 1868, Württemberg 1828, Hohenzollern-Hechingen 1842, Allgemeine
preußische Gewerbeordnung vom 17. 1. 1845, Hannover 1847, Entwürfe im Deutschen
Bund 1848, 1849, Österreich 1859, Nassau 1860, Sachsen 1861, Oldenburg 1861,
Baden 1862, Sachsen-Meiningen 1862, Waldeck 1862, Gotha 1863, Reuß jüngere
Linie 1863, Coburg 1863, Hamburg 1864, Schwarzburg-Rudolstadt 1864,
Schwarzburg-Sondershausen 1865, Lübeck 1866, Reuß ältere Linie 1868),
insbesondere im Norddeutschen Bund das am 21. 6. 1869 geschaffene, später etwa
durch die Handwerksordnung oder das Gaststättengesetz sachlich eingeschränkte Gesetz.
Lit.: Miritz,
T., Geschichte des Gewerberechts von 1869 bis zur Gegenwart, 1983; Ziekow, J., Freiheit
und Bindung des Gewerbes, 1992; Rohde, J., Das
Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen im Gewerbe- und Immissionsschutzrecht
von 1810 bis in die Gegenwart, 2000
Gewerbesteuer ist die vom Gewerbeertrag zu leistende Steuer.
Lit.: Köbler, DRG 55; Heni, G., Historische Analyse und
Entwicklungen der Gewerbesteuer, 1991; Schnädter, H., Die Geschichte des
Gewerbesteuerrechts, Diss. jur. Köln 1993
Gewerblicher Rechtsschutz (um 1900) ist der gewerbliche Rechte betreffende Schutz durch die
Rechtsordnung. Er umfasst das Recht der Patente (Venedig 1474, England 1623/1624,
Frankreich 1791), der Gebrauchsmuster (Deutschland 1871), der Geschmacksmuster
(Frankreich 1711, Deutschland 1876), der Zeichen (Deutschland 30. 11. 1874,
12. 5. 1894, 5. 5. 1936) und des unlauteren Wettbewerbs (Deutschland 12. 5.
1894, 7. 6. 1909).
Lit.: Tolksdorf, B., Der gewerbliche Rechtsschutz in
Deutschland, 1908; Zimmermann, P., Frühe Beispiele aus der Welt der
gewerblichen Eigentumsrechte, GRUR 69 (1969), 173; Handbuch der Quellen und Literatur
der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff.
1973ff., 3,3,4205; Simon, J., Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine
gewerblichen Erscheinungsformen, 1981; Gewerblicher Rechtsschutz und
Urheberrecht, hg. v. Beier, F. u. a., Bd. 1f. 1991; Wadle, E., Geistiges Eigentum,
Bd. 1f. 1996f.; Ausschüsse für den gewerblichen Rechtsschutz, hg. v. Schubert,
W., 1999; Schmoeckel, M., Rechtsgeschichte der Wirtschaft, 2008
Gewere ist
im mittelalterlichen deutschen Recht (der sachenrechtliche Vorgang [Einkleidung
eines Menschen mit einer Sache oder einem Amt, lat. investitura] und) das (aus
diesem Vorgang erwachsende) Verhältnis eines Menschen zu einer Sache oder
einem Amt, kraft dessen der Träger vor allem rechtswidrige Zugriffe auf den
Gegenstand (defensiv) abwehren und den Gegenstand nach Wegnahme (offensiv) herausverlangen
sowie außerdem (translativ) übertragen darf. Die G. gilt der herrschenden
Meinung als urtümliche Grundfigur des germanischen Sachenrechts. Wahrscheinlich
wird sie aber im spätantiken Kirchenrecht zur Sicherung gegenüber sich
wandelnden Sachenrechtsverhältnissen entwickelt. Sie wird formelhaft als
Kleid (d. h. äußere Erscheinungsform) des (als rein gedanklichen Gebildes
unsichtbaren) Sachenrechts (z. B. Eigentum an einem Grundstück) beschrieben.
Sie zeigt sich augenscheinlich beispielsweise im Innehaben und Benutzen des Gegenstands.
Der Aufteilung des Sachenrechts auf mehrere Berechtigte (z. B. Obereigentümer,
Untereigentümer) entspricht die Aufteilung in eine ideelle (unkörperliche) und
eine leibliche (körperliche) G. Der G. werden eine Offensivfunktion, eine
Defensivfunktion und eine Translativfunktion zugeschrieben. Durch Ausübung
einer ursprünglich fehlerhaft begründeten, auf Schein beruhenden G. während
einer bestimmten Zeit ohne gerichtliche Inanspruchnahme seitens des
Berechtigten kann rechte G. entstehen. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes
seit dem späten Mittelalter wird das Wort G. durch das zu (lat. [F.]) possessio
gebildete Wort Besitz abgelöst, innerhalb dessen zwischen mittelbarem und
unmittelbarem Besitz unterschieden wird.
Lit.: Hübner 198, 430; Köbler, DRG 74, 90, 123, 162;
Köbler, WAS; Albrecht, W., Die Gewere, 1828; Heusler, A., Die Gewere, 1872;
Huber, E., Die Bedeutung der Gewere im deutschen Sachenrecht, 1894; Meyer, H.,
Entwerung und Eigentum im deutschen Fahrnisrecht, 1902; Kiesel, K., Die
Bedeutung der Gewere des Mannes am Frauengute für das Ehegüterrecht des
Sachsenspiegels, 1906; Bückling, G., Die Wechselwirkung gewererechtlicher und
fronungsrechtlicher Elemente im Liegenschaftsrecht des deutschen Mittelalters,
1911; Iterson, W. van, Der Ausdruck „mit allerschlachter Nut“ und sein
Zusammenhang mit der Gewere, ZRG GA 84 (1967), 310; Levy, E., The Law of
Property, 1975; Köbler, G., Die Herkunft der Gewere, TRG 43 (1975), 195; Laske,
W., Die Bedeutung des „Gewereanschreibens“ gemäß dem Tractatus de iuribus
incorporalibus von 1679, ZRG GA 93 (1976), 344; Ishikawa, T., Die Gewere im
Sachsenspiegel, FS H. Thieme, 1986, 59
Gewerkschaft ist
der Zusammenschluss von Menschen zu einem gewerblichen Zweck, insbesondere im
Arbeitsbereich der freiwillige Zusammenschluss von Arbeitnehmern zur Sicherung
und Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Im Bergrecht
ist die G. eine wohl im 13. Jh. (Iglau 1249) aus älteren Arbeitsgenossenschaften
gebildete Gesellschaftsform ohne festes Grundkapital. Die vor dem Allgemeinen
Berggesetz für die preußischen Staaten vom 24. 6. 1865 gebildete ältere
bergrechtliche G. ist →Gesamthand (mit herkömmlich 128 Wertanteilen
[Kuxen] am Gesellschaftsvermögen), die G. neueren Rechtes (Preußen 1865) ist
juristische Person mit zwischen 100 und 10000 Kuxen. Beide werden in
Deutschland im Gefolge des Bundesberggesetzes vom 13. 8. 1980 aufgehoben und in
andere Gesellschaftsformen umgewandelt. Im Arbeitsrecht bildet sich aus
älteren Gesellenvereinen die G. (engl. trade union) zuerst in England, wo sie
durch Gesetz (Combination Laws von 1799 bzw. 1800) bis 1824 verboten wird. In Deutschland
entwickelt sich die G. nach unbedeutenden Anfängen in der Mitte des 19. Jh.s
als arbeitsrechtliche G. nach der Aufhebung gesetzlicher Vereinigungsverbote
(Sachsen 1861, Preußen [Verbot 1845] 1867, Norddeutscher Bund 21. 6. 1869 [§
152 I Gewerbeordnung]). Sie ist regelmäßig nichtrechtsfähiger →Verein.
1868 entsteht ein allgemeiner deutscher Arbeiterschaftsverband (von 12 sog.
freien Gewerkschaften), 1869 ein Verband der deutschen Gewerkenvereine. 1890
gründen die freien Gewerkschaften die Generalkommission der Gewerkschaften
Deutschlands (1919 Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund). 1894 entwickeln
sich christliche Gewerkschaften. Am 23. 12. 1918 wird vom Rat der
Volksbeauftragten eine Tarifvertragsordnung erlassen, welche die Betätigungsfreiheit
der Gewerkschaften sichert. 1919 gewährt Art. 159 WRV die Vereinigungsfreiheit
zur Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Am 30. 10. 1923
wird eine Schlichtungsordnung erlassen. Nach Auflösung der freien
Gewerkschaften und Einbeziehung der übrigen Gewerkschaften in die Deutsche
Arbeitsfront von 1933 bis 1945 wird 1949 in der Bundesrepublik der Deutsche
Gewerkschaftsbund mit (16) Einzelgewerkschaften gegründet, dem die Deutsche
Angestelltengewerkschaft und der Deutsche Beamtenbund zur Seite stehen. Seit
dem ausgehenden 20. Jh. verlieren die (zumindest mittelbar Herstellungskosten
steigernden und damit Arbeitslosigkeit verursachenden) Gewerkschaften Mitglieder
und Einfluss.
Lit.: Hübner 312; Köbler, DRG 167, 177, 218, 24; Gierke, O.
v., Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1 1868, Neudruck 1954, 971; Deutsch,
J., Geschichte der österreichischen Gewerkschaftsbewegung, Bd. 1f. 1908ff.;
Weber, A., Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit, 6. A. 1954; Jühe,
R./Niedenhoff, H./Pege, W., Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland,
2. A. 1982; Hägermann, D./Ludwig, K., Europäisches Montanwesen, 1986; Schulte
Beerbrühl, M., Vom Gesellenverein zur Gewerkschaft, 1991; Schneider, M., Kleine
Geschichte der Gewerkschaften, 2. A. 2000; Stadtland, H., Herrschaft nach Plan
und Macht der Gewohnheit, 2001; Zwickel, K., Geben und Nehmen, 2005;
Hildebrandt, J., Gewerkschaften im geteilten Deutschland, 2010; Der Freie
Deutsche Gewerkschaftsbund, hg. v. Mielke, S. u. a., 2011
Gewette (Gewedde) ist (bei ungeklärter Herkunft) in Ostfalen (Sachsenspiegel)
im Hochmittelalter die vom Täter an den Richter zu erbringende Leistung
(Strafgeld für schuldhafte Handlungen gegen Recht und Gericht?), die neben der
Leistung an den verletzten Kläger steht. →fredus, Bann
Lit.: Sperling, H., Zur Geschichte von Buße und Gewette im
Mittelalter, Diss. jur. Straßburg 1874; Friese, V., Das Strafrecht des
Sachsenspiegels, 1898, 196; Ebel, F., Der Traktat „Von Gewette“, ZRG GA 99
(1982), 276
Gewicht →Maß
Lit.: Mulsow, H., Maß
und Gewicht der Stadt Basel, 1910
Gewissen ist der das Handeln des Menschen an Hand sittlicher Gründe leitende Teil
des Bewusstseins. Wer seinem G. folgt, hat ein gutes oder reines Gewissen, wer
ihm zuwiderhandelt ein schlechtes Gewissen. Gepägt ist das G. von allgemeinen
Einstellungen der umgebenden Gesellschaft und von eigenen Erfahrungen.
Gewissensfreiheit ist die Freiheit der Gewissensbildung wie der Gewissensbetätigung.
Sie wird nach Anfängen im Altertum als Teil der Glaubensfreiheit (in Frankreich)
um 1600 erkannt. Sie wird über die Virginia Bill of Rights (1776) und das
Allgemeine Landrecht Preußens (II 11 § 2) fester Bestandteil der →Grundrechte
(§ 144 S. 1 Verfassung des Deutschen Reiches von 1848, Art. 135 Verfassung von
1919, Art. 4 I GG).
Lit.: Borowski, M., Die Glaubens- und Gewissensfreiheit
des Grundgesetzes, 2006; Kaupisch, J., Das Grundrecht der Religionsfreiheit,
2008
Gewohnheit
Lit.: Buchda, G., „Gewohnheiten“
in der Pößnecker Schöffenspruchsammlung, ZRG GA 78 (1961), 64; Gewohnheit,
Gebot, Gesetz, hg. v. Jansen, N., 2011
Gewohnheitsrecht ist das durch langdauernde Übung in der Überzeugung, damit
recht zu handeln, von dem Beteiligten geschaffene Recht. Vermutlich erwachsen
die ersten Rechtssätze auf Grund der einfachen gesellschaftlichen Verhältnisse allgemein
aus Gewohnheiten und entsteht erst zusätzlich hierzu die bewusste Setzung von
Recht durch →Gesetz. In Rom wird in der Spätantike neben der kaiserlichen
Konstitution auch die von Kaiser Konstantin (319) noch bekämpfte Gewohnheit
(lat. [M.] mos, [F.] consuetudo) als Quelle neuen Rechtes anerkannt. Im
Mittelalter wird das partikuläre G. zusammen mit einzelnen Gesetzen
(Konstitutionen) in →den den Volksrechten und Rechtsbüchern (→Landrechten)
aufgezeichnet. In der Neuzeit ist das G. als ausschließliches Erzeugnis des
Volkes dem Gesetz zunächst noch gleichwertig, wird aber ab etwa 1650 dem
Gesetzgeber unterstellt, so dass zu seiner Entstehung die (vermutetete)
Zustimmung des Gesetzgebers erforderlich ist. Im 18. Jh. verlegt man zwar den
Entstehungsgrund des Gewohnheitsrechts wieder allein in das Volk zurück, indem
man den gesetzlichen Vorschriften ein allgemeines Einverständnis des
Gesetzgebers entnimmt, doch wendet sich der absolute Staat mit seiner
Gesetzgebung (Kodifikation) gegen das G. (vgl. Einl. § 60 zum ALR, § 10 ABGB).
Auch der liberale Rechtsstaat des 19. Jh.s bevorzugt trotz der abweichenden
Einschätzung durch die (eigentlich auf das wissenschaftliche Recht zielende) →historische
Rechtsschule das Gesetz. Dennoch gibt es noch in der Gegenwart
gewohnheitsrechtliche Rechtsbildung (z. B. auch Völkergewohnheitsrecht).
Lit.: Köbler, DRG 4, 52, 101, 142, 185, 227, 254; Puchta,
G., Das Gewohnheitsrecht, Bd. 1f. 1828ff.; Brie, S., Die Lehre vom
Gewohnheitsrecht, 1899; Kaser, M., Mores maiorum und Gewohnheitsrecht, ZRG RA
59 (1939), 52; Smidt, J. de, Rechtsgewoonten, 1954; Schmiedel, B., Consuetudo
im klassischen und nachklassischen römischen Recht, 1966; Köbler, G., Zur
Frührezeption der consuetudo in Deutschland, Hist. Jb. 89 (1969), 337; Fürst,
C., Zur Rechtslehre Gratians, ZRG KA 57 (1971), 276; Bühler, T.,
Gewohnheitsrecht, Enquête, Kodifikation, 1977; Diestelkamp, B., Das Verhältnis
vom Gesetz und Gewohnheitsrecht im 16. Jahrhundert, FS H. Thieme, 1977, 1;
Gilissen, J., La coutume, 1982; Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im
Mittelalter, hg. v. Dilcher, G. u. a., 1992; Overdijk, D., De gewoonte, 1999;
Geyer, P., Das Verhältnis von Gesetzes- und Gewohnheitsrecht in den privatrechtlichen
Kodifikationen, Diss. jur. Göttingen 1998; Garré, R., Consuetudo, 2005; Maisel,
S., Das Gewohnheitsrecht der Beduinen, 2006; Meder. S., Ius non scriptum, 2008,
2. A. 2009
Gewohnheitsverbrechergesetz
Lit.: Müller, C., Das Gewohnheitsverbrechergesetz,
1997
Gibraltar ist die an der Südspitze
Spaniens gelegene Kronkolonie Großbritanniens (6,5 Quadratkilometer, 27100
Einwohner). G. hat seinen Namen (Felsen des Tarik) von dem 711 n. Chr. hier
eine Befestigung anlegenden arabischen Feldherrn Tarik. 1462 wird G. von
Spanien zurückerobert und 1704 von England besetzt. Dementsprechend ist sein
Recht nacheinander islamisch, spanisch und englisch beeinflusst.
Gierke,
Otto von (Stettin 11. 1. 1841-Berlin 10. 10. 1921), Sohn des Stadtsyndikus von
Stettin, wird nach dem Rechtsstudium in Heidelberg und Berlin und nach der
Promotion (1860, Homeyer) und Habilitation in Berlin (1867, Beseler) Professor
in Breslau (1871), Heidelberg (1884) und Berlin (1887). In seiner mehrbändigen,
unvollendeten Untersuchung Das deutsche Genossenschaftsrecht (Bd. 1ff.
1868ff.) unternimmt er den Versuch der Ermittlung der großen Entwicklungslinien
der Geschichte der menschlichen Verbände, in seinem unvollständigen deutschen
Privatrecht (Bd. 1ff. 1895ff.) den Versuch der umfassenden Darstellung der
deutschen Privatrechtsentwicklung aus deutschrechtlicher Sicht.
Rechtspolitisch beeinflusst er die Gestaltung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs
(1900) und des deutschen Rechtes in sozialrechtlicher Richtung (Der Entwurf
eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, 1888/1889 (Neudruck
2013), →Gesamthand, Kauf bricht nicht Miete). 1911 wird er geadelt.
Lit.: Köbler, DRG 207; Festschrift Otto Gierke, 1911;
Stutz, U., Zur Erinnerung an Otto von Gierke, ZRG GA 43 (1922), VII (mit
Schriftenverzeichnis); Mogi, S., Otto von Gierke, 1932; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte
der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967, 543; Jobs, F., Otto von Gierke und das moderne
Arbeitsrecht, Diss. jur. Frankfurt am Main, 1968; Janssen, A., Otto von Gierkes
Methode der geschichtlichen Rechtswissenschaft, 1974; Mundt, H., Sozialpolitische
Wertungen als methodischer Ansatz in Gierkes privatrechtlichen Schriften, 1976;
Otto Gierke, Associations and Law, hg. v. Heiman, G., 1977; Spindler, H., Von
der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft, 1982; Pfeiffer-Munz, S., Soziales
Recht ist deutsches Recht, 1979; Haack, T., Otto von Gierkes Kritik, 1997;
Pfennig, C., Die Kritik Otto von Gierkes, 1997; Repgen, T., Die soziale Aufgabe
des Privatrechts, 2001; Peters, M., Die Genossenschaftstheorie Otto von
Gierkes, 2002; Janssen, A., Die bleibende Bedeutung des Genossenschaftsrechts
Otto von Gierkes, ZRG GA 122 (2005), 353
Gießen an
der Lahn, 1197 als Wasserburg der Grafen von Gleiberg erstmals genannt, gelangt
1265 an Hessen und ist seit 1607 Sitz einer (lutherischen) Universität mit
einer juristischen Fakultät (1945-1965 geschlossen).
Lit.: Hall, A., Die juristische Fakultät der Universität
Gießen im 17. Jahrhundert, Ludwigs-Universität, 1957, 1-16; Köbler, G.,
Gießener juristische Vorlesungen 1607-1982, 1982, 2. A. 2007 im Internet; Köbler,
G., Zur Herkunft der Gießener Rechtslehrer des 19. Jahrhunderts, FS W.
Mallmann, 1978, 117; Baumgarten, M., Vom Gelehrten zum Wissenschaftler, 1988;
Chroust, P., Gießener Universität und Faschismus, 1994; 800 Jahre Gießener
Geschichte, hg. v. Brake, L., 1997; Panorama 400 Jahre Universität Gießen, hg.
v. Carl, H. u. a., 2007; Rechtswissenschaft im Wandel, hg. v. Gropp, W., 2007;
Kirschbaum, J., Die Etablierung der historischen Rechtsschule an der
Ludoviciana (1814-1824), 2011
Gilde ist
die Vereinigung mehrerer Menschen zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Zwecken im mittelalterlichen nördlichen Europa. Eine G. wird erstmals 688-726
in England als Empfänger von →Wergeld erwähnt. 779 begegnet eine G. im
Kapitular von Herstal. In Skandinavien erscheint die G. im 12. Jh. Im
Hochmittelalter bilden die Gewerbetreibenden Gilden. In der Neuzeit verliert
die G. an Bedeutung und beschränkt sich seit der Gewerbefreiheit des 19. Jh.s
auf die Brauchtumspflege (z. B. Schützengilde). →Zunft
Lit.: Köbler, DRG
121; Köbler, WAS; Wilda, W., Das Gildenwesen im Mittelalter, 1831, Neudruck
1964; Pappenheim, M., Die altdänischen Schutzgilden, 1885; Nitzsch, K., Die
niederdeutsche Kaufgilde, ZRG GA 13 (1892), 1; Nitzsch, K., Die
niederdeutschen Verkehrseinrichtungen neben der alten Kaufgilde, ZRG GA 15
(1894), 1; Joachim, H., Gilde und Stadtgemeinde in Freiburg im Breisgau, FG
Anton Hagedorn, 1906, 25; Silberschmidt, W., Die Bedeutung der Gilde, ZRG GA 51
(1931), 132; Weider, M., Das Recht der deutschen
Kaufmannsgilden im Mittelalter, 1931; Engemann, H., Die Gilden der Stadt
Goslar, 1957; Reininghaus, W., Die Entstehung der Gesellengilden im Spätmittelalter,
1981; Black, A., Guilds, 1984; Gilden und Korporationen, hg. v. Friedland, K.,
1984; Gilden und Zünfte, hg. v. Schwineköper, B., 1985; Anz, C., Gilden im
mittelalterlichen Skandinavien, 1998; Cordes, A., Stuben und
Stubengesellschaften, 1993; Maniatis, G., The Guild System in Byzantium and
Medieval Western Europe, Byzantion 76 (2006), 463
Giphanius (van
Giffen), Hubert (Buren 1533/4-Prag 1604) wird nach dem Studium in (Löwen,)
Orléans, Bourges, Paris und Orléans teils gefeierter, teils umstrittener
Professor in Straßburg (1570), Altdorf (1583) und Ingolstadt (1590) und 1599
Reichshofrat.
Lit.: Wolff, H., Geschichte der Ingolstädter
Juristenfakultät, 1973, 134
Gladbach
Lit.: Gödde, K., Landesherrschaft
und Stadtrechte in Gladbach bis 1609, Diss. jur. Bonn 1959
Gladiator (M.) Berufskämpfer in Rom
Lit.:
Meijer, F., Gladiatoren, 2004
Glanvill,
Ranulf de (Suffolk um 1140?-Akkon 1190), aus normannischer (?), begüterter
Familie, wird 1163 als Sheriff von Yorkshire (bis 1170) und 1173 als Sheriff
von Lancashire genannt und 1180 zum ersten Rechtsberater (lat. [M.] capitalis
iustitiarius) König Heinrichs II. von England erhoben. Seit dem 13. Jh. wird
ihm der durch mehr als 30 Handschriften überlieferte (lat.) Tractatus (M.) de
legibus et consuetudinibus regni Angliae (Treatise on the Laws and Customs of
England, Abhandlung von den Gesetzen und Gewohnheiten Englands) zugeschrieben,
eine kurze, klare, in einfachem Latein vielleicht zwischen 1187 und 1189
verfasste Darstellung des englischen, von den Gerichten geformten Rechtes (Buch
1-13 Zivilklagen mit 76 Formularen eines königlichen writ [Buch 7 Erbrecht],
Buch 14 Strafklagen), in dem die römischrechtlichen und kirchenrechtlichen
Einflüsse den Kern des einheimischen
Rechtes nicht berühren. Der Tractatus ist das älteste book of authority des →common law. Es wird von Henry
de →Bracton benutzt.
Lit.: Holdsworth, W., A History of English Law, Bd. 2 4. A.
1936, 188; Peter, H., Actio und writ, 1957, 20, 105; The Treatise on the Laws,
hg. v. Hall, G., 1965; Caenegem, R. van, The Birth of the English Common Law, 1973,
2. A. 1988
Glarus ist
das seit 1352 zur Eidgenossenschaft der Schweiz gehörige, 1803 als Kanton
anerkannte Gebiet an der Linth, das sich am 22. 5. 1887 eine Verfassung gibt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Stucki, F., Beiträge
zur Geschichte des Landes Glarus, 1936; Liebeskind, W., Stab und Stabgelübd im
Glarner Landrecht, 1936; Zweifel, E., Johann Jakob Blumer und das glarnerische
bürgerliche Gesetzbuch (Diss. jur. Zürich 1965), 1966; Handbuch der Quellen und
Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H.,
Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,461; Die Rechtsquellen des Kantons Glarus, hg. v. Stucki,
F., Bd. 1ff. 1983ff.; Schießer, F., Entstehung und Inhalt der Verfassung des
Kantons Glarus, Jb. d. hist. Ver. d. Kantons Glarus 71 (1986)
Glaser,
Julius (bzw. Josua) (Postelberg 19. 3. 1831-Wien 26. 12. 1885), Kaufmannssohn,
wird 1856/60 Strafrechtsprofessor in Wien und erarbeitet als liberaler
Justizminister (1871-1879) die österreichische Strafprozessordnung des Jahres
1873.
Lit.: Unger, J., Julius Glaser, 1885; Sinzheimer, H.,
Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft, (1938) 1953, 127; Juristen
in Österreich, hg. v. Brauneder, W., 1987, 184
Glasgow in
Schottland erhält um 548 eine erste Kirche. 1136 wird es Sitz eines Bischofs.
Sein Marktrecht von 1189 wird 1689 in Stadtrecht umgewandelt. 1451 bzw. 1796
entstehen zwei Universitäten.
Lit.: Durkan, J./Kirk, J., The University of Glasgow, 1977
Glatz
Lit.: Schubert, F., Das älteste
Glatzer Stadtbuch (1316-1412), ZRG GA 45 (1925), 250
Glaube ist die menschliche Grundhaltung des (nicht sicher wissenden) Vertrauens
(z. B. an einen Gott).
Lit.:
Glaubensflüchtlinge, hg. v. Bahlcke, J., 2008
Glaubensfreiheit ist die Freiheit, einen eigenen religiösen Glauben zu
bilden und dafür zu werben. Dabei treten mit der Reformation des Jahres 1517
mehrere Arten von Glauben nebeneinander. 1848 will die Verfassung des Deutschen
Reiches Glaubens- und Gewissensfreiheit, Kultusfreiheit und religiöse
Vereinigungsfreiheit sichern. Die G. ist weiter z. B. durch Art. 14 I des
Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (1867 in
Österreich, Art. 63 II Friedensvertrag von Saint Germain öffentliche Religionsausübung,
1949 Europäische Menschenrechtskonvention Schutz für nichtreligiöse
Weltanschauungen) und Art. 135 der Weimarer Reichsverfassung geschützt. →Religionsfreiheit
Lit.: Borowski,
M., Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes, 2006
Gläubiger (1350,
lat. [M.] →creditor, Gläubigerverzug 1895) ist der aus einem
Schuldverhältnis zu einer Leistung Berechtigte. Er ist bereits dem römischen
Recht allgemein bekannt. Wird er benachteiligt, so gewährt der Prätor während
des Vollstreckungsverfahrens die Wiederherstellung des vorherigen Zustands
(lat. →in integrum restitutio [F.]) und nach dem Vollstreckungsverfahren
ein wiederherstellendes Edikt, woraus sich bei Justinian die (lat.) →actio
(F.) Pauliana (Gläubigeranfechtungsrecht) entwickelt, die in Deutschland seit
dem Spätmittelalter aufgenommen und mit ähnlichen Gestaltungen des
mittelalterlichen Stadtrechts verbunden wird.
Lit.: Kaser § 32 I; Hübner; Oertel, R., Entwicklung und
Bedeutung des Grundsatzes anteiliger Gläubigerbefriedigung im älteren
deutschen Recht, 1901; Schultze, A., Über Gläubigeranfechtung und Verfügungsbeschränkungen
des Schuldners, ZRG GA 41 (1920), 210; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gläubigeranfechtung s. Gläubiger, Anfechtung, Gläubigerbenachteiligung
Lit.: Schultze, A.,
Über Gläubigeranfechtung und Verfügungsbeschränkungen des Schuldners nach
deutschem Stadtrecht des Mittelalters, ZRG GA 41 (1920), 210
Gläubigerbenachteiligung ist die bereits dem römischen Recht bekannte, durch
Verschiebung von Vermögensteilen des von Zwangsvollstreckung und Konkurs
bedrohten Schuldners erfolgende Benachteiligung von Gläubigern ([lat.]
alienatio [F.] in fraudem creditorum) Der römische Prätor schützt den Gläubiger
durch die (lat.) restitutio (F.) in integrum, das (lat.) interdictum (N.)
fraudatorium und die (lat.) denegatio (F.) actionis. Justinian fasst alles zur
(lat.) actio (F.) Pauliana (paulianischer Klaganspruch) zusammen. In der
Neuzeit sollen der G. besondere gesetzliche Regeln (Anfechtungsgesetz)
entgegenwirken.
Lit.: Kaser § 9 III
Gläubigerverzug (lat. mora creditoris) ist die bereits dem römischen Recht bekannte Verzögerung
der Erfüllung durch Fehlen eines zum Eintritt der Erfüllung notwendigen
Verhaltens (z. B. Annahme) des Gläubigers. Durch G. wird der Schuldner nicht
von der Leistungspflicht befreit, doch muss er für den Untergang des Leistungsgegenstands
nur noch für Vorsatz (lat. dolus) einstehen.
Lit.: Kaser § 37 III; Köbler, DRG 44; Heuer, P., Der
Annahmeverzug im älteren deutschen Privatrecht, 1911; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Harke, J., Mora debitoris und mora creditoris im
klassischen römischen Recht, 2005
glebae adscriptus
(lat. [M.]) Schollengebundener (Kolone bzw. Bauer)
Gleichberechtigung ist die Gleichstellung bezüglich der Rechte (für Frauen und
Männer). Der Grundsatz der G. wird in Abkehr von der älteren patriarchalischen
Familienstruktur im Gefolge der Aufklärung seit der Mitte des 19. Jh.s (1848)
verlangt, nachdem zuvor die Ausnahme von der Gleichheit als angesichts der
Schwachheit der Frau und ihrer mangelnden Begabung zu vernünftiger Erkenntnis
notwendige Schutzmaßnahme erklärt worden war. Danach werden 1869 in Preußen
wichtige Einschränkungen der Handlungsfähigkeit der Frau aufgehoben und wird
1877 die Prozessunfähigkeit der Ehefrau beseitigt. Nach 1900 wird die Frau zum
Universitätsstudium zugelassen, 1908 wird ihr ein politisches Wirken eröffnet,
1919 erhält sie durch die Verfassung das aktive und passive Wahlrecht, seit
1922 kann sie die Befähigung zum Richteramt erwerben. Durch Art. 3 II GG wird
die G. von Männern und Frauen unmittelbar geltendes Bundesrecht. Nach einer
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Deutschlands tritt zum 31. 3. 1953
alles dem Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes entgegenstehende
Recht außer Kraft. Das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. 6. 1957 bringt eine
Neuregelung. Am 29. 7. 1959 entscheidet das deutsche Bundesverfassungsgericht
gegen den Vorrang des Mannes bei der gesetzlichen Vertretung der Kinder
(Gleichberechtigungsgesetz). Mit Gesetz vom 14. 6. 1976 wird die G. im
Eherecht verwirklicht. Das Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16. 12. 1997
ermöglicht die gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter
Eltern durch beiderseitige Erklärung.
Lit.: Hübner 71, 656; Köbler, DRG 238;
Hippel, T. v., Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber, 1792, Neudruck
1981; Wollstonecraft, M., Vindication of the rights of Women, 1793; Boehmer,
G., Die Teilreform des Familienrechts durch das Gleichberechtigungsgesetz,
1962; Ramm, T., Gleichberechtigung und Hausfrauenehe, JZ 23 (1968), 41, 90;
Dann, O., Gleichheit und Gleichberechtigung, 1980; Müller-List, G.,
Gleichberechtigung als Verfassungsauftrag, 1996; Leicht-Scholten, C., Die
Gleichberechtigung im Grundgesetz, 2000; Wendrich, J., Die Entwicklung der
familienrechtlichen Entscheidungsbefugnisse der Ehefrau, 2002; Franzius, C.,
Bonner Grundgesetz und Familienrecht, 2005; Riedel, T., Gleiches Recht für Mann
und Frau, 2008; Der Kampf ums gleiche Recht, hg. v. schweizerischen Verband für
Frauenrechte, 2009Gleichheit ist die Übereinstimmung bezüglich eines
Umstandes. Sie entwickelt sich seit der Aufklärung (nach 1770) zu einem
Grundrecht, das sich die Revolution in Frankreich von 1789 zum Ziel setzt. Es
wird 1919 in Art. 109 der Verfassung aufgenommen.→Gleichberechtigung, →Gleichheitsgrundsatz
Lit.:
Dann, O., Gleichheit und Gleichberechtigung, 1980; Frenz, B., Gleichheitsdenken
in deutschen Städten des 12. bis 15. Jahrhunderts, 2000; Damm, S., Menschenwürde, Freiheit, komplexe Gleichheit, 2005
Gleichheitsgrundsatz ist der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich
sind. Die Gleichheit der Menschen bejahen theoretisch schon die antiken
Philosophen (Stoa, Cicero) und das Christentum. Dennoch sind antike und
mittelalterliche Gesellschaft durch die Ungleichheit oder die nur
stufenförmige Gleichheit gekennzeichnet. Erst in der Aufklärung des 18. Jh.s
wird die Beseitigung der ständischen Ungleichheit zur politischen Forderung (→Montesquieu,
→Voltaire, →Rousseau). Seit 1776 nehmen die Verfassungen den G. auf
(Frankreich [égalité] 1791, Bayern 1818, Österreich 1848, Preußen 1850,
Weimarer Reichsverfassung 1919). Eine Unterscheidung zwischen Staatsbürgern
bzw. Unionsbürgern und Ausländern ist bei den Bürgerrechten möglich. Unterscheidungen
sind nur bei objektiven Gesichtspunkten rechtmäßig.
Lit.: Köbler, DRG 206, 252; Geschichtliche Grundbegriffe,
Bd. 2 1975, 997; Adams, W., Das Gleichheitspostulat in der amerikanischen Revolution,
HZ 212 (1977), 59; Erler, A., Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, 1967;
Dann, O., Gleichheit und Gleichberechtigung, 1980; Von der ständischen
Gesellschaft zur bürgerlichen Gleichheit, 1980; Kleinheyer, G., Aspekte der
Gleichheit, Der Staat Beiheft 4, 1980, 7; Chaimowicz, T., Freiheit und
Gleichheit im Denken Montesquieus und Burkes, 1985; Böttger, B., Das Recht auf
Gleichheit und Differenz, 1990; Maldeghem, C. v., Die Evolution des
Gleichheitssatzes, 1997; Frenz, B., Gleichheitsdenken in deutschen Städten,
2000; Duncker, A., Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe, 2003; Rabe, C.,
Gleichwertigkeit von Mann und Frau, 2006
Gleve (F.) Einheit im Ritterheer
Lit.: Schulze, W., Die Gleve, 1940
Globig, Hans Ernst von
(Grauwinkel bei Wittenberg 2. 11. 1755-Dresden 21. 11. 1826, Sekretär des
Kurfürsten von Sachsen, Assessor am Appellationsgericht in Dresden (1779-1789),
Assessor am Reichskammergericht (1789-1799), Reichstagsgesandter in
Regensburg, 1806 Geheimrat, tritt 1777 gegen Folter und Todesstrafe ein
Lit.: Abhandlung
von der Criminal-Gesetzgebung, 1785; Schmidt, S., Die Abhandlung von der Criminalgesetzgebung,
1990; Röthlin, N., Die Verbesserung des Strafrechts, ZRG GA 121 (2004), 238
Glocke ist das aus einem
metallenen Hohlkörper und einer metallenen Stange (Klöppel) bestehende, wohl im
8. Jh. von Irland auf das europäische Festland gelangte Gerät zur Erzeugung von
Tönen, die auch Rechtshandlungen anzeigen oder Rechtswirkungen auslösen
können.
Lit.: Lippert, E., Glockenläuten
als Rechtsbrauch, 1939; Carlen, L., Orte, Gegenstände und Symbole kirchlichen Rechtslebens,
1999; Beyer, F., Geheiligte Räume, 2008
Glogau
Lit.: Goerlitz, T., Die Gubener
Handschrift des Glogauer Rechtsbuchs, ZRG GA 64 (1944), 319
Glorious Revolution
ist die Bezeichnung für den 1688 durch Eingreifen des Parlaments unblutigen
Wechsel vom 1672 katholisch gewordenen König Jakob II. aus dem Hause Stuart zu
Maria II. Stuart und ihrem protestantischen Ehemann Wilhelm III. von Oranien.
Obwohl die G. R. keine wirkliche Revolution ist, sondern die aristokratische
Ordnung vordergründig eher festigt, legt die in der →Bill of Rights
(1689) errungene Sicherung der Rechte des →Parlaments die Grundlage für
die weitere verfassungsmäßige Entwicklung zum Parlamentarismus.
Lit.: Kroeschell, DRG 2
glossa →Glosse
Glossa (F.) ordinaria (lat., ordentliche Glosse) ist die Zusammenfassung aller
einzelnen →Glossen zum römischen Recht bzw. zum kirchlichen Recht zu
einer kettenförmig um den Text gelegten Einheit durch Accursius
(1182/1185-1260/1263, 96940 Einzelglossen, 22365 zum Digestum vetus, 17969 zum
Digestum infortiatum, 22243 zum Digestum novum, 17814 zum Codex [1-9], 4737 zu
den Institutionen, 7013 zum Authenticum, 680 zu den Libri feudorum in insgesamt
5 Bänden, durch etwa 1200 Handschriften belegt) bzw. Johannes Teutonicus
(1216). Die bereits 1258 in Florenz, wenig später in Frankreich (Toulouse
1275-1300), Spanien und Portugal sowie gegen Ende des 13. Jh.s in Deutschland
(Johannes von Erfurt 1285, Brügge 1291) verwendete g. o. des Accursius enthält
u. a. etwa 10400 als von früheren Verfassern (z. B. Irnerius 330, Martinus 590,
Bulgarus 315) stammend gekennzeichnete Glossen. Im Heiligen römischen Reich
wird im 14. Jh. der Sachsenspiegel glossiert (Johann von Buch vielleicht
bereits vor 1325 nach dem Vorbild des Accursius, zwei Rezensionen, weiter
Nikolaus Wurm, Brandt von Tzerstede Lüneburg 1442, Dietrich von Bocksdorff, Petrus
de Posena, Stendaler Glosse, insgesamt 204 Handschriften und Fragmente, 82 noch
vollständig vorhandene Handschriften)
Lit.: Accursii Glossa, 1487ff., Neudruck 1968ff.; Wieacker,
F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Lange, H., Römisches
Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997; Die althochdeutsche und altsächsische
Glossographie, hg. v. Bergmann, R. u. a., 2009 (1878 S.)
Glossator ist der Verfasser einer oder mehrerer Glossen. zum gelehrten Recht in
Oberitalien im Hochmittelalter (z. B. Pepo, Irnerius, Bulgarus, Martinuis,
Jacobus, Hugo, Bassianus, Azo, Accursius ) →Glosse
Lit.: Kantorowicz, H., Studies in the Glossators of the Roman Law,
1938, Neudruck 1969; Schrage, E., Utrumque ius, 1992, e-book 2013; Lange, H.,
Römisches Recht im Mittelalter Band 1 Die Glossatoren, 1997
Glosse (griech. Zunge, Sprache, Wort, Erklärung, zu idg. *glægh‑,
*glýgh‑, Sb., Stachel, Spitze) ist das ungewöhnliche und deshalb erklärungsbedürftige
Wort, dessen Erklärung und die Gesamtheit aller Erklärungen erklärungsbedürftiger
Wörter eines Textes (z. B. der Bibel). Die manchmal in Rechtstexten nur in der
Nennung verwandter Stellen (Allegationen) bestehende Erklärung wird meist an
den Rand (Marginalglosse) oder zwischen die Zeilen (Interlinearglosse) des zu
erklärenden Textes gesetzt (z. B. zwischen dem 8. und 15. Jh. in mehr als 1250
Handschriften rund 250000 Einzelglossenbelege zu rund 27000 altdeutschen
Ansätzen). Im Recht beginnt die Glossierung mit dem Ziel der analysierenden
Aufschließung des Textes, dann der Erleichterung des Verständnisses und
schließlich der synthetizierenden Entwicklung einer widerspruchsfreien
Einheit der justinianischen Texte wohl mit (Pepo von Bologna,) Irnerius
(1060?-1125?) in Bologna. Ihm folgen vor allem die vier Doktoren Bulgarus,
Hugo, Jacobus und Martinus. Seit etwa 1160 werden die Glossen durch Namenssiglen
gekennzeichnet. Weitere bekannte Glossatoren sind Rogerius, Albericus,
Aldricus, Wilhelmus de Cabriano, Placentinus, Henricus de Baila, Johannes
Bassianus, Pillius, Cyprianus, Otto Paiensis, Lotharius, Burgundio von Pisa,
Vacarius, Azo, Hugolinus, Jacobus de Ardizone, Jacobus Columbi, Jacobus
Balduini, Tancredus, Bagarottus, Damasus, Bernardus Dorna, Pontius de Ilerda,
Karolus de Tocco, Symon Vicentius, Roffredus und Odofredus sowie Accursius. Nach 1215 wird die Tätigkeit der Glossatoren durch
Begutachtung (Konsilien der Konsiliatoren) und Kommentierung (Kommentare der
Kommentatoren) ersetzt. →Malbergische Glosse, Sachsenspiegelglosse
Lit.: Söllner §§ 3, 25; Köbler, DRG 106, 107; Köbler, LAW;
Savigny, C., Geschichte des römischen Rechtes im Mittelalter, Bd. 3ff. 2. A.
1834ff.; Schulte, J. v., Die Glosse zum Dekret Gratians, 1872; Engelmann, W.,
Die Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien, 1938; Calasso, F., I glossatori e
la teoria della sovranità, 2. A. 1951; Dilcher, H., Die Theorie der
Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten, 1960;
Söllner, A., Die causa im Kondiktionen- und Vertragsrecht des Mittelalters, ZRG
RA 77 (1960), 182; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2.
A. 1967; Otte, G., Dialektik und Jurisprudenz, 1971; Fried, J., Die Entstehung
des Juristenstandes im 12. Jahrhundert, 1974; Villata di Renzo, G., La tutela,
1975; Glosse preaccursiane alle Istituzioni, hg. v. Caprioli, S. u. a., Bd. 1f.
1984ff.; Dolezalek, G., Repertorium manuscriptorum veterum Codicis Iustiniani,
1985; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997; Otte, G., Logische
Einteilungstechniken bei den Glossatoren, (in) Dialektik und Rhetorik, hg. v.
Fried, J., 1997, 157; Mittelalterliche volkssprachige Glossen, hg. v. Bergmann,
R. u. a., 2001; Glossen zum Sachsenspiegel Landrecht, hg. v. Kaufmann, F.,
2002; Maceratini, R., La glossa ordinaria al Decreto di Graziano e la Glossa di
Accursio al Codice di Giustiniano, 2003; Althochdeutscher und altsächsischer Glossenwortschatz,
hg. v. Schützeichel, R., Bd. 1ff. 2004; Glossen zum Sachsenspiegel Lehnrecht
Teil 1, hg. v. Kaufmann, F., 2006; Wallinga, T., The Casus Codicis of Wilhelmus
de Cabriano, 2005; Jakobs, H., Magna Glossa, 2006; Die althochdeutsche und
altsächsische Glossographie, hg. v. Bergmann, R./Stricker, S., 2009; Glossen
zum Sachsenspiegel-Lehnrecht. Die ältere Glosse, hg. v. Kaufmann, F., 2012
Glück ist der als (erhoffte) Erfüllung einer Vorstellung
durch eigenes Streben oder Zufall eintretende, als vorteilhaft empfundene menschliche
Zustand.
Glück, Christian Friedrich von; geb.
Halle 01. 07. 1755; gest. 20. 01. 1831, 1770 Studium Rechtswissenschaft
Universität Halle, 1776 Referendar Magdeburg, 1777 Promotion Universität Halle,
1784 Professor Universität Erlangen, 1820 geheimer Hofrat, 1827 Nobilitierung,
ist der Verfasser der (unvollendeten) ausführlichen Erläuterung der Pandekten
in 34 Bänden (1790ff.).
Lit.: Wendehorst, A., Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg
1743-1993, 1993; Hirata, A., Die Vollendung des usus modernus pandectarum, ZRG
RA 123 (2006), 330
Glücksspiel ist das im Ergebnis wesentlich vom Zufall abhängige Spiel um Vermögen.
Bereits das römische Recht unterscheidet zwischen erlaubten, dem Gewinner eine
Klagemöglichkeit gewährenden Spielen und unerlaubten, dem Verlierer eine
Herausgabeklagemöglichkeit einräumenden Spielen. Nach dem Sachsenspiegel
(1221-1224) muss der Erbe Spielschulden des Erblassers aus Doppelspiel
(Würfelspiel) nicht bezahlen. In der Neuzeit werden im Heiligen römischen Reich
die römischen Bestimmungen aufgenommen. Das Allgemeine Landrecht Preußens
(1794) sieht Strafen für die Beteiligten vor (II 20 §§ 1298ff.), die über das
Strafgesetzbuch Preußens von 1851 in das Reichsstrafgesetzbuch (1871)
übergehen und am 23. 12. 1919 verschärft werden, doch bestehen zwecks
Erzielung staatlicher Einnahmen Ausnahmen für Spielbanken ([lat.] pecunia non
olet, Geld stinkt nicht).
Lit.: Seelig, E., Das
Glücksspielstrafrecht, 1923
GmbH →Gesellschaft
mit beschränkter Haftung
Gnade (Wohlwollen, Gunst) →Begnadigung
Lit.: Beyerle, K., Von der Gnade im deutschen Recht, 1910;
Butz, H., Gnadengewalt und Gnadensachen, 1975; Laske, W., Die rechtliche
Unzulässigkeit der Mönchung als Gnadenakt im fränkischen Hofgericht, ZRG GA 95
(1978), 239; Mickisch, C., Die Gnade im Rechtsstaat, 1996; Vrolijk, M., Recht
door gratie, 2004; Ludwig, U., Das Herz der Justitia, 2008
Gnadenjahr
Lit.:
Brünneck, W., v. Die gesetzliche Leibzucht und das Gnadenjahr, ZRG GA 27
(1906), 1
Gneist,
Heinrich Rudolf Hermann Friedrich von (Berlin 13. 8. 1816-Berlin 22. 7. 1895),
Justizkommissarssohn, wird nach dem Rechtsstudium in Berlin (Savigny), der
Promotion (1838) und der Habilitation (1839) 1845 (Abgeordneter der Berliner
Stadtverordnetenversammlung und) außerordentlicher Professor(, Richter am
Obertribunal Preußens bis 1850, drei Reisen nach England 1846, 1848, 1850) und
1858 ordentlicher Professor (1857/1860 Das heutige englische Verfassungs- und
Verwaltungsrecht). Er wirkt als Politiker (1859-1893 Mitglied des
Abgeordnetenhauses Preußens, 1867-1884 Mitglied des Reichstags) zunächst gegen
Bismarck und später Bismarck unterstützend gegen Sozialisten und Klerikale und
fördert maßgeblich das Zustandekommen der Reichsjustizgesetze (1877/1879) und
die Einführung des richterlichen Prüfungsrechts, der freien Rechtsanwaltschaft
und der gerichtlichen Überprüfung der unteren Verwaltungstätigkeit. Zwischen
1868 und 1893 steht er 12 Juristentagen vor. 1888 wird er geadelt.
Lit.: Schiffer, E., Rudolf von Gneist, 1929; Weber, D., Die
Lehre vom Rechtsstaat, Diss. jur. Köln 1968; Luig, K., Soziale Monarchie oder
soziale Demokratie, ZRG GA 111 (1994), 464; Hahn, E., Rudolf von Gneist, 1995;
Eßer, D., Gneist als Zivilrechtslehrer, 2004
Go ist der
hochmittelalterliche Dorfschaftsverband (Landgemeinde) in Sachsen zwischen
Eider, Elbe, Rhein und Ems (mit vielleicht 20 bis 40 Dörfern). Meist zweimal
jährlich findet eine Versammlung der Gobewohner statt (Goding). Das Alter des
G. ist ebenso streitig wie die Herkunft. Im 16./17. Jh. beseitigt der
Landesherr den G. zugunsten des Amtes.
Lit.: Heck, P., Der Sachsenspiegel und die Stände der
Freien, 1905, 118, 137; Kroeschell, K., Zur Entstehung der sächsischen
Gogerichte, FS K. Hugelmann, Bd. 1 1960, 295; Schmeken, E., Die sächsische
Gogerichtsbarkeit, Diss. phil. Münster 1961; Landwehr, G., Gogericht und
Rügegericht, ZRG GA 83 (1966), 127; Bemmann, K, Neue Aspekte zur Entstehung der
sächsischen Gogerichte, ZRG GA 109 (1992), 95; Laur, W., Goding und Gogericht
in Holstein und Niedersachsen, ZRG GA 111 (1994), 536; Hachenberg, W., Die
Gogerichtsbarkeit, Diss. jur. Münster 1997; Lück, H., Die kursächsische
Gerichtsverfassung 1423-1550, 1997; Schubert, E., Geschichte Niedersachsens, 2,
1, 1997; Kroeschell, K., recht unde unrecht der sassen, 2005
Go (M.) Gau, Gebiet, Dorf
Gobler,
Justin (Sankt Goar [um] 1503-Frankfurt am Main 21. 4. 1567) wird nach dem
Rechtsstudium (u. a. Mainz, Erfurt, Bourges [Alciat], Orléans 1535 licentia in
legibus) und der Heirat (1527) der Witwe des Trierer Rates Ulrich Fabricius Schreiber
in Koblenz, Professor in Trier, um 1539 Rat in Hannoversch-Münden
(Braunschweig-Calenberg), 1544 nach Promotion Hofrichter in Hannoversch-Münden,
1546 Kanzler des Bischofs von Münster, 1549 Rat in Nassau-Dillenburg und (vor
allem verstärkt nach einem Unfall 1559 in Frankfurt am Main) Publizist. Er
übersetzt (und kommentiert) als erster (vor 1543) die →Constitutio
Criminalis Carolina Karls V. von 1532 ins Lateinische. Durch sein umfangreiches,
vielfach angefeindetes Gesamtwerk (Gerichtlicher Process 1536, Rechten-Spiegel
1550, Statutenbuch 1553, Übersetzung der Institutionen Justinians 1551, der
Novellen 1564, des Hexabiblos 1564, Editionen, Gutachtensammlung 1565) fördert
er sowohl die Aufnahme des römischen Rechtes in Deutschland wie auch die
Kenntnis deutschen Rechtes im europäischen Umfeld.
Lit.: Stintzing, R., Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft,
Bd. 1 1880, Neudruck 1957, 1978, 582; Kantorowicz, H., Goblers Karolinenkommentar,
1904; Deutsch, A., Der Klagspiegel und sein Autor, 2004
Goch
Lit.: Liesegang, E., Einige
Rechtsaufzeichnungen aus dem Privilegienbuch der Stadt Goch, ZRG GA 33 (1912),
224
Gode (M.)
altisländischer Priester(häuptling) unbekannter Herkunft (zwischen 930 und 1264,
jeweils 36-48 goda, mit Einführung der Járnsida 1271 beseitigt)
Lit.: See, K. v., Altnordische Rechtswörter, 1964, 107;
Karlsson, G., Godar og baendur, 1972; Sigurdsson, J., Chieftains and Power in
the Icelandic Commonwealth, 1999
Godefroy (Gothofredus),
Denis (Dionysius) (Paris 17. 10. 1549-Straßburg 7. 9. 1622), adliger
Parlamentsratssohn, wird nach dem Rechtsstudium in Paris (Baudoin), Löwen,
Köln, Heidelberg und Orléans (1579) als hugenottischer Glaubensflüchtling
Professor in Genf, Straßburg (1591), Heidelberg (1600), Straßburg (1601) und
Heidelberg (1604-1621). Er veröffentlicht 1583 eine humanistisch gebesserte
kritische Ausgabe der justinianischen Gesetzbücher (lat. [N.] →corpus
iuris civilis), die bis 1776 die allgemein anerkannte Edition bleibt.
Lit.: Söllner §§ 22, 23; Köbler, DRG 143;
Godefroy-Ménilglaise, D., Les savants Godefroys, 1873, Neudruck 1971; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte
der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967
Godefroy (Gothofredus),
Jacques (Jacobus) (Genf 1587-1652), Sohn des Denis Godefroy (Dionysius
Gothofredus [1549-1622]), wird nach dem Rechtsstudium in Bourges (1611) und
weiteren Studien in Paris 1619 Professor des Rechtes in Genf, Ratsmitglied,
Syndikus und Diplomat. Er veröffentlicht 1665 eine kommentierte, kritische
Ausgabe des →Codex Theodosianus in sechs Bänden, die bis zur Gegenwart
nicht ersetzt ist. Neben kleineren Quelleneditionen verfasst er ein sehr
erfolgreiches Handbuch der (römischen) Rechtsgeschichte (lat. Manuale [N.]
iuris, 1632).
Lit.: Jacques Godefroy (1587-1652), hg. v. Schmidlin, B. u.
a., 1991
Goding →Gogericht
Lit.: Laur, W., Goding und
Gogericht in Holstein und Niedersachsen, ZRG GA 111 (1994), 536
Goethe,
Johann Wolfgang (Frankfurt am Main 28. 8. 1749-Weimar 22. 3. 1832), Sohn des promovierten
Juristen, kaiserlichen Rates und Privatmanns Johann Kaspar Goethe und einer
Stadtschultheißentochter, wird nach Privatunterricht und dem Rechtsstudium in
Leipzig (1765-1768, krankheitsbedingter Unterbrechung) und Straßburg (1770,
Lizentiat, wegen Ablehnung der verlorenen Dissertation De legationibus nicht
zum Doktor promoviert) am 3. 9. 1771 Advokat in Frankfurt am Main (28
Prozesse) und 1772 Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar und (7. 11.) 1775
mit 26 Jahren Rat des (18jährigen) Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach (zwei
räumlich getrennte, 1900 Quadratkilometer und rund 100000 Einwohner umfassende
Fürstentümer), für den er vor allem in den ersten zehn Jahren für mehr als
20000 Verwaltungsangelegenheiten vielleicht ein Drittel seiner Zeit aufwendet
(1786-1788 Aufenthalt in Italien). In sein berühmtes dichterisches Werk (u. a.
Götz von Berlichingen, 1774 die Leiden des jungen Werther, Faust, Wilhelm
Meisters Wanderjahre, Weimarer Ausgabe mit 146 Bänden) fließen auch seine
rechtlichen Erfahrungen ein. Goethes Wortschatz umfasst etwa verschiedene 90000
Wörter.
Lit.: Meisner, J., Goethe als Jurist, 1885; Wieruszowski,
A., Goethe als Rechtsanwalt, 1909; Fuchs, J., Advokat Goethe, 1932; Fischler,
M., Der Ordnungsgedanke in Goethes Rechtsdenken, (um 1940);
Schubart-Fikentscher, G., Goethes Straßburger Thesen vom 6. 8. 1771, 1949;
Goethes amtliche Schriften, Goethes Tätigkeit im geheimen Consilium, Bd. 1ff.
1950ff.; Schubart-Fikentscher, G., Goethes amtliche Schriften, 1977; Goethe-Wörterbuch,
hg. v. Schadewaldt, W. u. a., Bd. 1ff. 1978ff., 2010 Bd. 5
inhaftieren-liedern); Goethe-Zitate für Juristen, hg. v. Pausch, A. u. a., 4.
A. 2000; Pausch, A./Pausch, J., Goethes Juristenlaufbahn, 1996; Unwandelbar G.,
hg. v. Schünemann, P., 1998; Boyle, N., Goethe, Bd. 1ff. 1999ff.; Heinze, M.,
Der Advokat Goethe, NJW 1999, 1897; Goethes Amtliche Schriften, Band 5
Kalendarium über Goethes amtliche Tätigkeit 1776-1819, hg. v. Wahl, V., 2000;
Wadle, E., Goethes Wünsche zum Nachdruckschutz außerhalb des Deutschen Bundes,
ZRG GA 122 (2005), 301; Müller, M., Goethes merkwürdige Wörter, 2010 (rund 1000
Wörter); Ogris, W., Dichterfürst und Fürstendiener, EXTRA Lexikon der Wiener
Zeitung vom 28./29. August 2010
Gogericht (Goding)
ist das Gericht des Gografen über die Gogemeinde in Sachsen im Mittelalter.
Seine Zuständigkeit ist im Sachsenspiegel (1221-1224) hauptsächlich auf Fälle
niederer Strafgerichte eingeschränkt, umfasst aber nach den Zeugnissen der
Wirklichkeit weitere Bereiche. Alter und Herkunft des Gogerichts sind streitig.
Lit.: Schröder, R., Die Gerichtsverfassung des
Sachsenspiegels, ZRG GA (1884), 1; Sauer, H., Die ravensbergischen Gogerichte,
Diss. phil. Münster 1909; Hömberg, A., Grafschaft, Freigrafschaft,
Gografschaft, 1949; Kroeschell, K., Zur Entstehung der sächsischen Gogerichte,
FS K. Hugelmann, Bd. 1 1960, 295; Schmeken, E., Die sächsische Gogerichtsbarkeit,
Diss. phil. Münster, 1961; Landwehr, G., Gogericht und Rügegericht, ZRG GA 83
(1966), 127; Bemmann, K., Neue Aspekte zur Entstehung der sächsischen
Gogerichte, ZRG GA 109 (1992), 95; Laur, W., Goding und Gogericht in Holstein
und Niedersachsen, ZRG GA 111 (1994), 536; Hachenberg, W., Die Gogerichte,
Diss. jur. Münster 1997; Weinreich, O., Der Zivilprozess nach der münsterischen
Landgerichtsordnung von 1571 sowie der vechtischen Gerichtsordnung von 1578,
2004
Gografschaft
Lit.: Hömberg, A., Grafschaft, Freigrafschaft,
Gografschaft, 1949
Gold
Lit.: Striedinger, I., Der Goldsucher Marco Bragdino, 1928;
Hardt, M., Gold und Herrschaft, 2004; Häßler, H., Frühes Gold. Ur- und
Frühgeschichtliche Goldfunde aus Niedersachsen, 2004; Gold & Silber, hg. v.
H. Gietl Verlag, 2012
Goldast von Haiminsfeld, Melchior (Espen [in] Bischofszell/Thurgau 6. 1.
1578-Gießen 11. 8. 1635) wird nach dem Schulbesuch in Memmingen und dem Studium
der Philosophie und Rechtswissenschaft in Altdorf (Magister artium) sowie
einem nach eigenen Angaben 1604 von der Stadt Genf verliehenen, aber nicht
angenommenen Doktortitel Erzieher und (nicht unumstrittener) Herausgeber einheimischer
Quellen (z. B. Imperatorum ... statuta, 1607, als Voraussetzung für die
Entwicklung des Staatsrechts als eigenständigen Wissenschaftsfachs) und Rat
(Weimar 1613, Bückeburg 1615, Kaiser 1627). Seine in der Gegenwart 4151 Bände
umfassende Büchersammlung wird 1647 vom Rat Bremens erworben.
Lit.: Schecker, H., Melchior Goldast von Haiminsfeld, 1930;
Hertenstein, B., Joachim von Watt (Vadianus), Bartholomäus Schobinger, Melchior
Goldast, 1975; Friedrich, F., Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft,
1997; Caspary, G., Späthumanismus und Reichspatriotismus, 2006
Goldene Bulle (lat. bulla aurea) ist
das vor allem die Rechte der →Kurfürsten regelnde, seit 1400 nach dem
seinen sieben erhaltenen, vielfache Wortlautvarianten zeigenden Ausfertigungen
(5 für Kurfürsten von Böhmen, Mainz, Trier, Köln und die Pfalz, nachträglich je
eine für Frankfurt am Main und Nürnberg, keine vollständige Ausfertigung für
Brandenburg und Sachsen) anhängenden, nach byzantinischem Vorbild im 9. Jh. im
Westen eingeführten, von Karl IV. häufig verwendeten goldenen Siegel benannte,
lateinisch gefasste, vielleicht weitgehend vom Hofkanzler Johann von Neumarkt
formulierte Reichsgesetz (lateinisch lex, constitutio, edictum) Kaiser Karls
IV. (1346-1378) vom 10. 1. 1356 (Kapitel 1-23) bzw. 25. 12. 1356 (Kapitel
24-31, Name erstmals 1400 bezeugt, Erstdruck 1474). Obwohl die G. B. sich als
Privileg darstellt, fasst sie eigentlich nur bereits weitgehend anerkannte
Sätze zusammen. Dabei festigt sie das Wahlrecht der sieben Kurfürsten
(Mehrheitsgrundsatz) für den (lat.) rex (M.) Romanorum in imperatorem
promovendus (den zum Kaiser zu erhebenden König der Römer), erkennt zu Lasten
des Reiches die unbeschränkte Gerichtshoheit, das Bergregal, Judenregal und
Zollregal, das Münzrecht und die Landerwerbsberechtigung der Kurfürsten an und
regelt das kurfürstliche Erbfolgerecht (Kapitel 7 Primogeniturerbfolge im
unteilbaren Fürstentum). Andere goldene Bullen sind die G. B. von Rimini
Kaiser Friedrichs II. vom 26. 3. 1226 (überlieferte Fassung wohl um 1235
erneuert), mit der er dem Deutschen Orden die Herrschaft über das zu erobernde Kulmer
Land östlich der unteren Weichsel bestätigt, die bestätigende G. B. von Rieti
des Papstes Gregor IX. von 1234 mit gleichem Inhalt, Urkunden der Könige Andreas
II. (1224 für Siedler in Siebenbürgen) und Béla IV. von Ungarn oder die
Goldbulle von Eger vom 12. 7. 1213, in der König Friedrich II. den Bischöfen in
Deutschland die freie Bischofswahl zuerkennt und auf das Spolienrecht und das
Regalienrecht verzichtet.
Lit.: Köbler, DRG 95, 101; Neue Sammlung der
Reichsabschiede, 1747, 1, 45ff.; Ludewig, J. v., Vollständige Erläuterung der
Güldenen Bulle, 2. A. 1752, Neudruck hg. v. Hattenhauer, H. 2005; Olenschlager,
J., Neue Erläuterung der Guldenen Bulle Kayser Carls IV., 1766, Neudruck hg. v.
Buschmann, A., 2008; Lindner, T., Die Goldene Bulle und ihre
Originalausfertigungen, MIÖG 5 (1884), 96; Altmann, W., Die alte Frankfurter
deutsche Übersetzung, ZRG GA 18 (1897), 107; Zeumer, K., Die Goldene Bulle
Kaiser Karls IV., 1908, Neudruck 1972; Quellensammlung zur Geschichte der
deutschen Reichsverfassung, hg. v. Zeumer, K., 2. A. 1913, 192ff.; Werminghoff,
A., Zum fünften Kapitel der Goldenen Bulle von 1356, ZRG GA 36 (1915), 275;
Stutz, U., Die Abstimmungsordnung der Goldenen Bulle, ZRG GA 43 (1922), 217;
Petersen, E., Studien zur Goldenen Bulle von 1356, DA 22 (1966), 227; Die
güldin bulle, hg. v. Wolf, A., 1968; Eisenhardt, U., Die Rechtswirkungen der in
der Goldenen Bulle genannten privilegia de non evocando et appellando, ZRG GA
86 (1969), 75; Die Goldene Bulle, König Wenzels Handschrift, hg. v. Wolf, A.,
1977; Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356. Faksimile der Ausfertigung
für den Kurfürsten von Köln, 1982; Hergemöller, B., Fürsten, Herren und Städte
zu Nürnberg 1355/6, 1983; Die Goldene Bulle vom 10. Januar und 25. Dezember
1356, bearb. v. Fritz, W., 1988 (MGH, Constitutiones 11, 537-641); Die Goldene
Bulle. König Wenzels Handschrift, Kommentar von Wolf, A., 2002; Laufs, A., Das
Reichsgrundgesetz von 1356, NJW 2006, 3189; Die Kaisermacher. Frankfurt am Main
und die Goldene Bulle 1356-1806, hg. v. Brockhoff, E. u. a., 2006; Die Goldene
Bulle. Politik - Wahrnehmung - Rezeption, hg. v. Hohensee, U. u. a., 2008
Goldene Regel
ist vielleicht seit 1724 der Name für die schon dem Alten Testament bekannte,
lateinisch quod ab alio odis fieri tibi, vide ne alteri tu aliquando facias und
deutsch was du nicht willst, dass man dir tu, das füg´ auch keinem andern zu
lautende Erfahrungsregel oder Lebensweisheit.
Lit.: Mayer-Maly, T., Der Weg der goldenen Regel, FS A.
Söllner, 2000
Goldenes Vlies (Orden vom Goldenen Vlies) ist der (Name des) von Herzog
Philipp dem Guten von Burgund am 10. 1. 1430 gestiftete(n) Orden(s) mit 24 bzw.
30 Mitgliedern.
Lit.: Terlinden,
C. de, Der Orden vom Goldenen Vlies, 1970; Das Haus Österrreich und der Orden
vom Goldenen Vlies, hg. v. d. Ordenskanzlei, 2007
Goldmann, Emil (Karlsbad 3. 11. 1872-Cambridge 6. 5. 1942), österreichischer, 1938
nach England emigrierter Rechtshistoriker und Volkskundler (Nachruf ZRG GA 67
[1950], 532 Lentze, Hans)
Goldschmidt,
Levin (Danzig 30. 5. 1829-Bad Wilhelmshöhe (oder Berlin) 16. 7. 1897), Großkaufmannssohn,
wird nach dem Studium von Medizin (1847) bzw. Recht (1848) in Berlin, Bonn,
Heidelberg und Berlin (Dissertation De societate en commandite, Halle 1851)
1855 in Heidelberg habilitiert, 1860 außerordentlicher Professor in
Heidelberg, 1866 ordentlicher Professor, 1869 Rat um Bundesoberhandelsgericht
in Leipzig sowie 1875 in Berlin Inhaber der ersten deutschen
Handelsrechtsprofessur. In seinen handelsrechtlichen und handelsrechtsgeschichtlichen
Arbeiten (1858 Gründung der Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht, Handbuch
des Handelsrechts, 1864ff., Universalgeschichte des Handelsrechts, [Bd. 1 3.
A.] 1891, Neudruck 1957) bemüht er sich auch um die Verbindung von römischrechtlichen
und nichtrömischrechtlichen Sätzen, um Einbeziehung wirtschaftswissenschaftlicher
Erkenntnisse und um Berücksichtigung der praktischen Rechtsanwendung mit dem
Ziel einer möglichst vielseitigen Sehweise. 1874 ist er Mitglied einer
Kommission zur Vorbereitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 1892 erleidet er ein
Schlaganfall, nach dem er nicht mehr lehren kann. Er ist beeinflusst von Karl
Joseph Anton Mittermaier und beeinflusst seinerseits Max Pappenheim, Philipp
Heck, Max Weber, Paul Rehme und andere. Seine Privatbibliothek umfasst mehr als
6000 Bände.
Lit.: Goldschmidt, Levin. Ein Lebensbild in Briefen, 1898; Sinzheimer,
H., Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft, 1938, 2. A. 1952;
Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hg. v. Heinrichs, H. u. a., 1993; Weyhe,
L., Levin Goldschmidt, 1996
Göllnitz (Gelnica) ist ein 1264 von König Bela IV. mit Stadtrecht begabter Bergbauort in der
Unterzips, der um 1500 etwa 5000 Einwohner zählt und aus dem ein frühneuhochdeutsches
Stadtbuch überliefert ist.
Lit.:
Protze, H., Das älteste Stadtbuch der königlich freien Bergstadt
Göllnitz/Gelnica in der Unterzips und seine Sprache, 2002
Gönner,
Nikolaus Thaddäus von (Bamberg 18. 12. 1764-München 18. 4. 1827) wird zunächst
in Bamberg, seit 1799 in Ingolstadt bzw. 1800 in Landshut Professor und
wechselt 1811 in den Justizdienst Bayerns (1813 geadelt). Vom Reichsstaatsrecht
(Teutsches Staatsrecht, 1804) kommend wendet er sich der politischen
Entwicklung folgend der einzelstaatlichen Gesetzgebung zu (Hypothekengesetz
1822). Bedeutsam sind auch seine öffentlichrechtliche Erfassung der
Rechtsgrundlagen des Berufsbeamtentums (Der Staatsdienst, 1808) und sein auf
die Natur der Sache ausgerichtetes Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses
(Bd. 1ff. 1801ff.).
Lit.: Koch, J., Nikolaus Thaddäus von Gönners Staatslehre,
1902; Schaffner, L., Nikolaus Thaddäus von Gönner, Diss. jur. Würzburg 1955 (masch.schr.);
Stolleis, M., Das Bayerische Hypothekenbankgesetz von 1822, (in) Wissenschaft
und Kodifikation im 19. Jahrhundert, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 3 1976
Görlitz an
der Neiße wird 1071 erstmals erwähnt und hat um 1500 rund 10000 Einwohner. Das
Görlitzer Rechtsbuch ist ein in einer in der ersten Hälfte des 14. Jh.s (um
1300?) geschriebenen Abschrift (101 Blätter) erhaltenes, vermutlich in Görlitz
entstandenes Stadtrechtsbuch eines unbekannten Verfassers für G., das eine
wortgetreue ungereimte Übersetzung des (lat.) →Auctor (M.) vetus de
beneficiis ins Mittel(mittel)deutsche (Artikel 1-30 von insgesamt 47
gezählten, bzw. 46 tatsächlichen Artikeln) mit Auszügen aus dem Landrecht des
Sachsenspiegels, dem Weichbildrecht, vermutlich auch dem sächsischen
Landfrieden (1221) und der Magdeburg-Görlitzer Rechtsweisung (1304) verbindet
und dabei in seinem zweiten Teil vielleicht auf dem (verlorenen) lateinischen
Auctor vetus (Sachsenspiegel Landrecht) beruht.
Lit.: Köbler, DRG 103; Des Sachsenspiegels … Teil 2, 2, hg.
v. Homeyer, C., 1844; Buhr, J., Das Görlitzer Rechtsbuch, Diss. jur. Bonn 1941
(verloren); Auctor vetus, hg. v. Eckhardt, K., 1966; Lemper, E., Görlitz, 4. A.
1980; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 30;
Anders, I./Wolfrum, P., Görlitz, 1996; Behrisch, L., Städtische Obrigkeit und
soziale Kontrolle, 2005
Görres, Josef (1776-1848)
Lit.: Raab, H., Josef Görres,
1978; Görres, hg. v. Raab, H., 1985
Görz (Grafschaft nahe der
Adria), Güter zwischen 1335 und 1500 an Habsburg, 1754 gefürstete Grafschaft
Görz und Gradisca, 1816 Küstenland, 1919 Italien
Goslar am
Harz (urkundlich Siedlung erstmals 1005 erwähnt) ist Ort einer bedeutenden, an
die Stelle der älteren Pfalz Werla tretenden Königspfalz (mit einem 1050
geweihten, 1556 evangelischen Reichsstift), neben der eine Stadt (1131
lateinisch civitas) entsteht, welcher der Staufer Friedrich II. am 13. 7. 1219
einen großen Freiheitsbrief gibt. Wirtschaftliche Bedeutung erlangt sie infolge
des seit dem späten 10. Jh. betriebenen Silberbergbaus im nahegelegenen Rammelsberg.
Zu Beginn des 14. Jh.s erringt sie die Reichsunmittelbarkeit und zeichnet
vermutlich um 1330 oder zwischen 1348 und 1360 ihr Recht in den Goslarischen
Statuten (860 bzw. 892 Artikel, 5 bzw. sieben Handschriften zweier Redaktionen)
auf (1271 Bergordnung Herzog Albrechts, Verlust bürgerlicher Berechtigungen an
den Landesherrn durch Riechenberger Vertrag vom 13. 6. 1552).
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Frölich, K., Die
Gerichtsverfassung von Goslar im Mittelalter, 1910; Feine, H., Der goslarische
Rat, 1913; Frölich, K., Verfassung und Verwaltung der Stadt Goslar im späteren
Mittelalter, 1921; Völker, A., Die Forsten der Stadt Goslar bis 1552, 1922;
Wiederhold, W., Goslar als Königsstadt und Bergstadt, 1922; Brinkmann, H., Das
Brauwesen der kaiserlich freien Reichsstadt Goslar, 1925; Frölich, K., Die
Verfassungsentwicklung von Goslar im Mittelalter, ZRG GA 47 (1927), 287; Meier,
P., Die Stadt Goslar, 1926; Flachsbarth, O., Geschichte der Goslarer
Wasserwirtschaft, 1928; Steinberg, S., Die Goslarer Stadtschreiber, 1933;
Cordes, G., Schriftwesen und Schriftsprache in Goslar, 1934; Frölich, K., Die
Goslarer Straßennamen, 1949; Frölich, K., Das Stadtbild von Goslar im
Mittelalter, 1949; Frölich, K., Das älteste Archivregister der Stadt Goslar,
1951; Engemann, H., Die Gilden der Stadt Goslar, 1957; Ebel, W., Studie über
ein Goslarer Ratsurteilsbuch des 16. Jahrhunderts, 1961; Kreutzberger, E., Das
Gewerberecht der Reichsstadt Goslar im 18. Jahrhundert, 1959; Ebel, W., Das
Stadtrecht von Goslar, 1968; Goslar im Mittelalter, hg. v. Engelke, H., 2003;
Kelichhaus, S., Goslar um 1600, 2003; Kroeschell, K., recht unde unrecht der
sassen, 2005; Der Goslarer Ratskodex - Das Stadtrecht um 1350 - Edition,
Übersetzung und begleitende Beiträge, hg. v. Lehmberg, M. 2013
Gote ist
der Angehörige eines in der Völkerwanderungszeit von der Ostsee (Gotland) über
den Südosten (Krim) unter dem Druck der Hunnen 375 n. Chr. in das römische
Reich eindringenden germanischen Volkes, das sich in →Ostgoten (Italien)
und →Westgoten (Gallien, Spanien) aufteilt und zwischen dem 6. und dem
12. Jahrhundert in Italienern und Spaniern aufgeht. Zwischen 25 und 50% der als
Goten bezeichneten Menschen dürften nach ihrer volksmäßigen Herkunft Goten
gewesen sein. Ihr Ursprung in Skandinavien wird bezweifelt.
Lit.: I Goti in occidente, 1956 (Spoleto); Burn, T., A
History of the Ostrogoths, 1984; Teillet, S., Des Goths à la nation gothique,
1984; Köbler, G., Gotisches Wörterbuch, 1989; Wolfram, H., Die Goten, 4. A.
2001; Heather, P., Goths and Romans, 1991; Köbler, G., Neuhochdeutsch-gotisches
Wörterbuch, 1993; Heather, P., The Goths, 1996; Sonderegger, S., Tradition und
Erneuerung der germanischen Rechtssprache aus der Sicht des Gotischen, FS K.
Kroeschell, 1997; Mussot-Goulard, R., Les Goths, 1999; Petit, C., Iustitia
Gothica, 2001; Christensen, A., Cassiodorus, Jordanes and the History of the
Goths, 2002; Giese, W., Die Goten, 2004; Wolfram, H., Gotische Studien, 2005;
Bronisch, A., Die Judengesetzgebung im katholischen Westgotenreich von Toledo,
2005; Maier, G., Amtsträger und Herrscher in der Romania Gothica, 2005; Wiemer,
H., Die Goten in Italien, HZ 296 (2013), 593
Göteborg am
Kattegat wird 1619 angelegt und 1621 mit Stadtrecht begabt. 1891 erhält es eine
Universität.
Gothofredus →Godefroy
Gotland →Gutalagh
Lit.: Kattinger, D., Die
gotländische Genossenschaft, 1999; Lerbom, J., Mellan två riken, 2003
Gott ist
nach jüdischer und christlicher Lehre der Schöpfer des Himmels und der Erde. Er
ist der Herr über das Recht, das er als Gebot und Verbot den Menschen gegeben
hat (→Dekalog). Im jüngsten Gericht zieht er den Menschen zur
Rechenschaft und urteilt über dessen (irdisches) Leben.
Lit.: Köbler, DRG 108; Kern, F., Gottesgnadentum und
Widerstandsrecht, 1915; Bibel und Recht, hg. v. Eckert, J. u. a., 1994; Lang,
B., Jahwe der biblische Gott, 2002; Eckart, O., Gottes Recht als Menschenrecht,
2002; Leisner, W., Gott und Volk, 2008; Leuenberger, M., Gott in Bewegung, 2011;
Römische Götterbilder der mittleren und späten Kaiserzeit, hg. v. Buschung, D.
u. a., 2014
Gottesfriede (lat.
[F.] pax Dei) ist das in Südfrankreich im späten Frühmittelalter ([Le Puy in
der Auvergne um 975, placitum publicum,] Charroux 1. 6. 989, Narbonne um 990,
Limoges 994, Le Puy 994, Poitiers 1000, Beauvais 1023, Ivois/Meuse 1023, Amiens
1033/1036) von der Kirche in Wiederholung merowingischer und karolingischer
Kapitularien, Konzilienbeschlüsse (Orléans 511-548, Tours 567, Mâcon 585,
Paris 614, Quierzy 857, Ver-sur-Launette 884, Metz 893) und Bußbücher
ausgehende, Gewalt zurückdrängende Friedensgebot, dessen Verletzung kirchliche
Folgen nach sich zieht. Der G. erreicht von Südfrankreich aus Katalonien,
Kastilien, Italien und gegen Ende des 11. Jh.s das deutsche Reich (Lüttich
1082, Köln 1083, Bamberg 1085). Inhaltlich sehen beschworene Beschlüsse
geistlicher und weltlicher Herren Exkommunikation, Verfluchung, Bußen für
Mord, Diebstahl, Raub u. s. w. vor.
Besonders geschützt werden Mönche, Kaufleute, Bauern, Frauen, Kirchen oder
Vieh. Besondere Zeiten des Friedens sind die hohen Feste und die Tage von
Donnerstag bis Sonntag. Seit dem ausgehenden 11. Jh. weicht der G. dem →Landfrieden.
Die Verfolgung von Rechtsverletzungen wird nunmehr Aufgabe der (weltlichen) Allgemeinheit.
Lit.: Köbler, DRG 118; Wasserschleben, H., Zur Geschichte
der Gottesfrieden, ZRG GA 12 (1891), 112; Huberti, L., Der Gottesfriede in der
Kaiserchronik, ZRG GA 13 (1892), 133; Huberti, L., Studien rzu Rechtsgeschichte
der Gottes- und Landfrieden, 1892; Winterfeld, L. v., Nochmals Gottesfrieden
und deutsche Stadtverfassung, ZRG GA 54 (1934), 238; Wohlhaupter, E., Studien
zur Rechtsgeschichte der Gottes- und Landfrieden in Spanien, 1933; Conrad, H.,
Gottesfrieden und Heeresverfassung, ZRG GA 61 (1941), 71; Achter, V., Über den
Ursprung der Gottesfrieden, 1955 (29 S.); Hattenhauer, H., Die Bedeutung der
Gottes- und Landfrieden, Diss. jur. Marburg 1958; Hoffmann, H., Gottesfriede
und Treuga Dei, 1964, Neudruck 1986; Körner, T., Iuramentum und frühe
Friedensbewegung, 1977; Goetz, H., Gottesfriede und Gemeindebildung, ZRG GA 105
(1988), 122; Wadle, E., Gottesfrieden und Landfrieden, (in) Funktion und Form, hg.
v. Kroeschell, K. u. a., 1996, 63; Barthélemy, D., L’an mil et la paix de Dieu,
1999; Gergen, T., Pratique juridique de la paix et trêve de Dieu, 2004; Goetz,
H., Gott und die Welt, 2011
Gottesgnadentum ist die Begründung weltlicher Herrschaft mit göttlicher Gnade. Nach
Vorbildern in der Herrschervergottung des Altertums wird das G. im
Frühmittelalter bei den Karolingern (751 n. Chr.) sichtbar. Im Investiturstreit
(1075-1122) wird diese Vorstellung zurückgedrängt. Das G. hält sich aber
letztlich bis zum Ende der Monarchie in der Neuzeit.
Lit.:
Legitimation des Herrschers, hg. v. Weber, H., 1992; Körntgen, L.,
Königsherrschaft und Gottes Gnade, 2001; Erkens, F., Herrschersakralität im
Mittelalter, 2006
Gotteslästerung (vgl. Leviticus 24,11-16) ist die im römischen Recht
(Todesstrafe in Novelle 77 Justinians) und seit dem Spätmittelalter (1495)
strafbare, besonders verletzende öffentliche Kundgabe der Missachtung des
christlichen Gottes, die seit dem 18. Jh. problematisiert wird (von 1813 bis
1827 in Bayern straflos) und 1969 in Deutschland straflos wird.
Lit.: Köbler, DRG 19; Ettinger, J., Zur Lehre von den Religionsvergehen,
1919, 29; Forrer, D., Der Einfluss von Naturrecht und Aufklärung auf die
Bestrafung der Gotteslästerung, 1973; Leutenbauer, S., Das Delikt der
Gotteslästerung, 1984; Pahud de Mortanges, R., Die Archetypik der
Gotteslästerung, 1987
Gottespfennig ist seit der zweiten Hälfte des 13. Jh.s eine Bezeichnung für das Angeld
(arrha, Weinkauf, die seit der Neuzeit an Bedeutung verliert und in einem
Gutachten des Reichsfinanzhofs des Deutschen Reiches vom 11. 7. 1936 als nicht
mehr zeitgemäß eingestuft wird.
Lit.:
Beyerle, F., Weinkauf und Gottespfennig, FS A Schultze, 1934, 251
Gottesstaat ist
die Vorstellung von der Herrschaft des christlichen Gottes auf der Erde. Sie
wird maßgeblich von Augustinus (354-430) geprägt, der in seinem Werk (lat.) De
civitate Dei (413-426) einen Gegensatz von (lat.) civitas (F.) Dei (Staat
Gottes) und (lat.) civitas (F.) terrena (irdischer Staat) bildet.
Lit.: Köbler, DRG 82; Loewenich, W. v., Augustin, 1965
Gottesurteil ist
das Urteil (eines?) Gottes in einer umstrittenen menschlichen Angelegenheit. Im
mittelalterlichen, wohl insofern von der christlichen Kirche beeinflussten
Recht ist das G. die bei Fehlen anderer Beweismittel mögliche Entscheidung über
die Schuld oder die Unschuld eines Beschuldigten durch ein nach allgemeiner
Wahrscheinlichkeit nicht zu erwartendes und deshalb auf (das Eingreifen des
christlichen) →Gott(es) zurückgeführtes äußeres Zeichen (z. B.
[folgenloses] Tragen eines glühenden Eisens, [folgenloses] Schreiten über
glühende Pflugscharen, [folgenloses] Eintauchen des Armes in siedendes Wasser,
[folgenloses] Treten vor die Leichenbahre eines Toten u. s. w.). In den fränkischen Gerichtsurkunden
des Frühmittelalters findet es sich (nur) in 0,3 Prozent aller beurkundeten
Fälle, in späteren Zeiten eher noch seltener. Streitig ist, ob Zweikampf und
Los Gottesurteile sind. Die Stellung der Kirche zum G. ist lange Zeit
uneinheitlich. 1215/1219/1222 wendet sie sich deutlicher gegen das G., das
Kaiser Friedrich II. 1231 für Sizilien als vernunftwidrig verbietet. Dennoch
erhält sich das G. bis in das 17. Jh., bis es vielleicht durch die Verwendung
der Folter zur Erzielung eines Geständnisses, die Aufnahme des römischen Rechtes
oder die zunehmende Vernünftigkeit des Menschen verschwindet.
Lit.: Köbler, DRG 86; Karasconyi,
J. u. a., Registrum Varadinense examinum ferri candentis, 1903; Pappenheim, M.,
Über die Anfänge des germanischen Gottesurteils, ZRG GA 48 (1928), 136;
Schwerin, C. Frhr. v., Rituale für Gottesurteile, 1933 (SB Heidelberg); De
ordaliis, collegit Browe, P., 1932/1933; Schwerin, C. Frhr. v., Das
Gottesurteil des Poppo, ZRG GA 58 (1938), 69; Erler, A., Der Ursprung der
Gottesurteile, Paideuma 2, 1941, 44; Nottarp, H., Gottesurteile, 1949; Thoma,
H., Ein Gottesgericht an Tieren, ZRG GA 70 (1953), 325; Nottarp, H.,
Gottesurteilsstudien, 1956; Hexeter, R., Equivocal Oaths and Ordeals, 1975;
Bürge, A., Realität und Rationalität der Feuerprobe, ZRG GA 100 (1983) 257;
Bartlett, R., Trial by fire and water, 1986; Köbler, G., Welchen Gottes Urteil
ist das Gottesurteil des Mittelalters?, FS W. Trusen, hg. v. Brieskorn, N.,
1994, 89; Nehlsen-von Stryk, K., Reinigungseid und Geständniszwang (in)
Grundlagen des Rechts, hg. v. Helmholtz, R. u. a., 2000, 621; Kéry, L., Gottesfurcht
und irdische Strafe, 2006; Dinzelbacher, P., Das fremde Mittelalter, 2006;
Schmoeckel, M., Die Überzeugungskraft der Ordale in merowingischer Zeit (in)
Von den leges barbarorum, 2008, 198ff.
Gottfried von
Straßburg (um 1210) ist der Verfasser des
unvollendeten Versromans von Tristan und Isolde mit guten Kenntnisses des Rechtes
seiner Zeit.
Lit.: Huber,
C., Gottfrieds Tristan, 2. A. 2001; Wolg, J., Buch und Text, 2008
Göttingen an
der Leine (953 Gutingi nahe der Pfalz Grone) wird um 1200 Stadt und im
Herzogtum Braunschweig-Lüneburg (1235) bzw. Hannover (1736/)1737 unter Kurfürst
Georg August (König Georg II. von England) Sitz einer nach dem Vorbild Halles aufgeklärten,
im 18. Jh. in Deutschland führenden Universität (1751 Societät der
Wissenschaften, Göttingische gelehrte Anzeigen, →Pütter, →Hugo),
von deren 172000 Studenten der ersten 225 Jahre rund 70000 Rechtswissenschaft
studieren. Am 18. 11. 1837 protestieren (nach dem Ende der Personalunion
Hannovers mit Großbritannien) sieben (von insgesamt 32 bzw. 48) Göttinger
Professoren (Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Friedrich Christoph Dahlmann, Georg
Gottfried Gervinus, Wilhelm Eduard Albrecht [Jurist], Wilhelm Eduard Weber, Heinrich
Ewald) gegen die am 1. 1. 1837 erfolgte Aufhebung der am 26. 9. 1833 von König
Wilhelm IV. von England gewährten Verfassung seitens des Nachfolgers Ernst
August von Hannover, an die sich selbst weiter gebunden fühlen, und verlieren
in uneindeutiger Rechtslage ohne Anhörung dadurch am 14. 12. 1837 ihr Amt und
ihr Gehalt. Am 1. 9. 1945 eröffnet G. als erste deutsche Universität nach dem
zweiten Weltkrieg wieder den Lehrbetrieb (unter Entlassung Ebels, Erlers und
Siegerts). In die juristische Fakultät kommen nacheinander vor allem
Professoren aus Leipzig und Straßburg (z. B. Schaffstein, Huber, Michaelis,
Weber, Wieacker).
Lit.: Köbler, DRG 136, 170; Pütter, J., Versuch einer
academischen Gelehrtengeschichte von der Georg-August-Universität in Göttingen,
Bd. 1ff. 1765ff., Neudruck 2005; Dahlmann, F., Gutachten, 1839; Grimm, J., Über
meine Entlassung, 1838, Neudruck 1985; Cornberg, H. v., Beiträge vornehmlich
zum Privatrecht der Stadt Göttingen, 1910; Arnim, M., Corpus academicum
Gottingense 1737-1928, 1930; Kück, H., Die Göttinger Sieben, 1934, Neudruck
1987; Selle, G. v., Die Georg-August-Universität zu Göttingen, 1937; Smend, R.,
Die Göttinger Sieben, 1951; Klugkist, E., Die Göttinger Juristenfakultät als
Spruchkollegium, 1952; Gundelach, E., Die Verfassung der Göttinger Universität,
1955; Ebel, W., Zur Geschichte der Juristenfakultät und des Rechtsstudiums an
der Universität Göttingen, 1961; Catalogus professorum Gottingensium 1734-1962,
hg. v. Ebel, W., 1962; Die Privilegien und ältesten Statuten der
Georg-August-Universität zu Göttingen, hg. v. Ebel, W., 1961; Mohnhaupt, H.,
Die Göttinger Ratsverfassung vom 16. bis 19. Jahrhundert, 1965; Wittram, G.,
Die Gerichtsverfassung der Stadt Göttingen, 1966; Tütken, H., Geschichte des
Dorfes und Patrimonialgerichtes Geismar, 1967; Eysel, H., Die Steuerverfassung
Göttingens, Diss. jur. Göttingen 1968; Ebel, W., Memorabilia Gottingensia,
1969; Kallmann, R., Das bürgerliche Recht, 1972; Boockmann, A., Urfehde und
ewige Gefangenschaft, 1980; Rechtswissenschaft in Göttingen, hg. v. Loos, F.,
1987; Göttingen, hg. v. Denecke, D., 1987ff.; Die Universität Göttingen unter
dem Nationalsozialismus, hg. v. Becker, H. u. a., 1987, 2. A. 1998; Dilcher,
G., Der Protest der Göttinger Sieben, 1988; Zur geistigen Situation der Zeit
der Göttinger Universitätsgründung 1737, hg. v. Stackelberg, J. v., 1988; 250
Jahre Georgia Augusta, 1988; Neitzert, D., Die Stadt Göttingen führt eine
Fehde, 1992; Die Geschichte der Verfassung und der Fachbereiche der
Georg-August-Universität, hg. v. Schlotter, H., 1994 (Aufsätze); See, K. v.,
Die Göttinger Sieben, 1997, 3. A. 2000; Boockmann, H., Göttingen, 1997; Jeske,
R., Bürgertum in der Universitätsstadt Göttingen, 1999; Szabó, A., Vertreibung,
Rückkehr, Wiedergutmachung, 2000; Göttinger Gelehrte, hg. v. Arndt, K. u. a.,
2001; Göttingen, hg. v. Böhme, E. u. a., Bd. 2 2002; Streidl, P., Naturrecht,
2003; Die Ortsnamen des Landkreises Göttingen, 2004; Saage-Maaß, M., Die
Göttinger Sieben, 2007; Über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat,
hg. v. Albach, H., 2007; Kontinuitäten und Zäsuren, hg. v. Schumann, E., 2008;
Butt, A., Die Stadt Göttingen und ihre Rechte im ländlichen Raum, 2012; Die
Geschichte der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Bd. 1 hg. v. Starck,
C. u. a., 2013
Göttliches Recht ist das auf Gott als Schöpfer zurückgeführte Recht. G. R.
nehmen nach römischen und stoischen Vorläufern die lateinischen Kirchenväter
(z. B. Augustinus 354-430) an. Über Isidor von Sevilla findet die Vorstellung
Eingang in das Decretum Gratians (um 1140). Eine eindeutige und klare
Abgrenzung zum Naturrecht gelingt nicht.
Lit.:
Wolf, U., Ius divinum, 1970; Ratzinger, J./Maier, H., Demokratie in der Kirche,
2001
Goudelin →Gudelinus
Grab ist der Ort der Beerdigung eines toten
Menschen. Vermutlich wird der Tote anfangs nur von den Überlebenden zurückgelassen.
Danach entwickeln sich Sitten für den Umgang mit Toten (z. B. Hügelgrab, Brandgrab,
Körpergrab, Pyramide, Mausoleum, Katakombe u. s. w.). Im römischen Zwölftafelgesetz
(451/450 v. Chr. sind Beerdigungen und Verbrennungen in Rom verboten. Auf
dieser Grundlage entwickeln sich mit zunehmender Verdichtung immer mehr
Rechtssätze bezüglich des Grabes (u. a. Friedhofszwang mit Friedhofsordnung).
Lit.: Paret, O., Die
frühschwäbischen Gräberfelder von Groß-Stuttgart, 1937Sterben und
Totenbestattung, hg. v. Cox, H. u. a., 2002; Schrumpf, S., Bestattung und
Bestattungswesen im römischen Reich, DIss. Bonn 2006
Grad (zu lat. [M.] gradus) ist allgemein der
Schritt oder die Stufe. Akademischer G. ist die wissenschaftliche
Qualifizierung auf Grund einer Prüfung. Der akademische G. geht auf
Bezeichnungen in der römischen Verwaltung zurück (z. B. lat. [M.) magister
equitum, Heermeister, doctor gladiatorum, Fechtlehrer, seit dem 3. Jh. n. Chr.
magister auch Ehrenbezeichnung für christliche Große). Missstände im
hochmittelalterlichen Lehrbetrieb des 13. Jh.s bewirken Regelungen (z. B. Paris
1215 Bedingungen für den [lat.] magister [M.) artium und magister theologiae,
1233 Lehrerlaubnis für jeden in Toulouse geprüften [lat.] magister). Als Grade
entwickeln sich (lat. [M.]) baccalaureus, magister und doctor, wobei im
Heiligen römischen Reich das Bakkalaureat seit dem 16. Jh. schwindet und mit
der Wandlung der artistischen Fakultät zur philosophischen Fakultät der (lat.
[M.]) magister artium zum doctor philosophiae wird. 1402 wird im Heiligen
römischen Reich erstmals für Juristen der Grad doctor iuris utriusque (Lehrer
beider Rechte, d. h. geistliches Recht, weltliches Recht) verliehen. Mit dem G.
werden sonstige Vorteile verbunden (teilweise Adelsgleichheit). Wegen der
Vielzahl der meist mit schriftlichen Arbeiten verbundenen Promotionen zum
Doktor wird seit dem 18. Jh. zunehmend die Lehrerlaubnis (lat. venia [F.]
legendi des Universitätslehrers) mit der Habilitation in einem Einzelfach
oder mehreren Einzelfächern verknüpft, zumal teilweise in Abwesenheit zum Doktor
promoviert (Jena 1841 Karl Marx, erst ab etwa 1882 allmählich abgeschafft) oder
der G. auch durch eine bloße mündliche Prüfung erworben werden kann (Heidelberg
bis 1908, Österreich drei Rigorosen bis um 1990). Seit etwa 1820 erscheint der
ehrenhalber erteilte G. (Dr. h. c.). 1899 erhalten im deutschen Reich auch die
neuen technischen Hochschulen das Recht zur Verleihung von Graden. Seit dem
Ende des 20. Jh.s werden in der Europäischen Union die akademischen Grade
zunehmend vereinheitlicht (Bologna-Modell mit dreijährigem Bachelor-Studium,
anschließendem Magisterstudium und anschließendem Doktoratsstudium), während
die Habilitation in Deutschland rechtlich als Voraussetzung der Professur
aufgegeben ist.
Lit.: Oberbreyer, M., Die Reform
der Doktorpromotion, 3. A. 1878; Wretschko, A. v., Die akademischen Grade,
1910; Roß, G., Das Aufkommen der juristischen Ehrenpromotion, Diss. jur.
Erlangen-Nürnberg 1967; Bleek, W., Von der Kameralausbildung zum
Juristenprivileg, 1972; Prahl, H., Gesellschaftliche Funktionen von
akademischen Abschlussprüfungen und Graden, 1974; Zimmerling, W., Akademische
Grade und Titel, 2. A. 1995; Mierau, J., Die juristischen Abschluss- und
Diplomprüfungen in der SBZ/DDR, 2001; Wollgast, S., Zur Geschichte des Promotionswesens
in Deutschland, 2001
Graecus (lat. [M.]) Grieche z. B. Graeca non leguntur (Griechische Stücke etwa in
den Novellen Justinians werden im lateinischen Westen bis zum Humanismus des
16. Jh.s nicht gelesen, bzw. nicht beachtet).
Lit.:
Barta, H., Graeca non leguntur?, Bd. 1ff. 2011ff.
Graf (lat.
[M.] comes) ist im Frankenreich im Mittelalter der ursprünglich königliche
Amtsträger. Der Titel (lat. [M.]) comes (Gefährte, Begleiter) findet sich im
römischen Altertum seit Kaiser Diokletian (284-313/316) für hohe Höflinge und
danach für örtliche Amtsträger (u. a. auch [lat.] comes civitatis z. B. in
Trier, Autun und Marseille zwischen 460 und 470). Fast die Hälfte der bekannten
(lat.) comites des 6. Jh.s trägt einen romanischen Namen. Der frühmittelalterliche
fränkische comes soll den Frieden wahren, Übeltäter verfolgen und
Schutzbedürftige sichern. Daneben kennt die fränkische (lat. [F.]) Lex Salica
einen vielleicht zu got. gagrefts, Befehl, zu stellenden afrk. grafio, der auf
Verlangen eines Rechtsuchenden Sachen wegnehmen oder unerwünschte Siedler
vertreiben soll und der möglicherweise ein örtlicher königlicher Befehlshaber
ist. Spätestens in der Mitte des 8. Jh.s verschmilzt dieser grafio anscheinend
mit lat. comes, dessen Aufgaben in karolingischer Zeit in der Erhaltung des
Königsguts, der Aufbietung der Heerfolgepflichtigen, der Erhebung von Zöllen,
der Einziehung von verfallenem Gut und der Leitung des Rechtsstreits um
Freiheit und Grund bestehen. Zwar ist der G. grundsätzlich absetzbar, doch wird
seine Stellung in vornehmen Familien bald tatsächlich erblich. Die
richterlichen Aufgaben treten in den Vordergrund. Seit dem 11. Jh. gerät die
gräfliche Gewalt unter den Einfluss nichtköniglicher Mächte. Der Grafentitel
wird zu einer Standesbezeichnung. Ein Teil der Grafen wird mittelbarer landsässiger
Adel, die reichsständischen Grafen treten im Reichsfürstenrat zusammen (schwäbische,
wetterauische [1524], fränkische [1640] und westfälisch-niedersächsische [1653/1654]
Grafenkurie). Das Gericht des Grafen wird vielfach Landgericht. In der
Reichsmatrikel von 1521 finden sich 143 Grafen und Herren, von denen am Ende
des 18. Jh.s (infolge von Erhebungen in den Fürstenstand, Mittelbarmachungen
und Aussterbens) nur zwei Drittel noch verzeichnet sind. Mit dem Ende des
Heiligen römischen Reiches (deutscher Nation, 1806) verliert auch der reichsunmittelbare
G. seine selbständige Bedeutung. G. wird zum (verliehenen) höheren Adelstitel.
Lit.: Köbler, DRG 84, 86; Köbler, WAS; Ficker, F., Vom
Reichsfürstenstand, Bd. 1 1861, 72, 95; Fehr, H., Fürst und Graf im
Sachsenspiegel, 1906; Hausgeschichte und Diplomatarium des Reichs-Semperfreien
und Grafen Schaffgotsch, hg. v. Kaufmann, J., 2, 2, 1925; Schlesinger, W., Die
Entstehung der Landesherrschaft, 1941, Neudruck 1964; Krüger, S., Studien zur
sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Jahrhundert, 1950; Guttenberg, E. v.,
Iudex hoc est comes aut grafio, FS E. Stengel 1952, 93; Sprandel, R., Dux und
comes in der Merowingerzeit, ZRG GA 74 (1957), 41; Schöllkopf, R., Die
sächsischen Grafen, 1957; Mitterauer, M., Die Grafenfamilien der bayrischen
Marken in der Karolingerzeit, Diss. phil. Wien 1960 (masch.schr.); Bosl, K.,
Franken um 800, 2. A. 1980; Forwick, F., Die staatsrechtliche Stellung der
ehemaligen Grafen von Schwalenberg, 1963; Schulze, H., Grundprobleme der
Grafschaftsverfassung, Z. f. württemberg. LG. 44 (1985), 265; Borgolte, M.,
Die Grafen Alemanniens, 1986; Zotz, T., Grafschaftsverfassung und
Personengeschichte, ZGO 136 (1988), 1; Schmidt, G., Der Wetterauer
Grafenverein, 1989; Hechberger, W., Adel im fränkisch-deutschen Reich, 2005; Grafen
und Herren in Südwestdeutschland, hg. v. Andermann, K. u. a., 2006; Deutinger,
R., Königsherrschaft im ostfränkischen Reich, 2006
Grafenbann ist
der vom König im Frühmittelalter dem →Grafen verliehene →Bann von
15 Schillingen.
Lit.: Kroeschell, DRG 1
grafio →Graf
Grafschaft ist
der Amtsbezirk des →Grafen (lat. comes, →lat. comitatus). Im
Gegensatz zu älteren Forschungen werden trotz etwa der erheblichen Anstrengungen
von Herrschern wie Pippin des Jüngeren oder Ludwig des Frommen in der Gegenwart
die Vorstellung einer Deckungsgleichheit von Gauangaben der Quellen und jeweils
gegebenen Bezirken von Grafen und die Vorstellung eines lückenlosen Systems
von Grafschaften für das Frühmittelalter abgelehnt (Amtsgrafschaften neben auf
verstreuten Königsgut gegründeten Streugrafschaften). Zu einer stärkeren
Geschlossenheit von Amtsbezirken scheint es mit der Festigung der
Landesherrschaft zu kommen.
Lit.: Köbler, WAS; Hömberg, A.,
Grafschaft, 1949; Krüger, S., Studien zur sächsischen Grafschaftsverfassung im
9. Jahrhundert, 1950; Metz, W., Studien zur Grafschaftsverfassung Althessens,
ZRG GA 71 (1954), 167; Schulze, H., Die Grafschaftsverfassung der
Karolingerzeit in den Gebieten östlich des Rheins, 1973; Borgolte, M.,
Geschichte der Grafschaften Alemanniens, 1984; Schulze, H., Grundprobleme der
Grafschaftsverfassung, Z. f. württemberg. LG. 44 (1985), 265; Hoffmann, H.,
Grafschaften in Bischofshand, DA 46 (1990), 375; Holzfurtner, L., Die
Grafschaft der Andechser, 1994; Puhl, R., Die Gaue und Grafschaften des frühen
Mittelalters im Saar-Mosel-Raum, 1999
Gragas (Graugans)
ist die auf einem Irrtum beruhende, 1548 nachweisbare, seit dem 17. Jh. übliche
Bezeichnung für das aus Gesetzen, Gutachten, privaten Aufzeichnungen und
Formelsammlungen zusammengesetzte, nach älteren Aufzeichnungen (z. B. Christenrecht
zwischen 1122 und 1133) zwischen 1258 und 1271 aufgezeichnete und vor allem durch
das später in der königlichen Bibliothek in Kopenhagen verwahrte Königsbuch
(Konungsbok, [lat.] Codex [M.] regius) und das im 16. Jh. auf einem Hof in
Westisland entdeckte Stadarholsbuch (Stadarholsbok, [lat.] Codex [M.] Arnamagnaeanus)
der zweiten Hälfte des 13. Jh.s (insgesamt durch 130 Handschriften, Fragmente
und Abschriften) überlieferte, altisländische Recht ([930 bzw. 1030-1264]
Christenrecht, Strafrecht, Eherecht, Erbrecht, Grundgüterrecht und
Vertragsrecht). Die Geltung der G. auf Island wird nach der Unterwerfung →Islands
unter Norwegen (1262/4) 1271/81 durch das Gesetzbuch König Magnus Hakonarsons
(→Jarnsida, →Jonsbok) aufgehoben.
Lit.: Gragas Konungsbok, hg. v. Finsen, V., 1852, Neudruck
1974; Gragas Stadarholsbok, hg. v. Finsen, V., 1879, Neudruck 1974; Gragas Skalholsbok,
hg. v. Finsen, F, 1883, Neudruck 1974; Bechert, R., Eine dunkle Stelle der
Graugans, ZRG GA 48 (1928), 442; Isländisches Recht. Die Graugans, hg. v.
Heusler, A., 1937; Amira, K. v./Eckhardt, K., Germanisches Recht, Bd. 1 4. A.
1960, 120; Foote, P., Some Lines in Logréttutháttr, FS P. Foote, 1984, 155; Byock,
Medieval Iceland Society, sagas and power, 1988; Beck, H., Wortschatz der
altisländischen Grágás, 1993 (Konungsbok)
Granada an
der Sierra Nevada geht auf eine keltische Gründung zurück. Im Mittelalter ist
es Mittelpunkt eines maurischen Königreichs (1030-1050, 1238-1492). 1526/1531
erhält es eine Universität.
Lit.: Ladero Quesada, M., Granada, 1988
Grande ordonnance de réformation du royaume ist das französische Gesetz von 1302, durch das der König
den Schutz der Kirche auch in den Gebieten der Landesherren (Herzöge, Grafen,
Barone) übernimmt.
Grangie (12. Jh., Scheune) ist der hochmittelalterliche klösterliche Wirtschaftshof
vor allem der Zisterzienser (mit einer Größe bis zu 400 Hektar), deren Ideale
sich allerdings nicht dauerhaft durchhalten lassen.
Lit.: Wiswe, H., Grangien niedersächsischer
Zisterzienserklöster, Braunschweig. Jb. 34 (1953), 5; Bader, K., Studien zur
Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1 1957, 175f.; Villa,
curtis, grangia, hg. v. Janssen, W. u. a., 1983; Lohrmann, D., Kirchengut im
nördlichen Frankreich, 1983; Schneider, R., Vom Klosterhaushalt zum Stadt- und
Staatshaushalt, 1994; Kuczera, A., Grangie und Grundherrschaft, 2003; Untermann,
M., Ausgrabungen und Bauuntersuchungen in Klöstern, 2003
Grass, Nikolaus (Volderwald bei Ampass bei Innsbruck 28. 7. 1913-Innsbruck 5. 10. 1999)
ist der nach dem Studium in Innsbruck in Geschichte, Recht und Wirtschaft promovierte,
1946 für Geschichte habilitierte, 1948 in die rechtswissenschaftliche Fakultät
übergetretene, 1949 zum außerordentlichen und 1959 zum ordentlichen Professor ernannte,
1983 emeritierte Rechtshistoriker, der eine eigene Schule Tiroler Rechtsgeschichte
der Alpwirtschaft gründet.
Lit.: Carlen,
L., Nachruf ZRG GA 118 (2001), 896; Oberkofler, G., Einige
wissenschaftshistorische Miniaturen aus Briefen und seine Korrespondenz mit dem
Prager Juden Guido Kisch, 2008
Gratian (Carraria
um 1100-Bologna? nach 1143 [um 1145 oder um 1150?]), (Mönch und) Magister der
Theologie in Bologna (sowie vielleicht später Bischof von Chiusi?), verfasst
zwischen 1125 und 1140 das Rechtsbuch →concordia discordantium canonum (→Decretum
Gratiani). Er begründet mit diesem in der endgültigen Fassung 3945 Kapitel ([lat.]
capitula) kirchenrechtlicher Quellen in einer schwer verständlichen Systematik
zusammenfassenden, die Widersprüche kommentierend auflösenden Werk die
kirchenrechtliche Wissenschaft. Als erster Teil des um 1500 nichtamtlich, 1582
amtlich so genannten Corpus iuris canonici bleibt es bis 1918 in Geltung.
Lit.: Köbler, DRG 102, 105; Plöchl, W.,
Das Eherecht des Magisters Gratianus, 1935; Kuttner, S., Graziano, 1953, 20;
Weigand, R., Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten, 1967, 132;
Kuttner, S., Research on Gratian, (in) Seventh International Congress of
medieval Canon Law, 1984; Weigand, R., Das kirchliche Wahlrecht im Dekret
Gratians, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997, 1331; Winroth, A.,
The Making of Gratian’s Decretum, 2000
Graubünden ist
der aus antihabsburgischen Bündnissen (1367 Gotteshausbund, 1395 Oberer oder
Grauer Bund) entstandene, seit 1497ff. zur →Eidgenossenschaft in
Beziehung tretende Kanton (1803/1815) der →Schweiz.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon;
Jecklin, F., Materialien zur Standes- und Landesgeschichte gemeiner III Bünde,
Teil 1f. 1907ff.; Caliezi, B., Der Übergang der Herrschaft Räzüns an den Kanton
Graubünden, 1920; Pieth, F., Die Umbildung des Freistaates
der drei Bünde in den Kanton Graubünden, Jahresbericht der
historisch-antiquarischen Gesellschaft von Graubünden 57 (1928); Liver, P., Vom
Feudalismus zur Demokratie, Jahresbericht der historisch-antiquarischen
Gesellschaft von Graubünden 1930; Lalive-Acatos, K., Das gesetzliche
Erbrecht Graubündens, 1931; Gillardon, P., Geschichte des Zehngerichtenbundes,
1936; Zur Fünfjahrhundertfeier des Zehngerichtenbundes, 1936; Müller, I., Die
Entstehung des grauen Bundes 1367-1424, Zs. f. schweiz. Gesch. 21 (1941), 137;
Maron, C., Das Zivilgericht nach den bündnerischen Statutarrechten, 1942;
Bündner Urkundenbuch, Bd. 1ff. bearb. v. Meyer-Marthaler, E. u. a., 1947ff.;
Die lex Romana Curiensis, hg. v. Meyer-Marthaler, E., 1959; Staatsarchiv
Graubünden, Einbürgerungen 1801-1960, hg. v. Jenny, R., 1965; Padrutt, C.,
Staat und Krieg im alten Bünden, 1965; Caroni. P., Einflüsse des deutschen
Rechtes Graubündens südlich der Alpen, 1970; Handbuch der Quellen und Literatur
der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff.
1973ff., 2,2,451; Der Gotteshausbund, hg. v. Schorta, A., Bd. 1f. 1980f.;
Bundi, M., Zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens, 1982;
Geschichte und Kultur Churrätiens, 1986; Cavigelli, M., Entstehung und
Bedeutung des Bündner Zivilgesetzbuches von 1861, 1994; Rathgeb, C., Die
Verfassungsentwicklung Graubündens im 19. Jahrhundert, 2003; Der
Zehngerichtenbund, bearb. v. Meyer-Marthaler, E., 2008
gravamen (lat.
[N.]) Last, Beschwerde (im Gegensatz zu Vorteil, Gewinn)
Gravina,
Gian Vincenzo (1664-1718), nach dem Studium in Scaela (Caloprese) und Neapel
(Biscardi) seit 1689 in Rom, wird Professor zunächst für Zivilrecht, 1703 für
kirchliches Recht. Sein Hauptwerk sind die 1701 veröffentlichten (lat.)
Origines (F.Pl.) iuris civilis (Ursprünge des weltlichen Rechtes).
Lit.: Ghisalberti, C., Gian Vincenzo
Gravina, 1962
Graz (zu
slaw. gradec, Bürglein) an der Mur wird 1164 als Markt neben einer Burg genannt
(Bestätigung der Freiheiten 27. 2. 1281 durch Rudolf von Habsburg). Seit 1379
ist es Residenz. (1584/)1586 erhält es zum Zweck der Gegenreformation eine (Jesuiten-)Universität,
neben der und an der auch juristischer Unterricht stattfindet. 1778 wird nach
Aufhebung des Jesuitenordens eine juristische Fakultät eingerichtet.
Lit.: Popelka, F., Geschichte der Stadt Graz, 1928;
Popelka, F., Die Bürgerschaft der Stadt Graz, 1941; Die Handschriften der
Universitätsbibliothek Graz, bearb. v. Kern, A., 1942; Ebert, K., Die Grazer Juristenfakultät
im Vormärz, 1969; Ebert, K., Die Pflege der Rechtsgeschichte an der Universität
Graz, ZRG GA 87 (1970), 239; Wesener, G., Römisches Recht und Naturrecht, 1978;
850 Jahre Graz, hg. v. Steinböck, W., 1978; Reformen des Rechts. Festschrift
zur 200-Jahr-Feier der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz,
hg. v. Sutter, N., 1979; Gebhardt, H., Die Grazer Polizei 1786-1850, 1992;
Wesener, G., Österreichisches Privatrecht an der Universität Graz, 2002; Geschichte
der Stadt Graz, hg. v. Brunner, W., 2003; Professoren erinnern sich, hg. v.
Wünsch, H., 2008; Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aus Graz, hg.
v. Acham, K., 2010
Gregor VII. („Hildebrand“ Sovana/Toskana um 1020/1025-Salerno (Exil)
25. 5. 1085) wird um 1045 vielleicht (lat.) cappellanus Papst Gregors VII.,
nach Rückkehr aus einem Exil (in Köln) Kardinalsubdiakon, 1058/1059 Archidiakon
und am 22. 4. 1073 mit etwa 50 Jahren durch Akklamation Papst. Im Investiturstreit
bekämpft er den weltlichen Einfluss auf die Besetzung kirchlicher Ämter. Unter
ihm erhalten kirchliche Rechtstexte größere Bedeutung.
Lit.: Berman, H., Recht und Revolution, 1991; Cowdrey, H., Pope Gregory VII., 1998;
Blumenthal, U., Gregor VII., 2001; Schieffer, R., Papst Gregor VII., 2010
Gregorius ist
der Verfasser des →Codex Gregorianus.
Gregor von Tours
(Clermont 30. 11. 538/539-Tours 17. 11. 594), aus gallorömischer adeliger
Bildungsschicht, seit 573 bzw. 576 Bischof von Tours, überliefert in seinen
zehn Büchern Geschichte (lat. Decem libri [M.Pl.] historiarum) glaubhaft. aber
auslegungsbedürftig wichtige Gegebenheiten der frühmerowingischen Frankenzeit.
Lit.: Gregorii episcopi Turonensis historiarum libri X, hg.
v. Krusch, B., 1884, 2. A. 1937ff.; Ringel, W., Das Strafrecht des Gregor von
Tours, Diss. jur. Leipzig 1912; Weidemann, M., Kulturgeschichte der
Merowingerzeit, 1982; Goffart, W., The Narrators of Barbarian History, 1988;
Heinzelmann, M., Gregor von Tours, 1994; Scheibelreiter, G.,
Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit, 1999; The World of Gregory
of Tours, hg. v. Mitchell, K. u. a., 2002
Greife ist
der Angehörige eines vor 1124 christianisierten Herzogsgeschlechts der Pomoranen
(Pommern), das seit 1215 einen Greifen im Wappen führt und 1631 ausstirbt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Wehrmann, M.,
Genealogie des pommerschen Herzogshauses, 1937
Greifswald nahe
der Ostsee am Fluss Ryck (um 1241 Marktsiedlung des Klosters Eldena, 1248
oppidum Gripheswald) mit →lübischem Stadtrecht (1250) erhält 1456 eine
Universität (1456-1524 3317 Immatrikulationen, Matrikel von 1456 bis 1700 von
Ernst Friedländer 1893f. veröffentlicht, Spruchfakultät 1561-1891, 1631-1815
unter der Herrschaft Schwedens, Professoren wirken auch am Konsistorium, am
Hofgericht und am Oberappellationsgericht), die 1945 von der Sowjetunion in
ihrer Besatzungszone geschlossen, 1991 aber im Bundesland
Mecklenburg-Vorpommern der Bundesrepublik Deutschland wieder eröffnet wird.
Lit.: Molitor, E., Die Greifswalder Juristenfakultät, FS
zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald, Bd. 2 1956; Seth, I., Die
Universität Greifswald und ihre Stellung in der schwedischen Kulturpolitik
1637-1815, 1956; Lorenz, S., Aktenversendung und Hexenprozess, 1983; Feltkamp,
K./Biederstedt, R., Greifswald, 1983; Vorholz, I., Die rechts- und
staatswissenschaftliche Fakultät, 2000; Das älteste Greifswalder Stadtbuch
(1291-1332), bearb. v. Poeck, D., 2000; Matthiesen, H., Greifswald in
Vorpommern, 2000; Link, A., Auf dem Weg zur Landesuniversität, 2000;
Greifswald, hg. v. Wernicke, H., 2000; Fietz, J., Nordische Studenten an der
Universität Greifswald, 2004; Die Matrikel der Universität Greifswald, hg. v.
Schmidt, R. u. a., Teil 1ff. 2004ff.; Die Universität Greifswald und die
deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Buchholz, W.,
2004; Justitia in Pommern, hg. v. Alvermann, D. u. a., 2004; Universität und
Gesellschaft, hg. v. Alvermann, D. u. a., 2006; Die pommerschen Hofgerichte,
hg. v. Jörn, N., 2007; Bausteine zur Greifswalder Universitätsgeschichte, hg.
v. Alvermann, D. u. a., 2008; Das Dekanatsbuch der philosophischen Fakultät der
Universität Greifswald 1456-1662, übers. v. Thümmel, H., 2008; Greifswald -
Spiegel der deutscher Rechtswissenschaft 1815 bis 1945, hg. v. Lege, J., 2009; Ott,
S., Die Rechtsprechung des Greifwalder Oberappellationsgerichts in
Strafsachen (1815-1849), 2009; Thümmel, H., Greifswald, 2010; Igel, K.,
Zwischen Bürgerhaus und Frauenhaus, 2010; Quellen zur Verfassungsgeschichte der
Universität Greifswald, hg. v. Alvermann, D. u. a., Bd. 1f. 2011f.
Grenze (mhd. granizze 1262, aus slaw. hranice, lat. granica älter, aus slaw.
hranice, vorhergehende ahd. Bezeichnung marka) ist die Trennungslinie zwischen zwei Bereichen,
insbesondere zwei Staaten oder zwei Grundstücken. Ursprünglich nur wenig genau
bestimmt, wird die G. mit wachsender Bevölkerungsdichte und zunehmender
Territorialisierung immer eindeutiger gekennzeichnet und gesichert (z. B.
Grenzsteine, 14. Jh. Schlagbäume). Für die Grenzfestlegung entwickeln sich
besondere technische Verfahren, deren Einhaltung strafrechtlich bewehrt wird.
Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit findet vielfach ein der
Herkunft nach unbekannter, der Vergewisserung dienender gemeinsamer jährlicher
Grenzumgang von Dorffluren und anderen Bereichen statt. Die Dialekte in
Grenzorten gleichen sich seit der Neuzeit infolge der Medien meist der
Standardsprache der übergeordneten politischen Einheit an.
Lit.: Hübner; Grimm, J., Deutsche Rechtsaltertümer, 1828,
Bd. 2 4. A. 1899, Neudruck 1922, 1989, 1994, 69; Erben, W., Deutsche
Grenzaltertümer aus den Ostalpen, ZRG GA 43 (1922), 1; Bader, K., Der schwäbische
Untergang, 1933; Grenzrecht und Grenzzeichen (, hg. v. Bader, K.), 1940; Karp,
H., Grenzen in Ostmitteleuropa, 1972; Nicklis, H., Von der grenitze zur Grenze,
Bll. f. d. Landesg. 128 (1992), 1; Deutschlands Grenzen in der Geschichte, hg.
v. Demandt, A., 3. A. 1993; Schildt, B., Bauer - Gemeinde - Nachbarschaft,
1996; Simmerding, F., Grenzzeichen, 1997; Menschen und Grenzen in der frühen
Neuzeit, hg. v. Schmale, W. u. a., 1998; Grenze und Differenz im frühen
Mittelalter, hg. v. Pohl, W. u. a., 2000; Grenzen in Ostmitteleuropa, hg. v. Lemberg,
H., 2000; Grenzen weltweit, hg. v. Becker, J. u. a., 2. A. 2006; Die Grenze als
Raum, hg. v. François, J. u. a., 2007; Grenzen in Europa, hg. v. Gehler, M. u.
a., 2009; Philippi, N., Grenzsteine in Deutschland, 2009; Grenzziehungen, hg.
v. Schwark, T. u. a., 2011; Grenzen im Raum - Grenzen in der Literatur, hg. v.
Geulen, E. u. a. 2011
Greyerz (Gruyères)
Lit.: Vevey, B. de, Le droit de Gruyères, 1939,;Rennefahrt,
H., Der Geltstag des letzten Grafen von Greyerz, Zs. f. schweiz. Gesch. 22
(1942), 321
Grieche ist
der Angehörige des die griechische Sprache sprechenden, von den Indogermanen
abstammenden Volkes, das im 2. Jt. v. Chr. in den Südosten Europas eindringt.
Nach dunklen, erst mit den 27803 Versen (Homers) von Ilias und Odysee sich
lichtenden Jahrhunderten (1200-800 v. Chr.) bilden die Griechen in der Mitte
des 1. Jt.s v. Chr. den Stadtstaat (griech. [F.] polis) aus (Sparta, Athen und
viele andere). Sie führen die Wissenschaften auf einen hohen Stand (Thales, Anaximander,
Anaximenes, Xenophanes, Heraklit, Demokrit, Pythagoras, Sokrates, Plato,
Aristoteles, Geschichtsschreiber Herodot, Thukydides, Polybios). Ihr Recht ist
durch schon im 8. oder 7. Jh. v. Chr. einsetzende Gesetzgebung (Lykurg, Solon,
Drakon, weiter Zaleukos, Charondas, Philolaos, Pheidon) und die
rechtsphilosophische Unterscheidung von natürlichem Recht (→Naturrecht)
und von Menschen gesetztem Recht gekennzeichnet. Eine besondere Rechtswissenschaft
ist nicht näher bekannt. Aus dem 5. und 4. Jh. v. Chr. sind Gerichtsreden und
Inschriften (u. a. Recht von Gortyn auf Kreta um 450 v. Chr.) überliefert, seit
dem 3. Jh. v. Chr. Papyri (in Ägypten). Insgesamt ist die erhaltene griechische
Literatur der Antike (Homer, Hesiod, Herodot, Pindar. Thukydides, Spohokles,
Eurypides, Lysias, Aristophanes) sehr viel umfangreicher als die lateinische. Europa
verdankt den Griechen vor allem die Vorstellung politischer und persönlicher
Freiheit sowie Grundlagen von Literatur, Philosophie und Wissenschaft.
Lit.: Köbler, DRG 15, 16, 29; Zachariae von Lingenthal, K.,
Geschichte des griechisch-römischen Rechtes, 1877, 3. A. 1892, Neudruck 1955;
Mühl, M., Untersuchungen zur altorientalischen und althellenischen
Gesetzgebung, 1963; Mummenthey, H., Zur Einführung: Griechisches Recht, JuS
1969, 307; Wolff, H., Das Recht der griechischen Papyri Ägyptens, 1978; Biscardi,
A., Diritto greco antico, 1982; Triantaphyllopoulos, J., Das Rechtsdenken der
Griechen, 1985; Lendle, O., Einführung in die griechische Geschichtsschreibung,
1992; Greek Law, hg. v. Foxhall, L. u. a., 1996; Burkert, W., Die Griechen und
der Orient, 2003; Cerchiai, L. u. a., Die Griechen in Süditalien, 2004; Köbler,
G., Rechtsgriechisch, 2004, 2. A. 2011; Greek Colonization, hg. v.
Tsetskhladze, G., 2006ff.; Karvounis, C., Aussprache und Phonologie im
Altgriechischen, 2007, 2. A. 2009; Köbler, G., Altgriechisches Abkunfts- und
Wirkungswörterbuch, 2007 (im Internet); Szlezák, T., Was Europa den Griechen
verdankt, 2010; Handbuch der griechischen Literatur der Antike, hg. v.
Zimmermann, B., Bd. 1 2011; A new Working Bibliography of Ancient Greek Law,
hg. v. Sundahl, M. u. a., 2011; Robinson, E., Democracy beyond Athens, 2011
Griechenland ist
der südosteuropäische, zwischen Italien und der Türkei gelegene, seit 1. 1.
1981 der →Europäischen Gemeinschaft (1993 →Europäischen Union)
angehörende Staat. Sein anfangs durch viele Stadtstaaten (z. B. →Athen)
gekennzeichnetes Gebiet wird seit 336 v. Chr. unter Makedonien vereinigt,
gelangt 146 v. Chr. unter die Herrschaft der Römer, wird 330 n. Chr. Ostrom
bzw. →Byzanz zugeteilt und fällt 1453 an die Osmanen (Türken). Seit dem
4. 3. 1821 erheben sich die Griechen gegen die osmanische Herrschaft. Nach
Erringung der Unabhängigkeit wird 1828 bzw. mit Gesetz vom 23. 2. 1835 der →Hexabiblos
(von 1345 n. Chr.) als vorläufiges Zivilgesetzbuch bestimmt. Am 3. 2. 1830
wird G. als unabhängige Erbmonarchie anerkannt, zu dessen König 1832 der
bayerische Prinz Otto von Wittelsbach bestimmt wird. Der Code de commerce
(Handelsgesetzbuch) Frankreichs wird übernommen. Das danach geschaffene Recht
ist vom deutschen Recht der Pandektistik geprägt (1832-1834 bzw. 1833-1835 Georg
Ludwig von Maurer Strafgesetz, Strafprozessordnung, Gerichts- und Notariatsordnung,
Zivilprozessordnung, Vorbereitung eines Zivilgesetzbuchs, daneben Ionisches
Zivilgesetzbuch 1841, Zivilgesetzbuch von Samos 1899, Kretisches
Zivilgesetzbuch 1903). Das Verwaltungsrecht steht unter dem Einfluss
Frankreichs. 1940 wird das vom deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, aber auch von
Frankreich und der Schweiz beeinflusste Zivilgesetzbuch geschaffen, dessen
Inkrafttreten am 23. 2. 1946 die Geltung des gemeinen Rechtes (→Hexabiblos)
beendet. Am 21. 4. 1967 putscht die Armee gegen den König, am 1. 6. 1973 wird
die Republik ausgerufen. 1981 tritt Griechenland den europäischen
Gemeinschaften bei, so dass das griechische Recht seitdem unter den Einfluss
des europäischen Rechtes der Europäischen Gemeinschaft(en) bzw. der
Europäischen Union gerät. Um 2010 gerät G. wegen seines überhöhten Staatshaushaltdefizits
ain eine wirtschaftlich sehr schwierige Lage.
Lit.: Ius Graeco-Romanum, hg. v.
Zachariae von Lingenthal, K., Bd. 1ff. 1856ff.; Lipsius, J., Das attische
Recht, Bd. 1ff. 1905ff., Neudruck 1984; Ius Graeco-Romanum, hg. v. Zepoes, J.
u. a., 1931, Neudruck 1962; Jones, J., The Law and Legal Theory of the Greeks,
1956; Mantzoufas, G., Über griechisches Prvatrecht, 1955; Sontis, J., Das
griechische Zivilgesetzbuch, ZRG RA 78 (1961), 355; Plagianokos, G., Die
Entstehung des griechischen Zivilgesetzbuchs, 1963; Woodhouse, C., The story of
modern Greece, 1968; Wolff, H., Zur griechischen Rechtsgeschichte, 1968; Larsen,
J., Greek Federal States, 1968; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
3,5,473; Lexikon des frühgriechischen Epos, hg. v. Thesaurus linguae Graecae,
begr. v. Snell, B., Bd. 1-5 1979 ff.; Gschnitzer, F., Griechische
Sozialgeschichte, 1981, 2. A. hg. v. Chaniotis, A. u. a. 2013; Triantafyllopoulos,
J., Das Rechtsdenken der Griechen, 1985; Bengtson, H., Griechische Geschichte,
8. A. 1994; Schuller, W., Griechische Geschichte, 4. A. 1995, 6. A. 2008; Bauman,
R., Political Trials in Ancient Greece, 1990, Neudruck 2013; Inschriftliche
Gesetzestexte der frühen griechischen Polis, hg. v. Hallof, K., 1993; Selb, W.,
Antike Rechte im Mittelmeerraum, 1993; Passow, F., Handwörterbuch der
griechischen Sprache, 5. A. 1993; Inschriftliche Gesetzestexte, hg. v. Hallof,
K., 1993; Troianos, S. u. a., Istoria dikaiou, 1993, 3. A. 2002; Argyriades,
C., Staatsbilder und Rechtspraktiken, 1994; Christ, C., Griechische Geschichte,
1996; Wesel, U., Geschichte des Rechts, 3. A. 2006; Osborne, R., Greece in the
Making (100-479 BC), 1996, 2. A. 2009; Rhodes, P./Lewis, D., The Decrees of the
Greek States, 1997; Einleitung in die griechische Philologie, hg. v.
Nesselrath, H., 1997; Große Gestalten der griechischen Antike, hg. v.
Brodersen, K., 1999; Price, S., Religions of the Ancient Greeks, 1999; Thomas,
C./Conant, C., Citadel to City-State, 1999; Botsiou, K., Griechenlands Weg nach
Europa, 1999; Hölkeskamp, K., Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im
antiken Griechenland, 1999; Rosen, K., Griechische Geschichte erzählt, 2000;
Riemer, P./Weißenberger, M./Zimmermann, B., Einführung in das Studium der
Gräzistik, 2000; Verfassungsgeschichte und Staatsrechtslehre.
Griechisch-deutsche Wechselwirkungen, hg. v. Kassimatis, G. u. a., 2000;
Encyclopedia of Greece and the Hellenic Tradition, hg. v. Speake; G., 2000;
Welwei, K., Die griechische Frühzeit, 2002; Lotze, D., Griechische Geschichte,
5. A. 2003; Rose, H., Griechische Mythologie, (10. A.) 2003; Buckler, J., Aegean
Greece in the Fourth Century BC, 2003; Stahl, M., Gesellschaft und Staat bei
den Griechen, 2003; Barceló, P., Kleine griechische Geschichte, 2004; Köbler,
G., Rechtsgriechisch, 2004; Barta, H., Zur juristischen Professionalisierung im
alten Griechenland, FS Rudolf Welser, 2004, 27; Osborne, R., Greek History,
2004; Sünderhauf, E., Griechensehnsucht und Kulturkritik, 2004; Linke, B.,
Religion und Herrschaft im archaischen Griechenland, HZ 280 (2005), 1; The
Cambridge Companion to Ancient Greek Law, hg. v. Gagarin, M., 2005; A Companion
to the Classical Greek World, hg. v. Kinzl, K., 2006; Freitag, K., Ethnogenese,
Ethnizität und die Entwicklung der griechischen Staatenwelt in der Antike, HZ
285 (2007), 373; Low, P., Interstate Relations in Classical Greece, 2007; Schmitz,
W., Haus und Familie im antiken Griechenland, 2007; Prosopography and
Onomasticon of Aegean Thrace, hg. v. Parissaki, M., 2007; Gagarin. M., Writing
Greek Law, 2008; Introduction to Greek Law, hg. v. Kerameus-Kouyris, K., 3. A. 2008;
Das Bild Griechenlands im Spiegel der Völker, hg. v. Konstantinou, E., 2008; Schulz,
R., Kleine Geschichte des antiken Griechenland, 2008; Fischer, J., Griechische
Frühgeschichte bis 500 v. Chr., 2009; Zeitler, C., Zwischen Formalismus und
Freiheit, Diss. jur. Passau 2009 (Prozess gegen Sokrates); Cartledge, P.,
Ancient Greece, 2009; A Companion to Archaic Greece, hg. v. Raaflaub, K. u. a.,
2009; Bers, V., Genos dikanikon, 2009; Die griechische Welt, hg. v.
Stein-Hölkeskamp, E. u. a., 2010; Barta, H., Graeca non leguntur?, 2010ff.; Welwei,
K., Griechische Geschichte, 2011; Griechische Heiligtümer als Erinnerungsorte,
hg. v. Haaske, M. u. a., 2011; Dreyer, B., Polybios, 2011; Parashu, D., Die
Weimarer Reichsverfassung und die Verfassung der 2. hellenischen Republik von
1927, 2012; Farenga, V., Citizen and Self in Ancient Greece, 2012; Lambert, S.,
Inscribed Athenian Laws and Decrees 352/1-322/1 BC, 2012; Polybios und seine Historien, hg. v.
Grieb, V. u. a., 2013; Froehlich, S., Handlungsmotive bei Herodot, 2013
Grimm,
Jakob (Jacob Ludwig Carl) (Hanau 4. 1. 1785-Berlin 20. 9. 1863), Amtmannssohn,
wird nach der Kindheit in Steinau, dem frühen Tod des Vaters und der Mutter und
dem Schulbesuch in Kassel (1798), dem Rechtsstudium in Marburg (1802) (Savigny)
und der Begleitung Savignys (Januar-September 1805) nach Paris 1806
Sekretäranwärter des Kriegskollegiums in Kassel und nach dem abschlusslosen Abbruch
des Rechtsstudiums (1807) 1808 Privatbibliothekar des Königs von Westphalen
in Kassel, 1816 nach dem Ende Westphalens kurfürstlicher zweiter Bibliothekar
in Kassel (1819 philologischer Ehrendoktor Marburgs, 1828 nach Erscheinen der deutschen
Rechtsaltertümer juristischer Ehrendoktor der Universitäten Berlin und Breslau
sowie später Prag) und 1829/1830 Professor der Germanistik in Göttingen. 1837
wird er als einer der Göttinger Sieben (→Göttingen) des Amtes enthoben, 1838/1840
mit festen Bezügen nach Berlin an die Akademie der Wissenschaft geholt. 1828
erscheinen nach den Kinder- und Hausmärchen (1812ff., zusammen mit Wilhelm
Grimm [Hanau 24. 2. 1786-Berlin 16. 12. 1859, 1803 Studium der
Rechtswissenschaft in Marburg, 1806 Abschluss, 1819 Ehrendoktor Marburg]), den
deutschen Sagen (1816ff.) und der deutschen Grammatik (1819) seine deutschen Rechtsaltertümer,
über die er in Berlin auch Vorlesungen hält, seit 1840 seine deutschen
Weistümer sowie 1854ff. sein seit 1836 oder 1837 vorbereitetes deutsches
Wörterbuch von Luther bis Goethe, durch die Jakob G. den germanistischen Teil
der historischen Rechtsschule nicht unmaßgeblich beeinflusst.
Lit.: Köbler, DRG 188; Grimm, J., Von der Poesie im Recht,
Z. f. gesch. Rechtswissenschaft 2, 1 (1816), 25; Grimm, J./Grimm, W., Deutsches
Wörterbuch, Bd. 1ff. 1854ff.; Hübner, R., Jakob Grimm und das deutsche Recht,
1895; Briefe der Brüder Grimm, hg. v. Leitzmann, A., 1923; Briefwechsel der
Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann, hg. v. Leitzmann, A., 1927; Gerstner,
H., Brüder Grimm, 1952, 9. A. 1997; Briefe der Brüder Grimm an Savigny, hg. v.
Schoof, W., 1953; Wieacker, F., Gründer und Bewahrer, 1959, 144; Ebel, W.,
Jakob Grimm und die deutsche Rechtswissenschaft, 1963; Schuler, T., Jacob Grimm
und Savigny, ZRG GA 80 (1963), 197; Grimm, J., De desiderio patriae, hg. v.
Ebel, W., 1967; Denecke, L., Jakob Grimm und sein Bruder Wilhelm, 1971; Jacob
Grimms deutsche Altertumskunde, hg. v. Ebel, E., 1974; Seitz, G., Die Brüder
Grimm, 1984; Wyss, U., Jakob Grimms Selbstbiographie, 1984; Dilcher, G., Jakob
Grimm als Jurist, JuS 1985, 931; Der Nachlass der Brüder Grimm, bearb. v.
Breslau, R., 1997; Hussong, U., Jacob Grimm und der Wiener Kongress, 2002; Kultur
und Politik, hg. v. Heidenreich, B. u. a. 2003; Briefwechsel der Brüder Jacob
und Wilhelm Grimm mit Gustav Hugo, hg. v. Bialas, S., 2004; Die Brüder Grimm in
Berlin, red. v. Kaindl, K. u. a., 2004; Briefwechsel der Brüder Jacob und
Wilhelm Grimm mit den Verlegern des „Deutschen Wörterbuchs“, hg. v. Kirkness,
A., 2007; Martus, S., Die Brüder Grimm, 2009; Die Brüder Grimm in Marburg, hg.
v. Hedwig, A., 2013
Groenbech, Vilhelm Peter (Allinge/Bornholm 14. 6. 1873-Helsingoer/Nordseeland 21.
4. 1948), 1902 Dissertation zur Lautgeschichte des Türkischen dänischer
Religionshistoriker in Kopenhagen (1915-1943), der eine Gesamtschau der germanischen
Kultu versucht.
Lit.: Vor
folkeaet i oldtiden, 1909ff.; Nachruf ZRG GA 66 (1948), 597f. (Erler, Adalbert)
Groicki, Bartolomaeus (Rzesszów 1534?-Krakau 1605), 1559 Schreiber des Oberhofs
Krakaus, 1558 erstes juristisches Buch in polnischer Sprache, seine Werke
ersetzen in der Gerichtspraxis das fehlende Gesetzbuch des Stadtrechts
Lit.:
Kowalski, G., Bartlomiej Groicki, 2005
Grolman,
Karl Ludwig Wilhelm von (Gießen 23. 6. 1775-Darmstadt 14. 2. 1829) wird nach
dem Rechtsstudium in Gießen und Erlangen Professor in Gießen und 1819
Staatsminister in Hessen-Darmstadt. Er setzt sich für die Auffassung ein, dass
es Sinn der Strafe sei, durch Einwirkung auf Straftäter deren künftigen
Verbrechen vorzubeugen (→Spezialprävention).
Lit.: Esselborn, K., Grolman, (in) Hessische Biographien,
Bd. 3 1934, 157; Röger, M., Karl Ludwig Wilhelm von Grolman, Diss. jur. Gießen
1995; Cattaneo, M., Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus, 1998
Groningen wird
im Jahre 1000 erstmals erwähnt. 1559 wird es in den Niederlanden Sitz eines
Bischofs. 1614 erhält es eine Universität Jean Barbeyrac, Anton Matthäus).
Lit.: Peters, C., Oud Groningen, 1907; Iterson, W. van, Die
Stadt Groningen und ihre Beziehungen zum Reich, ZRG GA 85 (1965), 99; Onderwijs
en onderzoek, hg. v. Huussen, A. jr., 2003
Grönland ist
die verwaltungsmäßig zu →Dänemark gehörende größte Insel der Erde. G.
wird wohl schon 900 von →Wikingern entdeckt. Die ab 982 anschließende
Besiedlung geht im Spätmittelalter unter. 1721 beginnt eine Neubesiedlung unter
Dänemark. Unter dem dänischen Recht erhält G. 1979 Selbstverwaltung.
Lit.: Dúason, J., Grønlands retsstilling i middelalderen,
1934; Dúason, J., Die koloniale Stellung Grönlands, 1955; Gad, F., The History
of Greenland, 1965; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,525; Schmidt,
M., Grönland - Wo Nacht und Kälte wohnt, 2011
Großbritannien ist der nordwesteuropäische, zwischen Irland und
Frankreich gelegene, seit 1. 1. 1973 der →Europäischen Gemeinschaft bzw.
seit 1993 der →Europäischen Union angehörende Staat. Er entsteht 1707
durch die Überführung der 1603 gebildeten Personalunion zwischen England und
Schottland in eine →Realunion (Vereinigung des englischen und schottischen
Parlaments). Sein amtlicher Name lautet United Kingdom of Great Britain and
Northern Ireland (Selbstverwaltung 1999, zeitweise aufgehoben). Seit der Thronbesteigung
des Hannoveraners Georg I. (1714) wird es durch Handel und Industrie das reichste
Land der Welt (ein Viertel der Eroberfläche, ein Viertel der Weltbevölkerung,
aber Autonomie seit 1855 für Neufundland, 1867 Kanada, 1901 Australien, 1907
Neuseeland, 1920 Südafrika). Seit dem 20. Jh. geht seine Bedeutung weltweit
zurück. Durch das Westminsterstatut vom 11. 12. 1931 wird die Bezeichnung
Empire für das britische Weltreich durch die Bezeichnung Commonwealth ersetzt.
Die ungeschriebene Verfassung Großbritanniens nähert sich unter dem Einfluss
des Europarechts den kontinentaleuropäischen Verfassungen an (1998 Human Rights
Act zur Aufnahme der Europäischen Menschenrechtskonvention). →England, →Schottland,
→Irland
Lit.: Jennings, I., The British Constitution, 4. A. 1961;
Hrebek, R./Keutsch, W., Gesellschaft und Staat in Großbritannien, 1971; Ritter,
G., Parlament und Demokratie in Großbritannien, 1972; Wellenreuther, H., Der
Aufstieg des ersten britischen Weltreichs, 1987; Metz, K., Industrialisierung
und soziale Sicherheit, 1988; British Biographical Index, hg. v. Bank, D.,
1990; Speck, W., A Concise History of Britain, 1993; Rubin, G., Private
Property, 1994; Händel, H./Gossel, D., Großbritannien, 3. A. 1994; Oxford
Dictionary of National Biography, Bd. 1ff. 1992ff.; Hübner, E./Münch, U., Das
politische System Großbritanniens, 1998; Brodersen, K., Das römische
Britannien, 1998; The Oxford History of the British Empire, hg. v. Marshall,
P., Bd. 1f., 1998ff.; Ottow, R., Eine kommentierte Bibliographie zum britischen
Verfassungsdenken der frühen Neuzeit, 1999; Todd, M., Romain Britain, 3. A.
1999; Oxford History of the British Empire, Bd. 3 hg. v. Winks, R., 1999; A
Handbook of Dates, for Students of British History, ed. by Cheney, C. R.,
revised by Jones, M., 2000; Tompson, R., Islands of law, 2000; Schnurmann, C.,
Vom Inselreich zur Weltmacht, 2001; Wende, P., Großbritannien 1500 bis 2000,
2001; Schieren, S., Die stille Revolution – Der Wandel der britischen
Demokratie unter dem Einfluss der europäischen Integration, 2001; Moeder, R.,
Inzidente Gesetzesprüfung im Vereinigten Königreich, 2002; Fröhlich, M.,
Geschichte Großbritanniens von 1500 bis heute, 2004; Mergel, T., Großbritannien
seit 1945, 2005; Asch, R., Jakob I. (1566-1625), 2005; Webster, A., The Debate
on the Rise of the British Empire, 2006; Thompson, A., Britain, Hanover and the
Protestant Interest 1688-1756, 2006; The Hanoverian Dimension in British
History 1714-1837, hg. v. Simms, B. u. a. 2007: Wende, P., Das britische
Empire, 2008; Games, A., The Web of Empire, 2008; The Seventeenth Century, hg.
v. Wormald, J., 2008; The Judicial House of Lords 1876-2009, hg. v.
Blom-Cooper, L., 2009; Brüggemeier, F., Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert,
2010; Wasson, E., A History of Modern Britain, 2010; Rose, A., Zwischen Empire
und Kontinent, 2011; Angster, J., Erdbeeren und Piraten - Die Royal Navy und
die Ordnung der Welt 1770 bis 1860. 2012, 2. A. 2012; Ibhawoh, B., Imperial
Justice. Africans in Empire’s Court, 2013
großdeutsch (Adj.) den deutschen Sprachraum einschließlich Österreichs umfassend
Großherzog ist
der den Fürstentitel Herzog erhöhende Fürstentitel (Toskana 1569, Berg,
Hessen-Darmstadt 1806, Luxemburg 1815).
Grotius (de
Groot), Hugo (Huig) (Delft 10. 4. 1583-(nach Schiffbruch bei) Rostock 28. 8.
1645), Patrizierssohn, wird nach dem 1594 begonnenen Studium (vor allem der
Philologie und Geschichte) in Leiden und der (wohl vor allem ehrenhalber
erfolgten) juristischen Promotion in Orléans (1598, 15jährig, 1598-1600 Traktat
de republica emendanda) 1599 mit 16 Jahren Anwalt in Den Haag, 1607
Oberstaatsanwalt bei dem Gerichtshof von Holland und 1613 Syndikus Rotterdams
1604/1605 oder 1606-1608 erarbeitet er in und nach Verteidigung von Ansprüchen
der Vereinigten Ostindischen Kompagnie (VOC von 1602), deren Aktionär er war,
gegen auf Aneignung, Besitz, Papst und Gewohnheit gegründete Ansprüche
Portugals das auch auf römisches Recht und antike Ethik gestützte Werk (lat.)
De iure praedae commentarius (Vom Recht der Beute, verfasst 1604-1606, 12.
Kapitel veröffentlicht 1609 unter dem Titel Mare liberum, Freies Meer), in dem
er zu Gunsten der Handelsgesellschaft den Grundsatz der Freiheit der Meere
vertritt. 1619 wird er mit 36 Jahren als Remonstrant aus politischen Gründen zu
lebenslanger Haft verurteilt, aus der er 1621 in einer Bücherkiste nach
Frankreich flieht (1631 Holland, 1632 Hamburg, 1634 Botschafter Schwedens in
Frankreich, 1645 Rückreise nach Schweden). In der Gefangenschaft (1619-1621) verfasst
er die 1631 veröffentlichte niederländische, der Systematik der Institutionen
Justinians folgende Inleydinge tot de Hollandsche Rechts-Geleertheyd, in der
Verbannung (1621ff.) auf der Grundlage der spanischen Spätscholastik Vitoria,
Soto, Vasquez de Menchaca, Molina) sein das Recht der ganzen Menschheit
umfassendes Hauptwerk (lat.) De iure belli ac pacis libri tres (, 1625, Drei
Bücher Kriegs- und Friedensrecht [einschließlich etwa von Eigentum, Vertrag,
unerlaubter Handlung oder Strafe]). Damit begründet er über die aus der
Moraltheologie stammenden Naturrechtslehren das Naturrecht in der Rechtswissenschaft,
dessen Sätze unmittelbar aus der vernünftigen Natur des Menschen folgen und
auch gelten würden, wenn es Gott nicht gäbe, und festigt das Völkerrecht.
Lit.: Köbler, DRG 144, 146; Lee, R., The Jurisprudence of
Holland by Hugo Grotius, 1926; Inleidinge tot de Hollandsche
Rechts-Geleerdheid, beschreven bij Hugo de Groot, hg. v. Fockema Andreae,
S./Apeldoorn, L. van, 1926; Wolf, E., Grotius, Pufendorf, Thomasius, 1927; Ter
Meulen, J. u. a., Bibliographie des écrits imprimés de Hugo Grotius, 1950; Wellschmied,
K., Zur Entstehung und Bedeutung der Inleidinge tot de Hollandsche
Rechts-Geleerdheid von Hugo Grotius, ZRG GA 69 (1952), 155; Groot, Hugo de,
Inleidinge tot de Hollandsche Rechts-Geleerdheid, hg. v. Dovring, F. u. a.,
1952; Wehberg, H., Hugo Grotius, 1956; Dießelhorst, M., Die Lehre des Hugo
Grotius vom Versprechen, 1959; ter Meulen, J./Diermanse, P., Bibliographie des
écrits sur Hugo Grotius imprimés au 17e siècle, 1961; Hugonis Grotii Instutiones
juris Hollandici e Belgico in Latinam sermonem translatae, hg. v. Fischer, H.,
1962; De Pauw, F., Grotius and the Law of Sea, 1965; Brandt, R.,
Eigentumstheorien von Grotius bis Kant, 1974; Link, C., Hugo Grotius als
Staatsdenker, 1983; The World of Hugo Grotius, hg. v. Feenstra, R. u. a., 1984;
Hugo Grotius and International Relations, hg. v. Bull, H. u. a., 1990, 133; Das
römisch-holländische Recht, hg. v. Feenstra, R. u. a., 1992; Schnepf, R.,
Naturrecht und Geschichte bei Hugo Grotius, ZNR 1998, 1; Grunert, F., Von der
Morgenröte zum hellen Tag, ZNR 2003, 204; Staat bei Hugo Grotius, hg. v.
Konegen, N. u. a. 2005; Straumann, B., Hugo Grotius und die Antike, 2007;
Nellen, H., Grotius, 2007; Hugo, Grotius. Liberum mare (1609-2009), hg. v.
Feenstra, R.,, 2009
Grund (Wort bereits für das
Germanische zu erschließen)
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Grundbuch (Wort in einem einfacheren Sinn Wien 1389 belegt, Grundbuchamt Preußen
1872, Grundbuchberichtigung 1872) ist
das vom Grundbuchamt geführte, alle die Rechtsverhältnisse an Grundstücken
betreffenden Beurkundungen aufnehmende öffentliche Register. Die ältesten
Belege des Wortes verstehen unter G. allerdings nur ein Verzeichnis der Grundstücke
und Einkünfte einer Grundherrschaft. Die Ursprünge des Grundbuchs liegen im
Mittelalter (→Köln um 1130 →Schreinskarten, Metz [1197], Andernach
[12. Jh.], Lübeck [1284], österreichische Städte [14. Jh.]). Die Ordnung
erfolgt zunächst nach Geschehniszeitpunkten oder nach Personen
(Personalfoliensystem), in Anklam (1401) und Hannover (1428) bereits nach
einzelnen Grundstücken (Realfoliensystem). Die Aufzeichnung dient anfangs der
Gedächtnisstützung, gewinnt später aber selbständigen (konstitutiven)
Rechtswert. Die Aufnahme des römischen Rechtes drängt das G. zurück. Zwecks
Verbesserung des Grundstücksverkehrs ordnet Preußen am 28. 9. 1693 für Berlin
ein Erb- und Lagerbuch mit der Folge mangelnder Geltung von Pfandrechten bei
Nichteintragung an, erlässt eine Hypothec- und Concursordnung vom 22. 2. 1722 und
eine allgemeine Hypothekenordnung vom 20. 12. 1783 (Realfolium). Zunächst nur
in Sachsen, seit dem 19. Jh. allgemein (Sachsen Grundbuch- und Hypothekengesetz
vom 6. 11. 1843, Österreich [1794 böhmisches Landtafelpatent, 1812 Allgemeines
Bürgerliches Gesetzbuch mit Eintragungsgrundsatz und Vertrauensgrundsatz,]
1871 Grundbuchsgesetz [in Tirol und Vorarlberg chronologisch geordnete
Verfachbücher bis 1897 bzw. 1900, 1951 Anlegung des Grundbuchs in Vorarlberg
vollendet, 1955 Neufassung Allgemeines Grundbuchsgesetz ohne grundlegende
Neuerungen], Preußen Gesetz über den Eigentumserwerb und die dingliche
Belastung der Grundstücke 5. 5. 1872, Deutsches Reich Grundbuchordnung 24. 3.
1897), setzt es sich aus Verkehrsbedürfnissen durch (Dreiteilung in a) Eigentümer
und Erwerbsgrund, b) Belastungen wie Reallasten, Dienstbarkeiten u. s. w., c) Grundpfandrechte wie Hypotheken u. s. w., 1935 Vereinheitlichung der in den
Ländern unterschiedlichen Ausführung). 1995 beschließt Griechenland als (bislang)
letzter Mitgliedstaat der Europäischen Union, (bis 2009) ein G. einzurichten.
Seit etwa 1980 wird das Grundbuch elektronisiert bzw. digitalisiert (vgl. § 126
I 1 GBO).
Lit.: Hübner 235; Köbler, DRG 125, 163, 212; Mascher, H.,
Das deutsche Grundbuch- und Hypothekenwesen, 1869; Randa, A., Die
geschichtliche Entwicklung des Institutes der öffentlichen Bücher in
Österreich, Z. f. d. Privat- und öffentl. Recht 6 (1879), 81; Aubert, L.,
Beiträge zur Geschichte der deutschen Grundbücher, ZRG GA 14 (1893), 1; Rehme,
P., Geschichte des Münchener Grundbuchs, FS Hermann Fitting, 1903; Das zweite
stralsundische Stadtbuch (1310-1342), bearb. v. Ebeling, R., 1903; Rehme, P.,
Über das älteste bremische Grundbuch (1438-1558), 1908; His, E., Geschichte des
Basler Grundbuchs, 1915; Kovats, F., Pressburger Grundbuchführung, ZRG GA 39
(1918), 45; Grundbuch des Kölner Judenviertels 1135-1425, bearb. v. Kober, A.,
1920, Neudruck 2000; Hedemann, J., Die Fortschritte des Zivilrechts im 19.
Jahrhundert, II, 2, 1935; Conrad, H., Liegenschaftsübertragung und Grundbucheintragung,
1935; Demelius, H., Österreichisches Grundbuchsrecht, 1948; Abendroth, K., Die
Klauseleintragungen der hamburgischen Grundbücher, Diss. jur. Hamburg 1950;
Wandel, R., Der Beitrag der Steuer- und Güterbücher zur Entwicklung des
Grundbuches in Württemberg, Diss. jur Tübingen (um 1958); Hammer, E., Die
Geschichte des Grundbuchs in Bayern, 1960; Deckwirth, H., Das Haus- und
Verlassungsbuch der Altstadt Hannover, Hans. Geschichtsbll. N.F. (1971), 1;
Brauneder, W., Grundbuch und Miteigentum im „Tractatus de iuribus
incorporalibus“, ZRG GA 94 (1977), 218; Buchholz, S., Abstraktionsprinzip und
Immobiliarrecht, 1978; Niklaus, J., Die Geschichte des Grundbuchs im Kanton
Bern, 1999; Böhringer, W., Historie und Vergleich, Rechtspfleger-Studienhefte
1997, 33; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Grunddienstbarkeit (1721) ist die →Dienstbarkeit
(lat. [F.] servitus), bei der ein Grundstück zugunsten des jeweiligen
Eigentümers eines anderen Grundstücks in der Weise belastet wird, dass dieser
das Grundstück in einzelnen Beziehungen benutzen darf, dass auf dem Grundstück
gewisse Handlungen nicht vorgenommen werden dürfen oder dass die Ausübung eines
Rechtes ausgeschlossen ist. Dem älteren deutschen Recht ist die G. fremd. Mit
der Zunahme der Siedlungsdichte entwickeln sich Nutzungsrechte an fremden
Grundstücken. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes im ausgehenden
Mittelalter dringt die Unterscheidung von bloß bestimmten Personen zustehenden
(persönlichen) Dienstbarkeiten und den dem jeweiligen Eigentümer eines
Grundstücks zustehenden Dienstbarkeiten (Grunddienstbarkeiten) ein.
Lit.: Köbler, DRG 41; Naendrup, H., Zur Geschichte
deutscher Grunddienstbarkeiten, 1900; Vleuten, M. van, Die Grunddienstbarkeiten
nach altwestnordischem Rechte, 1902; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd.
1f. 1985ff.; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Grundeigentum ist das →Eigentum an einem →Grundstück. Im Mittelalter ist
das Grundstück vielfach lehnsrechtlich oder grundherrschaftlich gebunden. Im
19. Jh. werden diese Bindungen aufgehoben.
Lit.: Judeich, A., Die Grundentlastung in Deutschland,
1863; Brünneck, W. v., Zur Geschichte des Grundeigentums in Ost- und
Westpreußen, 1891, 1895, 1896; Hausmann, S., Die Grundentlastung in Bayern,
1892; Loening, O., Grunderwerb und Treuhand in Lübeck, 1907; Dyckerhoff, E.,
Die Entstehung des Grundeigentums und die Entwicklung der gerichtlichen
Eigentumsübertragung an Grundstücken in der Reichsstadt Dortmund, 1909; Ernst,
V., Die Entstehung des deutschen Grundeigentums, 1926; Haff, K., Zur Geschichte
des germanischen Grundeigentums, ZRG GA 49 (1929), 433; Schabinger Freiherr von
Schowingen, K., Das sankt gallische Freilehen, 1938; Habermann, N., Die
preußische Gesetzgebung zur Herstellung eines frei verfügbaren Grundeigentums,
(in) Wissenschaft und Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 3 1976, 3;
Goeke, U., Das Grundeigentum im Luftraum und im Erdreich, 1999; Bertram, K.,
Die Gesetzgebung zur Neuregelung des Grundbuchs in der ersten Phase der
freanzösischen Revolution, 2000
Grundentlastung ist die Aufhebung der Grundherrschaft (und Patrimonialgerichtsbarkeit)
(z. B. in Österreich durch Grundentlastungspatent vom 30. 8. 1848 Richstag/7.
9. 1848 Kaiser auf Antrag Hans Kudlichs vom 26. 7. 1848, geldliche Abwicklung
durch Entschädigungszahlung der Bauern innerhalb zehner Jahre weitgehend
gelungen). →Bauernbefreiung.
Gründerleihe ist die Bodenleihe an Siedlungsgründer (z. B. Gent 941,
Holländer an der Unterelbe 1106, Freiburg im Breisgau 1120?) als freie
Erbleihe.
Lit.: Arnold, W., Zur Geschichte des Eigentums, 1861; Kroeschell,
K., Weichbild, 1960
Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland ist (im losen sprachlichen Anschluss an ältere [lat.]
leges fundamentales, grundlegende Gesetze) die Verfassung(surkunde) der
Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 (am 8. 5. 1949 für eine
Übergangszeit beschlossen, mit 24. 5. 1949 in Kraft). Das G. entsteht auf
Veranlassung der westlichen Besatzungsmächte des Deutschen Reiches. Ein von den
11 Ministerpräsidenten berufener Verfassungskonvent arbeitet vom 10. bis 23. 8.
1948 auf Herrenchiemsee einen Entwurf eines vorläufigen Organisationsstatuts
aus. Dieser wird von einem →Parlamentarischen Rat in Bonn überarbeitet,
von den drei westlichen Militärgouverneuren genehmigt und von den Vertretungen
von 10 der 11 damaligen Länder angenommen. Er versteht die Bundesrepublik
Deutschland als Bundesstaat, Rechtsstaat, Sozialstaat, Republik und streitbare
Demokratie und gliedert sich in einen Grundrechtsteil (mit unmittelbarer
Geltung) und einen Organisationsteil (Bundesstaat, Bundestag, Bundesrat,
Bundespräsident, Bundeskanzler, Bundesverfassungsgericht und [5 weitere]
Bundesgerichte). Es ist inzwischen vielfach geändert, trägt aber noch den
ursprünglichen Namen, der informell auch mit Bonn in Beziehung gebracht werden
kann (Bonner Grundgesetz). Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts haben
unmittelbare Geltung. Im Zuge von Europäisierung und Globalisierung sind
geschichtliche Einzelheiten vermutlich zu überdenken.
Lit.: Köbler, DRG 256; Maunz, T./Zippelius,
R./Würtenberger, T., Deutsches Staatsrecht, 32. A. 2008; Vorgeschichte der
Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Becker, J., 1979; Buchner, P., Der Verfassungskonvent
auf Herrenchiemsee, 1981; Diestelkamp, B., Die Verfassungsentwicklung in den
Westzonen, NJW 1989, 1312; Das Grundgesetz und die Bundesrepublik Deutschland,
hg. v. Benz, W. u. a., 1989; Robbers, G., Die Änderungen des Grundgesetzes,
NJW 1989, 1125; Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung, hg. v.
Schneider, H., Bd. 1ff. 1990ff.; Wehner, G., Die Westalliierten und das
Grundgesetz, 1994; Kahl, W., Die Entstehung des Grundgesetzes, JuS 1997, 1083;
Bauer, A./Jestedt, M., Das Grundgesetz im Wortlaut, 1997; Niclauß, K., Der Weg
zum Grundgesetz, 1998; Wilms, H., Ausländische Einwirkungen auf die Entstehung
des Grundgesetzes, 1999; Wilms, H., Die Entstehung des Grundgesetzes, 1999;
Schneider, H., 50 Jahre Grundgesetz, NJW 1999, 1497; Die Entstehung des
Grundgesetzes, hg., v. Feldkamp, M., 1999; Auf dem Weg zum Grundgesetz, hg. v.
Brakelmann, G., 1999; Dokumente zur neuesten deutschen Verfassungsgeschichte,
hg. v. Wilms, H., 2001; Spevack, E., Allied Control and German Freedom, 2002;
Ausländische Einwirkungen auf die Entstehung des Grundgesetzes – Dokumente -,
hg. v. Wilms, H., 2003; Frankenberg, G., Grundgesetz, 2004; Das Grundgesetz
zwischen Stabilität und Veränderung, hg. v. Huber, P., 2007; Grundgesetz - Textausgabe
mit sämtlichen Änderungen, hg. v. Dreier, H. u. a., 2006, 2. A. 2007, 4. A.
2009, 5. A. 2010, 6. A. 2011, 7. A: 2012, 8. A. 2013;: 60 Jahre Grundgesetz,
hg. v. Stern, K., 2010; Bauer, J., Der Beitrag der FDP-Fraktion im
Parlamentarischen Rat zur Ausarbeitung des Grundgesetzes, 2013
Grundgesetz über die Reichsvertetung →Februarverfassung (1861)
Grundherr →Grundherrschaft
Grundherrschaft (M. 19. Jh.s) ist die von einem
(weltlichen oder geistlichen) Grundherrn (z. B. König, Herzog, Bischof, Abt)
beherrschte Gesamtheit von Gütern samt den darauf befindlichen Leuten, die dieser
von einem Haupthof (→Fronhof, Salhof) aus mit Hilfe abhängiger Bauern
(Grundholden, Hintersassen) bewirtschaftet (so genannte Villikationsverfassung).
Bereits im Altertum finden sich Verbindungen von umfangreichem Eigentum an
Grundstücken und Herrschaftsrechten über Menschen. Wie weit die Germanen Vorformen
der G. kennen, ist trotz der Hinweise Tacitus’ nicht sicher. Jedenfalls ist
bereits im Frühmittelalter die G. (als Herrschaft über Land und Leute mit bis
zu 5000 Höfen) im Reich der Franken weit verbreitet. In sie treten Bauern
häufig durch Vergebung ihres Hofes an einen Herren ein. Die meist unfreien
Hintersassen haben für die Nutzung des ihnen überlassenen Grundstücks →Abgaben
und →Dienste zu leisten. Der Grundherr gewährt (außer Landnutzung) Schutz
und Schirm. Die G. ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Bildung von
Landesherrschaft. Der Grundherr erlangt danach vielfach Patrimonialgerichtsbarkeit
und Polizeigewalt. Mit dem Eindringen der Geldwirtschaft im Hochmittelalter
wird die G. zur →Rentengrundherrschaft, in der Herrschaftsrechte
allmählich auf den Staat übergehen. Im Nordosten des Reiches entwickelt sich die
G. seit dem Spätmittelalter zur →Gutsherrschaft. Wo die Grundherren die
Eigenwirtschaft aufgeben und das betreffende Land an Bauern ausgeben,
entfällt die Verpflichtung zu Frondienst. Bereits im 15. Jh. können
unterschiedliche Arten von Herrschaft über Land aus der G. entwickelt sein. Seit
dem ausgehenden 18. Jh. wird die G. bis zur Mitte des 19. Jhs. allgemein
beseitigt (→Bauernbefreiung, Ablösungsgesetzgebung, Österreich Grundentlastungspatent
vom 30. 8. 1848 Reichstag/7. 9. 1848 Kaiser). Grundsätzlich ist die
(bäuerliche) G. vom (adligen) →Lehen streng zu trennen.
Lit.: Köbler, DRG 16, 28, 32, 51, 77, 96, 111, 133, 174;
Wittich, W., Die Grundherrschaft in Nordwestdeutschland, 1896; Knapp, T., Die
Grundherrschaft im südwestlichen Deutschland, ZRG GA 22 (1901), 48; Kötzschke,
R., Studien zur Verwaltungsgeschichte der Großgrundherrschaft Werden, 1901;
Stengel, E., Grundherrschaft und Immunität, ZRG GA 25 (1904), 286; Fehr, H.,
Die Grundherrschaft im Sachsenspiegel, ZRG GA 30 (1909), 264; Grosch, G., Markgenossenschaft
und Großgrundherrschaft im früheren Mittelalter, 1911; Hofbauer, S., Die
Ausbildung der großen Grundherrschaften im Reiche der Merowinger, 1927; Klein,
H., Die bäuerlichen Eigenleute des Erzstifts Salzburg im Mittelalter,
Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 73 (1933), 74 (1934);
Perrin, C., Recherches sur la seigneurie rurale, 1935; Lütge, F., Die
mitteldeutsche Grundherrschaft, 1934, 2. A. 1957; Dopsch, A., Herrschaft und
Bauer in der deutschen Kaiserzeit, 1939; Klebel, E., Die Grundherrschaften um
die Stadt Villach, Archiv für vaterländische Geschichte 27 (1942); Adel und
Bauern im deutschen Staat des Mittelalters, hg. v. Mayer, T., 1943; Kötzschke,
R., Salhof und Siedelhof im älteren deutschen Agrarwresen, 1953; Schreiber, A.,
Rudolfingen, 1954; Kirchner, G., Probleme der spätmittelalterlichen
Klostergrundherrschaft in Bayern, Z. f. bay. LG. 19 (1956), 1; Bader, K.,
Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff.;
Sprandel, R., Das Kloster St. Gallen, 1958; Bergengruen, A., Adel und
Grundherrschaft im Merovingerreich, 1958; Lennard, R., Rural England, 1959;
Feigl, H., Die niederösterreichische Grundherrschaft, 1964; Kuchenbuch, L.,
Bäuerliche Gesellschaft und Klosterherrschaft im 9. Jahrhundert, 1978; Henning,
F., Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland, Bd. 1f. 1978f.; Lindkvist,
T., Landborna i Norden, 1979; Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, hg. v.
Patze, H., 1983; Vassberg, D., Land and Society in Golden Age Castile, 1984;
Strukturen der Grundherrschaft im frühen Mittelalter, hg. v. Rösener, W., 1989;
Braasch-Schwersmann, U., Das Deutschordenshaus Marburg, 1989; Grundherrschaft
und Stadtentstehung am Niederrhein, hg. v. Fink, K. u. a., 1989; Rösener, W.,
Grundherrschaft im Wandel, 1991; Kuchenbuch, L., Grundherrschaft, 1991; Rösener,
W., Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter,
1992; Troßbach, W., Bauern 1648-1806, 1993; Scherner, K., Ut propriam familiam
nutriat - Zur Frage der sozialen Sicherung in der karolingischen
Grundherrschaft, ZRG GA 111 (1994), 330; Čechura, J., Die Struktur der
Grundherrschaften im mittelalterlichen Böhmen, 1994; Simon, T., Grundherrschaft
und Vogtei, 1995; Grundherrschaft und bäuerliche Gesellschaft im
Hochmittelalter, hg. v. Rösener, W., 1995; Strutture e trasformazioni della
signoria rurale, hg. v. Dilcher, G. u. a., 1996; Grundherrschaft – Kirche –
Stadt zwischen Maas und Rhein während des hohen Mittelalters, hg. v. Haverkamp,
A. u. a., 1997; Otto, G., Die Arbeitsverfassung der bayerischen
Grundherrschaft, 1998; Kuchenbuch, L., Abschied von der „Grundherrschaft“, ZRG
GA 121 (2004), 1; Grüninger, S., Grundherrschaft im frühmittelalterlichen
Churrätien, 2006 Winkelbauer, T., Gundaker von Liechtenstein als Grundherr,
2008; Heuvel, G. van den, Adlige Herrschaft, bäuerlicher Widerstand und
territorialstaatliche Souveränität, 2011; Rösener, W., Die Grundherrschaft als
Forschungskonzept, ZRG GA 120 (2012), 41; Stamm, V., Grundbesitz in einer
spätmittelalterlichen Marktgemeinde, 2013 (Gries bei Bozen); Freudenberg, S.,
Trado atque dono, 2013; Kuchenbuch, L., Die Neuwerker Bauern und ihre Nachbarn
im 14. Jahrhundert, 2013
Grundholde →Grundherrschaft
Grundlagenvertrag ist der am 21. 12. 1972/6. 6. 1973 zwischen Bundesrepublik
Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik abgeschlossene Vertrag.
Lit.: Nakath, D., Die Verhandlungen zum deutsch-deutschen
Grundlagenvertrag 1972, 1993
Grundpfandrecht ist (als abstrakte wissenschaftliche Gattungsbezeichnung) das
in der Verpfändung eines Grundstücks bestehende beschränkte dingliche Recht (besitzloses
Pfandrecht des Grundpfandgläubigers an einem Grundstück). →Hypothek, →Grundschuld
Lit.: Köbler, DRG 212; Meibom, V. v.,
Das deutsche Pfandrecht, 1867; Mutzner, P., Geschichte des Grundpfandrechts in
Graubünden, 1909; Weyermann, M., Zur Geschichte des Immobiliarkreditwesens in
Preußen, 1910; Planitz, H., Das Grundpfandrecht in den Kölner Schreinskarten,
ZRG GA 54 (1934), 1; Hedemann, H., Die Fortschritte des Zivilrechts im 19. Jh.,
II 2 1935, Neudruck 1968, 192; Planitz, H., Das deutsche Grundpfandrecht, 1936,
Neudruck 1983; Herold, P., Geschichte des Zürcher Grundpfandrechts, 1939; Natzel,
N., Die Entwicklung des vertraglichen Grundpfandrechts, Diss. jur. Bochum 1970;
Schulin, H., Zur Entwicklung des Grundpfandrechts in der Schweiz, (in)
Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 3
1976; Buchholz, S., Absstraktionsbegriff und Immobiliarrecht, 1978; Schapp,
J., Zum Wesen des Grundpfandrechts (in) Geschichtliche Rechtswissenschaft, hg.
v. Köbler, G. u. a., 1990, 477
Grundrecht ist
das dem Einzelnen zustehende, verfassungsmäßig verbürgte elementare Recht
gegen den Staat als einheitlichen Herrschaftsträger (subjektives öffentliches
Recht). Eine lose Vorform des Grundrechts wird in den Rechten sichtbar, die der
englische König Johann Ohneland am 15. 6. 1215 den Baronen in der (lat.) →Magna
Charta (F.) libertatum (große Urkunde der Freiheiten) als Privileg verbriefen
muss (z. B. Steuerbewilligung, Pairsgericht). Zur gleichen Zeit sehen einzelne
naturrechtliche Theoretiker (Thomas von Aquin 1225-1274) Leben, Freiheit und
Eigentum als dem Zugriff des Staates entzogene allgemeine Rechte des Menschen
an. In der Neuzeit betonen die Erklärung vom Dordrecht (15./16. 7. 1572) in den
Niederlanden sowie Petition of Rights (1628), Habeas-Corpus-Act (1679) und
Declaration of Rights (1689) in England besondere Rechte des Einzelnen. In den
Einzelstaaten Nordamerikas finden zu Beginn des Unabhängigkeitskriegs gegen
England auch fundamentale Rechte ([engl.] inherent rights, unalienable rights,
[franz.] 1770 droits fundamentaux) des Einzelnen in die formellen Verfassungen
(12. 6. 1776 Virginia Bill of Rights) Eingang (26. 8. 1789 Déclaration des
droits de l’homme et du citoyen 26. 8. 1789 Frankreich). Nach Emanuel Joseph Sieyès
(1748-1836, Januar 1789) ist man nicht durch Privilegien frei, sondern durch
Rechte, die - entsprechend der französischen Revolutionsforderung der
Gleichheit - allen gehören. 1791 wird die Verfayssung der Vereinigten Staaten
von Amerika mit den ersten zehn amendments um die (Federal) Bill of Rights
ergänzt. Dem folgen deutsche Verfassungen im 19. und 20. Jh. (schwach
ausgeprägt in Bayern und Baden 1818 und Württemberg 1819, Österreich 25. 4. 1848
nur Staatszielbestimmungen, Kremsierer Entwurf, 4. 3. 1849 Grundrechtspatent
für Cisleithanien, im Silvesterpatent 1851 aufgehoben, sehr modern „Grundrechte“
des geplanten aber gescheiterten Deutschen Reiches 27. 12. 1848 [17. 1. 1849 in
Kraft und zwar auch für Österreich, 23. 8. 1851 durch Beschluss des Deutschen
Bundes aufgehoben], eher rückständig Preußen 1850, nicht die Verfassung von
1871, Österreich 21. 12. 1867), wobei sich viele Grundrechte bereits in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom politischen Programmsatz zum
einlösbaren Rechtsanspruch wandeln. Inhaltlich bilden die verschiedenen Formen
der →Freiheit und der →Gleichheit (→Gleichheitsgrundsatz)
den Kern der in erster Linie gegen den Staat gerichteten Grundrechte, die
darüber hinaus selbst Grundlage von Herrschaft und sozialer Sicherung sein
sollen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland stärkt die Bedeutung der
politisch-liberalen Freiheitsrechte und Gleichheitsrechte in vielfacher
Hinsicht, so dass sie nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die
Gesamtrechtsordnung gewinnen. →Menschenrecht, Charta der Grundrechte
der Europäischen Union vom 12. 12. 2007, seit 1. 12. 2009 den Gemeinschaftsverträgen
gleichgestellt
Lit.: Köbler, DRG 191, 194, 195, 231,
232, 257; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2 1975, 1047; Mommsen, T., Die
Grundrechte des deutschen Volkes, 1849, Neudruck 1969; Fürstenau, H., Das
Grundrecht der Religionsfreiheit, 1891; Eckhardt, E., Die Grundrechte vom
Wiener Kongress bis zur Gegenwart, 1913; Jellinek, G., Die Erklärung der
Menschen- und Bürgerrechte, 4. A. 1927 (e-book 2013); Grundrechte und Grundpflichten
der Reichsverfassung, hg. v. Nipperdey, H., Bd. 1ff. 1929ff.; Voigt, A.,
Geschichte der Grundrechte, 1948; Bohatec, J., England und die Geschichte der
Menschen- und Bürgerrechte, 1956; Genzmer, H., Die Grundrechte in der Hamburger
Konstituamte, Diss. jur. Hamburg 1957; Schnur, R., Zur Geschichte der Erklärung
der Menschenrechte, 1964; Oestreich, G., Geschichte der Menschenrechte und
Grundfreiheiten im Umriss, 1968, 2. A. 1978; Hartung, F., Die Entwicklung der
Menschen und Bürgerrechte, 4. A. 1972; Die Grundrechtsdiskussion in der
Paulskirche, hg. v. Scholler, H., 1973; Rimscha, W. v., Die Grundrechte im
süddeutschen Konstitutionalismus, 1973; Huber, E., Grundrechte im Bismarkschen
Reichssystem, FS U. Scheuner, 1973, 163; Oestreich, G., Geschichte der
Menschenrechte und Grundfreiheiten, 2. A. 1978; Grund-
und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, hg. v. Birtsch,
G., 1981; Grundrechte im 19. Jahrhundert, hg. v. Dilcher, G. u. a., 1982; Starck,
C., Entwicklung der Grundrechte, 1982; Sutter, B., Die Entwicklung der
Grundrechte, 1982; Loew, W., Die Grundrechte, 2. A. 1982; Stern, K., Grundideen
europäisch-amerikanischer Verfassungsstaatlichkeit, 1984; Köck, H., Der Beitrag
der Schule von Salamanca zur Entwicklung der Lehre von den Grundrechten, 1987;
Eisenhardt, U., Die gerichtliche Überprüfung, (in) Wege europäischer
Rechtsgeschichte, 1987, 75; Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur
spätbürgerlichen Gesellschaft, hg. v. Birtsch, G., 1987; Brauneder, W.,
Geschichte der Grundrechte in Österreich, 1992; Dreier, H., Dimensionen der
Grundrechte, 1993; Böhme, H., Politische Rechte des Einzelnen in der
Naturrechtslehre, 1993; Oechsle, K., Die steuerlichen Grundrechte, 1993;
Schmale, W., Archäologie der Grund- und Menschenrechte, 1997; Kröger, K.,
Grundrechtsentwicklung, 1998; Mohnhaupt, H., Von den leges fundamentales, Ius
commune 25 (1998), 121; Hufen, E., Entstehung und Entwicklung der Grundrechte,
NJW 1999, 1504; Lamprecht, R., Vom Untertan zum Bürger, 1999; Müller, J.,
Grundrechte in der Schweiz, 1999; Eisenhardt, U., Zur Entwicklung des Grundrechtsverständnisses,
FS A. Söllner, 2000; Die Grundrechte im Spiegel des Plakats, hg. v. Artinger,
K., 2000; Austermühle, G., Zur Entstehung und Entwicklung eines persönlichen
Geheimsphärenschutzes, 2002; Das Menschenbild der Grundrechte, hg. v.
Schünemann, B. u. a., 2002; Schäfer, H., Die ungeschriebenen Freiheitsrechte
in der schweizerischen Bundesverfassung, 2002; Quellen zur Entstehung der Grundrechte
in Deutschland, hg. v. Fikentscher, W. u. a., 2002; Köster, F.,
Entstehungsgeschichte der Grundrechtsbestimmungen des zweiten Hauptteils der
Weimarer Reichsverfassung, 2003; Handbuch der Grundrechte, hg. v. Merten, D.
u. a., Bd. 1ff. 2004ff.; Goller, P./Oberkofler, G., Grundrechtskatalog für
Österreich?, 2004; Pauly, W., Grundrechtslaboratorium Weimar, 2004; Suppé, R.,
Die Grund- und Menschenrechte in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts, 2004;
Das Lüth-Urteil, hg. v. Henne, T. u. a., 2005; Hilker, J., Grundrechte im
deutschen Frühkonstitutionalismus, 2005; Staatsrecht der Bundesrepublik
Deutschland, hg. v. Stern, K., Bd. 4 2006f.; Mahlmann, M., Elemente einer
ethischen Grundrechtstheorie, 2008; Pannenborg, E., Inhalt und Bedeutung der
Grundrechte der Paulskirchenverfassung von 1848/49, 2013
Grundrente ist
der Ertrag, den der Grund (Grundstück) ohne Arbeitsaufwand und Kapitalaufwand
des Eigentümers abwirft. Die G. ist eine vermögensrechtliche →Reallast
ohne persönliche oder dingliche Abhängigkeit. Sie hat sich vermutlich aus der →Erbleihe
entwickelt. Später wird die G. vor allem durch →Rentenkauf geschaffen.
Seit dem 14. Jh. überwiegt die Geldrente die Rente in Naturalleistungen. In der
Neuzeit wird die G. durch das verzinsliche hypothekarisch gesicherte →Darlehen
ersetzt. Mit der Beseitigung des kanonischen Zinsverbots wird sie entbehrlich
und in ihren Resten bei der Gundentlastung des 19. Jh.s aufgehoben. In einem
anderen Sinn ist Grundrente auch eine Mindestrente im Rahmen der Sozialabsicherung.
Lit.: Hübner 397; Delbanco, G.,
Entwicklungsgeschichte der Grundrentelehre, 1921; Patzig, R., Kritische
Dogmengeschichte der Grundrente, 1923 (masch. schr.); Winter, H., Der
Rentenkauf in der freien Reichsstadt Schweinfurt, 1970
Grundruhr ist
die Berührung des Grundes durch ein Schiff (beim Schiffbruch). Die anfängliche
Folge der G. ist, dass das Gut (anfangs einschließlich der Besatzung) dem
zufällt, der es (auf seinem Grund und Boden) in Besitz nimmt. Seit dem 12. Jh.
wird dies von Kirche (1110, 1179) und Kaiser (1177) bekämpft und durch das
Strandregal zu ersetzen versucht. Das Völkerrecht der Gegenwart gesteht ein
Strandrecht bzw. Bergerecht dem Küstenstaat zu.
Lit.: Kämpffer, J., Jus appulsus, Diss. jur. Jena 1680; Nittemaa,
V., Das Strandrecht in Nordeuropa im Mittelalter, 1955
Grundschuld (1807) ist eine Belastung eines
Grundstücks in der Weise, dass an den, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt,
eine bestimmte Geldsumme aus dem Grundstück zu zahlen ist. Die in Mecklenburg
ausgebildete G. wird 1900 in das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen.
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Köbler, DRG 213; Buchholz, S.,
Abstraktionsprinzip und Immobiliarrecht, 1978; Köbler, U., Werden, Wandel und
Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Grundsteuer ist
die von →Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten zu entrichtende →Steuer.
Sie wird bereits von dem römischen Kaiser Diokletian (284-313/316) erhoben. Der
frühneuzeitliche Staat greift dies wieder auf. Wegen der bisher eher geringen
Höhe ist künftig mit verstärkter Abschöpfung zu rechnen.
Lit.: Köbler, DRG 55, 152; Mit dem Zehnten fing es an, hg.
v. Schultz, U., 3. unv. A. 1992
Grundstück (1571, nach 1650?) ist der abgegrenzte Teil der Erdoberfläche (, der im
Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblatts unter einer besonderen Nummer gebucht
ist). Im römischen Recht sind die italischen Grundstücke (lat.) →res
(F.Pl.) mancipi (handgreifbare Sachen), die durch (lat.) mancipatio) übertragen
werden. Im deutschen Recht wird das G. vielfach anders behandelt als die
bewegliche Sache. Dementsprechend wird nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch
(1900) das Eigentum an beweglichen Sachen grundsätzlich durch Einigung und
Übergabe, das Eigentum an Grundstücken durch Einigung (Auflassung) und
Eintragung in das Grundbuch übertragen. Im 20. Jh. ist der Erwerb landwirtschaftlich
genutzter Grundstücke durch das Erfordernis staatlicher Genehmigung
eingeschränkt (Grundstücksverkehrsbekanntmachung vom 15. 3. 1918,
Grundstücksverkehrsgesetz vom 28. 7. 1961, österreichische Grundverkehrsordnung
vom 9. 8. 1915, Grundverkehrsgesetz 1919).
Lit.: Kaser §§ 18, 28; Hübner 181; Köbler, DRG 90; Böckel,
F., Die Grundstücksübereignung in Sachsen-Weimar-Eisenach, 1911; Hallermann,
H., Die Erbleihe an Grundstücken in den westfälischen Städten, 1925; Richter,
G., Die Grundstücksübertragung im ostfälischen Sachsen, 1934; Merk, W., Die
Grundstücksübertragung in Meersburg am Bodensee, ZRG GA 55 (1935), 169, 56
(1936), 1; Richter, G., Die Grundstücksübereignung im ostfälischen Sachsen,
1934; Conrad, H., Liegenschaftsübereignung und Grundbucheintragung in Köln
während des Mittelalters, 1935; Mayer-Edenhauser, T., Das Recht der
Liegenschaftsübereignung in Freiburg, 1937; Voser, P., Die altdeutsche
Liegenschaftsübereignung, 1957; Köbler, G., Die rechtliche Regelung des
Eigentumserwerbs an Grundstücken in Preußen, (in) Wissenschaft und
Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 3 1967, 201; Müller, W., Fertigung
und Gelöbnis mit dem Gerichtsstab, 1976; Hofmeister, H., Zur Entwicklung des
Eigentumserwerbs an Grundstücken und des Grundkredits in Österreich unter
besonderer Berücksichtigung des Einflusses der preußischen Gesetzgebung von
1872, Wissenschaft und Kodifikation 3, 1976, 346; Hofmeister, H., Die
Grundsätze des Liegenschaftserwerbs in der österreichischen
Privatrechtsentwicklung seit dem 18. Jahrhundert, 1977; Joswig, D., Die germanische
Grundstücksübertragung, 1984; Schwenk, A., Die Formbestimmung des § 313 BGB a.
F., 2010; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Gründungsstadt ist die durch bewusste Gründungshandlung geschaffene →Stadt
(z. B. Freiburg im Breisgau 1120?).
Lit.: Kroeschell, DRG 2
Grundvertrag →Grundlagenvertrag
Grüne
Lit.:
Mende, S., „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Eine Geschichte der
Gründungsgrünen, 2011
Grupen, Christian Ulrich (1692-1767)
Lit.: Hoppenstedt, D., Christian
Ulrich Grupen als Jurist und Rechtshistoriker, Hannoversche Geschichtsblätter,
neue Folge 25 (1971)
Gubernium ist die ab 1744 von Maria Theresia auf Betreiben Haugwitz‘ in den
einzelnen Ländern unter Ausschluss ständischer Mitwirkung eingerichtete absolutistische
Zentralstaatsbehörde für politische Verwaltung und Finanzverwaltung (Repräsentation
und Kammer), von der 1763 die Finanzverwaltung abgetrennt wird, zu der aber die
Justiz hinzukommt (in Österreich unter der Enns und in Schlesien Regierung). 1782
wird vom G. das Appellationsgericht verselbständigt. 1849 wird das G. durch die
Statthalterei ersetzt.
Lit.: Buchmann,
W., Hof - Regierung - Stadtverwaltung, 2002; Küpper, H., Einführung in die
Rechtsgeschichte Osteuropas, 2005
Gudelinus (Goudelin),
Petrus (Ath 1550-Löwen 1619) wird nach dem Rechtsstudium (1567) in Löwen und
einer Tätigkeit als Advokat 1582 Professor in Löwen. In seinen posthum
veröffentlichten Werken verbindet er römisches Recht mit den Gewohnheitsrechten
der Niederlande und Frankreichs.
Lit.: Leuven. 550 jaar universiteit,
1976, 301
Guilelmus de Cuneo ist ein in Südfrankreich
vielleicht um 1270 geborener, promovierter, zeitweise in Toulouse lehrender
Jurist (lecturae, additiones ad glossam, Traktate).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 567
Gulathingsbok ist das in einer in Kopenhagen aufbewahrten Handschrift der Mitte des
13. Jh.s (Codex Rantzovianus um 1250) und in weiteren Fragmenten (um 1180?, um
1200) überlieferte, vielleicht in verschiedenen Redaktionen (Olavstext,
Magnustext) des späten 11. bis 13. Jh.s gefasste Recht des Things von Gula
(Gulen) nahe dem Sognefjord, das die älteste norwegische Rechtsaufzeichnung
darstellt (daneben Frostathingsbok, Eidsivathingsbok, Borgarthingsbok). Es
behandelt in zehn Abschnitten etwa Kirche (Christenrecht), Familie, Erbe,
Strafe, Landleihe und Handel. 1267 setzt König →Magnus Hakonarson eine
neue, nur in ihrem Christenrecht erhaltene G. in Kraft (bis 1274). Zahlreiche
Bestimmungen werden 1274 in das norwegische Reichsrecht (Landslag) übernommen.
Lit.: Maurer, K., DIe Entstehungszeit der älteren
Gulathingslög, 1872; Norwegisches Recht. Das Rechtsbuch des Gulathings, hg. v.
Meißner, R., 1935; Amira, K. v./Eckhardt, K., Germanisches Recht, Bd. 1 4. A.
1960, 112; Sveaas Andersen, P., Samlingen av Norge, 1977, 247
Gülte, Gült
(zum Zeitwort gelten), ist eine Bezeichnung für die mittelalterliche →Grundrente.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 116; Adler, S., Das
Gültbuch von Nieder- und Oberösterreich, 1898; Maidhof, A., Das Passauer
Gültenwesen, Die ostbairischen Grenzmarken 16 (1927), 313, 358
Gundling,
Nicolaus Hieronymus (Kirchensittenbach 25. 2. 1671-Halle 9. 12. 1729),
Pfarrerssohn, wird nach dem Studium der Theologie in Altdorf, Jena, Leipzig und
Altdorf 1699 Hofmeister in Halle. Als Schüler Thomasius’ und wohl Stryks wird
er nach der Promotion (12. 7. 1703) 1705 Professor für Beredsamkeit und
Naturrecht in Halle (Abriss zu einer rechten Reichshistorie, 1708). Er befasst
sich auch mit Fragen des Buchnachdrucks.
Lit.: Hempel, C., Nicolai Hieron. Gundlings umständliches
Leben und Schriften, 1736; Stolleis, M., Geschichte des öffentlichen Rechts in
Deutschland, Bd. 1 1988, 302
Gürtel ist das zum Zusammenhalten oder Hochhalten der Bekleidung
in der Leibesmitte dienende Band. Der G. ist auch Gegenstand der
Rechtssymbolik.
Lit.: Schopphoff,
C. Der Gürtel, 2009
Gutachten ist
die Beurteilung einer Frage durch einen Fachmann. Bereits die klassische
römische Jurisprudenz ist dadurch gekennzeichnet, dass seit Augustinus (63 v.
Chr.-14 n. Chr.) einzelnen Rechtskundigen (sog. Respondierjuristen) das Recht
verliehen wird, auf eine Anfrage im Namen des Staatsoberhaupts (lat. [M.]
princeps) eine gutachtliche Antwort (lat. [N.] responsum) zu erteilen, welcher
der (lat. [M.] iudex) Richter zu folgen hat. Seit dem 13. Jh. erteilen die
oberitalienischen Juristen (→Konsiliatoren, z. B. Johannes Bassianus als
Schüler des →Bulgarus, Azo [1150?-1220]) G. Mit der →Aktenversendung
beginnt seit dem 14. Jh.eine reiche gutachterliche Tätigkeit der juristischen
Fakultäten (bis 1877/1879) und entsteht ein Markt, auf dem
rechtswissenschaftliche Dienstleistungen in großer Zahl angeboten und
nachgefragt werden. Die Technik des Gutachtens geht von der aufgeworfenen Frage
des Bestellers aus und folgert von Voraussetzungen auf ein Ergebnis hin.
Lit.: Söllner §§ 9, 10, 14, 15, 17; Köbler, DRG 107;
Seeger, H., Die strafrechtlichen Consilia Tubingensia, 1877; Kohler,
J./Liesegang, E., Das römische Recht am Niederrhein, Bd. 1f. 1896ff.; Klugkist,
E., Die Göttinger Juristenfakultät als Spruchkollegium, Diss. jur. Göttingen
1951 masch.schr.; Baumgärtel, G., Die Gutachter- und Urteilstätigkeit der
Erlanger Juristenfakultät, Diss. jur. Erlangen 1952; Mayer, H., Die Bedeutung
der Rechtsgutachten in der Rezeptionszeit, Diss. jur. Basel (um 1962); Schott,
C., Rat und Spruch der Juristenfakultät Freiburg im Breisgau, 1965; Wieacker,
F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Schikora, A., Die
Spruchpraxis an der juristischen Fakultät zu Helmstedt, 1972; Kempter, F., Die
Gutachten- und Urteilstätigkeit der Juristenfakultät
Ingolstadt-Landshut-München, Diss. jur. Mannheim 1976; Falk, U., Consilia.
Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit, 2006; Lange, H.,
Recht und Macht, 2010
Gutalagh ist
das vielleicht um 1220 auf Betreiben Erzbischof Andreas Sunesons oder nach 1285
(str.) in der Volksversammlung nach norwegischem Vorbild entstandene, in zwei
Handschriften (um 1350, [1470 bzw.] 1587) überlieferte, bis 1595 gebrauchte,
ziemlich selbständige Recht (der Bauern) der Insel Gotland (Schwedens), das um
1400 in die deutsche Sprache und im 16. Jh. in die dänische Sprache übersetzt
wird.
Lit.: Wessén, E., Lex Gotlandiae, 1945; Amira, K.
v./Eckhardt, K., Germanisches Recht, Bd. 1 4. A. 1960, 108; Sjöholm, E.,
Gesetze als Quellen mittelalterlicher Geschichte, 1976; Pernler. S., Gotlands
medeltida kyrkoliv, 1977
Gütergemeinschaft (Wort 1772) ist der
(vertragliche) Güterstand, bei dem grundsätzlich das gesamte Vermögen der
Ehegatten, das sie bei Eingehung der →Ehe haben oder später erwerben,
kraft Gesetzes gemeinschaftliches Vermögen (Gesamtgut) wird. Die G. findet sich
bereits im Frühmittelalter bei Franken und Westfalen in der Form der →Errungenschaftsgemeinschaft.
Im Hochmittelalter dringt sie in örtlich recht verschiedener Form weiter vor,
wobei die Verwaltung der Güter grundsätzlich dem Mann zusteht. Das Allgemeine
Bürgerliche Gesetzbuch Österreichs (1811/1812) lässt die G. zu (vgl. § 1234
ABGB), erschwert sie aber (bevorzugte G. auf den Todesfall rechtstatsächlich bedeutungslos).
Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) wird die für rund 11 Millionen
Menschen bestehende allgemeine Gütergemeinschaft zu einem vertraglich
festlegbaren Ehegüterstand (Wahlgüterstand), für den der Grundsatz der →Gesamthand
gilt.
Lit.: Hübner; Köbler, DRG 88, 122, 161, 207, 210, 267;
Schröder, R., Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland, Bd. 1ff.
1863ff., Neudruck 1967; Possel-Dölken, P., Das westfälische eheliche Güterrecht
im 19. Jahrhundert, 1978; Schmüser, S., Die Anwendung der Vorschriften des
allgemeinen Landrechts, 2007; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; Jelowik, L., Gütergemeinschaft als
Bürgschaftshindernis im Fuldaer Recht um 1890, ZRG GA 129 (20^12), 409
Guter Glaube (1429)
ist das Vertrauen auf die Richtigkeit eines Anscheins. Im römischen Recht ist
die (lat.) bona fides (gute Treue) Geltungsgrundlage und Beurteilungsmaßstab
formloser Konsensualverträge (Treu und Glauben) und gilt (nach D. 50, 17, 54)
der Grundsatz (lat.) →nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet
(niemand kann mehr Rechte übertragen als er hat), so dass nur der wahre
Berechtigte ein Recht übertragen kann, doch schützt bei freiwillig aus der Hand
gegebenen Sachen (also nicht bei gestohlenen, verlorenen oder [in klassischer
Zeit auch] unterschlagenenen Sachen) ein rechtmäßiger Erwerbsgrund (z. B. Kauf)
nach Ablauf der einjährigen Ersitzungsfrist den Erwerber vor dem Herausgabeanspruch
des Berechtigten. Demgegenüber sichern hochmittelalterliche deutsche Quellen
(z. B. Sachsenspiegel II, 60, 1) den Erwerber von Sachen, die der Berechtigte
freiwillig aus der Hand gegeben hat, ohne dass Unkenntnis des Rechtsmangels vom
Dritten verlangt wird. Das lübische Recht führt 1586 im Interesse des
Verkehrsschutzes den gutgläubigen Erwerb an beweglichen Sachen (Fahrnis) ein.
Der Entwurf gebliebene (lat.) Codex (M.) Theresianus (1766, II, 8 § 4, vgl. §
367 ABGB von 1811) lässt den sofortigen Erwerb durch den gutgläubigen Erwerber
in bestimmten Fällen zu. Gedanklich beeinflusst könnte dabei die Formulierung
g. G. von der lateinischen bona fides (F.) (guten Treue) sein. Nach Kant
entspricht der gutgläubige Erwerb distributiver Gerechtigkeit. Art. 306 ADHGB
(1861) teilt bei nicht gestohlenen oder verlorenen beweglichen Sachen dem
redlichen Erwerber in einem Handelsbetrieb das Eigentum zu. Dem folgen das
Bürgerliche Gesetzbuch 1900 und das Schweizer Recht (vgl. auch §§ 892f. BGB,
Art. 973f. ZGB für Grundtücksrechte, während das Zivilgesetzbuch der Deutschen
Demokratischen Republik (1975-1990) einen gutgläubigen Erwerb vom
Nichtberechtigten für nicht erforderlich hält.
Lit.: Hübner 433; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 212;
Bruns, C., Das Wesen der bona fides bei der Ersitzung, 1872; Hübner, H., Der
Rechtsverlust im Mobiliarsachenrecht, 1955; Kofferath, G., Stand der Forschung
über die geschichtlichen Grundlagen des Gutglaubensschutzes (§§ 932ff. BGB),
Diss. jur. Bonn 1962; Kaiser, M., Der gute Glaube im Codex iuris canonici, 1965;
Söllner, A., Der Erwerb vom Nichtberechtigten in romanistischer Sicht, FS H.
Coing, 1982, 389; Ogris, N., Guter Glaube an die Vertretungsmacht, 1987; Hinz,
W., Die Entwicklung des gutgläubigen Fahrniserwerbs, 1991; Scavo Lombaro, L.,
La buona fede nel diritto canonico 1995; Imbusch, B., Der gutgläubige
rechtsgeschäftliche Erwerb gestohlener Sachen im deutschen Recht, 1999; Good
Faith in European Contract Law, ed. by Zimmermann, R. u. a., 2000; Engstfeld,
J., Der Erwerb vom Nichtberechtigten, 2002; Kiehnle, A., Der Erwerb kraft
öffentlichen Glaubens in der württembergischen Pfandgesetzgebung, 2004;
Cardilli, R., Bona fides tra storia e sistema, 2004; Meyer, R., Bona fides und
lex mercatoria in der europäischen Rechtstradition, 2004; Göhlert, T., Der
Erwerb unterschlagener bzw. gestohlener Sachen vom Nichtberechtigten, 2007;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Güterrecht (1814, Güterrechtsregister 1895) →Ehegüterrecht
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Güterstand ist die Gesamtheit der güterrechtlichen Verhältnisse in einer Ehe. Eine
vertragliche Regelung ist in bestimmten Grenzen möglich. Sonst gilt der so
genannte gesetzliche G.
Gütertrennung (1846) ist der Ehegüterstand,
bei dem jeder Ehegatte alleiniger Berechtigter der ihm bei der Eheschließung
gehörigen Güter bleibt und alleiniger Berechtigter der von ihm in der Ehe
erworbenen Güter wird. Bei den Germanen wird, sofern die Frau Gut (Aussteuer,
Unterhaltssicherung) in die Ehe einbringt, dieses Gut wohl vom Mann (nur)
verwaltet. Dieser Güterstand der grundsätzlichen Gütertrennung mit Verwaltungseinheit
auf der Seite des Mannes, besteht anscheinend im Frühmittelalter bei den
deutschen Stämmen mit Ausnahme der Franken und Westfalen. Später wird die G.
von der →Gütergemeinschaft zurückgedrängt. Die neuzeitlichen Kodifikationen
behandeln die G. als einen Regelgüterstand. In Österreich sieht § 1237 ABGB
(1811/1812) Gütertrennung vor, die aber infolge verschiedener unklarer
Vermutungen inhaltlich als „vermutete“ Verwaltungsgemeinschaft verstanden
wird. Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) ist die G. ein
Wahlgüterstand. Die mit dem Gleichberechtigungsgesetz vom 18. 6. 1957 als
Regelgüterstand festgelegte →Zugewinngemeinschaft ist inhaltlich G. mit
Wertausgleich der Zugewinne beider Ehegatten nach Auflösung der Ehe. Daneben
ist die einfache G. zulässig.
Lit.: Hübner; Köbler, DRG 88, 122, 161, 210, 267; Schröder
R., Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland, Bd. 1ff. 1863ff.,
Neudruck 1967; Martitz, F., Das eheliche Güterrecht des Sachsenspiegels, 1867;
Brauneder, W., Die Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich, 1973; Köbler,
U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Gutes altes Recht ist das Schlagwort für die von Fritz Kern verbreitete Ansicht, dass das
germanische Recht deswegen gegolten habe, weil es alt und gut gewesen sei, so
dass im Mittelalter Recht nicht geschaffen, sondern nur nach Beseitigung der
von den Menschen bewirkten Verdunkelung wiederentdeckt habe werden können.
Diese Ansicht widerspricht der germanischen und mittelalterlichen Wirklichkeit,
in der sich Recht unablässig entsprechend den menschlichen Bedürfnissen
ausformt (z. B. Strafe, Inquisitionsprozess, Königswahl, Lehen, Grundherrschaft,
Stadtrecht, Handelsrecht, Gesellschaft, Wechsel). Sie deckt sich unausgesprochen
allerdings mit der christlichen Trias von Paradies, Sündenfall und Erlösung,
der im Recht der göttliche Dekalog, die menschliche Verirrung (Rechtsverdunkelung)
und die (Möglichkeit der) Rückkehr zum von Gott gegebenen (und deswegen
notwendigerweise guten, alten) Recht entspricht, wie sie die christliche Kirche
auch im Mittelalter verkündet. In der Gegenwart wird die Lehre Kerns als
widerlegt angesehen, doch neigen manche Stimmen dazu, auf der Basis
anthropologischer Universalien dem Grundgedanken gleichwohl zuzustimmen.
Lit.: Kern, F., Über die mittelalterliche Anschauung vom
Recht, HZ 115 (1916), 496; Köbler, G., Das Recht im frühen Mittelalter, 1971;
Rückert, J., Die Rechtswerte der germanistischen Rechtsgeschichte im Wandel der
Forschung, ZRG GA 111 (1994), 272; Köbler, G., Recht, Gesetz und Ordnung im
Mittelalter, (in) Funktion und Form, hg. v. Kroeschell, K. u. a., 1996, 93;
Willoweit, D., Vom guten alten Recht, Jb. d. historischen Kollegs, 1997, 23;
Teuscher, S., Erzähltes Recht, 2007
Gute Sitten
(lat. →boni mores [M.Pl.], Sg. bonus mos) sind die vom Recht für
anerkennenswert gehaltenen Verhaltensweisen. Im römischen Recht werden
Geschäfte, die das (gute) Herkommen der Vorfahren (lat. [boni] mores [M.Pl.]
maiorum) verletzen, wie beispielsweise die Schenkung einer erwarteten
Erbschaft eines noch lebenden Dritten, von den Juristen und den Kaisern als
rechtswidrig bekämpft. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes seit dem
Spätmittelalter werden die guten Sitten als Bewertungsmaßstab ab dem 16. Jh.
in Stadtrechten und Landrechten übernommen (vgl. Art. 1131, 1133 code civil, §§
79, 90 sächs. BGB, § 138 I BGB). Als unbestimmter Rechtsbegriff sind die g. S.
schwer zu fassen.
Lit.: Kaser § 9 II; Köbler, DRG 43; Simitis, K., Gute
Sitten und Ordre public, 1960; Schmidt, H., Die Lehre von der Sittenwidrigkeit
der Rechtsgeschäfte in historischer Sicht, 1973; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1 1985, 414; Wanner, J., Die Sittenwidrigkeit der
Rechtsgeschäfte im totalitären Staate, 1996; Herzog, A., Sittenwidrige
Rechtsgeschäfte, 2001; Ruff, H., Sittenwidrige Rechtsgeschäfte, 2007
Güteverfahren ist das auf Güte im Gegensatz
zum Streit gegründete Verfahren innerhalb oder außerhalb der Gerichtsbarkeit. Seine
Gedanken wirken sich wohl in Verhandlungen über die Höhe einer Buße oder in
Vereinbarungen von Schiedsgerichten bereits früh aus. Anscheinend schon im
Ausgang des Mittelalters werden Richter auf die Vorteile eines Vergleichs
besonders hingewiesen (Leipzig, Wittenberg). Nach Ansätzen etwa im jüngsten
Reichsabschied von 1654 (Art. 110) und in Preußen (1737) gewährt die deutsche
Reichszivilprozessordnung (1877/187) dem Kläger die Befungnis, den Beklagten
zu einem Sühneversuch zu laden. Nach wechselvollen Bestrebungen des 20. Jh.s
wird in Deutschland aus Kostengesichtspunkten 2000 den Ländern die Möglichkeit
eingeräumt, für bestimmte Klagen einen vorgeschalteten außergerichtlichen
Güteversuch als Zulässigkeitsvoraussetzung vorzusehen, wovon einige Länder
Gebrauch machen. Seit dem 1. 1. 2002 sieht § 278 II ZPO grundsätzlich für die
erste Instanz die Durchführung eines obligatorischen Gütetermins vor der
mündlichen Verhandlung vor.
Lit.: Koch, C., Der preußische Zivilprozess, 2. A. 1855,
Neudruck 1994; Sellert, W., Prozessgrundsätze und stilus curiae am
Reichshofrat, 1973; Loschelder, M., Die österreichische allgemeine
Gerichtsordnung von 1781, 1978; Ortlieb, E., Im Auftrag des Kaisers, 2001; Peters,
B., Der Gütegedanke im deutschen Zivilprozessrecht, 2004
Gutglaubensschutz →guter Glaube
Gutgläubiger Erwerb
ist der Erwerb einer nicht dem Veräußerer gehörigen Sache zu Lasten des
Berechtigten durch einen Erwerber, der →guten Glauben in Bezug auf das
Recht des Veräußerers haben, also den in Wirklichkeit nichtberechtigten Veräußerer
(fälschlich) für den Eigentümer halten muss (z. B. gutgläubiger Erwerb
beweglicher Sachen Codex Theresianus II, 8, § 4, ABGB § 367, ADHGB Art. 306,
BGB § 932, gutgläubiger Erwerb von Grundstückseigentum Württemberg 1828,
Sachsen 1843, Preußen 1872). Der vom mittelalterlichen deutschen Recht
geschützte, vom römischen Recht abgelehnte, von den naturrechtlichen Gesetzbüchern
aber in bestimmten Grenzen anerkannte gutgläubige Erwerb dient dem
Verkehrsinteresse.
Lit.:
Kroeschell, 20. Jh.; Anners, E., Hand wahre Hand, 1952; Anners, E., Äganderätt
och handelsinteresse, 1960; Dünkel, H., Öffentliche Versteigerung und
gutgläubiger Erwerb, 1970; Anners, E., Från lagtolkning till lagstiftning.
Högsta domstolen och godtrosförvärven, 1989; Hinz, W., Die Entwicklung des
gutgläubigen Fahrniserwerbs, 1991; Hinz, W., Die Entwicklung des gutgläubigen
Fahrniserwerbs, ZEuP 1995, 398; Engstfeld, J., Der Erwerb vom
Nichtberechtigten, 2002; Lang, N., Erwerberschutz in Europa, 2004; Kiehnle,
A., Der Erwerb kraft öffentlichen Glaubens in der württembergischen
Pfandgesetzgebung von 1825/1828 und im Bürgerlichen Gesetzbuch, 2004; Göhlert,
T., Der Erwerb unterschlagener bzw. gestohlener Sachen vom Nichtberechtigten,
2007
Gutsgebiet ist in Österreich zwischen 1848 und 1918 das keiner Gemeinde angehörende,
dem Eigentümer verwaltungsmäßig (ausgenommen das Polizeistrafrecht) ohne
gewählte Organe unterstehende Gebiet.
Gutsherrschaft ist das geschlossene, in Eigenwirtschaft durch Tagelöhner
bewirtschaftete Großgrundeigentum (→Grundherrschaft), in dem der
Eigentümer meist auch die unteren hoheitlichen Befugnisse (Gerichtsbarkeit,
Polizei) ausübt. Sie entsteht ohne scharfe Abgrenzung als Folge der
mittelalterlichen Ostsiedlung, in welcher der oft ritterliche Siedlungsunternehmer
Vorrechte erlangt. Seit dem Spätmittelalter sieht sich der adlige, im
Kriegswesen entbehrlich werdende Ritter darauf verwiesen, seine Eigenwirtschaft
auszuweiten. Unter Verwendung der ihm vom Landesherrn überlassenen
Herrschaftsrechte verdrängt er seit der Mitte des 16. Jh.s (die) Bauern von
ihren Höfen (Bauernlegen). Seit dem Ende des 18. Jh.s wird die G. von der
Aufklärung bekämpft. Im 19. Jh. werden viele Güter aufgeteilt und bzw. oder
gehen an Bürger oder Bauern über, 1945 findet eine sozialistische Enteignung
der (ostdeutschen) Gutsherren statt.
Lit.: Köbler, DRG 134; Knapp, G., Die Bauernbefreiung,
1887; Fuchs, C., Zur Geschichte des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in
der Mark Brandenburg, ZRG GA 12 (1891), 17; Maybaum, H., Die Entstehung der
Gutsherrschaft im nordwestlichen Mecklenburg, 1926; Spies, K., Gutsherr und
Untertan in der Mittelmark Brandenburg zu Beginn der Bauernbefreiung, 1972; Die
Grundherrschaft im späten Mittelalter, hg. v. Patze, H., 1983; Konflikt und
Kontrolle, (in) Kaak, H., Die Gutsherrschaft, 1991;
Gutsherrschaftsgesellschaften, hg. v. Peters, J., 1997; Schmidt, C., Leibeigenschaft im Ostseeraum, 1997; North, M., Die
Entstehung der Gutswirtschaft im südlichen Ostseeraum, ZHF 26 (1999), 43; Schleinert,
D., Die Gutswirtschaft im Herzogtum Pommern-Wolgast, 2001; Maur, E.,
Gutsherrschaft und zweite Leibeigenschaft in Böhmen, 2001; Wagner, P., Bauern,
Junker und Beamte, 2005; Stefanová, D., Erbschaftspraxis, Besitztransfer und
Handlungsspielräume der Untertanen in der Gutsherrschaft, 2008
H
Haager Landkriegsordnung ist das auf den Friedenskonferenzen in Den Haag
(Niederlande) 1899/1907 geschlossene Abkommen über die Gesetze und Gebräuche
des Landkriegs.
Lit.: Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007
Haar ist der aus der äußeren Haut
von Säugetieren wachsende, dem Schutz vor Kälte, Hitze, Nässe und Dürre
dienende Hornfaden unterschiedlicher Tönung und Länge. Der Mensch verbindet
vor allem mit dem Haupthaar auf dem Kopf zahlreiche unterschiedliche Vorstellungen
(z. B. Freiheit, Zugehörigkeit zu einer Gruppe u. s. w.). Eine umfassende
Rechtsgeschichte des Haares steht anscheinend noch aus.
Haarscheren ist
eine Form der Körperstrafe oder sonstigen kennzeichnenden Behandlung.
Lit.: His, R., Das Strafrecht des deutschen Mittelalters,
Bd. 1f. 1920ff., Neudruck 1964
Habe (F.) Gut, Vermögen, z. B.
Fahrhabe
Habeas-corpus-Akte (du mögest einen Körper haben-Gesetz) ist das der Magna
Charta von 1215 folgende 1679 zum Schutz der Freiheit erlassene englische
Gesetz, nach dem niemand ohne richterlichen Haftbefehl verhaftet oder ohne
richterliche Überprüfung in →Haft gehalten werden darf.
Lit.: Duker, W., A constitutional history of Habeas corpus,
1980; Kluxen, K., Englische Verfassungsgeschichte, 1987; Hartlaub, I., Theorie
und Praxis der Freiheitsentziehungen, 2000; Federman, C., The body and the
state, 2006
Haberfeldtreiben ist ein seit der frühen Neuzeit bis in das 20. Jh. belegter dörflicher
Volksbrauch vor allem zwischen Isar und Inn, bei dem die unverheirateten Burschen
(Haberer) mit geschwärzten Gesichtern einem Betroffenen lärmend (sittliche) Vorhaltungen
machen.
Lit.:
Zipperer, F., Das Haberfeldtreiben, 1938; Schieder, E., Das Haberfeldtreiben,
1983
Habilitation ist der Nachweis vertiefter wissenschaftlicher Befähigung
zu Lehre und Forschung in Deutschland (lat. disputatio pro loco) seit dem
frühen 19. Jahrhundert (Berlin 1810/1816 mit öffentlichem Vortrag, um 1870 in
Tübingen erst 58 Prozent der ordentlichen Professoren habilitiert).
Lit.: Kundert, W.,
Katalog der Helmstedter juristischen Disputationen, 1984; Bruch, R. vom,
Forschung und Lehre, 2000, 69
Habsburg (Habichtsburg)
ist die um 1020 von Bischof Werner von Straßburg an der oberen Aare (in der
heutigen Nordostschweiz) errichtete Burg, nach der sich seit 1090 (bzw. 1108)
eine alemannische bzw. südwestdeutsche, bis in das 10. Jh. zurückzuverfolgende
Adelsfamilie benennt, die 1273 den deutschen König (Rudolf von H.) stellt. Sie
belehnt sich 1282 in den Söhnen des Königs mit dem 1278 von Ottokar von Böhmen
heimgefallenen Reichslehen →Österreich, Steiermark, Krain und Windischer
Mark und baut von dort unter Annahme des Namens Haus H. eine Hausmacht auf
(1335 Kärnten, 1363 Tirol, 1438-1457 Ungarn und Böhmen, 1477 Burgund, 1504/1516
Spanien (europäische Großmacht, 1522 Linienteilung unter Fortführung des Namens
Casa d’Austria), 1526-1918 Ungarn und Böhmen). Vom Spätmittelalter (1273-1308,
ab 1438) bis 1740 (bzw. als Haus Habsburg-Lothringen ab 1745 bis) 1806 stammt
der König bzw. Kaiser des Heiligen römischen Reichs (fast durchgehend) aus dieser mehrfach (z. B.
1379-1490, 1564-1665) in unterschiedliche Linen geteilten Familie. Nebenlinien
regieren ab 1765 die Toskana und ab 1814 Modena. Von 1806 bis (12. 11.) 1918
herrscht sie im selbständig gewordenen Österreich(-Ungarn) weiter, wird nach
Verlusten in Italien am Ende des ersten Weltkriegs aber ausgewiesen (Karl I.) und
enteignet (4. 3. 1919 Gesetz betreffend die Landesverweisung und die Übernahme
des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, 1935 aufgehoben, 1945 wieder in
Kraft) und nach Rückgabe des Privatvermögens 1939 nochmals enteignet.
Lit.: Köbler, DRG 95, 129, 131; Köbler, Historisches
Lexikon; Das habsburgische Urbar, hg. v. Maag, R., Bd. 1f. 1894ff.; Schmidlin,
J., Ursprung und Entfaltung der habsburgischen Rechte im Oberelsass, 1902; Regesta
Habsburgica, Bd. 1ff. 1924ff.; Ammann, H., Die Habsburger und die Schweiz,
Argovia 43 (1931); Meyer, B., Das habsburgische Archiv in Baden, Zs. f.
schweizerische Geschichte 23 (1943), 169; Feine, H., Die Territorialbildung der
Habsburger im deutschen Südwesten, ZRG GA 67 (1950), 176; Wandruszka, A., Das
Haus Habsburg, 1956; Die Auflösung des Habsburgerreiches, 1970; Die
Habsburgermonarchie 1848-1918, Bd. 1ff., hg. v. Wandruszka, A. u. a., 1973ff.;
Wandruszka, A., Das Haus Habsburg, 1978; Wachter, D., Der Aufstieg der
Habsburger, 1982; Kohler, A., Antihabsburgische Politik in der Epoche Karls V.,
1982; Rieger, E., Das Urkundenwesen der Grafen von Kiburg und Habsburg, 1986;
Die Habsburger, hg. v. Hamann, B., 1988, 4. A. 2002; Kamm, R., Geschichte des
Habsburgerreiches, 1990; Baum, W., Kaiser Sigismund, 1993; Kaiser Friedrich
III. (1440-1493) in seiner Zeit, hg. v. Heinig, P., 1993; Krieger, K., Die
Habsburger im Mittelalter, 1994, 2. A. 2004; Heinig, P., Kaiser Friedrich III.
(1440-1493), 1997; Bankl, H., Die kranken Habsburger, 1998; Hansert, A., Der
Prinz wird König, 1998; Noflatscher, H., Räte und Herrscher, 1998; Die
Habsburger im deutschen Südwesten, hg. v. Quarthal, F./Faix, G., 1999; Erbe,
M., Die Habsburger, 2000; Heimann, H., Die Habsburger, 2001; Laubach, E.,
Ferdinand I. als Kaiser, 2001; Niederstätter, A., Die Herrschaft Österreich,
2001; Nuss, P., Les Habsbourg en Alsace, 2002; Leidinger, H./Moritz, V./Schippler,
B., Schwarzbuch der Habsburger, 2003; Sauter, A., Fürstliche
Herrschaftsrepräsentation, 2004; Böhmer, P. u. a., Die Erben des Kaisers, 2004;
Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jh.,), hg. v. Pauser, J. u. a.,
2004; Kadgien, M., Das Habsburgergesetz, 2005; Wolf, S., Die Doppelregierung
Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians (1486-1493), 2005; Koller, H.,
Friedrich III., 2005; Regesta Habsburgica 5, 1, bearb. v. Lackner, C., 2007;
Hengerer, M., Ferdinand III. (1608-1657), 2008; Höbelt, L., Franz Joseph I.,
2009; Höbelt, L., Die Habsburger, 2009; Vocelka, K., Die Familien Habsburg und
Habsburg-Lothringen, 2010; Strohmeyer, A., Die Habsburger Reiche 1555-1740,
2012
Hader (M.) Streit
Haderbuch ist eine Selbstbezeichnung spätmittelalterlicher Gerichtsbücher (z. B.
in Ingelheim, Nürnberg, Landshut).
Lit.:
Kallmann, L., Zank im Dorf, 2002; Als die Welt in die Akten kam, hg. v.
Lepsius, S. u. a., 2008; Die Ingelheimer Haderbücher, hg. v.
Marzi, W., Bd. 1 Das Oberingelheimer Haderbuch 1476-1495, 2011, Bd. 2 2013;
Alltag, Herrschaft, Gesellschaft und Gericht, hg. v. Marzi, W. u. a., 2012
Hafen ist
der anerkannte Landeplatz und die Liegestelle für Schiffe. Der H. erscheint
schon im Altertum. Der besondere Freihafen gewährt allen Schiffen Zutritt und
dient nur dem Warenumsatz (1869/1888 im Norddeutschen Bund bzw. Deutschen
Reich Zollausland, in der europäischen Zollunion Freizone).
Lit.: Schröder, R., Das Eigentum am Kieler Hafen, ZRG GA 26
(1905), 34; See- und Flusshäfen vom Hochmittelalter bis zur Industrialisierung,
hg. v. Stoob, H., 1986; Rademacher, M., Die Geschichte des Hafen- und
Schiffahrstsrechts in Hamburg, Bd. 4 1999 (Selbstverlag)
Haflidaskra ist
das 1117/1118 in →Island eingeführte, nicht überlieferte Recht, das in
der →Gragas aufgeht.
Lit.: Johannesson, J., Islands Historie,
1969
Haft ist
die amtliche Entziehung der Bewegungsfreiheit vor allem zum Zweck der
Untersuchung oder Bestrafung und der Erzwingung einer Handlung. Ihre Voraussetzungen
sind zunächst nicht festgelegt. Bereits hoch- und spätmittelalterliche Quellen
(mit Schöffenvorbehalten) sowie dann die englische →Habeas-corpus-akte
(1679) verlangen aber vielleicht als Folge des Aufkommens des
Inquisitionsprozesses einen richterlichen Haftbefehl bzw. eine richterliche
Untersuchung. Im Rechtsstaat des 19. Jh.s wird jeder staatliche Eingriff in die
Freiheit von einer gesetzlichen Gestattung abhängig gemacht (Bayern 1818, Baden
1818, Württemberg 1819 u. s. w.).
Lit.: Köbler, DRG 205; Thissen, M., Das Verhaftungsrecht,
Diss. jur. Bonn 1961; Hermes, T., Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr, 1992;
Ollinger, T., Die Entwicklung des Richtervorbehalts im Verhaftungsrecht, 1997
Haftbefehl (1868) ist die schriftliche Anordnung eines Richters, einen
Menschen in Haft zu nehmen. Der H. setzt die Verfolgung von Unrechtstaten durch
die Allgemeinheit voraus. Vorstufen des Haftbefehls sind sowohl der englische
warrant of commitment, der dem Büttel (constable) aufgibt, den Beschuldigten in
das Gefängnis zu bringen, wie auch der französische →lettre de cachet,
der oft den königlichen Befehl enthält, sich in ein Gefängnis zu begeben.
Demgegenüber bestimmt nach der englischen →Habeas-corpus-akte (1679) vor
allem die französische →Déclaration des droits de l’homme et du citoyen
(1789) zur Sicherung der revolutionär geforderten Freiheit, dass kein Mensch in
Haft genommen oder gefangengehalten werden darf, außer in den durch Gesetz
bestimmten Fällen und nach den vom Gesetz vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Die
französische Verfassung von 1791 fordert für jede Verhaftung einen
polizeilichen oder gerichtlichen H. Nach der Verfassung von 1795 muss der H.
den Haftgrund und die Rechtsgrundlage enthalten und dem Verhafteten
abschriftlich ausgehändigt werden. Die Verfassung von 1799 verlangt einen
richterlichen H. Der 1808 erlassene Code d’instruction criminelle
unterscheidet vier Arten von Haftbefehlen und wirkt in der Folge auf das
deutsche Strafverfahrensrecht ein (Bayern 1813, Deutsches Reich 1848,
Reichsstrafprozessordnung 1877/1879). Unter der nationalsozialistischen
Herrschaft (1933-1945) und in der Deutschen Demokratischen Republik (1949-1989)
verliert der H. rechtstatsächlich seine Schutzwirkung zu Gunsten des
Verdächtigen.
Lit.: Thissen, M., Das Verhaftungsrecht, Diss. jur. Köln
1961; Pugh, R., Imprisonment in medieval England, 1968; Speck, H., Die
Geschichte der Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft, Diss.
jur. Kiel 1969; Fricke, K., Politik und Recht in der DDR, 1979; Die
Rechtsordnung der DDR, hg. v. Heuer, U., 1995
Haftpflichtversicherung ist die für den Fall der gesetzlichen Verpflichtung zu
einer →Haftung abzuschließende oder abgeschlossene →Versicherung
(z. B. [1939] des Halters eines Kraftfahrzeuges).
Lit.:
Peyer, P., Die Haftpflichtversicherung des Motorfahrzeughalters, 1934
Haftung (Wort um 900) ist das Unterworfensein
des Schuldners als Person mit seinem Vermögen unter den Vollstreckungszugriff
des Gläubigers. Die H. ermöglicht deshalb die Erzwingung der Erfüllung, die
der Schuld als solcher (vermutlich) fehlt. Dementsprechend gibt es (nur noch einzelne
Fälle von) H. ohne Schuld und Schuld ohne H. Im römischen Recht ist nach
Ersetzung des ursprünglichen rächenden Zugriffsrechts des Verletzten gegenüber
dem unrecht handelnden Täter durch eine Sühnegabe auch die künstliche Herstellung
einer H. durch Geschäft möglich (z. B. lat. [N.] →nexum, [F.] →sponsio
- stipulatio). Später tritt neben der H. auch der Gedanke der Schuld hervor.
Spätestens in der jüngeren Republik wird in der (lat. [F.]) →obligatio
neben der H. die Schuld mitverstanden. Ähnliche Verhältnisse sind auch für das
germanische Recht anzunehmen. Dementsprechend setzt sich seit dem
Frühmittelalter die Auffassung durch, dass jede Schuld auch ohne besondere
zusätzliche Vereinbarung eine H. zur Folge habe. Auf dieser Grundlage wird seit
dem Spätmittelalter mit der Aufnahme des römischen Rechtes auch die römische
Vorstellung von der (lat. [F.]) obligatio aufgenommen. Die älteste Form der
leiblichen Haftung (z. B. Geiselschaft, Schuldknechtschaft, Schuldhaft) endet
dabei im Jahre 1868 (Wechselarrest). Im Übrigen steht neben der Haftung eines
einzelnen bestimmten Gegenstands (Sache, Recht) die allgemeine, grundsätzlich
unbeschränkte persönliche Vermögenshaftung. Vertraglich ist jeweils auch eine
Haftungsbeschränkung möglich.
Lit.: Kaser § 32 II; Köbler, DRG 26, 59, 127, 167; Hammer,
O., Die Lehre vom Schadensersatze nach dem Sachsenspiegel, 1885; Egger, A.,
Vermögenshaftung und Hypothek nach fränkischen Recht, 1903; Gierke, O. v.,
Schuld und Haftung im älterem deutschem Recht, 1910, Neudruck 1969; Kaufmann,
H., Rezeption ind usus modernus der actio legis Aquiliae, 1958; Goerlitz, T.,
Die Haftung des Bürgers und Einwohners für Schulden der Stadt und ihrer
Bewohner nach Magdeburger Recht, ZRG GA 56 1966), 150; Schneider-Horn, W., Die
Haftung des Verkäufers für Rechtsmängel nach lübischem Recht, Diss. jur.
Hamburg 1969; Benöhr, H., Zur außervertraglichen Haftung im gemeinen Recht, FS
M. Kaser, 1976, 689; Diestelkamp, B., Die Lehre von Schuld und Haftung, (in)
Wissenschaft und Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 6 1982, 21;
Schubert, W., Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Quaderni Fiorentini
11/12 (1982/3), 589; Eska, A., Schuld und Haftung, Diss. jur. Potsdam 1998;
Jansen, N., Die Struktur des Haftungsrechts, 2003; Ebert, I., Pönale Elemente
im deutschen Privatrecht, 2004; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Hagen
Lit.: Linscheidt, P., Das
Landgericht Hagen, 2004
Hagenrecht ist
das im 11./12. Jh. im Weserbergland (zuerst in Eschershausen) sichtbar
werdende günstige Bodennutzungsrecht der persönlich freien Häger der hochmittelalterlichen
deutschen Rodungssiedlung (in Pommern z. B. Halteshagen 1262). Das
Hagenhufendorf ist meist ein lang gestrecktes Straßendorf.
Lit.: Blohm, R., Die Hagendörfer in Schaumburg-Lippe, 1943;
Engel, F., Das Rodungsrecht der Hagensiedlungen, 1949; Kroeschell, K.,
Waldrecht und Landsiedelrecht, Hess. Jb. f. LG. 4 (1954), 117; Molitor, E.,
Verbreitung und Bedeutung des Hägerrechts, (in) Adel und Bauern, 2. A. 1967,
331; Asch, J., Grundherrschaft und Freiheit, Nds. Jb. 1978, 107
Hagestolz ist in Schweizer, Kurpfälzer und westfälischen
Quellen des 13. und 14. Jh.s der unverheiratete erwachsene Mensch ohne eigene
Hausstatt, der beim Tode vom Grundherrn beerbt wird. Spätestens im 19. Jh.
endet das besondere Recht.
Lit.: Brünneck, W. v. Zur Geschichte des Hagestolzenrechts,
ZRG GA 22 (1901), 1f.; Stölzel, A., Ein Karolinger Königshof, 1919; Stoll, F.,
Das Hagestolzenrecht, 1970; Storost, J., Entschieden ist also wol nichts,
Beitr. z. Gesch. de. Sprachwiss. 5 (1995), 253
Hagerup,
Francis (1853-1921), Beamtensohn, wird nach dem Rechtsstudium in München,
Leipzig und Paris 1887 Professor und 1895 Ministerpräsident in Norwegen. Durch
eine Reihe wichtiger Beiträge zu verschiedenen Rechtsgebieten (Privatrecht,
Methodenlehre, Strafprozess, Zivilprozess, Strafrecht) wird er zu einem der
bedeutendsten Rechtswissenschaftler →Norwegens.
Lit.: Kaartvedt, A., Hoyres Historie, Bd. 1 1984, 133
Halberstadt wird als Bistum 814 in Sachsen gegründet. Neben der Bischofsburg lassen
sich seit dem 10. Jh. Handwerker und Kaufleute nieder. 1214 werden (lat.)
universi civitatis burgenses genannt. Das Stadtrecht ist von Goslar
beeinflusst. Die Altstadt wird am 8. 4. 1945 nahezu gänzlich zerstört.
Lit.: Urkundenbuch der Stadt
Halberstadt, hg. v. Schmidt, G., Bd. 1f. 1878f.; Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt,
bearb. v. Schmidt, G., Bd. 1ff. 1883ff.; Schmidt-Ewald, W., Die Entstehung des
weltlichen Territoriums des Bistums Halberstadt, 1916; Bogumil, K., Das Bistum
Halberstadt im 12. Jahrhundert, 1972; Militzer, K./Przybilla, P.,
Stadtentstehung, 1980; Urkundenbuch des Stifts S(ank)t Johann bei Halberstadt
1119/1123-1804, hg. v. Diestelkamp, A. u. a., 1989; Geschichte und Kultur des
Bistums Halberstadt 804-1648, hg. v. Siebrecht, A., 2006
Hale, Sir
Matthew (1609-1676), früh verwaist, wird nach kurzem Theologiestudium in
Cambridge (1626) 1628 Mitglied von Lincoln’s Inn in London, 1636 Anwalt, 1654
Richter und Parlamentsmitglied, nach der Wiedereinsetzung des englischen
Königs Karl II. 1660 Richter am Court of Exchequer und 1671 Chief Justice of
the King’s Bench. In seinen nach seinem Tod teilweise gedruckten Schriften
versucht er eine Ordnung des englischen Strafrechts (Pleas of the Crown), eine
methodische Erfassung des Rechtes (Analysis of the Civil Part of the Law), eine
Geschichte des Strafrechts (History of the Pleas of the Crown) und eine
Geschichte des Common Law (History of the Common Law).
Lit.: Burnet, G., Life and Death of Sir
Matthew Hale, 1682; Holdsworth, W., History of English Law, Bd. 6 1937, 574
Halle an
der Saale ist der wegen des dortigen Salzvorkommens schon um 1000 v. Chr.
besiedelte Ort (Ersterwähnung 806 castellum, 961 an Moritzkoster in Magdeburg),
der wohl im 12. Jh. Stadt wird. 1235 teilt der Schöffenstuhl das Recht Halles
der Stadt Neumarkt in Schlesien mit (Halle-Neumarkter Recht, nur abschriftlich
bezeugt, inhaltliche Nähe zum Sachsenspiegel ohne Nachweis unmittelbarer
Benutzung, möglicherweise verbreitet in 500 Städten und Dörfern). 1266 setzt
die Überlieferung von Schöffenbüchern ein. Nach dem 1680 erfolgten Übergang vom
Erzstift Magdeburg an den Markgrafen von Brandenburg richtet dieser 1694 eine
aufgeklärte Modelluniversität in H. ein (→Thomasius, Samuel Stryk, Johann
Peter von Ludewig, Nicolaus Hieronymus Gundling, Justus Henning Böhmer, Johann
Gottlieb Heineccius, Christian Wolff) (bis 1806). Nach dem Erwerb der Gebiete
Sachsens um Wittenberg durch Preußen (1815) wird die 1813 von Napoleon geschlossene
Universität Wittenberg nach Halle verlegt und am 12. 4. 1817 die Universität
Halle-Wittenberg gegründet (am 24. 4. 1945 bei 18 Mitgliedern der rechts- und
staatswissenschaftlichen Fakultät geschlossen, zum 1. 2. 1946 mit den rechtswissenschaftlichen
Professoren Wolfgang Hein, Rudolf Joerges, Wilhelm Herschel und Rudolf
Schranil wiedereröffnet. Von 1947 bis 1952 ist H. Hauptstadt des Landes
Sachsen-Anhalt, von 1952 bis 1990 Hauptstadt des Bezirks.
Lit.: Köbler, DRG 136; Gaupp, E., Das
alte magdeburgische und hallische Recht, 1826; Die hallischen Schöffenbücher
(1266-1640), bearb. v. Hertel, G., Teil 1f. 1882ff.; Meinardus, O., Das Neumarkter
Rechtsbuch, 1906; Kötzschke, R., Der hallische Schöffenbrief für Neumarkt in
Schlesien und das älteste Neumarkter Recht, ZRG GA 31 (1910), 137; Schranil,
R., Stadtverfassung nach Magdeburger Recht, ZRG GA 36 (1915), 526; Urkundenbuch
der Stadt Halle, bearb. v. Bierbach, A., Bd. 1ff. 1930ff.; Sandow, E., Das
Halle-Neumarkter Recht, 1932; Goerlitz, T., Zum Jahr 1181 der hallischen
Rechtsmitteilung an Neumarkt, ZRG GA 56 (1936), 378; Buchda, G., Die
Spruchtätigkeit der hallischen Juristenfakultät in ihrem äußeren Verlauf, Teil
1, ZRG GA 62 (1942), 210, Teil 2 ZRG GA 63 (1943), 251, Teil 3 ZRG GA 64
(1944), 223, 68 (1951), 308 (Schluss); 250 Jahre Universität Halle, 1944;
Buchda, G., Zur Geschichte des hallischen Schöppenstuhls, ZRG GA 67 (1950),
416; Körner, H., Stadt- und grundherrliche Rechte in Halle, Diss. jur. Halle
1952; Buchda, G., Spruchtätigkeit der hallischen Juristenfakultät (Nachtrag),
ZRG GA 71 (1954), 367; Winter, E., Halle als Ausgangspunkt der deutschen
Russlandkunde im 18. Jahrhundert, 1953; Schildt, B., Schubart-Fikentscher, G.,
Hallesche Spruchpraxis, 1960; Die Spruchtätigkeit der Halleschen
Juristenfakultät, Diss. jur. Halle 1980 (Manuskript); Halle, 2. A. 1983; Brümmer,
M., Staat kontra Universität, 1991; Jelowik, L.,
Kuriosa aus der Geschichte der halleschen Juristenfakultät, ZRG GA 109 (1992),
382; 300 Jahre Universität Halle, hg. v. Speler, R., 1994; Maier, H.,
Aufklärung, Pietismus, Staatswissenschaft, HZ 261 (1995), 769; Hallesche
Rechtsgelehrte jüdischer Herkunft, hg. v. Pauly, W., 1996; Hüls, T., Die
Juristenausbildung an der Universität Halle, 1997; Rechtsgeschichte in Halle,
hg. v. Lieberwirth, R., 1998; Jelowik, L., Tradition und Fortschritt, 1998; Herrmann,
V., Die Entwicklung von Halle (Saale) im frühen und hohen Mittelalter, 2001;
Eberle, H., Die Martin-Luther-Universität in der Zeit des Nationalsozialismus,
2002; Kannowski, B. u. a., Der hallensische Schöffenbrief für Neumarkt von
1235, ZRG GA 120 (2003), 61; Rüdiger, A., Staatslehre und Staatsbildung, 2005;
Lieberwirth, R., Geschichte der juristischen Fakultät der Universität
Halle-Wittenberg nach 1945, 2008, 2. A. 2010; Die rechts- und
staatswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
im Nationalsozialismus, hg. v. Lück, H. u. a., 2011; Aktuelle Beiträge zur Rechtswissenschaft
und zu ihren geistesgeschichtlichen Grundlagen, 2013
Haldensleben
Lit.:
Böcker, H., Die Stadtbücher von Haldensleben (ca. 1255-1486) - Analysen und Register,, 2010
Hallstein, Walter (Mainz 17. 11. 1901-Stuttgart 29. 3. 1982), wird nach dem Studium
des Rechtes 1932 Professor für bürgerliches Recht, Handelsrecht und
internationales Privatrecht in Rostock und 1941 Professor in Frankfurt am Main
(1954 Verzicht, 1969 emeritiert), 1950 Staatssekretär im Bundeskanzleramt und
1951 im Außenministerium (Hallstein-Doktrin) sowie nach Mitwirkung bei der
Verhandlung der europäischen Verträge von 1957 von 1958 bis 1967 erster
Präsident der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Er hat sich
um die Europäische Gemeinschaft in vielfacher Hinsicht sehr verdient gemacht.
Lit.:
Nachruf JZ 1982, 435f. (T. Oppermann); Kilian, M., Hallstein, Jb. d. öff.
Rechts N. F. 53 (2005), 369
Halm ist
der Stengel des Grases (bzw. Getreides), der im mittelalterlichen Recht
vielfach als Symbol der →Investitur mit einem Gut verwendet wird.
Lit.: Grimm, J., Deutsche Rechtsaltertümer, 1828, 4. A.
1899, Neudruck 1922, 1989, 1994, Bd. 1, 168 u. ö.
Haloander (Meltzer),
Gregor (Zwickau 1500-1531) gibt 1528-1531 auf der Grundlage der Vorarbeiten
Polizians und Bolognins sowie der Florentiner Handschrift eine (humanistische)
unglossierte Ausgabe der justinianischen Rechtstexte mit unvollständigen
griechischen Bestandteilen in Pandekten und Codex und griechischen Novellen
heraus, in der er die mittelalterliche Gliederung der Pandekten beseitigt, die
Inskriptionen beachtet und im Codex die Subskriptionen herstellt.
Lit.: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
2,1,645
Hals und Hand
ist im deutschen Mittelalter eine Paarformel für die Lebensstrafe bzw.
Leibesstrafe.
Lit.: Kocher,
G., Der Hals im Recht, Signa iuris 2 (2008), 9
Halseisen ist
im deutschen Mittelalter die Vorrichtung, mit deren Hilfe ein Straftäter am →Pranger
befestigt werden kann.
Lit.: Preu, A., Pranger und Halseisen, Diss. jur. Erlangen
1949
Halsgericht (13.
Jh. [1296]) →Hals und Hand, Halsgerichtsordnung
Halsgerichtsordnung ist die Strafverfahrensordnung am Beginn der frühen Neuzeit
([Nürnberg 1314,] Würzburg 1447, Ellwangen 1466, Nürnberg 1485, (unter
Berücksichtigung des Vorverfahrens) Tirol 1499, [Volkach 1504,] Radolfzell
1506, Bamberg 1507 (1516 Ansbach, Bayreuth), Laibach 1514, Krain 1535,
Niederösterreich 1514/1540, Kärnten, Steiermark, Oberösterreich 1559,
[Regensburg 1565/1575, Eberstein 1609/1622]). Als H. wird auch die →Constitutio
Criminalis Carolina Karls V. von 1532 benannt. In den Hasgerichtsordnungen
ist zu erkennen, wie sich das Schwergewicht des Verfahrens in Strafsachen auf
das ermittelnde Vorverfahren verlagert.
Lit.: Köbler, DRG 139; Schmidt, E., Die Maximilianischen
Halsgerichtsordnungen, 1949; Merzbacher, F., Das alte Halsgerichtsbuch des
Hochstifts Eichstätt, ZRG GA 73 (1956), 375; Schultheiß, W., Geschichte des
Nürnberger Ortsrechts, 1957, 10; Weber, H., Die peinliche Halsgerichtsordnung
Karls V., ZRG GA 77 (1960), 288; Schild, W., Die Halsgerichtsordnung der Stadt
Volkach, 1997
Halslösung ist die Ablösung der Todesstrafe durch Geldzahlung. Sie erscheint wohl
mit der Todesstrafe. Sie verschwindet bis zur Peinlichen Gerichtsordnung Karls
V. von 1532.
Lit.:
His, R., Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, 1928
Hambacher Fest ist
das vom 27. bis zum 30. 5. 1832 auf der Burgruine von Hambach (Maxburg,
Kästenburg) in der Pfalz auf Einladung (20. 4. 1832) des Schriftstellers
Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1785-1849) (und des Journalisten Johann Georg
August Wirth) als politische Kundgebung des Liberalismus mit etwa 25000
Teilnehmern durchgeführte Fest. Die geplante Wahl einer provisorischen
Nationalregierung zwecks Abschaffung der Monarchie und Bildung eines Bundes von
Republiken nach amerikanischem Muster scheitert. Die Hauptverantwortlichen
werden auf Drängen Österreichs und Preußens zu Haft verurteilt, doch gilt das
H. F. als Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland. →Deutscher Bund
Lit.: Wirth, J., Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach,
Teil 1f. 1832; Valentin, V., Das Hambacher Nationalfest, 1932; Süß, E., Die
Pfälzer im „schwarzen Buch“, 1956; Das Hambacher Fest, hg. v. Baumann, K., 2.
A. 1982; Freiheit, Einheit und Europa - das Hambacher Fest von 1832, hg. v.
Kermann, J. u. a., 2006; Kreutz, W., Hambach 1832, 2006
Hamburg ist
der vielleicht aus einem Königshof Karls des Großen nahe der Mündung der Alster
in die Elbe erwachsene Stadtstaat. 831 wird H. Sitz eines Bistums. Zwischen 834
und 845 erhält der Ort Marktprivilegien und Zollprivilegien. 845 wird der Ort
von Wikingern zerstört und das Bistum mit Bremen vereinigt. 1189 bestätigt
Kaiser Friedrich I. Barbarossa der 1188 gegründeten Neustadt H. umfangreiche
Handels-, Zoll- und Schifffahrtsrechte. Um 1270 wird das Recht von dem
gelehrten Ratsnotar Jordan von Boizenburg im sog. Ordeelbook aufgezeichnet.
1292 erhält die Stadt vom Stadtherrn das Recht der eigenen Rechtssetzung. Sie
erwirbt umfangreiche Landgebiete. Am Beginn des 15. Jh.s wird die Reichsunmittelbarkeit
wohl anerkannt (1460 Reichsstadt?). 1497 wird das Recht durch den in Bologna
ausgebildeten Bürgermeister Hermann Langenbeck neu gefasst (Ratsexemplar als
Bilderhandschrift), 1603 nach dem Vorbild Nürnbergs von 1564 in neuhochdeutsher
Sprache unter Einbeziehung der Gerichtsordnung von 1560 reformiert (1605
publiziert). 1618 stuft das Reichskammergericht des Heiligen römischen Reichs
H. als freie Reichsstadt ein (1768 von Dänemark anerkannt). Weitere Rechtsquellen
sind Gerichtsordnungen von 1622, 1632 und 1645, eine Banquerotieordnung von
1647, eine Wechselordnung von 1711, eine Fallittenordnung von 1753 und eine
Vormundschaftsordnung von 1844. Um 1800 hat die Stadt mehr als 100000
Einwohner. 1806 wird H. von Frankreich besetzt, das 1807 den Code civil
einführt, 1814 aber wieder abzieht. 1815 wird H. Mitglied des Deutschen Bundes
(1820 gemeinsames Oberappellationsgericht mit Bremen, Frankfurt am Main und
Lübeck). 1860 erhält es eine Verfassung. 1867 wird es Mitglied des
Norddeutschen Bundes und als Großstadt damit 1870/1871 Bundesstaat des
Deutschen Reiches. 1920 gibt es sich eine demokratische Verfassung, die nach
dem zwischenzeitlichen Verlust der Eigenständigkeit (1933-1945) 1952 erneuert
wird.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Der Stadt Hamburg
Gerichtsordnung und Statuta, hg. v. Ver. f. hamburg. Gesch., 1842; Hamburgisches
Urkundenbuch, hg. v. Lappenberg, H. u. a., Bd. 1ff. 1842ff.; Baumann, H., Das
Privatrecht der freien und Hansestadt Hamburg, Bd. 1f. 1856; Die
Bilderhandschrift des hamburgischen Stadtrechts von 1497, 1917 (mit einem
Wörterverzeichnis); Reincke, H., Hamburg, 1925; Reincke, H., Agneta Willeken,
1928; Schalk, E., Einführung in die Geschichte des Liegenschaftsrechts der freien
und Hansestadt Hamburg, 1931; Schubert, K., Die Hamburger ehelichen
Güterrechtsverhältnisse, 1934; Bücherkunde zur hamburgischen Geschichte, Bd.
1ff. 1939ff.; Reincke, H., Forschungen und Skizzen zur Geschichte Hamburgs,
1951; Strehlow, G., Die holländischen Einwanderungen, Diss. jur. Hamburg 1951;
Ewald, M., Der hamburgische Senatssyndicus, 1954; Reincke, H., Das hamburgische
Ordeelbook von 1270 und sein Verfasser, ZRG GA 72 (1955), 82; Kausche, D.,
Untersuchungen zur älteren Rechtsgeschichte und Topographie Harburgs, Zs. d.
Vereins f. hamburg. Geschichte 43 (1956), 105; Genzmer, H., Die Grundrechte in
der Hamburger Konstitutante, Diss. jur. Hamburg 1957; Winter, G., Das eheliche
Güterrecht im älteren hamburgischen Recht, Diss. jur. Hamburg 1958; Otto, F.,
Die rechtlichen Verhältnisse des Domstiftes zu Hamburg von 1719 bis 1802, Diss.
jur. Göttingen 1958; Hamburgische Burspraken, hg. v. Bolland, J., 1960;
Dokumente zur Geschichte der hamburgischen Reichsfreiheit, bearb. v. Reincke,
H., 1961; Pitz, E., Die Zolltarife der Stadt Hamburg, 1961; Schultze-von
Lasaulx, H., Geschichte des hamburgischen Notariats, 1961; Die Hamburger
Elbkarte aus dem Jahre 1568, gez. v. Lorichs, Melchior, hg. v. Bolland, J.,
1964; Ipsen, H., Hamburgs Verfassung und Verwaltung, 1965; Die
Bilderhandschrift des Hamburger Stadtrechts 1497, erl. v. Reincke, H., 1968;
Hamburger Testamente, bearb. v. Loose, H., 1970; Rückleben, H., Die
Niederwerfung der hamburgischen Ratsgewalt, 1970; Ramcke, R., Die Beziehungen
zwischen Hamburg und Österreich im 18. Jahrhundert, 1969; Richter, K.,
Untersuchungen zur Hamburger Wirtschafts- und Sozialgeschichte um 1300, 1971;
Gabrielson, P., Struktur und Funktion der Hamburger Rentengeschäfte 1471-1490,
1971; Wenner, H., Handelskonjunkturen und Rentenmarkt, 1972; Hamburg, hg. v.
Loose, H., 1982; Augner, G., Die kaiserliche Kommission der Jahre 1708-1712,
1983; Dreyer, T., Die Assekuranz- und Havereyordnung der freien und Hansestadt
Hamburg von 1731, 1990; Voß, J. v., Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Hamburg,
1988; Stadtgeschichte Hamburg, red. v. Schöller, A., 1990; Hochschulalltag im
Dritten Reich, hg. v. Krause, E. u. a., 1991; Recht und Juristen in Hamburg,
hg. v. Albers, J., 1994; Hoppe, C., Die Bürgschaft im Rechtsleben Hamburgs,
1997; Rademacher, R., Die Geschichte des Hafen- und Schifffahrtsrechts in
Hamburg, Bd. 3 1997; Hamburgische Biografie, hg. v. Kopitzsch, F. u. a., Bd.
1ff. 2001ff.; Kleßmann, E., Geschichte der Stadt Hamburg, 2002; Martens, H.,
Hamburgs Weg zur Metropole, 2004; Das Hamburger Ordeelbook von 1270, hg. v.
Eichler, F., 2005; Weber, S., Die
Stellung Hamburgs in der Verfassung des alten Reiches, 2005; Krieger, M.,
Geschichte Hamburgs, 2006; Kähler, J., Französisches Zivilrecht und
französische Justizverfassung in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen
(1806-1815), 2007; Hamburgische Biographie, hg. v. Kopitzsch, F. u. a., Bd. 3
2006; Eichler, F., Das Hamburger Ordeelbook in der Erstfassung von 1270, 2007;
Die Langenbeck’sche Glosse zum Hamburger Stadtrecht von 1497, hg. v. Eichler,
F., 2008; Schröder, H., Ernst Friedrich Sieveking 2009, Hamburg-Bibliographie
online; Riemer, R., Frankfurt und Hamburg vor dem Reichskammergericht,
2011
Hamm
Lit.: 700 Jahre Stadt Hamm, hg. v. Magistrat, 1926
Hammer ist ein anfangs aus
Stein, später aus Metall (Kopf) und Holz (Stiel) bestehendes Werkzeug des
Menschen zur Bearbeitung von Stein(, Holz) und Metall, das auch rechtssymbolisch
verwendet werden kann (z. B. Hammer und Sichel, Werfen, Vorsitz im Gericht,
Auktion), rechtsgeschichtlich aber noch nicht monographisch erfasst zu sein
scheint.
Lit.:
Lurker, M., Bibliographie zur Symbolkunde, 1968
Hammurapi (1793-1750
bzw. 1728-1686 v. Chr.), König von Babylon, veranlasst die bekannteste,
1901/1902 in Susa auf einer 2,25 Meter hohen, in der Gegenwart in Paris
befindlichen Dioritstele entdeckte, aus rund 30 Tontafelabschriften ergänzte
Rechtssammlung des orientalischen Altertums (Codex Hammurapi) mit etwa 8000
Wörtern in Prolog, 280 bzw. 282 Abschnitten über die Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung und über unterschiedliche Sachverhalte des Privatrechts
und Strafrechts (z. B. 192 Wenn ein Mann einem Manne einen Zahn ausgeschlagen
hat, wird sein Zahn ausgeschlagen) (80 Prozent des Textes) und Epilog. Noch
älter ist der →Codex Urnammu.
Lit.: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/CodexHammurapi_en.htm;
Codex Hammurabi, hg. v. Eilers, W., 5. A. 1932, Neudruck 2009; Fehr, H.,
Hammurapi und das salische Recht, 1910; Koschaker, P., Rechtsvergleichende
Studien zur Gesetzgebung Hammurapis, 1917; Driver, G. u. a., The Babylonian
Laws, 1952ff.; Nörr, D., Studien zum Strafrecht im Kodex Hammurapi, 1954;
Haase, R., Einführung in das Studium keilschriftlicher Quellen, 1965; Müller,
D., Die Gesetze Hammurabis, 1975; Ringer, J., Noch einmal: Was war der „Kodex“
Hammurapi, (in) Rechtskodifikation, hg. v. Gehrke, H., 1994; Wesel, U.,
Geschichte des Rechts, 3. A. 2006; Strenge, I., Codex Hammurapi und die Rechtsstellung
der Frau, 2006; Der Codex Hammurabi in deutscher Übersetzung, hg. v. Winckler,
H., 2010
Hand ist
das zum Greifen dienende menschliche Gliedmaß, das im Recht vielfach symbolisch
verwendet wird. →Hals und Hand, handhaft
Lit.: Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer, Bd. 1f. 4. A. 1899,
Neudruck 1922, 1989, 1994; Amira, K. v., Die Handgebärden in den
Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, 1905; Jursch, H./Jursch, L., Hände als
Symbol und Gestalt, 8. A. 1951; Schmidt-Wiegand, R., Mit Hand und Mund, Frühmittelalterliche
Studien 25 (1991), 283; Wirth, H., Die linke Hand, 2010
Hand wahre Hand
ist im spätmittelalterlichen deutschen Recht (seit dem 14. Jh. bzw. später)
die eingängige Wendung, die zum Ausdruck bringen soll, dass der Eigentümer, der
einem anderen eine bewegliche Sache anvertraut, diese nur von ihm, nicht
dagegen von einem Dritten, an den die Sache gelangt ist, zurückverlangen kann
(Lübeck 1586 3, 2, 1 und 2). Alter und Herkunft der Wendung sind streitig. Der
Sache nach enthält zwar bereits der Sachsenspiegel (Landrecht II 60 § 1) einen
entsprechenden Satz, doch sind die mittelalterlichen Lösungen dieses Rechtsproblems
durchaus unterschiedlich (z. B. Goslar, München nach h. M. abgelehnt vom
Ingelheimer Oberhof). Mit der Aufnahme des römischen Herausgabeanspruches
(Vindikation) des Eigentümers seit dem Spätmittelalter erweist sich ein
erneutes Durchdenken der Frage als erforderlich, als dessen Folgen der (aus den
römischrechtlichen Sätzen über die Ersitzung hergeleitete) →gute Glaube
des Erwerbers bedeutsam und die Fahrnisverfolgung gegenüber Dritten unter
Verpflichtung der Aufwanderstattung (Lösungsrecht) erweitert wird. Der →Codex
Theresianus (1766 II, 8 § 4) erkennt den gutgläubigen Eigentumserwerb des
Erwerbers an. Streitig ist in der Folge, inwieweit der gutgläubige Erwerb vom
Nichtberechtigten auf dem Satz H. w. H. beruht.
Lit.: Hübner 433; Köbler, DRG 125, 163;
Planitz, H., Fahrnisverfolgung im deutschen Recht, ZRG GA 34 (1913), 424;
Meister, E., Fahrnisverfolgung und Unterschlagung, FS Adolf Wach 1913; Anners,
E., Hand wahre Hand, 1952; Korte, A., Anwendung und Verbreitung des
Rechtssatzes Hand wahre Hand im mittelalterlichen Privatrecht, 1981; Völkl, A.,
Das Lösungsrecht von Lübeck und München, 1991; Hurst-Wechsler, M., Herkunft und
Bedeutung des Eigentumserwerbs kraft guten Glaubens nach Art. 933 ZGB, 2000;
Engstfeld, J., Der Erwerb vom Nichtberechtigten, 2002
Handel (Wort 1267) ist der Ankauf und
Verkauf von Waren auf dem Weg vom Hersteller zum Verbraucher. An seinem Anfang
steht der →Tausch. Mit der Verwendung von →Geld beginnt der →Kauf
den Tausch abzulösen. Bedeutsam ist der H. im Stadtstaat des Altertums und seit
dem Hochmittelalter in der Stadt. Mit dem 19. Jh. tritt die Selbstversorgung
allgemein hinter der Versorgung durch Markt und Handel zurück.
Lit.: Köbler, DRG 13, 16, 29, 67, 78, 97, 167, 176, 217,
225, 242, 271; Stein, W., Handels- und Verkehrsgeschichte der deutschen
Kaiserzeit, 1922, Neudruck 1967; Rundstedt, H. v., Die Regelung des
Getreidehandels in den Städten, 1930; Weider, M., Das Recht der deutschen
Kaufmannsgilden im Mittelalter, 1931; Beutin, L., Der deutsche Seehandel, 1933;
Koppe, W., Lübeck-Stockholmer Handelsgeschichte, 1933; Müller, K.,
Welthandelsbräuche 1480-1540, 1934, Neudruck 1962; Laurent, H., Un grand
commerce d’exportation, 1935; Köhler, E., Einzelhandel im Mittelalter, 1938;
Aubin, G./Kunze, A., Leinenerzeugung und Leinenabsatz im östlichen
Mitteldeutschland, 1940; Peyer, H., Zur Getreidepolitik oberitalienischer
Städte im 13. Jahrhundert, 1950; Kehn, W., Der Handel im Oderraum im 13. und
14. Jahrhundert, 1968; Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und
frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Bd. 1ff. hg. v. Düwel, K.,
1985ff. (Bd. 3 Der Handel im frühen Mittelalter); Siems, H., Handel und Wucher
im Spiegel frühmittelalterlicher Rechtsquellen, 1992; North, M., Kommunikation,
Handel, Geld und Banken, 2000; Gassert, M., Kulturtransfer durch Fernhandelskaufleute,
2001; Hornbogen, J., Travail national – nationale Arbeit – die handelspolitische
Gesetzgebung in Frankreich und Deutschland, 2002; Reyerson, K., The Art of the
Deal, 2002; Nagel, J., Abenteuer Fernhandel. Die Ostindienkompagnien, 2007; Hahn,
B., Welthandel, 2009; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010; Praktiken des Handels, hg. v.
Häberlein, M. u. a., 2010; Netzwerke im europäischen Handel des
Mittelalters, hg. v. Fouquet, G. u. a., 2010
Handelsbrauch ist der im Handel beachtete und im
Zweifel zu beachtende Brauch.
Lit.: Müller, K.,
Welthandelsbräuche 1480-1540, 1934
Handelsbuch ist
das seit dem Spätmittelalter vom Händler über seine Geschäfte geführte →Buch,
das in der Neuzeit auch rechtlich den Beweis erleichtert (ALR [1794]).
Lit.: Köbler, DRG 167; Schmidt-Busemann,
W., Entstehung und Bedeutung der Vorschriften über Handelsbücher, Diss. rer.
pol. Göttingen 1977; Stockalpner, K. v., Handels- und Rechnungsbücher, hg. v.
d. schweizerischen Stiftung für das Stockalperschloss u. a., Bd. 1ff. 1987ff.;
Dunkmann, C., Die Beweiskraft der Handelsbücher, 2007
Handelsgericht ist das für Handelssachen
zuständige Gericht.
Lit.: Schön, D.,
Die Handelsgerichtsbarkeit im 19. Jahrhundert, Diss. jur. Bonn 1999
Handelsgesellschaft ist die →Handel treibende, auf Gewinnerzielung
gerichtete →Gesellschaft. Sie erscheint zum einen ohne klare Verbindungen
zum römischen Recht des Altertums im Mittelmeerraum (Venedig, Genua, Pisa),
wobei die (lat. [F.]) commenda (Seedarlehen, einseitige Kapitalbeteiligung)
gegenüber der H. (lat. societas [F.] maris) (Seegesellschaft, beidseitige
Kapitalbeteiligung) zumindest zeitweise den Vorrang hat. Aus der Erbengemeinschaft
entwickelt sich die →offene H. Sie wird in Florenz 1408 durch die
Beschränkung der Haftung abgeändert, woraus sich im 16. Jh. als neue Form die →Kommanditgesellschaft
ergibt. Im nordischen Bereich finden sich ebenfalls genossenschaftliche
Unternehmungen. Bedeutsam sind hierbei die Kommission (→sendeve) und das
vielleicht den Rahmen hierfür abgebende Darlehen (wederlegginge, einseitige
Kapitalführung). In Oberdeutschland bilden Familien offene Handelsgesellschaften
(z. B. Fugger). Mit der Entdeckung der neuen Welt seit 1492 werden hohes
Kapital und breite Gefahrenstreuung notwendig. Hieraus entwickelt sich die →Aktiengesellschaft
(1602 Niederländische ostindische Handelskompagnie). Allgemein befasst sich
der deutsche Gesetzgeber mit der H. im Allgemeinen Landrecht (Preußens) von
1794 (II, 8, §§ 614ff. ohne Unterscheidung einzelner Formen). Frankreich, das
bereits 1673 und 1681 ordonnances zum Handel erlassen hatte, setzt 1808 einen
eigenen (franz.) Code de commerce (Handelsgesetzbuch) in Kraft, der die
Aktiengesellschaft (franz.) société (F.) anonyme gesetzlich regelt. Im
Deutschen Bund behandelt 1861 das als allgemeines deutsche Gesetz der
souveränen Bundesstaaten entstandene →Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch
die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die
Aktiengesellschaft und (außerdem) die stille Gesellschaft. Das
Handelsgesetzbuch von 1897 nimmt zusätzlich die Kommanditgesellschaft auf
Aktien auf. Mit dem 20. 4. 1892 wird die →Gesellschaft mit beschränkter
Haftung geschaffen, mit dem 30. 1. 1937 die Aktiengesellschaft in einem eigenen
Gesetz verselbständigt. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bzw.
Europäischen Union werden die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung
(1985/1988), die Europäische Gesellschaft (Europäische Aktiengesellschaft, Societas
Europaea, 2004) und die Societas Cooperativa Europaea neu geschaffen.
Lit.: Köbler, DRG 127; Goldschmidt, L., Handbuch des Handelsrechts,
1864, 2. A. 1875, darin Universalgeschichte des Handelsrechts, (Bd. 1 3. A.)
1891, Neudruck 1957; Weber, M., Zur Geschichte der Handelsgesellschaften, 1889;
Weber, M., Zur Geschichte der Handelsgesellschaften, hg. v. Dilcher, G. u. a.,
2007; Rehme, P., Geschichte des Handelsrechts, 1913; Schulte, A., Geschichte
der großen Ravensburger Handelsgesellschaft, Bd. 1 1923; Pollack-Parnau, F. v.,
Eine österreichisch-ostindische Handelskompagnie 1775-1785, 1927; Ammann, H.,
Die Diesbach-Watt-Gesellschaft, 1928; Fitzler, M., Die Handelsgesellschaft
Felix v. Oldenburg & Co. 1753-160, 1931; Condanari-Michler, S., Zur
frühvenezianischen collegantia, 1937; Silberschmidt, W., Von collegantia und
rogadia zu widerlegung und sendeve, Studi di storia e diritto in onore di
Enrico Besta, 1938; Bruhl-Lévy, H., Histoire juridique des Sociétés de Commerce
en France, 1938; Lopez, R., The Commercial Revolution of the Middle Ages, 1971;
Lutz, E., Die rechtliche Struktur süddeutscher Handelsgesellschaften, 1976;
Hagemann, H., Basler Handelsgesellschaften im Spätmittelalter, FS F. Vischer,
1983, 557; Cordes, A., Spätmittelalterlicher Gesellschaftshandel im Hanseraum,
1998; Hartung, W., Geschichte und Rechtsstellung der Compagnie in Europa, 2000;
Societates, hg. v. Cordes, A. u. a., 2003; Söhnchen, M., Die historische
Entwicklung der rechtlichen Gründungsvoraussetzungen, 2005; Mehr, R., Societas
und universitas - Römischrechtliche Institute im Unternehmensgesellschaftsrecht
vor 1800, 2008; Amend-Traut, A., Brentano, Fugger und Konsorten, 2009; Klosa,
S., Die Brandenburgische-Africanische Compagnie in Emden, 2011
Handelsgesetzbuch ist das den Handel regelnde besondere Gesetzbuch. Es erscheint
1808 als (franz.) Code (M.) de commerce in Frankreich, wo schon →ordonnances
von 1673 und 1681 vorangegangen waren (→Spanien 1829 [Código de
comercio], →Portugal 1833, →Niederlande 1838). Im →Deutschen
Bund wird nach einem vergeblichen Versuch von 1848 auf bayerischen Antrag und
unter Verwendung preußischer und österreichischer Vorlagen 1861 durch
Vereinbarung unter den Bundesstaaten ein eher dem objektiven System Levin
Goldschmidts als dem subjektiven System Johann Heinrich Thöls folgende →Allgemeines
Deutsches Handelsgesetzbuch geschaffen, das die einzelnen Mitgliedstaaten (weitgehend
identisch) als eigenes Gesetz in ihrem Staatsgebiet einführen. Es wird im
Deutschen Reich 1897 in das Handelsgesetzbuch mit auf den Kaufmann abstellendem
subjektivem System umgeformt. Das in Österreich 1938 zum 1. 3. 1939 eingeführte
H. des deutschen Reiches wird 2007 durch ein Unternehmensgesetzbuch abgelöst.
Lit.: Köbler, DRG 182, 184, 217; Protokolle der Kommission
zur Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, hg. v. Lutz, J.,
Bd. 1ff. 1858, Neudruck 1984; http://www.koeblergerhard.de/Fontes/AllgemeinesDeutschesHandelsgesetzbuch1861.htm;
Wild, P., Der Einfluss des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches auf die
Privatrechtsdogmatik, Diss. jur. Saarbrücken 1966; Schubert, W., Die
Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung und des Allgemeinen
Deutschen Handelsgesetzbuchs als Bundesgesetze 1869, ZHR 144 (1980), 484;
Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland (1848/49), hg.
v. Baums, T., 1982; Schulz, R., Die Entstehung des Seerechts des Allgemeinen
Deutschen Handelsgesetzbuches, 1987; Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897,
hg. v. Schubert, W., 1986ff.; 100 Jahre Handelsgesetzbuch, hg. v. Paschke, M.
u. a., 1998; Kiehnle, A., Hofackers Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für
Württemberg und die Rechtsvergleichung, ZRG GA 130 (2013), 406
Handelskammer ist die im 19. Jh. geschaffene Körperschaft des öffentlichen Rechtes zur
Wahrung und Förderung der Interessen der Mitglieder im Bereich des Handels (Frankreich,
linksrheinische deutsche Gebiete ab 1801, Preußen 1848, Österreich 1850, Hamburg
1868, Preußen 1870). In Frankreich entsteht die H. als Unterbau des in Paris 1700
durch Ludwig XIV. eingerichteten Handelsrats zwecks Leitung des Handels und der
Gewerbe nach den Grundsätzen des Merkantilismus. Warum in Preußen auch
rechtsrheinisch nach 1830 Handelskammern nach französischem Vorbild neben
Gilden gegründet werden, ist noch nicht wirklich geklärt.
Lit.: Fischer, W., Unternehmerschaft, Selbstverwaltung und
Staat, 1964; Die Bozner Handelskammer, 1981; Bibliographie zur Geschichte und
Organisation der Industrie- und Handelskammern, hg. v. Ernst, S., 1986;
Schmaltz, J., Die Entwicklung der Industrie- und Handelskammern, 2010;
Faulwetter, S., Von der Zunft zur Handelskammer, 2011
Handelsrecht (1734) ist das Recht des →Handels
bzw. subjektiv das Sonderprivatrecht der →Kaufleute. Es entwickelt sich
trotz einiger besonderer Einrichtungen für den Handel im Altertum und
verschiedener Zeugnisse für Handel und Markt im Frühmittelalter erst seit dem
Mittelalter in Oberitalien (Genua 1056, Pisa 1161 Constitutum usus, Mailand
1170) und Spanien (Barcelona, Valencia). Führend sind dabei die genossenschaftlichen
Zusammenschlüsse der Kaufleute. Bemerkenswert sind Einflüsse der Araber. Für
das Seerecht gewinnen Rhodos (8. Jh.), Trani (11. Jh.), Oléron (12. Jh.), Pisa
(1161), Genua (1350) und Barcelona (1348 →Consolat del Mar) besondere
Bedeutung, im nordeuropäischen Raum die →Hanse. In der frühen Neuzeit
findet sich H. hauptsächlich in den städtischen Statuten (Hamburg 1603, 1642 u.
ö., Nürnberg 1647, 1654, Leipzig 1682 u. a.), daneben auch in Reichspolizeiordnungen
(1523, 1530, 1548, 1577 u. ö.). Etwa zu dieser Zeit setzen auch
wissenschaftliche Bemühungen um das H. ein (Pedro de Santarém, Benvenuto
Stracca 1553, Juan de Hevia Bolaños 1603, Sigismondo Scaccia 1618, Johann
Marquard 1662 Tractatus politico-iuridicus de iure mercatorum et commerciorum
singulari, Savary, Jacques, Le Parfait Négociant, 1675 Neudruck 2011). In
Frankreich erlässt Ludwig XIV. 1673 die (frz.) →ordonnance du commerce
und 1681 die (frz.) →ordonnance de la marine. Im Heiligen römischen Reich
befasst sich Kreittmayr in seinen
Anmerkungen mit dem H. Die erste zusammenfassende Regelung ist im preußischen →Allgemeinen
Landrecht (1794) als Standesrecht der Kaufleute enthalten. Demgegenüber veröffentlicht
Karl Gottlob Rössig (1752-1806) 1796 eine eigene systematische Darstellung des
Leipziger Handelsrechts, Georg Friedrich von Martens (1756-1821) 1797 einen
besonderen Grundriss des Handelsrechts und fasst der vom Code civil (1804)
bewusst getrennte französische →Code de commerce (1808) das H. als
sachliches Sonderrecht des Handels auf. Eine eigenständige deutschrechtliche
Sonderentwicklung im deutschen Bereich lässt sich nicht erkennen, obgleich
sich die Lehrbücher des gemeinen deutschen Privatrechts besonders auch des
Handelsrechts annehmen. In der Folge erlangt das Handelsrecht wegen des
Wandels der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft und anschließend zur
Dienstleistungsgesellschaft und dem damit verbundenen Übergang von der
Hauswirtschaft zur Marktwirtschaft sowie der nicht vorher gesehenen Entfaltung
des Verkehrswesen in Richtung globaler Weltwirtschaft zentrale Bedeutung. →Handelsgesetzbuch
Lit.: Hübner; Köbler, DRG 205; Goldschmidt, L., Handbuch
des Handelsrechts, 1864, 2. A. 1875, darin Universalgeschichte des
Handelsrechts, (Bd. 1 3. A.) 1891, Neudruck 1957; Rehme, P., Geschichte des
Handelsrechts, 1913; Raisch, P., Die Abgrenzung des Handelsrechts vom
bürgerlichen Recht als Kodifikationsproblem des 19. Jahrhunderts, 1962;
Raisch, P., Geschichtliche Voraussetzungen, 1965; Scherner, K., Anfänge einer
Handelsrechtswissenschaft im 18. Jahrhundert, ZHR 136 (1972), 465; Handbuch der
Quellen und Literatur zur neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v.
Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,1,797, 2,2,571, 3,3,2853; Köbler, G., Die
Wissenschaft des gemeinen deutschen Handelsrechts, (in) Wissenschaft und Kodifikation,
hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 1 1974, 277; Gelehrte in Hamburg, hg. v. Loose, H.,
1976 (Büsch 1728-1800); Bergfeld, C., Einzelkaufmann und Unternehmer, Person
und Organisation im Handelsrecht, (in) Wissenschaft und Kodifikation, hg. v.
Coing, H. u. a., Bd. 6 1982, 126; Sonnleithner, G. v., Bearbeitung des
Handelsrechts durch Ignaz von Sonnleithner, 1982; Montag, J., Die
Lehrdarstellungen des Handelsrechts von Georg Friedrich Martens bis Meno Pöhls,
1986; Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, hg. v. Schubert, W. u. a., Bd.
1f. 1986ff.; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., 3,3, 1986; Mohnhaupt, H., „Jura
mercatorum durch Privilegien“, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v.
Köbler, G., 1987, 308; The Courts and the development of commercial law, hg. v.
Piergiovanni, V., 1987; Lammel, S., Zur Entstehung von Handelsrecht, 1987; Müller-Boysen,
C., Kaufmannsschutz und Handelsrecht im frühmittelalterlichen Nordeuropa,
1990; Modernisierung des Handelsrechts im 19. Jahrhundert, hg. v. Scherner, K.,
1993; Ittenbach, H., Handelsrechtssysteme, 1994; Eisenhardt, U., Zu den
deutschrechtlichen Wurzeln des Handelsrechts, FS P. Raisch, 1998, 51; ; From
lex mercatoria to commercial law, hg. v. Piergiovanni, V., 2005, Neudruck 2013;
Schmoeckel, M., Rechtsgeschichte der Wirtschaft, 2008; Köbler, U., Werden,
Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; EIne Grenze in
Bewegung, hg. v. Cordes, A. u. a., 2012; Iglesia Ferreirós, A., Liber
usaticorum Barchinone I 1, 2012; Eine Grenze in Bewegung - öffentliche und
private Justiz im Handels- und Seerecht, hg. v. Cordes, A. u. a., 2012; From
lex mercatoria to commercial law, hg. v. Piergiovanni, V., 2005, Neudruck 2013
Handelsregister ist das handelsrechtliche
Sachverhalte verzeichnende öffentliche, bei den Amtsgerichten geführte
Register. Frühe, von Notaren wahrzunehmende Ansätze werden in Frankfurt am
Main 1666 (Protocollum) sichtbar. 1829 wird im Codigo de comercio Spaniens der
Verwaltung die Führung eines Handelsregisters übertragen, 1839/1840 nach einem
Entwurf Württembergs erstmals Gerichten.
Lit.: Rintelen, M., Das
Ragionenbuch der Augsburger Kaufmannschaft, Hist. Zeitschrift für Schwaben und
Neuburg 39 (1913), 96; Rintelen, M., Das Wiener Merkantilprotokoll, ZRG GA 34
(1913), 258; Rintelen, M., Untersuchungen über die Entwicklung des
Handelsregisters, 1914; Heimann, R., Die Entwicklung der handelsrechtlichen
Veröffentlichung vom ALR bis zum ADHGB, 2008; Entwicklungsgeschichte des Handelsrechts. Synoptische
Darstellung, bestehend aus ADHGBm HGB, 1897, heutigem deutschem Handelsrecht
und österreichischem Unternehmensgesetzbuch, hg. v. Flume, J. u. a., 2009
Handelsvertrag ist der den →Handel zwischen mindestens zwei →Staaten
betreffende Vertrag. Er findet sich nach Vorläufern des Altertums (z. B. Könige
von Ebla und Assur Mitte 3. Jt.s v. Chr., Rom und Karthago 509 v. Chr.?) seit
dem 12. Jh., und zwar neben dem Privileg des Herrschers. Seit der frühen
Neuzeit setzen die (europäischen) Kolonialmächte ihre Interessen außer mit
Gewalt auch mit ungleichen Handelsverträgen durch. Seit dem ausgehenden 18.
Jh. wird die vor allem von Adam Smith (On the Origin and Causes of the Wealth
of Nations 1776) entwickelte Vorstellung des Liberalismus grundlegend
bedeutend. 1947 schafft das von 23 Staaten abgeschlossene, am 1. 1. 1948 in
Kraft getretene General Agreement on Tariffs and Trade (GATT, völkerrechtlicher
Vertrag, Deutschland 1951, Schweiz 1966) einen 1994 erneuerten Rahmen für den
weltweiten Handel. 1995 wird von den damals 123 Mitgliedstaaten die Welthandelsorganisation
(World Trade Organization WTO, Sitz in Genf) gegründet, die als
Dachorganisation für weltweite Handelsvertragsabkommen dient.
Lit.: Treue, W., Die deutsche Landwirtschaft zur Zeit
Caprivis, Diss. phil. Berlin 1933; Prüser, J., Die Handelsverträge der
Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg, 1962; Krug, G., Amity & Commerce,
1999; Bayer, F., Das System der deutschen Handelsverträge von 1853 und 1914,
2004; Kleinschmidt, H., Das europäische Völkerrecht und die ungleichen Verträge
um die Mitte des 19. Jahrhunderts, 2007; Damler, D., Imperium contrahens, 2008;
Pahre, H., Politics and Trade Cooperation in the Nineteenth Century, 2008;
Kleinschmidt, H., Geschichte des Völkerrechts in Krieg und Frieden. e-book 2013
Handelsvertreter (bis 1953 Handlungsagent) ist der als Vertreter tätige Gehilfe des →Kaufmanns.
Lit.: Schmidt, D., Die Reform des Rechts der
Handelsvertreter, 1995; Bromm, B., Die Entstehungsgeschichte des Berufs der
Handelsvertreter, 2000; Schmidt, K., Vom Handelsvertreterrecht zum modernen
Vertriebsrecht, JuS 2008, 665
Handfeste ist
eine mittelalterliche Bezeichnung für ein mit der Hand (Unterschrift)
gefestigtes Schriftstück (Privileg) (vgl. gr. [N.] cheirógraphon, Handschrift)
(z. B. Georgenberger H. 1186, Kulmer H. 1233, Berner H. 1218?).
Lit.: Die
Freiburger Handfeste von 1249, hg. v. Foerster, H. u. a., 2003; Armgart, M.,
Die Handfesten des preußischen Oberlandes bis 1410 und ihre Aussteller, 1995;
Stephan, J., Die Handfesten des Elbinger Komtureibuches, Jb. f. d. Gesch. Ost-
und Mitteldeutschlands 54 (2008), 97
Handgemal (Handmahal) (N.) ist im deutschen Mittelalter (Erstbeleg hantmal im Abrogans
der Mitte des 8. Jh.s, hantgemal noch verwendet in der Glosse zum sächsischen
Weichbildrecht vom Ende des 14. Jh.s) das Handzeichen (?) und das vielleicht
damit bezeichnete Stammgut (str.).
Lit.: Köbler, WAS; Homeyer, C., Über die Heimat nach
altdeutschem Recht, Abh. d. Akad. d. Wiss. Berlin 1852; Keller, S., Handmahal
und anthmallus, ZRG GA 30 (1909), 224; Sohm, R., Über das Hantgemal, ZRG GA 30
(1909), 103; Meyer, H., Das Handgemal als Gerichtswahrzeichen des freien
Geschlechtes bei den Germanen, 1934; Krogmann, W., Handmahal, ZRG GA 71 (1954),
126; Balon, J., L’Handgemal à l’épreuve du droit, ZRG GA 73 (1956), 141;
Krogmann, W., Rechtsgeschichte ohne Philologie?, ZRG GA 74 (1957), 271;
Schmidt-Wiegand, hantgemaelde, FS Werner Schröder, 1989, 333ff.
Handhafte Tat ist
im Mittelalter die durch Ergreifen des Täters in oder unmittelbar nach der
Ausführung gekennzeichnete Tat (vgl. im römischen Recht das [lat.] furtum [N.]
manifestum). Vielleicht darf in germanischer Zeit der handhafte Täter sofort
getötet werden. Die frühmittelalterlichen Volksrechte gestatten die Tötung zwar
nicht (mehr) in allen Fällen, aber doch bei nächtlicher Tat, bei Widerstand
oder Flucht. Vor Gericht ist dem Handhafttäter der →Reinigungseid
verwehrt. Im Hochmittelalter darf nur noch der handhafte Ehebrecher sofort
getötet werden. In der vom Inquisitionsprozess gekennzeichneten Constitutio
Criminalis Carolina (1532) scheint ein besonderes Verfahren bei handhafter
Tat nicht mehr auf, doch ist noch nach § 127 StPO (1877/1879), wenn jemand auf
frischer Tat betroffen oder verfolgt wird und er der Flucht verdächtig ist
oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt,
ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.
Lit.: Kaser §§ 32 II, 21 I; Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler,
DRG 70, 86; Köbler, WAS; Scherer, M., Die Klage gegen den toten Mann, 1909;
Brunner, H., Die Klage mit dem toten Mann und die Klage mit der toten Hand, ZRG
GA 31 (1910), 235; Meyer, H., Gerüft, Handhaftverfahren und Anefang, ZRG GA 37
(1916), 382; Gernhuber, J., Die Landfriedensbewegung, 1952; Ebert, I., Pönale
Elemente, 2004
Handlung (Wort um 900) ist das menschliche
Verhalten, das als von Willen beherrschbar gedacht ist und daher objektiv
zugerechnet werden kann. In den Einzelheiten problematisch wird die H. erst der
neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Im Strafrecht setzt sich am Ende des 19. Jh.s
eine rein kausale Handlungslehre durch (Franz von List, Beling), die in der
Mitte des 20. Jh.s von einer finalen Handlungslehre (Hans Welzel) bekämpft
wird.
Lit.: Köbler, DRG 204, 208; Bubnoff, E. v., Die Entwicklung
des strafrechtlichen Handlungsbegriffes von Feuerbach bis Liszt, 1966; Köbler,
U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Handlungsfähigkeit →Geschäftsfähigkeit, Deliktsfähigkeit
Handlungsfreiheit ist die grundsätzlich bestehende
Freiheit des Menschen, zu tun und zu lassen, was er will. Sie wird seit dem 18.
Jh. in Verfassungsurkunden aufgenommen. Ihre bei dichtem Zusammenleben notwendigen
Schranken finden sich vor allem in Gesetzen.
Lit.: Kukk, A., Verfassungsgeschichtliche Aspekte
zum Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, 2000
Handschenkung ist die am Anfang der Entwicklung der →Schenkung stehende, auch in
der Gegenwart bei geringwertigen Gütern übliche, sofort vollzogene Schenkung.
Lit.: Meinig, I., Die Entwicklung der Lehre von der
Handschenkung, Diss. jur. Frankfurt am Main 1972
Handschlag ist
das Vertrauen versinnbildlichende gegenseitige Handgeben zweier
Vertragspartner zum Zeichen des Abschlusses des Geschäfts im deutschen Recht,
dem bei den Römern lat. manum dare (Hand geben) entspricht.
Lit.: Siegel, H., Handschlag und Eid, 1892
Handschrift ist
die mit der Hand ausgeführte Schrift und das dadurch geschaffene umfangreichere
Ergebnis. Die H. entsteht mit der Entwicklung der →Schrift und geht seit
der Mitte des 15. Jh.s für bedeutsamere Schreibergebnisse in das gedruckte →Buch
über. Möglicherweise konnte ein Schreiber täglich etwa sieben Seiten schreiben.
In Bologna wurden dabei seit 1250 Handschriften jeweils in Lagen an
Berufsschreiber zur Vervielfältigung abgegeben (Peciensystem). Seit der
Mitte des 19. Jh.s werden Schreibmaschinen zur Herstellung einzelner
Schriftstücke verwendet, seit dem dritten Drittel des 20. Jh.s damit verknüpfte
Rechner und Drucker. Die Zahl der im Mittelalter (im deutschen Sprachraum)
erstellten Handschriften wird auf 2 Millionen geschätzt (davon 1,1 Millionen
im 15. Jahrhundert), von denen noch rund 120000 vorhanden sind (davon etwa 12000
bzw. 10 Prozent in deutscher Sprache).
Lit.: Mazal, O., Lehrbuch der Handschriftenkunde, 2. A.
1986; Verzeichnisse der deutschen Handschriften österreichischer Bibliotheken,
Bd. 2 Salzburg, bearb. v. Jungreithmayr, A., 1988; Le livre au Moyen Age, hg. v.
Glenisson, J., 1988; Die datierten Handschriften der bayerischen
Staatsbibliothek München, Teil 1ff., bearb. v. Schneider, K. u. a. 1994ff.; Die
Handschriften der Universitätsbibliothek München. Mikrofiche-Edition 1994-1995
(99 deutschsprachige mittelalterliche Handschriften, 447 lateinische
mittelalterliche Handschriften); Katalog der illuminierten Handschriften der
württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 3, 1, bearb. v. Sauer, C. u. a.,
1996; Schriftkultur und Reichsverwaltung unter den Karolingern, hg. v.
Schieffer, R., 1996; Bischoff, B., Katalog der festländischen Handschriften des
9. Jahrhunderts, Bd. 1f. 1998ff.; Soetermeer, F., Utrumque ius in peciis, 2002;
Literaturbericht Handschriftenkataloge, DA 57 (2001), 555; Köbler, G.,
Altdeutsch - Katalog aller allgemein bekannten altdeutschen Handschriften,
2005; Mentzel-Reuters, A., Literaturbericht Handschriftenkataloge, DA 63
(2007), 135; Orth, P., Über Nutzen und Perspektiven eines gedruckten Initienverzeichnisses,
DA 63 (2007), 125; Murano, G., Opere diffuse per Exemplar e Pecia, 2005;
Hoffmann, H., Italienische Handschriften in Deutschland, DA 65 (2009), 29;
Manuscripta germanica, hg. v. Breith, A. u. a., 2012
Handschuh ist
das Bekleidungsstück der menschlichen Hand, das im (deutschen) Recht in
unterschiedlichen Zusammenhängen als Symbol Verwendung findet (z. B.
Fehdehandschuh).
Lit.: Norton-Kyshe, J., The Law and Customs relating to
Gloves, 1901; Schwineköper, B., Der Handschuh im Recht, 1938, Neudruck 1981
Handwerk ist
Bearbeitung und Verarbeitung von Stoffen für andere ohne vorrangige Verwendung
industrieller Arbeitsformen (z. B. Schreiner, Zimmermann, Maurer, Bäcker,
Metzger, Fischer). Im Altertum wird diese Tätigkeit überwiegend für andere von →Sklaven
ausgeführt, im Frühmittelalter im Rahmen der →Grundherrschaft. Dagegen
bildet sich in der hochmittelalterlichen Stadt das freie H. in vielfältiger
Aufgliederung aus und schließt sich zur Sicherung der Einkünfte gegeüber
Dritten genossenschaftlich ab (→Zunft, →Gilde, →Innung). Wer
in einem H. tätig sein will, muss dieses mit einer mehrjährigen Lehre bei einem
Meister erlernen. Danach kann er als Geselle wirken. Vollberechtigt ist er im
H. erst, wenn er Meister geworden ist. In manchen Städten (z. B. Straßburg,
Zürich) nehmen seit dem 14. Jh. die Angehörigen des Handwerks an der
Stadtherrschaft teil. 1731 soll eine Reichshandwerksordnung im Heiligen
römischen Reich Missbräuche der Gesellen beseitigen. Im Kampf mit der liberalen
→Gewerbefreiheit des 19. Jh.s (Preußen 1810) gelingt dem H. die Bewahrung
der durch Prüfungen nachzuweisenden Qualifikationsmerkmale bis in die
Gegenwart (Handwerksordnung). Trotz der Konkurrenz der Industrie vermag das H.
sich zu halten, tritt aber um 1900 an Bedeutung hinter Fabriken und Bergwerken
zurück.
Lit.: Köbler, DRG 78, 111; Stockbauer, J., Nürnbergisches
Handwerksrecht des 16. Jahrhunderts, 1879; Haandværksskik i Danmark, hg. v.
Nyrop, C., 1903; Schulte, E., Das Gewerberecht der deutschen Weistümer, 1909;
Bock, H., Die Entwicklung des deutschen Schuhmachergewerbes, 1922, Wissell, R.,
Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, hg. v. Hahm, K., Bd. 1f. 1929, 2. A.
1981ff.; Hornschuch, F., Aufbau und Geschichte der internationalen Kesslerkreise
in Deutschland, 1930; Weichs, E. Frhr. v., Studien zum Handwerkerrecht des
ausgehenden 17. Jahrhunderts, 1939; Zatschek, H., Handwerk und Gewerbe in Wien,
1949; Proesler, H., Das gesamtdeutsche Handwerk im Spiegel der
Reichsgesetzgebung, 1954; Fischer, W., Handwerksrecht und Handwerkswirtschaft
um 1800, 1955; Schraepler, E., Handwerkerbünde und Arbeitervereine, 1972; Uhl,
H., Handwerk und Zünfte in Eferding, 1973;z, C., Die Zürcherische Handwerksordnung
von 1681, FS J. Bärmann, 1975; Göttmann, F., Handwerk und Bündnispolitik, 1977;
Renzsch, W., Handwerker und Lohnarbeiter in der frühen Arbeiterbewegung, Diss.
phil. Göttingen 1981; Landolt, K., Das Recht der Handwerkslehrlinge, 1977; Das
Handwerk in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, hg. v. Jankuhn, H. u. a., Bd.
1f. 1981ff.; Schichtel, P., Das Recht des zünftigen Handwerks im Herzogtum
Pfalz-Zweibrücken, 1986; Deter, G., Rechtsgeschichte des westfälischen
Handwerks im 18. und 19. Jahrhundert, 1990; John, P., Handwerk im Spannungsfeld
zwischen Zunftordnung und Gewerbefreiheit, 1987; Deter, G., Handwerksgerichtsbarkeit
zwischen Absolutismus und Liberalismus, 1987; Lexikon des alten Handwerks, hg.
v. Reith, R., 1990; Brand, J., Zur Rechtsfunktion des Gelages im alten
Handwerk, ZRG GA 108 (1991), 297; Schultz, H., Das ehrbare Handwerk, 1993;
Spohn, R., Kampf um die Arbeitskraft, 1993; Weyrauch, T.,
Handwerkerorganisationen, 1996; Wiener Neustädter Handwerksordnungen, hg. v.
Scheutz, M. u. a., 1997; Brohm, U. Die Handwerkerpolitik Herzog Augusts des
Jüngeren, 1999; Handwerk in Europa, hg. v. Schulz, K., 1999; Handwerk zwischen
Zunft und Gewerbefreiheit, hg. v. Bernert, H., 1999; Stadt und Handwerk, hg. v.
Kaufhold, H. u. a., 2000; Blume, H., Ein Handwerk – eine Stimme, 2000; Winzen,
K., Handwerk – Städte – Reich, 2002; Deter, G., Handwerk vor dem Untergang,
2005; Will, M., Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2010; Schulz, K., Handwerk,
Zünfte und Gewerbe - Mittelalter und Renaissance, 2010
Handwörterbuch zur deutschen
Rechtsgeschichte ist das von Wolfgang
Stammler, Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann 1964 begründete, nach 34 Jahren in
erster Auflage 1998 in 5 Bänden mit mehr als 5000 Stichwörtern abgeschlossene,
seit 2004 von Albrecht Cordes, Heiner Lück und Dieter Werkmüller in zweiter
Auflage unter philologischer Beratung (Ruth Schmidt-Wiegand, Christa Bertelsmeier-Kierst)
in verstärkter Einbeziehung der jüngeren Rechtsgeschichte und deutlicherer
Betonung des europäischen Kontexts herausgegebene, von der Stiftung
Rechtsstaat Sachsen-Anhalt e. V. unterstützte, alphabetisch geordnete
Nachschlagewerk zur deutschen Rechtsgeschichte.
Lit.:
HRGdigital.de
Hänel,
Albert (1833-1918) wird nach dem Rechtsstudium und nach der Habilitation in
Leipzig als Professor in Königsberg und seit 1863 in Kiel ein bedeutender
liberaler Vertreter des Staatsrechts (Deutsches Staatsrecht, 1892).
Lit.: Friedrich, M., Zwischen Positivismus und materialem
Verfassungsdenken, 1971; Stolleis, M., Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd.
2 1992, 355
Hängen ist
das Töten eines Menschen durch Aufhängen an einem Strick (→Todesstrafe, →Galgen).
Das H. ist dem römischen Altertum fremd, den Germanen (bei Volksverrat)
bekannt. Seit dem Hochmittelalter (Sachsenspiegel 1221-1224) wird vor allem
der Dieb gehängt. Im 18. Jh. wird in England das H. mittels einer sich unter
dem Verurteilten ruckartig öffnenden Falltür eingeführt. Seit 1771 (Schleswig-Holstein)
wird das H. im deutschen Sprachraum durch das Enthaupten ersetzt. Mit dem
Verbot der →Todesstrafe verschwindet es im 20. Jh. allgemein. In den
Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg werden 1946 die Todesurteile durch H.
vollstreckt, ebenso im Irak 2006 (Saddam Hussein).
Lit.: Amira, K. v., Die germanischen
Todesstrafen, 1922; Evans, R., Rituale der Vergeltung, 2001
Hannover ist
das aus Braunschweig-Lüneburg hervorgegangene, nach der Stadt (1163? bzw. 1189,
Privileg 1241, Statutenbuch 1303) H. an der Leine (1636 Residenz, 1831
Technische Hochschule) benannte norddeutsche Fürstentum (1692/1708
Kurfürstentum, 1714-1837 Personalunion mit England, 1807-1813 Zuordnung zu
Frankreich bzw. dem Königreich Westphalen), das 1814 zum Königreich aufsteigt
und 1819 eine oktroyierte Verfassung erhält. Am 1. 1. 1837 hebt der (neue) König
(Ernst August) verfassungswidrig das Staatsgrundgesetz vom 26. 9. 1833 auf und
löst damit einen Verfassungskonflikt aus, in dem sieben protestierende Göttinger
Professoren (u. a. Brüder Grimm) entlassen werden. Am 6. 8. 1840 wird ein neues
Landesverfassungsgesetz geschaffen, 1850 eine Bürgerliche Prozessordnung).
1866 wird H. von Preußen annektiert und gelangt 1946 unter Zerschlagung
Preußens zu Niedersachsen. →Göttingen
Lit.: Köbler, DRG 186; Köbler, Historisches Lexikon;
Allgemeine Bürgerliche Prozessordnung für das Königreich Hannover vom 4. 12.
1847, Bürgerliche Prozessordnung für das Königreich Hannover vom 8. 11. 1850,
Neudruck 1971; Hassell, W., Geschichte des Königreichs Hannover, 1898ff.; Merkel,
J., Der Kampf des Fremdrechtes mit dem einheimischen Rechte, 1904; Florin, W.,
Der fürstliche Absolutismus, 1952; Ohnsorge, W., Zweihundert Jahre Geschichte
der königlichen Bibliothek zu Hannover 1665-1866, 1962; Besecke, K., Das
Vogtgericht der Altstadt Hannover, Diss. jur. Göttingen 1964; Landwehr, G., Die
althannoverschen Landgerichte, 1964; Pufendorf, F., Entwurf eines hannoverschen
Landrechts, hg. v. Ebel, W., 1970; Deckwirth, H., Das Haus- und Verlassungsbuch
der Altstadt Hannover, Hans. Geschichtsbll. N.F. 26 (1971), 1; Der hannoversche
Verfassungskonflikt 1837/1838, ausgew. v. Real, W., 1972; Handbuch der Quellen
und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing,
H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,2,2618, 3,3,2896; Müller, S., Stadt, Kirche und
Reformation, 1987; Rechtsquellen aus den hannoverschen Landen 1501 bis 1803,
hg. v. Oberschelp, R., 1999; May, J., Vom obrigkeitlichen Stadtregiment zur
bürgerlichen Kommunalpolitik, 2000; Roolfs, C., Der hannoversche Hof von 1814
bis 1866, 2005; Kroeschell, K., recht und unrecht der sassen, 2005; Festschrift
zum 175-jährigen Bestehen der Universität Hannover, Bd. 1ff., hg. v. Seidel, R.
u. a., 2006; Thompson, A., Britain, Hanover and the Protestant Interest
1688-1756, 2006; Kempf, S., Wahlen zur Ständeversammlung im Königreich Hannover
1848-1866, 2007; Harding, N., Hannover and the British Empire 1700-1837, 2007;
Lampe, J., „Freyheit und Ordnung“ - Die Januarereignisse von 1831, 2009;
Piepenbring-Thomas, C., Recht in der Stadt Hannover, 2011; Mahrenholz, E., Ein
Königreich wird Provinz, 2011; Köster, F., Ende des Königreichs Hannover
1865-1866, 2012
Hanse (ahd.
hansa, Schar) ist der von hochmittelalterlichen Kaufleuten ausgehende,
ziemlich offene norddeutsche →Städtebund (und Kaufleutebund, in den durch
das hansen aufgenommen wird). Seinen Anfang bildet vielleicht die schon im
beginnenden 11. Jh. bevorrechtigte Genossenschaft deutscher Kaufleute in
England. Bedeutsam wird danach die Gründung deutschbesiedelter Städte von
Lübeck (1143) bis Riga (1201), Reval (nach 1219) und Dorpat (um 1230). Seit den
Wirren des Interregnums (1254-1273) fassen die einander nahestehenden Städte auf
Hansetagen oder im Umlauf gemeinsame Beschlüsse (Wismar 1256, Lübeck 1358
[mnd.] stede von der dudeschen hanse). Außer in London (1281, 1474 Guild Hall,
Stalhof bis 1598, 1852 verkauft) bestehen bedeutsame Niederlassungen (Kontore)
in Nowgorod (1191/um 1200-1494), Brügge (1309) und Bergen (um 1340/1343-1754).
Unter der Führung der H., der bis zu 70 Städte mit bis zu 130 weiteren
vertretenen Städten zwischen Zaltbommel, Visby, Dorpat, Krakau und Köln angehören
(Dinant, Duisburg, Düsseldorf, Emmerich, Grieth, Köln, Neuss, Nimwegen,
Roermond, Tiel, Venlo, Wesel, Zaltbommel, Arnhem, Deventer, Doesborg, Elburg,
Harderwijk, Hasselt, Hattem, Kampen, Ommen, Staveren, Zutfen, Zwolle,
Groningen, Bremen, Stade, Buxtehunde, Hamburg, Ahlen, Allendorf, Altena,
Arnsberg, Attendorn, Balve, Beckum, Belecke, Bielefeld, Blankenstein, Bocholt,
Bochum, Bödefeld, Borgentreich, Borken, Brakel, Breckerfeld, Brilon, Coesfeld,
Dorsten, Dortmund, Drolshagen, Dülmen, Essen, Eversberg, Freienohl, Fürstenau,
Geseke, Grevenstein, Hachen, Hagen, Haltern, Hamm, Hattingen, Herford,
Hirschberg, Hörde, Hüsten, Iburg, Iserlohn, Kallenhardt, Kamen, Langenscheid,
Lemgo, Lippstadt, Lüdenscheid, Lünen, Melle, Menden, Minden, Münster, Neheim,
Neuenrade, Neustadt in Hessen, Nieheim, Oldenzaal in den Niederlanden, Olpe,
Osnabrück, Paderborn, Peckelsheim, Plettenberg, Quakenbrück, Ratingen,
Recklinghausen, Rheine, Rüthen, Schwerte, Soest, Solingen, Sundern, Telgte,
Unna, Vörden in Westfalen, Vreden, Warburg, Warendorf, Warstein, Wattenscheid,
Werl, Werne, Westhofen, Wetter, Wiedenbrück, Alfeld, Aschersleben, Bockenem,
Braunschweig, Einbeck, Gardelegen, Goslar, Gronau, Halberstadt, Hameln,
Hannover, Helmstedt, Hildesheim, Lüneburg, Magdeburg, Osterburg, Quedlinburg,
Salzwedel, Seehausen, Stendal, Tangermünde, Uelzen, Werben, Duderstadt, Erfurt,
Göttingen, Halle, Merseburg, Mühlhausen in Thüringen, Naumburg, Nordhausen,
Northeim, Osterode, Uslar, Berlin, Brandenburg, Cölln an der Spree, Frankfurt
an der Oder, Havelberg, Kyritz, Perleberg, Pritzwalk, Kiel, Lübeck, Wismar,
Rostock, Stralsund, Greifswald, Demin, Anklam, Stettin, Belgard (nicht
Belgrad), Gollnow, Greifenberg, Kammin, Kolberg, Köslin, Rügenwalde, Schlawe,
Stargard in Pommern, Stolp, Treptow an der Rega, Wollin, Braunsberg, Danzig,
Elbing, Königsberg, Kulm, Thorn, Breslau, Krakau, Dorpat, Fellin, Goldingen,
Kokenhusen, Lemsal, Pernau, Reval, Riga, Roop, Wenden, Windau, Wolmar, Kalmar,
Nyköpjng?, Stockholm, Wisby sowie Geldern und [Hannoversch] Münden), kann im
Kampf gegen Dänemark 1368 Kopenhagen erobert werden. Später wenden sich die
Landesherren gegen die H. In der frühen Neuzeit treten viele Städte aus der H.
aus, so dass nach 1669 nur noch ein Schutzbündnis von Bremen, Hamburg und
Lübeck verbleibt.
Lit.: Köbler, DRG 97; Köbler, WAS; Frensdorff, F., Das
Reich und die Hansestädte, ZRG GA 20 (1899), 115, 248; Schäfer, D., Die
deutsche Hanse, 1914; Mayer, E., Hansa, Schöffe, Pfahlbürger, Mulefe
(Maulaffe), Jodute (Roland), ZRG GA 44 (1924), 291; Rundstedt, H. v., Die Hanse
und der deutsche Orden in Preußen, 1937; Denucé, J., Die Hanse und die Antwerpener
Handelskompagnien in den Ostseeländern, 1938; Rörig, F., Vom Werden und Wesen
der Hanse, 1940, 3. A. 1943; Pagel, K., Die Hanse, 1942, 3. A. 1963; Ebel, W.,
Hansisches Recht, 1949; Reibstein, E., Das Völkerrecht der deutschen Hanse, Zs.
f. ausländ. öff. Recht 17 (1956), 38; Dollinger, P., La Hanse, 1966, 4. A.
1989, 5. A. 1998; Olechnowitz, K., Handel und Seeschifffahrt der späten Hanse,
1965; Bruns, F./Weczerka, H., Hansische Handelsstraßen, Bd. 1f. 1962ff.; Die
deutsche Hanse als Mittler zwischen Ost und West, 1963; Sauer, H., Hansestädte
und Landesfürsten, 1971; Stark, W., Lübeck und die Hanse, 1973; Spading, K.,
Holland und die Hanse, 1973; Schildhauer, J., Die Hanse, 6. A. 1985; Die Hanse,
3. A. 1999; Quellen zur Hansegeschichte, hg. v. Sprandel, R., 1982; Fahlbusch,
F. u. a., Beiträge zur westfälischen Hansegeschichte, 1988; Der hansische
Sonderweg?, hg. v. Jenks, S. u. a., 1993; Stoob, H., Die Hanse, 1995; Ziegler,
H., Die Hanse, 1996; Niedergang oder Übergang?, hg. v. Graßmann, A., 1998; Genossenschaftliche
Strukturen in der Hanse, hg. v. Jörn, N. u. a., 1999; Hammel-Kiesow, R., Die
Hanse, 2000, 4. A. 2008; Pichierri, A., Die Hanse, 2000; Pitz, E., Bürgereinung
und Städteeinung, 2001; Daenelle, E., Die Blütezeit der deutschen Hanse, 3. A.
2001; Novgorod, hg. v. Angermann, N. u. a., 2002; Landwehr, G., Das Seerecht
der Hanse (1365-1614), 2003; Behrmann, T., Herrscher und Hansestädte, 2004;
Hansisches und hansestädtisches Recht, hg. v. Cordes, A., 2007; Burkhardt, M.,
Der hansische Bergen-Handel im Spätmittelalter, 2009; Die Hanse, hg. v. Kiesow,
R. u. a., 2009; Skvajrs, E., Die Hanse in Novgorod, 2009 (auch Squires, C.);
Selzer, S., Die Hanse, 2010; Oestmann, P., Prozesse aus Hansestädten vor dem
Königs- und Hofgericht in der Zeit vor 1400, ZRG GA 128 (2011), 114; Poeck, D.,
Die Herren der Hanse, 2010
Hansegraf ist
im Mittelalter verschiedentlich die Benennung für einen Amtsträger in der Stadt
mit unterschiedlichen Aufgaben (Regensburg 1184, Brügge 1187, Wien 1266, Kassel
1323, Bremen 1405).
Lit.: Planitz, H., Die deutsche Stadt im Mittelalter, 1954,
5. A. 1980, 58, 284
Hansen ist vielleicht die Aufnahme in die Hanse (Köln 1259), aus
der sich das Hänseln entwickelt haben soll.
Lit.: Rauers, F., Hänselbuch, 1936
Hardburi
Lit.: Krogmann, W., As. hardburi,
ahd. hartpuri, ZRG GA 74 (1957), 233 (Stammesobrigkeit)
Hardehausen
Lit.: Urkunden des Klosters
Hardehausen, bearb. v. Müller, H., 2002
Hardenberg,
Karl August (Essenrode bei Lehre bei Helmstedt 31. 5. 1750-Genua 26. 11. 1822)
wird nach dem Rechtsstudium in Göttingen (1766, Pütter) und Leipzig (1768) 1770
Verwaltungsbeamter in Hannover, 1781 in Braunschweig, danach nach
Ehescheidung in Preußen (1791 Staatsminister für Ansbach und Bayreuth nach
Inbesitznahme für Preußen), 1803 Außenminister Preußens, 1807 auf Druck
Napoleons entlassen (September 1807 Reformdenkschrift), 4. 6./6. 10. 1810-1822
Staatskanzler in Preußen. Mit seinem Namen verbinden sich die Maßnahmen der
Stein-Hardenbergschen Reformen (Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit 1810,
Regulierungsedikte 14. 9. 1811, 1816), doch steht neben dem Modernisierungswillen
auch deutliche autoritär-bürokratische Tradition.
Lit.: Vaupel, R., Die Reorganisation des preußischen
Staates unter Stein und Hardenberg, 1938; Zeeden, E., Hardenberg und der
Gedanke einer Volksvertretung in Preußen, 1940; Thielen, P., Karl August von
Hardenberg, 1967; Vogel, B., Allgemeine Gewerbefreiheit, 1983; Hardenberg, Karl
August von, 1750-1822. Tagebücher, hg. v. Stamm-Kuhlmann, T., 1999; Hermann,
I., Hardenberg, 2003
Harderwijk ist eine Stadt der Hanse in den
Niederlanden und von 1648 bis 1814 Sitz einer Universität.
Häresie ist
die dem kirchlichen Dogma widersprechende Irrlehre (Ketzerei). Sie wird schon
im ausgehenden Altertum durch Verbote von Gottesdiensten, Enteignung von Gütern
und Androhung der Todesstrafe sowie im Mittelalter seit 1231/1232 durch
besondere Inquisitoren (Untersucher) bekämpft.
Lit.: Köbler, DRG 117; Grundmann, H., Religiöse Bewegungen
im Mittelalter, 1935; Selge, K., Die ersten Waldenser, Bd. 1f. 1967; Lerner,
E., The Heresy, 1972; Merlo, G., Eretici, 1977; Segl, P., Ketzer in Österreich,
1984; Häresie und vorzeitige Reformation, hg. v. Smahel, F., 1998; Lambert, M.,
Häresie im Mittelalter, 2001; Forrest, I., The Detection of Heresy, 2006;
Heresy and Identity in Late Antiquity, hg. v. Iricinschi, E. u. a., 2006; Utz
Tremp, K., Von der Häresie zur Hexerei, 2008; Segl, P., Mittelalterliche
Häresien, 2010; Sackville, L., Heresy and Heretics in the Thirteenth Century,
2011
Harlem wird 1752 Sitz einer Universität.
Harmenopulos,
Konstantinos, verfasst 1345 als Richter von Thessaloniki ein →Hexabiblos
genanntes Gesetzeshandbuch des spätbyzantinischen Reiches in sechs Büchern,
das nach weiter Verbreitung auf dem Balkan während der Osmanenzeit 1828 in
Griechenland als vorläufiges Zivilgesetzbuch (bis 1946) Verwendung findet.
Lit.: Söllner §§ 23; Köbler, DRG 107; Juristen, hg. v.
Stolleis, M., 1995
Harmschar (F.)
Qual, Schande als Buße (oder Strafe) im Frühmittelalter
Harpprecht,
Johannes Friedrich (Walheim am Neckar 20. 1. 1560?-Tübingen 18. 9. 1639), früh
verwaister Juristensohn, wird nach dem Studium der Philosophie und Rechtswissenschaft
in Straßburg, Tübingen und Marburg 1589 in Tübingen promoviert und nach kurzer
Tätigkeit am Reichskammergericht 1592 Professor der Institutionen in
Tübingen. Sein bekanntestes Werk ist ein vierbändiger Kommentar zu den Institutionen
Justinians (Opera [N.Pl.] omnia multis insignibus quaestionibus adaucta,
1627-1630, Gesammelte, mit vielen berühmten Untersuchungen vermehrte Werke),
der auch die Praxis und das heimische Recht berücksichtigt, aber weder
systematische oder naturrechtliche Ansätze aufweist.
Lit.: Schnee, H., Die Professoren Dr. Harpprecht und Dr.
Schöpf, FS G. Schreiber, 1963, 272; Scholz, W., Johann Harpprecht, Diss. jur. Tübingen
1980
Hartmann von Aue
(Oberrheingebiet 1160/1165-nach 1210?), mittelhochdeutscher Dichter, der
vielleicht von (lat.) legibus (Gesetzen) gelesen hatte und dadurch (mhd.)
legiste geworden ist. Seine Werke (Klage, Gregorius, der arme Heinrich Erec,
Iwein) erfassen zahlreiche rechtliche Geschehnisse.
Lit.: Fehr, H., Das Recht in der Dichtung, 1931; Wapnewski,
P., Hartmann von Aue, 3. A. 1967; Pensel, F., Rechtsgeschichtliches und Rechtssprachliches,
1961; Wolf, J., Einführung in das Werk Hartmanns von der Ause, 2007
Häscher (Martin Luther um 1530) Verfolger
Hasel ist der seit 9000 v. Chr. großflächig verbreitete, Nüsse
liefernde Busch, der vielleicht auch rechtliche Verwendung findet.
Lit.:
Beuchert, M., Symbolik der Pflanzen, 2004
Hasse,
Johann Christian (1779-1830) wird nach dem Rechtsstudium in Kiel (Thibaut)
Professor in Jena, Königsberg, Berlin und Bonn. In seinem Buch Die Culpa des
römischen Rechtes (1815) teilt er die (lat. [F.]) culpa unter Missachtung der
Quellen in die Widerrechtlichkeit (Rechtswidrigkeit) und die Schuld (culpa).
Lit.: Stintzing, R./Landsberg, E. v., Geschichte der deutschen
Rechtswissenschaft, 1880ff., Neudruck 1957, 1978, III 2, 289
Hassfurt
Lit.: Tittmann, A., Hassfurt, 2002
Hattingen an der Ruhr wird 990 erstmals als Reichshof erwähnt und erwächst bis zur
Neuzeit zu einer Kleinstadt. Aus ihr ist ein von 1629 bis 1652 reichendes Ratsprotokollbuch
erhalten. Es erweist noch ein Vorherrschen mittelalterlicher Strukturen.
Lit.:
Piel, H., Die Protokolle des Rates der Stadt Hattingen von 1629 bis 1652, 2008
Hauberggenossenschaft ist die im Siegerland übliche, seit dem 15. Jh. belegte,
von 1562 bis 1890 in Ordnungen geregelte Genossenschaft zur
landwirtschaftlich-gewerblichen Nutzung des Niederwaldes (Eichen, Birken als
Heizmittel und Gerbemittel) im Turnus von 16-18 bzw. 15-25 Jahren. Sie
entwickelt sich zur Gesamthandsgemeinschaft bzw. juristischen Person.
Wirtschaftlich unterliegt die H. in der Mitte des 20. Jh.s der Steinkohle und besseren
Gerbemitteln.
Lit.: Achenbach, H., Die Hauberggenossenschaften des
Siegerlandes, 1863; Delius, W., Hauberge und Haubergsgenossenschaften des
Siegerlandes, 1910; Lorsbach, J., Hauberge und Hauberggenossenschaften des
Siegerlandes, 1956; Lerner, R., Hauberggenossenschaften im Kreis Altkirchen,
1993
Häuptling (lat.
[M.] capitaneus) ist ein Anführer wie z. B. in Friesland seit dem 14. Jh.
Lit.:
Boden, F., Die isländischen Häuptlinge, ZRG GA 24 (1903), 148
Hauptstadt ist
im neuzeitlichen Staat der amtlich festgelegte Ort des Sitzes der
Herrschaftsgewalt.
Lit.: Pagenkopf, O., Die Hauptstadt in der deutschen Rechtsgeschichte,
2004 (Diss. jur. Bonn 2003)
Hauriou,
Maurice (1856-1929), Professor für Verwaltungsrecht (1888) und Verfassungsrecht
(1920) in Toulouse, begründet, ausgehend vom Verwaltungsakt, die Wissenschaft
vom Verwaltungsrecht in Frankreich (Précis de droit administratif et de droit
public général, 1892, Grundriss des Verwaltungsrechts und allgemeinen öffentlichen
Rechtes).
Lit.: Sfez, L., Essai sur la contribution du doyen Hauriou
au droit administratif français, 1966
Haus ist
das zum Benutzen durch Menschen bestimmte größere Gebäude. Seinem Schutz dient
der Hausfriede. Die Hausgewalt steht lange Zeit in erster Linie dem Hausvater
zu. Die Hausdurchsuchung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Der
Bau eines Hauses unterliegt bei dichterer Besiedlung öffentlichrechtlichen
Vorschriften (Baurecht, hochmittelalterliche Stadt, 19. Jh.). Übertragen ist H.
auch das Geschlecht (oder Herrschaftsgebiet des Geschlechts). Die Wendung Haus
und Hof ist erstmals in Aarau 1301 bezeugt. Hausbau s. Baurecht
Lit.: Kaser §§ 4, 12; Hübner 127; Köbler, DRG 21, 71, 88,
120, 160; Köbler, WAS; Haus und Siedlung im Wandel der Jahrtausende, 1937;
Kramer, K., Haus und Flur im bäuerlichen Recht, 1950; Lhotsky, A., Was heißt
„Haus Österreich“?, Anz. d. Akad. d. Wiss. Wien, phil.-hist. Kl. 93 (1956),
155; Dölling, H., Haus und Hof in westgermanischen Volksrechten, 1958;
Benedikt, H., Die Monarchie des Hauses Österreich, 1968; Kroeschell, K., Haus
und Herrschaft, 1968; Deckwirth, H., Das Haus- und Verlassungsbuch der Altstadt
Hannover, Hann. Geschichtsbll. N.F. 26 (1971), 1; Köbler, G., Das Recht an Haus
und Hof im spätmittelalterlichen Lübeck, (in) Der Ostseeraum, hg. v. Friedland,
K., 1980, 31; Haus und Familie in der spätmittelalterlichen Stadt, hg. v.
Haverkamp, A., 1984; Histoire de la vie privée, hg. v. Aries, P. u. a., Bd. 2
1985; Haus und Hof in ur- und frühgeschichtlicher Zeit, hg. v. Beck, H. u. a.,
1997; Haus- und Familienbücher, hg. v. Studt, B., 2007; Binding, G., Methoden
und Probleme bei der Datierung von mittelalterlichen Bauwerken, 2009
Haus-, Hof- und Staatskanzlei ist die am 17. 2. 1742 aus der österreichischen Hofkanzlei
herausgenommene Behörde zur Besorgung der auswärtigen Geschäfte und der
geheimen Haussachen, die 1848 in das Ministerium des kaiserlichen Hauses und
des Äußeren umgewandelt wird.
Hausarbeit (Heimarbeit) ist die seit dem 14. Jh.
erkennbare handwerksartige Tätigkeit in eigenen Räumen für Zwischenmeister
oder Unternehmer. Bedeutsam ist sie vor allem im frühen 19. Jahrhundert. Für
die 1882 etwa 480000 Heimarbeiter in Deutschland wird 1911 ein Hausarbeitgesetz
geschaffen.
Lit.: Leuthier, O., Entstehung und
Entwicklung des Hausarbeitgesetzes, 2006
Hauser, Kaspar ist der Name eines am 26. Mai 1828
in Nürnberg aufgefundenen, der Sprache unkundigen jungen, am 17. Dezember 1833
an den Folgen eines Anschlags vom 14. Dezember 1833 verstorbenen Mannes,
dessen Herkunft insbesondere P. J. Anselm von Feuerbach sehr beschäftigte, ohne
dass sie bislang geklärt ist.
Lit.:
Küper, W., Das Verbrechen am Seelenleben, 1991; Forker, A., Kaspar Hauser, (in)
Die Bedeutung P. J. A. Feuerbachs (1775-1833) für die Gegenwart, 2003, 99
Hauserbe (lat.
suus heres [M.]) ist im römischen Recht der Mensch, der durch den Tod des
Vaters gewaltfrei (lat. sui iuris) wird, nämlich vor allem der (mündige) Sohn,
die (mündige) Tochter, das adoptierte Kind, der adrogierte Sohn sowie die
gewaltunterworfene Ehefrau.
Lit.: Kaser § 66; Söllner § 8; Köbler,
DRG 23, 38
Hausfriede ist
das Recht, innerhalb der eigenen Wohnung und des umfriedeten Lebensbereichs
ungestört zu sein. Bereits im Frühmittelalter sind Tötung und Verletzung
innerhalb des Hauses mit höherer Buße bewehrt. Im Hochmittelalter wird der
Friede für das Haus allgemein erfasst. Danach schaffen partikulare Rechte (vgl.
ALR II 20 §§ 529ff. Privatverbrechen, Geldstrafe oder Freiheitsstrafe) sowie
1871 das deutsche Reichsstrafgesetzbuch einen besonderen Tatbestand des
Hausfriedensbruches.
Lit.: Osenbrüggen, E., Der Hausfriedensbruch, 1857,
Neudruck 1968; Bader, K., Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen
Dorfes, Bd. 1ff. 1957ff.; Trabandt, J., Der kriminalrechtliche Schutz des
Hausfriedens, Diss. jur. Hamburg 1970
Hausgesetz ist
die von einer hochadligen Familie für sich vereinbarte oder gesetzte besondere
Rechtsordnung. Das H. findet sich seit Anfang des 14. Jh.s. Es betrifft vor
allem die Erbfolge, die Ehe und die Veräußerlichkeit des Familiengutes (z. B. →Dispositio
Achillea für die Hohenzollern 1473, →Pragmatische Sanktion vom 19. 4.
1713 für Österreich, Privatfürstenrecht). Im 19. Jh. wird das H. von der
Genehmigung durch den Staat abhängig.
Lit.: Schulze, H., Die Hausgesetze der regierenden deutschen
Fürstenhäuser, Bd. 1ff. 1862ff.; Turba, G., Die Grundlagen der pragmatischen
Sanktion, 1911; Marxer, W., Das Hausgesetz des Fürstentums Liechtenstein, 2003
Hausgewalt →Haus
Hausgut ist das einem Haus gehörende Gut. Es ist anfangs vor allem
Gegenstand des Erbes. Seit dem Hochmittelalter ist in Bezug auf das Reich zumindest
gedanklich das H. der Königsfamilie vom Reichsgut zu scheiden. Die Trennung von
Privatvermögen und Staatsvermögen ist auch nach Ende der Monarchie im Deutschen
Reich (1918) noch nicht in allen Einzelheiten abgeschlossen.
Lit.: Wadle, E., Reichsgut und Königsherrschaft unter Lothar III.,
1969; Laufs, A., Das Eigentum an Kulturgütern aus badischem Hofbesetu, 2008
Haushalt ist
ursprünglich die häusliche Verbrauchsgemeinschaft, seit dem 20. Jh. die
Gesamtheit der der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben dienenden Einkünfte und
Ausgaben einer →juristischen Person des öffentlichen Rechtes (→Staatshaushalt),
die nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika seit dem 19. Jh. (Sachsen-Coburg
1821, vgl. auch Sachsen-Weimar-Eisenach 1816, Kurhessen 1821/1831, Bayern 1818),
Verfassung des Deutschen Reiches von 1848/1849 Art. VII, IX, Art. 72 Verfassung
von 1871, Art. 8 WRV) vom Parlament durch ein Haushaltsgesetz beschlossen
werden müssen.
Lit.: Köbler, DRG 99, 129; Schroeter, O. v., Das Recht der
Haushaltführung und Haushaltkontrolle in Preußen, 1938; Friauf, K., Der
Staatshaushaltsplan, 1968; Stolleis, M., Pecunia nervus rerum, 1983; Rothenbacher,
F., Historische Haushalts- und Familienstatistik, 1987; Haushalten in
Geschichte und Gegenwart, hg. v. Richarz, I., 1994; Strube, S., Die Geschichte
des Haushaltsrechts, 2002; Schirmer, U., Kursächsische Staatsfinanzen (1456-1656),
2006
Hauskind ist
im römischen Recht das unter der väterlichen Gewalt lebende →Kind.
Lit.: Kaser §§ 12 I 2b, 33 III, 49 I, 50 III 4a, 66 VI, 68
III 2
Häusler (Bezeichnung im Mittelalter selten) ist der nur ein Haus und kein
Feld besitzende Dorfbewohner (Gärtner, Kossäte, Seldner).
Lit.: Schröder, R./Künßberg, E. v., Lehrbuch der Deutschen
Rechtsgeschichte, 7. A. 1932, Neudruck 1966, 457
Hausmarke (Wort 16. Jh.) ist im Mittelalter und in der Neuzeit das bestimmte, dem
Wappen des Adels vergleichbare schriftartige Erkennungszeichen für einen
Menschen oder ein Haus (u. a. Handelsmarke, Notarssignet).
Lit.: Homeyer, C., Haus- und Hofmarken, 1870, Neudruck,
1964; Heyne, M., Fünf Bücher deutscher Hausaltertümer, Bd. 1 1899; Grohne, E.,
Die Hausmarken und Hauszeichen, 1912; Gmür, M., Schweizerische Bauernmarken und
Holzurkunden, 1917, 2. unv. A. 1991; Ruppel, K., Die Hausmarken, ZRG GA 60
(1940), 320; Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden, hg. v. Rück, P.,
1996
Hausmeier (lat.
maior [M.] domus) ist der Leiter einer Hausverwaltung im spätrömischen Italien
und im Frühmittelalter (Burgunder, Ostgoten, Franken). Bei den fränkischen
Königsfamilien finden sich (anfangs unfreie) H. seit dem 6. Jh. Im Jahre 751
verdrängt der austrasische H. Pippin der Jüngere aus dem Geschlecht der
Arnulfinger oder Pippiniden den König aus dem Geschlecht der →Merowinger
und begründet die Königsfamilie der →Karolinger, womit zugleich der H. als
entbehrlich verschwindet.
Lit.: Köbler, DRG 76; Hermann, E., Das Hausmeieramt, 1880,
Neudruck 1970; Heidrich, J., Titulatur und Urkunden der arnulfingischen
Hausmeier, Archiv f. Diplomatik 11/12 (1965/6), 71; Haas, K., Studien zur
Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des fränkischen maior-domus-Amts, Diss.
phil. Heidelberg 1968; Heidrich, J., La maison du palais Neustriens, Francia
Beiheft 16/1 1989, 217; Scheibelreiter, G., Die barbarische Gesellschaft, 1999
Hausname ist der seit dem 13. Jh. bezeugte Name des einzelnen Hauses einer
Siedlung (z. B. zur
Tanne in Basel, zu der schönen Ecke in Freiburg im Breisgau, ad Gernodum in Worms,
zur roten Türe in Köln), der seit dem 19. Jh. von der Hausnummer verdrängt
wird.
Lit.:
Grohne, E., Die Hausnamen und Hauszeichen, 1912
Hausrat ist die Gesamtheit der zur Haushaltsführung notwendigen
Geräte. Als Gerade kann der H. einer besonderen Erbfolge unterliegen. Die
Hausratsverordnung vom 21. 10. 1944 legt die Aufteilung des Hausrats bei
Ehescheidung fest (bis 2009).
Lit.:
Schmitt, A., Das Fortleben der Gerade, 1913; Vlassopoulos, I., Der eheliche
Hausrat, 1983
Haussuchung ist
die Durchsuchung eines Hauses. Nach altrömischem Recht kann bei
Diebstahlsverdacht eine (lat.) quaestio (F.) lance et licio (Untersuchung mit
Schüssel und Schurzfell) erfolgen, bei welcher der Suchende nackt, nur mit
einem Schurzfell (lat. [N.] licium) bekleidet und eine Schüssel (lat. [F.]
lanx) tragend, das Haus betreten muss und der Täter bei erfolgreicher Suche als
handhafter Dieb (lat. fur [M.] manifestus) getötet werden darf. Im Mittelalter
ist H. bei Verfolgung einer abhanden gekommenen beweglichen Sache möglich. Vermutlich
wird bei erfolgloser H. der Suchende bußpflichtig. Seit dem Hochmittelalter
bedarf die H. mehr und mehr der vorherigen Erlaubnis des Richters oder Rates.
Im 19. Jh. sichern die Verfassungen vor willkürlicher H. (Hessen-Kassel 1831,
Reich 1848). Im 20. Jh. gewähren sie ein Grundrecht auf Freiheit der Wohnung,
das nur durch Gesetz eingeschränkt werden kann.
Lit.: Kaser § 51 I 2; Grimm, J., Deutsche Rechtsaltertümer,
1828, Bd. 2 4. A. 1899, Neudruck 1922, 1989, 1994; Schwerin, C. Frhr. v., Die
Formen der Haussuchung, 1924; Wolff, J., Lanx et licium, (in) Sympotica F.
Wieacker 1970, 59
Haustier (Wort im 18. Jh. belegt) ist das vom Menschen seit der Jungsteinzeit im
oder am Haus abhängig gemacht gehaltene, vor allem (dem Schutz und) der
Versorgung dienende Tier (Hund, Schaf, Ziege, Schwein, Rind, Pferd, Esel,
Maultier, Katze, Huhn, Gans, Ente, Taube). Der Berechtigte wird durch
allgemeine Regeln über Beschädigung und Wegnahme geschützt. Nach § 833 BGB
haftet der Halter für einen von einem in Ausübung seines Berufs, seiner
Erwerbstätigkeit oder zu seinem Unterhalt gehaltenen Tier (H.) verursachten Schaden
weniger streng als für sonstige Tierschäden.
Lit.: Benecke,
N., Archäozoologische Studien zur Entwicklung der Haustierhaltung in
Mitteleuropa, 1994; Schmalhorst, R., Die Tierhalterhaftung im BGB, 2002; Meier,
F., Mensch und Tier im Mittelalter, 2008; Regnath, J., Das Schwein im Wald,
2009
Haustüre ist die das Haus nach außen abschließende Türe des Hauses.
Haustürgeschäftswiderrufsgesetz ist das deutsche Gesetz vom 16. 1. 1986, das im Interesse
des Verbrauchers bestimmt, dass eine auf Abschluss eines Vertrags über eine
entgeltliche Leistung gerichtete Willenserklärung eines Kunden in bestimmten
Fällen erst wirksam wird, wenn sie der Kunde nicht binnen einer Frist von einer
Woche schriftlich widerruft. Sein Inhalt wird 2002 in das Bürgerliche
Gesetzbuch aufgenommen (§§ 312ff. BGB).
Lit.: Köbler, DRG 266
Hauswirtschaft ist die auf den einzelnen Haushalt beschränkte, alle
verwendeten Güter herstellende und verbrauchende Wirtschaft. Sie ist bereits im
antiken Rom zugunsten der Marktwirtschaft aufgegeben. Im Frühmittelalter
erweitert sie sich auf die jeweilige Grundherrschaft und tritt seit dem
Hochmittelalter zurück, um seit dem 19. Jh. fast gänzlich ihre Bedeutung zu
verlieren.
Lit.: Köbler, DRG 67, 77; Bauer, L./Matis, H., Geburt der
Neuzeit, 1988
Haut und Haar ist
eine mittelalterliche Bezeichnung für bestimmte Leibesstrafen (Prügeln,
Scheren).
Lit.: Kroeschell, DRG 1; His, R., Das Strafrecht des
deutschen Mittelalters, Bd. 1f. 1920ff., Neudruck 1964; Schouwe, U., Mit Haut
und Haar, 1994
Haverei (Haverie,
Herkunft des Wortes streitig) ist der während einer Schifffahrt an Fahrzeug und
Ladung entstehende Schaden. Dazu übernimmt bereits das römische Recht die im
hellenistischen (bzw. vielleicht im phönizischen) Bereich entwickelte (lat.) →lex
(F.) Rhodia de iactu (rhodisches Gesetz über den Seewurf, Digesten 14, 2), nach
welcher der Schiffer, der in Seenot Güter eines Befrachters ins Meer wirft und
sein Schiff rettet, dem geschädigten Befrachter zur Erstattung eines
anteiligen Ausgleichs entsprechend dem Wert der Ladungen der anderen Befrachter
verpflichtet ist, gegen die er seinerseits Rückgriff nehmen darf. Im
Hochmittelalter ändern dies die →Rôles d’Oléron in gewisser Weise ab.
Auch das Hamburger Stadtrecht bildet Regeln über die H. aus, wobei im 18. Jh.
zwischen kleiner, nur das Frachtgut betreffender, und großer, auch das Schiff
erfassender H. unterschieden wird. Über die Ordonnance (française) de la marine
(1681), die Havereiordnung Hamburgs (1731), den Code de commerce (1807) und das
→Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (1861) gehen diese Regeln in das
deutsche Handelsgesetzbuch (1897) ein. Daneben gelten international
York-Antwerpener Regeln von 1864/1877 für die große H.
Lit.: Kaser § 42 IV 4; Claussen, C., Über die lex Rhodia de
iactu, Diss. jur. Kiel 1876; Heck, P., Das Recht der großen Haverei, 1889;
Reincke, H., Die ältesten Formen des hamburgischen Schiffsrechts, Hamburg.
Geschbll. 63 (1968); Krieger, K., Ursprung und Wurzeln der rôles d’Oléron,
1970; Landwehr, G., Die Haverei in den mittelalterlichen deutschen
Seerechtsquellen, 1985; Dreyer, T., Die Assekuranz- und Havereyordnung der
freien und Hansestadt Hamburg von 1731, 1990; Landwehr, G., Zur
Begriffsgeschichte der Haverei, FS H. Niederländer, 1991, 57; Gaurier, D., Le droit
maritime romain, 2004; Lindemann, S., Die Gefahrengemeinschaft bei der
Seehandelsfahrt nach den mittelalterlichen Statutarrechten, 2004
Heberolle ist ein Abgabenverzeichnis.
Lit.:
Die Hebereolle des Klosters Freckinhorst, hg. v. Friedländer, E., 1953
hebräisch →Israel,
Jude
Heck,
Philipp (St. Petersburg 22. 7. 1858-Tübingen 28. 6. 1943) wird nach dem Studium
von Mathematik in Leipzig und des Rechtes in Heidelberg und Berlin und der Promotion
und Habilitation in Berlin (Levin Goldschmidt 1889) Professor in Greifswald
(1891), Halle (1892) und Tübingen (1901). Er begründet in der Nachfolge Rudolf
von Iherings die gegen →Begriffsjurisprudenz und →freie Rechtsschule
gerichtete →Interessenjurisprudenz, die Lücken im Recht durch Vergleich
gesetzlicher Entscheidungen von Interessengegensätzen (oder bei deren Fehlen
durch persönliches Wertempfinden) schließen will. Daneben verfasst er
Grundrisse zum Schuldrecht (1929) und Sachenrecht (1930) und zahlreiche
rechtsgeschichtliche Arbeiten.
Lit.: Das Problem der Rechtsgewinnung, 1912, 2. A. 1932;
Heck, P., Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932; Kallfass, W., Die
Tübinger Schule der Interessenjurisprudenz, 1972; Wolf, M., Philipp Heck als
Zivilrechtsdogmatiker, 1996; Schoppmeyer, H., Juristische Methode als
Lebensaufgabe, 2001; Auer, M., Methodenkritik und Interessenjurisprudenz, ZEuP
2008, 517
Hedemann, Justus Wilhelm (Brieg 24. April 1878-Berlin-Frohnau 13. 3. 1963) wird
nach dem Studium des Rechtes und der 1903 bei Otto Fischer in Breslau erfolgten
Habilitation 1906 Professor in Jena (1919 Institut für Wirtschaftsrecht) und
1936 in Berlin, wo er 1946 wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus vorzeitig
emeritiert wird. Rechtsgeschichtlich bedeutsam ist sein Werk über
Fortschritte des Zivilrechts im 19. Jahrhundert(, 1910ff.). Kurzzeitig warnt er
1932 vor der Flucht in Generalklauseln.
Lit.:
Wegerich, C., Die Flucht in die Grenzenlosigkeit, 2004
Heer ist
der zu Land kämpfende Teil der Streitkräfte. Sowohl in Rom wie auch bei den
Germanen ist das H. zunächst allgemeines Volksheer. In Rom beginnt mit Marius
(um 100 v. Chr.) die Umwandlung in ein Berufsheer von Söldnern, das nach Bedarf
aufgestellt wird. Bereits unter Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.) ist ein
stehendes H. von 27-28 Legionen zu 6000 Männern vorhanden (Berufsarmee), zu dem
Hilfstruppen in gleicher Stärke kommen. Für die Zeit um 395 n. Chr. wird die
Zahl der römischen Soldaten auf rund 500000 (darunter viele Männer barbarischer
Herkunft geschätzt Seit dem Frühmittelalter (9. Jh.-12. Jh.) verschwindet bei
den germanistischen Nachfolgevölkern das Volksheer der einfachen Freien
und wird (wohl auch wegen der Italienzüge) durch ein ständisches Reiterheer
(Ritter) im Umfang von meist nicht mehr als 2000 Gepanzerten ersetzt. In der
Mitte des 12. Jh.s sind Söldner im H. Friedrichs I. Barbarossa belegt. An die Stelle
des Reiterheers tritt seit dem 14. Jh. der berufsmäßige, zunächst mit Lanze,
dann mit Feuerwaffen ausgerüstete Fußsoldat, der nach Bedarf angeworben wird
(Landsknechte, Wort Heerfahrt schwindet). Das Reichsheer besteht aus geringen
Kontingenten der Reichsstände, wobei sich die mächtigeren Fürsten zunehmend
ihren Gestellungsverpflichtungen entziehen. Die Lücke füllt im eigenen
Interesse Habsburg. Seit der Mitte des 17. Jh.s strebt der Landesherr ein
stehendes H. an. Dabei ersetzt später die Aushebung die Anwerbung (Preußen
1733). Zu Beginn des 19. Jh.s wird die allgemeine Wehrdienstpflicht eingeführt
(Preußen 3. 9. 1814). 1919 wird das deutsche H. auf 100000 Mann beschränkt,
doch durchbricht Adolf Hitler bald diese Einschränkung. Im zweiten Weltkrieg
werden etwa 5,3 Millionen von rund 15 Millionen deutschen Soldaten getötet.
1945 wird nach dem Waffenstillstand das Heer des Deutschen Reiches aufgelöst. 1956
wird die Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland (und im Gleichlauf die
Nationale Volksarmee der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik)
eingerichtet. Ab 2011 wird in Deutschland die Wehrpflicht ausgesetzt und ein
Berufsheer aufgebaut.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 29 III; Köbler, DRG 112,
150, 152, 198; Köbler, WAS; Stein, L. v., Die Lehre vom Heerwesen, 1872; Bonin,
B. v., Grundzüge der Rechtsverfassung in den deutschen Heeren zu Beginn der
Neuzeit, 1904; Fehr, H., Vom Lehnsheer zum Söldnerheer, ZRG GA 36 (1915), 455;
Grosse, R., Römische Militärgeschichte, 1920; Wohlers, G., Die staatsrechtliche
Stellung des Generalstabes in Preußen und dem deutschen Reich, 1921; Niemann,
A., Kaiser und Heer, 1923; Frauenholz, E. v., Entwicklungsgeschichte des
deutschen Heerwesens, 1935ff.; Huber, E., Heer und Staat in der deutschen
Geschichte, 1938; Höhn, R., Verfassungskampf und Heereseid, 1938; Conrad, H.,
Geschichte der deutschen Wehrverfassung, Bd. 1 1939; Conrad, H., Gottesfrieden
und Heeresverfassung, ZRG GA 61 (1941), 71; Merzbacher, F., Der Artikelbrief
für die Reichsarmee von 1682, ZRG GA 69 (1952), 349; Hencke, U., Die
Heeresverfassung des deutschen Bundes, Diss. jur. Tübingen 1955; Bodmer, J.,
Der Krieger der Merovingerzeit, 1957; Oestreich, G., Zur Heeresverfassung der
deutschen Territorien von 1500 bis 1800, FG F. Hartung, 1958, 419; Keen, M.,
The Laws of War, 1965; Hermann, C., Deutsche Militärgeschichte, 1966; Müller,
K., Das Heer und Hitler, 1969; Schweling, O./Schwinge, E., Die deutsche
Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, 2. A. 1978; Contamine, P.,
La guerre au Moyen Age, 3. A. 1992; Messerschmidt, M./Wüllner, F., Die
Wehrmachtsjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende,
1987; Masson, P., Die deutsche Armee, 1996; Die Wehrmacht, hg. v. Müller, R. u.
a., 1999, 2. A: 2012; Verbrechen der Wehrmacht, hg. v. Hamburger Institut für
Sozialforschung, 2. A., 2002; Gilliver, K., Auf dem Weg zum Imperium, 2003;
Walter, D., Preußische Heeresreformen 1807-1870, 2003; Bald, D., Die
Bundeswehr, 2005; Messerschmidt, M., Die Wehrmachtjustiz, 2005; Megargee, G.,
Hitler und die Generäle, 2006; Die Zeit nach 1945, hg. v. Neugebauer, K., 2008;
Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Neugebauer, K., 2008; Grillo, P.,
Cavalieri e popoli in armi, 2008; Albu-Lisson, D., Von der k. u. k. Armee zur
deutschen Wehrmacht, 2011; Stachelbeck, C., Deutschlands Heer und Marine im
ersten Weltkrieg, 2013
Heerbann ist
im Frühmittelalter (Erstbeleg in einem Immunitätsprivileg für Speyer um 665)
der das →Heer betreffende →Bann des Königs, dessen Aufgebotsrecht
mit dem H. bewehrt ist. Vielleicht schon in nachkarolingischer Zeit tritt der
H. zurück.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Sousa Costa, A.
de, Studien zu volkssprachigen Wörtern in karolingischen Kapitulairen, 1993;
Bachrach, B., Warfare and military organization in pre-crusade Europa, 2002
Heeresgericht s. Kriegsgericht
Heerfahrt s. Heer
Heergewäte (Hergewäte,
Wort seit 12. Jh. belegt) ist die Heeresbekleidung für den Krieg. Das H. wird
wohl schon seit dem Frühmittelalter in einer Sondererbfolge an einen männlichen
Verwandten (ältesten Sohn) vererbt. In den Städten seit dem Hochmittelalter im
Schwinden begriffen, wird es zwischen dem 17. und 19. Jh. (Fehmarn) allgemein
abgeschafft.
Lit.: Köbler, DRG 73, 89, 123, 162; Haff, K., Ein
Herwedekatalog, ZRG GA 48 (1928), 447; Bungenstock, W., Heergewäte und Gerade,
Diss. jur. Göttingen 1966
Heerschild (als Versinnbildlichung der Berechtigung zum Aufgebot zum Heer) ist das
Einteilungskriterium der mittelalterlichen Ordnung der lehnsrechtlich gestuften
Gesellschaft. Nach dem Sachsenspiegel (1221-1224) hat der König den ersten H.
Die geistlichen Fürsten stehen im zweiten H., die weltlichen Fürsten im
dritten. Wie weit die (insgesamt als siebenstufig geschilderte)
Heerschildordnung nach unten reicht (Freie, Mannen der Freien, Mannen der
Mannen der Freien), ist auch den mittelalterlichen Zeitgenossen nicht völlig
klar.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Köbler, DRG 98; Ficker, J., Vom
Heerschilde, 1862, Neudruck 1964; Krieger, K., Die Lehnshoheit der deutschen
Könige, 1979; Spieß, K., Das Lehnswesen in Deutschland, 2. A. 2009
Hegel,
Georg Friedrich Wilhelm (Stuttgart 27. 8. 1770-Berlin 14. 11. 1831), Beamtensohn,
wird nach dem Studium von Philosophie und Theologie in Tübingen Hauslehrer in
Bern und in Frankfurt am Main und nach der Habilitation (Jena 1801) und
Tätigkeiten in Jena (1801-1807, 1805 ao. Professor), Bamberg (1807-1808) und
Nürnberg (Gymnasiallehrer 1808-1816) außerordentlicher Professor in Heidelberg
(1816) und Berlin (1818). Für H. ist Weltgeschichte der notwendig
fortschreitende Prozess, in dem sich der absolute Geist seiner Freiheit im
dialektischen Dreischritt von These, Antithese und Synthese bewusst wird. In
der tatsächlichen Umwelt versteht H. den preußischen Staat als Verwirklichung
der Freiheit. Damit wird zu Unrecht der Staat dem Einzelnen stärker
übergeordnet als notwendig.
Lit.: Hegel, G., Kritik der Verfassung Deutschlands [um
1803], hg. v. Mollat, G., 1893; Hegel, G., Phänomenologie des Geistes, 1807;
Hegel, G., Rechtsphilosophie, 1821; Marcic, R., Hegel und das Rechtsdenken,
1970; Landau, P., Hegels Begründung des Vertragsrechts, ARSP 59 (1973), 117;
Flechtheim, O., Hegels Strafrechtstheorie, 2. A. 1975; Materialien zu Hegels
Rechtsphilosophie, hg. v. Riedel, M., 1975; Theunissen, M., Sein und Schein,
1980; Gessmann, M., Hegel, 1999; Schnädelbach, H., Hegels praktische
Philosophie, 2000; Fulda, F., Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 2003;
Hegel-Lexikon, hg. v. Cobben, P., 2006; Binkelmann, C., Theorie der praktischen
Freiheit, 2007; Senk, N., Junghegelianisches Rechtsdenken, 2007; Staat und
Religion in Hegels Rechtsphilosophie, hg. v. Arndt, A., 2009; Schäfer, R.,
Hegel, 2010
Hegemonie (F.) Vormachtstellung
Lit.: Triepel, H., Die Hegemonie,
1938; Simpson, G., Great Powers and Outlaw States, 2004; Malettke, K.,
Hegemonie - multipolares System - Gleichgewicht, 2012
Hegung ist
im deutschen Recht die förmliche Eröffnung von gerichtlichen Versammlungen
durch künstliche Abgrenzung und Durchführung eines Frage-Antwort-Ritus. Alter
und Herkunft der im 13. Jh. eindeutig sichtbaren Vorgangsweise sind unklar.
Bereits seit dem Spätmittelalter wird die H. ziemlich sinnentstellt
durchgeführt (, in Basel wohl noch bis in das ausgehende 19. Jh.).
Lit.: Planck, J., Das deutsche Gerichtsverfahren im
Mittelalter, Bd. 1 1879, Neudruck 1973, 130; Burchard, K., Die Hegung, 1893; Grimm,
J., Deutsche Rechtsaltertümer, 1828, Bd. 2 4. A. 1899, Neudruck 1922, 1989,
1994, 437, 483; Buchda, G., Die Hegung und Aufhebung des Vogtgerichts zu
Kindleben, ZRG GA 62 (1942), 355
Hehler ist,
wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes
Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft, sich oder einem Dritten
verschafft, absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu
bereichern. Der H. ist strafbar (→Der Hehler ist nicht besser als der
Stehler). Bereits ein Privileg Heinrichs IV. für die Juden in Speyer und Worms
von 1090 bestimmt aber, dass Juden, die gestohlene Sachen gegen Entgelt
erworben haben, sie nur gegen Ersatz des Kaufpreises herausgeben müssen (sog.
Hehlerprivileg oder Lösungsrecht, vgl. Sachsenspiegel Landrecht III, 7). Mit
dem Ausgang des Mittelalters verliert das Lösungsrecht an Bedeutung, ohne ganz
zu verschwinden. Die Hehlerei erscheint (nach Württemberg, Hannover und
Sachsen) als eigener Straftatbestand mit eigener Strafe 1847 im Entwurf für ein
Strafgesetzbuch Preußens, 1851 iin dem ihm folgenden Strafgesetzbuch und 1871
im Reichsstrafgesetzbuch. →Der Hehler .
Lit.: Hübner 433; Kroeschell, DRG 2; Heimberger, J., Die
Teilnahme an Verbrechen, 1896; His, R., Das Strafrecht des deutschen
Mittelalters, 1925; Meyer, H., Das Hehlerrecht, (in) Forschungen zur
Judenfrage, Bd. 1 1937, 92; Feenstra, R., Zum Ursprung des Lösungsrechts, FS G.
Kisch, 1955, 237; Kisch, G., Zur Rechtsstellung der Juden im Mittelalter, ZRG
GA 81 (1964), 360; Dersch, G., Begünstigung, Hehlerei und unterlassene
Verbrechensanzeige, 1980; Wolff, B., Begünstigung, Strafvereitelung und
Hehlerei, 2002
Heidelberg am
Neckar unterhalb einer wohl im 11. Jh. erbauten Burg wird seit dem 13. Jh. ein
bedeutender Ort (1196 erstmals erwähnt, zu Beginn des 13. Jh.s planmäßig
angelegte Stadt) der seit 1214 wittelsbachischen Pfalzgrafen bei Rhein (vor
1225 als Lehen von Worms erlangt, von der Mitte des 14. Jh.s bis 1720 Residenz),
an dem 1386 eine Universität (Mitte des 15. Jh.s römisches Recht) errichtet
wird, an deren juristischer Fakultät 1932 Eugen Ulmer, Heinrich Mitteis, Max
Gutzwiller, Ernst Levy, Gustav Radbruch, Gerhard Anschütz und Walter Jellinek
(sowie Herbert Engelhard, Leopold Perels, Eberhard Freiherr von Künßberg und
Karl Geiler) lehren.
Lit.: Köbler, DRG 100; Dickel, G., Die Heidelberger
juristische Fakultät, 1960 (Diss. masch.schr. und, Ruperto-Carolina, Sonderband
Aus der Geschichte der Universität Heidelberg und ihrer Fakultäten 1961);
Jammers, A., Die Heidelberger Juristenfakultät im 19. Jahrhundert als
Spruchkollegium, 1964; Merkel, G., Wirtschaftsgeschichte der Universität
Heidelberg im 18. Jahrhundert, 1973; Willoweit, D., Das juristische Studium in
Heidelberg, (in) Semper apertus, FS Universität Heidelberg, hg. v. Doerr, W.,
Bd. 1 1985, 85; Landwehr, G., Heidelberger Juristen in sechs Jahrhunderten, (in)
Richterliche Rechtsfortbildung, FS der juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier
der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1986, 653; Heidelberger Strafrechtslehrer
im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Küper, W., 1986; Drüll, D. Heidelberger
Gelehrtenlexikon, Bd. 1 ff. (1803-1932, 1652-1802, 1386-1651), 1986ff.; Der
Humanismus und die oberen Fakultäten, hg. v. Keil, G. u. a., 1987; Mußgnug, D.,
Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, 1988; Wolf, K., Die Heidelberger
Universitätsangehörigen, 1991; Kolb, J., Heidelberg, 1999; Die Rektorbücher der
Universität Heidelberg, Bd. 1f. 1999ff.; Remy, S., The Heidelberg Myth, 2002; Fink,
O., Kleine Heidelberger Stadtgeschichte, 2005; Die Universität Heidelberg im
Nationalsozialismus, hg. v. Weckart, W. u. a., 2006; Cser, A., Kleine
Geschichte der Stadt und Universität Heidelberg, 2008; Stipendienstiftungen
und Stipendiaten vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zum Beginn des
Dreißigjährigen Krieges, bearb. v. Merkel, G., 2008; Baur, S., Vor vier
Höllenrichtern, 2009; Vetter, V., Die ganze Stadt ist abgebrannt, 2009; Vogt,
H., Die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Aufbruch, 2009; Die im Dritten
Reich entrechteten und vertriebenen Mitglieder der Heidelberger Akademie, hg.
v. Heidelberger Akademie, 2009; Düll, D., Heidelberger Gelehrtenlexikon
1933-1986, 2009 (975 Professoren und 10 Professorinnen, in allen 4 Bänden 2843
Professoren); Cser, A., Die großen Heidelberger Fässer, 2009; Schroeder, K.,
Eine Universität für Juristen und von
Juristen, 2010; Leo, P., Wilhelm Groh, 2012
Heil (N.) Wohl
Lit.:
Hartmann, H., Heil und heilig im nordischen Altertum, 1943; Schmitz-Berning,
C., Vokabular des Nationalsozialismus, 1998; Simek, R., Religion und Mythologie
der Germanen, 2003
Heilige Allianz
ist das in Paris am 26. 9. 1815 zwischen Franz I. von →Österreich,
Friedrich Wilhelm III. von →Preußen und Alexander I. von →Russland
abgesprochene religiös-moralische Manifest, das neben dem Bekenntnis zur
christlichen Religion und zu den Grundsätzen der Legitimität, Legalität und
Stabilität auch ein allgemeines Beistandsversprechen enthält. Ihm treten fast
alle christlichen Staaten Europas bei (ausgenommen Papst und bis 1856 Sultan).
Bereits 1823 außerhalb Europas und 1830 in Europa (Belgien, Griechenland) wird
das legitimistische Interventionsprinzip auf Grund der sich entwickelnden
Interessengegensätze der beteiligten Mächte aufgegeben.
Lit.: Köbler, DRG 170; Näf, W., Zur Geschichte der Heiligen
Allianz, 1928
Heiliger (religiös vorbildlicher Mensch) →Reliquie
Lit.: Hattenhauer, H., Das Recht der Heiligen, 1976;
Wetzstein, T., Heilige vor Gericht. Das Kanonisationsverfahren im europäischen
Spätmittelalter, 2004; Krafft, O., Papsturkunde und Heiligsprechung, 2005 (64
zwischen 993 und 1523); Angenendt, A., Die Gegenwart von Heiligen und
Reliquien, 2010
Heiliger Stuhl →Papst
Heiliges römisches Reich (deutscher Nation) ist die unscharfe, sich im
Spätmittelalter ausformende Bezeichnung des (ersten) deutschen Reiches (1474,
amtlich 1512, um 1000 regnum Teutonicum, ab 962 [lat.] imperium Romanum, Wipos
Gesta Chuonradi 1040-1046, 1122 unter Anknüpfung an das antike römische Reich Romanorum
imperator [Kaiser der Römer], ab 1157 phasenweise [lat.] sacrum imperium [N.,
Heiliges Reich], seit der Spätzeit Friedrich Barbarossas vereinzelt, seit etwa
1230 häufiger sacrum Romanum imperium). Das H. R. R. (ostfränkisch-deutsches
Reich, Italien und ab 1033 Burgund) wird getragen von →König bzw. Kaiser
und →Reichsständen. Seit dem Spätmittelalter geht Burgund überwiegend an
Frankreich verloren und bleiben die Reichsfürsten Italiens dem Reichstag fern.
Vielfach als (lat. [N.]) corpus eingeordnet endet das reformunfähige H. R. R.
auf den politischen Druck Napoleons (ultimative Rücktrittsforderung an den
Kaiser vom 22. 7. 1806) am 6. 8. 1806 mit der Niederlegung der Krone des
Deutschen Reiches durch Kaiser Franz II. (aus der Familie der →Habsburger).
Die h. M. legt den im 15. Jh. aufkommenden, tatsächlichen Zusatz „Deutscher
Nation“ als auf das deutschsprachige Gebiet einschränkend aus. Die
(materielle) →Verfassung des Heiligen römischen Reiches wird durch eine
Reihe von einzelne Fragen behandelnden „Grundgesetzen“ bestimmt, die man
bereits mit dem Wormser Konkordat von 1122 beginnen lassen kann (vor allem
Licet iuris 1338, Goldene Bulle 1356, Wiener Konkordat 1448, Ewiger Landfriede
1495, Reichskammergerichtsordnung 1495, Augsburger Reichsabschied 1555,
Westfälischer Friede 1648, Jüngster Reichsabschied 1654, Reichshofratsordnung
1654, Capitulatio perpetua 1711, Reichsputationshauptschluss 1803). 1795
schließt Preußen mit Frankreich den Frieden von Basel, der das Heilige römische
Reich in eine nördliche Friedenszone und eine südliche Kriegszone teilt. 1797
verzichtet der Kaiser des Heiligen römischen Reiches auf alle Reichsrechte in
Italien. Im Frieden von Pressburg Ende (1805) erreichen Bayern, Württemberg und
Baden Souveränität. Am 1. 8. 1806 erklären die 16 Staaten des Rheinbunds vor
dem Reichstag ihren Austritt aus dem Heiligen römischen Reich, Auf ultimative
Aufforderung Napoleons legt Kaiser Franz II. am 6. 8. 1806 durch Lösung des
bisher bestehenden Bandes die Krone des Heiligen römischen Reiches nieder.
Lit.: Köbler, DRG 110, 133; Krebs, C., Teutscher
Reichsstaat, Teil 1f. 1706f.; Moser, J., Teutsches Staatsrecht, Bd. 1ff.
1737ff., Neudruck 1968; Zeumer, K., Heiliges römisches Reich deutscher Nation,
1910; Feine, H., Zur Verfassungsentwicklung des Heil(igen) Röm(ischen) Reiches,
ZRG GA 52 (1932), 65; Diehl, E., Heiliges römisches Reich deutscher Nation, HZ
156 (1937), 457; Wesenberg, G., Die Privatrechtsgesetzgebung des Heiligen
römischen Reiches, Studi P. Koschaker, Bd. 1 1954, 187; Heer, F., Die Tragödie
des heiligen Reiches, Bd. 1f. 1952f.; Aretin, K. Frhr. v., Heiliges römisches
Reich 1776-1806, 1967; Randelzhofer, A., Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen
römischen Reiches nach 1648, 1967; Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit
Maria Theresias, hg. v. Conrad, H., 1964; Aretin, K., Frhr. v., Heiliges
römisches Reich 1776 bis 1806, Bd. 1f. 1967; Das Staatsrecht des Heiligen
römischen Reiches deutscher Nation, hg. v. Wagner, W., 1968; Wenkebach, H.,
Bestrebungen zur Erhaltung der Einheit des heiligen römischen Reiches, 1970;
Koch, G., Auf dem Wege zum sacrum imperium, 1972; Schubert, E., König und
Reich, 1979; Bussi, E., Diritto e politica in Germania nel 18. secolo, 1971;
Aretin, K. Frhr. v., Das Alte Reich, Bd. 1ff. 1980ff. (Band 4 Register);
Walter, G., Der Zusammenbruch des Heiligen römischen Reiches, 1980; Nonn, U.,
Heiliges römisches Reich deutscher Nation, ZHF 9 (1982), 129; Hammerstein, N.,
Das Römische am Heiligen römischen Reich, ZRG GA 100 (1983), 119; Kohler, A.,
Das Reich im Kampf um die Hegemonie in Europa, 1990, 2. A. 2010; Heiliges
Römisches Reich und moderne Staatlichkeit, hg. v. Brauneder, W., 1993; Aretin,
K. v., Das alte Reich 1648-1806, Bd. 1ff. 1993ff.; Luh, J., Unheiliges
Römisches Reich, 1995; Schulze, H., Kaiser und Reich, 1998; Essig, M., Das
Reich als europäische Vision, 1999; Schmidt, G., Geschichte des alten Reiches,
1999; Marquardt, B., Das römisch-deutsche Reich als segmentäres
Verfassungssystem, 1999; Hartmann, P., Kulturgeschichte des heiligen römischen
Reiches 1648 bis 1806, 2001; Imperium Romanum – irregulare corpus – Teutscher
Reichs-Staat, hg. v. Schnettger, M., 2002; Schwarz, J., Herrscher- und
Reichstitel, 2003; Gotthard, A., Das alte Reich 1495-1806, 2003, 4. A. 2012;
Prietzel, M., Das heilige römische Reich im Spätmittelalter, 2004, 2. A. 2010;
Reichspersonal, hg. v. Baumann, A. u. a., 2004; Herbers, K. u. a., Das Heilige
römische Reich, 2005, 2. A. 2006; Mazohl-Wallnig, B./Böschle, A., Zeitenwende
1806, 2005; Hartmann, P., Das Heilige römische Reich in der Neuzeit, 2005; Stollberg-Rilinger,
B., Das heilige römische Reich deutscher Nation, 2006; Lesebuch altes Reich,
hg. v. Wendehorst, S. u. a., 2006; Kraus, H., Das Ende des alten Deutschland,
2006; Heiliges römisches Reich deutscher Nation 962 bis 1806, hg. v. Puhle, M.
u. a., 2006; Externbrink, S., Friedrich der Große, Maria Theresia und das alte
Reich, 2006; Weinfurter, S., Das Reich im Mittelalter, 2008; Marquardt, B., Die
alte Eidgenossenschaft und das Heilige Römische Reich (1350-1798), 2008;
Burgdorf, W., Ein Weltbild verliert seine Welt, 2. A. 2009; Vielhaber, T.,
Reformperspektiven zur Reichsverfassung im Jahrhundert nach dem
westfälischen Frieden, Diss. Bonn 2008; Müller-Mertens, E., Römisches Reich im
Frühmittelalter, HZ 288 (2009), 51; Herbers, K. u. a., Das heilige römische
Reich, 2010; Rudolph, H., Das Reich als Ereignis, 2010
Heilung (von
Rechtsgeschäften) →Konvaleszenz
Heim (N.) Wohnung, Siedling
Heimatzufluchtsrecht ist das ursprünlich gewohnheitsrechtlich oder vertraglich, im 19. Jh.
auch gesetzlich begründete Recht eines notleidenden Geschwisters eines
Hoferben auf zeitlich begrenzte Rückkehr in das Elternhaus.
Lit.:
Buchenroth, A., Die Heimatzuflucht nach § 30 Absatz 3 Reichserbhofgesetz, 2004
Heimbürge (Wort seit 9. Jh. belegt) ist seit dem Hochmittelalter der (oft jährlich von der
Gemeinde gewählte) Leiter (von Ortsgericht und Verwaltung) einer meist
dörflichen Gemeinde zwischen Elsass und Thüringen (Mühlhausen), der endgültig
im 19. Jh. verschwindet.
Lit.: Wiemann, H., Der Heimbürge, 1962;
Schildt, B., Bauer - Gemeinde - Nachbarschaft, 1996
Heimfall ist
der Anfall (bzw. Einzug) des Nachlasses erbenlos verstorbener Menschen. Er
steht als Recht teils dem Grundherrn, teils dem Lehnsherrn, teils der Gemeinde,
teils dem König oder Landesherrn bzw. Staat zu. Im deutschen Bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) ist der →Fiskus gesetzlicher Erbe.
Lit.: Hübner 777; Tomaschek, J., Das Heimfallsrecht, 1882; Brünneck,
W. v., Das Heimfallsrecht und die Gütervereinigung im älteren
böhmisch-mährischen Recht, ZRG GA 20 (1899), 1; Poll, B., Das Heimfallsrecht
auf den Grundherrschaften Österreichs, 1925, Neudruck 1978; Schmelzeisen, G.,
Polizeiordnungen und Privatrecht, 1955, 149; Jewell, H., English Local
Administration, 1972
Heimtücke (F.)
Hinterhältigkeit, (BGH 1953) bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des
Opfers, (Vorentwurf eines StGB der Schweiz 1894, § 211 StGB vom 4. 9. 1941, §
112 StGB-DDR 1968,)
Lit.: Thomas, S., Die Geschichte des Mordparagraphen, 1985;
Dörner, B., Heimtücke, 1998; Linka, K., Mord und Totschlag, 2008; David, A.,
Die Entwicklung des Mordtatbestands im 19. Jahrhundert, 2009
Heineccius (Heinecke), Johann Gottlieb (Eisenberg in Thüringen 11. 9. 1681-Halle
31. 8. 1741) wird nach dem Studium der Theologie in Leipzig (1698-1703) und des
Rechtes in Halle (Stryk, Thomasius, Böhmer, Gundling, Ludewig) 1713 Philosophieprofessor
und nach der rechtswissenschaftlichen Promotion (1716) 1720 außerordentlicher
und 1721 ordentlicher Rechtsprofessor in Halle, Franeker (1723), Frankfurt an
der Oder (1727) und (gegen seinen Willen) Halle (1733). Seine dogmatischen
Grundrisse (darunter die erste geschlossene Darstellung des deutschen
Privatrechts und das erste römischrechtliche Lehrbuch moderner Form) machen ihn
zum einflussreichsten deutschen Juristen des 18. Jh.s (Antiquitatum Romanarum
syntagma [N.], 1721, Elementa [N.Pl.] iuris civilis secundum ordinem institutionum,
1725 [insgesamt 176 Ausgaben], Elementa [N.Pl.] pandectarum, 1727, Jurisprudentia
[F.] Romana, 1738ff., Antiquitates [F.Pl.] Germanicae jurisprudentiam patriam
illustrantes, 1772ff., Elementa [N.Pl.] iuris Germanici, 1735f. [erste
geschlossene Darstellung des deutschen Privatrechts], Elementa [N.Pl.] iuris
naturae et gentium, 1737, deutsch 1994, Grundzüge des Natur- und Völkerrechts).
Lit.: Köbler, DRG 144; Heineccius, J., Opera omnia, Bd.
1ff. 1744ff., Neudruck 2010ff.; Reibstein, E., J. G. Heineccius als Kritiker
des grotianischen Systems, Zs. f. ausl öff. Recht und Völkerrecht 24 (1964),
236; Luig, K., Die Anfänge der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht, Ius
commune 1 (1967), 195; Elementa iuris naturae et gentium (deutsch), hg. v.
Bergfeld, C., 1994; Wardemann, P., Johann Gottlieb Heineccius (1681-1741). Leben
und Werk, 2007
Heingereiden (Haingeraiden)
sind (16) seit dem 13. Jh. (1256) nachweisbare dörfliche Marknutzungsverbände
(z. B. Wanzenau im Oberelsass) von den Vogesen bis zur Haardt, die seit 1792
von Frankreich beseitigt werden. sowie verschiedene andere Großmarken (z. B.
Bieger Mark, Dieburger Mark) überwiegend auf fränkischem Boden.
Lit.: Christmann, E., Name und Entstehung der pfälzischen
Heingereiden, ZGO 99 (1951), 407; Ziegler, H., Die Auflösung der Haingeraiden,
Pfälzer Heimat 20 (1969), 20
Heinrich der Löwe
(1128/1129?, 1133/1135?-Braunschweig 6. 8. 1195), →Welfe, Herzog von
Sachsen (1142) und Bayern (1156), gefährdet durch seine beinahe königliche
Machtstellung den mit ihm verwandten deutschen Kaiser Friedrich I. Barbarossa (→Staufer),
mit dem er infolge der Unterstützung bei der Wahl zunächst lange erfolgreich
zusammenwirkt. Da er nach der Verweigerung der Unterstützung in Italien 1176 mehreren
Ladungen in einem von Fürsten wegen Landfriedensbruchs eingeleiteten Verfahren
vor dem Kaiser nicht Folge leistet, wird er im Juni 1179 (29. Juni?) geächtet
und als Folge des Nichterscheinens in einem daraufhin wegen Nichtachtung der
Majestät begonnenen Verfahren im Januar 1180 für aller Reichslehen verlustig
erklärt. Im April 1180 wird das Herzogtum Sachsen in Westfalen (an den
Erzbischof von Köln) und (östliches) Sachsen (Bernhard von Askanien) geteilt,
im September 1180 das Herzogtum Bayern an Otto von →Wittelsbach gegeben.
H. d. L. behält nur die Eigengüter um Braunschweig und Lüneburg. Mit der
Zerschlagung des Stammesherzogtums Sachsen wird die Bildung von →Ländern
weiter gefördert.
Lit.: Güterbock, F., Der Prozess Heinrichs des Löwen, 1909;
Haller, J., Der Sturz Heinrichs des Löwen, Archiv für Urkundenforschung 3
(1911), 295; Niese, H., Zum Prozess Heinrichs des Löwen, ZRG GA 34 (1913), 195;
Moeller, R., Die Neuordung des Reichsfürstenstandes, ZRG GA 39 (1918), 1;
Schambach, K., Noch einmal die Gelnhäuser Urkunde und der Prozess Heinrichs des
Löwen, Zs. d. hist. Ver. für Niedersachsen 81 (1916), 1, 83 (1918), 189;
Güterbock, F., Die Gelnhäuser Urkunde und der Prozess Heinrichs des Löwen,
1920; Hüttebräuker. L., Das Erbe Heinrichs des Löwen, 1927; Haendle, O., Die
Dienstmannen Heinrichs des Löwen, 1930; Hasenritter, F., Beiträge zum Urkunden-
und Kanzleiwesen Heinrichs des Löwen, 1936; Hildebrand, R., Der sächsische
„Staat“ Heinrichs des Löwen, 1937; Läwen, G., Die herzogliche Stellung
Heinrichs des Löwen in Sachsen, Diss. phil. Königsberg 1937; Ganahl, K., Neues
zum Text der Gelnhäuser Urkunde, MIÖG 53 (1940), 287; Die Urkunden Heinrichs
des Löwen, bearb. v. Jordan, K., 1941ff.; Schambach, K., Der genaue Tag des
Achtspruches, ZRG GA 69 (1952), 309; Bärmann, J., Die Städtegründungen
Heinrichs des Löwen, 1961; Diestelkamp, B., Welfische Städtegründungen und
Stadtrechte des 12. Jahrhunderts, ZRG GA 81 (1964), 164; Jordan, K., Heinrich
der Löwe, 1979, 2. A. 1980, 4. A. 1996; Heinrich der Löwe, hg. v. Mohrmann, W.,
1980; Engels, O., Stauferstudien, 1988; Heinrich der Löwe, hg. v. Luckhardt,
J., 1995; Ehlers, J., Heinrich der Löwe, 1997; Seibert, H., Heinrich der Löwe
und die Welfen, HZ 268 (1998), 375; Gaethke, H., Herzog Heinrich der Löwe und
die Slawen nordöstlich der unteren Elbe,1999; Heinrich der Löwe, hg. v. Fried,
J. u. a., 2003; Ehlers, J., Heinrich der Löwe, 2008
Heinrich I. (um 876-Memleben 2. 7. 936) 919 deutscher König, Begründer des
Königsgeschlechts der Ottonen
Lit.:
Giese, W., Heinrich I., 2007
Heinrich II. (6. 5. 978 oder 973-Pfalz Grone 13. 7. 1024) Urenkel Heinrichs I., fünfter
und letzter König des Königsgeschlechts der Ottonen
Lit.: Weinfurter,
S., Heinrich II., 1999, 3. A. 2002
Heinrich III. (28. 10. 1017-Bodfeld 5. 10. 1056) zweiter deutscher König des Königsgeschlechts
der Salier, der 1046 das Papstschisma beendet, aber bereits mit 39 Jahren
stirbt.
Lit.: Boshof,
E., Die Salier, 1987, 5. A. 2008
Heinrich IV. (Goslar? 11. 11. 1050-Lüttich
6. 8. 1106) dritter deutscher König des Königsgeschlechts der Salier, der mit
6 Jahren die Herrschaft übernimmt und 1076 anlässlich der Besetzung des
Erzbistums Mailand mit Papst Gregor VII. in Streit gerät (Investiturstreit),
aber sich durch den Gang nach Canossa vom Kirchenbann lösen kann.
Lit.
Althoff, G., Heinrich IV., 2006, 3. A. 2012; Heinrich IV., hg. v. Althoff,
G., 2009
Heinrich V. (11. 8. 1086?-Utrecht 23. 5. 1125) vierter und letzter deutscher König
aus dem Geschlecht der Salier, der 1105 seinen Vater entmachtet und 1122 das
Wormser Konkordat mit dem Papst schließt.
Lit.:
Boshof, E., Die Salier, 1987, 5. A. 2008; Heinrich V. in seiner Zeit, hg.
v. Lubich, G., 2013
Heinrich VI. (Nimwegen 1165-Messina 28. 9. 1197) dritter König aus dem Königsgeschlecht
der Staufer, der vergeblich versucht, das Erbe seiner Frau Konstanze von
Sizilien einzunehmen, und bereits mit 32 Jahren stirbt.
Lit.:
Kaiser Heinrich VI., hg. v. d. Gesellschaft für staufische Geschichte e. V:
1998; Jericke, H., Kaiser Heinrich VI., 2008
Heinrich von Segusia →Hostiensis
Heirat (F.)
(1050, Heiratsregister 1875) →Eheschließung
Lit.: Mantl, E., Heirat als Privileg,
1997; Liebl, R., Ein Königreich als Mitgift, 1998; Weller, T., Die
Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert, 2004; Kaiser,
D., Die elterliche Einwilligung, 2008; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen
des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Heirat macht mündig.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996 (Hillebrand 1858)
Heiratsabgabensystem ist bei der Gütertrennung (Ehegüterrecht) die vereinbarte Übergabe von
Heiratsgut (Mitgift, Heimsteuer) durch die Ehefrau (oder ihre Eltern) an den
Ehemann und die vereinbarte Gegenleistung des Ehemanns an die Ehefrau
(Widerlegung, Morgengabe), wobei beide Leistungen durch
Liegenschaftspfandrecht gesichert werden. Im 19. Jh. tritt das H. zurück. Den
folgenden Kodifikationen des bürgerlichen Rechtes ist es unbekannt.
Lit.:
Schröder, R., Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland, Bd. 1ff.
1863ff.; Brauneder, W., Die Entwicklung des Ehegüterrechts in Österreich, 1973;
Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.
Heiratserlaubnis ist die Erlaubnis der Eheschließung eines Menschen mit
einem anderen durch einen Dritten. Im Frühmittelalter bedarf die nach
kirchlicher Ansicht selbst zur Eheschließung berechtigte Braut (zumindest
noch) der H. des Inhabers der Personalgewalt, die später auf die Fälle fehlender
Ehemündigkeit eingeschränkt wird. Daneben benötigt der Unfreie die H. des
Grundherrn. Seit dem 16. Jh. begründet der Landesherr Heiratserlaubnisse für
Beamte, Soldaten, Kranke, Mittellose, Witwen u. s. w. Die Aufklärung drängt seit dem ausgehenden
18. Jh. die H. allgemein zurück, doch sieht noch das Ehepatent Josephs II. für
Österreich von 1783 die Nichtigerklärung der Eheschließung wegen fehlender
Ehebewilligung vor, enthält noch das Ehegesetz von 1938 eine H. für Soldaten.
und kennt noch das deutsche Gesetz vom 4. 5. 1998 ein begrenztes Vetorecht der
Eltern (in § 1303 III BGB).
Lit.: Friedberg, E., Das Recht der Eheschließung, 1865; Thudichum,
F., Über unzulässige Beschränkungen des Rechts der Verehelichung, 1866;
Köstler, R., Die väterliche Ehebewilligung, 1908; Schmelzeisen, G.,
Polizeiordnungen und Privatrecht, 1955, 30; Schwab, D., Grundlagen und Gestalt
der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, 1967; Saar, S., Ehe - Scheidung
- Wiederheirat, 2002; Frassek, R., Eherecht und Ehegerichtsbarkeit in der
Reformationszeit, 2005
Heiratszwang ist der in familärer und obrigkeitlicher Form mögliche Zwang zur Heirat,
der in früheren Zeiten besteht, aber unter dem Einfluss der Kirche (bereits im
Hochmittelalter) und der Aufklärung (spätestens im 19. Jahrhundert) verschwindet.
Lit.:Thudichum,
F., Über unzulässige Beschränkungen des Rechts der Verehelichung, 1866;
Wettlaufer, J., Das Herrenrecht der ersten Nacht, 1999
heischen, V., verlangen, fordern, laden, s. ausheischen
heitstrenging, an., Sb., Festbinden eines Versprechens, Gelübde
Lit.:
Näsström, B., Blot, 2002
Heldensage ist die (lange mündlich überlieferte) Sage von Taten hervorragender
Menschen (Helden) (und Götter) in Altertum und Mittelalter (z. B. Äneas,
Odysseus, Herkules, Romulus, Siegfried, Hildebrand, Wolfdietrich), in die auch
rechtlich bedeutsame Geschehnisse eingeflochten sein können.
Lit.:
Schneider, H., Germanische Heldensagen, 2. A. 1962; Haferland, H.,
Mündlichkeit, Gedächtnis und Medialität, 2004; Kropik, C., Reflexionen des Geschichtlichen,
2008
Helgoland
Lit.: Moeller, E, v., Die
Rechtsgeschichte der Insel Helgoland, 1904
Heliand („Heiland“)
ist die nach der lateinischen Übersetzung (6. Jh.) der Evangelienharmonie des
Syrers Tatian (2. Jh.) vor 850 (wohl in Fulda oder Werden) verfasste, in 5
Handschriften(fragmenten) überlieferte, 5983 (erhaltene) Zeilen (Verse) umfassende
altsächsische Stabreimdichtung. Es ist streitig, in welchem Umfang das Werk
frühmittelalterliches Recht wiedergibt (Herrschaft, Stände, Rüge).
Lit.: Vilmar, A., Deutsche Altertümer im Heliand, 1845, 2.
A. 1862; Lagenpusch, E., Das germanische Recht im Heliand, 1894; Kuhn, H., Die
Grenzen der germanischen Gefolgschaft, ZRG GA 73 (1956), 28; Sowinski, B.,
Darstellungsstil und Sprachstil im Heliand, 1985; Heliand und Genesis, hg. v.
Taeger, B., 10. A. 1996
Hellenismus ist
ursprünglich der richtige Gebrauch der griechischen Schriftsprache, später die
Ausbreitung griechischer Kultur seit Alexander dem Großen (356-13. 6. 323 v.
Chr.).
Lit.: Kaser §§ 1 II 2, 3 III 4; Söllner §§ 18, 19, 22;
Kreissig, H., Geschichte des Hellenismus, 1984; Gehrke, H., Geschichte des
Hellenismus, 3. A. 2003, 4. A. 2008; Hellenismus, hg. v. Funck, B., 1997; Die
Rezeption der Antike, hg. v. Konstantinou, E., 1998; Christ, K., Hellas, 1999;
Heinen, H., Geschichte des Hellenismus, 2003; Lexikon des Hellenismus, hg. v.
Schmitt, H./Vogt, E., 2005; Meißner, B., Hellenismus, 2007; Kulturgeschichte
des Hellenismus, hg. v. Weber, G., 2007; Errington, R. A History of the
Hellenistic World 323-30 Bc, 2008
Heller,
Hermann Ignatz (Teschen/Schlesien 17. 7. 1891-Madrid 5. 11. 1933), jüdische
Abstammung, Rechtsanwaltssohn, wird nach dem Rechtsstudium in Wien, Innsbruck
und Graz 1920 in Kiel (Gustav Radbruch) habilitiert, 1921 Dozent in Leipzig und
Referent am Institut für ausländisches öffentliches Recht in Berlin sowie 1928
zum außerordentlichen Professor in Berlin und 1932 zum ordentlichen Professor
in Frankfurt am Main (bis 7. 4. 1933, Flucht nach Spanien) ernannt. Er versteht
in der Staatslehre den Staat als sozialen Rechtsstaat und setzt sich für einen
national gesinnten Sozialismus ein.
Lit.: Robbers, G., Hermann Heller, 1983; Der soziale
Rechtsstaat, hg. v. Müller, C./Staff, J., 1984; Deutsche Juristen jüdischer
Herkunft, hg. v. Heinrichs, H. u. a., 1993, 767; Fiedler, W., Das Bild Hermann
Hellers, 1994; Goller, P., Hermann Heller, 2002; Henkel, M., Hermann Hellers
Theorie der Politik und des Staates, 2011
Helmarshausen
Lit.: Hoffmann, H., Bücher und
Urkunden aus Helmarshausen und Corvey, 1992
Helmbrecht ist die um 1270 vielleicht im Innviertel von Wernher dem Gartenaere
verfasste, in zwei Handschriften überlieferte Geschichte eines sich gegen
seinen Stand auflehnenden Bauernsohns, die möglicherweise auch Rechtswirklichkeit
widerspiegelt.
Lit.: Die
Märe von Helmbrecht, hg. v. Panzer, F., 9. A. 1974; Menke, P., Recht und
Ordo-Gedanke im Helmbrecht, 1993
Helmstedt (Ersterwähnung Helmonstede 952, 1247 Stadt) ist von 1576 bis 1810 Sitz einer vom Herzog von
Braunschweig gegründeten Universität (1589 340 Studenten, Hermann Conring).
Lit.: Behse, A., Die juristische Fakultät der Universität
Helmstedt im Zeitalter des Naturrechts, 1920; Baumgart, P./Pitz, E., Die
Statuten der Universität Helmstedt, 1963; Schikora, A., Die Spruchpraxis an der
juristischen Fakultät zu Helmstedt, 1972; Haase, H., Die Universität Helmstedt
1576-1810, 1976; Die Matrikel, bearb. v. Mundhenke, H., 1979; Kundert, W.,
Katalog der Helmstedter juristischen Disputationen, 1984 (2774 Titel); Hahn,
P., Die Gerichtspraxis der altständischen Gesellschaft im Zeitalter des Absolutismus.
Die Gutachtertätigkeit der Helmstedter Juristenfakultät, 1989; Müller, H.,
Helmstedt, 1998; Alschner, U., Universitätsbesuch in Helmstedt, 1998; Ahrens,
S., Die Lehrkräfte der Universität Helmstedt, 2004¸ Maaser, M., Humanismus und
Landesherrschaft, 2010; Casemir, K. u. a., Die Ortsnamen des Landkreies Helmstedt
und der Stadt Wolfsburg, 2011
Helsinki (Helsingfors)
wird 1550 vom König von Schweden gegründet und 1640 verlegt. Am neuen Ort
erhält es eine Universität. 1812 wird es Hauptstadt des russischen
Großfürstentums →Finnland.
Helvetische Republik
ist die nach dem keltischen, von Caesar 58 v. Chr. besiegten Stamm der
Helvetier benannte, von Frankreich (Napoleon) beeinflusste Republik in der →Schweiz
(1798-1803).
Lit.: Levi, R., Der oberste Gerichtshof der Helvetik, 1945;
Zwicky, J., Das Gefängniswesen zur Zeit der Helvetik, Diss. jur. Zürich 1982;
Alkaly, M., Das materielle Strafrecht der französischen Revolution, 1984
Helvetisches Bekenntnis ist das die Theologie Jean Calvins (1509-1564) und Ulrich Zwinglis
(1504-1575) 1566 zusammenfassende Bekenntnis, das im Westfälischen Frieden
1648 reichsrechtlich anerkannt wird und dessen Anhänger in Österreich seit
Toleranzpatenten Josephs II. seit 1781 toleriert werden.
Henker ist
der 1276 in Augsburg zuerst bezeugte Vollstrecker des (auf Hängen lautenden)
Todesurteils. Der H. gilt (ab etwa 1400) als unehrlich. Vor der Vollstreckung
steht dem Hinzurichtenden (seit dem 15. Jh.?, henckermol 1575) eine Henkersmahlzeit
zu. Der 1924 zum Scharfrichter in Bayern berufene Johann Reichart vollzog die
Todesstrafe an rund 3000 und nach 1945 an 156 Menschen (Nationalsozialisten).
Lit.: Mackensen, L., Henkersmahl und Johannisminne, ZRG GA
44 (1924), 318; Angstmann, E., Der Henker in der Volksmeinung, 1928; Heim, W.,
Das Henkersmahl, 1941; Hentig, H. v., Vom Ursprung der Henkersmahlzeit, 1958;
Schuhmann, H., Der Scharfrichter, 1964; Glenzdorf-Treichel, Henker, Schinder
und arme Sünder, 1978; Dachs, J., Tod durch das Fallbeil, 1996; Deutsch, A.,
Das schwere Schicksal der Henker, ZRG GA 118 (2001), 420; Bendlage, A., Henkers
Hetzbube, 2003; Schubert, E., Räuber und Henker, 2007; Die Henker von Nürnberg
und ihre Opfer, hg. v. Diefenbacher, M., 2010; Rosenstrauch, H., Karl Huß. Der
empfindsame Henker, 2012
Henlich ist
ursprünglich der Heiratsgesang und im Hochmittelalter und Spätmittelalter insbesondere
im Recht des Ingelheimer Oberhofs die Verlobung und Eheschließung bzw. der →Ehevertrag.
Lit.: Gudian, G., Ingelheimer Recht im 15. Jahrhundert,
1968, 104
Henneberg
Lit.: Zickgraf, E., Die gefürstete
Grafschaft Henneberg-Schleusingen, 1944; Bibliographie zur hennebergischen
Geschichte, bearb. v. Henning, E. u. a., 1976; Regesten des Archivs der Grafen
von Henneberg-Römhild, hg. v. Mötsch, J., 2006
Henneberg,
Berthold von (1441/2-21. 12. 1504), aus der Familie der Grafen von
Henneberg-Römhild, wird nach dem Studium der Theologie in Erfurt (1455) und
Italien Domherr in Mainz (1464) und Erzbischof von Mainz (20. 5. 1484). Er
bestimmt als Erzkanzler maßgeblich die Reformen des Heiligen römischen Reiches im Jahre 1495 (→Reichskammergericht, →Landfriede,
→Gemeiner Pfennig).
Lit.: Weiß, E., Berthold von Henneberg, 1889; Bader, K.,
Ein Staatsmann vom Mittelrhein, 1955; Schröcker, A., Unio atque concordia,
Diss. phil. Würzburg 1970
Hennegau
Lit.: Goldhardt, O., Die
Gerichtsbarkeit in den Dörfern des mittelalterlichen Hennegaues, 1909;
Verriest, L., Le servage dans le Comté de Hainaut, 1910; Cauchies, J., La
législation princière pour le comté de Hainaut, 1982
Henricus de Baila ist ein 1169 und 1170 bezeugter
Glossator in Bologna (Glossen, Distinktionen, Disputationen?).
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 214
Henricus
de Bracton s. Bracton
Heraklit von
Ephesos (um 500 v. Chr.) ist der erste europäische Philosoph, der den Einsatz
des Einzelnen für die rechtliche Ordnung als Voraussetzung für den Bestand des
Gemeinwesens hervorhebt.
Lit.: Moser, P., Heraklits Kampf ums
Recht, 1993
Heraldik (F.)
Wappenkunde
Lit.: Köbler, DRG 3; Hildebrandt, A.,
Handbuch der Heraldik, 19. A. 1998 (1. A. unter anderem Titel 1824); Seyler,
G., Geschichte der Heraldik 1890, Neudruck 1970; Berchem, E. Frhr. v.,
Heraldische Bibliographie, 1937; Galbreath, D., Handbüchlein der Heraldik, 2.
A. 1948; Crusius, E., Heraldik in Niedersachsen und Westfalen, 1957; Gumowski,
M., Handbuch der polnischen Heraldik, 1969; Neubecker, O., Heraldik, 1977;
Zenger, Z., Ceska heraldika, 1978; Bertenyi, I., Kis, magyar eimertan, 1983; Oswald,
G., Lexikon der Heraldik, 1984, 3. A. 2011; Henning, E./Jochums, G.,
Bibliographie zur Heraldik, 1984; Dictionnaire heraldique, 1985; Woodcock,
T./Robinson, J., The Oxford Guide to Heraldry, 1988; Filip, V., Einführung in
die Heraldik, 2000, 2. A. 2011; Scheibelreiter, G., Heraldik, 2006, 2. A. 2009;
Henning, E., Repetitorium heraldicum, 2010
Herausgabe (1739, Herausgabepflicht 1896/1900) ist das Übergeben des Besitzes an
einer Sache oder einem Menschen durch eine Person an eine andere Person.
Lit.: Köbler, U.,
Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Herausgabeanspruch ist der Anspruch auf die Herausgabe eines Menschen oder
einer Sache. Der bekannteste Fall des Herausgabeanspruches ist die schon dem
altrömischen Recht vertraute (lat.) →rei vindicatio (F.). Sie lebt im
modernen H. in abgewandelter Form fort.
Lit.: Kaser § 27 I; Köbler, DRG 212
Herberge
Lit.: Kachel, J., Herberge und
Gastwirtschaft, 1924; Hermesdorf, B., De herberg in de Nederlanden, 1957;
Peyer, H., Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus, 1987; Potthoff, O.,
Kulturgeschichte der deutschen Gaststätte, 1996
Herborn (an der Dill, 1251 Stadtrecht)
ist von 1584 bis 1815 Sitz einer Universität (Althusius, als Student Comenius).
Lit.: Menk, G., Die Hohe Schule
Herborn, 1981; Haering, H., Die Spätzeit der Hohen Schule zu Herborn, 1994; Schmidt-von
Rhein, G., Zur Geschichte der rechtswissenschaftlichen Fakultät der hohen
Schule zu Herborn, ZRG GA 103 (1986), 263
Herd (M.), Boden (9. Jh.), Feuerstätte (10. Jh.), Haus,
Wohnung, davon Herdschilling oder Herdzins zu leisten
Lit.: Schomburg, W., Lexikon der
deutschen Steuer- und Zollgeschichte, 1992; Mittelalterliche Öfen, hg. v.
Röber, R. 2002
Herdecke
Lit.: Schnettler, O., Herdecke an
der Ruhr, 1939i, Johann
Gottfried (Mohrungen in Ostpreußen 25. 8. 1744-Weimar 18. 12. 1803) wird nach
dem Theologiestudium in Königsberg (1762-1764, Kant) Prediger in Riga, in
Bückeburg (1771) und In Weimar (1776 Oberhofprediger). Er sieht in der
Volkssprache und im Volkslied den Ausdruck des unbewusst schaffenden →Volksgeists,
dessen nationale Eigenart geschichtlichen Eigenwert besitzt (Idee der
Kulturnation). Damit beeinflusst er →Savignys Verständnis vom Recht als
sich organisch entfaltendem Teilbereich der Gesamtkultur in bedeutsamer Weise.
Lit.: Herder, J., Über die neuere deutsche Literatur,
1766/7; Herder J., Abhandlung über den Ursprung der Sprache, 1772;
Würtenberger, T., Johann Gottfried Herder und die Rechtsgeschichte, JZ 12
(1957), 137; Adler, E., Herder und die deutsche Aufklärung, 1968; Kalletat, F.,
Herder und die Weltliteratur, 1984; Irmscher, H., Johann Gottfried Herder,
1996; Zaremba, M., Johann Gottfried Herder, 2002; Kantzenbach, F., Johann
Gottfried Herder, 2007; Herder Handbuch, hg. v. Clairmont, H. u. a., 2010
Heredis institutio
(lat. [F.] Erbeinsetzung) ist in klassischer römischer Zeit die schon früh an
den Anfang des Testaments zu stellende, lange Zeit unabdingbare Erbeinsetzung
(z. B. [lat.] Titius heres esto).
Lit.: Kaser §§ 65 II 1, 67 I 2
Hereditas ([F.]
lat.) ist im römischen Recht die vor allem aus Vermögensrechten gebildete
Erbschaft (das Erbe). Die h. fällt als Einheit durch Gesamtnachfolge dem Erben
an. Sie kann h. iacens (ruhende Erbschaft) sein.
Lit.: Kaser §§ 65f.; Köbler, LAW;
Kressin, U., Hereditas, 2011
Hereditas (F.) iacens (lat.) (liegende bzw. ruhende Erbschaft) ist im römischen Recht die
einem Außenerben (lat. heres [M.] extraneus) anfallende Erbschaft in der Zeit
zwischem dem Tod des Erblassers und der Ergreifung der Vermögensrechte durch
den Außenerben. Ursprünglich gelten die Erbschaftsgegenstände als (lat.)
res (F.) nullius (Sachen niemands). Die Rechte und Pflichten bestehen weiter,
haben aber zeitweilig keinen Träger und können deswegen nicht geltend gemacht
werden. Die h. i. kann Rechte erwerben. Die h. i. wird mit der Aufnahme des
römischen Rechtes seit dem Spätmittelalter an verschiedenen Orten übernommen
(z. B. Österreich).
Lit.: Kaser § 72 I; Coing, H., Europäisches Privatrecht,
Bd. 1 1985, 562, 621, 629
Hereditatis petitio
(lat. [F.] Erbschaftsbegehren) ist bereits im altrömischen Recht das
Herausverlangen der Erbschaft durch eine Person, die behauptet Erbe zu sein.
Lit.: Kaser §§ 65 III, 75
Heres (lat.
[M.]) ist im römischen Recht der →Erbe (Hauserbe oder Außenerbe).
Lit.: Kaser § 65 III; Köbler, DRG 37; Köbler, LAW
Herford ist
eine westfälische, um das 823 gegründete, 1147 reichsunmittelbare Stift
erwachsene Stadt, von der die Bilderhandschrift (2 Miniaturen, Initialen)
eines mittelniederdeutschen, dem Sachsenspiegel nahestehenden Rechtsbuchs von
etwa 1375 in 61 Artikeln überliefert ist.
Lit.: Löning, G., Vom Schöffenstuhl zu Herford im 17.
Jahrhundert, ZRG GA 64 (1944), 326; Korte, F., Die staatsrechtliche Stellung
von Stift und Stadt Herford, Jahresbericht des historischen Vereins für die
Grafschaft Ravensberg 58 (1955), 1; 1200 Jahre Herford, 1989; Rechtsbuch der
Stadt Herford, hg. v. Helmert-Corvey, T., 1989; Hüpper, D., Das Herforder
Rechtsbuch und sein Verhältnis zum Sachsenspiegel, Nd. Wort 29 (1989), 47ff.; Terharn,
C., Die Herforder Fehden, 1994; Kurtz, T., Das oberste Rückerstattungsgericht
in Herford, 2013
Hergewäte →Heergewäte
Herisliz (ahd.
[M.] Heerzerstörung) ist der tatbestandliche Vorwurf (des Hochverrats), der 788
(nach den Lorscher Annalen) zur Absetzung Herzog Tassilos III. von Bayern
führt.
Lit.: Köbler, WAS; His, R., Das Strafrecht des deutschen
Mittelalters, Bd. 2 1935, 53; Sousa Costa, A. de, Studien zu volkssprachigen
Wörtern in karolingischen Kapitularien, 1993
Hermann von Oesfeld (Magdeburg Mitte 14. Jh.), vielleicht aus Oebisfelde an der Aller
nördlich Helmstedts, Bürger in Magdeburg, fertigt möglicherweise ein Register
zum Landrecht des →Sachsenspiegels sowie die um 1350 entstehenden
verfahrensrechtlichen Schriften →Cautela und →Premis an.
Lit.: Homeyer, C., Richtsteig Landrecht nebst Cautela und
Premis, 1857, 390; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1
1990, 66
Hermann von Salza (um 1180-Salerno 20. 3. 1239), aus einer
Ministerialenfamilie in Thüringen bei Gotha und Langensalza, von 1209 bis 1239 (vierter) Hochmeister des Deutschen
Ordens, erlässt die sog. →Kulmer Handfeste, die lübischem und magdeburgischem
Vorbild folgend den nach Kulm und Thorn gezogenen Bürgern freiheitliche Rechte
gewährt.
Lit.: Caspar, E., Hermann von Salza und die Gründung des
Deutschordensstaates in Preußen, 1924; Kluger, U., Hochmeister Hermann von
Salza, 1987; Sarnowsky, J., Der Deutsche Orden, 2007
Hermeneutik (F.) Verstehenslehre
Lit.:
Hermeneutik der Quellentexte des römischen Rechtes, hg. v. Avenarius, M., 2008
Hermogenian (um
300) ist vielleicht unter Kaiser Diokletian (284-313/316) Leiter einer kaiserlichen
Kanzlei und (lat.) praefectus (M.) praetorio (Prätorianerpräfekt). Er verfasst
die private (halbamtliche?) Sammlung von Konstitutionen Diokletians fast nur
der Jahre 293 und 294 (→Codex Hermogenianus), von der 104 Fragmente in
die →Digesten Justinians aufgenommen werden, und (lat.) Iuris epitomarum
libri (M.Pl.) VI (Auszüge aus klassischen Schriften Rechtskundiger).
Lit.: Söllner §§ 19, 22; Liebs, D., Hermogenians Iuris
Epitomae, 1964; Liebs, D., Die Jurisprudenz im spätantiken Italien, 1987, 36,
137
Herold (M.,
aus germ. hari-waldaz, Personenname bei Tacitus) Verkünder
Lit.: Wagner, A., Heralds and Heraldry, 2. A. 1956;
Römheld, L., Die diplomatischen Funktionen der Herolde im späten Mittelalter,
Diss. phil. Heidelberg 1964; Scheibelreiter, G., Heraldik, 2006; The Herald in
Late Medieval Europe, hg. v. Stevenson, K., 2009
Herold,
Basilius Johann (Höchstädt an der Donau 17. 12. 1514-1567), unehelicher Sohn
eines Augsburger Bürgers, Übersetzer und Drucker ohne feste Anstellung,
veröffentlicht in Basel 1557 eine Sammlung von 12 (10) Volksrechten (Originum
ac Germanicarum antiquitatum libri), deren handschriftliche Vorlagen seitdem
teilweise (lat. Lex [F.] Frisionum, eine Fassung der lat. Lex [F.] Salica)
verschollen sind.
Lit.:
Burckardt, A., Johann Basilius Herold, 1967
Herr ist
der Gebieter über einen anderen Menschen (oder über einen Gegenstand). Das Wort
wird im 8. Jh. als Lehnübersetzung von lat. [M.] senior, Älterer (und damit
Höherer), aus dem Komparativ des Adjektivs her, „grau, hehr“ gebildet.
Hausherr, Grundherr (Wort 14. Jh.), Lehnsherr und →Landesherr (Wort 15.
Jh.) sind wichtige Erscheinungsformen. Erst spät wird H. zu einer allgemeinen
Anrede erwachsener Männer. In den ständischen Landtagen von Österreich ob der
Enns und Österreich unter der Enns sind die Herren eine eigene Kurie, in der
Steiermark, in Kärnten und Krain eine Kurie mit den Rittern.
Lit.: Köbler, WAS; Lünig, J., Thesaurus iuris deren Grafen
und Herren des Heiligen römischen Reichs, 1725; Dungern, O. Frhr. v., Der
Herrenstand im Mittelalter, 1908; Forst-Battaglia, O., Vom Herrenstande, 1916;
Oberschelp, B., Die Edelherren von Büren, 1963; Dopsch, H., Landherren,
Herrenbesitz und Herrenstand in der Steiermark 1100-1500, Diss. phil. Wien 1969
(masch.schr.); Kulenkampf, A., Einungen und Reichsstandsschaft fränkischer
Grafen und Herren, Diss. jur. Bonn 1971; Hergemöller, B., Fürsten, Herren und
Städte zu Nürnberg 1355/65, 1983; Müller, P., Die Herren von Fleckenstein,
1990; Algazi, G., Herrengewalt, 1996
Herrenchiemseer Verfassungskonvent ist das von den 11 Ministerpräsidenten der westlichen
Besatzungszonen des Deutschen Reiches auf Einladung Bayerns vom 10. bis 23. 8.
1948 nach Herrenchiemsee im Chiemsee einberufene, eine →Verfassung (→Grundgesetz)
der späteren Bundesrepublik →Deutschland vorbereitende Gremium (Carlo
Schmid Justizminister Württemberg-Hohenzollerns SPD, Josef Schwalber
Staatssekretär im Innenministerium Bayern CSU, Josef Beyerle Justizminister
Württemberg-Baden CSVP/CDU, Adolf Süsterhenn, Justizminister Rheinland-Pfalz
CDU, Paul Zürcher Oberlandesgerichtspräsident (Freiburg im Breisgau) Baden CDU,
Hermann Louis Brill Leiter der Staatskanzlei Hessen SPD, Theodor Spitta
Bürgermeister Bremen BDV/FDP, Fritz Baade Professor der Wirtschaftswissenschaften
Schleswig-Holstein SPD, Justus Danckwerts Ministerialrat Niedersachsen, Theodor
Kordt Diplomat und Völkerrechtler Nordrhein-Westfalen, Wilhelm Drexelius
Senatssyndikus Hamburg SPD, Otto Suhr Volkswirt und Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung
Berlin als Gast SPD).
Lit.: Köbler, DRG 256; Buchner, P., Der Verfassungskonvent
auf Herrenchiemsee. Der Parlamentarische Rat 1948/49, 1981; 50 Jahre Verfassungskonvent
Herrenchiemsee, hg. v. März, P. u. a., 1998; Weichenstellung für Deutschland,
hg. v. März, P. u. a., 1998
Herrenfall ist
der Tod des →Herrn im Lehnsverhältnis.
Herrenhaus ist
die Bezeichnung für ein dem englischen House of Lords nachgebildetes
Staatsorgan einiger Verfassungen des 19. Jh.s (Preußen 1855-1918, Österreich
1861-1865, 1867-1918, ab 1907 mindestens 150 und höchstens 170 Mitglieder). Ihm
gehören hauptsächlich Vertreter des →Adels und vom Herrscher besonders
berufene Mitglieder an.
Lit.: Baltl/Kocher; Spenkuch, H., Das preußische
Herrenhaus, 1998
Herrenlos ist
die Sache, die keinen Eigentümer hat (z. B. früher in Freiheit befindliche
wilde Tiere, derelinquierte Sachen, ähnlich freie Luft, fließendes Wasser). Die
herrenlose Sache unterliegt der Aneignung. Aneignungsberechtigt ist
ursprünglich jedermann, nach späterem deutschem Recht der jeweils besondere
Träger eines Aneignungsrechts (z. B. Jagdberechtigter, Fiskus).
Lit.: Hübner 454f.
Herrenreiterurteil ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs Deutschlands vom Februar
1958 (BGHZ 28, 349), die in Analogie zu § 847 BGB und in Widerspruch zu § 253
BGB) einem ohne Einwilligung zu Werbezwecken (Okasa) öffentlich abgebildeten
Reiter eine billige Entschädigung (Schmerzensgeld, Ersatz immateriellen
Schadens) gewährt wird (als verfassungsmäß angesehenes Richterrecht).
Herrschaft ist
die Macht oder Gewalt eines Menschen (→Herrn) über einen anderen Menschen
(oder einen Gegenstand). Sie entsteht vorwiegend durch Eroberung und
Überschichtung bzw. durch Unterwerfung und Aneignung. Es ist streitig, ob sich
die umfassende Rechtsgemeinschaft in eine Vielzahl von Herrschaften auflösen
lässt. Geschichtliche Formen der H. sind jedenfalls Grundherrschaft und
Landesherrschaft, Hausherrschaft und Lehnsherrschaft. Das deutsche Wort
herscaf (mhd.) als Herrenstellung (über Gegenstände und Menschen) findet sich
erst im 13. Jh. Seit etwa 1750 wird zwischen öffentlichrechtlicher Herrschaft
und privatem Eigentum des Landesherrn unterschieden.
Lit.: Köbler, WAS; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3
1982, 1; Gierke, O., Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1ff. 1868; Waas,
A., Herrschaft und Staat im deutschen Frühmittelalter, 1938; Schlesinger, W.,
Herrschaft und Gefolgschaft, HZ 176 (1953), 225; Dannenbauer, H., Grundlagen
der mittelalterlichen Welt, 1958, 121; Hofmann, H., Adelige Herrschaft und
souveräner Staat, 1962; Schulze, H., Adelsherrschaft und Landesherrschaft,
1963; Henning, F., Herrschaft und Bauernuntertänigkeit, 1964; Brunner, O.,
Land und Herrschaft, 5. A. 1965; Kroeschell, K., Haus und Herrschaft im frühen
deutschen Recht, 1968; Pezold, U. v., Die Herrschaft Thurnau, 1968; Dubler, A.,
Die Klosterherrschaft Hermetschwil, 1968; Haverkamp, A., Herrschaftsformen der
Frühstaufer in Reichsitalien, Bd. 1 1970; Herrschaftsstruktur und
Ständebildung, 1973; Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze,
hg. v. Vierhaus, R., 1977; Schulze, W., Bäuerlicher Widerstand und feudale
Herrschaft in der frühen Neuzeit, 1980; Jäckell, E., Hitlers Herrschaft, 1986;
Schneider, O., Rechtsgedanken und Rechtstechniken totalitärer Herrschaft,
1988; Wolf, G., Mittel der Herrschaftssicherung in den Germanenreichen des 6.
und 7. Jahrhunderts, ZRG GA 105 (1988), 214; Sprandel, R., Verfassung und
Gesellschaft im Mittelalter, 3. A. 1988; Schubert, E., Fürstliche Herrschaft
und Territorium im späten Mittelalter, 1996; Hohkamp, M., Herrschaft in der
Herrschaft, 1998; Virtuosen der Macht, hg. v. Nippel, W., 2000; Strukturen und
Wandlungen der ländlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert, hg. v.
Dilcher, G. u. a., 2000; Holtz, S., Bildung und Herrschaft, 2002; Die
Sakralität von Herrschaft, hg. v. Erkens, F., 2002; Herrschaft, hg. v. Kaak, H.
u. a., 2003; Rader, O., Grab und Herrschaft, 2003; Hochadelige Herrschaft im
mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600), hg. v. Rogge, J. u. a., 2003; Hardt, M.,
Gold und Herrschaft, 2004; Schliesky, U., Souveränität und Legitimität von
Herrschaftsgewalt, 2004; Ergebene Diener ihrer Herren?, hg. v. Brakensiek, S.
u. a., 2005; Debatten über die Legitimation von Herrschaft, hg. v.
Schorn-Schütte, L. u. a., 2006; Urbanczyk, P., Herrschaft und Politik im frühen
Mittelalter, 2007; Herrschaftsverdichtung, hg. v. Hochedlinger, M. u. a., 2010
Herrschaftsvertrag ist der bereits im griechischen Altertum (Protagoras,
Demokrit, Epikur, Ulpian, Augustinus) ansatzweise sichtbare, für die Vorzeit
angenommene Vertrag zur Begründung der Herrschaft Herrschender (Staat) über
Beherrschte (Untertanen). Das Mittelalter sieht diesen Vertrag als Unterwerfungsvertrag
an, der die Verfassung des Staats schafft, nicht den Staat selbst (Thomas von
Aquin, →Marsilius von Padua). Die Neuzeit versteht ihn mehr und mehr als →Gesellschaftsvertrag
(→Althusius, →Hobbes, →Locke, →Pufendorf, →Rousseau
1762).
Lit.: Kroeschell, DRG 2, 3; Näf, W., Herrschaftsverträge
und Lehre vom Herrschaftsvertrag, 1949; Der Herrschaftsvertrag, hg. v. Voigt,
A., 1965
Herrschaftszeichen ist das sichtbare Zeichen (Verkörperung, Veranschaulichung)
der (als solcher unsichtbaren) Herrschaft (z. B. →Ornat, →Krone, →Lanze,
→Schwert, →Zepter, Hut, Löwe, Pranger). Seine Ausprägung ist in
einfachen Verhältnissen eher bescheiden. Der bedeutendste Schatz an H. sind
die →Reichsinsignien.
Lit.: Schramm, P., Herrschaftszeichen und Staatssymbolik,
Bd. 1ff. 1954ff.; Schramm, P., Kaiser Friedrichs II. Herrschaftszeichen, 1955;
Fillitz, H., Die Insignien und Kleinodien, 1954; Stollberg-Rilinger, B., Des
Kaisers alte Kleider, 2008
Herrschende Lehre
ist die vom gewichtigeren Teil der Gelehrten (z. B. angeseheneren Rechtsgelehrten)
in einer Frage (z. B. Rechtsfrage) vertretene Ansicht. Förmliche Ansätze hierzu
finden sich bereits im römischen Altertum (z. B. Kassiergesetz Konstantins
[321], das zunächst →Papinian(us) für maßgeblich erklärt, Zitiergesetz
Theodosius’ II. und Valentinians III. [426], das der Meinung von Papinianus, →Paulus,
→Ulpian, →Modestin und →Gaius besondere Geltung verleiht und
bei Stimmengleichheit die Ansicht Papinians entscheiden lässt). Im
Spätmittelalter werden hierfür feste Maßstäbe erarbeitet. Danach kommt der
(lat.) glossa (F.) ordinaria zum weltlichen und geistlichen Recht, →Bartolus,
→Baldus sowie den Richtern des höchsten kirchlichen Gerichts das
regelmäßig ausschlaggebende Gewicht zu. Der Absolutismus ordnet die Rechtswissenschaft
dem Gesetz unter (z. B. ALR Einl. § 6 [1794]). Die historische Rechtsschule
(Savigny 1814) stellt die Rechtswissenschaft über (oder zumindest neben) die
Gesetzgebung. Spätestens mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) tritt im
Deutschen Reich die Rechtswissenschaft hitner dem Gesetz zurück.
Lit.: Savigny, F. v., Geschichte des römischen Rechtes im
Mittelalter, Bd. 1ff. 2. A. 1834ff., Bd. 6, 14; Engelmann, W., Die Wiedergeburt
der Rechtskultur in Italien, 1938, 204; Schröder, J., Recht als Wissenschaft,
2001, 2. A. 2012
Herrschende Meinung
ist die in einer Streitfrage insgesamt vorherrschende Meinung.
Lit.: Schnur, R., Der Begriff der herrschenden Meinung in
der Rechtsdogmatik (in) Festgabe für Ernst Forsthoff, hg. v. Doehring, K.,
1967, 43ff. Zimmermann, R., Die Relevanz einer herrschenden Meinung, 1983;
Drosdek, T., Die herrschende Meinung, 1989
Herrscher
Lit.: Europäische Herrscher, hg.
v. Vogler, G., 1988; Herrscherchronologien der antiken Welt, hg. v. Eder, W.,
u. a., 2004; Bussmann, B., Die Historisierung der Herrscherbilder (ca.
1000-1200), 2006; Erkens, F., Herrschersakralität im Mittelalter, 2006
Hersir ist in Norwegen als
Bezeichnung der Tätigkeit eines Vorstehers ein Häuptlingstitel vom 9. bis zm
11. Jh.
Lit.:
Sandmo, E., Norsk historie 1 (750-1537), 2. A. 2007
Hert (Hertius),
Johann Nikolaus (Niederkleen bei Gießen 6. 10. 1651-Gießen 19. 9. 1710),
Pfarrerssohn, wird nach dem Studium der (lat. [F.Pl.]) artes in Gießen
(1664/1667) und des Rechtes in Jena, Leipzig und Wittenberg 1683 außerordentlicher
Professor und nach der Promotion (1686) 1690 ordentlicher Professor in Gießen.
Er verwendet neben dem römischen Recht auch deutsche Rechtsquellen, befasst
sich wegweisend mit dem Kollisionsrecht (Dissertatio de collisione legum,
1688) und gibt drei Bücher deutscher Rechtssprichwörter heraus.
Lit.: Stintzing, R./Landsberg, E. v., Geschichte der deutschen
Rechtswissenschaft, Abt. 1ff. 1880ff., Neudruck 1957, 1978, 3, 1, 62; Herrmann,
G., Johann Nikolaus Hert und die deutsche Statutenlehre, 1963; Deutsches
internationales Privatrecht im 16. und 17. Jahrhundert, hg. v. Bar, C. v. u.
a., Bd. 2 2001
Herzebrock (Kloster)
Lit.: Herzebrock, hg. v. Möller, E., 2010
Herzegowina →Bosnien
Lit.: Lovrenovic, I., Bosnien und Hercegovina, 1998;
Gabriel, K., Bosnien-Herzegowina 1878, 2003 Classen, L., Der völkerrechtliche
Status von Bosnien-Herzegowina, 2004; Grandits, H., Herrschaft und Loyalität in
der spätosmanischen Gesellschaft, 2008
Herzog ist
die wohl nach griechischem Vorbild geschaffene germanistische Bezeichnung für
den Führer des Heeres (oder Volkes). Bei den Franken führen (lat. [M.Pl.])
duces auch Aufgaben aus, wie sie weströmische duces wahrgenommen hatten. Seit
der zweiten Hälfte des 6. Jh.s stammen die Herzöge im Frankenreich aus
angesehenen Familien und steigen bei Schwäche der königlichen Gewalt zu nahezu
selbständigen Herrschern einzelner Stämme oder Völker (Franken, Bayern,
Alemannen, Sachsen, Thüringer, Friesen u. s. w.) auf ([ältere] Stammesherzöge). Die
Karolinger ersetzen die stammesverbundenen H. durch fränkische Adlige
(Amtsherzog). In der zweiten Hälfte des 9. Jh.s entsteht erneut ein (zweites)
(Stammes-)Herzogtum auf herrschaftlicher Grundlage, das sich dem König aber
früh zumindest teilweise wieder beugen muss (Schwaben 926, Bayern 938). Seit
dem Ende des 10. Jh.s führen in Deutschland einzelne Familien den Herzogstitel
fort, auch wenn sie die Stellung als H. verlieren. Durch Friedrich I.
Barbarossa wird 1156/1180 das Gebietsherzogtum an die Stelle des
Amtsherzogtums gesetzt (→Österreich 1156, Westfalen 1180, danach
Braunschweig-Lüneburg 1235, Herzogswürde ohne Herzogsgewalt z. B. für Meranien
1195). 1918 verschwindet der H. aus der deutschen Verfassungsgeschichte.
Lit.: Köbler, DRG 69, 94; Köbler, WAS; Puntschart, P.,
Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten, 1899; Rosenstock, E., Herzogsgewalt
und Friedensschutz, 1910; Schröder, E., Herzog und Fürst, ZRG GA 44 (1924), 1;
Much, R., Herzog, ein altgermanischer Name des dux, ZRG GA 45 (1925), 1, 406;
Miller, C., Neuwürttemberg unter Herzog und König Friedrich, 1934; Mayer, T.,
Der Staat der Herzöge von Zähringen, 1935; Werle, W., Titelherzogtum und
Herzogsherrschaft, ZRG GA 73 (1956), 225; Sprandel, R., Dux und comes in der
Merowingerzeit, ZRG GA 74 (1957), 41; Prinz, F., Herzog und Adel im
agilolfingischen Bayern, Z. f. bay. LG. 25 (1962), 283; Kienast, W., Der
Herzogstitel in Frankreich und Deutschland, 1968; Maurer, H., Der Herzog von
Schwaben, 1978; Sprinkart, P., Kanzlei, Rat und Urkundenwesen der Pfalzgrafen
bei Rhein und Herzöge von Bayern, 1986; Schneidmüller, B., Völker - Stämme -
Herzogtümer?, MIÖG 108 (2000), 31
Herzogemburg
Lit.: 900 Jahre Stift Herzogenburg, hg. v. Katzler, G. u.
a., 2012
Herzogtum ist
die Würde und der Herrschaftsbereich des →Herzogs. Wichtige Herzogtümer
sind zu unterschiedlichen Zeiten Bayern, Schwaben, Franken, Sachsen, Thüringen,
Österreich, Steiermark, Kärnten, Würzburg, Westfalen, Braunschweig-Lüneburg,
Burgund, Lothringen, Jülich, Cleve, Berg, Württemberg, Nassau u. s. w.
Lit.: Köbler, DRG 94
Hessen ist
im Jahre 738 der Name eines kleinen, wahrscheinlich auf die germanischen
Chatten zurückzuführenden Stammes an der unteren Fulda, dessen Gebiet seit dem
4. Jh. dem Einflussbereich der →Franken zuzurechnen ist Die Grafschaft
H. gelangt 1122 an die Landgrafen (1130) von Thüringen und wird nach Aussterben
der Ludowinger (1247) selbständige Landgrafschaft. Nach dem Übertritt Philipps
des Großmütigen zum Luthertum (1524) wird H. bei seinem Tode 1567 geteilt
(Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel). Hessen-Darmstadt erhält 1820 eine
Verfassung, Hessen-Kassel 1831 die liberalste deutsche Verfassung
(Einkammersystem, ansatzweise tatsächliche Gewaltenteilung, Vorrang und Schutz
der Verfassung) vor 1848 (am 13. 4. 1852 durch oktroyierte Verfassung ersetzt).
Hessen-Kassel wird wie Nassau 1866 von Preußen annektiert (Provinz
Hessen-Nassau). Am 19. 9. 1945 wird der 1918 aus Hessen-Darmstadt entstandene
Volksstaat mit den preußischen Provinzen Nassau und Kurhessen zu Großhessen
bzw. H. verbunden.
Lit.: Köbler, DRG 186; Köbler, Historisches Lexikon;
Schmidt, A., Die geschichtlichen Grundlagen des bürgerlichen Rechts im
Großherzogtum Hessen, 1893; Lichtner, A., Landesherr und Städte in
Hessen-Cassel, 1913; Klibansky, E., Die topographische Entwicklung der
kurmainzischen Ämter in Hessen, 1925; Falk, H., Die Mainzer
Behördenorganisation in Hessen und auf dem Eichsfelde, 1930; Bruchmann, K., Der
Kreis Eschwege, 1931; Müller, A., Die Entstehung der hessischen Verfassung von
1820, 1931; Sponheimer, M., Landesgeschichte der Niedergrafschaft
Katzenelnbogen und der angrenzenden Ämter auf dem Einrich, 1932; Der
ökonomische Staat Landgraf Wilhelms IV., bearb. v. Zimmermann, L., Bd. 1f.
1933f.; Blecher, G., Wie und wann entstanden Burg und Stadt Friedberg?
Oberhessische Anzeigen (2.–9. September) 1936; Helbig, B., Das Amt Homberg an
der Efze, 1938; Kroeschell, K., Hessen und der Kaufungerwald, 1953; Deutsches
Städtebuch, Hessen 1957; Gensicke, H., Landesgeschichte des Westerwaldes, 1958;
Hessische Ortsbeschreibungen, hg. v. Eckhardt, W. u. a., Heft 1ff. 1958ff.;
Demandt, K., Geschichte des Landes Hessen, 1959, 2. A. 1980; Schunder, F., Der
Kreis Fritzlar-Homberg, 1960; Uhlhorn, F., Geschichtlicher Atlas von Hessen,
1960ff.; Kleeberger, E., Territorialgeschichte des hinteren Odenwaldes, 1958;
Geschichtlicher Atlas von Hessen, begründet v. Stengel, E., bearb. v. Uhlhorn,
F., 1960ff.; Schrifttum zur Geschichte und geschichtlichen Landeskunde von
Hessen, bearb. v. Demandt, K., Bd. 1ff. 1965ff; Lachmann, H., Untersuchungen
zur Verfassungsgeschichte des Burgwaldes im Mittelalter, 1967; Heß, W.,
Hessische Städtegründungen der Landgrafen von Thüringen, 1966; Niemeyer, W.,
Der pagus des frühen Mittelalters in Hessen, 1968; Schubert, W., Der Code civil
und die Personenrechtsentwürfe des Großherzogtums Hessen-Darmstadt von 1842 bis
1847, ZRG GA 88 (1971), 110; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff. 3,2,1518,
3,3,3698; Althessen im Frankenreich, hg. v. Schlesinger, W., 1975; Weiss, U.,
Die Gerichtsverfassung in Oberhessen, 1978; Battenberg, J., Ein hessischer
Appellationsprozess des späten 15. Jahrhunderts, ZRG GA 98 (1981), 56; Demandt,
K., Der Personenstaat der Landgrafschaft Hessen im Mittelalter, 1981; Krüger,
K., Finanzstaat Hessen 1500-1567, 1981; Acker, K., Verwaltungskontrolle in
Hessen-Darmstadt, 1983; Akten und Dokumente zur kurhessischen Parlaments- und
Verfassungsgeschichte 1848-1866, hg. v. Seier, H., 1987; Hessische
Landtagsabschiede, Bd. 1ff. 1989ff.; Rudersdorf, M., Ludwig IV. Landgraf von
Hessen-Marburg 1537-1604, 1991; Akten und Briefe aus den Anfängen der
kurhessischen Verfassungszeit 1830-1837, hg. v. Seier, H., 1992; Grothe, E.,
Verfassungsgebung und Verfassungskonflikt, 1996; Die Entstehung der hessischen
Verfassung von 1946, 1996; Hessen, hg. v. Heidenreich, B. u. a., 1997;
Regierungsakten des Großherzogtums Hessen-Darmstadt 1802-1820, bearb. v.
Ziegler, U., 2002; Franz, E., Von Hessengau und terra Hassia zum heutigen Land
Hessen, 2003; Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen, hg. v. Wunder, H.,
2004; Wicke, C., Kodifikationsbestrebungen und Wissenschaft in
Hessen-Darmstadt im vorkonstitutionellen Zeitalter, 2005; Franz, E., Das Haus
Hessen, 2006; Dippel, H., Die kurhessische Verfassung von 1831 im
internationalen Vergleich, HZ 282 (2006), 619; Kroll, F., Geschichte Hessens,
2006; Philippi, H., Die Landgrafschaft Hessen-Kassel 1648-1806, 2007; Ham, R.,
Ludwig Hassenpflug, 2007; Dieses Haus ist gebaute Demokratie, hg. v. Flemming,
J. u. a., 2007; Frotscher, W., Die kurhessische Verfassung von 1831, ZNR 30
(2008), 65; Hessische Abgeordnete 1820-1933, hg. v. Rack, K. u. a., 2008; Die
nachrevolutionären Landtage des Großherzogtums Hessen 1849-1856, hg. v. Fleck,
P. u. a., 2008; Einheit vor Freiheit?, hg. v. Köhler, M. u. a. 2010; Will, M.,
Die Entstehung der Verfassung des Landes Hessen von 1946, 2009; Adel in Hessen,
hg. v. Conze, E. u. a., 2010; Handbuch der hessischen Geschichte, Bd. 1 hg. v.
Speitkamp, W., 2010; Brochhagen, N., Die landesherrliche Visitation in
Grebenstein 1668, 2012; Dilich, W., Synopsis descriptionis totius Hassiae, hg.
v. Rener, M. u. a., 2012; Das Land Hessen, hg. v. Röming, A. u. a., 2014
Hethiter ist der Angehörige des während der Bronzezeit das Gebiet zwischen
Schwarzem Meer, Mittelmeer und persischem Golf beherrschenden
indogermanischen, um 700 v. Chr. untergegangenen Volkes mit dem Hauptort
Hattuscha in Anatolien (2. Jt. v. Chr., bis etwa 1200 v. Chr.).
Lit.: Brandau,
B./Schickert, H., Hethiter, 2001; Die Hethiter und ihr Reich, 2002; Sperlich,
W., Die Hethiter, 2003; Friedrich, J. u. a., Hethitisches Wörterbuch, 2. A.
2000ff.; Taggar-Cohen, A., Hittite Priesthood, 2007; Schachner, A., Hattuscha,
2011; Bryce, T., The World of Neo-Hittite Kingdoms, 2012
Heuer ist
der Lohn eines Besatzungsmitgliedes eines Schiffes. Die H. erscheint seit dem
Spätmittelalter, in dem der Dienst auf einem Schiff durch Dienstvertrag
vereinbart wird. Sie ist lange nur ein Teil des Entgelts und in ihrer Höhe vom
Ertrag der Fahrt abhängig.
Lit.: Geschichte der deutschen Seeschiffahrt, Bd. 1 1915;
Abel, W., Die Grundzüge des deutschen Seearbeiterrechts, Diss. jur. Greifswald
1938
Heusler,
Andreas (Basel 30. 9. 1834-2. 11. 1921), Sohn des Rechtsprofessors Andreas
Heusler (1802-1868), wird nach dem Rechtsstudium in Basel, Göttingen und Berlin
(1856) 1863 Professor, Richter und Politiker in Basel. Sein bedeutendstes Werk
sind die Institutionen des Deutschen Privatrechts (Bd. 1f. 1885f.), in denen er
auf den Grundbegriff der Gewalt über Menschen (→Munt) und über Sachen (→Gewere)
ein umfassendes Rechtssystem des mittelalterlichen deutschen Privatrechts
aufzubauen versucht. Auf H. geht auch die Sammlung schweizerischer
Rechtsquellen (1894ff.) zurück.
Lit.: Heusler, A., Verfassungsgeschichte der Stadt Basel,
1860; Festgabe der juristischen Fakultät der Universität Basel zum siebzigsten
Geburtstag, 1904; Heusler, A., Deutsche Verfassungsgeschichte, 1905; Stutz,
U., Andreas Heusler, ZRG GA 43 (1921), LXIV; Heusler, A., Schweizerische
Verfassungsgeschichte, 1920, Neudruck 1968; Heusler, A., Der Zivilprozess in
der Schweiz, 1923; Bühler, T., Andreas Heusler und die Revision der Basler
Stadtgerichtsordnung, 1963; Sonderegger, S., Andreas Heusler (1865-1940) und
die Sprache, 1967; Landau, P., Die Vormundschaft als Prinzip, FS K. Kroeschell,
hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Germanentum im fin de siècle, hg. v. Glauser, J.
u. a., 2005
Hexabiblos ist die in Thessaloniki um
1345 durch Konstantin Harmenopoulos erfolgte verkürzende Neubearbeitung der →Basiliken
in sechs Büchern. →Griechenland
Lit.:
Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 44 I 7; Harmenopoulos, K., Manuale legum sive
Hexabiblos, hg. v. Heimbach, 1851, Neudruck 1969
Hexe (Zaungeist?)
ist die zauberkundige Frau mit magisch-schädigenden Kräften, die angeblich
durch die Luft fliegen, sich in Tiere verwandeln und giftige Zaubertränke
herstellen kann. Sie ist bereits dem Altertum bekannt (lat. [F.] striga).
Vielleicht im frühen 15. Jh. in Savoyen beginnen bei der Verfolgung der aus
Heterodoxien seit dem 12. Jh. entstandenen, von piemontesischen Inquisitionen
des 14. Jh.s beeinflussten, Armut und Frieden fordernden, Eid und Amt
verweigernden Waldenser (des Lyoner Kaufmanns Pierre Valdes) Hexenverfolgungen
(um 1430, 1431/1432 und 1457/1459 38 Hexenprozesse im Tessin [in der
Leventina]), aus denen mit päpstlicher Unterstützung durch die →Hexenbulle
(1484) nach 1500 rasch um sich greifende Hexenprozesse werden, die sich unter
Mitwirkung bekannter Theologen des Konzils von Basel (1431-1439) aus
Inquisitionsprozessen entwickelt haben dürften und die auch der
Herrschaftsausübung dienen können. Möglicherweise werden vor allem zwischen
1590 und 1630 bis zu (neun Millionen [Gottfried Christian Voigt] bzw. bis zu)
einer Million Hexen (oder in Deutschland insgesamt [nur] 30000?, in ganz Europa
[nur] 25000 oder 50000 bis 100000?, darunter auch Kinder) verbrannt, ehe der
Aufklärung der Sieg über den Hexenglauben gelingt (Johann Georg von Godelmann,
De magis, 1584, Friedrich von Spee, Cautio criminalis contra sagas, 1631, Christian
Thomasius, 1712). Noch nach der Constitutio Criminalis Theresiana (1768) ist
Hexerei strafbar (Art. 58). Der letzte Hexenprozess auf deutschem Boden findet
in Kempten 1775 statt und endete mit dem Tod der Angeklagten in langjähriger
Haft (Glarus 1782, Posen 1793). 1986 wird in Deutschland die Frage Glauben Sie,
dass es Menschen gibt, die ihren Mitmenschen etwas anhexen können, von einem
Drittel der Befragten bejaht.
Lit.: Köbler, DRG 157; Köbler, WAS; Rapp, L., Die
Hexenprozesse und ihre Gegner in Tirol, 2. A. 1891; Riezler, S., Geschichte der
Hexenprozesse in Bayern, 1896, Neudruck 1968; Hansen, J., Zauberwahn,
Inquisition und Hexenprozess im Mittelalter, 1900, Neudruck 1964, 1983; Hansen,
J., Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns und der
Hexenverfolgung im Mittelalter, 1901; Soldan, G./Heppe, H./Bauer, M.,
Geschichte der Hexenprozesse, Bd. 1f. 1912; Eschenröder, Hexenwahn und
Hexenprozesse in Frankfurt am Main, Diss. jur. Frankfurt am Main 1932; Bader,
G., Die Hexenprozesse in der Schweiz, Diss. jur. Zürich 1935; Croissant, W.,
Die Berücksichtigung geburts- und berufsständischer und soziologischer
Unterschiede im deutschen Hexenprozess, 1953; Zwetsloot, H., Friedrich von Spee
und die Hexenprozesse, 1954; Bavoux, F., Hantises et diableries dans la terre
abbatiale de Luxeuil, 1956; Krämer, W., Kurtrierische Hexenprozesse, 1959;
Merzbacher, F., Die Hexenprozesse in Franken, 1957, 2. A. 1970; Thomasius, C.,
Über die Hexenprozesse, hg. v. Lieberwirth, R., 1960; Baroja, J., Las brujas y
su mundo, 1961; Baroja, J., Die Hexen und ihre Welt, 1967; Stebel, H., Die
Osnabrücker Hexenprozesse, 1969; Kunstmann, H., Zauberwahn und Hexenprozesse in
der Reichsstadt Nürnberg, 1970; Kunze, M., Zum Kompetenzkonflikt zwischen
städtischer und herzoglicher Strafgerichtsbarkeit in Münchner Hexenprozessen,
ZRG GA 87 (1970), 305; Leutenbauer, S., Hexerei und Zauberdelikt in der
Literatur von 1350 bis 1550, 1972; Kneubühler, Die Überwindung von Hexenwahn
und Hexenprozess, Diss. jur. Zürich 1977 (1977); Schormann, G., Hexenprozesse
in Nordwestdeutschland, 1977; Schormann, G., Hexenprozesse in Deutschland,
1981; Lorenz, S., Aktenversendung und Hexenprozess, 1983; Hexenprozesse, hg. v.
Degn, C., 1983; Wichert, G., Die Hexenprozesse in den österreichischen
Alpenländern, der Schweiz und Bayern, 1984; Baumhauer, J., Johann Kruse und der
neuzeitliche Hexenwahn, 1984; Häxornas Europa 1400-1700, hg. v. Ankarloo, B. u.
a., 1987; Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, hg. v. Behringer, W., 1988, 4.
A. 2000, 7. A. 2010; Ginzburg, C., Hexensabbat, 1989; Blauert, A., Frühe
Hexenverfolgungen, 1989; Heinemann, E., Hexen und Hexenangst, 1989; Schormann,
G., Der Krieg gegen die Hexen, 1991; Hexe oder Hausfrau, hg. v. Niederstätter,
A. u. a., 1991; Siefener, M., Hexerei im Spiegel der Rechtstheorie, 1992;
Jerouschek, G., Die Hexen und ihr Prozess, 1992; Walz, R., Hexenglaube und
magische Kommunikation im Dorf der frühen Neuzeit, 1993; Hexenverfolgung und
Regionalgeschichte, hg. v. Wilbertz, G. u. a., 1994; Lambrecht, K.,
Hexenverfolgung und Zaubereiprozesse, 1995; Hexenglaube und Hexenprozesse, hg.
v. Franz, G. u. a, 1995; Das Ende der Hexenverfolgung, hg. v. Sönke, L. u. a.,
1995; Das Hexenregister des Claudius Musiel, bearb. v. Voltmer, R. u. a., 1996;
Oestmann, P., Hexenprozesse am Reichskammergericht, 1997; Schild, W., Die
Maleficia der Hexenleut‚, 1997; Behringer, W., Hexenverfolgung in Bayern, 3. A.
1997; Biesel, E., Hexenjustiz, 1997; Tschaikner, M., Magie und Hexerei im
südlichen Vorarlberg, 1997; Behringer, W., Hexen, 1998; Briggs, R., Die
Hexenmacher, 1998; Gehm, B., Das Ende der Hexenverfolgung, ZRG GA 115 (1998),
566; Dillinger, J. u. a., Zum Feuer verdammt, 1998; Levack, P., Hexenjagd, 1999;
Methoden und Konzepte der historischen Hexenforschung, hg. v. Franz, G u. a.,
1998; Gehm, B., Die Hexenverfolgung im Hochstift Bamberg und das Eingreifen des
Reichshofrates zu ihrer Beendigung, 1999 (2000), 2. A. 2012, Neudruck 2013; Schmidt,
J., Glaube und Skepsis, 2000; Schulte, R., Hexenmeister, 2000, 2. A. 2001;
Himmlers Hexenkartothek, hg. v. Lorenz, S. u. a., 2000; Oestmann, P., Böse
Nachbarn – gute Juristen?, ZNR 2001, 254; Kauertz, C., Wissenschaft und
Hexenglaube, 2001; Schulte, R., Hexenverfolgung in Schleswig-Holstein, 2001;
Hexenprozesse und Gerichtspraxis, hg. v. Eiden, H./Voltmer, R., 2002;
Kleinöder-Strobel, S., Die Verfolgung von Zauberei und Hexerei in den
fränkischen Markgraftümern, 2002; Guggenbühl, D., Mit Tieren und Teufeln, 2002;
Wilde, M., Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen, 2003; Levack, B.,
Hexenjagd, 2003; Decker, R., Die Päpste und die Hexen, 2003; Tschaikner, M.,
Die Zauberer- und Hexenprozesse in der Stadt S(ank)t Gallen, 2003; Koppenburg,
I., Hexen in Detmold, 2003; Zika, C., Exorcising our demons, 2003; Perlhefter,
V., Die Gestalt des Hexenjägers, 2003; Schatzmann, N., Verdorrende Bäume und
Brote wie Kuhfladen, 2003; Decker, R., Die Päpste und die Hexen – Aus den
geheimen Akten der Inquisition, 2003; Decker, R., Hexen. Magie, Mythen und die
Wahrheit, 2004; Wider alle Hexerei und Teufelswerk, hg. v. Lorenz, S. u. a.,
2004; Tschaikner, M., Hexenverfolgungen in Hohenems, 2004; Koppenborg, I.,
Hexen in Detmold, 2004; Behringer, W., Witches and Witch-Hunts, 2004;
Hexenverfolgung und Herrschaftspraxis, hg. v. Voltmer, R., 2005; Rau, K.,
Augsburger Kinderhexenprozesse 1618-1730, 2006; Roper, L., Hexenwahn, 2007;
Rummel, W./Voltmer, R., Hexen und Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit, 2007;
Moeller, K., Das Willkür über Recht ginge, 2007; Zagolla, R., Folter und
Hexenprozess, 2007; Hexenprozess und Staatsbildung, hg. v. Dillinger, J. u. a.,
2008; Rummel, W. u. a., Hexen und Hexenverfolgung, 2008; Utz Tremp, K., Von der
Häresie zur Hexerei, 2008; Pilaszek, M., Procesy o czary w Polsce w wiekach
15-18, 2008 (687 Hexenprozesse zwischen 1501 und 1794); Burkart, M., Hexen und
Hexenprozesse in Baden, 2009; Groß, B., Hexerei in Minden, 2009; Sauter, M.,
Hexenprozess und Folter, 2010; Stokes, L., Demons of Urban Reform, 2011Gerst,
C., Hexenverfolgung als juristischer Prozess, 2012; Koch, A., Wider ein
Feindsrafrecht, 2012; Dillinger, J., Kinder im Hexenprozess, 2013
Hexenbulle ist
die Bulle Papst Innozenz’ VIII. (1484-1492), mit der er die Verfolgung der →Hexen
(durch Inquisition) fördert (Summis desiderantes affectibus vom 5. 12. 1484).
Hexenhammer (lat.
malleus [M.] maleficarum) ist die erstmals 1486 bei Peter Drach in Speyer
gedruckte, die →Hexenbulle kommentierende Anleitung zum Vorgehen gegen →Hexen
von Heinrich Institoris (Kramer) (und Jakob Sprenger) (handschriftliche
deutsche Fassung 1491 an Nürnberg übersandt).
Lit.: Schmidt, J., Der Hexenhammer, Bd. 1ff. 1930; Malleus
maleficarum 1487 (Hexenhammer), hg. v. Jerouschek, G., 1990; Malleus
maleficarum, hg. v. Schnyder, A., 1991; Malleus maleficarum 1487 von Heinrich
Kramer (Institoris), Neudruck hg. v. Jerouschek, G., 1992; Nürnberger
Hexenhammer 1491, hg. v. Jerouschek, G., 1992; Schnyder, A., Malleus
maleficarum von Heinrich Institoris, Kommentar, 1993; Kramer (Institoris), H.,
Der Hexenhammer - Malleus Maleficarum, hg. v. Jerouschek, G. u. a., 2000;
Henricus Institoris/Jacob Sprenger, Malleus maleficarum, hg. v. Mackay, C.,
2006; Mackay, C., The Hammer of Witches, 2009; Decker, R., Hexen, 2010; Beck,
R., Mäuselmacher, 2011, 2.( unv.) A. 2012; Koch, A., Wider ein Feindstrafrecht,
2012
Hexenprozess →Hexe
Heymael (N.) (Hegemal) landesherrliches Gericht für
Strafsachen
Lit.: Hermesdorf, B., Het Heymael,
aantekeningen bij een oude dingrtaal uit het Amorland, 1950
Heymann,
Ernst (Berlin 6. 4. 1870-Tübingen 2. 5. 1946) wird nach dem Rechtsstudium in
Breslau (Dahn) außerordentlicher Professor in Berlin und ordentlicher Professor
in Königsberg, Marburg und Berlin (1914). Kennzeichnend für ihn sind die
Annäherung der Rechtsgeschichte an das geltende Recht und der vielseitige
Weitblick (Die Grundzüge des gesetzlichen Verwandtenerbrechts, 1896,
Überblick über das englische Recht, 1914, Die Rechtsformen der militärischen
Kriegswirtschaft als Grundlage des neuen deutschen Industrierechts, 1921).
Lit.: Festschrift Ernst Heymann, 1940 (mit Schriftenverzeichnis);
Mitteis, H., Nachruf auf Ernst Heymann, ZRG GA 65 (1947), IX
Hierarchie ist
die stufenmäßig aufgebaute, auf Überordnung und Unterordnung beruhende Ordnung.
Die H. wird schon im Altertum in der Kirche und im römischen Dominat
entwickelt. Ihrer bedient sich der seit dem Spätmittelalter erwachsende Staat
zur Gestaltung seiner Verwaltung.
Lit.: Köbler, DRG 55; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3
1982, 103; Hiérarchie et stratification sociale dans l’Occident médiéval
(400-1100), hg. v. Bougard, F. u. a., 2008
Hildebrandslied ist das in einer lateinischen, aus Fulda stammenden
Handschrift von zwei Händen des mittleren 9. Jh.s in 68 stabreimenden
Langzeilen aufgezeichnete einzige althochdeutsche Heldenlied.
Lit.: Köbler, G., Sammlung kleinerer althochdeutscher
Denkmäler, 1986
Hildesheim
Lit.: Gebauer, J., Geschichte der
Stadt Hildesheim, Bd. 1f. 1922ff.; Klewitz, H., Studien zur territorialen
Entwicklung des Bistums Hildesheim, 1932; Gebauer, J., Worthzins und Fronzins
in der Stadt Hildesheim, ZRG GA 61 (1941), 151; Adamski, H., Der welfische
Schutz über die Stadt Hildesheim, 1939; Quellen zur Hildesheimer
Landesgeschichte des 14. und 15. Jahrhunderts, 1964; Lücke, J., Die
landständische Verfassung im Hochstift Hildesheim, 1968; Illemann, H.,
Bäuerliche Besitzrechte im Bistum Hildesheim, 1969; Schwarz, B., Der
Pfennigstreit in Hildesheim 1343, 1978; Die Hildesheimer Bischöfe von 815-1221,
bearb. v. Goetting, H., 1984; Höhl, M., Die Pest in Hildesheim, 2002; Plath,
C., Konfessionskampf und fremde Besatzung, 2005; Giese, M., Die Textfassungen
der Lebensbeschreibung Bischof Bernwards von Hildesheim, 2006; Die
Hildesheimer Bischöfe von 1221 bis 1398, bearb. v. Kruppa, N. u. a., 2006;
Giese, M., Hildesheimer Bischofskataloge des 11. bis 16. Jahrhunderts, DA 62 (2007),
569; Schneider, W., Bernward von Hildesheim, 2010
Hilfe s. unterlassene
Hilfeleistung
Lit.:
Koch, S., Unaufgeforderte Hilfeleistung in Notsituationen, 2012
hinkend (Adj.) unvollkommen wirksam (lat. claudicans) z. B. Rechtsgeschäft eines
Minderjährigen
Hinkmar von Reims
(um 806-Epernay 21.? 12. 882), aus vornehmem fränkischem Geschlecht, wird nach
der Schulung in Saint Denis 854 Erzbischof von →Reims. Neben
umfangreichen nichtrechtlichen Schriften und Stellungnahmen in einzelnen
Rechtsfragen gibt er eine auf Adalhard von Corbie aufbauende Darstellung des
Hofes des fränkischen Königs (lat. De ordine palatii, Von der Ordnung des
Palastes).
Lit.: Schrörs, H., Hinkmar, 1884, Neudruck 1967; Hincmarus
de ordine palatii, hg. v. Krause, V., 1894; Devisse, J., Hincmar, 1975f.;
Hinkmar von Reims, De ordine palatii, hg. v. Gross, T. u. a., 1980; Stratmann,
M., Hinkmar von Reims, 1991; Die Streitschriften Hinkmars von Reims und
Hinkmars von Laon 869-871, hg. v. Schieffer, R. 2003; Schmitz, G., De
presbiteris criminosis, 2004
Hinrichtung ist
die Vollstreckung eines Todesurteils. Sie erfolgt im altrömischen Recht durch
Enthauptung mit dem Beil, im klassischen römischen Recht durch Enthauptung mit
dem Schwert. Nach Tacitus hängen die Germanen Volksverräter auf und versenken
Unzüchtige im Moor. Seit dem Hochmittelalter finden sich zahlreiche
verschiedene →Todesstrafen (Enthaupten, Hängen, Rädern, Verbrennen,
Pfählen, Vierteilen, Lebendigbegraben, Ertränken).
Lit.: Feucht, D., Grube und Pfahl, 1967; Ruoff, W., Die
Hauptgrube, ZRG GA 86 (1969), 198; Marschall, D., De laqueo rupto, 1968;
Richtstätte und Wasenplatz in Emmenbrücke (16.-19. Jahrhundert), 1992;
Martschukat, J., Die öffentliche Hinrichtung, Kriminolog. Journal 1995, 186;
Seeger, A., Hinrichtungen, 1998
Hinschius,
Paul (Berlin 25. 12. 1835-13. 12. 1898), protestantischer Juristensohn, wird
nach dem Rechtsstudium in Heidelberg (Keller) und Berlin (Richter) Professor in
Halle (1863), Berlin (1865), Kiel (1868) und Berlin (1872) und
Kirchenpolitiker. Unvollendet ist sein sechsbändiges Kirchenrecht der
Katholiken und Protestanten in Deutschland (1869ff.). Politische Bedeutung hat
seine Mitwirkung am →Kulturkampf (Personenstandsgesetz).
Lit.: Stutz, U., Die kirchliche Rechtsgeschichte, 1905
Hinterlegung (Wort
1542, lat. [F.] →depositio) ist die im Rahmen eines Schuldverhältnisses
erfolgende Übergabe einer hinterlegungsfähigen Sache durch den Schuldner an
die öffentliche Hinterlegungsstelle. Sie ist dem klassischen römischen Recht
bekannt und wird seit dem Spätmittelalter (Köln 1288) mit dem römischen Recht
zu Lasten der bloßen Preisgabe aufgenommen, erfolgt allerdings meist bei Gericht.
Lit.: Kaser § 53; Köbler, DRG 43, 215; Müller, P., Die
Hinterlegung, Jh. Jb. 41 (1899), 411; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Hintersasse ist
der vom Grundherrn abhängige Mensch in der →Grundherrschaft.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Meyer, G., Die Gerichtsbarkeit
über Unfreie und Hintersassen, ZRG GA 2 (1881), 83, 3 (1882), 102
Hippolithus a Lapide
(Bogislaw Philipp [von] Chemnitz) (Stettin 9. 5. 1605-Hallstaad [Gut]/Vestmanland/Schweden
17. 5. 1678), lutherisch, wird nach dem Studium von Recht und Geschichte in
Rostock und Jena (Dominicus Arumaeus) Soldat in den Niederlanden und in
Schweden (1630-1637), 1644 Hofhistoriograph Schwedens und veröffentlicht (zwischen
1640 und 1647 [um 1640?, um 1643?]) unter diesem Namen die (lat.) Dissertatio
(F.) de ratione status in imperio nostro Romano-Germanico (Erörterung über das
Wesen des Staates in unserem römisch-deutschen Reich), in der er das Reich als
Aristokratie der (souveränen) Stände erklärt und sich für die Stärkung des
Reichstags unter Schwächung der Kurfürsten sowie die Ausgliederung Habsburgs
aus dem Reich ausspricht.
Lit.: Stolleis, M., Geschichte des öffentlichen Rechts in
Deutschland, Bd. 1 1988, 203
Hirdskra ist
die zwischen 1274 und 1277 entstandene, unter König →Magnus Hakonarson
(1263-1281) aufgezeichnete norwegische Gefolgschaftsordnung, der eine vor 1200
entstandene, verlorene Vorgängerin vorausgeht. In 54 Kapiteln behandelt das
vielleicht von einem Geistlichen verfasste Werk die Erbfolge und Wahl des Königs,
die Eide der Amtsträger, die Hofämter, die Verteidigung, den Frieden u. s. w.
Lit.: Das norwegische Gefolgschaftsrecht, hg. v. Meißner,
R., 1938; Strauch, D., Mittelalterliches nordisches Recht bis 1500, 2011,
148ff.
Hirtenrecht ist
das für Hirten in Spätmittelalter und Neuzeit geltende besondere Recht.
Lit.: Carlen, L., Das Recht der Hirten, 1970; Schöller, R.,
Der gemeine Hirte, 1973
His, Rudolf
(Basel 1870-Münster 1938), Medizinprofessorensohn, wird nach dem Rechtsstudium
in Genf, Leipzig (Binding, Sohm), Berlin und Basel (Heusler) und der
Habilitation in Heidelberg (1896, Schröder) Professor in Münster. Er verfasst
in der Nachfolge der Systematik Heinrich Brunners eine grundlegende
Strafrechtsgeschichte (Das →Strafrecht des deutschen Mittelalters 1920,
1935, vereinfachend Die Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina,
1928, Neudruck 1967).
Lit.: Naendrup, H., Rudolf His, 1941
Historie (F.)
Geschichte
Historiker (M.)
Geschichtsforscher
Lit.: Historikerlexikon, hg. v. Bruch, R. vom/Müller, R.,
2. A. 2002
Historikerstreit ist in Deutschland der von Jürgen Habermas 1985 ausgelöste,
1988 ohne greifbare wissenschaftliche Früchte versiegte Streit deutscher
Historiker über die Bedeutung des Nationalsozialismus in Deutschland.
Lit.: Kailitz, F.,
Die politische Deutungskultur im Spiegel des „Historikerstreits“, 2001
Historische Rechtsschule ist die von Friedrich Carl von →Savigny (und Karl
Friedrich Eichhorn) begründete Schule der geschichtlichen Rechtswissenschaft.
Für sie greift Savigny in einem objektiven, scheinbar gegen das ungeschichtliche
→Naturrecht (Vernunftrecht) gezielten Idealismus rechtspolitisch die
Freiheitsethik Immanuel →Kants (1724-1804) auf und bezieht Gustav →Hugos
(1764-1844) methodische Forderungen nicht nur in seine frühen methodologischen
Gedankengänge (1802) ein, sondern verwirklicht sie bereits im „Recht des
Besitzes“ (1803) in der Form der philosophischen (begrifflichen, allgemeinen,
absoluten, systematisch-theoretischen) Durchdringung des historischen (tatsächlichen,
positiven, konkreten, exegetisch-praktisch behandelten) Stoffes, um in
manchmal fast gewaltsamem Umgang mit den Quellen den Besitzwillen als
allgemeines, logisches, konstituierendes Element des Besitzrechts
konstruktiv-systematisch zu erarbeiten. In der historischen Rechtsschule
sieht er das Recht an seine geschichtlichen Voraussetzungen gebunden und wendet
sich gegen die Vorstellung, dass jedes Zeitalter seine Welt willkürlich selbst
hervorbringe. Das Recht, das Vernunft und Ordnung in sich selbst birgt und
damit auch aus sich selbst heraus ergänzungsfähig ist, ist ihm entsprechend den
Vorstellungen →Herders (1744-1803) ein aus dem Innersten der Nation
selbst und ihrer Geschichte geborener Teilbereich der Gesamtkultur und muss mit
dieser, gespeist von irrationalen Kräften, wachsen. Weil das Historische in der
Jurisprudenz nicht mehr als zufällig, sondern als geschichtlich notwendig
verstanden wird, hält er eine →Kodifikation wie das →Allgemeine
Landrecht (1794), den →Code civil (1804) oder das →Allgemeine
Bürgerliche Gesetzbuch 1811/1812 (zumindest in ihrem Entstehungszeitpunkt)
für entbehrlich, wenn nicht gar schädlich. Allerdings dient die als
geschichtlich behauptete Betrachtungsweise Savigny im Ergebnis nur dazu, den
insgesamt vorhandenen Rechtsstoff von dem zu reinigen, was nur historische
Bedeutung hat und deshalb für die Gegenwart ausgeschieden werden kann. Ziel ist
die Erneuerung des geltenden Rechts durch das geschichtliche (römische) Recht
mit Hilfe der Rechtswissenschaft. Schon seit seinen Landshuter Vorlesungen der
Jahre 1808/1809 vertritt Savigny, ohne dies zu begründen, dabei die Ansicht,
dass die Wanderungen und Revolutionen der germanischen Stämme verhindert
hätten, dass das ursprüngliche germanische Recht einen festen Bezugspunkt und
einzigen Mittelpunkt habe, weshalb die Deutschen gar kein eigenes
ursprüngliches Recht besäßen, so dass auch für sie das übernommene römische
Recht das eigentümliche Recht sei (!). Der nach der damit begründeten
Zurückweisung des älteren deutschen Rechtes germanischer Herkunft und nach
Ausscheiden der mittelalterlichen und neuzeitlichen Entstellungen des
römischen Rechtes verbleibende Stoff, nämlich das klassisch-römische Recht, ist
im eigentlich von einer historischen Rechtsschule nicht zu erwartenden Wiederaufgreifen
naturrechtlicher Begriffsbildung und naturrechtlicher Systematik für
Savigny der Gegenstand konstruktiv-systematischer, die tatsächliche geschichtliche
Entwicklung bewusst als überflüssig abstreifender Durchdringung (System des
heutigen römischen Rechtes, 1840ff.). Die h. R. teilt sich später in Romanisten
(→Savigny, →Puchta, →Windscheid) und Germanisten (→Eichhorn,
→Grimm, →Gierke). Ihre dogmatisch-praktische Zielsetzung geht bald
in der (unhistorischen) →Begriffsjurisprudenz auf.
Lit.: Köbler, DRG 187; Gierke, O. v., Die historische Rechtsschule
und die Germanisten, 1903; Rexius, G., Studien zur Staatslehre der historischen
Schule, HZ 107 (1911), 496; Kantorowicz, H., Volksgeist und historische
Rechtsschule, HZ 108 (1912), 295; Conrad, H., Aus der Entstehungszeit der
historischen Rechtsschule – Friedrich Carl von Savigny und Jacob Grimm, ZRG GA
65 (1947), 261; Vischer, E., Barthold Georg Niebuhr und die Schweiz, Die Welt
als Geschichte 16 (1956), 1; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit,
1952, 2. A. 1967; Wieacker, F., Wandlungen im Bilde der historischen
Rechtsschule, 1967; Böckenförde, E., Die historische Rechtsschule und das
Problem der Geschichtlichkeit des Rechtes, FS J. Ritter, 1965, 9; Wieacker, F.,
Wandlungen im Bilde der historischen Rechtsschule, 1967; Scheuermann, R., Die
Einflüsse der historischen Rechtsschule, 1972; Conradi, R., Karl Friedrich
Eichhorn als Staatsrechtslehrer, 1987; Klemann, B., Rudolf von Ihering und die
historische Rechtsschule, 1989; Reimann, M., Historische Schule und Common Law,
1993; Bürge, A., Ausstrahlungen der historischen Rechtsschule in Frankreich,
ZEuP 1997, 643; Gadomski, C., Die Rezeption der historischen Rechtsschule und
der Pandektenwissenschaft in der italienischen Wissenschaft, Diss. jur.
Frankfurt 2006; Lüderssen, K., Eichendorff und das Recht, 2007; Jouanjan, O.,
Philosophische Verwicklungen in der Rechtswissenschaft, ZRG GA 125 (2008), 367;
Kirschbaum, J., Die Etablierung der historischen Rechtsschule an der
Ludoviciana (1814-1824), 2011
Historischer Materialismus ist die von Karl →Marx als geschichtlicher
Gesetzmäßigkeit unterliegend erklärte materialistische Geschichtsphilosophie.
historische Schule →historische
Rechtsschule
Historismus ist
(seit etwa 1850, verstärkt seit 1874 [Nietzsche]) die Betrachtung eines
Geschehens unter dem Blickpunkt des Einmaligen und Besonderen, womit
historische Vorgänge und Strukturen ihre Vergleichbarkeit und Wiederholbarkeit
einbüßen.
Lit.: Wittkau, A., Historismus, 1992; Jaeger, F./Rüsen, J.,
Geschichte des Historismus, 1992; Geschichtsdiskurs Bd. 3, hg. v. Küttler, W.
u. a., 1996, Historismus, hg. v. Oexle, O. u. a., 1996; Historismus am Ende des
20. Jahrhunderts, hg. v. Scholtz, G., 1997; Conte, D., Storicismo e storia
universale, 2000; Historismus im 19. Jahrhundert, hg. v. Nordalm, J., 2006
Hitler,
Adolf (Braunau 20. 4. 1889-Berlin 30. 4. 1945), Sohn eines unehelich geborenen Zollamtsoberoffizials
(Alois Schicklgruber, [1876 wegen einer erwarteten Erbschaft Namensänderung in Hitler,
† 1903, Halbwaisenrente für H.] und seiner Cousine zweiten Grades Klara Pölzl †
21. 12. 1907), wird (ohne Schulabschluss [1905]) nach Aufenthalten in Wien (1907
gescheiterte Aufnahmeprüfung in Kunstakademie, 1908, 1909 zweiter gescheiterter
Versuch der Aufnahme in die Kunstakademie, Wohnung in Obdachlosenasyl, 1910 in
Männerwohnheim (Begegnung mit der Lage der unteren Schichten), Maler von Sehenswürdigkeiten
Wiens, Verkauf der Bilder durch jüdische Händler) und München (1913, auch
zwecks Vermeidung des Militärdiensts in Österreich, 5. 2. 1914 in Salzburg als
waffenunfähig beurteilt) sowie freiwilliger Kriegsteilnahme (16. 8. 1914 16.
Reserveinfanterieregiment Bayerns, eingesetzt als Meldegänger an der Westfront,
eisernes Kreuz 2. Klasse, Militärverdienstkreuz 3. Klasse, Regimentsdiplom für
hervorragende Tapferkeit, Verwundetenabzeichen, eisernes Kreuz erster Klasse,
Dienstauszeichnung 3. Klasse) mit trotz psychiatrischer Heilung von Erblindung
durch Senfgaseinwirkung [13./14. 10. 1918] weiterwirkender posttraumatischer
Belastungsstörung (1919) (möglicherweise zunächst aus Orientierungslosigkeit
Zuwendung zur Räterepublik Kurt Eisners?, bisher nicht klar gedeutete
Erfahrungen in der Räterepublik, Soldatenrat?, von Sommer 1919 [im Herbst 1919
kurzfristig zum Schützenregiment 41 kommandiert] bis zur Entlassung am
31. März 1920) Vertrauensmann (aber als Österreicher nie Angehöriger) der
Reichswehr (ab Sommer 1919 Propagandist zur politischen Aufklärung der zu
entlassenden Soldaten im Sinne der neuen Republik, u. a. beauftragt mit Beobachtung
der Deutschen Arbeiterpartei? am 12. 9. 1919, vielleicht „ein in oder von
militärischen Stellen gut versorgter Aktivist, welcher der aufstrebenden
Deutschen Arbeiterpartei als Leihgabe zur Verfügung gestellt wurde“) und (19.
10. 1919) Mitglied (Nr. 55) der Deutschen Arbeiterpartei (Februar 1920 →Nationalsozialistische
Deutsche Arbeiterpartei, Juli 1921 Vorsitzender). Nach der Niederlage der
Münchener Räterepublik (2. Mai 1919) und unter dem Eindruck der gleichzeitig
bekannt gewordenen Bedingungen des Friedensvertrags von Versailles nähert
sich H. völkisch-antisemitischen Zieletzungen. Nach einem gescheiterten Putsch
(mit Erich Ludendorf 8. 11. 1923/9. 11. 1923) inhaftiert und wegen Hochverrats
zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt, verfasst er in der Festung Landsberg die (Rudolf
Heß diktierte) Programmschrift „Mein Kampf“ (20. 12. 1924 Entlassung). 1925
gibt er die Staatsbürgerschaft Österreichs auf. Seit 1928/1929 gelingen ihm
wachsende Wahlerfolge (14. 9. 1930 Steiegerung des Stimmanteils von 2,6 auf
18,3 Prozent). Im Februar 1932 erwirbt er die Staatsbürgerschaft des deutschen
Reiches. Am 30. 1. 1933 ernennt ihn der Reichspräsident als Führer der
stärksten Reichstagsfraktion zum Reichskanzler des →Deutschen Reiches.
Durch Überredung, Drohung und Gewalt wandelt H. die Republik in den totalitären
Einparteienstaat eines diktatorischen Führers (→Drittes Reich). Nach dem
2. 8. 1934 übernimmt er auch das Amt des verstorbenen Reichspräsidenten.
Gestützt auf ein Bündnis mit Italien und Japan und einen taktisch motivierten
Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion greift er am 1. 9. 1939 Polen an („wird
zurückgeschossen“) und löst damit den zweiten Weltkrieg (zunächst gegen Polen,
Großbritannien und Frankreich) aus, in dessen Verlauf Hitlers Imperium am
Jahresende 1941 größer ist als die am Ende des Jahres 1941 in den Krieg
eintretenden Vereinigten Staaten von Amerika, an dessen Ende aber nach seiner
Selbsttötung (in Berlin am 30. 4. 1945) am 8. 5. 1945 die völlige Kapitulation
des Deutschen Reiches steht. Das Recht gebraucht und missbraucht H. in vielfältiger
Weise als Kampfinstrument zur Durchsetzung der Ideologie des →Nationalsozialismus.
Lit.: Köbler, DRG 222; Heuß, T., Hitlers Weg, 8. A. 1932,
Neudruck 2008; Hitler, A., Mein Kampf, 17. A. 1933; Braun, O., Von Weimar zu
Hitler, 3. A. 1949; Hofmann, H., Der Hitlerputsch, 1961; Domarus, M., Hitlers
Reden und Proklamationen, 2. A. 1965; Hoffmann, P., Widerstand - Staatsstreich
- Attentat, 1969; Broszat, M., Der Staat Hitlers, 1969, 15. A. 2000; Franz-Willing,
G., Ursprung der Hitlerbewegung 1919-1922, 2. A. 1974; Fest, J., Hitler, 1973; Phillips,
L., Adolf Hitler and the Third Reich, 1977; Toland, J., Adolf Hitler, 1976
(deutsch 1977); Hitler, Adolf, Sämtliche Aufzeichnungen (1095-1924), hg. v. Jäckel,
E. u. a., 1980; Jäckel, E., Hitlers Herrschaft, 1986; Zitelmann, R., Hitler.
Selbstverständnis eines Revolutionärs, 2. A. 1998; Lang, J., Die Partei, 1989; Hitler,
A., Reden, Schriften, Anordnungen, hg. v. Institut für Zeitgeschichte, Bd. 1ff.
1992ff. (1925-1933);Steinert, M., Hitler, 1994; Goldhagen, D., Hitlers willige
Vollstrecker, 1996; Hamann, B., Hitlers Wien, 1996; Turner, H., Hitlers Weg zur
Macht, 1996; Lukacs, J., Hitler, 1997; Pätzold, K./Weissbecker, M., Adolf
Hitler, 1997; Der Hitler-Prozess, hg. v. Gruchmann, L., Bd. 1ff. 1997ff.;
Large, D., Hitlers München, 1998; Kershaw, I., Hitler, Bd. 1ff. 1998ff.;
Schmitz, H., Adolf Hitler, 1998; Mommsen, H., Alternative zu Hitler, 2000;
NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, hg. v. Ueberschär,
G., 2000; Kershaw, I., Hitler 1936-1945, 2000; Zehnpfennig, B., Hitlers „Mein
Kampf“, 2000, 3. A. 2006; Krockow, C. Graf v., Hitler und seine Deutschen,
2001; Gellately, R., Backing Hitler, 2001; Gritschneder, O., Der Hitler-Prozess
und sein Richter Georg Neithardt, 2001; Rauscher, W., Hitler und Mussolini,
2001; Zürner, B., Adolf Hitler – Feldherr wider Willen?, 2001; Machtan, L.,
Hitlers Geheimnis, 2001; Fest, J., Der Untergang – Hitler und das Ende des
Dritten Reiches, 2002; Der deutsche Widerstand gegen Hitler, hg. v. Überschär,
G., 2002; Reuth, R., Hitler, 2003; Koch-Hillebrecht, M., Hitler, 2003;
Horstmann, B., Hitler in Pasewalk, 2004; Schwarz, B., Hitlers Museum, 2004;
Thonke, C., Hitlers langer Schatten, 2004; Rietzler, R., Mensch Adolf, 2004;
Seligmann, R., Die Deutschen und ihr Führer, 2004; Aly, G., Hitlers Volksstaat,
2005; Frank, M., Der Tod im Führerbunker, 2005; Schreckenberg, H., Hitler,
2006; Plöckinger, O., Geschichte eines Buches. Adolf Hitlers Mein Kampf, 2006,
2. A. 2011; Grabner-Haider, A., Hitlers mythische Religion, 2008; Ryback, T.,
Hitler’s Private Library, 2008; Fritze, L., Legitimer Widerstand?, 2009; Mazower,
M., Hitlers Imperium, 2009; Haasis, H., Den Hitler jag ich in die Luft, 2009;
Renz, U., Georg Elser, 2009; Schmidt, U., Hitlers Arzt Karl Brandt, 2009; Reuth,
R., Hitlers Judenhass, 2009; Bavendamm, D., Der junge Hitler, 2010; Fritz
Gerlich, bearb. v. Morsey, R., 2010; Krings, S., Hitlers Pressechef - Otto
Dietrich (1897-1952), 2010; Zehnpfennig, B., Adolf Hitler - Mein Kampf, 2011; Weber,
T, Hitlers erster Krieg, 2011; Herbst, L., Hitlers Charisma, 2011; Tomberg, F.,
Das Christentum in Hitlers Weltanschauung, 2012; Plöckinger, O., Unter Soldaten
und Agitatoren, 2013; Ullrich, V., Adolf Hitler - Biographie - Die Jahre des
Aufstiegs 1889-1939, 2013
Hobbes,
Thomas (Westpool 5. 4. 1588-Hardwick Hall 4. 12. 1679) wird nach dem
Philosophiestudium in Oxford Hauslehrer bei Baron Cavendish. In seinem
Hauptwerk (lat.) Elementa (N.Pl.) philosophiae (Grundlagen der Philosophie)
(Teil 3 [lat.] De cive [Vom Bürger], 1649, ähnlich Leviathan, 1651) erklärt er
den Ursprung des Staates mit dem vom (bösen) Menschen zur Vermeidung des Kampfes
aller gegen alle zugunsten des souveränen Herrschers geschlossenen →Gesellschaftsvertrag,
als dessen Folge auf Grund der Autorität des Herrschers die menschlichen
Gesetze die Naturgesetze ablösen.
Lit.: Tönnies, F., Thomas Hobbes, 3. A. 1925; Schnur, R.,
Individualismus und Absolutismus, 1962; Mayer-Tasch, P., Thomas Hobbes und das
Widerstandsrecht, 1965; MacPherson, C., Die politische Theorie des Besitzindividualismus,
1967; Dießelhorst, M., Ursprünge des modernen Systemdenkens bei Hobbes, 1968;
Hobbes-Forschungen, hg. v. Koselleck, R. u. a., 1969; Förster, W., Thomas
Hobbes und der Puritanismus, 1969; Schelsky, H., Thomas Hobbes, 1981, Willms,
T., Thomas Hobbes, 1987; Dießelhorst, M., Naturzustand und Sozialvertrag bei
Hobbes und Kant, 1988; Thomas Hobbes und die englische Revolution, 1991;
Ludwig, B., Die Wiederentdeckung des epikureischen Naturrechts, 1998; Hüning,
D., Freiheit und Herrschaft, 1998; Kremkus, A., Die Strafe, 1999; Bredekamp,
H., Thomas Hobbes, 2003; Hirsch, A., Recht auf Gewalt?, 2004; Hobbes, T.,
Leviathan, 2. A. 2008
Hochadel →Adel
Hochgerichtsbarkeit ist seit dem Hochmittelalter die Gerichtsbarkeit über die
mit der →Todesstrafe bedrohten Verbrechen (→Totschlag, →Notzucht,
→Diebstahl). Sie steht (auf Grund königlicher Verleihung) grundsätzlich
dem →Landesherrn zu, der sie seit dem (lat.) →Statutum (N.) in
favorem principum (1231/1232, Gesetz zugunsten der Fürsten) als eigenes Recht
weiterverleihen kann. Demgegenüber wird die Niedergerichtsbarkeit (→Niedergericht)
von niederen Gerichten ausgeübt.
Lit.: Fabricius, E., Das Hochgericht Rhaunen, 1901;
Rietschel, S., Das Burggrafenamt und die hohe Gerichtsbarkeit, 1905;
Wohlhaupter, E., Hoch- und Niedergericht, 1929; Hirsch, H., Die hohe
Gerichtsbarkeit, 2. A. 1958; Sagstetter, M., Hoch- und Niedergerichtsbarkeit im
spätmittelalterlichen Herzogtum Bayern, 2000
Hochmeister →Deutscher
Orden
Lit.: Stengel, E., Hochmeister und
Reich, ZRG GA 58 (1938), 178; Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190-1994,
hg. v. Arnold, U., 1998
Hochmittelalter ist der mittlere Zeitabschnitt des Mittelalters, der von
etwa 911 (bzw. 1000) bzw. 1076 bis (etwa 1250 bzw.) 1254 bzw. 1273 angesetzt
werden kann.
Lit.: Köbler, DRG 93; Wegener, W., Böhmen, Mähren und das
Reich im Hochmittelalter, 1959; Beiträge zum hochmittelalterlichen Städtewesen,
hg. v. Diestelkamp, B., 1982; Goez, W., Gestalten des Hochmittelalters, 1983;
Jakobs, H., Kirchenreform und Hochmittelalter, 1984, 2. A. 1988; Haas, W.,
Welt im Wandel, 2002; Haverkamp, A., Zwölftes Jahrhundert (1125-1198), 2003
Hochstift ist
das weltliche Herrschaftsgebiet eines geistlichen Reichsfürsten (und bei
unscharfem Sprachgebrauch auch das zugehörige Bistum) (z. B. Minden, Münster,
Osnabrück, Hildesheim, Würzburg, Bamberg, Straßburg, Augsburg, Freising,
Passau, Regensburg, Brixen u. s. w.) vom
Hochmittelalter bis zum Jahre 1803.
Lit.: Werminghoff, A., Verfassungsgeschichte der deutschen
Kirche im Mittelalter, 2. A. 1913, 72; Bachmann, S., Die Landstände des
Hochstifts Bamberg, 1962; Wolgast, E., Hochstift und Reformation, 1995; Wetter,
I., Hochstifte als mittelalterliche Verkehrszentren, 2006 (Konstanz, Augsburg)
Hochschule s.
Universität
Hochverrat ist
seit dem frühen 18. Jh. (1703, möglicherweise kann auch bereits der
Bauernaufstand von Untergrombach 1502 als früher Ansatzpunkt angesehen werden)
ein neuer Ausdruck für das Majestätsverbrechen (lat. [N.] →crimen laesae
maiestatis), das im Hochmittelalter den älteren Treuebruch verdrängt. H. soll
im Kampf gegen den Absolutismus die Taten erfassen, die den inneren Bestand des
Staates angreifen (im Gegensatz zum →Landesverrat und zum →Majestätsverbrechen).
Nach →Feuerbach (1798) ist jeder Angriff auf den Staatsvertrag (bzw. die
drei Staatsverträge) H. (z. B. Entziehung eines Gliedstaats, Angriff auf das
Leben des Herrschers, Revolution), doch folgt dem die Rechtspraxis nicht. Das
deutsche Reichsstrafgesetzbuch von 1871 bietet demgegenüber eine ausführliche
Kasuistik.
Lit.: Söllner § 10; Baltzer, C., Die geschichtlichen
Grundlagen der privilegierten Behandlung politischer Straftäter, 1966; Reimann,
M., Der Hochverratsprozess gegen Gustav Struve und Karl Blind. Der erste
Schwurgerichtsfall in Baden, 1985; Staatsschutz, hg. v. Willoweit, D., 1994;
Böttger, M., Der Hochverrat, 1998; Widerstand als Hochverrat, bearb. v.
Zarusky, J. u. a., 1998; Hochverrat?, hg. v. Lill, R., 1999; Richter, I.,
Hochverratsprozesse als Herrschaftspraxis, 2001; Bundschuh, hg. v. Blickle, P.
u. a., 2004
Hochzeit ist
eine Bezeichnung für die Feier(lichkeiten) der →Eheschließung (13. Jh.).
Hierfür schafft der Landesherr seit dem 15. Jh. besondere Hochzeitsordnungen.
Sie verbieten übermäßigen Luxus (→Luxusverbot).
Lit.: Bächtold, H., Die Gebräuche bei Verlobung und
Hochzeit, 1914; Neumann, G., Hochzeitsbrauchtum in Westfalen, Westfalen 33
(1955), 212; Goldmann, E., Hochzeitsbräuche, Seelenreise, 1956; Leisching, P.,
Et teneat eam, Studia Gratiana 27 (1996), 311; Tisch und Bett, hg. v. Riis, T.,
1998
Hof ist der
zu einem Haus unmittelbar gehörige Platz, allgemeiner der landwirtschaftliche
Betrieb oder der Lebensbereich eines Adligen. Der landwirtschaftliche H. ist
überwiegend Teil der →Grundherrschaft. Seit dem 19. Jh. wird für ihn
teilweise ein besonderes →Hofrecht geschaffen. Für den adeligen H.
entstehen schon früh eigene Hofrechte, besondere Hofämter, später auch Hoftage,
Hofgerichte, Hofräte und Hofordnungen. In Bayern-Landshut besteht das
spätmittelalterliche Hofgesinde aus 150 vergüteten Mitgliedern. Im
ernestinischen Sachsen umfasst der Hof 1531 etwa 500 Menschen.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein §§ 35f.; Kroeschell, DRG
1, 83, 112; Köbler, WAS; Maurer, G. v., Geschichte der Fronhöfe und der
Hofverfassung in Deutschland, Bd. 1ff. 1862f., Neudruck 1961; Härle, P., Die
zwölf Abteimaierhöfe des Stiftes Buchau, 1937; Hartmann, K., Haus Rhade op de
Volme, 1938; Haff, K., Hofübergabe und Ältestenrecht, ZRG GA 62 (1942), 377;
Elsener, F., Der Hof Benken, 1953; Ohe, J. v. d., Die Zentral- und
Hofverwaltung des Fürstentums Lüneburg, 1955; Herold, E., Hofdienst und
Hofschutz, Diss. jur. München 1956; Dölling, H., Haus und Hof in
westgermanischen Volksrechten, 1958; Kruedener, J. Frhr. v., Die Rolle des
Hofes im Absolutismus, 1973; Hollegger, M., Maximilian und die Entwicklung der
Zentralverwaltung am Hof, 1983; Bumke, J., Höfische Kultur, 1986; Moraw, P.,
Hoftag und Reichstag, (in) Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, 3;
Alltag bei Hofe, hg. v. Paravicini, W., 1995; Haus und Hof in ur- und
frühgeschichtlicher Zeit, hg. v. Beck, H. u. a., 1997; Plassmann, A., Die
Struktur des Hofes, 1998; Hillen, C., Curia regis, 1999; Höfe und Höfeordnungen
1200-1600, hg. v. Kruse, H. u. a., 1999; Bahl, P., Der Hof des Großen
Kurfürsten, 2000; Schütte, B., König Philipp von Schwaben. Itinerar –
Urkundenvergabe – Hof, 2002; Hofkultur und aufklärerische Reformen in
Thüringen, hg. v. Ventzke, M., 2002; Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag,
hg. v. Moraw, P., 2003; Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich,
hg. v. Paravicini, W., 2003; Hengerer, M., Kaiserhof und Adel, 2004; Weise, W.,
Der Hof der Kölner Erzbischöfe in der Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas, 2004;
Nolte, C., Familie, Hof und Herrschaft, 2004; Fürstenhöfe und ihre Außenwelt,
hg. v. Zotz, T., 2004; Dvory a rezidence ver středovĕku, 2006;
Hofkultur in Frankreich und in Europa im Spätmittelalter, hg. v. Freigang, C.
u. a., 2005; Kaiserhof – Papsthof (16. – 18. Jh.), hg. v. Bösel, R. u. a.,
2006; Die Hofgeschichtsschreibung im mittelalterlichen Europa, hg. v.
Schieffer, R. u. a., 2006; Biersack, I., Die Hofhaltung der reichen Herzöge von
Bayern-Landshut, 2006; Der Hof und die Stadt, hg. v. Paravicini, W. u. a.,
2006; Höfe und Residenzen im spätmittelalterichen Reich - Hof und Schrift, hg.
v. Paravicini, W., 2007; Mittelalterliche Fürstenhöfe und ihre Erinnerungskulturen,
hg. v. Fey, C. u. a., 2007; Hof und Macht, hg. v. Butz, R. u. a., 2007; Spieß,
Karl-Heinz, Fürsten und Höfe im Mittelalter, 2008; Rösener, W., Leben am Hof,
2008; Hofwirtschaft, hg. v. Fouquet, G., 2008; Lutter, C., Zwischen Hof und
Kloster, 2010; Zu Diensten Ihrer Majestät. Hofordnungen, hg. v. Wührer, J. u.
a., 2011; Streit am Hof im frühen Mittelalter, hg. v. Becher, M. u. a., 2011
Hofamt ist
hauptsächlich das Amt der Verwaltung eines herrschaftlichen (fürstlichen,
königlichen) →Hofes. Bereits zum spätrömischen →Kaiser gehört eine nahezu
aus dem Nichts geschaffene umfangreiche Zentralverwaltung in Rom mit
zahlreichen hierarchisch geprägten Ämtern. Wohl im Anschluss hieran folgt auch
dem frühmittelalterlichen →König ein Hof mit hauptsächlich Seneschall
bzw. Truchsess, Marschall, Schenk, Kämmerer und Kanzler als Trägern von
Ämtern, die dem hohen Adel zugeteilt, später aber von Dienstleuten tatsächlich
ausgeübt werden. Der königliche Hof bildet sich bis zum Ende des Heiligen
römischen Reiches immer vielseitiger aus
und gibt das Vorbild für die Hofämter an den einzelnen Fürstenhöfen ab.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 29; Kroeschell, DRG 1,
2; Baltl/Kocher; Schubert, P., Die Reichshofämter, MIÖG 34 (1913), 427; Lübeck,
K., Die Hofämter der Fuldaer Äbte im frühen Mittelalter, ZRG GA 65 (1947), 177;
Bosl, K., Die Reichsministerialität der Salier und Staufer, Bd. 1f. 1950f.;
Klafki, E., Die kurpfälzischen Erbhofämter, 1966; Latzke, I., Hofamt, Erzamt
und Erbamt, Diss. phil. Frankfurt am Main 1970; Mitteis, H., Der Staat des
hohen Mittelalters, 1940, 11. A. 1987; Rösener, W., Hofämter, DA 45 (1989);
Hasse, C., Die welfischen Hofämter und die welfische Ministerialität in
Sachsen, 1995; Hof und Theorie, hg. v. Butz, R. u. a., 2004; Keller, K.,
Hofdamen, 2005
Höfeordnung ist
das am 24. 4. 1947 für die →britische Zone des Deutschen Reiches
erlassene Gesetz, das für landwirtschaftliche Höfe teilweise besondere
Rechtsregeln (Sondererbfolge) schafft und am 26. 7. 1976 abgeändert wird.
Lit.:
Kannewurf, T., Die Höfeordnung vom 24. April 1947, 2004
Hofer, Andreas
(Sankt Leonhard 22. 11. 1767-Mantua 20. 2. 1810, Mutter 1767, Vater 1770
gestorben, 1789 Übernahme des väterlichen Hofes), Gastwirt und fortschrittsfeindlicher
Tiroler Freiheitskämpfer gegen die Besetzung →Tirols durch →Bayern
und →Frankreich (1809), nach anfänglichen Erfolgen von Franz Raffl verraten,
am 28. 0. 1810 auf der Pfanderalm verhaftet und in Mantua am 19. 2. 1810 durch
Erschießen hingerichtet
Höferecht ist
das seit der Mitte des 19. Jh.s in Anknüpfung an das ältere →Anerbenrecht
gesetzlich geschaffene besondere Erbrecht für bestimmte landwirtschaftliche
Höfe (preußische Provinz Hannover 1874 und 10 weitere deutsche Bundesstaaten
[Reichsländer] bis 1930, Reicherbhofgesetz 1933, Höfeordnung der britischen
Besatzungszone 1947, Höfeordnung von Rheinland-Pfalz 1953). 1963 erklärt das
deutsche Bundesverfassungsgericht den Vorzug von Männern vor Frauen im H. für
verfassungswidrig. Für die nicht vom besonderen H. erfassten Höfe gilt das
Grundstückverkehrsgesetz.
Lit.: Gersbach, A., Das Agrar- und Höferecht der Grafschaft
Hauenstein, 1948; Bischof, W., Die Geschichte des Anerbenrechts in Hannover,
Diss. jur. Göttingen 1966; Dehne, F., Vom Hof zum Betrieb, 1966; Tykwer, F.,
Hofnachfolge in Westfalen-Lippe, 1997; Fastenmayer, B., Hofübergabe als
Altersversorgung, 2009
Hoffahrt ist
das Erscheinen am adligen Hof, insbesondere die Teilnahme am Hoftag. Die H.
gründet sich im Laufe des Mittelalters mehr und mehr auf das Lehnsrecht.
Vielfach wird sie von einer anfänglichen Pflicht zu einem Recht auf Teilnahme
am Hoftag.
Lit.: Mitteis, H., Lehnrecht und Staatsgewalt, 1933,
Neudruck 1957, 1972
Hofgericht ist
einerseits das am grundherrschaftlichen Fronhof eingerichtete Gericht eines →Grundherrn
über seine Hintersassen und andererseits das am fürstlichen Hof gebildete
Gericht des Herrschers, aus dem der Fürst selbst spätestens im 15./16. Jh.
ausscheidet. Das königliche H. (Reichshofgericht) kennt seit 1235 neben dem
König einen besonderen Hofrichter, hat als Urteiler neben den Fürsten auch Juristen,
überliefert etwa 2000 Urkunden, verliert aber durch die den Landesherren
erteilten Nichtevokationsprivilegien an Bedeutung (Achtregister 1290, 1346,
1353, Ladungsregister 1396, Hofgerichtsregister 1409) und wird 1451 durch das
Kammergericht ersetzt bzw. wird nach der Rückkehr Friedrichs III. von der
Kaiserkrönung in Rom 1452 das Hofrichteramt nicht erneut besetzt, weil das H.
den neuen Anforderungen (Appellation) nicht mehr gerecht werden kann. Das H. in
Rottweil ist ein seit 1273 von den Königen vielfach bevorrechtigtes
Landgericht, dessen Vorsitz ein Hofrichter als Stellvertreter des Königs
innehat.
Lit.: Köbler, DRG 114, 115; Franklin, O., Das
Reichshofgericht im Mittelalter, Bd. 1f. 1867ff.; Kohler, J., Das Verfahren des
Hofgerichts Rottweil, 1904; Böker, H., Hofgerichtsbarkeit und Hofgerichte im
Vest Recklinghausen, Diss. jur. Bonn 1957; Grube, G., Die Verfassung des
Rottweiler Hofgerichts, 1969; Heikaus, H., Hofgerichte und Hofrecht, 1970;
Wohlgemuth, H., Das Urkundenwesen des deutschen Reichshofgerichts 1273-1378,
1973; Battenberg, F., Die Hofgerichtssiegel, 1979; Heitzenröder, W., Ein
Prozess gegen Stift und Stadt Fulda, ZRG GA 100 (1983), 267; Diestelkamp, B.,
Vom königlichen Hofgericht zum Reichskammergericht, FS A. Erler, 1986, 44;
Urkundenregesten der Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451,
Bd. 1ff. 1987ff.; Frey, S., Das württembergische Hofgericht (1460-1618), 1989;
Wernli, M., Das kaiserliche Hofgericht in Zürich, 1991; Mentgen, G., Das
kaiserliche Hofgericht Rottweil, ZRG GA 112 (1995), 396; Hofgericht, Bd. 8, hg.
v. Diestelkamp B., bearb. v. Neumann, R., 1996; Battenberg, F., Die königlichen
Hofrichter vom 13. bis 15. Jahrhundert (in) Deutscher Königshof, hg. v. Moraw,
P., 2002, 239; Diestelkamp, B., Vom einstufigen Gericht zur obersten
Rechtsmittelinstanz, 2013
Hofgerichtsordnung ist die Ordnung der Verfassung und des Verfahrens eines →Hofgerichts.
Für das königliche Hofgericht gibt es einen Entwurf einer H. von 1409.
Landesherrliche Hofgerichtsordnungen erscheinen später (z. B. Pfalz 1462,
verloren).
Lit.: Otte, A., Die Mainzer Hofgerichtsordnung von
1516/1521, 1964; Bender, K., Die Hofgerichtsordnung Kurfürst Philipps für die
Pfalzgrafschaft bei Rhein, 1967
Hofkammer ist die 1498 für die Finanzverwaltung des Heiligen römischen Reiches und
der österreichischen Erbländer geschaffene, 1527 von Ferdinand I. reorganisierte
Behörde, die von 1749 bis 1761 mit der inneren Verwaltung im Directorium, von
1782 bis 1791 in der vereinigten Hofstelle, von 1792 bis 1797 im Directorium
und von 1801 bis 1802 in der vereinigten Hofstelle zusammengelegt und (in
Österreich) 1848 in das Finanzministerium umgewandelt wird.
Lit.:
Körbl, H., Die Hofkammer und ihr ungetreuer Präsident, 2009
Hofkanzlei ist
die Kanzlei des fürstlichen Hofes. Die österreichische H. wird an der Wende vom
16. zum 17. Jh. von der Reichskanzlei getrennt.
Lit.: Köbler, DRG 150; Baltl/Kocher
Hofkapelle
Lit.: Görlitz, S., Beiträge zur
Geschichte der königlichen Hofkapelle, 1936; Hausmann, F., Reichskanzlei und Hofkapelle
unter Heinrich V. und Konrad III., 1956
Hofmark
Lit.: Kellner, S., Die Hofmarken
Jettenbach und Aschau in der frühen Neuzeit. Studien zur Beziehung zwischen
Herrschaft und Untertanen in Altbayern am Beispiel eines adeligen Herrschaftsbereiches,
1986
Hofmeister ist
seit dem Spätmittelalter (2. H. 13. Jh.) ein führender Verwaltungsbeamter des
fürstlichen Hofes, der statt des Fürsten dem Hofrat vorsitzen kann.
Lit.: Seeliger, G., Das deutsche Hofmeisteramt, 1885
Hofnarr ist
der nach antiken und orientalischen Vorbildern vom Hochmittelalter bis ins 17.
Jh. (Frankreich) oder 18. Jh. (Heiliges römisches Reich [deutscher Nation]) als
Unterhalter an Fürstenhöfen tätige Narr (oft Zwerg oder Krüppel).
Lit.: Amelunxen, C., Rechtsgeschichte der Hofnarren, 1991
Hofpfalzgraf ist
der Träger eines in Italien seit dem frühen Hochmittelalter entstandenen Amtes
zur Vertretung des Kaisers in bestimmten Angelegenheiten (z. B. Legitimation
unehelich Geborener, Bestätigung von Vormundschaften, Ernennung von Notaren, Verleihung
von Adel). Seit der Mitte des 14. Jh.s nehmen die Zahl der Hofpfalzgrafen und
der Umfang ihrer Rechte zu. Im 18. Jh. verfällt das mit dem 6. 8. 1806 ganz
erloschene Amt zusehends.
Lit.: Jecklin, F., Die Hofpfalzgrafen in der Schweiz, 1890;
Dobler, E., Das kaiserliche Hofpfalzgrafenamt und der Briefadel im alten
Deutschen Reich, 1950; Hofpfalzgrafenregister, hg. v. Heroldsausschuss,
1953ff.; Hofpfalzgrafenregister, hg. v. Herold, bearb. v. Arndt, J., Bd. 1
1964
Hofrat ist
das zunächst aus dem →Adel gebildete, unscharf umgrenzte, ständige
Beratergremium eines Fürsten. Unter Kaiser Friedrich III. (1452-1493) umfasst
er 283 weltliche und 150 geistliche Berater, von denen 235 aus den Erblanden
und 198 aus dem außererbländischen Binnenreich einschließlich Tirols stammen.
Der H. wird seit dem Ende des 15. Jh.s zur zentralen kollegialen Behörde der
Landesverwaltung. Zunehmend finden gelehrte →Juristen Aufnahme. Statt
des Fürsten sitzt ihm später der Kanzler oder →Hofmeister vor. Vielfach
verlegt sich das Schwergewicht der Tätigkeit auf die Rechtsprechung.
Lit.: Köbler, DRG 113, 114; Erdmann, K., Der
jülich-bergische Hofrat, Düsseldorfer Jb. 41 (1939), 1; Eisenhardt, U.,
Aufgabenbereich und Bedeutung des kurkölnischen Hofrates, 1963; Heydenreuter,
R., Der landesherrliche Hofrat unter Herzog und Kurfürst Maximilian I. von
Bayern, 1981; Buhlmann, G., Der kurkölnische Hofrat, 1998; Recht und Verfasung,
hg. v. Boockmann, H. u. a., 1998
Hofrecht ist
seit dem Hochmittelalter das besondere Recht eines grundherrschaftlichen
Verbands (Worms 1023/1025, Limburg 1035). Später geht das H. in dem →Dorfrecht
auf.
Lit.: Köbler, DRG 101, 105; Lohmeyer, K., Das Hofrecht und
Hofgericht des Hofes zu Loen, 1906; Arnold, H., Das Hofrecht und die
Hofgerichte (Hobsgerichte) in Mülheim an der Ruhr, Diss. jur. Bonn 1955;
Schulte-Beckhausen, K., Hofrecht und Hofgerichtsbarkeit in Gelsenkirchen, Diss.
jur. Bonn 1958; Fricke, E., Das Recht und Gericht des Stilkinger
Lehnsverbandes, Diss. jur. Bonn 1958; Heikaus, H., Hofgerichte und Hofrecht,
1970; Spieß, P., Das Limburger Hofrecht, (in) Wege europäischer
Rechtsgeschichte, hg. v. Köbler, G., 1987, 468
Hofrichter ist der Richter des Hofgerichts (zwischen 1235 und 1451 im Heiligen
römischen Reich 40 durchweg adelige, ungelehrte H. und 76
Hofgerichtsstatthalter bekannt).
Lit.: Battenberg, F., Die königlichen
Hofrichter vom 13. bis 15. Jahrhundert, (in) Deutscher Königshof, hg. v. Moraw,
P., 2002, 239
Hoftag ist der vom Herrscher in seinem Reich abgehaltene Tag, welcher der Verwirklichung
seiner Herrschaft dient. Im Heiligen römischen Reich ist er (bis 1470/1480?)
Vorläufer des Reichstags. →Hof
Lit.: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag, hg. v.
Moraw, P., 2003; Annas, C., Hoftag – gemeiner Tag – Reichstag, 2004; Politische
Versammlungen und ihre Rituale, hg. v. Peltzer, J. u. a., 2009
hohe Gerichtsbarkeit →Hochgerichtsbarkeit
Hoheitsgewalt ist die Befugnis des Staates, einseitig rechtlich verbindliche
Anordnungen zu erlassen. Sie entsteht aus der frühmittelalterlichen Banngewalt
und zunächst vereinzelten Hoheitsrechten des Landesherrn mit der seit dem
Spätmittelalter einsetzenden Verdichtung. Seit dem 18. Jh. spricht man von
Landeshoheit. Sie wird als ursprünglich und damit nicht vom Reich abgeleitet
angesehen.
Lit.: Köbler, DRG 149; Leitges, K., Die Entwicklung des
Hoheitsbegriffes, 1998
Hohenberg
Lit.: Quellen zur Verwaltungs- und
Wirtschaftsgeschichte der Grafschaft Hohenberg, bearb. v. Müller, K., Bd. 1f.
1953ff.
Hohenlohe
Lit.: Ganzhorn, G., Die Entstehung
und die Quellen des hohenlohischen Landrechtes aus dem Jahre 1738, Diss. jur.
Tübingen 1955; Ulshöfer, F., Die hohenlohischen Hausverträge, Diss. jur.
Tübingen 1960; Steinle, P., Die Vermögensverhältnisse der Landbevölkerung in
Hohenlohe im 17. und 18. Jahrhundert, 1971; Weber, H., Die Fürsten von
Hohenlohe im Vormärz, 1977; Magen, F., Reichsgräfliche Politik in Franken, 1975;
Hohenlohische Dorfordnungen, bearb. v. Schumm, K. u. a., 1985
Hohenstaufen →Staufer
Hohenzollern ist
die nach der Burg Zollern bzw. H. in Schwaben (seit 1350) benannte gräfliche
Familie, deren Stammgut 1849 an den 1411/1415/1417 als Markgrafen nach Brandenburg
gelangten Zweig der zugehörigen Familie (1648 →Preußen) zurückfällt.
Das Gebiet geht 1945/1951 im Zuge der Aufteilung Preußens in Baden-Württemberg
auf. In Preußen nennt sich die Familie seit 1701 König. Im Deutschen Reich
stellt sie von 1871 bis 1918 den Kaiser.
Lit.: Köbler, DRG 131; Köbler, Historisches Lexikon;
Hintze, O., Die Hohenzollern und ihr Werk (1415-1915), 1915, Neudruck 1980;
Eisele, K., Studien zur Geschichte der Grafschaft Zollern, 1956; Ulshöfer, W.,
Das Hausrecht der Grafen von Zollern, 1969; Kirchherr, R., Die Verfassung des
Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen vom Jahre 1833, 1979; Sauer, P., Napoleons
Adler über Württemberg, Baden und Hohenzollern, 1987; Herm, G., Der Aufstieg
des Hauses Hohenzollern, 1995; Stamm-Kuhlmann, T., Die Hohenzollern, 1995; Neugebauer,
W., Die Hohenzollern, Bd. 1f. 1996ff.; Die Protokolle der Regierung von
Württemberg-Hohenzollern, Bd. 1 bearb. v. Raberg, F., 2004; Bourée, K., Dienst,
Verdienst und Distinktion, 2012; Schönpflug, D., Die Heiraten der Hohenzollern,
2013
Höhere Gewalt
ist die vom Menschen nicht abwendbare Gewalt. Diese befreit den Schuldner schon
im römischen Recht in bestimmten Fällen vom →Schadensersatz. In
spätklassischer Zeit spricht man zusammenfassend von (lat.) →vis (F.)
maior (vis cui resisti non potest, Gewalt der nicht widerstanden werden kann).
Diese wird im Hochmittelalter im Reich aufgenommen. Sie verbindet sich mit dem
Begriff der →echten Not, in der eine Fristversäumnis (mit höherer Gewalt)
entschuldigt wird.
Lit.: Kaser § 36 III; Hübner 563, 583; Exner, A., Der
Begriff der höheren Gewalt, 1883, Neudruck 2007; Doll, A., Von der vis maior
zur höheren Gewalt, 1989
Holdsworth,
William Searle (Elmers End 7. 5. 1871-Oxford 2. 1. 1944), Rechtsanwaltssohn,
wird nach dem Studium von Geschichte und Recht in Oxford und London 1897
Professor in Oxford. Mit seiner sechsbändigen History of English Law verfasst
er ohne eigene Quellenstudien eine umfassende, die Grundlagen einbeziehende
Darstellung des englischen Rechtes von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Lit.: Lawson, F., The Oxford Law School 1850-1965, 1968
Holland ist
die seit dem 10. Jh. im Gebiet der Maasmündung bezeugte Grafschaft, die über
Burgund (1433) und Habsburg (1477) 1579 in die Vereinigte Republik (1815
Königreich) der →Niederlande gelangt. Durch Verordnung vom 13. 8. 1428
wird der Rat von Holland und Seeland als oberste Gerichtsbehörde und
Verwaltungsbehörde eingesetzt und später vom Hof von Holland fortgesetzt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; De oudste Rechten der
stad Dordrecht, hg. v. Fruin, J., 1882; Memorialen van het Hof (den Raad) van
Holland, Zeeland en West-Friesland van den secretaris Jan Rosa, hg. v.
Blécourt, A. u. a., 1929; Jansma, T., Raad en Rekenkamer in Holland en Zeeland,
1932; Uit de practijk van het hof van Holland, hg. v. Apeldoorn, L. van, 1938;
Oorkondenboek van Holland en Zeeland tot 1299, Bd. 1f. hg. v. Koch, A. u. a.,
1970ff.; Lingbeek-Schalekamp, C., Overheid en Muziek in Holland tot 1672, 1984;
Das römisch-holländische Recht, hg. v. Feenstra, R. u. a., 1992; Price, L.,
Holland, 1994; Israel, J., The Dutch Republic, 1995; Moorman van Kappen, O.,
Zur holländischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1795, ZRG GA 122
(2005), 318; Le Bailly, M. u. a., Hoge raad van Holland, 2006; Le Bailly, M.,
Hof van Holland, Zeeland en West-Friesland, 2008; Cox, J., Hebbende privilege
van stede, 2011
Holmgangr ist
der altnordische Zweikampf, der bereits um 1000 in Island (1004?) und Norwegen
(um 1012) abgeschafft wird.
Lit.: Heusler, A., Das Strafrecht der Isländersagas, 1911
Holocaust →Endlösung
Lit.: Benz, W., Der Holocaust, 1995, 5. A. 2003, 7. A. 2008;
Finkelstein, N., The Holocaust Industry, 2000; Benz, W., Lexikon des Holocaust,
2002; Die Täter der Shoa, hg. v. Paul, G., 2002; Berg, N., Der Holocaust und
die westdeutschen Historiker, 2003; Tent, J., In the Shadow of the Holocaust,
2003; Mayer, E., Verfälschte Vergangenheit, 2003; Browning, C., Die
Entfesselung der Endlösung, 2003; Freyhofer, H., The Nuremberg Medical Trial,
2004; Longerich, P., Davon haben wir nichts gewusst, 2006; Tent, J., Im
Schatten des Holocaust, 2007; Dörner, B., Die Deutschen und der Holocaust, 2007;
Al’tman, I., Opfer des Hasses, 2008; The Oyford Handbook of Holocaust Studies,
hg. v. Hayes, P. u. a., 2010; Zayas, A. de, Völkermord als Staatsgeheimnis,
2011; Schneppen, H., Walter Rauff - Organisator der Gaswagenmorde, 2011; The
Routledge History of the Holocaust, hg. v. Friedmann, J., 2011
holograph, holographisch (Adj.) ganz eigenhändig geschrieben (z. B. Testament)
Holschuld ist
die Schuld, bei welcher der Handlungsort des Schuldners der Ort des Wohnsitzes
des Schuldners ist. Im älteren Recht ist die Schuld grundsätzlich H. Im
Mittelalter werden viele Schulden zu Bringschulden. Nach dem preußischen Allgemeinen
Landrecht (1794) ist die Schuld im Zweifel Bringschuld, nach dem Bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) H.
Lit.: Hübner 556; Baltl/Kocher; Leonhard, F., Erfüllungsort
und Schuldort, 1907
Holstein ist
der um 800 erscheinende Name des nördlichen Stammesgebiets der Sachsen
(„Holzsassen“). 1110/1111 werden die von Schauenburg Grafen von H. Seit
1375/1386 sind H. und →Schleswig in fester staatsrechtlicher Verbindung,
doch gelangt Schleswig erst 1865 unter die Herrschaft des Deutschen Bundes.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Das älteste Urteilsbuch
des holsteinischen Vierstädtegerichts 1497-1574, hg. v. Gundlach, F., 1925;
Kuhn, H., Zur Geschichte der Volksgerichte in Holstein, 1926
Holzding oder
Holzgericht ist im Mittelalter in Norddeutschland das besondere Niedergericht
in Waldnutzungsangelegenheiten. Es schwindet seit der frühen Neuzeit unter
landesherrlichem Einfluss und geht spätestens 1877/1879 gänzlich unter.
Lit.: Timm, A., Die Waldnutzung, 1960
Homagium (lat.
[N.]) ist im Mittelalter die förmliche Ergebung des Lehnsmanns in die Gewalt
des Lehnsherrn (Handgang). Das h. geht im Spätmittelalter im Lehnseid auf.
Lit.: Mitteis, H., Lehnrecht und Staatsgewalt, 1933,
Neudruck 1957, 1972, 27; Diestelkamp, B., Das Lehnrecht der Grafschaft
Katzenelnbogen, 1970, 259
homagium (N.) pacis
(mlat.) →Huldigung (des Lehnsmannes)
Homeyer,
Carl Gustav (Wolgast 13. 8. 1795-Berlin 20. 10. 1874) wird nach dem
Rechtsstudium in Berlin (Savigny, Eichhorn), Göttingen (Hugo) und Heidelberg
(Thibaut) 1824 außerordentlicher Professor und 1827 ordentlicher Professor in
Berlin. Seit 1827 veröffentlicht H. kritisch mittelalterliche Rechtsbücher und
stellt die Handschriften übersichtlich zusammen (Des Sachsenspiegels erster
Theil, oder das Sächsische Landrecht, 1827, 2. A. 1835, 3. A. 1861, Des
Sachsenspiegels zweiter Theil, Bd. 1 1842, Bd. 2 1844, Die deutschen Rechtsbücher
des Mittelalters, 1836).
Lit.: Verzeichnis deutscher Rechtsbücher des Mittelalters
und ihrer Handschriften (1836), 1856; Brunner, H., Abhandlungen zur
Rechtsgeschichte, hg. v. Rauch, K., Bd. 2 1931, 433; Oppitz, U., Deutsche
Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1ff. 1990ff.
Hommel, Karl Ferdinand
(Leipzig 6. 1. 1722-16. 5. 1781), Rechtsprofessorensohn, wird 1756 Professor in
Leipzig und wirkt, beeinflusst von →Thomasius und →Beccaria, auf
der Grundlage des Determinismus zugunsten der →Aufklärung im Strafrecht
(„Joch, A. v.“, Von Verbrechen und Strafe nach türkischen Gesetzen, 1770,
Neudruck 1970).
Lit.: Rosenbauer, A., Carl Ferdinand Hommel, Diss. jur.
Berlin 1907; Zahn, K. v., Karl Ferdinand Hommel als Strafrechtsphilosoph und
Strafrechtslehrer, 1911; Hommel, K., Über Belohnung und Strafe nach türkischen
Gesetzen, 2. A. 1772, Neudruck, hg. v. Holzhauer, H. 1970; Polley, R., Die
Lehre vom gerechten Strafmaß, 1972; Hommel, Karl Ferdinand, Principis cura
leges, übers. v. Polley, R., 1975
homo (lat.
[M.]) Mensch, Sklave
homo (M.) ecclesiae (lat.) (unfreier) Mann der Kirche
Homo (M.) ligius (lat.), Ledigmann, ist im mittelalterlichen Recht (seit dem 10. Jh.?)
der eng an den Lehnsherrn gebundene Lehnsmann.
Lit.: Mitteis, H., Lehnrecht und Staatsgewalt, 1933,
Neudruck 1957, 1972, 434; Ganshof, F., Was ist das Lehnswesen?, 1961, 6. A.
1983
Homosexualität (Bezeichnung Karl Kertbeny 1869)
ist die geschlechtliche Beziehung zu
einem Menschen gleichen Geschlechts, insbesondere zwischen Männern. Sie ist
dem griechischen Altertum vertraut. Das Judentum, die Römer und das Christentum
lehnen die H. ab. Der Codex Theodosianus (Konstitution von 390) bedroht H. mit
der Verbrennung. Nach Tacitus wird bei den Germanen der Unzüchtige im Moor
versenkt. Das Mittelalter sieht die H. als Sünde. Die Constitutio Criminalis
Carolina (1532) bedroht H. unter beiden Geschlechtern in Übereinstimmung mit
dem gemeinen Recht mit dem Feuertod. Dagegen stellt der Code civil (1804) nur
bestimmte Gestaltungen unter Strafe. In manchen deutschen Ländern ist H. unter
Männern nicht strafbar, bis sie § 175 StGB (1871) mit einer Strafandrohung
versieht. In Deutschland wird 1969 (nach rund 140000 Verurteilungen), in
Österreich 1971 die homosexuelle Betätigung Erwachsener straflos. 1973 erfolgt
eine weitere Reform, nach der nur noch homosexuelle Handlungen mit männlichen
Jugendlichen unter 18 Jahren strafbar sind, während das Schutzalter bei
lesbischen und heterosexuellen Beziehungen bei 14 Jahren liegt. Durch Gesetz
vom 31. 5. 1994 wird § 175 StGB auf Grund liberaler Überlegungen zum 11. 6.
1994 aufgehoben.
Lit.: Köbler, DRG 264; Kuster, H., Over Homoseksualiteit,
Diss. Utrecht 1977; Sexual Practices, hg. v. Bullough, V. u. a., 1982; Boowell,
J., Christianity, Social Tolerance and Homosexuality, 1980; Stümke, H.,
Homosexuelle in Deutschland, 1989; Jellonek, B., Homosexuelle unterm
Hakenkreuz, 1990; Hundert Jahre schwul, hg. v. Kraushaar, E., 1997; Sommer, K.,
Die Strafbarkeit der Homosexualität, 1998; Hergemöller, B., Mann für Mann,
1998; Lutterbach, H., Gleichgeschlechtliches sexuelles Verhalten, HZ 267
(1998), 282; Hergemöller, B., Einführung in die Historiographie der
Homosexualität, 1999; Taeger, A., Intime Machtverhältnisse, 1999; Bastian, T.,
Homosexuelle im Dritten Reich, 2000; Nationalsozialistischer Terror gegen
Homosexuelle, hg. v. Jellonek, B. u. a., 2002; Müller, J., Ausgrenzung der
Homosexuellen aus der Volksgemeinschaft, 2003; Homosexuelle im
Nationalsozialismu, hg. v. Schwartz, M., 2013
honorarium (lat.
[N.]) Ehrengabe als (freiwilliges) Entgelt für höhere Dienste im römischen
Recht
Höpfner,
Ludwig Julius Friedrich (Gießen 3. 11. 1743-29. 12. 1797) wird nach dem
Rechtsstudium in Gießen Erzieher und 1767 Professor der Rechte in Kassel, 1771
ordentlicher Professor in Gießen. In seiner Zeit gilt er als der bedeutendste
Zivilist. Seine Hauptwerke sind das Naturrecht des einzelnen Menschen, der
Gesellschaften und Völker und der Theoretisch-practische Kommentar über die
Heineccischen Institutionen. Unter dem Einfluss des Naturrechts fördert H. die
Begriffe der Verbindlichkeit, der Willenserklärung und des Eigentums, ohne
dem Naturrecht den Rang einer das geltende Recht verdrängenden Rechtsquelle
einzuräumen.
Lit.: Söllner, A., Ludwig Julius Friedrich Höpfner, FS W.
Mallmann 1978, 281; Plohmann, M., Ludwig Julius Friedrich Höpfner, 1992
Horborch,
Wilhelm (Hamburg 1320-1381), Ratsherrnsohn, wird nach dem Studium des
kirchlichen Rechtes in Avignon (1362) und Bologna (1367) Professor in Prag
(1372). Als Richter an der (lat.) →Rota (F.) Romana veröffentlicht er
(1376-1381) eine Sammlung von Entscheidungen.
Lit.: Pfaff, I., Zur Geschichte des Kanonisten Wilhelm
Horborch, ZRG KA 13 (1924), 513; Dolezalek, G., Die handschriftliche
Verbreitung von Rechtsprechungssammlungen der Rota, ZRG KA 58 (1972)
Hörensagen ist
das Hören der Erzählung eines anderen. Im Hochmittelalter stellt das kirchliche
Recht den Grundsatz des Verbotes des Aussagezeugnisses vom bloßen H. auf. Er
wird seit dem Spätmittelalter in Deutschland aufgenommen und behauptet sich
bis zur Einführung der Zivilprozessordnung 1877/1879.
Lit.: Zimmermann, E., Der Glaubenseid, 1863; Kornblum, U.,
Das Beweisrecht des Ingelheimer Oberhofes, Diss. jur. Frankfurt am Main 1960,
59
Höriger ist
im mittelalterlichen und neuzeitlichen deutschen Recht der grundherrschaftlich
abhängige, dem →Grundherrn in gewisser Weise gehörige Mensch. Der Ausdruck
erscheint seit dem 14. Jh. in Norddeutschland. Seit dem späten 18. Jh. wird er
wissenschaftlich verallgemeinert. →Hintersasse
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Kindlinger, N., Geschichte der
deutschen Hörigkeit, 1819; Perrin, C., Le servage, 1955; Bloch, M., Slavery and
Serfdom, 1975; Banzhaf, M., Unterschichten in bayerischen Rechtsquellen des 8.
bis 11. Jahrhunderts, 1991
Horten,
Johann Bernhard (1735-1786) →Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Hospital →Spital
Hostiensis (Heinrich
von Segusia) (Susa vor 1200-Lyon 1270) wird nach dem Rechtsstudium in Bologna
(Jacobus Balduini) seit 1236/1239 Lehrer des kirchlichen Rechtes in Paris und
nach einem Englandaufenthalt 1244 Bischof von Sisteron, 1250 Erzbischof von
Embrun sowie 1262 Kardinalerzbischof von Ostia. Seit 1239 erarbeitet er die
bedeutsamste Titelsumme zum (lat.) →Liber (M.) extra (Summa super titulos
decretalium, Summe über die Titel der Dekretalen, 2. A. um 1253 Summa aurea,
Goldene Summe). 1270/1271 gibt er einen Kommentar zum Liber extra zur
Veröffentlichung frei ([lat.] Commentum [N.] super decretalibus, Kommentar über
die Dekretalen). Infolge der weiten Verbreitung seiner Werke beeinflusst H. die
Aufnahme der gelehrten Rechte in vielen Teilen Europas.
Lit.: Trusen, W., Anfänge des gelehrten Rechtes in
Deutschland, 1962, 16; Rivera Damas, A., Pensamiento politico di Hostiensis,
1964
Hotman (Hotomannus),
François (Franciscus) (1524-1590) wird nach dem Rechtsstudium in Orléans Anwalt
in Paris, Lateinlehrer in Genf und 1556 Rechtsprofessor in Straßburg, 1563 in
Valence, 1566 in Bourges, 1572-1578 in Genf. Verschiedenen
humanistisch-textkritischen Arbeiten folgt der 1603 posthum erschienene
Antitribonianus, in dem H. die Anwendbarkeit des römischen (lat.) →corpus
(N.) iuris civilis verneint und eigenständige Gesetzbücher vorschlägt.
Lit.: Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit,
1952, 2. A. 1967; Vogel, W., Franz Hotman, 1960; Kelley, D., François Hotman,
1973
House of Commons
(Unterhaus) ist im →englischen Recht die im 13. Jh. (unter der Wirkung
Simon de Montforts 1265/1297) zur Versammlung der großen Lehnsleute des Königs
(→House of Lords) hinzutretende Versammlung von (74, um 1600 92) Rittern
und (um 1600 417) Vertretern von Städten (Bürgern) (und der vier
Universitäten). Sie entwickelt sich aus bescheidenen Anfängen in Jahrhunderten
zum entscheidenden politischen Organ →Englands.
Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal History, 1971,
2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; The English Parliament, hg. v. Davies, R.
u. a., 1981
House of Lords
(Oberhaus) ist im →englischen Recht die im Laufe des 13. Jh.s aus dem
Königshof hervorgegangene Versammlung der großen Lehnsleute des Königs, zu der
1265/1297 das →House of Commons hinzutritt. Es umfasst (1998) 635
Angehörige des Erbadels, 26 anglikanische Bischöfe und 505 auf Lebenszeit
ernannte Lords oder Ladies, seit 1999 92 ausgewählte Mitglieder des Erbadels,
die wenigen Lordrichter, zwei Erzbischöfe, 24 Bischöfe und im Übrigen auf
Lebenszeit ernannte Lords und Ladies.
Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal
History,1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002; Ballinger, C., The House of
Lords 1911-2011, 2012; Raina, P., House of Lords Reform, Bd. 1f. 2012f.
Hoyer von Falkenstein, Graf, ist der Herr →Eike von Repgows, der die
Übersetzung des →Sachsenspiegels (1221-1224) aus dem Lateinischen in das
Mittelniederdeutsche bewirkt haben soll.
Hube,
Romuald von (1803-1890) wird nach dem Rechtsstudium in Warschau (1818-1821) und
Berlin Professor in Warschau (1829-1832) und Sankt Petersburg (1841-1845) sowie
Verfasser des Strafgesetzbuchs Russlands (1845) und Polens (1847).
Lit.: Vetulani, A., Dzieje historii prawa w Polsce, 1948
Huber,
Ernst Rudolf (1903-1990) wird nach dem Rechtsstudium in Bonn (Carl →Schmitt)
Professor in Kiel (1933), Leipzig (1937), Straßburg (1941-1944), 1957 Hochschule
Wilhelmshaven und Göttingen (1962-1968). Sein Verfassungsrecht des
großdeutschen Reiches (1937/1939) will den Führerstaat in rechtliche Form
bringen, seine spätere achtbändige deutsche →Verfassungsgeschichte seit
1789 (1957ff.) die Geschichte des Staates als der maßgeblichen Ordnungseinheit
darlegen.
Lit.: Simon, W. v., Ernst Rudolf Huber, NJW 1991, 893;
Walkenhaus, R., Konservatives Staatsdenken, 1997; Jürgens, M., Staat und Reich
bei Ernst Rudolf Huber, 2005
Huber,
Eugen (Stammheim 13. 7. 1849-Bern 23. 4. 1923) wird nach dem Rechtsstudium in
Zürich Redakteur, Richter und 1881 außerordentlicher Professor in Basel, 1882
ordentlicher Professor in Basel, Halle (1888) und Bern (1892). Von 1884 an
vergleicht er das kantonale Schweizer Privatrecht (System und Geschichte des
schweizerischen Privatrechts, 1886ff.), von 1892 an erarbeitet er das
schweizerische Zivilgesetzbuch (1907).
Lit.: Köbler, DRG 182; Stutz, U., Eugen Huber, ZRG GA 44
(1924), XI; Wartenweiler, F., Eugen Huber, 1932; Manaï, D., Eugen Huber, 1990
Huber,
Ulrik (Ulrich) (Dokkum 1636-Franeker 1694) wird nach dem Artesstudium und dem
Rechtsstudium in Franeker, Utrecht, Marburg und Heidelberg Professor der Beredsamkeit
in Franeker (1657), danach Professor der Institutionen (1665). Am
erfolgreichsten sind seine (lat.) Praelectiones (F.Pl.) (Vorlesungen) zu
Institutionen (1678) und Digesten (1689), bedeutsam auch seine niederländisch
geschriebene Darstellung des friesischen Rechtes (Hoedendaegse
Rechtsgeleertheyt, soo elders als in Frieslandt gebruikelijk, 1686).
Lit.: Veen, T., Recht en nut, Diss. jur. Groningen 1974;
Hewett, M., Ulric Huber, De ratione iuris docendi & discendi diatribe, 2010
Hübner, Rudolf
(Berlin 19. 9. 1864-Jena 7. 8. 1945), Professorensohn, wird nach dem
Rechtsstudium in Berlin, Straßburg (Laband) und Berlin (Brunner, Beseler) 1895
außerordentlicher Professor in Bonn, 1904 ordentlicher Professor in Rostock,
1913 in Gießen, 1918 in Halle und 1921 in Jena. Nach frühen Arbeiten über die
(lat.) donationes (F.Pl.) post obitum (1888, Gaben nach dem Tod) und den
Immobiliarprozess der fränkischen Zeit (1893), denen eine Sammlung der
Gerichtsurkunden der fränkischen Zeit (1893) zur Seite steht, verfasst H. im
Rahmen des Pandektenschemas eine bis an die Gegenwart herangeführte Dogmengeschichte
der Institutionen des deutschen Privatrechts (Grundzüge des deutschen
Privatrechts, 5. A. 1930).
Lit.: Schultze-von Lasaulx, H., Rudolf Hübner, ZRG GA 66
(1948), IX
Hude
Lit.: Lappe, J., Die Bauerschaften
und Huden der Stadt Salzkotten, 1912
Hufe ist
vor allem im Frühmittelalter ein Landmaß unterschiedlicher Größe. Die H.
erscheint im 8. Jh. am Rhein und in Thüringen. Sie umfasst anfangs im
Durchschnitt etwa 30 Morgen, kann aber vielfach geteilt werden. Später wird sie
zur steuerlichen Berechnungseinheit (z. B. Preußen 1715).
Lit.: Köbler, WAS; Rhamm, K., Die Großhufen der
Nordgermanen, 1905; Reichel, J., Die Hufenverfassung zur Zeit der Karolinger,
1907; Ganahl, K., Hufe und Wergeld, ZRG GA 53 (1933), 208; Weidinger, U.,
Untersuchungen zur Wirtschaftsstruktur des Klosters Fulda, 1990
Hugenotten (entsteht
aus „Eidgenossen“?, frühester Nachweis 1551 in einem französischen Manuskript)
ist die Bezeichnung für die mit dem Eindringen des Calvinismus (→Calvin)
aus der Schweiz nach Frankreich in der Mitte des 16. Jh.s entstehenden
französischen Protestanten (helvetischen Bekenntnisses). Die H. werden
nachdrücklich verfolgt (u. a. Bartholomäusnacht auf den 24. 8. 1572), erhalten
aber im Edikt von Nantes (13. 4. 1598) das Recht der freien Religionsausübung.
Nach dem Widerruf dieses Edikts durch König Ludwig XIV. (18. 10. 1685)
verlassen rund 200000 Hugenotten Frankreich (140000 nach Großbritannien und
Irland, in die Niederlande und die Schweiz, 44000 in das Heilige römische
Reich, darunter 20000 nach Brandenburg). Erst die Französische Revolution von
1789 sichert ihre Rechte endgültig.
Lit.: Schreiber, H., Auf den Spuren der Hugenotten, 1983;
Brandenburg, I./Brandenburg, K., Hugenotten, 1990; Dölemeyer, B., Die
Hugenotten, 2006; Hugenotten: Glaubensflüchtlinge auf deutschem Boden, hg. v.
Braun, G. u. a., 2007; Niggemann, U., Immigrationspolitik zwischen Konflikt und
Konsens, 2008; Schätz, H., Die Aufnahmeprivilegien, 2010; Lachenicht, S.,
Hugenotten in Europa und Nordamerika, 2010
Hugo (Ugo) ist der von 1144 bis 1166 bezeugte
Glossator in Bologna, von dem Glossen, Summulae, Disputationen und Quästionen
stammen.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 183
Hugo,
Gustav (Lörrach 23. 11. 1764-Göttingen 15. 9. 1844), Hofratssohn, wird nach dem
Rechtsstudium in Göttingen (→Pütter) und →Halle (Promotion) 1788
außerordentlicher Professor und 1792 ordentlicher Professor in Göttingen. Sein
Hauptwerk ist das auf sechs Bände angelegte, siebenbändige Lehrbuch eines
civilistischen Cursus (vor allem Enzyklopädie 1792, [als zweiter Band unter
Berücksichtigung der Ergebnisse Montesquieus wie Kants] Naturrecht 1798 [, 2.
A. 1799, 3. A. 1809, 4. A. 1819], Geschichte des römischen Rechtes 1790, heutiges
römisches Recht 1789 Institutionen, 1798 Pandektenrecht), in dem er in der
Nachfolge Pütters versucht, streng zwischen historischer, dogmatischer und
philosophischer Behandlung des römischen Rechtes zu unterscheiden, bei der römischen
Rechtsgeschichte (Lehrbuch der Geschichte des römischen Rechtes 1790, 11. A.
1832) die Geschichte des Systems mit der Geschichte der Quellen zu verbinden
und das neuzeitliche römische Recht auf der Grundlage des geschichtlichen
römischen Rechtes zu erläutern. Mit dieser sowohl gegen eine rein antiquarische
Rechtsbehandlung wie gegen eine unkritische, nur an der Praxis ausgerichtete
Rechtswissenschaft sich wendenden ersten geschlossenen systematischen Darstellung
der gesamten römischrechtlichen Rechtswissenschaft (Jurisprudenz des römischen
Rechtes als eine geschlossene geschichtliche Wissenschaft im Sinne des
modernen Wissenschaftsbegriffs) wird er zum Begründer der Rechtswissenschaft
des 19. Jh.s und zum Vorläufer der →historischen Rechtsschule.
Lit.: Söllner § 25; Köbler, DRG 187,
206; Weber, H., Gustav Hugo, 1935; Eichengrün, F., Die Rechtsphilosophie Gustav
Hugos, 1935; Buschmann, A., Ursprung und Grundlagen der geschichtlichen
Rechtswissenschaft, Diss. jur. Münster 1963; Ebel, W., Gustav Hugo, 1964;
Behrends, O., Gustav Hugo, (in) Gibbon, E., Historische Übersicht des römischen
Rechtes, 1996; Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Gustav Hugo,
hg. v. Bialas, S., 2004; Buschmann, A., Naturrecht und geschichtliches Recht -
Gustav Hugos Rechtsphikosophie und die Anfänge der geschichtlichen
Rechtswissenschaft, (in) Elementa iuris, hg. v. Behrends, O. u. a., 2009, 17ff
Hugolinus ist der von 1197 bis 1233 bezeugte
Schüler des Johannes Bassianus aus Bologna, von dem vor allem Glossen, Erläuterungen
zum Codex, zu den Tres libri Codicis, zu den Institutionen, Summen zu den
Digesten, Quaestiones insolubiles, Distinktionen und prozessrechtliche Summen
stammen.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 271
Huguccio de Pisa
(Pisa? um 1140-Ferrara 30. 4. 1210) wird nach dem Studium von Kirchenrecht und
Theologie in Bologna Rechtslehrer (um 1180) und Bischof von Ferrara (1190).
Sein Hauptwerk ist die zwischen 1188 und 1190 verfasste ungedruckte (lat.)
Summa (F.) super decretum (Summe über das Dekret), die das →Decretum
Gratians am ausführlichsten erläutert.
Lit.: Köbler, DRG 107; Kuttner, S., Gratian and the Schools
of Law, 1983; Müller, W., Huguccio, 1994
huissier (franz.
[M.]) Türsteher, Gerichtsvollzieher
Hulde,
Huld, ist die Gunst oder das Wohlwollen eines Menschen, insbesondere im
Lehnswesen. Im Mittelalter huldigt der Mann dem Herrn. Der Herr kann dem Mann
die H. entziehen. Im römischen Recht entspricht dem die (lat. [F.]) indignatio
des Herrschers.
Lit.: Köstler, R., Huldentzug, 1910, Neudruck 1965;
Diestelkamp, B., Das Lehnrecht der Grafschaft Katzenelnbogen, 1969, 113;
Schmidt, U., Königswahl und Thronfolge, 1977
Huldigung ist
das Versprechen des Wohlwollens, der Treue oder der Ehrerbietung. Bereits im
Frühmittelalter sollen die Franken dem Grafen oder dem König Treue schwören.
786 und 802 verlangt Karl der Große eine allgemeine Eidesleistung. An die
Stelle dieses allgemeinen Untertaneneides tritt später der Eid der Lehnsmannen,
seit dem Hochmittelalter auch der Huldigungseid der Reichsunmittelbaren
gegenüber dem König einerseits und ein Erbhuldigungseid der Landesbewohner bzw.
der Stände gegenüber dem Landesherrn (in Niederösterreich bis 1835)
andererseits.
Lit.: Puntschart, P., Herzogseinsetzung
und Huldigung in Kärnten, 1899; Kienast, W., Untertaneneid und Treuevorbehalt
in Frankreich und England, 1952; Müller, H., Formen und Rechtsgehalt der
Huldigung, Diss. jur. Mainz 1954; Holenstein, A., Die Huldigung, 1991
Humanismus (1808)
ist allgemein das Bemühen um eine der Menschenwürde entsprechende Gestaltung
der Gesellschaft, insbesondere die geistige Bewegung des 14. bis 16. Jh.s, die
das Vorbild der Gesellschaftsgestaltung in den klassischen römischen Schriften
sieht. Der H. wird zuerst in Italien (Dante, Petrarca, 14. Jh.), im 15. Jh. in
Frankreich, Spanien und England und schließlich auch im Heiligen römischen
Reich wirksam (Erasmus von Rotterdam u. a., politische Auswirkungen auf Köln,
Kleve-Mark und Jülich-Berg-Ravensberg). Für die Rechtswissenschaft bedeutet
der H. den Übergang vom sog. (lat. [M.]) mos Italicus zum (lat. [M.]) →mos
Gallicus. Im Kirchenrecht bleiben die Einflüsse des H. vereinzelt.
Lit.: Söllner §§ 3, 22, 25; Köbler, DRG 135; Geschichtliche
Grundbegriffe, Bd. 3 1982, 1063; Wieacker, F., Einflüsse des Humanismus auf die
Rezeption, Z. f. d. ges. Staatswiss. 100 (1940), 423; Schaffstein, F., Die
europäische Strafrechtswissenschaft im Zeitalter des Humanismus, 1954; Kisch,
G., Forschungen zur Geschichte des Humanismus in Basel, Archiv für
Kulturgeschichte 40, 2 (1958), 194; Kisch, G., Erasmus und die Jurisprudenz seiner
Zeit, 1960; Kisch, G., Claudius Cantiuncula, 1970; Troje, H., Graeca leguntur,
1971; Hübner, H., Jurisprudenz als Wissenschaft im Zeitalter des Humanismus, FS
K. Larenz, 1973, 41; Burmeister, K., Das Studium der Rechte, 1974; Humanismus
und Naturrecht in Berlin-Brandenburg-Preußen, hg. v. Thieme, H., 1979; Troje,
H., Die europäische Rechtsliteratur unter dem Einfluss des Humanismus, Ius
commune 3 (1980), 33; Humanismus im Bildungswesen, hg. v. Reinhard, W., 1984;
Buck, A., Humanismus, 1988; Geschichte der Universität in Europa, hg. v. Rüegg,
W., Bd. 1ff. 1993ff.; Die Kultur des Humanismus, hg. v. Mout, N., 1998; Landau,
P., Methoden des kanonischen Rechtes in der frühen Neuzeit, ZNR 21 (1999), 7;
Hartmann, M., Humanismus und Quellenkritik – Matthias Flacius Illyricus, 2001;
Augustijn, C., Humanismus, 2003; Humanisme et Église en Italie et en France
méridionale, hg. v. Gilli, P., 2004; Kloosterhuis, E., Erasmusjünger als
politische Reformer, 2004; Humanisten am Oberrhein, hg. v. Lembke, S., 2004;
Verfasserlexikon Deutscher Humanismus 1480-1520, hg. v. Worstbrock, G., Bd. 1f.
2005ff.; Funktionen des Humanismus, hg. v. Maissen, T. u. a., 2006; Genese und
Profil des europäischen Humanismus im 18. Jahrhundert, hg. v. Vöhler, M. u. a.,
2009
Humboldt,
Wilhelm von (Potsdam 22. 6. 1767-Tegel 8. 4. 1835) wird nach dem Studium der
Rechtswissenschaft und der Altertumswissenschaft in Frankfurt an der Oder und
Göttingen und längeren privaten Studien Leiter des Unterrichtswesens in
Preußen, als der er das Bildungswesen aus dem Geist des idealistischen →Humanismus
erneuert (Elementarschule, Gymnasium, Universität). Zur Verwirklichung der
wichtigsten Ziele wird 1810 die Universität →Berlin (→Savigny)
gegründet, an der Einheit von Forschung und Lehre und Entfaltung von
Wissenschaft in Einsamkeit und Freiheit stattfinden sollen.
Lit.: Schaffstein, F., Wilhelm von Humboldt, 1952; Hübner,
U., Wilhelm von Humboldt und die Bildungspolitik, 1983; Sauter, C., Wilhelm von
Humboldt und die deutsche Aufklärung, 1989; Fröling, S./Reuss, A., Die
Humboldts, 1999; Humboldt International, hg. v. Schwinges, R., 2001;
Schalenberg, M., Humboldt auf Reisen?, 2002; Humboldt, W. v., Werke in fünf
Büchern, hg. v. Flitner, A. u. a., 2002; Spitta, D., Die Staatsidee Wilhelm von
Humboldts, 2004; Petersen, J., Wilhelm von Humboldts Rechtsphilosophie, 2. A.
2007; Langewiesche, D., Die Humboldtsche Universität als nationaler Mythos,
HZ 290 (2010), 1
Hume, David
(Edinburgh 7. 5. 1711-25. 8. 1776) (aus niederem Adel) wird nach dem Studium
von Rechtswissenschaft, Philosophie und Literatur (in Edinburgh)
Privatgelehrter (A Treatise on Human Nature 1739), Diplomat, Historiker und
Philosoph. Nach ihm wirkt der Mensch auf der Grundlage von allgemein
anerkannten Regeln (Eigentum, Vertragstreue) zusammen, weil der einzelne Mensch
wegen der knappen Güter allein nicht lebensfähig ist. Staatszweck ist der
Schutz der Interessen der Bürger. Der Staat, der Eigentum und Freiheit sichert,
ist der verhältnismäßig beste. H. beeinflusst Smith, Kant, Bentham und Mill mit
seinen Vorstellungen unmittelbar.
Lit.: Jäger, W., Politische Partei und parlamentarische
Opposition, 1971; Kulenkampff, J., David Hume, 2. A. 2003; Streminger, G.,
David Hume, 1994; Vernunft und Leidenschaft, hg. v. Doering, D., 2003;
Szczekalla, M., David Hume, 2003
Hundertschaft (lat. [F.] centuria) ist im altrömischen Recht die militärische Einheit,
die von den 10 Kurien einer Tribus zu stellen ist. Ob sie auch eine germanische
Verwaltungseinheit darstellt, erscheint fraglich. Im Mittelalter wird an
verschiedenen Stellen ein (ahd.) huntari oder eine hundred erwähnt
(Mittelrhein, Niederrhein, Hessen, Franken, obere Donau, Friesland, Schweden,
England), deren Herkunft und Zusammenhang nicht zweifelsfrei erwiesen sind. In
der Gegenwart wird H. eine Verwaltungseinheit der Polizei (Bereitschaftspolizei,
Bundesgrenzpolizei) genannt.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 3 III; Kroeschell, DRG
1; Köbler, DRG 69; Schwerin, C. v., Die altgermanische Hundertschaft, 1907;
Rietschel, S., Untersuchungen zur Geschichte der germanischen Hundertschaft,
ZRG GA 28 (1907), 342; Schwerin, C. Frhr. v., Zur Hundertschaftsfrage, ZRG GA
29 (1908), 261; Rietschel, S., Zur Hundertschaftsfrage, ZRG GA 30 (1909), 193;
Mayer, E., Hundertschaft und Zehntschaft nach niederdeutschen Rechten, 1916;
Mayer, E., Die Hundertschaft, insbesondere nach ostniederländischem Recht, ZRG
GA 46 (1926), 290; Leiß, L., Der Hundertschaftsrichter in bayerischen
Ortsnamen, ZRG GA 53 (1933), 277; Andersson, T., Die schwedischen Bezirksbezeichnungen
hund und hundare, Frühmittelalterliche Studien 13 (1979), 88; Wirth, G., A
Hila, 1998
Hunne ist der Angehörige des aus Asien kommenden,
375 die Völkerwanderung germanischer Stämme in das römische Reich auslösenden,
bald danach wieder verschwindenden Volkes.
Lit.: Attila und die Hunnen, 2007;
Schmauder, M., Attila und die Hunnen, 2009
Hure ist die käufliche Frau. →Prostitution
Lit.: Von Huren und Rabenmüttern,
hg. v. Ulbricht, O., 1995
Hus,
Johannes bzw. Jan (um 1370-6. Juli 1415), Magister, in Konstanz als Ketzer
verbrannt, Anhänger (Hussiten) haben bis 1436 maßgeblichen Einfluss unter den
Landständen Böhmens und Mährens, im 19. Jh. Symbolfigur des tschechischen
Nationalismus
Lit.: Smahel, F., Husitská revoluce, 2. A. 1995f.; Jan Hus,
hg. v. Seibt, F., 1997; Hilsch, P., Johannes Hus (um 1370-1415). Prediger
Gottes und Ketzer, 1999; Jan Hus, hg. v. Drda, M. u. a., 1999; Smahel, F., Die
hussitische Revolution, 2002;Krzenck, T., Johannes Hus, 2011; Soukup, P., Jan Hus, 2013
Hut (M.)
ist im älteren Recht ein Rechtssymbol (z. B. Hut des Landvogts Gessler bei
Wilhelm Tell).
Lit.: Schwerin, C. Frhr. v., Rechtsarchäologie, 1943, 36;
Hadwich, R., Die rechtssymbolische Bedeutung von Hut und Krone, 1952
Hygiene
Lit.: Hygiene in preußischen
Schulvorschriften, hg. v. Apel, H. u. a., 1986
Hypothek (1563, Hypothekenbrief 1823, Hypothekenbuch 1695) ist die Belastung eines Grundstücks oder eines Miteigentumsanteils
an einem Grundstück in der Weise, dass an den (Hypothekengläubiger), zu dessen
Gunsten die Belastung erfolgt bzw. besteht, (trotz fehlenden Besitzes) eine
bestimmte Geldsumme zur Befriedigung wegen einer ihm zustehenden Forderung aus
dem Grundstück zu zahlen ist. Im römischen Recht ist bereits in der klassischen
Zeit (→Iulianus) unter dem Einfluss östlicher Provinzialpraxis (lat.
[F.]) hypotheca („Unterpfand“) ein Name für das besitzlose, beim Schuldner
verbleibende →Pfand (z. B. Inventarstücke eines Gutes zur Sicherung einer
Forderung), von dem die griechische hypothéke (Unterlage) als ein Verhältnis
reiner Sachhaftung zu unterscheiden ist. Dieses Pfandrecht kann an einzelnen
Sachen oder Forderungen oder am ganzen Vermögen (Generalhypothek) bestellt
werden. Mehrfache Verpfändung ist möglich, wobei der Prioritätsgrundsatz
durchbrochen werden kann. Im Gegensatz zum römischen Recht entwickelt sich im
deutschen Recht ein besonderes Grundpfand im Unterschied zum allgemeinen Pfand
(an beweglichen Sachen). Mit der Aufnahme des römischen Rechtes seit dem
Spätmittelalter bleibt an vielen Orten das bisherige Grundpfandrecht bestehen.
An anderen wird das geltende Recht römischrechtlich abgeändert und eine
Generalhypothek am gesamten Vermögen anerkannt. Verschiedentlich wird dem
öffentlichen Pfand der Vorrang vor formlosen Pfandrechten gewährt. Teils auf
Grund von Gesetzen (Legalhypothek), teils auf Grund Gewohnheitsrechts wird ohne
Vereinbarung eine (lat.) hypotheca (F.) tacita (z. B. des Fiskus, des Bestandgebers,
des Mündels, der Ehefrau) anerkannt. Seit dem ausgehenden 17. Jh. werden aber zur
Sicherung des dadurch gefährdeten Kreditverkehrs Hypothekenbücher eingeführt,
welche die Öffentlichkeit gewährleisten und die stillschweigende H. ebenso
ausschließen wie die Generalhypothek. Im 19. Jh. wird das →Hypothekenbuch
zum →Grundbuch erweitert (Preußen 1872, Österreich 1871). Im deutschen
Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) ist die H. nur eines von insgesamt drei Grundpfandrechten.
Lit.: Kaser § 31 III; Hübner; Köbler, DRG 163, 213, 240;
Egger, A., Vermögenshaftung und Hypothek nach fränkischen Recht, 1903; Cohen,
A., Die Verschuldung des bäuerlichen Grundbesitzes in Bayern, 1906; Herman, A.,
Het karakter van ons hypotheekrecht, 1914; Planitz, H., Das deutsche
Grundpfandrecht, 1936; Pos, A. van der, Hypotheek op roerend grond, 1970; Stolleis,
M., Das bayerische Hypothekengesetz von 1822 (in) Wissenschaft und Kodifikation
3 (1976), 240; Coing, H., Europäisches Privatrecht, Bd. 1f. 1985ff.; Marzi, L.,
Das Recht der Pfandbriefe und Hypothekenbanken, 2002; Köbler, U., Werden,
Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Hypothekenbuch ist das seit dem ausgehenden 17. Jh. eingerichtete Buch zur
Sicherung des Grundpfandverkehrs (Berlin 1693, Preußen 1722, Hypothekenordnung
1783). →Hypothek
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG
163; Strippel, K., Die Währschafts- und Hypothekenbücher Kurhessens, 1914
Hypothekenordnung (Preußen 1722, 1783, Bayern 1822, Württemberg 1825, Sachsen
1843)
Lit.: Köbler, DRG 141; Bornhak, C., Preußische Staats- und
Rechtsgeschichte, 1903
I
Iavolenus Priscus
(C. Octavius Tidius Tossianus L. Iavolenus Priscus) (um 100 n. Chr.) ist der
als besoldeter Staatsbeamter aufgestiegene römische Rechtskundige der →Sabinianer,
von dem drei Bearbeitungen der Werke älterer Rechtskundiger und ein in 14
Bücher gegliedertes Sammelwerk praktischer Rechtsfälle (lat. [F.Pl.]
epistulae, Briefe) bekannt sind.
Lit.: Söllner §§ 11, 16; Köbler, DRG 30; Eckardt, B.,
Iavoleni Epistulae, 1978; Manthe, U., Die libri ex Cassio des Iavolenus
Priscus, 1982
Ibn Hazm
(994-1064), Sohn eines hohen arabischen Amtsträgers in Cordoba (Spanien), ist
der bedeutendste Vertreter der Rechtsschule Zahiriya. Für ihn ist Recht ein
religiöses Gebot, das es dem Menschen ermöglicht, Gottes Willen zu erfüllen.
Lit.: Juristen, hg. v. Stolleis, M.,
1995, 110
Idealismus ist
die philosophische Strömung, die alle Dinge auf einen geistigen (ideellen)
Ursprung zurückführt. Der I. steht im Gegensatz zum →Materialismus.
Bekanntester Vertreter des I. im Altertum ist Platon (428/427-348/347 v. Chr.),
bedeutendste deutsche Vertreter des I. →Kant (1724-1804), von dem →Savigny
beeinflusst wird, und →Hegel (1770-1831).
Lit.: Köbler, DRG 178; Metzger, W., Gesellschaft, Recht und
Staat in der Ethik des deutschen Idealismus, 1917, Neudruck 1966; Rückert, J.,
Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, 1984;
Exemplaris imago - IDeale in Mittelalter und Neuzeit, 2012
Ideengeschichte
Lit.: Ideengeschichte, hg. v. Stollberg-Rilinger, B., 2010
Ideologie ist
die Gesamtheit der einer bestimmten Gruppe von Menschen zugeordneten Denkweisen
und Wertvorstellungen. Sie wirkt sich besonders im 20. Jh. auf das Recht aus.
Sowohl im →Nationalsozialismus wie auch im →Sozialismus (und
anderen Ideologien) ist das Recht nur ein Mittel zur Durchsetzung der I.
Lit.: Köbler, DRG 226; Ideologie und Herrschaft in der
Antike, 1979; Ideologie und Herrschaft im Mittelalter, hg. v. Kerner, M., 1982;
Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3 1982, 131; Rüthers, B., Die Wende-Experten,
2. A. 1995; Choe, H., Ideologie, 1997; Schreckenberg, H., Ideologie und Alltag
im Dritten Reich, 2003
Iglau in
Südmähren wird nach der Entdeckung von Silber (um 1240) als Stadt um 1245 von
deutschen Bergleuten gegründet. Sein →Bergrecht (1249/1280) wird vielfach
andernorts übernommen.
Lit.: Tomaschek, J., Der Oberhof Iglau in Mähren und seine
Schöffensprüche, 1868; Zycha, A., Das böhmische Bergrecht, 1900; Kresadlo, K.,
Jihlava, 1986
Ihering (Jhering),
Rudolf von (Aurich 22. 8. 1818-Göttingen 17. 9. 1892), aus einer
Juristenfamilie (Vater Notar und Abgeordneter der Ständekammer Hannover, †
1825), wird nach dem Rechtsstudium in Heidelberg (1836), Göttingen, München und
Berlin (Puchta), der Promotion (Berlin 1842) und der Habilitation in Berlin
(1843, Homeyer) Professor in Basel (1845), Rostock (1846), Kiel (1849), Gießen
(1852), Wien (1868) und Göttingen (1872). Zunächst folgt er bis 1858/1859 →Puchta
und erklärt das (römische) Recht aus seiner inneren Vernünftigkeit. Der
Rechtswissenschaft schreibt er die Aufgabe zu, nach Auflösung (Analyse) der
komplexen Rechtsverhältnisse in einfache Elemente durch deren Kombination neue
Rechtsbegriffe zu erzeugen (Der Geist des römischen Rechtes auf den
verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Bd. 1f. 1852ff., unvollendet) und
damit letzlich das überkommene Recht der agrarischen Welt für die industrielle
Welt zu modernisieren. Während der Arbeit an diesen Überlegungen wendet sich I.
unter dem Eindruck der naturwissenschaftlichen Fortschritte seiner Zeit der
soziologischen Betrachtung des Rechtes zu und befasst sich mit dem Zweck im
Recht (1877f., unvollendet). Zu einer zukunftweisenden brauchbaren Methodenlehre
gelangt er dabei nicht, wenngleich er die →Interessenjurisprudenz
anregt. Dogmatisch gelingt ihm die Festigung der Unterscheidung von
Rechtswidrigkeit und Schuld (1867) sowie die Entdeckung der →culpa in contrahendo.
Beachtliche Breitenwirkung erlangen die Bücher Der Kampf ums Recht (1872, 20.
A. 1921, veranlasst durch die Kündigung eines Dienstvertrags seitens einer
Köchin) sowie Scherz und Ernst in der Jurisprudenz (1884, 13. A. 1924, Neudruck
1988).
Lit.: Köbler, DRG 189; Ist die Jurisprudenz eine
Wissenschaft? (Wiener Antrittsvorlesung vom 16. Oktober 1868), hg. v. Behrends,
O., 1998; Der Kampf ums Recht, 1872, 8. A. bearb. v. Hollerbach, A., 2003, http://www.koeblergerhard.de/Fontes/JheringDerKampfumsRecht.htm;
Scherz und Ernst in der Jurisprudenz, 1884, hg. v. Leitner, M., 2009; Lange,
H., Die Wandlungen Iherings, 1927; Wieacker, F., Rudolf von Jhering, ZRG RA 86
(1969), 1; Jherings Erbe, hg. v. Wieacker, F. u. a., 1970; Pleister, W.,
Persönlichkeit, Wille und Freiheit im Werk Jherings, 1982; Der Briefwechsel
zwischen Ihering und Gerber, hg. v. Losano, M., 1984; Choe, B., Culpa in
contrahendo bei Rudolf von Jhering, 1988; Iherings Briefe an Windscheid, hg. v.
Kroeschell, K., 1988; Klemann, B., Rudolf von Jhering und die historische
Rechtsschule, 1989; Rudolf von Ihering, hg. v. Behrends, O., 1992, 2. A. 1993;
Privatrecht heute und Jherings evolutionäres Rechtsdenken, hg. v. Behrends, O.,
1993; Der Kampf ums Recht, hg. v. Luf, G. u. a., 1995; Iherings Rechtsdenken,
hg. v. Behrends, O., 1996; Der Briefwechsel Iherings mit Unger und Glaser, hg.
v. Losano, M., 1996; Rudolf von Ihering, Ist die Jurisprudenz eine
Wissenschaft?, hg. v. Behrends, O., 1999; Mecke, C., Rudolf von Jhering anonym
publizierte Frühschriften, 2010; Seinecke, R., Rudolf von Jhering anno 1858,
ZRG GA 130 (2013), 238
Illegitimität (F.) →Unehelichkeit
Lit.:
Harms-Ziegler, B., Illegitimität und Ehe, 1991
Illyrien ist das nach dem indogermanischen Volk der Illyrer (u. a. Messapier und
zahlreiche andere Einzelvölker) benannte Gebiet im Südosten und Nordwesten der
Adria. Zwischen dem 5. bzw. 3. und dem 2. Jh. v. Chr. gerät es unter die
Herrschafts Roms. Gaius Julius Caesar trennt es von Makedonien als eigene
Provinz. Am Anfang des 6. Jh.s lassen sich im Norden Goten und ab etwa 580
Slawen nieder. Von 1767 bis 1777 werden Kroatien, Slawonien und Dalmatien Illyrien
genannt. 1809 sind Osttirol, Westkärnten, Krain, Küstenland, Kroatien,
Dalmatien und Ragusa bzw. Dubrovnik Teil der illyrischen Provinzen Frankreichs.
Von 1814 bis 1849 besteht in Österreich ein ungefähr entsprechendes Königreich
Illyrien, das in den Kronländern Kärnten, Krain und Küstenland aufgeht.
Lit.:
Napoleon und seine Zeit, hg. v. Fräss-Ehrfeld, C., 2009
Imbreviatur ist
die durch Abkürzungen gekennzeichnete Aufzeichnung eines rechtlichen Vorgangs
durch einen →Notar (Urschrift). Im Gegensatz zum bloßen Entwurf enthält
die I. den endgültigen vollständigen Urkundentext unter Verwendung notarieller
Abkürzungen (Imbreviaturen). Bereits im 12. Jh. sammeln Notare in Italien ihre
Imbreviaturen in Imbreviaturbüchern (ältestes erhaltenes Fragment Genua 1154).
Im 14. Jh. wird dies allgemein üblich.
Lit.: Voltelini, H. v., Die Südtiroler
Notariatsimbreviaturen, Teil 1f. 1899ff.; Kern, F., Dorsualkonzept und
Imbreviatur, 1906; Dolezalek, G., Das Imbreviaturbuch des erzbischöflichen
Gerichtsnotars Hubaldus von Pisa, 1969; Notariado público, 1989
Imbreviaturbuch →Imbreviatur
Immaterialgüterrecht ist das Recht der unkörperlichen, geistigen Rechtsgüter. Es
gewinnt erst im Laufe der Neuzeit an Bedeutung. Seine bekannteste Ausprägung
ist das →Urheberrecht.
Lit.: Klippel, D., Historische Wurzeln und Funktionen, ZNR
1982, 132
immediat (Adj,) unmittelbar →Mediatisierung
Immerwährender Reichstag
ist der seit 1663 als ständiger Gesandtenkongress in Regensburg tagende →Reichstag.
Immission (lat.
[F.] immissio) ist die Zuführung unwägbarer Stoffe (auf ein Grundstück). Bereits
im römischen Recht muss der Eigentümer eines Grundstücks das Eindringen von
Rauch, Wasser und dergleichen auf das Grundstück dulden, wenn es das übliche
Maß nicht überschreitet. Andernfalls stehen ihm Abwehransprüche zu. Das
Mittelalter kennt nur einzelne entsprechende Sätze. Als Folge der
Industrialisierung bilden die Immissionen eine wichtige Abgrenzungsfrage
zwischen dem Freiheitsstreben der Industrie und dem Schutz der Betroffenen, zu
der sich der preußische Gesetzgeber (außer im Allgemeinen Landrecht von 1794
zivilrechtlich) in der Allgemeinen preußischen Gewerbeordnung von 1845 und das
preußische Obertribunal durch Beschluss vom 7. 6. 1852 weiterführend äußern. §
906 BGB nimmt das auf dieser Grundlage geschaffene Recht auf (Unwesentlichkeit,
Üblichkeit). In der Gegenwart gilt in Deutschland daneben ein besonderes
Bundesimmissionsschutzgesetz (vom 15. 3. 1974), das die Genehmigungsbedürftigkeit
bestimmter Anlagen vorsieht. Rechtmäßig genehmigte Anlagen sind zu dulden,
doch kann ein Schadensersatzanspruch in Betracht kommen.
Lit.: Kaser § 23 III 4; Kroeschell, DRG 3; Rohde, J., Das
Recht der genehmigungsbedürftigen Anlagen im Gewerbe- und Immissionsschutzrecht
von 1810, 2000; Seyed-Mahdavi Ruiz, S., Die rechtlichen Regelungen der Immissionen
im römischen Recht und in ausgewählten europäischen Rechtsordnungen, 2000;
Lies-Benachib, G., Immissionsschutz im 19. Jahrhundert, 2002; Koch, N., Die
Entwicklung des deutschen privaten Immissionsschutzrechts seit Beginn der
Industrialisierung, 2004; Staats, C., Die Entstehung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 15. März 1974, 2009
immobil (Adj.)
unbeweglich
Immobiliarprozess ist der Prozess um Immobilien (unbewegliche Sachen,
Grundstücke).
Lit.: Hübner, R., Der Immobiliarprozess der fränkischen
Zeit, 1893
Immobiliarrecht ist das besondere Recht der Grundstücke (Liegenschaften),
wie es sich im deutschen Recht entwickelt.
Lit.: Hübner, R., Der Immobiliarprozess der fränkischen
Zeit, 1893; Meyer, F., Zur Geschichte des Immobiliarrechts der deutschen
Schweiz im 13. bis 15. Jahrhundert, 1921; Buchholz, S., Abstraktionsprinzip und
Immobiliarrecht, 1978; Buchholz, S., Die Quellen des deutschen Immobiliarrechts
im 19. Jahrhundert, Ius commune 7 (1978), 250
Immunität ist
die Freiheit von einem Eingriff oder einer Einwirkung. Im Frühmittelalter ist
I. die Freiheit einer besonders ausgenommenen →Grundherrschaft von königlicher
Gewalt. Sie geht auf die spätrömische (lat. [F.]) →emunitas zurück, die
Freiheit der kirchlichen, vielleicht auch der kaiserlichen Güter von
öffentlichen Lasten bedeutet. Im 6./7. Jh. erweitert sich die I. dahin, dass der
(Graf als der) örtliche Gewalthaber (kraft königlichen Privilegs für den
Grundherrn) im Immunitätsgebiet ausgeschlossen wird und deshalb keine Verhöre
durchführen, keine Abgaben einziehen, keine Geiseln wegführen und schließlich
das Immunitätsgebiet überhaupt nicht mehr betreten darf. Seine Aufgaben nehmen
die weltlichen und geistlichen Großen (Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte) als
Immunitätsberechtigte selbst (oder durch Vögte) wahr. Spätestens Otto I.
gleicht diese Art der Beseitigung des Einflusses der weltlichen Gewalt auf die
immunitätsbegabte Kirche dadurch aus, dass er selbst durch Einsetzen der
Immunitätsberechtigten (Erzbischöfe u.
s. w.) unmittelbare Herrschaft über die zunehmend zu geschlossenen Bezirken
werdenden Immunitätsgebiete gewinnt (ottonisches bzw. ottonisch-salisches →Reichskirchensystem).
Nach dem hierdurch hervorgerufenen →Investiturstreit (1075-1122) gehen
die bedeutenden Immunitäten in den Landesherrschaften (geistlichen Fürstentümern)
auf. In der Gegenwart genießt der Abgeordnete parlamentarische I. im Sinne
eines Schutzes vor bestimmten Maßnahmen, die sich gegen sein Verhalten
außerhalb des Parlaments richten (Frankreich 1799, 1814).
Lit.: Köbler, DRG 85; Stengel, E.,
Grundherrschaft und Immunität, ZRG GA 25 (1904), 286; Dopsch, A., Steuerpflicht
und Immunität im Herzogtum Österreich, ZRG GA 26 (1905), 1; Voltelini, H.
v., Immunität, grundherrliche und leibherrliche Gerichtsbarkeit in Südtirol,
Archiv f. österreichische Geschichte 94 (1907), 311; Kroell, M., L’immunité
franque, 1910; Stengel, E., Die Immunität, 1910, Neudruck 1964; Hirsch, H., Die
Klosterimmunität seit dem Investiturstreit, 1913, 2. A. 1967; Kühn, G., Die
Immunität der Abtei Groß-St. Martin zu Köln, 1913; Zatschek, H., Beiträge zur
Diplomatik der mährischen Immunitätsurkunden, 1931; Heidrich, I., Die
Verbindung von Schutz und Immunität, ZRG GA 90 (1973), 10; Pfaff, V., Die
päpstlichen Klosterexemtionen in Italien, ZRG KA 72 (1986), 76; Frey, L./Frey,
M., The History of Diplomatic Immunity, 1999; Immunität und Landesherrschaft,
hg. v. Kappelhoff, B. u. a., 2002; Rau, J., Der Fall Friedrich List, 2010;
Bachrach, D., Immunities as Tools of Royal Military Policy under dthe
Carolingian and Ottonian Kings, ZRG GA 130 (2013), 1
Immunitätsprivileg →Immunität
Impeachment ist
vor allem ein seit 1376 angewendetes Strafverfahren im englischen Recht, bei
dem das →House of Commons anklagt und das House of Lords entscheidet (z.
B. 1386 gegen den englischen Kanzler).
Lit.: Plucknett, T., Studies in English Legal History, 1983
impedimentum (lat. [N.]) Hindernis (z. B. Ehehindernis)
imperator (lat.
[M.]) Kaiser
Lit.: Söllner § 14; Köbler, LAW; Mc Fayden, D., The History
of the Title I., 1920; Kienast, D., Imperator, ZRG RA 78 (1961), 403
Imperialismus ist die auf Gewinnung eines Imperiums durch Eroberung und Ausdehnung
gerichtete Zielsetzung des Staates seit dem 17., insbesondere seit dem 19. Jh.
Lit.: Wehler, H., Bismarck und der Imperialismus, 1969;
Imperialismus und Kolonialismus, hg. v. Bade, K., 1983; Schöllgen, G., Das
Zeitalter des Imperialismus, 1986, 3. A. 1994, 5. A. 2009; Cain, J./Hopkins,
A., British Imperialism, 1993; Fröhlich, M., Imperialismus, 1994; Petersson,
N., Imperialismus und Modernisierung, 2000; Berke, A., Imperialismus und
nationale Identität, 2003; Pogge von Strandmann, H., Imperialismus vom grünen
Tisch, 2009; Imperialkriege von 1500 bis heute, hg. v. Bührer, T. u. a., 2011
Imperium (lat.
[N.]) ist im altrömischen Recht die unbeschränkte Amtsgewalt der Konsuln
(später auch der Statthalter von Provinzen), zu der auch die Zuchtgewalt zählt,
sowie das Gebiet, in dem sie ausgeübt wird. Nach dem (lat.) imperium (N.)
Romanum versteht sich auch die weltliche Herrschaft im Mittelalter als ein i.
Ihm tritt das (lat. [N.]) sacerdotium des Papstes gegenüber. Mit dem Beginn der
Neuzeit nimmt (lat. [F.]) potestas (Gewalt, Hoheitsgewalt) den Platz von i.
ein, das seinerseits als Weltreich verstanden wird.
Lit.: Söllner §§ 6, 9, 14, 15; Köbler, DRG 18; Köbler, LAW;
Kornemann, E., Doppelprinzipat und Reichsteilung im imperium Romanum, 1930; Stengel,
E., Regnum und imperium, 1930; Heuß, A., Zur Entwicklung des imperiums des
römischen Oberbeamten, ZRG RA 64 (1944), 57; Dempf, A., Sacrum imperium, 2. A.
1954; Nörr, D., Imperium und Polis in der hohen Prinzipatszeit, 2. A. 1969;
Thomas, H., Zwischen regnum und imperium, 1973; Papst, A., Divisio regni, 1986
Imperium (N.) merum et mixtum (lat.) ist nach einer Unterscheidung des römischen Rechtskundigen
Ulpian (170?-223) die oberste Staatsgewalt und die oberste Gewalt der
Zivilrechtspflege. Seit dem 12. Jh. erscheint die hierauf gegründete Einteilung
der Gerichtsbarkeit in die Gerichtsbarkeit über Leben, Freiheit und
Bürgerrecht und die übrige Gerichtsbarkeit im deutschen Reich. Seit dem 14. Jh.
wird das i. m. e. m. als Grundlage aller Hoheitsrechte verstanden, danach als
Landeshoheit.
Lit.: Hirsch, H., Die Klosterimmunität seit dem
Investiturstreit, 1913
imperium (N.) Romanum (lat.) Römisches Reich
implantatio (lat. [F.]) Einpflanzung, Verbindung
Impossibilium nulla est obligatio (lat.). Zu Unmöglichem gibt es keine Verpflichtung (z. B.
bewirkt Fehlen eines Kaufgegenstands Nichtigkeit des Kaufvertrags).
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Celsus, um 70-um 140 n. Chr., Digesten 50, 17, 185); Wollschläger, C., Die Entstehung
der Unmöglichkeitslehre, 1970
Impubes (lat.
[M.]) ist im römischen Recht der Unmündige (Gesclelchtsunreife). Ist er (lat.)
infantia maior (älter als 7), kann er, gegebenenfalls mit Zustimmung des Vormunds
(lat. [M.] tutor), ein Rechtsgeschäft vornehmen. Mit dem Eintritt der
Geschlechtsreife (lat. [F.] pubertas) wird der i. ursprünglich vollständig
geschäftsfähig und deliktsfähig. Die Mündigkeit wird bei Knaben (durch die
Prokulianer) auf 14, bei Mädchen auf 12 festgelegt. Allerdings besteht (wohl
schon seit der Lex Laetoria von etwa 200 v. Chr.) bis zur Vollendung des 25.
Lebensjahrs ein besonderer Schutz bei Rechtsgeschäften.
Lit.: Kaser § 14 II, 62 I, 82 II;
Köbler, DRG 21
Imputation ist
die von →Pufendorf (1632-1694) aus der Theologie in das Strafrecht
übernommene Zurechnung einer Handlung und eines Erfolgs zu einem Menschen. Ihre
Möglichkeit beruht auf der Freiheit und der Normbezogenheit menschlichen
Handelns. Ermittelt werden die Voraussetzungen, die für Bestrafung bestehen. →Feuerbach
(1755-1833) unterscheidet demgegenüber die abstrakte I. des Gesetzgebers bei
der Festlegung des strafbaren Verhaltens und der Strafe im Strafbestand und die
konkrete I. des Richters bei Bestimmung der Strafe im einzelnen Fall. Wenig
später wird die I. auf die Handlung beschränkt. Erhalten geblieben ist der
Begriff der Zurechnungsfähigkeit.
Lit.: Berner, A., Grundlinien der criminalistischen
Imputationslehre, 1843; Welzel, H., Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs,
1958; Genka, T., Zur textlichen Grundlage der Imputationslehre Gratians, BMCL
25 (2002/2003), 40
In bonis
(lat. im Vermögen) sein bzw. haben ist im klassischen römischen Recht eine
Bezeichnung für den Schutz durch den Prätor gegen einen Dritten. Wer eine
handgreifbare Sache (lat. [F.] res mancipi) ohne den Formalakt der →Manzipation
erhält und i. b. hat, (erwirbt zwar nicht ziviles Eigentum, das bei dem
Veräußerer verbleibt,) erlangt (aber) prätorisches bzw. bonitarisches Eigentum
bzw. Schutz durch den Prätor. Im spätantiken römischen Recht wird die
Unterscheidung zwischen zivilem Eigentum und prätorischem Eigentum beseitigt.
Lit.: Kaser §§ 22ff.; Söllner § 9; Ankum, H. u. a., Die
verschiedenen Bedeutungen des Ausdrucks in bonis alicuius esse, ZRG RA 107
(1990), 155
in dorso
(lat.) auf dem Rücken, →Indossament
In dubio pro reo ist der bereits im klassischen römischen Recht im Ansatz
bekannte Satz, dass ein Angeschuldigter im Zweifel freizusprechen ist. In der
Neuzeit formuliert Stübel 1811 in Anschluss an Justinians →Digesten 42,
1, 38 den Satz neu. Demnach gilt der Angeklagte bis zum Nachweis der Schuld als
unschuldig, weil im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden ist (vgl. Art. 6
II der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte 1950). In der
Verfahrenswirklichkeit setzt sich der Satz aber erst allmählich durch.
Lit.: Köbler, DRG 35, 203; Liebs, D., Lateinische
Rechtsregeln, 7. A. 2007 (Bossius 1562, vgl. Digesten 50, 17, 125 Gaius um
120-um 180, Aristoteles); Moser, K., In dubio pro reo, Diss. jur. München 1933;
Wenig, G., In dubio pro reo, Diss. jur. Tübingen 1946; Holtappels, P., Die
Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes „in dubio pro reo“, 1965
In integrum restitutio (F.) (lat.) ist im römischen Recht in verschiedenen Fällen
(z. B. Zwang) die vom Prätor gewährte →Wiedereinsetzung in den früheren
Stand, mit der die eingetretenen Wirkungen des Geschäfts durch besondere Klagen
wieder beseitigt werden sollen. Eine vom Richter durchgeführte i. i. r. bewirkt
die (lat.) →actio (F.) quod metus causa, die den bestraft, der die Wiedergutmachung
verweigert.
Lit.: Kaser § 8 IV
in iure (lat.) vor (dem) Gericht(smagistrat)
In iure cessio (F.) (lat.) ist die im römischen Recht als Umgehung schwerfälliger
Formalakte im Wege eines Scheinverfahrens mögliche Übertragung, Abtretung oder
Aufhebung bestimmter Rechte auf der Gerichtsstätte.
Lit.: Kaser § 7 II; Söllner §§ 8, 9, 18; Köbler, DRG 21,
25, 40
In ius vocatio (lat. [F.]) ist die Rufung bzw. Ladung des Gegners in das Gericht,
welcher der Gegner im altrömischen Recht der Zwölftafeln sofort zu folgen hat.
inaedificatio (lat. [F.]) Einbau
Inama-Sternegg,
Karl Theodor von (Augsburg 20. 1. 1843-Innsbruck 28. 11. 1908) wird nach dem
Studium von Geschichte, Recht und Staatswissenschaft in München 1868 außerordentlicher
Professor und 1871 ordentlicher Professor in Innsbruck, 1880 in Prag und 1881
in Wien. Seine Deutsche Wirtschaftsgeschichte (1878ff.) ist die erste
unmittelbar aus den Quellen erarbeitete Gesamtdarstellung.
Inauguration (F.) Einführung
Lit.: Königshaus, J., Die Inauguration der Christian-Albrechts-Universität
zu Kiel 1665, 2002
incapacitas (lat. [F.]) Unfähigkeit
Incertum (lat.
[N.] Unbestimmtes) ist im römischen Recht die unbestimmte Leistung. Im
spätantiken Recht wird die Unterscheidung zwischen bestimmter Leistung und
unbestimmter Leistung gelockert.
Lit.: Kaser §§ 35 I, 37 I, 48 II
incipit (lat.)
es fängt an
Indebitum solutum
(lat. [N.]) ist im römischen Recht die nichtgeschuldete Leistung. Sie kann im
klassischen römischen Recht wohl wegen der Ähnlichkeit mit dem Darlehen mit der
besonderen Begehrensform der →Kondiktion zurückverlangt werden.
Lit.: Kaser § 48 II 2
Indemnität ist
die Befreiung des Abgeordneten von der gerichtlichen oder dienstlichen
Verfolgung wegen einer Abstimmung oder Äußerung im Parlament. Die früher auch
als →Immunität bezeichnete I. entsteht in England mit der →Bill of
Rights (1689). Im →Deutschen Bund erscheint sie seit 1818 (Bayern,
Württemberg 1819, Sachsen 1831, Preußen 1848).
Lit.: Huber, E., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789,
Bd. 3 1963, 348; Hilgendorf, E., Die Entwicklungsgeschichte der
parlamentarischen Redefreiheit, 1991
Index (M.)
librorum prohibitorum (lat.) ist der Anzeiger der (für Christen) verbotenen
Bücher (1557/1559/1564-1948/1966/1967).
Lit.: Becker, G., Deutsche Juristen und ihre Schriften auf
den römischen Indices des 16. Jahrhunderts, 1970; Eisenhardt, U., Strafe und
Strafzweck bei der Bestrafung von Autoren, Druckern und Händlern verbotener
Schriften, FS G. Bemmann, 1997, 36; Inquisition – Index – Zensur, hg. v. Wolf,
H., 2001; Wolf, H., Index, 2008; Römische Inquisition und Indexkongregation,
hg. v. Wolf, H., Bd. 1ff. 2009f.
Indien
Lit.: Kulke, H./Rothermund, D., A
History of India 1984, 5. A. 2010; Das, I., Staat und Religion in Indien, 2004:
Kulke, H., Indische Geschichte bis 1750, 2005; Mann, M., Geschichte Indiens.
Vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, 2005; Schoettli, U., Indien, 2009; Rothermund,
D., Indien, 2008; Lütt, J., Das moderne Indien 1498-2004, 2011; Mukherji, M.,
India in the Shadows of Empire, 2012; Sinha, C., Debating Patriarchy - The
Hindu Code Bill Controversy in India (1941-1956), 2012
Individuum (N.) Unteilbares, Einzelmensch
Lit.: Conrad, H., Individuum und
Gemeinschaft in der Privatrechtsordnung, (1956)
Indiz ist
eine Tatsache, aus deren Vorhandensein einleuchtenderweise auf das
Vorhandensein einer anderen Tatsache geschlossen werden kann. Das I. ist von
besonderer Bedeutung im Strafverfahrensrecht. Hier ist bei Fehlen besserer
Beweismöglichkeiten der Beweis mit Hilfe von Indizien (Indizienbeweis) möglich.
Nach der frühneuzeitlichen Indizienlehre etwa der →Constitutio Criminalis
Carolina von 1532 ist die →Folter nur zulässig bei Vorliegen bestimmter
Indizien (z. B. blutbefleckte Kleidung eines einer Bluttat Verdächtigen).
Lit.: Köbler, DRG 138, 156; Kusch, K., Der Indizienbeweis
des Vorsatzes, Diss. jur. Hamburg, 1963; Langbein, J., Torture and the Law of
Proof, 1976; Pöltl, R., Die Lehre vom Indizienbeweis, 1999; Michels, K., Der
Indizienbeweis, Diss. jur. Tübingen 2000
Indogermane ist
der Angehörige eines der zur indogermanischen Sprachenfamilie (keltisch,
italisch, germanisch, baltisch, slawisch, illyrisch, thrakisch, albanisch,
griechisch, phrygisch, hethitisch, armenisch, iranisch, indoarisch,
tocharisch, mit einer jeweils ältesten Überlieferung zwischen dem 14. Jh. v.
Chr. und dem 16. Jh. n. Chr.) gehörenden Einzelvölker. Wann und wo dieses
philologisch rekonstruierte Volk besteht, ist unklar (Mitteleuropa?,
Osteuropa?, um 2000 v. Chr.?, Entstehung in Anatolien vor 7800 bis 9800
Jahren?). Die Zahl seiner philologisch erschließbaren Rechtseinrichtungen
(Volk, Haus, Zeuge, Gast, Erbe) ist gering. Dem Indogermanischen könnte ein wenig
bekanntes Protoindogermanisch nördlich des Schwarzen Meeres um 3500 v. Chr.
vorangegangen sein.
Lit.: Söllner §§ 2, 4; Köbler, DRG 10, 13; Bopp, F.,
Vergleichende Grammatik des Sanskrit …, 1833; Schleicher, A., Compendium der
vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, 1861, 4. A. 1876; Delbrück,
B., Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen, 1889; Leist, B., Altarisches ius
gentium, 1889, Neudruck 1978; Brugmann, K., Grundriss der vergleichenden
Grammatik der indogermanischen Sprachen, 1893ff. Brunner, H., Eine bisher
unbekannte indogermanische Sprache, ZRG GA 29 (1908), 340 (tocharisch); Schulz,
W., Indogermanen und Germanen, 2. A. 1938; Pokorny, O., Indogermanisches
etymologisches Wörterbuch, 1959ff.; Schlerath, B., Die Indogermanen, 1972; Seebold,
E., Das System der indogermanischen Halbvoklae, 1972; Gamkrelidze, T./Ivanov, V.,
Indo-European and the Indo-Europeans, 1995; Schmitt-Brandt, J., Einführung in
die Indogermanistik, 1998; Köbler, G., Indogermanisch-neuhochdeutsches und
neuhochdeutsch-indogermanisches Wörterbuch, 3. A. 1999 (Internet); Greenberg,
J., Indo-European and its closest relatives, 2000; Fortson, B., Indo-European
language and culture, 2004; Anthony, D., The Horse, the Wheel and Language,
2007; Stüber, K. u. a., Indogermanische Frauennamen, 2009; Mayerhofer, M.,
Indogermanistik - über Darstellungen und Einführungen von den Anfängen bis in
die Gegenwart, 2009; Fritz, M., Der Dual im Indogermanischen, 2011; Kuryłowicz,
J. u. a., Indogermanische Grammatik, Bd. 4, 1 Komposition 2011
Indossament ist
eine regelmäßig auf der Rückseite (lat. in dorso, frz. en dos) eines →Wertpapiers
angebrachte Erklärung, durch die eine Person (Indossant) die Rechte aus einem →Orderpapier
auf eine andere Person (Indossatar) überträgt. Das erstmals in Pisa 1392
bezeugte I. erscheint häufiger zu Beginn des 17. Jh.s in Frankreich (etwa
gleichzeitig mit der zur selben Zeit in Süditalien aufgekommenen, vorderseitig
angebrachten girata). Seine Ursprünge sind ungeklärt.
Lit.: Köbler, DRG 167; Schaps, G., Zur Geschichte des
Wechselindossaments, 1892; Opitz, P., Der Funktionswandel des
Wechselindossaments, Diss. jur. Berlin 1967; Melis, F., Guida alla mostra
internazionale della banca, 1972
Industrie ist
die gewerbliche Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen. Die I. entsteht (in
einem vielfach als industrielle Revolution bezeichneten evolutionären Vorgang) nach
Änderungen in Handel, Wissenschaft, Landwirtschaft und Technik sowie wohl auch
Mentalität seit dem Ende des 18. Jh.s (1760?) in Großbritannien, wo Kohle und
Eisenerz leicht abbaubar und nahe beieinander verwertet werden können. Seit dem
frühen 19. Jh. folgen die deutschen Staaten (z. B. Sachsen) (1800-1830
leichtindustriell, 1830-1880 schwerindustriell, Durchbruchsphase 1845-1875,
1880-1914 Elektroindustrie, chemische Industrie, optische Industrie). Die
Industrialisierung bedeutet den raschen Übergang von der Landwirtschaft zur
arbeitsteiligen gewerblichen Wirtschaft. Eine wichtige Folge ist die
Entstehung des →Arbeitsvertrags.
Lit.: Köbler, DRG 175, 176; Geschichtliche Grundbegriffe,
Bd. 3 1982, 237; Quellen zur Geschichte der industriellen Revolution, hg. v.
Treue, W. u. a., 1966; Mauersberg, H., Deutsche Industrien im Zeitgeschehen
eines Jahrhunderts, 1966; Forsthoff, E., Der Staat in der Industriegesellschaft,
1971; Abel, W., Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland,
1972; Söllner, A., Der industrielle Arbeitsvertrag, (in) Studien zur
europäischen Rechtsgeschichte, 1972, 288; Industriegesellschaft und
Privatrechtsordnung, 1974; Sozialgeschichtliche Probleme in der Zeit der
Hochindustrialisierung, hg. v. Pohl, H., 1979; Schlosser, H., Folgen der Industrialisierung,
Quaderni Fiorentini 10 (1981), 403; Klassen, K., Mitverwaltung und
Mitverantwortung in der frühen Industrie, 1984; Henning, F., Wirtschafts- und
Sozialgeschichte, Bd. 2 6. A. 1984; Ruppert, W., Die Fabrik, 1987; Kiesewetter,
H., Industrialisierung und Landwirtschaft, 1988; Kiesewetter, H., Industrielle
Revolution, 1989; Studien zur Einwirkung der Industrialisierung auf das Recht,
hg. v. Coing, H., 1991; Hudson, P., The Industrial Revolution, 1992; Die Eisen-
und Stahlindustrie im Dortmunder Raum, hg. v. Dascher, O. u. a., 1992;
Buchheim, C., Industrielle Revolutionen, 1994; Hahn, H., Die industrielle
Revolution, 1998, 2. A. 2005, 3. 2011; Gestwa, K., Proto-Industrialisierung in
Russland, 1999; Marsch, U., Industrieforschung in Deutschland und
Großbritannien, 1999, Bührer, W., Der Bundesverband der Deutschen Industrie,
1999; Marsch, U., Industrieforschung, 1999; Krämer, J., Industrialisierung und
Feiertage, 1999; Kiesewetter, H., Region und Industrie in Europa 1815-1995,
2000; Gall, L., Krupp, 2000; Gorißen, S., Vom Handelshaus zum Unternehmen,
2002; Butschek, F., Europa und die industrielle Revolution, 2002; Lenger, F.,
Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung, 2003; Kiesewetter, H.,
Industrielle Revolution in Deutschland, 2004; Condrau, F., Die
Industrialisierung in Deutschland, 2005; Ziegler, D., Die industrielle
Revolution, 2005, 2. A. 2009, 3. A. 2011; Vec, M., Recht und Normierung in der
industriellen Revolution, 2006; Butschek, F., Industrialisierung, 2006;
Kiesewetter, H., Die Industrialisierung Sachsens, 2006; Risques et prises de
risques dans les sociétés industrielles, hg. v. Varaschin, D., 2007; Gehlen,
B., Paul Silverberg (1876-1959) 2007; Liedtke, R., Die industrielle Revolution,
2010; James, H., Krupp, 2011; Das Recht der industriellen Revolution, hg. v.
Maetschke, M. u. a., 2013
Industriekammer ist
die politische Vertretung der Interessen der Unternehmen der Industrie. Sie
entsteht im 19. Jh. nach dem Vorbild der Handelskammer.
Lit.: Bibliographie zur Geschichte und Organisation der
Industrie- und Handelskammern, hg. v. Ernst, S., 1986; Kaltenhäuser, K.,
Möglichkeiten und Perspektiven einer Organisation der Wirtschaftsverwaltung,
1998; Schmaltz, J., Die Entwicklung der Industrie- und Handelskammern, 2010;
Will, M., Selbstverwaltung der Wirtschaft, 2011
infam →Infamie
Infamie (lat. [F.] infamia) ist die mit gewissen Handlungen verbundene Rechtsfolge des
Verlustes der bürgerlichen →Ehre im älteren Recht. Im römischen Recht
ziehen Kuppelei, Lohnkampf mit Tieren, Schauspielerei, Doppelehe, Wucher,
Häresie, Ausstoßung aus dem Heer und bestimmte Verurteilungen die I. (Verlust
der bürgerlichen Ehre) nach sich. Die Kirche setzt seit 419 auf die schuldhafte
Aufgabe des christlichen Gesetzes und die Missachtung kirchlicher Vorschriften
(Sakrileg, Grabfrevel, Zauberei, Giftmischerei, Ehebruch, Blutschande, Meineid,
Diebstahl, Raub, Mord) die I. (Weihehindernis, Zeugnisunfähigkeit u. s. w.). Im weltlichen Recht schließen
einzelne deutsche Reichsgesetze von einzelnen Rechten aus (1512 Ehrlose vom
Notariat, 1577 Zöllner, Müller, Bader u.
s. w. von Zünften, 1577 Bankrotteure). Ein Überrest der I. ist die Aberkennung
der bürgerlichen Ehrenrechte im deutschen Reichsstrafgesetzbuch von 1871. Nach
Aufhebung der Vorschriften zum 1. 4. 1970 sieht § 45 StGB nur noch eine
eingeschränkte Aberkennung von Rechten vor.
Lit.: Kaser §§ 13 III, 36 III, 82 II; Mühlebach, A., Die
Infamie in der decretalen Gesetzgebung, 1923; Löbmann, B., Der kanonistische
Infamiebegriff, 1956; May, G., Die Anfänge der Infamie im kanonischen Recht,
ZRG KA 47 (1961), 77; Landau, P., Die Entstehung des kanonistischen
Infamiebegriffs, 1966
Infans (lat.
[M.]) ist im römischen Recht das →Kind, das die für rechtliche Folgen
bedeutsamen Wörter noch nicht sprechen kann, im spätrömischen Recht das Kind
bis zur Vollendung des siebenten Lebensjahrs. Der i. kann kein Rechtsgeschäft
tätigen (geschäftsunfähig) und keine ersatzpflichtige Handlung (Delikt,
deliktsunfähig) begehen.
Lit.: Kaser § 14 I 1; Köbler, LAW
Inflation ist
die Erhöhung des nominalen Wertes einer Geldeinheit. Eine geringfügige I. ist
ein Kennzeichen fast aller Zeiten der Geldwirtschaft. In der I. im →Deutschen
Reich nach dem ersten Weltkrieg ist als Folge der Reparationsverpflichtungen
Deutschlands im November 1923 ein Dollar 4200000000 Mark wert. Eine derartige
I. hat unmittelbare Auswirkung auf alle wirtschaftlichen und rechtlichen
Verhältnisse.
Lit.: Köbler, DRG 224; Redlich, F., Die deutsche Inflation
des frühen 17. Jahrhunderts, 1972; Nörr, K., Der Richter zwischen Gesetz und
Wirklichkeit, 1996; Kerstingjohänner, H., Die deutsche Inflation 1919-1923,
2004; Geldmenge, Warenmenge, Inflation, hg. v. Borstelmann, A. u. a., 2010
Infortiatum (lat.
[N.]) →Digestum infortiatum
Lit.: Wouw, H. van de, Zur Textgeschichte des Infortiatum,
Ius commune 11 (1984), 231
Infrastruktur
Lit.:
Ambrosius, G. u. a., Integration von Infraswtrukturen in Europa im historischen
Vergleich, Bd. 1 2013
Ingelheim am
mittleren Rhein ist Sitz eines vielleicht aus einem ehemaligen Reichsvogteigericht
hervorgegangenen, seit 1366 bezeugten →Oberhofs, dessen erhaltene
Aufzeichnungen mehr als 3000 Urteile zwischen 1398 und 1464 überliefern (davon
etwa 7% Strafrechtsfälle). Seit 1. 4. 1929 ist I. (mit Oberingelheim,
Niederingelheim, Freiweinheim und Sporkenheim) Stadt, zu der seit 1972
Großwinternheim zählt.
Lit.: Loersch, H., Der Ingelheimer Oberhof, 1885; Meyer,
H., Über die Wiederauffindung eines verschollenen Protokollbuches, ZRG GA 24
(1903), 390; Tillmann, W., Aus dem Prozess des Ingelheimer Oberhofs, 1935;
Erler, A., Ingelheimer Urteile als Quellen F. J. Bodmanns, ZRG GA 69 (1952),
74; Die älteren Urteile des Ingelheimer Oberhofes, hg. v. Erler, A., Bd. 1ff.
1952ff.; Erler, A., Die Stilllegung des Schöffenstuhls im Recht des Ingelheimer
Oberhofes, ZRG GA 76 (1959); Rotthaus, K., Redde und Schult in den Urteilen des
Ingelheimer Oberhofes, 1959; Erler, A., Ingelheimer Urteile als Vorlagen F. J.
Bodmanns, ZRG GA 77 (1960), 345; Kornblum, U., Das Beweisrecht des Ingelheimer
Oberhofes, 1960; Reifenberg, W., Die kurpfälzische Reichspfandschaft Oppenheim
Gauodernheim Ingelheim 1375-1648, (Diss. phil. Mainz 1964) 1968; Gudian, G.,
Der Oberhof Ingelheim, ZRG GA 81 (1964), 267; Ingelheim am Rhein, hg. v.
Autenrieth, J., 1964; Eigen, P., Die Verbotung in den Urteilen des Ingelheimer
Oberhofes, 1966; Gudian, G., Ingelheimer Recht im 15. Jahrhundert, 1968;
Schmitz, H., Pfalz und Fiskus Ingelheim, 1974; Bley, H., Das Erbrecht nach den
Urteilen des Ingelheimer und Neustadter Oberhofs, Diss. jur. Frankfurt am Main
1977; Erler, A., Ingelheimer Prozesse nach dem Städtekrieg von 1388, 1981;
Zwerenz, R., Der Rechtswortschatz der Urteile des Ingelheimer Oberhofes, Diss.
jur. Gießen 1988; Fuhrmann, J., Theorie und Praxis in der Gesetzgebung des
Spätmittelalters in Deutschland, 2001; Die Ingelheimer Haderbücher, hg. v.
Felten, F., 2010; Die Ingelheimer Haderbücher, hg. v. Marzi, W., Bd. 1 Das
Oberingelheimer Haderbuch 1476-1495, 2011, Bd. 2 2013; Alltag, Herrschaft,
Gesellschaft und Gericht, hg. v. Marzi, W. u. a., 2012
ingenuus (lat. [Adj.]) freigeboren
Ingolstadt an
der Donau wird 806 bezeugt (841 Königshof an Niederaltaich). Um 1250 ist es
Stadt. 1459/1472 wird es Sitz einer 1800 nach Landshut und 1826 nach München
verlegten →Universität.
Lit.: Listl, R., Die Ingolstädter Handwerkerverbände, Diss.
jur. München 1956; Dickerhof, H., Land, Reich, Kirche im historischen
Lehrbetrieb an der Universität Ingolstadt, 1971; Seifert, A., Statuten- und
Verfassungsgeschichte der Universität Ingolstadt (1472-1586), 1971; Real, H.,
Die privaten Stipendienstiftungen, 1972; Wolff, H., Geschichte der Ingolstädter
Juristenfakultät 1472-1625, 1973; Kreh, F., Leben und Werk des Reichsfreiherrn
Johann Adam von Ickstatt (1702-1776), 1974; Ingolstadt, hg. v. Müller, T. u.
a., Bd. 1ff. 1974ff.; Freilinger, H., Ingolstadt, 1977; Hofmann, S., Geschichte
der Stadt Ingolstadt, 2000
Inhaberpapier ist das →Wertpapier, bei dem das verbriefte Recht grundsätzlich
von jedem Inhaber geltend gemacht werden kann. Es fehlt dem Altertum, von
bescheidenen Ansätzen abgesehen, ganz, erscheint aber seit dem 9. Jh. vor allem
in Gebieten langobardischen Rechtes in Italien und ist im Mittelalter als
Möglichkeit der Übertragung von Rechten und der Vertretung verbreitet. In
Sachsen tritt 1763 die Inhaberschuldverschreibung auf. Seit dem →Allgemeinen
Landrecht (Preußen 1794) finden sich gesetzliche Regelungen.
Lit.: Hübner; Brunner, H., Zur Geschichte des
Inhaberpapieres in Deutschland, ZHR 23 (1978), 225; Brunner, H., Das
französische Inhaberpapier, 1879; Meppen, D., Das Inhaberpapier, 2014
Iniuria (lat.
[F.]) ist im römischen Recht das Unrecht (in der Form der Personenverletzung,
das bei Vorliegen eines Rechtferigungsgrunds ausscheidet). Nach altrömischem
Recht soll neben Gliedzerreißen und Beinbrechen jedes sonstige Unrecht (i.) mit
der Leistung von 25 Pfund Kupfer ausgeglichen werden. Im klassischen römischen
Recht wird die i. zu einem Tatbestand erweitert, der jede bewusste Missachtung
der Persönlichkeit in Wort oder Tat (→Körperverletzung) eines anderen
erfasst. Rechtsfolge ist ein durch Schätzung zu ermittelnder Geldausgleich. Im
spätantiken römischen Recht ist i. ein Straftatbestand (Ehrverletzung) und eine
Deliktsobligation (Persönlichkeitsmissachtung). Im deutschen Sprachraum wird
iniuria als Injurie (Realinjurie, Verbalinjurie) aufgenommen (z. B. Bayern
1756, Preußen 1793 bzw. 1794→Beleidigung).
Lit.: Söllner §§ 5, 8, 10; Köbler, DRG 27, 48, 65; Köbler,
LAW; Völkl, A., Die Verfolgung der Körperverletzung im frühen römischen Recht,
1984; Hagemann, M., Iniuria, 1998; Lingelbach, G., Injurie und Injuriensachen,
(in) Organisation der Kritik, hg. v. Matuschek, S., 2004, 143; Iniuria and the
Common Law, hg. v. Descheemaker, E. u. a., 2013
Inka
Lit.: Schmelz, B., Die Inka, 2013
Inkorporation ist die Eingliederung einer kirchlichen →Körperschaft in eine
andere. Sie entwickelt sich seit dem Ende des 11. Jh.s (Benediktinerorden) und
wird im 13. Jh. voll ausgebildet. Mit der I. gehen die Rechte an der bisherigen
kirchlichen Körperschaft (z. B. Kirche) auf eine andere kirchliche Körperschaft
(z. B. Kloster) über, ohne dass die Rechtspersönlichkeit der inkorporierten
Körperschaft endet. In der Neuzeit wird die I. wegen der mit ihr gegebenen
Zerstörung der kirchlichen Ordnung zurückgedrängt (Trient 1545-1563).
Lit.: Hinschius, P., Zur Geschichte der Inkorporation und
des Patronatsrechts, 1873; Sanmann-von Bülow, H., Die Inkorporationen Karls
IV., 1941; Lindner, D., Die Lehre von der Inkorporation, 1951
Inkunabel (F.) Wiegendruck, Druck vor 1500
Lit.: Langer, G., Von
Zusammenhängen zwischen Inkunabelforschung und Rechtsgeschichte, ZRG GA 85
(1968), 217; Catalogogus incunabulorum Hungariae, hg. v. Sájo, G. u. a., 1970;
Bayerische Staatsbibliothek, Inkunabelkatalog, Bd. 6 2005 (Internetversion
vorhanden); Mazal, O., Österreichische Nationalbibliothek Inkunabelkatalog,
Bd. 1 2004; Die Inkunabeln, bearb. v. Raffel, E., 2007; Inkunabeldatenbank INKA
(in Tübingen) http://www.inka.uni-tuebingen.de
Innehabung (lat.
[F.] detentio) ist im römischen Recht eine nur schwach geschützte Beziehung
eines Menschen zu einer Sache, die den Innehaber schlechter stellt als den
Besitzer beim Besitz (lat. [F.] possessio). Bloße Innehaber sind alle nicht
besonders begünstigten Fremdbesitzer (z. B. Verwahrer, Entleiher,
Beauftragter, Geschäftsführer ohne Auftrag, Werkunternehmer, Mieter, Pächter).
Ihnen steht kein →Besitzschutz zu. Die I. ist im deutschen Bürgerlichen
Gesetzbuch (1900) aufgegeben.
Lit.: Kaser § 19 V
Innenministerium ist das für innere Angelegenheiten zuständige Ministerium eines Staates (z.
B. Österreich 1848 aus böhmisch-österreichischer Hofkanzlei).
Innerösterreich ist die im Spätmittelalter (1379-1457/1463) und in der
frühen Neuzeit (1564-1619) infolge von Erbteilungen des Hauses →Habsburg
entstehende Gebietseinheit (Steiermark, Kärnten, Krain, Görz, Gradiska,
Windische Mark), die auch später noch als eigene Verwaltungseinheit behandelt
wird (Regiment in Graz bis 1749).
Lit.: Wolf, A., Die Aufhebung der Klöster in
Innerösterreich 1782-1790, 1871, Neudruck 1971; Schulze, W., Landesdefension
und Staatsbildung, 1973; Thiel, V., Die innerösterreichische Zentralverwaltung
1564-1749, AÖG 105 (1916), 111
Inn of court
ist die von der Universität unabhängige Ausbildungsstätte (Innung) für den
englischen Juristen (Anwalt). Sie entsteht daraus, dass im Mittelalter
Schreiber (clerk) und Schüler (apprentice at law) gemeinsam in Häusern der
westlichen Vororte Londons leben. In der Mitte des 14. Jh.s wird dort ein
praktischer Rechtsunterricht sichtbar. Von den etwa 20 bekannten inns (z. B.
Clifford’s Inn) setzen sich bis etwa 1420 vier inns of court durch (Inner
Temple, Middle Temple der Templer [vor 1388], Gray’s Inn, Lincoln’s Inn
[1417?]).
Lit.: Thorne, S., The early History
of the Inns of Court with special reference to Gray’s Inn, 1959; Baker, J., An
Introduction to English Legal History, 1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A.
2002; Palmer, R., The Origins of the Legal Profession, 1976; Richardson, W., A
History of the Inns of Court, 1978; Ives, E., The Common Lawyers of
pre-Reformation England, 1983; Baker, J., The Common Law Tradition, 2000;
Baker, J., Readers and Readings in the Inns of Court and Chancery, 2001;
McGlynn, M., The Royal Prerogative and the Learning of the Inns of Court, 2003
Innominatkontrakt ist der im spätantiken römischen Recht entstehende, der
(lat.) actio (F.) praescriptis verbis (Klaganspruch der vorgeschriebenen Worte)
zugewiesene sog. unbenannte Vertrag, der nicht schon nach (lat.) ius (N.)
civile (Zivilrecht) klagbar ist, aber vom Prätor allmählich über das
Rückgabeverlangen hinaus klagbar gemacht wird. Bei dem I. erbringt jemand eine
Leistung und soll deshalb eine Gegenleistung erhalten, obwohl er an sich die
Rückgabe erreichen kann. Die vier Fälle des Innominatkontraktes sind (lat.) do,
ut des (ich gebe, damit du gibst), do, ut facias (ich gebe, damit du tust),
facio, ut des (ich tue, damit du gibst) und facio, ut facias (ich tue, damit du
tust). Hierzu zählen (lat. [F.]) permutatio (Tausch), aestimatum (N.,
Trödelvertrag), contractus mohatrae und dare ad inspiciendum (Übergabe zwecks
Prüfung).
Lit.: Kaser §§ 33 I 2, 38 III 3, 45; Köbler, DRG 64;
Bucher, E., Der Trödelvertrag, (in) Innominatverträge, 1988, 95
Innovation (F.) Erneuerung
Lit.: Resch,
A. u. a., Osterreichische Innovationsgeschichte seit dem späten 19. Jahrhundert, 2013
Innozenz III. (Lothar
von Segni) (Gavignano bei Segni 1160/1-Perugia 16. 7. 1216), Grafensohn, wird
1198 Papst und sichert die Stellung des Papstes durch bedeutsame Dekretalen (z.
B. Venerabilem).
Lit.: Die Register Innozenz’ III., hg. v. Hageneder, O.,
Bd. 1ff. 1979ff.; Laufs, M., Politik und Recht bei Innozenz III., 1980; Rainer,
J., Innocenz III. und das römische Recht, RHM 25 (1983), 15; Sayers, J.,
Innocent III., 1994; Papst Innozenz III., hg. v. Frenz, T., 1999; Pope Innocent
III and his World, ed. Moore, J., 1999; Innocenzo III, hg. v. Sommerlechner,
A., 2003; Moore, J., Pope Innocent III, 2003; Meschini, M., Innocenz III. und
der Kreuzzug, DA 16 (2005), 537
Innozenz IV. (Sinibaldo
Fieschi) (Genua um 1195-Neapel 7. 12. 1254) wird nach dem Rechtsstudium in
Bologna (Johannes Teutonicus, Azo, Accursius) und kirchlichen Tätigkeiten 1243
im ersten Konklave der Geschichte Papst. Die von ihm erlassenen, in drei
Sammlungen zusammengefassten Dekretalen stehen zwischen (lat.) →Liber
(M.) extra (1234) und (lat.) →Liber (M.) sextus (1298). Um 1250
veröffentlicht er einen maßgeblichen Kommentar zum Liber extra (lat. Apparatus
[M.] in quinque libros decretalium, Kommentar zu den fünf Büchern der
Dekretalen). Mit der Dekretale „Romana ecclesia“ (1245) verbessert er die
kirchliche Gerichtsbarkeit. Dogmatisch fördert er die Rechtsfiguren der →juristischen
Person (lat. persona [F.] ficta), des →gerechten Krieges (lat. bellum
[N.] iustum) und die Fortbildung der Reservatrechte und Dispensrechte des
Papstes.
Lit.: Legendre, P., La Pénétration du droit romain dans le
droit canonique, Diss. jur. Paris 1964; Juristen, hg. v. Stolleis, M., 1995,
313
Innsbruck (Innbrücke
um 1175, urkundliche Ersterwähnung 1187, 1187-1205 Stadtrecht, bestätigt 1239,
1420 Residenz der Grafen von Tirol) am mittleren Inn in →Tirol ist seit
1490 Anfangspunkt der ersten modernen Postverbindung (nach Mecheln bzw.
Brüssel) und wird 1669 (bei etwa 6500 Einwohnern) Sitz einer (letzten) von der
Gegenreformation geprägten, mehrfach teilweise aufgehobenen Universität.
Lit.: Probst, J., Geschichte der Universität Innsbruck,
1869; Wretschko, A. v., Die Geschichte der juristischen Fakultät an der
Universität Innsbruck 1671-1904, FS für den deutschen Juristentag 1904, 101;
Wretschko, A., Die Frage der Landstandschaft der Universität Innsbruck, ZRG GA
41 (1920), 40; Matricula philosophica. Erster Teil 1671 bis 1700, hg. v. Huter,
F., 1952; Huter, F., Die Anfänge der Innsbrucker Juristenfakultät (1671-1686),
ZRG GA 85 (1968), 223; Oberkofler, G., Josef Oberweis, Inhaber der Lehrkanzel für
deutsches Privatrecht und deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte mit
italienischem Vortrag, ein Beitrag zur Geschichte der Pflege des deutschen
Rechtes und der Habilitationspraxis an der Innsbrucker Juristenfakultät, ZRG GA
88 (1971), 204; Munzel, O., Die Innsbrucker Handschrift des Kleinen
Kaiserrechts, 1974; Oberkofler, G./Goller, P., Geschichte der Universität
Innsbruck (1869-1945), 2. A. 1996; Lichtmannegger, S., Die rechts- und
staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck 1945–1955, 1999;
Goller, P. u. a., Universität Innsbruck. Entnazifizierung und Rehabilitation
von Nazikadern (1945-1950), 2003; Huber, H., Geschichte der medizinischen
Fakultät Innsbruck, 2010
Innung ist
der freiwillige Zusammenschluss selbständiger Gewerbetreibender eines
bestimmten Bezirks zur Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen. Das
im 13. Jh. erscheinende Wort findet sich vor allem im mittleren Deutschland. Im
19. Jh. wird nach Aufhebung des Zunftzwangs mit der Gewerbeordnung vom 21. 6.
1869 auf Drängen der Handwerker die I. wieder eingerichtet.
Lit.: Eberstadt, R., Der Ursprung des Zunftwesens, 1900;
Luther, R., Gab es eine Zunftdemokratie?, 1968
Innviertel ist
die zwischen Salzach, unterem Inn, Donau und Salzburg gelegene Landschaft. Sie
fällt 1779 von Bayern an →Österreich.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon
Inoue,
Kowashi (1843-1895) wird nach dem Studium in Tokio Beamter im Justizministerium
Japans. Nach Aufenthalten in Frankreich und Deutschland (Berlin) übersetzt er
die Verfassung Preußens in das Japanische und setzt sich für eine (aufgeklärte)
Verfassung Japans nach dem Muster Preußens bzw. des Deutschen Reiches ein
(Meiji-Verfassung vom 11. 2. 1889).
Lit.: Meiji-kokka keisei to Inoue Kowashi, hg. v.
Goin-bunko kenkyûkai, 1992
Inquisition ist
allgemein die Untersuchung, besonders das geistliche Gericht zur Verfolgung
der Ketzer. Die Ketzer bekämpft die Kirche schon im ausgehenden Altertum durch
Verbote der Gottesdienste, Enteignung der Güter und Androhung der Todesstrafe.
Seit 1215/1231/1252 (1215 4. Laterankonzil mit Pflichtbeichte mit der Folge der
Herausbildung eines inquisitorischen Prozessrechts für die Beichtpraxis) werden
besondere Inquisitoren (Untersucher) eingesetzt (z. B. 1227 Konrad von
Marburg). Hieraus entwickelt sich wohl der →Inquisitionsprozess, dessen
erste Formen in Oberitalien im 13. Jh. sichtbar werden. In ihm hat der Richter
im Beisein von mindestens zwei Schöffen die Wahrheit durch I. (Untersuchung,
Befragung) zu ermitteln, wozu er den Angeschuldigten in Haft nehmen kann. Zur
Erlangung eines Geständnisses darf die →Folter (1252) angewandt werden.
In Spanien ist die 1478 von Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von
Aragón eingesetzte, die Lehre vom verdorbenen Blut verwendende I. eine
staatliche, der Sicherung der Rückeroberung des Landes von den Muslimen dienende,
zutiefst korrupte Einrichtung, die sich später auch gegen Lutheraner und jede
Aufklärung richtet. Die I. verschwindet im Heiligen römischen Reich nach der
Reformation und endet im Übrigen mit der Aufklärung (Frankreich 1772, Spanien
1808/1834, Portugal 1820, Italien 1808/1859).
Lit.: Köbler, DRG 118, 156; Lea, H., Geschichte der
Inquisition im Mittelalter, Neudruck 1997; Hansen, J., Zauberwahn, Inquisition
und Hexenwahn im Mittelalter, 1900, Neudruck 1964, 1983; Guiraud, J., Histoire
de l’Inquisition au Moyen-Age, 1935; Leiber, R., Die mittelalterliche
Inquisition, 1963; Vermaseren, B., Een bibliografie over de inquisitie, TG 77
(1964), 472; Peters, E., Inquisition, 1988; Die Anfänge der Inquisition im
Mittelalter, hg. v. Segl, P., 1993; Lemm, R., Die spanische Inquisition, 1996;
Seifert, P./Pawlik, M., Das Buch der Inquisition, 1999; Inquisition – Index –
Zensur, hg. v. Wolf, H., 2001; Le Livre des sentences de l’inquisiteur Bernard
Gui 1308-1323, 2002; Edwards, J., Die spanische Inquisition, 2003; Schwerhoff,
G., Die Inquisition, 2004; Römische Inquisition und Indexkongregation, hg. v.
Wolf, H., Bd. 1ff. 2005ff.; Siebenhüner, K., Bigamie und Inquisition, 2006;
Rawlings, H., The Spanish Inquisition, 2006; Bethencourt, F., The Inquisition,
2009; Buschbell, C., Die Inquisition im Hochmittelalter, 2010; Sullivan, K.,
The Inner Lives of Medieval Inquisitors, 2011; Deutschland und die Inquisition
in der frühen Neuzeit, hg. v. Burkhardt, A. u. a., 2012
Inquisitionsbeweis ist im Mittelalter der Beweis durch eine Untersuchung. Der
I. findet sich in merowingischen und karolingischen Quellen.
Lit.: Brunner, H., Zeugen und Inquisitionsbeweis der
karolingischen Zeit, 1865
Inquisitionsprinzip →Untersuchungsgrundsatz
Lit.: Sellert, W., Die Bedeutung und Bewertung des
Inquisitionsprinzips, FS H. Scupin, 1983, 161
Inquisitionsprozess ist der durch die amtliche Verfolgung und Untersuchung
gekennzeichnete Strafprozess. Es ist streitig, ob der I. in Deutschland
unabhängig von fremden Einflüssen entstanden oder durch kirchlich-oberitalienische
Anregungen veranlasst ist. Jedenfalls zeigen sich schon seit dem 12. Jh.
verschiedene Ansätze zur öffentlichen Klage in peinlichen Sachen. So werden
etwa bestimmte Menschen verpflichtet, Unrechtsgeschehnisse im Gericht zu
rügen. →Landschädliche Leute (lat. nocivi [M.Pl.] terrae) sollen
öffentlich verfolgt und wie handhafte Täter durch den Eid des Verletzten und sechser
Eidhelfer überführt werden. In der Kirche fügt Papst →Innozenz III. in
ein kirchliches Disziplinarverfahren den von Amts wegen zu erhebenden Beweis
der Wahrheit ein und werden Ketzer seit 1231/1232 durch besondere Inquisitoren
(Untersucher) bekämpft. Überhaupt wird das Verfahren vor allem auch in den
Städten allmählich (z. B. in Frankfurt am Main im 14. Jh.) zu einem einseitigen
Verfahren des (öffentlichen) Richters gegen den Verdächtigen, in dem der →Richter
zur Unrechtsverfolgung verpflichtet ist und sich selbst über die erheblichen
Tatsachen unterrichten muss. Ziel dieser Verfolgungen ist die unbedingte
Sühnung von Unrecht, weshalb es stärker als zuvor auf die Ermittlung der
tatsächlichen Wahrheit ankommt. Als ihr sicherster Beweis gilt das Geständnis.
Um das →Geständnis zu erreichen, darf der verdächtige Beschuldigte durch
den Richter und die Folterknechte sowie gegebenenfalls zwei Schöffen der von
der Antike bekannten und von daher auch wohl im Frühmittelalter gegenüber
Unfreien verwandten →Folter durch Gefängnis, Schläge, Hunger, Kälte und
andere Mittel (Daumenschrauben, Strecken) ausgesetzt werden. Nach dem
Geständnis in der Untersuchung beginnt das eigentliche öffentliche Verfahren
(sog. →endlicher Rechtstag), in dem nach der Anklageerhebung der Richter
den Beweis der Tat durch das Geständnis oder das Zeugnis zweier Schöffen über
das Geständnis führt, am Ende das Urteil verliest und den Stab über den
Angeklagten bricht. Sofern die Akten versendet werden, schlägt die angerufene
Einrichtung das Urteil vor. Im 19. Jh. wird der etwa in der →Constitutio
Criminalis Carolina (1532) und noch der (lat.) Constitutio (F.) Criminalis
Theresiana (1768) ausführlich geregelte, nunmehr als rechtsstaatswidrig
angesehene I. allgemein aufgegeben (Österreich 1873) und nur noch vereinzelt
(Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Hansestädte) bis zur Reichsstrafprozessordnung
von 1877/1879 fortgeführt.
Lit.: Köbler, DRG 86, 256; Biener, F.,
Beiträge zur Geschichte des Inquisitionsprozesses, 1827, Neudruck 1965;
Allmann, I., Außerordentliche Strafe und Instanzentbindung, Diss. jur.
Göttingen 1903; Schmidt, R., Die Herkunft des
Inquisitionsprozesses, FS zum 50jährigen Regierungsjubiläum seiner königlichen
Hoheit des Großherzogs Friedrich, 1902, 65; Mayer, E., Geschworenengericht und
Inquisitionsprozess, 1916; Alfred, K., Die Lehre vom corpus
delicti, 1933; Vogt, A., Die Anfänge des Inquisitionsprozesses in Frankfurt am
Main, ZRG GA 68 (1951), 234; Schmidt, E., Der Inquisitionsprozess, FS H. v.
Weber, 1964, 33; Henschel, F., Die Strafverteidigung im Inquisitionsprozess,
Diss. jur. Freiburg im Breisgau 1972; Kunze, M., Der Prozess Pappenheimer,
1981; Trusen, W., Der Inquisitionsprozess, ZRG KA 74 (1988), 168; Die Anfänge
der Inquisition, hg. v. Segl, P., 1993; Hirte, M., Papst Innozenz III., das IV.
Lateranum und die Strafverfahren gegen Kleriker, 2005; Koch, A., Die gescheiterte
Reform des reformierten Strafprozesses, ZID 10 (2009), 548; Burret, G., Der
Inquisitionsprozess im Laienspiegel des Ulrich Tengler, 2010
Inquisitionsverfahren →Inquisition, Inquisitionsprozess
Inschrift ist die Schrift auf nicht hauptsächlich
der Wiedergabe geschriebener Texte dienenden Gegenständen (z. B. Grabsteinen,
Kirchentüren, Holzbalken, z. B. zwischen 500 v. Chr. und
650 n. Chr. mehr als 300000 in Stein gemeißelte lateinische Inschriften ).
Lit.: Panzer, F., Die Inschriften,
1938; Frölich, K., Deutsche Rechtsinschriften des Mittelalters, ZRG GA 66
(1948), 500; Müller, W., Urkundeninschriften des deutschen Mittelalters, 1975
(73 bis 1525); Koch, W. u. a., Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen
Epigraphik (1998-2002), 2005; Koch, W., Inschriftenpaläographie, 2007; Die
Inschriften der Stadt Passau, red. v. Steininger, C., 2006; Die Inschriften des
ehemaligen Landkreises Querfurt, bearb. v. Bartusch, I., 2006; Wehking, S., Die
Inschriften des Landkreises Göttingen, 2006; Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1 Imst,
Landeck und Reutte, 2013; Pro & contra, HZ 296 (2013), 297
Inscriptio (lat. [F.] Inschrift) ist für das spätantike römische Recht die Angabe
der Herkunft einer Textstelle (z. B. bei Codex Theodosianus [438] und Codex
Justinians [534] jeweiliger Kaiser und Empfänger, bei Digesten [533] Verfasser,
Werk, Untergliederung).
Insel ist das von Wasser umgebene Landstück (z. B.
Mainau, England, Grönland, nicht mehr Australien, Amerika, Eurasien mit Afrika).
Lit.: Meyer, H., Anwachs und Insel im
hochmittelalterlichen Recht der Grafschaft Flandern, ZRG GA 113 (1996), 333;
Lätsch, F., Insularität und Gesellschaft, 2005
Insidia (F.) verborum (lat.) Prozessgefahr (durch Versprechen oder Verlesen)
Insignien (N.Pl.)
Zeichen (von Würde oder Macht) →Reichinsignien, Reichskleinodien
Lit.:
Richter, G., Die Insignien der Universität Tübingen, 1964
Insinuation (F.)
Bekanntgabe, Vorlage, Zustellung
Insolvenz ersetzt
mit dem Ziel der Wahrung wirtschaftlicher Werte in Deutschland zum 1. 1. 1999
den Konkurs.
Lit.: Kroppenberg, I., Die Insolvenz im klassischen
römischen Recht, 2001; Bauer, P., Der Insolvenzplan, 2009; Madaus, S., Der
Insolvenzpklan, 2011
Instanz ist
die zuständige Stelle. Im →Inquisitionsprozess gibt es die besondere →Instanzentbindung.
Im Verhältnis mehrerer Instanzen zueinander besteht der →Instanzenzug.
Instanzentbindung (absolutio [F.] ab instantia [lat.]) ist die im
mittelalterlichen Italien (12. Jh., Johannes Andreae) entwickelte, seit 1648
(Brunnemann, Tractatus iuridicus de inquisitionis processu, Rechtliche
Abhandlung über den Inquisitionsprozess) im deutschen Strafverfahrensrecht
aufgenommene, vorläufige Beendigung eines Verfahrens aus Mangel an Beweisen mit
der jederzeitigen Möglichkeit des Neubeginns. Von der Aufklärung bekämpft, wird
die I. (seit der französischen Revolution von 1789) auch in Deutschland in der
Mitte des 19. Jh.s eingeschränkt (Württemberg 1843) oder aufgegeben (Baden
1845, allgemein 1877/1879). Ihre Aufgabe übernimmt die Einstellung des
Verfahrens.
Lit.: Allmann, J., Außerordentliche Strafe und
Instanzentbindung, 1903; Holtappels, P., Die Entwicklung des Grundsatzes „in
dubio pro reo“, 1965; Schmoeckel, M., Humanität und Staatsraison, 2000
Instanzenzug ist
eine Mehrheit von hierarchisch gestuften behördlichen oder gerichtlichen
Instanzen (Stellen). Nach Ansätzen im römischen Altertum entwickelt sich der I.
mit der Ausbildung des Staates seit dem Spätmittelalter. Allgemein wird ein mehrzügiger
I. (Eingangsgericht[e], Berufungsgericht, Revisionsgericht) der (vierstufigen)
Gerichtsbarkeit in Österreich unter Joseph II. (1780-1790) (Ortsgericht, Kreisamt,
Appellationsgericht, Oberste Justizstelle, 1895 Bezirksgericht, Landesgericht
bzw. Kreisgericht, Oberlandesgericht, oberster Gerichtshof) und im Deutschen
Reich 1877/1879 (zweizügig Amtsgericht, Landgericht, neuerdings dreizügig
Amtsgericht, Landgericht, Bundesgerichtshof, bzw. dreizügig Landgericht,
Oberlandesgericht, Reichsgericht im Rahmen der vierstufigen Gerichtsbarkeit Amtsgericht,
Landgericht, Oberlandesgericht, Reichsgericht bzw. Bundesgerichtshof)
geschaffen.
Lit.: Köbler, DRG 154; Tille, A., Instanzenzug des
kurkölnischen Gerichts im 17. Jahrhundert, ZRG 21 (1900), 222; Kern, E.,
Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954; Süß, T., Das beneficium trium
instantiarum - Eine Streitschriftaus Paderborn, ZRG GA 130 (2013), 381
Institor (lat.
[M.]) ist im römischen Recht der Geschäftsführer, für dessen Schulden der
Geschäftsherr haftet. Umgekehrt erhält der Unternehmer aus den Forderungen, die
sein gewaltfreier kaufmännischer Angestellter erwirbt, eine (lat.) →actio
(F.) utilis.
Lit.: Kaser § 11; Hamza, G., Bemerkungen
zur actio ad exemplum institoriae im römischen Recht (in) Seminariios
Complutenses de derecho Romano, 25 (20129, 175
Institut (N.)
ist seit dem 18. Jh. die Einrichtung.
Lit.: Popp, H., Die nationalsozialistische Sicht einiger
Institute des Zivilprozess- und Gerichtsverfassungsrechts, 1986
Institutes of the Laws of England (Einrichtungen der Gesetze Englands) ist der Titel des
Hauptwerkes Sir Edward →Cokes (1551-1633). Der erste Teil der I. o. t. L.
o. E. ist ein gründlicher Kommentar zu →Les Tenures Sir Thomas →Littletons
(1480). Die Teile 2 bis 4 betreffen ältere statutes, Strafrecht und
Gerichtsverfassung.
Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal History,
1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002
Institutionen ist schon im klassischen römischen Recht die Bezeichnung für die
(Lehrbücher über die) Einrichtungen des Rechtes. Als I. herkömmlicherweise geführt
wird das (lat. [M.Pl.]) commentarii betitelte elementare, von den Zeitgenossen
kaum gewürdigte Einführungswerk in (4 Büchern und) insgesamt 98 Titeln des
Gaius (159?, 161 n. Chr.), das die grundlegende systematische, der griechischen
Gegenüberstellung von Menschen (Personen) und Sachen folgende Einteilung des
Rechtsstoffes in (lat.) personae (F.Pl., Personen), (zwei Bücher) res (F.Pl.,
Sachen), actiones (F.Pl., Klagansprüche) überliefert und das römische
Zivilverfahren am klarsten darstellt. Andere Institutionen werden von Marcian,
Florentin oder Ulpian verfasst. Unter dem oströmischen Kaiser →Justinian
erscheint 533 ein ebenfalls in vier Bücher geteiltes, auf Gaius gegründetes
amtliches, als Gesetz erlassenes Einführungsbuch I. (lat. [F.Pl.]
institutiones) (, aus dem nach Buch, Titel und Paragraph zitiert wird, z. B. I.
2,1,30), das im 9. Jh. in Italien bekannt ist. In Parallele hierzu werden vor
allem im 19. Jh. unter dem Titel I. auch Lehrbücher (zum römischen Recht) bzw.
unter dem Titel I. des deutschen Privatrechts auch Lehrbücher zum deutschen
Privatrecht vorgelegt.
Lit.: Söllner §§ 12, 16, 22; Köbler, DRG 30, 54;
Schneidewin, J., In quatuor institutionum imperialium D. Iustiniani libros
commentarii, 1575, Neudruck 2004; Heusler, A., Institutionen des deutschen
Privatrechts, Bd. 1f. 1885f.; Sohm, R./Mitteis, L./Wenger, L., Institutionen.
Geschichte und System des römischen Privatrechts, 17. A. 1923, Neudruck 1949;
Seckel, E./Kübler, B., Gai institutionum commentarii quattuor, 8. A. 1939;
Luig, K., Institutionenlehrbücher des nationalen Rechts im 17. und 18.
Jahrhundert, Ius commune 3 (1970), 64; Wieacker, F., Griechische Wurzeln des
Institutionensystems, ZRG RA 70 (1973), 93; Institutionen, übers. v. Behrends,
O. u. a., 1997, 2. A. 1999, 3. A. 2007, 4. A. 2013; Meincke, J., Die
Institutionen Iustinians, JZ 1997, 14; Lange, H., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 1f. 1997ff.; Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer
Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, 1999; Institutionen
und Ereignis, hg. v. Blänkner, R. u. a., 1998; Mager, U.,
Einrichtungsgarantien, 2003; Institutionen, hg. und übers. v. Manthe, U., 2004;
Moschetti, G., Frammenti veronesi del secolo IX delle istituzioni di
Giustiniano, 2006; Die Institutionenhandschrift der Sammlung Wallraf im
historischen Archiv der Stadt Köln, hg. v. Avenarius, M., 2008; Forrez, R.,
Cupidae legum iuventuti, 2009
Institutionensystem ist das im späten Naturrecht (Pufendorf, Dabelow,
Nettelbladt) den privatrechtlichen Stoff nach dem Vorbild der →Institutionen
des Gaius in Personen, Sachen, Klagansprüche einteilende System. Es wird im 19.
Jh. (→Heise 1807) vom →Pandektensystem (Personen bzw. Allgemeines,
Schulden, Sachen, Familie, Erbe) abgelöst.
Lit.: Köbler, DRG 206; Schwarz, A., Zur Entstehung des
modernen Pandektensystems, ZRG GA 42 (1921), 578; Wieacker, F. Griechische
Wurzeln des Institutionensystems, ZRG RA 70 (1953), 93
Instruktionsmaxime ist im Strafverfahrensrecht der Grundsatz, dass sich der
Richter selbst über die erheblichen Tatsachen unterrichten muss.
Lit.:
Köbler, DRG 117
Instrumenta (N.Pl.) dotalia (lat.) ist im spätrömischen Recht die Mitgifturkunde.
Lit.: Kaser §§ 58, 59
instrumentum (lat.
[N.]) Urkunde, Zubehör, Notariatsinstrument (z. B. instrumentum pacis
Monasteriense bzw. Osnabrugense, Westfälischer Friedensvertrag von Münster
und Osnabrück)
Lit.: Kaser § 7; Köbler, DRG 43
Intabulation (F.) Eintragung in eine Tafel bzw. in das Grundbuch
Integration (F.) Herstellung eines Ganzen
Lit.:
Löffler, B., Integration in Deutschland, 2011
Integrationslehre ist die von Rudolf →Smend (1882-1975) begründete
Lehre vom in der Integration bestehenden Wesen des →Staates.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Blessing, W., Staatsintegration
als soziale Integration, Z. f. bay. LG. 41 (1978), 633
Intentio (lat.
[F.]) ist im römischen Zivilprozessrecht der erste Satz der Klagformel, der zur
Beschreibung des Begehrens den Grund der möglichen Verurteilung und die
geforderte Leistung enthält. (z. B. Si paret Numerium Negidium Aulo Agerio
sestertium x milia dare oportere, wenn sich ergibt, dass N. N. dem A. A. 10000
Sesterzen geben muss).
Lit.: Kaser § 83 I 3a; Söllner § 9
Inter armas silent leges (lat.). Wo die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Cicero, 106-43 v. Chr., Silent leges inter arma.)
Intercessio (lat.
[F.] Dazwischentreten) ist im römischen Schuldrecht das Dazwischentreten im
Sinne des Eingehens von Verbindlichkeiten im Interesse Dritter (z. B.
Bürgschaft, Darlehen, Verpfändung, Schuldübernahme durch Novation). Ein (lat.)
→senatusconsultum (N.) Vellaeanum aus der Mitte des 1. Jh.s n. Chr.
verbietet Frauen die i. Es begründet eine Einrede gegenüber einer aus dem an
sich gültigen Rechtsgeschäft erhobenen Forderung. Das Verbot der i. wird mit
der Aufnahme des römischen Rechtes seit dem Spätmittelalter übernommen (Codex
Maximilianeus Bavaricus civilis 1756, Allgemeines Landrecht 1794), seit dem
19. Jh. aber aufgegeben (ABGB, BGB).
Lit.: Kaser § 57 V; Söllner § 6; Köbler, DRG 44; Mönnich,
U., Frauenschutz vor riskanten Geschäften, 1999
Interdictio (lat.
[F.]) Untersagung (z. B. im mittelalterlichen Kirchenrecht seit dem 10. Jh. die
I. des Rechtes auf geistliche Güter oder der Vornahme einer kirchlichen
Handlung in einem bestimmten Gebiet)
Lit.: Krehbiel, E., The Interdict, 1909
Interdictum (lat.
[N.]) ist im römischen Recht ein Verbot des Prätors zur Sicherung von
Rechtslagen. Dazu gebietet der Prätor vor allem die Wiederherstellung einer
früheren Lage oder verbietet störendes Verhalten für die Zukunft. Die
Verletzung eines i. wird auf Grund einer Klage überprüft.
Lit.: Söllner § 9; Köbler, DRG 25, 33,
40
Interdictum (N.) de arboribus caedendis (lat.) ist im römischen Recht der Rechtsschutz bei
Entfernung von Überhang.
Lit.: Kaser § 23 III 1
Interdictum (N.) de glande legenda (lat.) ist im römischen Recht der Rechtsschutz beim
Einsammeln von Früchten.
Lit.: Kaser § 23 III 2
Interdictum (N.) de migrando (lat.) ist im römischen Recht der Rechtsschutz des
Wohnungsmieters beim Verlassen der Wohnung auf Freigabe seiner Sachen nach Erfüllung
der Ansprüche des Vermieters aus dem Mietvertrag.
Lit.: Kaser § 31 III 6
Interdictum (N.) de precario (lat.) ist im römischen Recht der Befehl zur Rückgabe
einer aus der Bittleihe (lat. [N.] precarium) erlangten Sache.
Lit.: Kaser § 21 II 2
Interdictum (N.) de vi armata (lat.) ist im römischen Recht der Rechtsschutz gegen
Störung des Besitzes mit Waffengewalt.
Lit.: Kaser § 21 II 2
Interdictum (N.) quam hereditatem (lat.) ist im römischen Recht der Rechtsschutz zwecks
Herausgabe einer Erbschaft gegen einen die Einlassung auf die
Erbschaftsherausgabeklage verweigernden Erbschaftsbesitzer.
Lit.: Kaser § 75 I 4
Interdictum (N.) quem fundum (lat.) ist im römischen Recht der Befehl zur Herausgabe
eines Grundstücks, das ein Kläger herausverlangen will, an jeden, der das
Grundstück besitzt oder den Besitz arglistig aufgegeben hat.
Lit.: Kaser § 27 I 5
Interdictum (N.) quem usumfructum (lat.) ist im römischen Recht der Befehl, sich auf eine
Klage zum Schutz des Fruchtziehungsrechtes einzulassen.
Lit.: Kaser § 29 I 5
Interdictum (N.) quod vi aut clam ist im römischen Recht der Rechtsschutz gegen heimliche
oder gewaltsame Arbeiten auf einem Grundstück.
Lit.: Kaser § 23 III 9
Interdictum (N.) quorum bonorum (lat.) ist im römischen Recht der Rechtsschutz des
Erbschaftsbesitzers.
Lit.: Kaser § 75 II
Interdictum (N.) Salvianum (lat.) ist im römischen Recht der Rechtsschutz des
Verpächters bei der besitzlosen, der Sicherung der Pachtzinsansprüche dienenden
Verpfändung von Inventar eines Pächters an den Verpächter.
Lit.: Kaser § 31 III 6a
Interdictum (N.) unde vi (lat.) ist das Besitzstörungsverfahren gegen gewaltsame
Eindringlinge.
Interdictum (N.) uti possidetis ist im römischen Recht der Rechtsschutz gegen den
fehlerhaften Besitzer eines Grundstücks.
Lit.: Kaser §§ 21 II 1a, 32 III 4
Interdictum (N.) utrubi (lat.) ist im römischen Recht der Rechtsschutz gegen den fehlerhaften
Besitzer einer beweglichen Sache.
Lit.: Kaser § 21 II 1b
Interdikt →interdictio,
→interdictum
Interdiktenbesitz ist im römischen Recht der nach prätorischem Recht gegen
eigenmächtige Entziehung oder Störung durch ein (lat. [N.]) →interdictum
geschützte →Besitz (lat. [F.] possessio). I. haben Eigenbesitzer, Erbpächter,
Prekarist, Pfandgläubiger und Sequester.
Lit.: Kaser § 19 IV
Interesse ist
der Umfang eines zu ersetzenden Schadens. Das I. geht auf die römischrechtliche
Wendung (lat.) quod interest zurück (z. B. Wert einer nicht geleisteten Sache,
Minderwert einer mangelhaften Sache, Verzugsschaden, Kosten eines
Ersatzgeschäfts, entgangener Gewinn). Im 20. Jh. (→Interessenjurisprudenz)
ist I. auch die bloße Zielsetzung oder Begehrensdisposition eines abstrakt
oder konkret Beteiligten.
Lit.: Söllner § 9; Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3
1982, 305; Wieling, J., Interesse und Privatstrafe, 1970; Honsell, H., Herkunft
und Kritik des Interessebegriffs, JuS 1973, 69
Interessenjurisprudenz ist die methodische Richtung in der Rechtswissenschaft,
die davon ausgeht, dass wegen der Lückenhaftigkeit der Rechtsordnung der
Richter sein Urteil nicht logisch ableiten kann, sondern als wertende
Entscheidung eines Konfliktes abgeben muss. Sie geht auf (Rudolf von Ihering
[1818-1892] und) den Tübinger Rechtshistoriker und Privatrechtler Philipp →Heck
(1858-1943) (Gesetzesauslegung und Jurisprudenz, 1914) zurück. Heck stellt
dabei auf den sozialen Konflikt der in den einzelnen Fällen beteiligten
Interessen ab. Der Richter habe sich zunächst der vom Gesetzgeber in den
gesetzlichen Regeln abstrakt gefassten Entscheidungen der Konflikte und der
dabei getroffenen Wertungen der beteiligten Interessen oder
Begehrensdispositionen zu bedienen. Dazu müsse er bei der Anwendung des
Gesetzes auf den streitigen Fall den zu Grunde liegenden Konflikt interessengliedernd
herausarbeiten und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nach der
gesetzlich höher bewerteten Konfliktlösungsregel entscheiden. Erst dann,
wenn er keine (analog) anwendbare abstrakte Interessenbewertung auffinde
(Gesetzeslücke), dürfe er selbst so entscheiden, wie der Gesetzgeber
vermutlich entscheiden würde.
Lit.: Köbler, DRG 228; Heck, P., Begriffsbildung und
Interessenjurisprudenz, 1932; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der
Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Edelmann, J., Die Entwicklung der Interessenjurisprudenz,
1967; Kallfass, W., Die Tübinger Schule der Interessenjurisprudenz, 1972;
Schoppmeyer, H., Juristische Methode als Lebensaufgabe, 2001; Auer, M.,
Methodenkritik und Interessenjurisprudenz, ZEuP 2008, 517
Interimsschein
Lit.: Simon, H., Die
Interimsscheine, 1913
Interlinearglosse (F.) ist die zwischen den Zeilen eingetragene Erklärung
(Glosse)
Internationale kriminalistische
Vereinigung ist die von Franz von →Liszt
begründete Vereinigung von Strafrechtlern (1889-1933).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Bellmann, E., Die Internationale
Kriminalistische Vereinigung, 1994
Internationaler Gerichtshof ist der 1946 als Nachfolger des ständigen Internationalen Gerichtshofs
des Völkerbunds gegründete Gerichtshof der Vereinten Nationen mit Sitz in Den
Haag und einer Besetzung durch 15 hauptamtliche Richter, der Rechtsstreitigkeiten
zwischen Staaten auf Grund des Völkervertragsrechts, des Völkergewohnheitsrechts
und der von den zivilisierten Staaten anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze
entscheidet und bis 2006 92 Urteile gefällt und 25 Gutachten (ohne
Vollstreckungsmöglichkeit) erstattet hat.
Lit.: Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A.
2007, § 50 VI; Fifty Years of the International Court of Justice, hg. v. Lowe,
V., 1996; Faulenbach, B., Rolle und Bedeutung der Lehre in der Rechtsprechung
der internationalen Gerichtshöfe, 2010; Carl, M., Zwischen staatlicher
Souveränität und Völkerrechtsgemeinschaft, 2012
Internationaler Strafgerichtshof ist der durch Vertrag als Folge der Kriegsverbrecherprozesse
gegen Deutsche, Ruander und Jugoslawen 1998 vereinbarte Strafgerichtshof für
Kriegsverbrechen.
Lit.: Ferencz, B.,
Von Nürnberg nach Rom, 1998; Ahlbrecht, H., Geschichte der völkerrechtlichen
Strafgerichtsbarkeit, 1999; Kemper, G., Der Weg nach Rom, 2004; Mangold, C.,
Die völkerrechtliche Verfolgung von Individuen durch internationale
Strafgerichtshöfe, 2007; Faulenbach, B., Rolle und Bedeutung der Lehre
in der Rechtsprechung der internationalen Gerichtshöfe, 2010; Steinke, R., The
Politics of International Criminal Law, 2012
Internationales Privatrecht ist das Sachverhalte mit Auslandsberührung betreffende staatliche (nationale)
Privatrecht. Das römische Recht bietet hierzu nur wenige Ansätze. Nach dem
frühmittelalterlichen, auf das jeweilige Volk bezogenen Personalrecht gilt zu
Beginn der Territorialisierung des Rechtes der Grundsatz des Ortsrechts (lat.
lex [F.] loci) des entscheidenden Richters, den →Accursius (1228) und →Azo
mit römischen Quellenbelegen rechtfertigen. Unter den Kommentatoren
(Jacobus Balduini, Albericus de Rosate) wird dies auf das Verfahrensrecht
eingeschränkt, das materielle Recht dagegen hiervon ausgenommen und besonderen
Kollisionsnormen oder Verweisungsnormen unterworfen, die auf der Grundlage
der römischrechtlichen Gerichtsstandsregeln entwickelt werden. Demgegenüber
setzt sich zu Beginn der Neuzeit die Statutentheorie (Bartolus, d’Argentré)
durch, die (lat.) statuta (N.Pl.) personalia (Personalstatute), (lat.) statuta
(N.Pl.) realia (Realstatute) und (lat.) statuta (N.Pl.) mixta (gemischte
Statute) unterscheidet und damit in erster Linie auf das innerstaatliche Recht
abstellt. Zu Beginn des 19. Jh.s bewirkt Savigny die Rückkehr zu den
Kollisionsnormen d. h. dem für das einzelne Rechtsverhältnis maßgeblichen Recht
(Sitz des Rechtsverhältnisses). Auf dieser Grundlage entsteht in der Mitte
des 19. Jh.s eine eigentliche Wissenschaft des internationalen Privatrechts,
deren Ergebnisse Eingang finden in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen
Gesetzbuch Deutschlands (1900). Im ausgehenden 20. Jh. wird das
einzelstaatliche internationale Privatrecht in Deutschland (25. 7. 1986),
Österreich (1978) und der Schweiz (1989) neu gefasst.
Lit.: Köbler, DRG 274; Savigny, F., System des heutigen römischen
Rechtes, Bd. 1ff. 1840ff., Bd. 8 1849, Neudruck 1956; Neumayer, K., Die
gemeinrechtliche Entwicklung des internationalen Privat- und Strafrechts bis
Bartolus, Bd. 1 1901, Neudruck 1969, Bd. 2 1916; Neumeyer, K.,
Statutenkollision und persönliche Rechte, ZRG GA 39 (1918), 314; Gutzwiller,
M., Der Einfluss Savignys auf die Entwicklung des Internationalprivatrechts,
1923; Gamillscheg, F., Der Einfluss Dumoulins auf die Entwicklung des
Kollisionsrechts, 1955; Merzyn, G., Der Beitrag Benedikt Carpzovs zur
Entwicklung des Kollisionsrechts, 1963; Hermann, G., Nikolaus Hert und die
deutsche Statutenlehre, 1963; Lorenz, E., Das Dotalstatut in der italienischen
Zivilrechtslehre des 13. bis 16. Jahrhunderts, 1965; Hartwieg, O./Korkisch, F.,
Die geheimen Materialien zur Kodifikation, 1973; Kropholler, J.,
Internationales Einheitsrecht, 1975; Gutzwiller, M., Geschichte des
Internationalprivatrechts, 1977; Anhauser, V., Das internationale
Obligationenrecht, 1986; Deutsches internationales Privatrecht im 16. und 17.
Jahrhundert, Bd. 1f., hg. v. Bar, C. v. u. a., 1995ff.; Kleinschmidt, H.,
Geschichte der internationalen Beziehungen, 1998; Koskenniemi, M., The gentle
civilizer of nations. The rise and fall of international law 1870-1960, 2001;
Guddat, T., Ein europäischer Jurist des 19, Jahrhunderts – Jean-Jacques G.
Foelix, 2006; Storia, teoria e diritto internazionale. The construction of
international law as a discipline, hg. v. Nuzzo, L./Vec, M., 2011; Jouannet,
E., The Liberal-Welfarist Law of Nations, 2012; The Oxford Handbook of the
History of International Law, hg. v. Fassbender, B. u. a., 2012; Constructing
International Law - The Birth of a Discipline, hg. v. Nuzzo, L. u. a., 2012;
Nuzzo, L., Origini di una Scienza, 2012; Tracing the Earliest Recorded Concepts
of International Law. The Ancient Near East (2500-330 BCE, 2012
Internierungslager (Freiheitsbeschränkungslager im Landes„inneren“)
Interparlamentarische Union ist die 1888 in Paris gegründete nichtstaatliche
internationale Vereinigung von Abgeordneten verschiedener Parlamente mit Sitz
in Genf.
Lit.: Uhlig, R., Die Interparlamentarische Union 1889-1914,
1988
Interpolation ist die abändernde und damit wohl oft verfälschende Einschaltung von
Wörtern oder Sätzen in den ursprünglichen Wortlaut eines Textes, insbesondere
im Rahmen der die Schriften der klassischen Rechtskundigen verwertenden Gesetzgebungstätigkeit
Justinians (z. B. Ersetzung von [lat. F.] mancipatio durch [lat. F.] traditio).
Seit der Neuzeit (Humanismus, lat. mos Gallicus) versucht die Wissenschaft die
Ermittlung der Interpolationen, um frühere Textstufen und spätere Veränderungen
sachgerecht zu scheiden. Im Einzelnen sind die Ergebnisse vielfach umstritten.
Lit.: Kaser § 1 II 3; Söllner §§ 3, 16, 24; Köbler, DRG 54;
Kaser, M., Ein Jahrhundert Interpolationenforschung, SB. d. Akad. d. Wiss.
Wien 1979
interpretatio (lat. [F.]) Auslegung, →Interpretation
Interpretation ist die →Auslegung von Gedankenerklärungen. Die
juristische I. beginnt bereits im altrömischen Recht am Zwölftafelgesetz durch
die Priesterschaft. Aus der ursprünglichen Geheimwissenschaft entwickelt
sich nach der Veröffentlichung der zunächst nur den Priestern vertrauten Verfahrensformeln
(304 v. Chr.) eine weltliche Rechtsunterweisung mit Aufsetzen von Formularen,
Beratung und Gutachtenerteilung, deren Kern die I. ist. Mit der Aufnahme des
römischen Rechtes im Mittelalter wird auch die I. aufgenommen, wobei es am
Beginn der Neuzeit im sog. (lat.) →mos (M.) Gallicus um die bessere I.
besserer Texte geht.
Lit.: Söllner §§ 7, 9; Köbler, DRG 31; Kaser, M./Schwarz,
F., Die Interpretatio zu den Paulussentenzen, 1956; Behrend, O., Die fraus
legis, 1982; Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik, hg. v.
Schröder, J., 2001; Schröder, J., Theorie der Gesetzesinterpretation im frühen
20. Jahrhundert, 2011
Interregnum ist
die zwischen zwei Königsherrschaften liegende Zeit, insbesondere die im
deutschen Reich zwischen (1250 bzw.) dem Aussterben der →Staufer (1254)
und der Wahl Graf Rudolfs von →Habsburg zum deutschen König (1273)
liegende Zeit, in der sich kein gewählter Herrscher durchsetzen kann und die
Landesherren zu Lasten des Reiches erstarken. Das I. trennt Hochmittelalter
und Spätmittelalter voneinander. Daneben ist I. auch allgemeiner die Zeit
zwischen der Herrschaft eines Menschen und der Herrschaft seines Nachfolgers.
Lit.: Köbler, DRG 95; Triepel, H., Das Interregnum, 1892;
Laroche, P., Das Interregnum und die Entstehung der schweizerischen
Eidgenossenschaft, 1971; Moraw, P., Von offener Verfassung zu gestalteter
Verdichtung, 1985; Kaufhold, M., Deutsches Interregnum und europäische Politik,
2000; Kaufhold, M., Interregnum, 2002, 2. A. 2007; Kirk, M., Die kaiserlose,
die schreckliche Zeit, 2002
Intertiatio (lat.
[F.]) ist der Zug auf einen Gewähren im Frühmittelalter (6. Jh.). Danach muss,
wenn sich bei Spurfolge der Besitzer einer abhandengekommenen beweglichen Sache
auf seinen Gewähren (lat. tertia manus [F.]) beruft, der Spurfolger geloben,
die Sache vor das Ding zu bringen, ehe er sie in Besitz nehmen darf.
Beansprucht er außerhalb der Spurfolge die Sache, so muss der Besitzer
schwören, dass er seinen Gewähren zum Ding bringen werde.
Lit.: Hübner, 437; Rauch, K., Spurfolge
und Anefang, 1908; Andreae, F., Die Intertiatio im fränkischen Fahrnisprozesse,
ZRG GA 33 (1912), 129
Intervenient (M.) „Dazwischenkommender“
Lit.: Gawlik, A., Intervenienten
und Zeugen in den Diplomen Kaiser Heinrichs IV., 1970
Interzession →intercessio
(lat. [F.])
Intestaterbe ist
im römischen Recht der ohne →Testament zur Erbfolge berufene Mensch. Dies
ist der →Hauserbe und danach der Außenerbe (sowie hilfsweise anfangs der
Gentile, später die Allgemeinheit). Das dem altrömischen Recht folgende prätorische
Recht fasst die prätorischen Erben in mehrere (4), hintereinander berufene
Klassen zusammen. Dem I. entspricht später der gesetzliche Erbe.
Lit.: Kaser §§ 65, 66; Söllner § 12; Köbler, DRG 38;
Merkel, J., Die Lehre von der successio graduum unter Intestaterben, 1876;
Wesener, G., Geschichte des Erbrechts in Österreich, 1957
introitus (lat.
[M.]) Eintritt →Immunität
Invaliditätsversicherung ist die in Deutschland 1884 zwecks Entschärfung sozialer
Schwierigkeiten durch Gesetz geschaffene →Sozialversicherung für den Fall
der Arbeitsunfähigkeit. Zur Organisation werden besondere Versicherungsanstalten
eingerichtet. Der Invalide erhält eine Rente.
Lit.: Stolleis, M., Die Sozialversicherung Bismarcks, (in)
Bedingungen für die Entstehung und Entwicklung von Sozialversicherung, 1979,
387; Rückert, J., Entstehung und Vorläufer der gesetzlichen Rentenversicherung,
(in) Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, 1990, 1
Inventar (,
1528?, lat. [N.] inventarium) ist eine Gesamtheit von Gegenständen und ein über
dieses geführtes Verzeichnis. Im spätantiken römischen Recht führt Justinian
531 die Wohltat des Inventars (lat. beneficium [N.] inventarii) ein, wonach
der, welcher innerhalb bestimmter Fristen ein Verzeichnis der
Erbschaftsgegenstände erstellt, die Haftung für die Erbschaftsschulden auf die
Nachlassgegenstände beschränken und damit von seinem bereits vor dem Erbfall
vorhandenen Vermögen fernhalten kann. Mit der Aufnahme des römischen Rechtes
seit dem Spätmittelalter wird auch das I. in diesem Sinne aufgenommen.
Lit.: Kaser §§ 62 III, 74 II; Köbler, DRG 59; Mely, F.
de/Bishop, E., Bibliographie générale des inventaires imprimés, Bd. 1ff. 1892ff.;
Metz, W., Das karolingische Reichsgut, 1960; Coing, H., Europäisches
Privatrecht, Bd. 1 1985, 600; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
inventarium (lat.
[N.]) →Inventar
Investitor (M.) Einkleider, Einweiser (Bologna 1057)
Investitur ist
im Mittelalter die förmliche, die unsichtbaren Rechtsvorstellungen (z. B.
Eigentum, Lehen) äußerlich sichtbar machende Bekleidung mit einem Amt oder
einem Recht. Ob sie germanischer Herkunft ist, ist zweifelhaft. Lat. vestire,
investire im Sinne des Bekleidens mit einem (an sich unsichtbaren) Recht
scheint eher aus der spätantiken Kirche zu kommen. Auch das Verhältnis zu einem
vorangehenden Geschehen (ahd. sala, lat. [F.] traditio) ist ungewiss. Als
Symbole der den Übergang der →Gewere bewirkenden I. werden Halm, Zweig,
Scholle, Ring, Kreuz, Lanze, Fahne und anderes verwendet.
Lit.: Hübner 258, 366; Köbler, DRG 90;
Köbler, LAW; Mayer, E., Die Einkleidung im germanischen Rechte, FS Adolf Wach,
1913; Mayer, E., Zur Einkleidung (Gewere), ZRG GA 35 (1914), 431; Mayer,
E., Zur Lehre von der Einkleidung, ZRG GA 36 (1915), 439; Visconti, A., Su
alcune „notitiae investiturae“ contenute nel Codice diplomatico Lombardo,
Annali della R. Università di Macerata 6 (1930); Voser, P., Die altdeutsche
Liegenschaftsübertragung, 1957; Müller, W., Ein Auflassungs- und
Investitursymbol des Klosters St. Gallen, 1972; Köbler, G., Die Herkunft der
Gewere, TRG 43 (1975), 195; Quellen zum Investiturstreit, Teil 1 Ausgewählte
Briefe Papst Gregors VII. übersetzt v. Schmale, F.,,1978; Krieger, K., Die
Lehnshoheit, 1979; Investitur- und Krönungsrituale, hg. v. Steinicke, M. u. a.,
2004
investitura (lat.
[F.]) Einkleidung, →Investitur
Investiturstreit ist der aus →Immunität und ottonisch-salischem →Reichskirchensystem
erwachsene, von Papst Nikolaus II. 1059 durch ein Papstwahldekret (mit Wahlrecht
des Kadrinalskollegiums statt des Absetzungsrechts und Einsetzungsrechts des
Kaisers) zugespitzte, 1075 zwischen dem Salier Heinrich IV. und Papst Gregor
VII. anlässlich der Besetzung des Erzbistums Mailand offen ausgebrochene Streit
um die Bekleidung (→Investitur) von Laien mit kirchlichen Ämtern
(Bistümern, Abteien). Hier verbündet sich der Papst mit deutschen Fürsten gegen
den König, doch gelingt diesem 1077 mit dem Reue bezeugenden Gang nach →Canossa
zumindest förmlich die Lösung vom Bann. Mit dem →Wormser Konkordat kommt
es 1122 zu einem vorläufigen Ausgleich.
Lit.: Hirsch, H., Klosterimmunität und Investiturstreit,
1913; Schmeidler, B., Kaiser Heinrich IV. und seine Helfer im Investiturstreit,
1927; Tellenbach, G., Libertas, 1936; Investiturstreit und Reichsverfassung,
hg. v. Fleckenstein, J., 1973; Schieffer, R., Die Entstehung des päpstlichen
Investiturverbotes, 1981; Blumenthal, U., Der Investiturstreit, 1982; Hartmann,
W., Der Investiturstreit, 2. A. 1996; Laudage, J., Gregorianische Reform und
Investiturstreit, 1993; Englberger, J., Gregor VII. und die Investiturfrage,
1996; Goez, W., Kirchenreform und Investiturstreit, 1996; Golinelli, P.,
Mathilde und der Gang nach Canossa, 1998; Goez, W., Kirchenreform und
Investiturstreit 910-1122, 2000, 2. A. 2008; Der Investiturstreit, hg. v.
Laudage, J. u. a., 2. A. 2006;Schieffer, R., Worms, Rom und Canossa (1076/77)
in zeitgenössischer Wahrnehmung, HZ 291 (2011, 593; Fried, J., Canossa.
Entlarvung einer Legende, 2012
Inzest (M.)
Blutschande ist der Beischlaf unter nahen Verwandten, dessen Verbot seit dem
ausgehenden Altertum vor allem von der Kirche (z. B. Konzil von Epaon 517 n. Chr.,
römische Synode von 721) zunehmend durchgesetzt wird (u. a. Bayern 1813 Art.
207, nicht Code pénal, doch Entwurf des Code pénal Königreich Westphalen 1813 Art.
329, Allgemeines Landrecht Preußens von 1794, Preußen 1851, Deutsches Reich
1871 § 173 RStGB, 1973/1974 Verschwägerteninzest nicht mehr strafbar, nach
einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. 2. 2008
Verwqndteninzest doch).
Lit.: Mikat, P., Die Inzestgesetzgebung der
merowingisch-fränkischen Konzilien, 1994; Siebert, M., Das Inzestverbot, Diss.
jur. Berlin 1996, 1998; Siegel, E., Inzest, 1999; Jarzebowski, C., Inzest, 2005;
Ubl, K., Inzestverbot und Gesetzgebung - Die Konstruktion eines Verbrechens
(300-1100), 2008; Karst, S., Die Entkriminalisierung des § 172 StGB, 2009;
Bdeiwi, S., Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB), 2013; Kanwischer, S.,
Der Grenzbereich zwischen öffentlichem Strafanspruch und intimer Lebensgestaltung,
2013
Inzichtverfahren ist im Mittelalter ein zwischen Zivilverfahren und
Strafverfahren stehendes besonderes Leumundsverfahren, das seit dem 16. Jh. im →Inquisitionsprozess
aufgeht.
Lit.: Müller, R., Studien zum Inzichtverfahren nach
bayerischen Quellen, 1939, Neudruck 1970
Ipso iure compensatur (durch das Recht selbst wird aufgerechnet) ist eine im
Codex Justinians (C. 4, 31, 14 pr) enthaltene Rechtsregel, welche die
Entbehrlichkeit einer eigenen Aufrechnungserklärung ausspricht (anders § 388
BGB).
Iran
Lit.:
Gronke, M., Geschichte Irans, 2003; Enayat, H., Law, State and Society in Modern Iran -
Constitutionalism, Autocracy and Legal Reform 19ß6-1941, 2013
Irland ist
der westlich Englands gelegene, nordwesteuropäische Staat, der seit 1973 der
Europäischen Gemeinschaft bzw. Europäischen Union (1993) angehört. Seit der
zweiten Hälfte des 1. Jt.s v. Chr. wandern Kelten in die bereits besiedelte
Insel ein. Um 450 n. Chr. (431?) werden die Bewohner christianisiert. 1171/1172
greift der König von England auf I. aus. 1534 beginnt er mit der Unterwerfung
und nennt sich 1541 König von I. Im Norden setzt sich der englische Einfluss
und damit auch die protestantische Religion durch. Seit dem Ende des 18. Jh.s
gibt es so gut wie kein selbständiges irisches Privatrecht mehr. 1801 wird ein
gemeinsames Parlament eingerichtet. Am 6. 12. 1921 wird die Loslösung Irlands
(ausgenommen Nordirland) von Großbritannien vertraglich vereinbart. Das
irische Recht ist englisch geprägt, wird aber seit 1922 durch Gesetze ergänzt.
Im Gegensatz zu England hat I. eine formelle Verfassung.
Lit.: Studies in early Irish law by Thurneysen, R. u. a.,
1936; Szövérffy, J., Irisches Erzählgut im Abendland, 1957; Hand, G., English
Law in Ireland 1290-1324, 1967; Beckett, J., Geschichte Irlands, 1971; Die Iren
in Europa, hg. v. Löwe, H., 1982; Irland und Europa, 1984; A new history of
Ireland, hg. v. Cosgrave, A., 1987; Lee, J., Ireland 1912-1985, 1989; Elvert,
J., Geschichte Irlands, 1993; Croinin, D., Early Medieval Ireland, 1995; Irland
und Europa im frühen Mittelalter, hg. v. NiChatháin, P. u. a., 1996; Richter,
M., Irland im Mittelalter, 1996; Maurer, M., Kleine Geschichte Irlands, 1998;
Richter, M., Ireland and her Neighbours, 1999; Charles-Edwards, T., Early
Christian Ireland, 2000; Noetzel, T., Geschichte Irlands, 2003; Breuer, R.,
Irland, 2003; Braun, N., Terrorismus und Freiheitskampf, 2003; Richter, M.,
Irland im Mittelalter, 2003; Holthusen, C., Der Nordirlandkonflikt, 2005;
Flanagan, M., Irish Royal Charters, 2005; Osborough, W., Recent writing on
modern Irish legal history, ZNR 2008, 93; Mc Carthy, D., The Irish Annals, 2008;
MacCotter, P., Medieval Ireland, 2008; Simms, K., Medieval Gaelic Sources, 2009;
Irische Mönche in Süddeutschland, hg. v. Walz, D. u. a., 2009; Bartlett, T.,
Ireland, 2010; L’Irlanda, 2010
Irnerius (Guarnerius,
[eigenhändig wohl immer] Wernerius) (1060?-1125?) ist der erste bedeutende
Vertreter der durch Wiederbehandlung der →Digesten Justinians (530/3)
veranlassten, durch die zunehmende Schulung in den freien Künsten (lat. artes
[F.Pl.] liberales) ermöglichten und im Ergebnis wohl auch gewissen praktischen
Bedürfnissen entsprechenden rechtswissenschaftlichen Literatur des
Mittelalters. Vermutlich erteilt I. zuerst Unterricht in den freien Künsten
und behandelt dabei im Rahmen der Rhetorik auch das Recht. Danach versieht er
bei scholastischer Interpretation fast die gesamten justinianischen Rechtstexte
(Digestum vetus, →Codex, →Institutiones) mit vielleicht mehreren
tausend nur teilweise erhaltenen Glossen (lat. Apparatus [M.] glossarum, Sigle
Y bzw. G). Außerdem fertigt er die →Authenticae an und verfasst
vielleicht eine kurze →Distinktion. Zwischen dem 28. 6. 1112 und dem 10.
12. 1125 ist er als (lat. [M.]) causidicus (1112, 1113) der Markgräfin Mathilde
von Tuszien und (lat. [M.]) iudex (1116-1118) Kaiser Heinrichs V. bezeugt. 1119
wird er (wahrscheinlich) exkommuniziert.
Lit.: Söllner § 25; Köbler, DRG 105; Pescatore, G., Die
Glossen des Irnerius, 1888, Neudruck 1968; Besta, E., L’opera d’Irnerio, 1896,
Neudruck 1980; Nörr, D., Zur Herkunft des Irnerius, ZRG RA 82 (1965), 327;
Weigand, R., Die Naturrechtslehre, 1967; Spagnesi, E., Wernerius bononiensis
iudex, 1970; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997, 154; Fried,
J., auf Bitten der Gräfin Mathilde, (in) Europa an der Wende vom 11. zum 12.
Jahrhundert, hg. v. Herbers, K., 2001
Irrtum (815,
lat. [M.] error) ist das Auseinanderfallen von Vorstellung eines Handelnden
und Wirklichkeit. Im römischen Recht ist der I. ein Fall von fehlender
Willensübereinstimmung, so dass er (als I. über Vertragspartner, Gegenstand,
Preis oder Vertragstyp) keinen Vertrag entstehen lässt. In der byzantinischen
und mittelalterlich-römischen Rechtswissenschaft schließt auch der I. über die
tatsächlichen Eigenschaften des Geschäftsgegenstands die Bindung aus, wobei es
später darauf ankommt, dass der Irrtum für die Vornahme des Geschäfts
ursächlich ist. Im frühneuzeitlichen gemeinen Recht werden als Fallgruppen der
Irrtümer Geschäftsort, Geschäftsgegenstand, Geschäftsgegner und Geschäftsbezeichnung
unterschieden. Das Vernunftrecht hält den I. teils grundsätzlich für
unbeachtlich (Kreittmayr), teils grundsätzlich für bedeutsam (Allgemeines
Landrecht 1794). Im 19. Jh. wird teils auf den Willen abgestellt
(Willenstheorie, Savigny), teils auf die Erklärung (Erklärungstheorie). Im
deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (1900) werden die Vorzüge beider Ansichten
in einem komplizierten Geflecht verbunden. Unter Berufung auf einen I. kann das
zustandegekommene Geschäft nachträglich angefochten und damit grundsätzlich
beseitigt werden. Im 19. Jh. erscheint der I. als allgemeine Figur auch im
allgemeinen Teil des Strafrechts.
Lit.: Kaser § 8 I; Hübner; Köbler, DRG 43, 165, 204, 208;
Engelmann, W., Irrtum und Schuld nach der italienischen Lehre und Praxis des
Mittelalters, 1922, Neudruck 1975; Haupt, P., Die Entwicklung der Lehre vom
Irrtum, 1941; Luig, K., Savignys Irrtumslehre, Ius commune 8 (1979), 36;
Kramer, E., Der Irrtum beim Vertragsschluss, 1998; Schermaier, M., Europäische
Geistesgeschichte am Beispiel des Irrtumsrechts, ZEuP 1998, 60; Ranieri, F.,
Kaufrechtliche Gewährleistung und Irrtumsproblematik, (in) Das Bürgerliche
Gesetzbuch und seine Richter, 2000, 207; Schermaier, M., Die Bestimmung des
wesentlichen Irrtums, 2000; Löhnig, M., Die Entstehung des Irrtumsrechts im
Allgemeinen Landrecht, ZRG GA 120 (2003), 200; Harke, J., Irrtum über
wesentliche Eigenschaften, 2003; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010
Isidor von Sevilla (Cartagena um 560-Sevilla 4. 4. 636), aus hispanorömischer Familie,
Bischof von Sevilla, stellt in seinen (lat. [F.Pl.]) Etymologiae (bzw. Origines)
das Wissen seiner Zeit in 20 Büchern dar. Durch die weite Verbreitung dieses
Werkes werden zahlreiche römische Rechtsbegriffe schon im Frühmittelalter
vermittelt (z. B. lat. ius Recht, lex Gesetz, consuetudo Gewohnheit, mos Sitte,
ius civile römisches Recht, Zivilrecht, ius gentium Fremdenrecht, Völkerrecht,
ius naturale Naturrecht). Isidors von Gregor dem Großen beeinflusstes Werk
Sententiae (Urteile, Sentenzen) (mehr als 500 erhaltene mittelalterliche
Handschriften) wirkt mit seinen theologischen Definitionen stark auf
Florilegien, Summen und Kirchenrechtssammlungen ein.
Lit.: Etymologiae, hg. v. Lindsay, W.,
1911; Isidoro di Siviglia, hg. v. Fontaine, H., Bd. 1ff. 1962ff.; Diesner, H.,
Isidor von Sevilla und das westgotische Spanien, 1977; Fontaine, J., Isidore de
Séville, 2000
Islam (um 2010 schätzungsweise
1,5 Milliarden Anhänger) ist die von →Mohammed (Mekka um 569-Medina 8. 6. 632)
gestiftete Weltreligion (des alleinigen Gottes Allah), deren Anhänger sich
Muslime (die sich Gott unterwerfen) nennen. Noch im 7. Jh. dehnt sich der I.
von Arabien bis zum Nordwesten Afrikas aus. Seit 711 wird Spanien gewonnen. Im
10. Jh. werden die Türken im Herzen Asiens bekehrt, im 11. Jh. Teile Indiens.
1258 fällt Bagdad an die Mongolen. 1453 wird Byzanz von den Türken erobert und
der I. auf dem Balkan verbreitet. Im 16. Jh. gelangt der I. nach Indonesien, im
20. Jh. in weitere Teile Afrikas. Der I. ist Gesetzesreligion, weshalb schon
der Koran für alle Lebensbereiche Rechtsvorschriften festlegt. Hinzu kommt das
überlieferte Handeln Mohammeds. Hieraus entsteht durch islamische
Rechtsgelehrte eine Pflichtenlehre (→Saria, Scharia). Im 16. Jh. wird im
osmanischen Reich der Richter darüber hinaus den Anweisungen des Sultans
unterstellt.
Lit.: Horster, P., Zur Anwendung des islamischen Rechts im
16. Jahrhundert, 1935; Enzyklopädie des Islam, Bd. 1f. 2. A. 1960ff.; Coulson,
N., A History of Islamic Law, 1964; The Cambridge History of Islam, 1970;
Lexikon der islamischen Welt, hg. v. Kreiser, K. u. a., Bd. 1ff. 1974; Watt,
M./Welch, A., Der Islam, 1980; Schacht, J., An Introduction to Islamic Law,
1982; Abu-Ghosh, S., Das islamische Unterhaltsrecht nach al-Kasani, 1989;
Dilger, K., Tendenzen zur Rechtsentwicklung, (in) Ende, W./Steinbach, U., Der
Islam, 2. A. 1989, 170; Motzki, H., Die Anfänge der islamischen Jurisprudenz,
1991; Khoury/Hagemann/Heine, Islam-Lexikon, Bd. 1ff. 1991; Der politische
Islam, hg. v. Schwarz, J., 1993; Coulson, N., Histoire du droit islamique,
1995; Der Islam in der Gegenwart, hg. v. Ende, W. u. a., 4. A. 1996; Scholz,
P., Malikitisches Verfahrensrecht, 1997; Endreß, G., Der Islam, 3. A. 1997;
Oßwald, R., Pactane sunt servanda, 1998; Nagel, T., Die islamische Welt bis
1500, 1998; Schneider, I., Kinderverkauf und Schuldknechtschaft, 1999; Der Islam in
Europa, hg. v. Heuberger, V., 1999; Arkoun, M., Der Islam, 1999; Halm, H., Der
Islam, 5. A. 2004; Cardini, F., Europa und der Islam, 2000; Beiträge zum
islamischen Recht, Bd. 1ff., hg. v. Ebert, H. u. a., 2000ff.; Kettermann, G.,
Atlas zur Geschichte des Islam, 2001; Tibi, B., Einladung in die islamische
Geschichte, 2001; Motzki, H., The origins of islamic jurisprudence, 2002; Bihl,
W., Islam, 2003; Möhring, H., Warum verlor die islamische Kultur ihre führende
Stellung? HZ 277 (2003), 655; Krämer, G., Geschichte des Islam, 2005; Lohlker,
R., Bibliographie des islamischen Rechts, 2005; Endreß, G., Der Islam in Daten,
2006; Heine, P., Einführung in die Islamwissenschaft, 2008; Kettermann, G.,
Atlas zur Geschichte des Islam, 2008; Black, A., The West and Islam, 2008; Rohe,
M., Das islamische Recht - Geschichte und Gegenwart, 2009, 2. A. 2009, 3. A.
2011; Ebert, H., Die Qadrî-Pâshâ-Kodifikation - Islamisches Personalstatut der
hanafitischen Rechtsschule, 2010 (Entwurf von 1875); Baumgarten, R., Gesichter
des Islam, 2010; Neumann, A., Rechtsgeschichte, Rechtsfindung und
Rechtsfortbildung im Islam, 2012; Stilt, K., Islamic Law in Action, 2012
Island ist
der auf der zweitgrößten Insel Europas gebildete nordwesteuropäische Staat. I.
ist seit dem 4. Jh. n. Chr. bekannt und wird am Anfang des 9. Jh.s durch
iroschottische Mönche und um 875 durch Wikinger (Normannen) besiedelt. 930
erscheint das Allthing. 1000 wird I. christlich. Trotz karger natürlicher
Gegebenheiten entwickeln sich hohe literarische Kultur (Skalden) und
vorbildliche Armenfürsorge. 1262 erhält der König von →Norwegen durch
Vertrag die Herrschaft. 1380 fällt I. mit Norwegen an →Dänemark, das 1550
die Reformation durchsetzt. 1918 wird I. von Dänemark unabhängig. 1944 wird I.
Republik.
Lit.: Finsen, V., Om de oprindelige Ordning af nogle af den
islandske Fristats Institutioner, 1888; Boden, F., Die isländische
Regierungsgewalt in der freistaatlichen Zeit, 1905; Haff, K., Die
wiederaufgefundene „Descriptio Islandiae“, ZRG GA 50 (1930), 389; Midderhoff,
H., Thinggericht und Zwölferspruch in Altisland, ZRG GA 77 (1960), 26;
Scovazzi, M., La saga di Hrafnkell, 1960; Scovazzi, M., Il diritto islandese
nella Landnámabók, 1961; Paulsen, P., Drachenkämpfer, 1966; Imhof, A.,
Grundzüge der nordischen Geschichte, 1970; Kuhn, H., Das alte Island, 1971;
Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte,
hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 2,2,523, 4,4,631; Die Saga von Egil, hg. v.
Schier, K., 1978; Wilde-Stockmeyer, M., Sklaverei auf Island, 1978; Byock, J.,
Medieval Iceland, 1988; Schröder, P., Island, 1994; Björne, L., Den nordiska
rättsvetenskapens historia, Bd. 1ff. 1995ff.; Nedoma, R., Kleine Grammatik des
Altisländischen, 2001, 2. A. 2006, 3. A. 2010; Gerhold, W., Armut und
Armenfürsorge im mittelalterlichen Island, 2002; Arnósd´ttir, A., Property and
Virginity. The Christianization of Marriage in Medieval Iceland 1200-1600, 2010;
Nedoma, R., Kleine Grammatik des Altisländischen, 2001, 2. A. 2006, 3. A. 2010;
See, K. v., Skalden, 2011; Nedoma, R., Altisländisches Lesebuch, 2011
Isländisches Recht
ist das Recht der Isländer bzw. Islands. Seine Anfänge sollen um 930 in
Norwegen nach dem Vorbild der Gulathingslög von Ulfljotr zusammengefasst und in
Island von einer Versammlung (Allthing) als Recht (an. log) angenommen worden
sein. Mit der Christianisierung (1000) treten Änderung in dem mündlich durch
Gesetzessprecher (an. logsogumadr) bewahrten Recht ein. 1117/1118 verfasst der
Gode Hafliðe Marsson eine schriftliche Fassung (an. Haflidaskra), die ebenso
verschollen ist wie das 1122-32 entstehende Christenrecht (an. Kristinna laga
thattr). Vermutlich beruht auf den Inhalten die →Gragas (2. H. 13 Jh.).
1271/1273 wird unter norwegischer Herrschaft (1262) die →Jarnsida
(Eisenseite) angenommen, 1281 die →Jonsbok (Lögbok Islendinga), von der
rund 200 Handschriften überliefert sind. Um 1275 stellt Bischof Arne von
Skalholt ein neues Christenrecht (an. kristinrettr Arna biskupes) zusammen.
Rechtliche Aufschlüsse ermöglichen auch die Geschichtsdarstellungen und die
Isländersagas.
Lit.: Heusler, A., Das Strafrecht der Isländersagas, 1911;
Amira, K. v./Eckhardt, K., Germanisches Recht, Bd. 1 4. A. 1960
Isny
Lit.: Die Urkunden des früheren
reichsstädtischen Archivs Isny bis 1550, hg. v. Kammerer, I. u. a., 1955;
Kammerer, I., Isny, 1956; Wunderlich, P., Das Recht der Reichsstadt Isny, Diss.
jur. Tübingen 1957; Speth, Hermann, Die Reichsstadt Isny am Ende des alten
Reiches, 1973; Hauptmeyer, C., Verfassung und Herrschaft in Isny, 1976
Israel ist
im Alten Testament der zweite Name Jakobs, der stellvertretend für die →Juden
und ihren Staat steht, insbesondere für den seit 1917 angestrebten bzw. (am 14.
Mai 1948 (durch Ausrufung seitens David Ben Gurions) in Palästina verwirklichten
Staat.
Lit.: Noth, M., Geschichte des Volkes Israel, 1956;
Wolffsohn, M., Politik in Israel, 1982; Raacke, G., Der Einfluss
deutschbürtiger Juristen, ZRP 1997, 308; Timm, A., Israel, 1998; Schirer, L.,
Israelisches und jüdisches Recht, 1998; Clauss, M., Das alte Israel, 1999;
Herz, D., Geschichte Israels, 2003; Golden, J., Ancient Canaan and Israel,
2004; Israel und Deutschland, hg. v. Ben Natan, A. u. a., 2005; Gerstenberger,
E., Israel in der Perserzeit, 2005; Kessler, R., Leben zur Zeit der Bibel,
2006; Avidan, I., Ein Staat sucht sich selbst, 2008; Balke, R., Israel, 3. A.
2007; Clauss, M., Geschichte des alten Israel, 2009; Tilly, M. u. a.
Religionsgeschichte Israels, 2011; Baltrusch, E., Herodes, 2012
Istanbul am
Bosporus (vielleicht aus griech. eis tan polin, in die Stadt?) geht auf das
griechische Byzanz bzw. das oströmische Konstaninopel zurück. 1453 wird es
von den Osmanen erobert. Es erhält eine Universität.
Lit.: Barisch, K./Barisch, L., Istanbul,
5. A. 1985
Istrien ist die nach den illyrischen Histri benannte Halbinsel im Nordosten der
Adria, die bis 178 v. Chr. von den Römern erobert wird. Den Römern folgen im 6.
Jh. die Langobarden, dann die Slawen und 789 die Franken. Über die Grafen von
Görz (1291) gelangt Inneristrien 1381 an Österreich, mit Venetien 1797 auch das
Küstenland. 1816 wird der Anteil Österreichs an Istrien dem Königreich Illyrien
zugeteilt, 1849 dem Kronland Görz-Gradiska-Istrien (Küstenland). 1919 gelangt
I. an Italien, 1945 überwiegend an Jugoslawien (Kroatien), 1991 zum größten
Teil an Kroatien.
Italicus →mos
Italicus
Italien ist
der zwischen Griechenland und Spanien bzw. Adria und Tyrrhenischem Meer
gelegene südeuropäische Staat, der seit 1952 zur Europäischen Gemeinschaft bzw.
Europäischen Union (1993) gehört. Am Ende des 2. Jt.s v. Chr. wandern dort von
Norden Italiker (zu lat. vitulus [M.] Kalb?) ein, nach denen die Griechen
zunächst den Süden als Italia bezeichnen. Seit dem 5. Jh. v. Chr. entsteht von
Rom aus ein Reich, das allmählich ganz I. erfasst und sich auf den gesamten
Mittelmeerraum ausdehnt. 476 fällt I. als Teil der westlichen Hälfte des Reiches
der Römer mit Rom an Germanen (Odowakar 476-493, Theoderich den Großen
493-526). Die Rückgewinnung seitens des oströmischen Kaisers Justinian
(527-565) wird durch den folgenden Einbruch der →Langobarden in der
Völkerwanderung (568) gestört. Danach wird I. unter Ostrom (Venedig, Ravenna,
Unteritalien), den Langobarden und dem Papst geteilt. Auf einen Hilferuf des
Papstes besiegt der fränkische König Pippin III. den Langobardenkönig Aistulf
und gewährt dem Papst in der →pippinischen Schenkung 754 Teile der von
den Langobarden besetzten Gebiete (→Kirchenstaat). 774 unterwirft Karl
der Große die Langobarden. Nach zwischenzeitlichen Wirren erneuert Otto I. 951
die Bindung eines Teiles Italiens an das fränkisch-deutsche Reich. Im 11. Jh.
fassen Normannen in Unteritalien (Sizilien) Fuß und beginnen oberitalienische
Städte (z. B. Mailand) nach Selbständigkeit zu streben. Trotz der Heirat
Heinrichs VI. und Konstanzes von Sizilien gelingt den Staufern eine dauerhafte
Sicherung der von Papst und Städten bekämpften Herrschaft nicht. Nach dem
Scheitern der Idee eines einheitlichen Imperiums der Staufer steht I. für drei
Jahrhunderte im Zeichen verhältnismäßig selbständiger, dem Reich meist lehnsrechtlich
verbundener mittelgroßer Herrschaften (z. B. Florenz, Genua, Mailand, Neapel,
Venedig). Seit 1494 wird I. zum Streitgegenstand zwischen Frankreich (als
Nachfolger der Anjou [1265-1282 Sizilien, 1265-1435 Neapel]) und
Spanien/Habsburg (Aragón [Sizilien 1282, Sardinien 1323, Neapel 1442]).
1701/1713 gelangt als Folge des spanischen Erbfolgekriegs der Süden an
Frankreich, der Norden an Österreich. Im Frieden von Campo Formio (1797)
verzichtet der Kaiser des Heiligen römischen Reiches auf alle Reichsrechte in
Italien. Das erwachende Nationalgefühl führt (als [it.] risorgimento) 1859 zum
Kampf (Piemonts [und Frankreichs] gegen Österreich (1859 Sieg bei Solferino),
das 1859 die Lombardei verliert. Danach werden die französischen Bourbonen aus
dem Süden vertrieben. 1860 schließen sich sechs Staaten (Parma-Piacenza,
Toskana, Modena, Umbrien, Marken, Sizilien-Neapel) unter Volksbefragung an
Sardinien-Piémont an. Der Fürst von Sardinien-Piémont nimmt mit dem 17. 3.
1861 den Titel eines Königs von I. an. 1866 wird Österreich Venedig abgenommen
und bis 1870 der Kirchenstaat bis auf geringe Reste durch Annexion eingezogen.
1922 gelangt Benito Mussolini (Dovia di Predappio bei Forli 29. 7. 1887-Giulino
di Mezzegra am Comer See 28. 4. 1945, 1919/1921 Gründung der Faschistischen
Partei) (als Duce del Fascismo bzw. Ministerpräsident) tatsächlich an die
Macht im Königreich und verbündet sich wenig später mit dem Deutschen Reich
unter Adolf Hitler (sowie Japan, Achsenmächte, 1940 Eintritt in den Weltkrieg).
Im zweiten Weltkrieg wird Mussolini nach der Landung der Alliierten in Sizilien
am 25. 7. 1943 gestürzt. Die neue italienische Regierung schließt am 3. 9. 1943
einen Waffenstillstand mit den Alliierten, worauf ab 9. 9. 1943 deutsche Soldaten
italienische Soldaten entwaffnen und vor die Wahl stellen, sich den deutschen
Streitkräften anzuschließen oder in Kriegsgefangenschaft zu gehen. Mussolini
wird von deutschen Truppen befreit und gründet mit deutscher Hilfe eine Republik
in Norditalien. Am 28. 4. 1945 wird er nach Ergreifung auf der Flucht von kommunistischen
Partisanen hingerichtet. Am 2. 6. 1946 wird I. unter Absetzung des Königs wegen
Unterstützung des Faschismus Republik. Politisch gelingen ihm stabile Regierungen
nicht. Seit 1949 gehört Italien der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation
an. Seit 1951 ist es Gründungsmitglied der europäischen Gemeinschaften (1993
Europäische Union).
Lit.: Köbler, DRG 133, 170, 172, 173;
Köbler, Historisches Lexikon; Lessico Etimologico Italiano; Blandini, G., La
tirannide italiana nel rinascimento, 1889; Roberti, M., Dei bene appartenenti
alle città, 1903; Mayer, E., Italienische Verfassungsgeschichte, 1909; Mayer,
E., Bemerkungen zur frühmittelalterlichen, insbesondere italienischen
Verfassungsgeschichte, 1912; Chiapelli, L., L’età longobarda e Pistoia, 1922;
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3, 2 (1922); Schneider, F., Die Entstehung von Burg und Landgemeinde in
Italien, 1924; Sthamer, E., Aufgaben der Geschichtsforschung in Unteritalien,
ZRG GA 46 (1926), 132; Bognetti, G., Sulle origini dei comuni rurali nel medioevo,
1926; Below, G. v., Die italienische Kaiserpolitik des deutschen Mittelalters,
1927; Stutz, U., Neue Forschungen zur Geschichte des italienischen
Städtewesens, ZRG GA 48 (1928), 444; Calasso, F., La legislazione statutaria
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Dahm, G., Das Strafrecht Italiens im ausgehenden Mittelalter,
1931; Solmi, A., L’amministrazione
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Die finanzielle Bedeutung Reichsitaliens für die staufischen Herrscher des
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consiglio d’Italia, 1934 (Atti Palermo); Deutsch, W., Das Wesen des italienischen
Staates, 1936; Beloch, K., Bevölkerungsgeschichte Italiens 1, 1937; Rasi, P.,
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Frühstaufer in Italien, 1970; Projet du Code civil de la Republique Romaine
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Klosters Moggio bis 1250, 1985; Goetz, W., Grundzüge der Geschichte Italiens,
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hg. v. Elze, R. u. a., 1991; Potter, T., Das römische Italien, 1992; Die großen
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v. Nappo, T., Bd. 1ff. 1993; Chielloni, C. u. a., Italien, 3. A. 1995;
Italien-Lexikon, hg. v. Brütting, R., 1995; Die deutsche und italienische
Rechtskultur, hg. v. Mazzacane, A. u. a., 1995; Pauler, R., Die deutschen
Könige und Italien, 1997; Hersche, P., Italien im Barockzeitalter, 1999;
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Patriziats, 1999; Delumeau, J./Heullant-Donat, I., L’Italie au Moyen Âge, 2000;
Ascheri, M., I diritti del Medioevo Italiano, 2000; Voßkamp, U., Instabilität
und Regierbarkeit, 2001; Cammarosano, P., Storia dell’Italia medievale, 2001
Verfassungsgebung, partitocrazia und Verfassungswandel in Italien vom Ende des
2. Weltkrieges bis heute, hg. v. Ullrich, H., 2001; Reinhardt, V., Die
Renaissance in Italien, 2002; Reinhardt, V., Geschichte Italiens, 2003;
Padoa-Schioppa, A., Italia ed Europa nella storia del diritto, 2003; Italy in
the Central Middle Ages 1000-1300, hg. v. Abulafia, D., 2004; Arnaldi, G.,
Italien und seine Invasoren, 2005; Reiter, J., Entstehung und staatsrechtliche
Theorie der italienischen Carta del lavoro, 2005; Quellen zu den deutsch-italienischen
Beziehungen 1861-1963, hg. v. Altgeld, W., 2005; Moos, C., Ausgrenzung,
Internierung, Deportation, 2005; Israel, U., Fremde aus dem Norden, 2005;
Fennoaltea, S., L’economia italiana dall’Ùnità alla Grande Guerra, 2006; Lange, H./Kriechbaum, M.,
Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 941; Bellabarba, M., La giustizia
nell’Italia moderna, 2008; Singer, K., Konstitutionalismus auf Italienisch,
2008; Altgeld, W., Benito Mussolini (1883-1945), 2009; Goez, E., Geschichte
Italiens im Mittelalter, 2010; Weber, C., Zeichen der Ordnung und des Aufruhrs,
2010; Weber, C., Episcopus et princeps, 2010; Woller, H., Geschichte Italiens
im 20. Jahrhundert, 2010; Hof, T., Staat und Terrorismus in Italien 1969-1982,
2010; Le trasformazioni del V secolo - L’Italia, hg. v. Felogu, P. u. a., 2010;
Viarengo, A., Cavour, 2010; Traniello, F. u. a., Der lange Weg zur Nation, 2011;
Das Recht und die Rechtsschändung - 70
Jahre nach dem Erlass der italienischen Rassengesetze, hg. v. Garlati, L. u.
a., 2011; Kraatz Magri, J., Der umkämpfte Volksheldm 2011 (Garibaldi); Tikkanen,
K., A Sabellian Case Grammar, 2011; Saviano,
R., Der Kampf geht weiter, 2012; Gentile, C., Wehrmacht, Waffen-SS und Polizei,
2012; Grossi, P., Il
diritto nella storia dell’Italia, 2012
Italienisches Recht
ist das in Italien geltende Recht. Es ist im Altertum das römische Recht. Nach
dem Untergang Westroms dringen germanisch/germanistische (Goten, Langobarden,
Franken, Normannen), griechische und arabische (sarazenische) Volksgruppen ein.
Die Wissenschaft des römischen Rechtes verschwindet (vermutlich). In Pavia
entwickelt sich eine Rechtsschule der Langobarden. Im ausgehenden 11. Jh. wird
das römische Recht wiederentdeckt (→Irnerius). Daneben tritt örtliches
Recht der einzelnen Städte und Stadtstaaten immer stärker hervor (→Statuten),
neben denen das von Glossatoren und Kommentatoren weiterentwickelte gelehrte
Recht als gemeines Recht (lat. →ius [N.] commune) gilt. Am Beginn der
Neuzeit tritt die italienische Rechtswissenschaft (lat. [M.] →mos
Italicus) zugunsten der französischen Rechtswissenschaft (lat. [M.] mos
Gallicus) zurück. Die bereits im 18. Jh. entstehenden Gesetze einzelner Staaten
werden zwischen 1804 und 1811 durch die Kodifikationen Frankreichs ersetzt und
danach nur teilweise wieder eingeführt. Im Königreich Italien werden 1865 ein
Zivilgesetzbuch (it. Codice civile), eine Zivilprozessordnung, ein
Handelsgesetzbuch (it. Codice di commercio) und 1889 ein Strafgesetzbuch
erlassen. 1930 wird das Strafrecht neu gefasst, 1931 das Strafprozessrecht und
1942 das Zivilgesetzbuch (einschließlich Handelsrecht, 2969 Artikel) und das
Zivilprozessrecht. Bereits seit 1890 entstehen zahlreiche Sozialgesetze.
Lit.: Pertile, A., Storia del diritto italiano, Bd. 1ff. 2.
A. 1896ff.; Ciccaglione, F., Il diritto successorio nella storia del diritto
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F., Scritti di storia del diritto privato italiano, hg. v. Ermini, G., 1931;
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„convenientia“, 1932; Leicht, P., Il diritto privato preirneriano, 1933;
Paradisi, B., Massaricium ius, 1937; Nicolini, U., Le limitazioni alla
proprietà, 1937; Mochi Onory, S., Diritti della personalità e rapporti di
famiglia nel rinascimento italiano, ZRG GA 58 (1938), 478; Engelmann, W., Die
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proprietà degli alberi, 1941 (Ak. Palermo); Dahm, G., Untersuchungen zur
Verfassungs- und Strafrechtsgeschichte der italienischen Stadt, 1941; Paradisi,
B., Gli studi di storia del diritto italiano, 1950; Petracchi, A., Le origini
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3,3,3209,3625,3735,3831,3908,3985,4109; Celli, R., Studi sui sistemi normativi
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Rechtes im 18. Jahrhundert, (in) Formazione storica, Bd. 2 1977, 819; Bonini,
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Santini, G., Europa medioevale, 1986; Cavina, M., Dottrine giuridiche a strutture
sociali padane nella prima età moderne, Carolus Ruinus (1456-1530), 1988;
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Rechtskultur während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hg. v. Schulze,
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2012; Ascheri, M., The Laws of Late Medieval Italy (1000-1500), 2012
Iter (lat.
[N.] Weg) ist schon im altrömischen Recht die Grunddienstbarkeit (Servitut) des
Fußwegs und Reitwegs.
Lit.: Kaser § 28 I 2a
Itinerar (N.)
Reiseweg
Lit.: Widders, E., Itinerar und Politik, 1993; Schütte, B.,
König Philipp von Schwaben. Itinerar – Urkundenvergabe – Hof, 2002;
L’itinérance des seigneurs, hg. v. Paravicini Bagliani, A. u. a., 2003
Itio (F.) in partes (lat.) ist im neuzeitlichen Heiligen römischen Reich das konfessionsbedingte Auseinandertreten
jeder der drei Kurien des →Reichstags in Religionsfragen seit etwa 1529,
gesetzlich auf Drängen der Protestanten anerkannt seit 1648 (Friede von Münster
und Osnabrück, Notwendigkeit der [lat.] amicabilis compositio [F.] freundschaftlichen
Übereinkunft).
Lit.: Weber, L., Die Parität der Konfessionen in der
Reichsverfassung, Diss. jur. Bonn 1961, 169; Heckel, M., Itio in partes, ZRG KA
95 (1978), 180
Itzehoe
Lit.: Maertens, R., Das
Landgericht Altona (1879-1937) und die Anfänge des Landgerichts Itzehoe
(1937-1945), 2011
Iudex (lat.
[M.]) ist schon im altrömischen Recht der vom Magistrat einzusetzende Richter.
Er ist im Formalverfahren ein Privatmann, auf den sich die Beteiligten einigen
und der nach Ableistung eines Eides mit der Entscheidungsaufgabe betraut werden
kann. Er wird zumindest später durch Wahl seitens der Parteien oder aus einer
amtlichen Liste (von Senatoren und später auch Rittern) bestimmt (seit Augustus
etwa 3000, seit Caligula etwa 4000 Geschworene). Der i. ist für
Rechtsverletzungen mit dem Sachwert verantworlich. Im Kognitionsverfahren ist
der i. Amtsträger. →Richter
Lit.: Kaser §§ 81 II 2, 82 II 5; Köbler, DRG 19; Köbler,
LAW; Guttenberg, E. v., Iudex h. e. grafio, FS E. Stengel, 1952, 93; Broggini,
G., Iudex arbiterve, 1957; Kelly, J., Princeps iudex, 1957; Nörr, K., Zur
Stellung des Richters im gelehrten Prozess der Frühzeit, 1967; Horn, N.,
Bologneser Doctores und Iudices, ZHF 3 (1976); Drüppel, H., Iudex civitatis,
1981; Peachin, M., Iudex vice Caesaris, 1996; Mangold, O., Iniuria iudicis,
Diss. jur. Tübingen 2004
Iudex non calculat (lat.). Der Richter rechnet nicht.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Macer, frühes 3. Jh., Digesten 49, 8, 1 § 2)
Iudicium (lat.
[N.] Urteil, Gericht, Urteilsgericht) ist im römischen Recht das vom Magistrat
den Parteien unter ihrer Mitwirkung eingesetzte Gericht, in dem der Richter (lat.
[M.] iudex) das Urteil treffen soll (Spruchgericht). Bei einem (lat.) i.
stricti iuris (Verfahren nach strengem Recht) hat der Richter (iudex) kein
Ermessen (z. B. Darlehen, Stipulation) und muss die Gegenseite bereits vor dem
Gerichtsmagistrat (in iure) ihre (lat. [F.]) exceptio vortragen. Anders verhält
es sich bei dem (lat. [F.]) bonae fidei iudicium (Verfahren nach guter Treue).
Lit.: Kaser § 82 III; Köbler, LAW; Cram, K., Iudicium
belli, 1955; Kaufmann, E., Aequitatis iudicium, 1959; Honsell, H., Quod
interest im bonae fidei iudicium, 1969
Iudicium (N.) parium (mlat.) ist vielleicht schon seit dem Frühmittelalter das Gericht der
im Stand Gleichen (Magna Charta England 1215). Mit dem Schwinden des Gedankens
der Notwendigkeit des i. p. geht die Entstehung des Instanzenzuges einher.
Lit.: Weisse, C., De iudicio parium, 1828; Kern, E.,
Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, 1954
Iulianus, Publius
Salvius (Hadrumetum um 100-um 170), Abkömmling einer aus Italien kommenden
Kaufmannsfamilie in Nordafrika und Schüler Iavolens, wird mit einer
eindrucksvollen Ämterlaufbahn (Quästor, Statthalter, 148 n. Chr. Konsul) zu
einem der bedeutendsten römischen Rechtskundigen der klassischen Zeit. In
seinen in den justinianischen Digesten auszugsweise überlieferten Werken ([90
libri] digesta, libri ad Urseium Ferocem, liber singularis de ambiguitatibus,
quaestiones) erörtert er ohne verbindenden Text schwierige Einzelfragen. Kaiser
Hadrian überträgt ihm die abschließende Bearbeitung des prätorischen Edikts
(um 130). Er ist Oberhaupt der sabinianischen Rechtsschule.
Lit.: Söllner §§ 15, 16; Köbler, DRG 31; Bund, E.,
Untersuchungen zur Methode Julians, 1965; Kunkel, W., Herkunft und soziale
Stellung der römischen Juristen, 2. A. 1967, 157
Iulianus (Konstantinopel
um 554 Einführungsvorlesung in die justinianischen Novellen in lateinischer
Sprache) ist ein byzantinischer Rechtslehrer.
Lit.: Kaiser, W., Die Epitome Iuliani,
2004
Iunius (Marcus
Iunius Brutus) ist ein römischer Rechtskundiger des 2. Jh.s v. Chr., von dem
(lat.) libri (M.Pl.) tres iuris civilis (drei Bücher Zivilrecht) bekannt sind.
iuramentum (lat.
[N.]) Eid, Schwur
Lit.:
Körner, T., Iuramentum und frühe Friedensbewegung, 1977
Iura (N.Pl.) novit curia (lat.). Das Gericht kennt das Recht (Papst Alexander III. [um 1100-1181]
Dekretalen 2, 1, 6
Iura (N.Pl.) ossibus inhaerent (lat.). Die Rechte hängen an den Knochen (Personalitätsprinzip).
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
Iura praediorum
(lat. [N.Pl. zu ius praedii]) sind im römischen Recht die landwirtschaftlichen
und städtischen Servituten (Grunddienstbarkeiten) wie (lat.) iter (N.), actus
(M.), via (F.), aquaeductus (M.), servitus (M.) stillicidii u. s. w.
Lit.: Kaser § 28 I 2
iuris consultus
(lat. [M.]) Rechtsgelehrter
Lit.: Söllner § 11; Diplovatatius, T., De claris iuris
consultis, hg. v. Schulz, F. u. a., 1968
iurisdictio (lat.
[F.]) Rechtsprechung, Gerichtsbarkeit
Lit.: Söllner §§ 6, 9
iurisdictio (F.) voluntaria (lat.) →freiwillige Gerichtsbarkeit
Lit.: Wacke, A., Zur iurisdictio voluntaria, ZRG RA 106
(1989), 180
Iuris praecepta sunt haec - honeste vivere, alterum
non laedere, suum cuique tribuere (lat.). Die
Anweisungen des Rechtes sind: ehrenhaft leben, den anderen nicht verletzen,
jedem das Seine zugestehen.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Pseudoulpian, 3./4. Jh., Digesten 1, 1, 10 § 1); Nörr, D., Iurisperitus
sacerdos, (in) Xenion, FS J. Zepos, 1973, Bd. 1, 555
Ius (lat.
[N.]) ist das Recht und (sekundär?) das Gericht. Die Etymologie dieses
Grundwortes ist streitig (nach Seebold verwandt mit ahd. ewa?). Das Wort kann
sowohl objektiv (Gesamtheit von ordnenden Rechtssätzen, objektives Recht) wie
auch subjektiv (Einzelberechtigung, subjektives Recht) gebraucht werden.
Lit.: Söllner §§ 8, 9; Köbler, DRG 17, 60, 82; Köbler, LAW;
Levy, E., Ergänzungsindex zu ius und leges, 1930; Noailles, P., Fas et ius,
1948; Köbler, G., Das Recht im frühen Mittelalter, 1971; Feenstra, R., Ius in
re, 1979; Wieacker, F., Römische Rechtsgeschichte, Bd. 1f. 1988ff.; Haug, F.,
Ius und fas, 1996; Spengler, H., Studien zur interrogatio in iure, 1994;
Kriechbaum, M., Actio, ius und dominium in den Rechtslehren des 13. und 14.
Jahrhunderts, 1996; Schiavone, A., Ius – L’invenzione del diritto in occidente,
2005
Ius (N.) ad rem (lat.) ist im Mittelalter das mit dem Abschluss eines Rechtsgeschäfts
entstehende Recht auf die Sache. Es erscheint in der gelehrten Literatur des
13. Jh.s (Kanonistik [1200-1210], Summa super usibus feudorum [1230-1250,
Jacques de Revigny?]) für den Lehnsmann, der zwar bereits belehnt ist, das
Lehnsgut aber noch nicht körperlich erlangt hat. Er darf das Gut (auch im
Verhältnis zu [bösgläubigen] Dritten) an sich ziehen. Ähnliches gilt für den Erwerber
einer Pfründe. In der frühen Neuzeit wird das i. a. r. zu dem allgemeinen Grundsatz
ausgebaut, dass der spätere dingliche Erwerber einer Sache dem früheren schuldrechtlichen,
dessen Anspruch er kennt, weichen muss. In einzelnen Regelungen ist das i. a.
r. in das →Allgemeine Landrecht (Preußen 1794) eingegangen. Mit dem preußischen
Eigentumserwerbsgesetz (5. 5. 1872) wird es für unbewegliche Sachen durch die
→Vormerkung ersetzt. Im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (Österreich
1811/1812) und im Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches (1896/1900)
fehlt es.
Lit.: Hübner 178; Köbler, DRG 126, 164; Brünneck, W. v.,
Über den Ursprung des sog. ius ad rem, 1869; Heymann, E., Zur Geschichte des
jus ad rem, FS O. Gierke, 1911; Eisfeldt, Beiträge zur Geschichte des ius ad
rem, Diss. jur. Kiel 1935; Schubert, W., Die Entstehung der Vorschriften des
BGB über Besitz und Eigentumsübertragung, 1966, 121; Landau, P., Zum Ursprung
des „ius ad rem“ in der Kanonistik, Proceedings of the Third International
Congress of Medieval Canon Law, 1971, 81; Wesener, G., Dingliche und
persönliche Sachenrechte - iura in re und iura ad rem, FS H. Niederländer,
1991, 195; Michaels, R., Sachzuordnung durch Kaufvertrag, 2002
Ius (N.) Aelianum ist im römischen Recht das von dem frühen Rechtskundigen
Sextus Aelius Paetus Catus (198 v. Chr.) zusammengefasste Recht.
Lit.: Söllner § 11; Köbler, DRG 29
Ius (N.) affectandi (lat.) ist das im (lat.) →privilegium (N.) minus
(1156) dem babenbergischen Herzog Heinrich Jasomirgott von Österreich und
seiner Frau (nicht den Nachfolgern) gewährte Recht, bei Kinderlosigkeit den
Nachfolger zu bestimmen. Es wird im gefälschten (lat.) privilegium (N.) maius (1358)
vom Fälscher auf alle österreichischen Herzöge erweitert.
Lit.: Baltl/Kocher
Ius (N.) armorum (lat.) ist im Heiligen römischen Reich in der Neuzeit das Recht, ein Heer zu
unterhalten.
Lit.: Oestreich, G., Zur Heeresverfassung der deutschen
Territorien von 1500-1800, (in) Forschungen zu Staat und Verfassung, 1958, 419
Ius (N.) canonicum (lat.) (kanonisches Recht) ist das seit etwa 1140 im →Decretum
Gratiani und den folgenden Teilen des (lat.) →corpus (N.) iuris canonici
niedergelegte kirchliche oder geistliche Recht.
Lit.: Köbler, DRG 106; Maaßen, F., Geschichte der Quellen
und Literatur des canonischen Rechts, Bd. 1 1870, Neudruck 1956; Corpus iuris
canonici, hg. v. Friedberg, E., 1879ff., Neudruck 1955, 1959; Codex iuris
canonici, hg. v. Gasparri, 1917; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5.
A. 1972; Wolter, U., Ius canonicum in iure civili, 1975; Erler, A.,
Kirchenrecht, 5. A. 1983; Codex des kanonischen Rechtes, 1983, 2. A. 1984;
Zapp, H., Codex iuris canonici, Lemmata, 1986
Ius (N.) civile (lat.) ist das Recht der römischen Bürger im Gegensatz zum (lat.) ius
(N.) gentium und zum (lat.) ius (N.) honorarium (bzw. praetorium). Es beruht
auf dem Zwölftafelgesetz, auf den Volksgesetzen und der daran anknüpfenden
Auslegung (der Rechtskundigen). Im Frühmittelalter ist i. c. das weltliche
Recht im Gegensatz zum (lat.) ius (N.) canonicum, seit dem Hochmittelalter auch
das Stadtrecht im Gegensatz zum Landrecht (lat. ius [N.] terrae). Im 18. Jh.
entspricht dem i. c. das bürgerliche Recht (Privatrecht). Unter dem Einfluss
von i. c. ersetzt Zivilrecht zunehmend den Ausdruck Privatrecht.
Lit.: Kaser §§ 2, 3; Söllner §§ 7, 9, 16, 18, 20, 25;
Köbler, DRG 29, 30, 31, 106; Köbler, G., Civis und ius civile im deutschen
Frühmittelalter, Diss. jur. Göttingen 1964; Wolter, U., Ius canonicum in iure
civili, 1975; Kaser, M., Ius honorarium und ius civile, ZRG RA 101 (1984), 1
Ius (N.) civile Flavianum (lat.) ist das 304 v. Chr. von Gnaeus Flavius
veröffentlichte römische Recht.
Lit.: Köbler, DRG 29
Ius (N.) cogens (lat.) ist das zwingende und damit von den Beteiligten nicht
abänderbare Recht (z. B. Eheschließungsrecht) im Gegensatz zum durch die
Beteiligten abänderbaren Recht (lat. ius [N.] dispositivum, z. B. gesetzliches
Erbrecht).
Lit.: Kaser § 3 II
Ius (N.) commune (lat.) ist das gemeine Recht im Gegensatz zum besonderen
Recht. Im Altertum hat i. c. keine besondere Bedeutung. Seit der
Wiederentdeckung des römischen Rechtes im Hochmittelalter benennt es das
römische Recht (und das kanonische Recht) im Gegensatz zum besonderen Recht
einzelner Orte (Städte) oder Gebiete (Länder). Es wird erst durch die
Kodifikationen von 1794 (Preußen), 1804 (Frankreich) und 1811ff. (Österreich
und andere) abgelöst.
Lit.: Kaser § 3 VI; Söllner §§ 2, 3, 25; Kroeschell, DRG 2;
Köbler, DRG 137; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A.
1967; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.; Helmholz, R., The
ius commune in England, 2002; Bellomo, M., Europäische Rechtseinheit, 2005
Ius (N.) divinum (lat.) ist das göttliche Recht. Es ist im Christentum
schon früh als vorrangig anerkannt. Es wird der göttlichen Offenbarung der
Bibel und im weiteren Sinn auch dem Naturrecht entnommen. Das i. d. positivum
ist unabänderlich (hierarchische Gliederung, Gewalt, Sakramente). Das i. d.
naturale, das durch die menschliche Vernunft erkannt wird, ist zwar auch
grundsätzlich unabänderlich, aber entsprechend der menschlichen Vernunft in
seiner Anwendung Schwankungen unterworfen. Das menschliche Gesetz darf nicht
gegen das i. d. verstoßen. Im 19. Jh. wird das i. d. teilweise nur als
moralische Anweisung eingeordnet, die erst in Rechtssätze überführt werden
muss.
Lit.: Rößer, E., Göttliches und menschliches, unveränderliches
und veränderliches Kirchenrecht, 1934; Plöchl, W., Das Legitimitätsproblem und
das kanonische Recht, 1938; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983
Ius est ars boni et aequi (lat.). Das Recht ist die Kunst (bzw. das Handwerk) des
Billigen und Gerechten.
Lit.: Liebs, A., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
(Celsus, um 70-um 140)
Ius (N.) evocandi (lat.) ist im Heiligen römischen Reich das Recht des Königs, jede Streitsache zur
Entscheidung an sich zu ziehen (Evokationsrecht). Seit dem 13. Jh. erteilt der
König vereinzelt, 1356 den Kurfürsten allgemein das Privileg, dieses Recht
nicht in Bezug auf das privilegierte Land zu nutzen. 1487 bzw. 1495 verliert
das Nichtevokationsprivileg grundsätzlich seine Bedeutung, weil das
königliche Gericht keine Zuständigkeit für reichsmittelbare Menschen mehr hat.
Lit.: Eisenhardt, U., Die Rechtswirkungen der in der
Goldenen Bulle genannten privilegia de non evocando et appellando, ZRG GA 86
(1969), 75
Ius (N.) foederis (lat.) bzw. ius faciendi foedera ist das seit 1648 allen
Gliedern des Heiligen römischen Reiches zustehende →Bündnisrecht.
Ius (N.) gentium (lat.) (Fremdenrecht) ist im römischen Recht seit Cicero
(106-43 v. Chr.) das (römische, bei allen Völkern - für alle Rechtssubjekte -
auch) für Nichtrömer geltende Recht (Recht der Völker), das nach späterer
Ansicht auf der natürlichen Einsicht aller Völker beruht und dem (lat.) ius
(N.) naturale (→Naturrecht) nahesteht. Es wird vom römischen (lat. [M.])
praetor peregrinus (Fremdenprätor) angewendet, wenn mindestens ein Fremder
(lat. [M.] peregrinus) beteiligt ist. Es gewinnt in der frühen Neuzeit für das
Naturrecht erneute Bedeutung.
Lit.: Kaser §§ 2, 3; Söllner §§ 18, 20; Köbler, DRG 30, 31,
146; Kaser M., Ius gentium, 1993
Ius (N.) honorarium (lat.) ist im römischen Recht das von den Amtsträgern
(Prätoren) geschaffene Recht (lat. [N.] ius praetorium), das vorwiegend den
Bereich des Rechtes der Völker (lat. ius [N.] gentium) betrifft (z. B. bonorum
possessio bei bloßer traditio von res mancipi).
Lit.: Kaser §§ 2, 3; Söllner §§ 7, 8, 9, 15, 20; Köbler,
DRG 31; Wieacker, F., Römische Rechtsgeschichte, Bd. 1 1988; Kaser, M., Ius
honorarium und ius civile, ZRG RA 101 (1984), 1
ius (N.) in re
(lat.) Recht in der Sache
Lit.: Wesener, G., Dingliche und persönliche Sachenrechte -
iura in re und iura ad rem, FS H. Niederländer, 1991, 195
iusiurandum (lat.
[N.]) Eid
iusiurandum (N.) calumniae (lat.) Schikaneeid, →Kalumnieneid
ius (N.) liberorum (lat.) Recht der Frau nach der Geburt mehrerer Kinder (z.
B. Befreiung von Geschlechtsvormundschaft)
Ius (N.) naturale (lat.) ist das von der Natur dem Menschen vorgegebene
Recht (griech. physei dikaion). Es steht im Gegensatz zum vom Menschen
geschaffenen Recht, insbesondere dem gesetzten Recht (griech. thesei dikaion).
→Naturrecht
Lit.: Söllner § 18; Köbler, DRG 31, 146; Waldstein, W., Ius
naturale, ZRG RA 111 (1994), 1
Ius (N.) offerendi (lat.) ist das Recht anzubieten (z. B. des nachrangigen Pfandgläubigers, der die Ablösung der Forderung eines vorrangigen
Pfandgläubigers nachrückt).
Ius (N.) Papirianum ist das durch zweifelhafte Königsgesetze geschaffene, am
Ende des 6. Jh.s v. Chr. von dem Oberpriester Papirius veröffentlichte, aber
nicht überlieferte römische Recht.
Lit.: Söllner § 5; Köbler, DRG 17; Wieacker, F., Römische
Rechtsgeschichte, Bd. 1 1988
ius (N.) perpetuum (lat.) Dauerpacht
Ius (N.) politiae (lat.) ist in der frühen Neuzeit die Polizeigewalt des
Landesherrn.
Lit.: Kroeschell, DRG 3
Ius
(N.) positivum ist das gesetzte Recht im
Gegensatz zum ungesetzten Recht. Die Bezeichnung fehlt im Altertum. Sie findet
sich in Abgrenzung zu ius naturale um 1170 bei Kanonisten in Frankreich und
fällt anscheinend mit der Wiederentdeckung der Möglichkeit, Recht bewusst zu
setzen, ungefähr zusammen,
Lit.: Kuttner, S., Sur les origines du terme „droit positif“ (in)
RHDFE 15 (1936), 728ff.
Ius (N.) praetorium (lat.) ist das vom römischen Prätor geschaffene Amtsrecht
(lat. [N.] ius honorarium).
Lit.: Söllner §§ 7, 8, 9, 15, 20;
Köbler, DRG 31
Ius (N.) primae noctis (lat.) ist das nur vereinzelt belegte, (als geldlich
ablösbar erklärte) Recht des Grundherrn (Hirslanden 1538, Muri 1543) auf die
erste Nacht einer heiratenden Hintersassin.
Lit.: Schmidt, K., Ius primae noctis, 1881; Boureau, A.,
Das Recht der ersten Nacht, 1996; Wettlaufer, J., Das Herrenrecht der ersten
Nacht, 1999; Ogris, W., Gesinderecht und ius primae noctis in Mozarts Le nozze
di Figaro (in) Wiener Staatsoper, Wolfgang Amadeus Mozart Le nozze di Figaro,
2011, 49
Ius (N.) privatum (lat.) ist im römischen Recht nach einer Ulpian (170?-223)
zugeschriebenen Beschreibung ([lat.] privatum [ius est], quod ad singulorum
utilitatem [spectat]) das Recht, das den Nutzen des Einzelnen belangt. Es
bildet die Grundlage für das zu Beginn der Neuzeit abgesonderte →Privatrecht.
Lit.: Kaser § 3 II; Söllner §§ 7, 18; Köbler, DRG 54;
Kaser, M., Ius publicum und ius privatum, ZRG RA 103 (1986), 1
Ius (N.) publicum (lat.) ist im römischen Recht nach einer Ulpian (170?-223)
zugeschriebenen Beschreibung ([lat.] publicum ius est, quod ad statum rei
Romanae spectat) das Recht, das die Verhältnisse des römischen Gemeinwesens
betrifft. Es bildet die Grundlage für das zu Beginn der Neuzeit vor allem von
protestantischen Juristen abgesonderte öffentliche Recht.
Lit.: Kaser §§ 3 II, 17 II; Söllner §§ 7, 18; Kroeschell,
DRG 3; Köbler, DRG 54; Kaser, M., Ius publicum und ius privatum, ZRG RA 103
(1986), 1; Stolleis, M., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd.
1 1988
Ius (N.) quaesitum (lat.) ist in der frühen Neuzeit das subjektive,
gerichtlich geschützte Recht, das eine Person durch einen Rechtsvorgang im
Rahmen der bestehenden Rechtsordnung erlangt hat (z. B. Konzession).
Lit.: Meyer, G., Der Staat und die erworbenen Rechte, 1895
Ius (N.) Quiritium (lat.) ist das (lat.) →ius (N.) civile der römischen
Bürger.
Lit.: Kaser § 22; Söllner § 9
Ius (N.) reformandi ist im neuzeitlichen Heiligen römischen Reich das Recht des Landesherrn bzw. Staates, die
Religionsangelegenheiten rechtlich zu gestalten. Es wird im Frieden von
Münster und Osnabrück 1648 ausdrücklich anerkannt. Seit dem 19. Jh. wird es
eingeschränkt.
Lit.: Bonin, B. v., Die praktische Bedeutung des ius
reformandi, 1902; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983
Ius (N.) respondendi (lat.) ist das vom Prinzeps Augustus (27 v. Chr.-14 n. Chr.) einzelnen
Rechtskundigen des römischen Rechtes verliehene Recht, in seinem Namen auf
Anfragen zu antworten.
Ius (N.) reservatum (lat.) ist in der frühen Neuzeit das (dem Kaiser)
vorbehaltene Recht (z. B. Gesetzesinitiative im Reichstag, Adelsverleihung) im
Gegensatz zu dem nur gemeinsam mit dem Reichstag ausübbaren ius comitiale. Für
das (lat.) ius reservatum limitatum (eingeschränktes Reservatrecht) bedarf der
Kaiser der Zustimmung der Kurfürsten (z. B. Verhängung der Reichsacht,
Einberufung des Reichstags, Erteilung von Münzrechten oder Zollrechten). Aus
den Rechten des Monarchen wird im 19. Jh. die Prärogative der Krone.
Lit.: Pratje, J., Die kaiserlichen Reservatrechte, Diss.
jur. Erlangen 1957 (masch.schr.)
Ius Romanum allegans fundatam habet intentionem (lat.). Wer sich auf römisches Recht beruft, hat eine
brauchbare Klagegrundlage.
Lit.: Wiegand, W., Studien zur Rechtsanwendungslehre,
1977, 1; Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007
Ius (N.) spolii (lat.), Spolienrecht, ist der frühere Anspruch des Staates auf das
bewegliche Vermögen verstorbener kirchlicher Würdenträger.
Lit.: Prochnow, F., Das Spolienrecht, 1919; Feine, H.,
Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972
ius (N.) strictum (lat.) strenges Recht, das durch (lat. [F.]) aequitas gemildert werden
kann
ius (N.) terrae →Landrecht
ius (N.) territorii et superioritatis (lat.) Landeshoheit
Ius (N.) teutonicum (lat.) ist im Mittelalter (12./13. Jh.) das deutsche Recht
als ein deutschen Siedlern von slawischen Fürsten gewährtes freieres Grundbesitzrecht
im Osten.
Lit.: Kroeschell, DRG 1; Kötzschke, R., Die Anfänge des deutschen
Rechtes, Ber. ü. d. Verh. d. sächs. Akad. d. Wiss. Leipzig phil.-hist. Kl. 93
1941, H. 2
Ius (N.) tollendi (lat.) ist im römischen Recht das Wegnahmerecht (z. B. des im Rechtsstreit unterlegenen Besitzers bezüglich nicht zu
ersetzender, abtrennbarer Aufwendungen).
Lit.: Kaser §§ 26, 27
Ius (N.) transitus (lat.) ist das Durchzugsrecht durch fremdes Staatsgebiet
zu →Enklaven.
Ius (N.) utrumque (lat.) ist seit dem 12. Jh. eine Bezeichnung für das
(lat.) ius (N.) canonicum und das (lat.) ius (N.) civile. Beide Rechte lehrt
vielleicht als erster Bazianus (1197) in Bologna. Seit der Neuzeit betrifft das
juristische Studium regelmäßig beide Rechte (→[lat.] doctor [M.] iuris
utriusque), doch schwindet das kanonische (kirchliche) Recht an den
huristischen Fakultäten im 20. Jahrhundert weitgehend.
Lit.: Trusen, W., Anfänge des gelehrten Rechtes in
Deutschland, 1962; Utrumque ius, hg. v. Schrage, E., 1992
Ius (N.) vitae necisque (lat.) ist im römischen Recht das Recht des Herrn über
Leben und Tod eines Menschen (z. B. lat. [M.] servus, untreue Ehefrau).
Lit.: Kaser § 12, 58, 60; Söllner §§ 5,
8
iusiurandum ([lat.] N.) Eid
iussum (lat.
[N.]) Geheiß (z. B. an einen Gewaltunterworfenen auf Erwerb einer Sache),
Ermächtigung (z. B. an den Geschäftspartner eines Gewaltunterworfenen)
Iusta causa
(lat. [F.]) ist im römischen Recht der anerkannte Zuwendungszweck (z. B. Kauf,
Mitgift) für die Übergabe (lat. traditio [F.]) einer Sache. Fehlt die i. c.,
kann kein Eigentum übertragen werden.
Lit.: Kaser § 24 IV; Söllner § 8;
Köbler, DRG 40
Iustitia (lat.
[F.]) ist die Gerechtigkeit.
Lit.: Köbler, DRG 30; Kissel, O., Die Justitia, 1984, 2. A.
1997; Degen, B., Justitita ist eine Frau, 2008; Ostwaldt, L., Aequitas und Justitia, 2009; Schmoeckel,
M., Die Jugend der Justitia, 2013
Iustitia est constans et perpetua voluntas suum cuique
tribuendi (lat.). Gerechtigkeit ist der
stetige und fortdauernde Wille, jedem das Seine zu geben.
Lit.: Liebs, D., Lateinische Rechtsregeln, 7. A. 2007, 106,
Nr. 195 (Pseudoulpian, 3./4. Jh., Institutionen 1, 1, pr.)
Iustum bellum
(lat. [N.]) ist der →gerechte Krieg.
Iustum pretium
(lat. [N.]) ist im römischen Recht der gerechte Preis. Im spätantiken römischen
Recht (Ende 3. Jh.s, C. 4. 44. 2, C. 4. 44. 8) kann in klarem Gegensatz zu den
spätklassischen Rechtskundigen der Verkäufer einer Sache den Kaufvertrag
anfechten und gegen Rückzahlung des Preises die Rückgabe der Sache verlangen,
wenn der Preis geringer ist als die Hälfte des Wertes und der Käufer nicht den
auf den gerechten Preis fehlenden Betrag nachzahlt (lat. laesio [F.] enormis).
Allerdings ist das i. p. schwer zu bestimmen. 1234 übernimmt die Kirche die
spätantike Lehre vom i. p. Christian Thomasius bezweifelt die Möglichkeit eines
gerechten Preises. Im 19. Jh. wird die noch im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch
Österreichs (1811/1812) bejahte Vorstellung des i. p. durch den Liberalismus wieder
zurückgedrängt. Schützend wirken § 138 BGB (Sittenwidrigkeit, 1900) und Verbraucherschutzbestimmungen
am Ende des 20. Jh.s.
Lit.: Köbler, DRG 64; Baldwin, J., The medieval theories of
the just price, 1959; Ruland, L., Die moraltheologische Lehre vom gerechten
Preis, 2. A. 1951; Otte, G., Das Privatrecht bei Francisco de Vitoria, 1964; Trusen,
W., Äquivalenzprinzip und gerechter Preis im Spätmittelalter, FS G. Küchenhoff,
1967, 247; Der gerechte Preis, 1982; Marazzi, L., Das iustum pretium, 1999;
Becker, C., DIe Lehre von der laesio enormis, 1993; Göttlicher, D., Iustum
pretium und Vertragsgerechtigkeit, 2004
Ivo Helori,
Ivo von Hélory, (Kermartin 17. 10. 1253 [1247?, 1250?]-19. 5. 1303), Sohn eines
Landadligen, wird nach dem 13jährigen Studium von Theologie und Recht in Paris
und Orléans Offizial und Priester. Vielleicht wegen seiner Gerechtigkeitsliebe
und Verwechslungen mit →Ivo von Chartres ist er Standespatron der
Juristen und volkstümlicher Heiliger der Gerechtigkeit.
Lit.: Moeller, E. v., Der heilige Ivo, HV 20 (1909), 321;
Schott, C., Patrone und Siegel der Freiburger Juristenfakultät, Freib.
Univ.bll. 2 (1962), 32; Burmeister, K., Der heilige Ivo und seine Verehrung an
den deutschen Rechtsfakultäten, ZRG GA 92 (1975), 60; Rieck, A., Der heilige
Ivo von Hélory, 1998
Ivo von Chartres (um 1046-1116) wird nach dem Studium in Paris und Bec 1090
Bischof von Chartres. Er verfasst eine (lat.) Collectio (F.) trium partium
(Sammlung dreier Teile), ein (lat. [N.]) Decretum und eine achtbändige (lat.
[F.]) Panormia, in denen er Kanones und Dekretalen sammelt und dadurch →Gratian
erheblich beeinflusst.
Lit.: Sprandel, R., Ivo von Chartres, 1962; Ways of Mercy,
hg. v. Brasington, B., 2004; Violi, S., Il prologo di Ivo di Chartres, 2006
J
Jaca ist
der 1076 von König Sancho Ramirez gegründete, mit einem →Fuero begabte Sitz
des Königs von Aragón.
Lit.: Nelson, L., The foundation of Jaca, Speculum 53
(1978), 688
Jacobus Balduini ist der in Bologna geborene, 1213
den Professoreneid ablegende, 1229 zum Podestà von Genua gewählte, wohl am 10.
4. 1235 verstorbene Glossator (Schüler Azos), von dem Glossen zum Codex und zu
den Digesten, De instructione advocatorum, De primo et secundo decreto, De
fratribus habitantibus und kleinere Schriften stammen.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 286
Jacobus Butrigarius ist ein in Bologna etwa 1273
geborener, in Bologna lehrender, am 9. 4. 1348 verstorbener Jurist (lecturae,
commentaria, Traktate, quaestiones, consilia).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 621
Jacobus Columbi ist ein unsicher bezeugter
Glossator, der vielleicht einen Glossenapparat zu den libri feudorum und eine
Summa feudorum verfasst hat.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 282
Jacobus de Ardizone ist der aus Verona stammende,
im früheren 13. Jahrhundert wirkende Glossator (Schüler Azos), von dem die
ardizonische Rezension der Libri feudorum, eine Summa feudorum und eine Summa
de decurionibus stammen.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 278
Jacobus de Arena ist ein wohl aus Parma gebürtiger,
vielleicht zwischen 1230 und 1240 geborener Jurist (Lecturae, Additiones,
Tractatus).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 435
Jacobus de Belvisio ist ein wohl in Bologna um 1270
geborener, in Bologna ausgebildeter, in Neapel promovierter und dort und später
in Bologna, Padua, Siena, Perugia und schließlich in Bologna lehrender Jurist
(lecturae, additiones, casus, Traktate, consilia).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter,
Bd. 2 2007, 6113
Jacobus de
Porta Ravennate (Bologna um 1115-11. 10. 1178) ist einer der sog. (lat.)
quattuor doctores (M.Pl.) des 12. Jh.s in Bologna, die 1158 auf dem Reichstag
in Roncaglia auftreten. Von ihm stammen Glossen, Distinktionen, Summulae, Disputationen
und möglicherweise der erste größere strafrechtliche Traktat der Glossatorenzeit
(Tractatus criminum).
Lit.: Köbler, DRG 106; Wieacker, F., Privatrechtsgeschichte
der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967, 62; Fried, J., Die Entstehung des Juristenstandes,
1974; Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997, 178
Jacobus de Ravanis
(Jacques de Révigny) (1230/1240-1290) wird nach dem Rechtsstudium in Orléans
dort bis 1280 Professor und 1289 Bischof von Verdun. Neben verschiedenen Vorlesungen
(lecturae) über die justinianischen Texte stammt vielleicht ein
Rechtswörterbuch (lat. Dictionarium [N.] iuris) von ihm.
Lit.: Köbler, DRG 126; Waelkens, L., La théorie de la
coutume chez Jacques de Révigny, 1984; Bezemer, C., Les répétitions de Jacques
de Revigny, 1987; Bezemer, C., What Jacques saw, 1997; Lange, H./Kriechbaum,
M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 518
Jacques de Révigny
→Jacobus de Ravanis
Jagd ist
das Erlegen und Fangen jagdbarer Tiere nach den Regeln des Jagdrechts.
Ursprünglich ist die J. frei. Streitig ist, seit wann danach das Recht zur J.
mit dem Eigentum am Grundstück verbunden wird. Im Frühmittelalter erklärt der
König die J. im (eingehegten) →Forst zum königlichen Recht (→Regal).
Im Hochmittelalter geht das allmählich erweiterte Regal auf den Landesherrn
über. Der Bauer wird von der J. ausgeschlossen, wogegen er sich zu Beginn der
Neuzeit (→Bauernkriege) vergeblich wehrt. Der Landesherr behauptet
daneben die Jagdhoheit als das Recht, die J. rechtlich zu gestalten
(Jagdverordnung, Jagdstrafrecht). 1789 wird in Frankreich, 1848 in der
deutschen Verfassung das Jagdregal durch die Jagdberechtigung des Grundeigentümers
ersetzt. Wegen der tatsächlichen Folgen wird wenig später (Preußen 1850, 1907)
zwischen dem Jagdrecht als dem Aneignungsrecht des Grundstückeigentümers
(Eigenjagdbezirke oder Jagdgenossenschaftsjagdbezirke) und der
Jagdausübungsberechtigung (auf Grund eines Jagdscheins) unterschieden.
Lit.: Hübner 287; Köbler, DRG 90, 113; Roth, K., Geschichte
des Forst- und Jagdwesens in Deutschland, 1879; Brünneck, W. v., Zur Geschichte
des altpreußischen Jagd- und Fischereirechts, ZRG GA 39 (1918), 88; Lindner,
K., Die Jagd im frühen Mittelalter, 1940; Hagenbach, B., Beiträge zur
Geschichte des Jagdrechtes auf dem Gebiete der Schweiz, 1972; Eckardt, H.,
Herrschaftliche Jagd, 1976; Kohl, G., Jagd und Revolution, 1993; Jagd und
höfische Kultur, hg. v. Rösener, W., 1997; Über die Jagd, hg. v. d. bay. Ak. d.
Wiss., 2002; Almond, R., Medieval Hunting, 2003; Rösener, W., Die Geschichte
der Jagd, 2004; Theilemann, W., Adel im grünen Rock, 2004; Knoll, M., Umwelt –
Herrschaft, Gesellschaft, 2004; Manfredini, A., Chi caccia e chi è cacciato,
2006; Schennach, M., Jagdrecht, Wilderei und gute Policey, 2007
Jahr und Tag
(lat. annus [M.] et dies) ist eine im deutschen Mittelalter häufige Zeitbestimmung
unklarer Herkunft, die erstmals in Formeln der Jahre 769-775 erscheint. Nach
umstrittener Ansicht ist damit von Anfang an die im 14. Jh. ausdrücklich
belegte Frist von einem Jahr, 6 Wochen und 3 Tagen zu verstehen. Nach J. u. T.
erlangt beispielsweise der unangesprochene Erwerber eines Grundstücks die
rechte →Gewere. Nach anderer Ansicht ist mit J. die Zeit von 13
Mondmonaten zu 28 Tagen und einem zusätzlichen, auf das Sonnenjahr von 365 Tagen
fehlenden Tag gemeint.
Lit.: Hübner 17; Grimm, J., Deutsche Rechtsaltertümer, 1828,
4. A. 1899, Neudruck 1922, 1989, 1994; Fockema Andreae, S., Die Frist von Jahr
und Tag und ihre Wirkung in den Niederlanden, ZRG GA 14 (1893), 75; Puntschart,
P., Zur ursprünglichen Bedeutung von „Jahr und Tag“, ZRG GA 323 (1911), 328;
Klein-Bruckschwaiger, Franz, Jahr und Tag, ZRG GA 67 (1950), 441; Hardenberg,
L., Zur Frist von Jahr und Tag, ZRG GA 87 (1970), 287
Jahresgeschenk (lat. donum [N.] annuale) ist eine schon im Frühmittelalter
bezeugte Gabe Einzelner an den König, die einen nicht durchgesetzten Ansatzpunkt
zur Entwicklung der →Steuer bildet.
Jahrgebung (lat.
venia [F.] aetatis) ist die Mündigmachung durch Erklärung. Sie kommt aus dem
römischen Recht, erscheint im 13. Jh. und steht zunächst allein dem Kaiser zu.
Mit der Aufnahme des römischen Rechtes seit dem Spätmittelalter wird die
römischrechtliche Einrichtung der (lat.) venia (F.) aetatis vollständig
aufgenommen. Als Volljährigkeitserklärung erscheint sie im deutschen
Bürgerlichen Gesetzbuch (1900).
Lit.: Hübner; Kraut, W., Die Vormundschaft, Bd. 2 1847, 86,
168; Suchier, W., Geschichte der venia aetatis in Deutschland vor 1900, Diss.
jur. Halle-Wittenberg 1907
Jakob Ben Ascher
(Deutschland um 1270-Toledo 1343) verfasst nach seiner 1303 erfolgten
Auswanderung eines der bedeutendsten jüdischen Rechtsbücher des Mittelalters
(Arba ’at ha-Turim, vierteilig). Es betrifft Gebete und Feiertage, Sklaven,
Speisen und Eide, Frauen und Ehe, sowie Diebstahl, Erbe, Vertrag und Verfahren.
Verarbeitet sind neben →Talmud zahlreiche Rechtsquellen.
Lit.: Elon, M., Ha-Mischpat ha-‘ibri, Bd. 2 3. A. 1988,
1058
Japan ist
der östlich des Festlands Eurasiens auf Inseln gelegene, ostasiatische, bis
zum 5. Jh. schriftlose, in Europa seit dem 15. Jh. (und im 16. und 17. Jh. über
Portugiesen) bekannter werdende Staat, dessen überkommenes, aus China
stammendes Recht, das z. B. in einem Verfahrensrechtsbuch von etwa 1220 (Goseibai-Shikimoku)
überliefert ist, nach der von den Vereinigten Staaten von Amerika 1853
erzwungenen Öffnung des Landes (Handelsvertrag von Kanagawa 31. 3. 1854) seit
1858 Europa angenähert und am Ende des 19. Jh.s (Meiji-Verfassung 1889)
grundlegend vom europäischen Recht (Frankreich [Strafgesetzbuch 1880/1882,
1907/1908, Strafprozessordnung], Deutschland [Verfassung, Handelsgesetzbuch
1890/9, Bürgerliches Gesetzbuch - 1890 französisch geprägtes altes
Bürgerliches Gesetzbuch verkündet, aber nach Kodifikationsstreitigkeiten nicht
in Kraft getreten, durch Hozumi, Tomii und Ume stärker deutsch geprägtes -
Meiji - Bürgerliches Gesetzbuch 1896/1898]) beeinflusst wird (→Boissonade,
Hozumi, →Inoue, →Roesler).
Lit.: Köbler, DRG 184; Gonthier, A., Histoire des
institutions Japonaises, 1956; Kitagawa, Z., Rezeption und Fortbildung des
europäischen Zivilrechts in Japan, 1970; Murakami, J., Einführung in die
Grundlagen des japanischen Rechts, 1974; Siemes, J., Die Gründung des modernen
japanischen Staates, 1975; Tanaka, H., The Japanese Legal System, 1976;
Kroeschell, K., Das moderne Japan und das deutsche Recht, (in) Japans Weg in
die Moderne, hg. v. Martin, B., 1987, 45; Die Japanisierung des westlichen
Rechts, hg. v. Coing, H. u. a., 1990; Die Einwirkung der Rezeption westlichen
Rechts auf die sozialen Verhältnisse in der fernöstlichen Rechtskultur, hg. v.
Scholler, H., 1993; Inoue, K., Geschichte Japans, 1993; Das Japanische im
japanischen Recht, hg. v. Menkhaus, H., 1994; Eckey-Rieger, A., Der
Kodifikationsstreit zum japanischen Bürgerlichen Gesetzbuch, 1994; Hartmann,
R., Geschichte des modernen Japan, 1996; Ishibe, M., Die Verwestlichung des
japanischen Rechtsdenkens, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997;
Schenck, P., Der deutsche Anteil, 1997; Takii, K., Doitsu Kokkagaku to Meiji
Kokusei (Die deutsche Staatswissenschaft und die Meiji-Verfassung), 1999;
Bruns, G., Die japanische Demokratie, 1999; Marutschke, H., Einführung in das
japanische Recht, 1999; Takii, K., Das Japanbild der deutschen Juristen während
der Meiji-Zeit, Zinbun 1999, 107; Akamatsu, H., Bezugnahmen auf das deutsche
BGB, (in) Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, 2000, 651; Ando, J.,
Die Entstehung der Meiji-Verfassung, 2000; Georg Michaelis. Ein preußischer
Jurist im Japan der Meiji-Zeit, hg. v. Becker, B., 2001; Ishibe, M., Nobushige
Hozumi und die japanische Rechtswissenschaft in der Meiji-Zeit, 2001; Pohl,
M., Geschichte Japans, 2002; Rabinovitz, R., Japan’s foreign investment law of
1950, 2003; Ishibe, M., Neuere deutsche Rechtsgeschichte in Japan, ZNR 27
(2005), 62; Zöllner, R., Geschichte Japans. Von 1800 bis zur Gegenwart, 2006;
Fröhlich, J., Rulers, Peasants and the Use of the Written Word in Medieval
Japan, 2007; Shimazu, N., Japanese Society at War, 2009; Krebs, G., Das moderne
Japan 1868-1952, 2009; Ostasiatisches Strafrecht, hg. v. Hilgendorf, E., 2010; Krebs,
G., Japan im pazifischen Krieg, 2010; Kleine Geschichte Japans, hg. v. Kreiner,
J., 2010; Vogl, S., Rechtsprechung und Zivilrechtsmethodik, ZRG GA 129 (2011),
268; Kleine, C., Der Buddhismus in Japan, 2011; Yamanaka, K., Geschichte und
Gegenwart der jpanischen Strafrechtswissenschaft, 2012; Zachmann, U.,
Völkerrechtsdenken und Außenpolitik in Japan, 1919-1960, 2013
Jarl (lat.
[M.] dux, comes, praefectus) ist im altnordischen Recht der Held, Häuptling
oder Fürst. In Norwegen wird der weltliche Titel eines J. 1308 weitgehend
beseitigt. In Schweden erscheint er von der Mitte des 12. Jh.s bis zur Mitte
des 13. Jh.s, in Dänemark um 1400.
Lit.: Herlitz, N., Grundzüge der schwedischen
Verfassungsgeschichte, 1933;
Meißner, R., Das norwegische Gefolgschaftsrecht, 1938; Jorgensen, P., Dansk
Retshistorie, 2. A. 1947; Sawyer, P., The Making of Sweden, 1989
Jarnsida (Eisenseite)
ist das 1271/1273 unter norwegischer Herrschaft (1262/1264) in →Island
eingeführte Recht. Es beruht auf Gulathinglög und →Gragas. 1281 wird die
J. durch die →Jonsbok ersetzt.
Lit.: Corpus codicum Islandicorum, Bd. 9
1936; Strauch, D., Mittelalterliches nordisches Recht bis 1500, 2011, 246
Jasomirgott ist
ein erst seit dem Spätmittelalter belegter, vielleicht aus dem Arabischen
kommender (verballhornter) Beiname Heinrichs II. (von Babenberg, 1107/1108-13.
1. 1177).
Lit.: Eheim, F., Zur Geschichte der Beinamen der
Babenberger, Unsere Heimat 26 (1955), 157
Jason de Mayno
(Pesaro 1435-Pavia 1519), außerehelicher Sohn eines Adligen aus Mailand, wird
nach dem Rechtsstudium in Bologna (Alexander de Tartagnis bzw. Tartagnus) 1467
Professor in Pisa, 1485-1488 in Padua, 1489 in Pisa. Neben zahlreichen (414)
Gutachten verfasst er umfangreiche Kommentare zu einzelnen Stellen der justinianischen
Rechtstexte.
Lit.: Belloni, A., Professori giuristi a
Padova nel secolo XV, 1986, 221; Lange, H./Kriechbaum, M.,
Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 881
Jedem das Seine.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 285 ([Beyer 1985] lat. suum cuique)
Jefferson,
Thomas (1743-1826) wird nach dem Rechtsstudium am William and Mary College
(1760-1762) und einer praktischen Ausbildung 1767 Anwalt und Politiker,
Gouverneur, Gesandter in Frankreich, Außenminister und 1801 Präsident der
Vereinigten Staaten von Amerika. Er ist maßgeblich verantwortlich für die
amerikanische →Bill of Rights 1791 und die Einschränkung der
amerikanischen Zentralgewalt.
Lit.: Cunningham, N., In Pursuit of
Reason, 1987
Jellinek,
Georg (Leipzig 16. 6. 1851-Heidelberg 12. 1. 1911), Sohn eines Rabbiners und
Religionswissenschaftlers, wird nach dem Rechtsstudium in Wien, Heidelberg und
Leipzig 1883 außerordentlicher Professor für Staatsrecht in Wien, 1889
ordentlicher Professor in Basel und 1891 in Heidelberg. Sein erfolgreichstes
Werk ist die dem System der subjektiven öffentlichen Rechte (1892) folgende
Allgemeine Staatslehre (1900). Sie erfasst den Staat einerseits als soziale
Erscheinung (sozial-empirisches Sein) und andererseits als Rechtsordnung (normatives
Sollen).
Lit.: Sinzheimer, H., Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft,
1938 bzw. 1953, 242; Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hg. v. Heinrichs, H.
u. a.,1993, 355; Kempter, K., Die Jellineks, 1998; Kersten, J., Georg Jellinek
und die klassische Staatslehre, 2000; Georg Jellinek, hg. v. Paulson, S. u. a.,
2000; Keller, C., Victor Ehrenberg und Georg Jellinek Briefwechsel 1872-1911,
2005
Jena ist
der um die Mitte des 9. Jh.s (830-850) erscheinende Ort der Thüringer, der um
1230 Stadt wird. Ein mittelalterliches Schöffenkollegium fehlt dort. 1548 erhält
J. (im ernestinischen Sachsen) eine hohe Schule und 1556/1557/1558 eine Universität,
neben der 1569 ein mit gelehrten Juristen besetzter Schöppenstuhl (juristische
Fakultät als Spruchkollegium im Gegensatz zur Fakultät als Gremium für
Gutachten) erwähnt wird (mit bis zu 500 Akteneingängen im Jahr). Mit Jena verbunden
sind etwa Dominicus Arumäus (1579-1673), Johannes Limnäus (1592-1663), Matthäus
Wesenbeck (1531-1586), Anton Friedrich Justus Thibaut (1772-1840), Paul Johann
Anselm von Feuerbach (1775-1833), Hans Adolf Fehr (1874-1961), Heinrich Lehmann
(1876-1963), Justus Wilhelm Hedemann (1878-1963) oder Hans Carl Nipperdey
(1895-1968). 1945 wirken dort Max Hildebert Boehm (1934-1945), Richard Karl
Gustav Lange (1939-1949), Walter Krusch (1939-1945/1946), Gerhard Gustav
Theodor Wacke, (1940-1945), Falk Alfred Ruttke (1940-1945), Hermann Martin
Drath (1945-1947), Hermann Arnold Schultze von Lasaulx (1935-1941/1945-1947).
Lit.: Kühn, W., Die Entwicklung, insbesondere die Anfänge
des Jenaer Stadtgerichts, 1938; Mühlmann, O., Untersuchungen zum Geschoßbuch
der Stadt Jena vom Jahre 1406, 1938; Die Matrikel der Universität Jena, Bd.
1ff., bearb. v. Mentz. G. u. a. 1944ff.; Koch, H., Geschichte der Stadt Jena,
1966; Pester, T., Zwischen Autonomie und Staatsräson, 1992; Häder, U., Das
gemeinschaftliche Oberappellationsgericht thüringischer Staaten in Jena, 1996;
Kämpferische Wissenschaft, hg. v. Hoßfeld, U. u. a., 2003; Klassische
Universität und akademische Provinz, hg. v. Steinbach, M. u. a., 2005;
Hochschule im Sozialismus, hg. v. Hoßfeld, U. u. a., 2006; Deinhardt, K.,
Stapelstadt des Wissens, 2007; Wege der Wissenschaft, hg. v. John, J. u. a.,
2007; Kriebisch, A., Die Spruchkörper Juristenfakultät und Schöppenstuhl zu
Jena, 2008 (Diss. jur. Jena 2007); Ries, K., Wort und Tat, 2007; Gelehrte Wissenschaft.
Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800, hg. v. Bach, T. u. a.,
2008; Die Universität Jena in der frühen Neuzeit, hg. v. Bauer, J. u. a., 2008;
Wallentin, S., Fürstliche Normen und akademische Observanzen, 2009;
Universität im Umbruch, hg. v. Bauer, J. u. a., 2010; Bauer, J.,
Universitätsgeschichte und Mythos -Erinnerung, Selbstvergewisserung und
Selbstverständnis Jenaer Akademiker 1548-1858, 2012; Rechtsgelehrte der
Universität Jena aus vier Jahrhunderten, hg. Lingelbach, G., 2012; Wolf, S.,
Das Jenaer Studium der Rechte im Dritten Reich, 2013; DIe Universität Jena in
der Weimarer Republik 1918-1933, bearb. v. Bräuer, T. u. a., 2013
Jerusalem ist die seit
dem 18. Jh. v. Chr. v. Chr. als kanaanäisches Uruschalim (Stadt des Friedens)
belegte, um 997 v. Chr. vom israelitischen König David eroberte, von den Juden
als Hauptstadt verwendete, durch Jesus Christus zum Ausgangspunkt des Christentums
gewordene, 70 n. Chr. von den Römern zerstörte und nach Wiederaufbau 638 n.
Chr. von den Arabern eroberte Stadt im heutigen Israel bzw. Palästina, in der
im Herbst des Jahres 1009 die Grabeskirche auf Befehl des Kalifen zerstört
wird..
Lit.: Tischler, C., Die burgenses von Jerusalem im 12.
Jahrhundert, 2000; Jerusalem im Hoch- und Spätmittelalter, hg. v. Bauer, D. u.
a., 2001; Kirstein, K., Die lateinischen Patriarchen von Jerusalem, 2002;
L’idea di Gerusalemme, 2003; Penth, S., Die Reise nach Jerusalem, 2010; Die
Urkunden der lateinischen Könige von Jerusalem, hg. v. Mayer, H., 2011; Türck,
V., Christliche Pilgerfahrten nach Jerusalem, 2011; Müller, C., Der Kadi und
seine Zeugen, 2013
Jesuitenorden (lat. societas [F.] Jesu) ist der von Ignatius von Loyola (1491-1556)
seit etwa 1534 allmählich begründete, 1540 vom Papst bestätigte, katholische Männerorden
zum apostolischen Einsatz im Dienst der Kirche. Er wird in der →Gegenreformation
tätig. Am 21. 7. 1773 hebt ihn Papst Clemens XIV. auf (Fortbestehen in Preußen,
Russland und Kanada), stellt ihn am 7. 8. 1814 aber wieder her.
Lit.: Duhr, B., Geschichte der Jesuiten,
Bd. 1ff. 1907ff.; Hollis, C., A History of the Jesuits, 1968; Hartmann, P., Die
Jesuiten, 2001; Haub, R., Geschichte der Jesuiten, 2006; Feld, H., Ignatius von
Loyola, 2006; Vogel, C., Der Untergang der Gesellschaft Jesu, 2006
Jesus (Nazareth um 7-4 bzw. 6-5 v.
Chr.?-Golgotha/Jerusalem um 30 n. Chr.) ist der nach möglicherweise zweijährigem
Wirken (ab 29 n. Chr.?) als öffentlicher Wanderlehrer nach einem Prozess (ab 6.
4. 30) im Zusammenwirken von Juden und Römern gekreuzigte (und nach
chtistlicher Lehre von den Toten auferstandene) jüdische Begründer der zunächst
sehr sektiererhaften, bereits sehr früh infolge von Streitigkeiten von
Jerusalem nach Antiochia verlagerten, in hridnischer Umgebung zivilisierten christlichen
Religion, dessen tatsächliches Leben mit der späteren christlichen Vorstellung
nicht in jeder Hinsicht übereinstimmen dürfte.
Lit.: Theessen, G.,
Der historische Jeus, 1996; Cohn, H., Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer
Sicht, 1998; Puig i Tarrech, A., Jesus, 2010; Jaroš, K., Jesus, 2011; Dahlheim,
W., Die Welt zur Zeit Jesu, 2013
Jhering →Ihering
Joachimica Constitutio →Constitutio Joachimica
Johannes Andreae
(bei Florenz um 1270-Bologna 7. 7. 1348) wird nach dem Rechtsstudium in Bologna
spätestens 1302 Lehrer des kirchlichen Rechtes. Er kommentiert den →Liber
sextus, die Clementinen (lat. glossa [F.] ordinaria) und den →Liber
extra. Trotz seiner stark kompilatorischen Arbeitsweise ist er der bedeutendste
Kirchenrechtler des 14. Jh.s. In seinen (lat.) Additiones (F.Pl.) ad speculum
Guillelmi Durantis (Zusätze zum Spiegel des Wilhelm Durantis) von kurz vor 1346
stellt er als erster die Literaturgeschichte des kirchlichen Rechtes dar.
Lit.: Savigny, F., Geschichte des römischen Rechtes im
Mittelalter, Bd. 6 2. A. 1850, Neudruck 1956, 98; Pennington, K., Johannes
Andreaes Additiones to the Decretals of Gregory IX, ZRG KA 74 (1988), 328;:
Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 2 2007, 658
Johannes Bassianus ist ein in Cremona geborener
Schüler des Bulgarus in Bologna, der Lehrer Azos (vor 1190-1220), Karolus de
Toccos und Nicolaus Furiosus‘ wird und Glossen, Lecturae, Summen, Arbeiten zum
Prozessrecht, Regulae iuris, Distinktionen, Quästionen und Consilia verfasst.
Lit.: Lange, H., Römisches Recht
im Mittelalter, Bd. 1 1997, 215
Johannes de Blanasco ist ein um 1225 in Blanot in
Burgund geborener, in Bologna ausgebildeter, nach seinem tractatus de
actionibus (1256) nach Burgund zurückgekehrter Jurist.
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im
Mittelalter, Bd. 2 2007, 461
Johannes de Imola ist ein in Imola vielleicht um
1375 geborener, in Bologna ausgebildeter und spätestens ab 1399 lehrender, 1436
verstorbener Jurist (commentaria, consilia, Traktat zum großen Schisma).
Lit.: Lange, H./Kriechbaum, M., Römisches Recht im Mittelalter,
Bd. 2 2007, 807
Johannes Teutonicus
(1180?-25. 4. 1245), deutscher Schusterssohn, wird nach dem Rechtsstudium in
Bologna (Azo) um 1210 Rechtslehrer in Bologna und vielleicht 1220 Kanoniker in
Halberstadt (Johannes Zemeke?). Zwischen 1210 und 1217 verfasst er die (lat.)
glossa (F.) ordinaria zum (lat.) →Decretum (N.) Gratiani. Seine Sammlung
der Dekretalen Papst Innozenz’ III. von 1210-1216 setzt sich gegen den
Widerspruch des Papstes durch.
Lit.: Köbler, DRG 106; Juristen, hg. v. Stolleis, M., 1995,
329
Johannes von Erfurt
(um 1260?-1340?), Kanonist und Theologe, ist der Verfasser verschiedener früher
rechtswissenschaftlicher Arbeiten in Deutschland (u. a. [lat.] tabula [F.]
utriusque iuris von etwa 1280).
Lit.: Johannes von Erfurt, Die Summa confessorum, hg. v.
Brieskorn, N., 1981
Johannes von Saaz
(oder Tepl) (um 1350-Prag 1414) ist der nach dem Studium der (lat.) artes
(F.Pl.) liberales in Prag als Lehrer und Notar außer dem Ackermann von Böhmen
(1401) vier Formelbücher und einen Band des Stadtbuchs von Prag (lat. Liber
[M.] contractuum, Buch der Verträge) verfassende Gelehrte.
Lit.: Stutz, U., Rechtshistorisches in und zu dem Ackermann
aus Böhmen, ZRG 41 (1920), 388
Johann von Buch
→Buch, Johann von
Johanniter ist der Angehörige des 1099 gegründeten
Johanniterordens.
Lit.: Staehle, E., Geschichte der
Johanniter und Malteser, Bd. 1ff. 2002; Die Ballei Brandenburg des
Johanniterordens, Findbuch, hg. v. Neitmann, K., 2006
joint tenancy
(N.) Gesamthandsgemeinschaft
Jonsbok (F.)
(Jónsbók oder Lögbok Islendinga, in den Quellen landslagabókin, lögbókin, bókin)
ist der Name des in Norwegen abgefassten, 1281 in →Island eingeführten,
in rund 200 Handschriften (286 Handschriften und Bruchstücken [zweier
Handschriftenklassen] mit 45 bzw. 148 Handschriften) überlieferten, nach (dem norwegischen,
wohl an seiner Abfassung mitwirkenden Lögmann) Jon Einarsson († 1306)
benannten, in zehn Teile gegliederten, an die Verhältnisse Islands angepassten Rechtsbuchs
oder Gesetzbuchs auf der Grundlage von König →Magnus Hakonarsons
Landrecht von 1274. Die in Island meistgelesene, seit 1578 gedruckte J. bleibt
bis in das 18. Jh. bedeutsam und gilt in Teilen noch am Beginn des 21. Jh.s.
Lit.: Halldorsson, Kong Magnus Hakonarsons Lovbog for
Island, 1904; Fix, H., Wortschatz der Jonsbok, 1984; Jónsbók, hg. v. Schulman,
J. 2010
Jordan, Sylvester (Omes bei Innsbruck 30. 12-1792-Kassel 15. 4.
1861), Schusterssohn, wird nach dem Studium der Philosophie und
Rechtswissenschaft in Landshut und Wien und den Promotionen von 1815 und 1817
sowie der Habilitation in Landshut 1821 ao. Professor in Marburg und 1822
ordentlicher Professor. 1831 beeinflusst er den Entwurf einer Verfassung
Kurhessens maßgeblich. In seiner Staatstheorie ordnet er das monarchische
Prinzip der Herrschaft des Rechtsgesetzes unter.
Lit.:
Kaiser, W., Sylvester Jordan, Diss. Leipzig 1936; Kleinknecht, G., Sylvester
Jordan, 1983; Frotscher, W., Sylvester Jordan, (in) Worte des Rechts, 2007,
130
Jordan von Osnabrück (um 1225?-15. 4. 1283?), Domkapitular in Osnabrück,
verfasst wohl vor 1273 einen durch →Alexander von Roes 1281 überlieferten
(lat.) Tractatus (M.) super Romano imperio (Abhandlung über das römische
Reich), in dem er den Vorrang des römischen Reiches bis an das Weltende lehrt.
Lit.: Schraub, W., Jordan von Osnabrück und Alexander von
Roes, 1910
Josaphat („Jahwe
richtet“) ist nach Joel 4,12 im jüdisch-christlichen Verständnis der Ort des
Jüngsten Gerichts (meist als Kidrontal verstanden).
Lit.: Hardung, S., Die Vorladung vor Gottes Gericht, 1934
Joseph II.
(Wien 13. 3. 1741-20. 2. 1790), viertes Kind und erstgeborener Sohn (Franz-Stephan
von Lothringens, des späteren Kaisers Franz’ I. und) Maria Theresias, wird 1764
römischer König, 1765 mit 24 JahrenKaiser und nach dem Tod seiner Mutter (29.
11. 1780) alleiniger Landesherr der österreichischen Erblande. Er übernimmt
weitgehend die Ratgeber seiner Mutter und strebt einen zentralistischen Gesamtstaat
→Österreich deutscher Staatssprache an. Seine rastlose aufgeklärte
Reformpolitik (Schule, Bildungswesen, Gesundheitswesen, Toleranz 1781, Allgemeine
Gerichtsordnung 1781, Ehepatent 1783, Erbfolgepatent 1786, →Josephinisches
Gesetzbuch 1786/1787, Josephinisches Strafgesetzbuch 1787/1788 mit Todesstrafe
nurmehr im Standrecht, Kriminalgerichtsordnung 1788, Bauernbefreiung,
Josephinismus) kann sich gegen ständischen und föderalen Widerstand nicht
durchsetzen.
Lit.: Winter, E., Der Josefinismus, 2. A. 1962;
Bradler-Rottmann, E., Die Reformen Kaiser Josephs II., 1973; Mikoletzky, L.,
Kaiser Joseph II., 1979; Bernard, P., The limits of enlightenment, 1979;
Karniel, J., Die Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., 1986; Beales, D., Joseph
II., 1987, Bd. 2 1009; Blanning, T., Joseph II., 1994; Macek, B., Die Krönung
Josephs II. zum Römischen König, 2010
Josephinisches Gesetzbuch
ist das aus dem Entwurf gebliebenen (lat.) →Codex (M.) Theresianus (1766)
über den Entwurf Horten (1776) hervorgegangene österreichische Gesetzbuch vom
(1. 11. 1786 bzw.) 1. 1. 1787. Dieses „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“
enthält nur das Personenrecht (3325 Wortformen). Es wird zum 1. 1. 1812 durch
das →Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch abgelöst.
Lit.: Köbler, DRG 142; Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch.
Erster Teil, 1786; Harras von Harrasowsky, Der Theresianus und seine
Umarbeitungen, 1886¸ http://www.koeblergerhard.de/Fontes/JGB20070429-rund18800woerter.htm
Josephinismus ist das staatspolitische bzw. kirchenpolitische System des aufgeklärten →Absolutismus
unter →Joseph II. (1780-1790) in →Österreich. Im J. wandelt der
Landesherr die ständische Verwaltung in eine bürokratische Beamtenverwaltung
um. Die Leibeigenschaft wird abgeschafft, Wohlfahrtseinrichtungen werden
gegründet. Deutsch wird Amtssprache. Der geistliche Bereich der Kirche wird auf
Predigt, Sakrament, Gottesdienst und Disziplinargewalt über den Klerus
beschränkt. Die Geistlichen werden Staatsbedienstete. Der evangelischen
Religion wird Toleranz gewährt (Toleranzpatent 1781). Die Ehe wird
bürgerlicher Vertrag (Ehepatent 1783). Grundgedanke ist die Nützlichkeit für
Staat und Gesellschaft. Viele Einzelmaßnahmen stoßen auf Widerstand und müssen
zurückgenommen werden.
Lit.: Winter, E., Der Josephinismus und seine Geschichte,
1943; Maass, F., Der Frühjosephinismus, Bd. 1ff. 1951ff.; Winter, E., Der
Josephinismus, 2. A. 1962; Der Josephinismus, hg. v. Reinalter, H., 1993; Der
Josephinismus, hg. v. Klueting, H., 1995; Josephinismus als aufgeklärter Absolutismus,
hg. v. Reinalter, H., 2008
Jude ist
der Angehörige der Religionsgemeinschaft Judentum, ursprünglich der Bewohner
des Reiches des nach dem vierten Sohn Jakobs benannten Stammes (Gebiet um
Jerusalem, Hebron, Beer Sheva). Die Frühgeschichte der Juden ist nicht
eindeutig feststellbar. Im 8. Jh. v. Chr. werden die Oberschichten der Reiche
Israel und Juda deportiert. 587 v. Chr. gerät das Reich Juda unter die
Herrschaft Babylons. 538 v. Chr. erlaubt König Kyros II. von Persien den in
diesem Zusammenhang verschleppten Juden die Rückkehr nach Jerusalem. 63 v. Chr.
erobern die Römer Jerusalem. Aufstände der Juden schlagen die Römer 70 n. Chr.
unter Zerstörung Jerusalems, 115-117 und 132-136 n. Chr. blutig nieder. Bis zum
5./6. Jh. breiten sich die Juden, von denen aus der Antike etwa 15000
namentlich bekannt zu sein scheinen, unter Bewahrung ihrer besonderen Religion
und ihres besonderen Rechtes in einzelne Gebiete Spaniens, des Frankenreiches
und Italiens aus und verlegen sich dabei auf die Tätigkeit als Händler. 638
fällt Jerusalem an die Araber. Bis in das 9. Jahrhundert, in dem die Juden
unter dem Kalifen al-Mutawakkil mit einem besonderen Abzeichen gekennzeichnet
werden, sind sie im Frankenreich nur am Mittelmeer sichtbar. Seit dem 9. Jh.
werden ihnen im Frankenreich Schutzprivilegien gewährt, für die sie eine
Gegenleistung erbringen. Um 930 findet im oströmischen Reich eine
Judenverfolgung Statt. Mit der Entstehung von Städten lassen sich
nördlich der Alpen aus dem Mittelmeerraum kommende Juden unter dem Schutz von
Bischöfen in Kathedralstädten in eigenen Gassen oder Vierteln (Ghettos) fest
nieder (Trier 2. Hälfte 10. Jh.s, Speyer Urkunde vom 13. 9. 1084, Mainz 10. Jh.,
Köln 10. Jh., Magdeburg 10. Jh.?, Metz vor 893, Merseburg 10. Jh.?, Prag
frühestens um 1050, Regensburg um 981 und Worms Annfang 11. Jh.?) (kaiserliche
Privilegien für Juden in Speyer und Worms von 1090. 1096 aber bereits
Judenverfolgungen). Im Reichslandfrieden von 1103 werden die Juden unter die besonders befriedeten Menschen aufgenommen.
1236 unterstellt sie Kaiser Friedrich II. als Kammerknechte gegen Abgaben
(Judensteuer) dem Schutz des Königs bzw. des ihm hierin folgenden Landesherrn
(Judenregal). Da die Juden wegen des nur Christen treffenden →kanonischen
Zinsverbotes den Geldwechsel und das verzinsliche Darlehen betreiben können
und tatsächlich an sich ziehen, werden sie zur Zeit der Verbreitung der Pest
(1347-1351, im Herbst 1347 durch genuesische Schiffe von der Krim nach Italien
gebracht, je 50000 Tote in Florenz und Genua, im Heiligen römischen Reich
vielleicht ein Zehntel der Bevölkerung an der Pest gestorben) als deren
angebliche Urheber vielfach verfolgt und danach ab etwa 1390 weitgehend aus den
Städten vertrieben (z. B. leben in Westfalen um 1500 nur noch an rund 25 Orten -
nach 1350 aus dem Rheinland und Niedersachsen zugezogene - Juden). In den
Schriften deutscher Juristen des 16. und 17. Jh.s werden sie zwar abgelehnt,
aber vor allem aus Nächstenliebe, später (Justus Henning Böhmer 1674-1749)
auch aus naturrechtlichen Überlegungen geduldet. Im 17. und 18. Jh. gelingt
einzelnen der im Heiligen römischen Reich etwa 60000 bis 70000 verbliebenen,
von den Fürsten und reichsstädtischen Magistraten mit Hilfe des Geleits aus
fiskalpolitischen Überlegungen geförderten, von den Ständen dagegen in
Gravamina eher abgelehnten Juden der Aufstieg im Bankwesen. Im Übrigen tragen
weder Staat noch Beamte zur späteren (Selbst-)Emanzipation und zum sozialen
Aufstieg bei. 1776 wird die Rechtsstellung der Juden in Virginia verbessert.
1779 veröffentlicht Gotthold Ephraim Lessing sein fünfaktiges Ideendrama
mit dem Titel Nathan der Weise , das den Toleranzgedanken in den Mittelpunkt
stellt. Nach 1780 wird als Folge der Aufklärung allgemein die Forderung nach
Eingliederung der jüdischen Minderheit in die Gesellschaft erhoben (z. B. Dohm,
C., Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, 1781). In der Folge erhalten
die Juden alle staatsbürgerlichen Rechte (Frankreich 1791, Preußen 11. 3. 1812
Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem preußischen
Staate – das die einheimischen Juden zu Inländern und preußischen Staatsbürgern
erklärt und ihnen grundsätzlich gleiche bürgerliche Rechte wie den Christen
zuspricht -, Bayern 1813, Österreich 1867, Sachsen 1868 Gleichberechtigung
aller Staatsangehörigen unabhängig von der Religionszugehörigkeit in
Verfassungsrang erhoben), müssen aber ihr besonderes
Recht und ihre besondere Gerichtsbarkeit einschränken. Dabei wird nach 1780
allgemein die Forderung nach Eingliederung der jüdischen Minderheit in die
Gesellschaft erhoben. Als Folge der Gleichstellung und der durch die frühere
Ausgrenzung begünstigten Vorreiterrolle in der Verbürgerlichung ziehen die Juden
in die Großstädte und aus dem Osten in die deutschen Staaten, wo sich
beispielsweise in Sachsen erst nach 1830 die Befürworter eines langsamen
Angleichungs- und Erziehungsprozesses durchsetzen. Gegen 1860 hat sich das
Judentum als eigene kulturelle Komponente in der bürgerlichen Gesellschaft
etabliert (1871 1,05 Prozent der Deutschen, 1925 564379, 1933 499682 oder 0,76
Prozent von rund 65 Millionen). In Abwehr der Judenemanzipation entsteht am
Ende des 19. Jh.s der Antisemitismus (in Deutschland z. B. Treitschke,
Stoecker, Eugen Dühring, Wilhelm Marr, Hermann Ahlwardt, Theodor Fritsch
[1852-1933], Otto Böckel, Erwin Bauer, Max Bewer, Alfred Rosenberg, Hans F. K.
Günther). Er bildet einen Kern des politischen Programms des →Nationalsozialismus
Adolf →Hitlers. Als Folge der bis 1918 judendiskriminierenden Einstellungspolitik
sind Juden im Staatsdienst nur schwach vertreten (1924 in Preußen von 987
Ordinarien 39 Juden, daneben 97 nicht beamtete Professoren, 43 Privatdozenten)
und drängen in den Rechtsanwaltsstand. 1933 wird (bei
9208 im Deutschen Reich zugelassenen Rechtsanwälten, davon rund 5000 nicht
arisch) mehr als ein Viertel (von 11814 3370 d. h. 28,5 %) der Rechtsanwälte
Preußens und die Hälfte (54 oder 48 %, rund 1830) der Rechtsanwälte Berlins als
Nichtarier erfasst (Frankfurt am Main 45 %, Breslau 35 %, Hamm 14 %, Kiel 7 %,
Bayern 460 von etwa 2400). Von 1663 Beamten des höheren Dienstes Preußens
werden 211 und 285 Beamte vom Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums (7. April 1933) betroffen (28 %, im übrigen Reich von 2339
Beamten 106 und 143, also 9,5 %). Von 536 Richtern und Staatsanwälten jüdischer
Herkunft in Preußen müssen von Juni 1933 bis Ende 1935 309 (58 Prozent) und bis
zur Mitte des Jahres 1937 weitere 182 den Justizdienst verlassen und können nur
41 (als sog. „Mischlinge“) verbleiben. Vielleicht verlieren 1933 insgesamt
rund 2000 jüdische Beamte des höhren Dienstes und etwa 700 Hochschullehrer ihre
Stelle. 1935 werden die Juden diskriminiert (1936 Entzug des Titels und der
Lehrbefugnis für alle jüdischen Professoren und Dozenten, 1937 Verbot der
Promotion für jüdische Studenten, 1938 Verbot der Immatrikulation für
jüdische Studenten, Verbot der Benutzung von Bibliotheken und Archiven für
jüdische Professoren und Dozenten, 761 jüdische Berliner Rechtsanwälte ihrer
Zulassung entsetzt). Nach einer Verodnung vom August 1938 müssen Juden
zwangsweise den zusätzlichen Vornamen Sarah oder Israel tragen. Im Herbst 1938 sind
von früher etwa 100000 jüdischen Unternehmen noch etwa 40000 in jüdischer Hand
(von 50000 Einzelhandelsgeschäften noch 9000). 1938 und 1939 verlassen bis zu
180000 Juden und Jüdinnen das Deutsche Reich. Insgesamt ergehen im Deutschen
Reich zwischen 1933 und 1945 fast 2000 Juden betreffende Gesetze , Verordnungen
und Richtlinien. Die 1938/1939 als Alternative zu der vom Ausland bzw.
möglichen Einwanderungsländern abgelehnten Auswanderung (von 300000 bis
400000 Juden) angedrohte Vernichtung wird seit Sommer 1941 verwirklicht, wobei durch
Verordnung vom 23. 10. 1941 die Auswanderung verboten wird. Nur ein geringer
Teil der europäischen Juden (um 1930 500000 Juden im Deutschen Reich [1933
500000 mit einem geschätzten Vermögen von 16 Milliarden Reichsmark = 30000 RM
pro Kopf, 778 Millionen Reichsmark Einnahmen des Reiches aus der Enteignung
deportierter Juden], 190000 in Österreich, 1939 72000 Judenmischlinge ersten
Grades und 39000 Judenmischlinge zweiten Grades in Deutschland) überlebt die
sog. Endlösung (Holocaust). Nach einer Verordnung vom 1. 9. 1941 müssen Juden
durch einen aufgenähten gelben Stern auf der Kleidung gekennzeichnet werden. Seit
Sommer 1943 ist das Deutsche Reich offiziell judenfrei. Von den vertriebenen
Juden kehren nach 1945 etwa 4-5 Prozent nach Deutschland zurück. Von den in der
Bundesrepublik Deutschland in 107 Gemeinden vertretenen etwa 100000 Juden des
Jahres 2010 stammen (infolge Einwanderung nach 1945) rund 90 Prozent aus
Osteuropa.
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nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, Bd. 1ff. 2008ff.; Leitenberg, L.,
La population juive des villes d’Europe, 2008; Sieg, U., Jüdische
Intellektuelle im ersten Weltkrieg, 2. A. 2008; Wirtschaftsgeschichte der
mittelalterlichen Juden, hg. v. Toch, M., 2008; Die Juden in der Oberpfalz, hg.
v. Bremnner, M. u. a., 2008; Dolna, B., Die Geschichte des österreichischen
Judentums, (überarb. v. Schubert, K.,) 2008; Möschter, A., Juden im
venezianischen Treviso (1389-1509), 2008; Leibniz und das Judentum, hg. v.
Cook, D. u. a., 2008; Kuller, C., Finanzverwaltung und Judenverfolgung, 2008; Volkov, S.,
Merkurianer im Land der Apollonier, HZ 286 (2008), 657; Die unterfränkischen
Judenmatrikeln von 1817, bearb. v. Rosenstock, D., 2008; Herzig, A., Gabriel
Riesser, 2008; Ebert, A., Jüdische Hochschullehrer an preußischen Universitäten
(1870-1924), 2008; Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause, hg.
v. Lühe, I. v. d. u. a., 2008; Wolffsohn, M. u. a., Deutschland, jüdisch
Heimatland, 2008; Beziehungsnetze aschkenasischer Juden während des
Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. v. Müller, J., 2008;Litt, S.,
Geschichte der Juden Mitteleuropas 1500-1800, 2009; Daniels, J. v., Religiöses
Recht als Referenz, 2009; Herlich, R. u. a., Weiterleben Weitergeben, 2009;
Klein, P., Die Gettoverwaltung Litzmannstadt, 2009; Staudacher, A., … meldet
den Austritt aus dem mosaischen Glauben, 2009; Schwarz, E., Juden im Zeugenstand,
2009; Steinweis, A., Kristallnach 1938, 2009; Seibel, W., Macht und Moral. Die
Endlösung der Judenfrage in Frankreich, 2010; Curilla, W., Der Judenmord in
Polen, 2010; Mayer, M., Staaten als Täter, 2010; Haeberli, S., Der jüdische
Gelehrte im Mittelalter, 2010; Austria Judaica. Quellen zur Geschichte der
Juden in Niederösterreich und Wien 1496-1671, bearb. v. Paucher, P., 2010;
Judaism, Christianity and Islam in the Course of History, hg. v. Gall, L. u.
a., 2010; Der Judenrat von Bialystok, hg. v. Anders, F. u. a., 2010; Laux, S.,
Gravamen und Geleit - Juden im Ständestaat, 2010; Maier, G., Wirtschaftliche
Tätigkeitsfelder von Juden im Reichsgebiet (ca. 1273-1350), 2010; Jüdische
Wohlfahrtsstiftungen, hg. v. Ludwig, A., 2010; Schneider, H., Die Entjudunmg
des Wohnraums, 2010; Junginger, H., Die Verwissenschaftlichung der Judenfrage
im Nationalsozialismus, 2011; Die Verfolgung der Juden während der NS-Zeit, hg.
v. Hedwig, A. u. a., 2011; Gottwaldt, A., Die Reichsbahn und die Juden
1933-1945, 2011; Rupnow, D., Judenforschung im Dritten Reich, 2011; Franke,
C., Legalisiertes Unrecht, 2011; Jüdische Soldaten - Jüdischer Widerstand in
Deutschland und Frankreich, hg. v. Berger, M. u. a., 2011; Strnad, M.,
Zwischenstation Judensiedlung, 2011; Jasch, C., Staatssekretär Wilhelm Stuckart
und die Judenpolitik, 2011; Pawliczek, A., Akademischer Alltag, 2011; Meyer,
B., Tödliche Gratwanderung, 2011; Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur,
hg. v. Diner, D., Bd. 1ff. 2011ff.; Grady, T., The German Jewish Soldiers,
2011; Snyder, T., Bloodlands - Europa zwischen Hitler und Stalin, 2011; Nazi
Crimes against Jews and German Post-War Justice. The West German Judicial
System during Allied Occupation (1945-1949), 2012; Breunung, L. u. a.,
Biographisches Handbuch der Emigration deutschsprachiger Rechtswissenschaftler
nach 1933, Bd. 1 2012; Kasper-Marienberg, V., vor euer kayserlichen Mayestät
Justiz-Thron, 2012; Köbler, G., Jüdische deutsche Juristen, ZIER 2 (2012);
Timmel, J., Die Rechtsstellung der Juden im Kurfürstentum und Königreich
Hannover, 2012; Die Juden in Franken, hg. v. Brenner, M. u. a., 2012; Berndt,
J., Ich weiß, ich bin kein Beamter - Heinz Galinski, 2012: Frühneuzeitliche
Ghettos in Europa im Vergleich, hg. v. Backhaus, F. u. a., 2012; Meinen, I. u.
a., Verfolgt von Land zu Land - Jüdische Flüchtlinge in Westeuropa 1938-1944,
2013; Grill, T., Der Westen im Osten, 2013; Lidegaard, B., Die Ausnahme, 2013; Die
Juden in Schwaben, hg. v. Brenner, M. u. a., 2013; Hoffmann, P., Carl Goerdeler
gegen die Verfolgung der Huden, 2013; Haverkamp, A., Beziehungen zwischen
Bischöfen und Juden im ottonisch-salischen Königreich bis 1090 (in) Trier -
Mainz - Rom, 2013, 45; Das emanzipationsedikt von 1812 in Preußen, hg. v. Diekmann,
I., 2013; Liedtke, R., Wirtschaft und Ungleichheit, 2014; Koop, V., „Wer Jude
ist, bestimme ich“, 2014; „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ in deutschen
Städten, hg. v. Fritsche, C. u. a., 2014; Jüdische Gemeindestatuten aus dem
aschkenasischen Kulturraum 1650-1850, hg. v. Litt, S., 2014; Burger, H.,
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Jzden, 2014; Kennzeichen
„Jude“, hg. v. Graowski, H./Haney, W., 2014
Judeneid ist
der besondere, von →Juden in Rechtsstreitigkeiten mit Nichtjuden zu
schwörende, seit dem 9. Jh. überlieferte Eid.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Claussen, H.,
Der Judeneid, 1937; Schmidt, R., Judeneide in Augsburg und Regensburg, ZRG GA
93 (1976), 322; Zimmermann, V., Die Entwicklung des Judeneids, 1973; Kisch, G.,
Ausgewählte Schriften, Bd. 1 1978, 137; Vormbaum, T., Der Judeneid im 19.
Jahrhundert, 2007
Judenpogrom →Juden
Judenrecht ist
das besondere, für →Juden geltende Recht. Es ist teils nichtjüdisches
Recht (z. B. Codex Theodosianus 438, Codex Justinianus 534), hauptsächlich aber
jüdisches, auf die Tora (5 Bücher Moses) gegründetes, zusammen mit mündlich
überliefertem Recht als Halacha (mit 613 Verhaltensregeln) bezeichnetes, in
Mischna (um 200) und (einschließlich Gemara) in Talmud (um 500)
aufgezeichnetes und in Mischne Tora (Maimonides 12. Jh.) und Schulchan auch
gesetztes Recht.
Lit.: Linder, A., The Jews in Roman Imperial Legislation,
1987; Pakter, W., Medieval Canon Law and the Jews, 1988; An Introduction to the
History and Sources of Jewish Law, hg. v. Hecht, N. u. a., 1997;
Judenregal →Jude
Judenverfolgung →Jude
Judicature Acts von
1873/1875 sind Gesetze, die das englische Gerichtsverfassungsrecht erheblich
abändern und dabei das Gericht des Kanzlers mit den drei Gerichten des Königs
verbinden.
Lit.: Baker, J., An Introduction to English Legal History,
1971, 2. A. 1979, 3. A. 1990, 4. A. 2002
Judikative ist
im Rahmen der →Gewaltenteilung die rechtsprechende Gewalt.
Lit.: Köbler, DRG 191
Judikatur (F.)
Rechtsprechung
Lit.: Mertens, H., Untersuchungen zur zivilrechtlichen
Judikatur des Reichsgerichts, AcP 174 (1974), 333; Schulte-Nölke, H.,
Rheinische Judikatur, ZNR 1998, 84
jüdisches Hehlerrecht →Hehler
Jugend ist
die Zeit des Heranwachsens eines Menschen. Für die J. gelten seit Entstehung
des Rechtes besondere Rechtssätze. →Kind, Vormundschaft, Jugendgericht,
Jugendstrafrecht
Lit.: Speitkamp, W., Jugend in der
Neuzeit, 1998; Bornhorst, S., Selbstversorger, 2010
Jugendgericht ist das für Jugendsachen in Deutschland zuständige Gericht, das 1908
durch gerichtliche Organisationserlasse in Köln, Frankfurt am Main und Berlin
und allgemein durch das Jugendgerichtsgesetz (16. 2. 1923) geschaffen wird.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Köbler, DRG 234; Baltl/Kocher;
Hazel, N., A History of Youth Justice, 2012; Bolius, U. u. a., Der
Jugendgerichtshof Wien - Die Geschichte eines Verschwindens, 2011
Jugendschutz ist
der Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Gefahren. Ihm dient das besondere
Jugendschutzgesetz (Deutschland 1985, Jugendarbeitsschutzgesetz 1976, Österreich
1987).
Lit.: Ukrow, J., Jugendschutzrecht, 2004
Jugendstrafrecht ist das seit dem 19. Jh. entstehende besondere Strafrecht
für Jugendliche (Deutschland 16. 2. 1923 Jugendgerichtsgesetz).
Lit.: Holzschuh, K., Geschichte des Jugendstrafrechts,
1957; Roth, A., Die Entstehung eines Jugendstrafrechts, ZNR 1991, 17; Wolff, J.
u. a., Das Jugendstrafrecht zwischen Nationalsozialismus und Demokratie, 1997;
Fritsch, M., Die jugendstrafrechtliche Reformbewegung, 1999; Oberwittler, D.,
Von der Strafe zur Erziehung?, 2000; Günzel, S., Die geschichtliche Entwicklung
des Jugendstrafrechts, 2001; Schady, J., Die Praxis des Jugenstrafrechts in der
Weimarer Republik, 2003; Kraft, B., Tendenzen in der Entwicklung des Jugendstrafrechts,
2004; Mill, T., Zur Erziehung verurteilt - Die Entwicklung des Jugendstrafrechts
im zaristischen Russland, 2010; Wernicke, S., Jugendstrafvollzug in der DDR,
2011
Jugoslawien ist
der 1918 aus Gebieten Österreich-Ungarns (Bosnien-Herzegowina, Dalmatien,
Krain und Kroatien), des osmanischen Reiches (Montenegro) und des seit 1830
autonomen und seit 1878 unabhängigen Königreichs (1882) Serbien gebildete
südosteuropäische Staat. Am 29. 10. 1918 wird die Loslösung Kroatiens, am 30.
10. 1918 die Loslösung Bosniens und Herzegowinas von Österreich, am 19. 11.
1918 der Anschluss Montenegros an Serbien ausgerufen. Am 1. 12. 1918 wird das
Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen erklärt. Zu ihm kommen Teile
Kärntens, der Steiermark und Ungarns. 1929 wird das Land in J. umbenannt, 1941-1944/1945
vom Deutschen Reich und von Italien aufgelöst,danach aber wieder begründet und am
29. 11. 1945 zur Republik umgewandelt. 1947 kommen das ehemalige Küstenland
(ohne Triest) und Zadar hinzu. Seit 1991 zerfällt es wieder in mehrere
Einzelstaaten (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien [1992 Bundesrepublik
mit Montenegro, 2006 getrennt], Makedonien).
Lit.: Köbler, DRG 220; Köbler,
Historisches Lexikon; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
4,5,325; Büschenfeld, H., Jugoslawien, 1981; Sundhaussen, H., Geschichte
Jugoslawiens, 1982; Geč-Korošec, M.,
Die geschichtliche Entwicklung des
jugoslawischen Familienrechts, ZRG GA 106 (1989), 331; Als Mitteleuropa
zerbrach, hg. v. Karner, S. u. a., 1990; Baer, S., Der Zerfall Jugoslawiens,
1995; Suppan, A., Jugoslawien und Österreich, 1996; Verbrechen an den Deutschen
in Jugoslawien, verf. v. Arbeitskreis Dokumentation in der donauschwäbischen
Kulturstiftung, 1998; Der Jugoslawien-Krieg, hg. v. Melcic, D. u. a., 1999;
Meier, V., Wie Jugoslawien verspielt wurde, 3. A. 1999; Meier, V., Jugoslawiens
Erben, 2001; Dérens, J./Samary, C., Jugoslawien von A bis Z, 2001; Schmider.
K., Partisanenkrieg in Jugoslawien 1941-1944, 2002; Zlatar, Z., The Poetics of
Slavedom, 2007; Ramet, S., Die drei Jugoslawien, 2008; Böhm, J., Die deutsche
Volksgruppe in Jugoslawien 1918-1941, 2009; Calic, M., Geschichte Jugoslawiens
im 20. Jahrhundert, 2010; Ramet, S., DIe drei Jugoslawien, 2011; Sundhaussen,
H., Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943-2011, 2012
Julianus →Iulianus
Jülich ist
der Mittelpunkt einer Grafschaft, die 1356 zum Herzogtum erhoben wird und deren
Gebiet über Pfalz-Neuburg (1614), Bayern (1777) und Preußen (1814/5) 1946 zu
Nordrhein-Westfalen kommt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Scotti, J., Sammlung
der Gesetze und Verordnungen, Bd. 1 1821; Landtagsakten von Jülich-Berg
1400-1610, hg. v. Below, G. v., Bd. 1f. 1895ff.; Stölzel, A., Die Entwicklung
der gelehrten Rechtsprechung, Bd. 1f. 1901ff.; Düren, bearb. v. Schoop, A.,
1920; Croon, H., Stände und Steuern in Jülich-Berg, 1929; Jülich, bearb. v.
Lau, F., 1932; Walz, R., Stände und frühmoderner Staat, 1982; Kraus, T.,
Jülich, Aachen und das Reich, 1987
Jüngstenrecht (Minorat) ist das Erbrecht des Jüngsten als Alleinerben bei mehreren an
sich gleich nahen Verwandten. Es entsteht im →Anerbenrecht. Es ist
weniger verbreitet als das Ältestenrecht.
Lit.: Hübner 803; Kroeschell, DRG 2
Jüngster Reichsabschied ist der am 17. 5. 1654 verkündete letzte Reichsabschied
des Reichstags des Heiligen römischen Reiches (vor dem immerwährenden Reichstag). Von
Bedeutung ist die im jüngsten Reichsabschied enthaltene neue Verfahrensordnung
des Reichskammergerichts mit der Abschaffung der artikulierten Klage u. s. w.
Lit.: Ruville, A. v., Die kaiserliche Politik auf dem
Regensburger Reichstag 1653-1654, 1896; Fürnohr, W., Der immerwährende
Reichstag zu Regensburg, 1963
Jüngstes Gericht
ist das von der jüdisch-christlichen Religion erwartete Gericht Gottes am Ende
der Welt.
Juniorat →Jüngstenrecht
Junker (M.) Jungherr
Lit.:
Heß, K., Junker und bürgerliche Großgrundbesitzer im Kaiserreich, 1990; Wagner,
P., Bauern, Junker und Beamte, 2005
jura (lat. [N.Pl.])
→ius (lat. [N.])
Jura ist
das Gebiet eines Gebirgszugs nahe dem Doubs. Der französischsprachige J. gehört
bis 1815 zum Hochstift Basel, danach zum Kanton Bern. Nach Volksabstimmungen im
Jura (1974) und in der →Schweiz (24. 9. 1978) wird J. selbständiger
Kanton.
Lit.: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen
Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff., 3,2,1859
Jurisdiktion (F.)
Rechtsprechung, Erstbeleg 1298
Jurisdiktionsnorm ist in Österreich das Gesetz über die Ausübung der
Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten vom 1. 8. 1895.
Lit.: Baltl/Kocher
Jurisprudenz (Rechtsklugheit) ist die (römische) Rechtskunde. Sie geht von den Priestern
(lat. [M.] pontifices, Brückenbauer) aus, entwickelt sich im Handeln (agere),
Schützen (cavere) und Antworten (respondere) und ist bedeutsam im klassischen
römischen Recht (3. Jh. v. Chr.-3. Jh. n. Chr., Hochklassiker z. B. Celsus,
Julian, Gaius, Pomponius mit klarer, knapper Sprache, sachlicher Darlegung und
überzeugender Lösung) sowie als Rechtswissenschaft seit der Wiederentdeckung
des römischen Rechtes im Hochmittelalter (→Irnerius). Der durch J.
fachlich Gebildete ist seit dem Hochmittelalter der →Jurist. →Begriffsjurisprudenz,
Interessenjurisprudenz, Wertungsjurisprudenz
Lit.: Söllner §§ 11, 15, 16; Köbler, DRG 30, 99; Kirchmann,
J. v., Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Neudruck 1956,
1960, 1988; Ihering, R. v., Ist die Jurisprudenz eine Wissenschaft?, 1868, hg.
v. Behrends, O., 1998; Kisch, G., Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit,
1960; Trusen, W., Spätmittelalterliche Jurisprudenz und Wirtschaftsethik,
1961; Canaris, C., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969;
Stupp, H., Mos geometricus oder prudentia als Denkform der Jurisprudenz, Diss.
jur. Köln 1970; Otte, G., Dialektik und Jurisprudenz, 1971; Kisch, G., Studien
zur humanistischen Jurisprudenz, 1972; Blühdorn, J., Naturrechtskritik und
„Philosophie des positiven Rechts“, TRG 41 (1973), 3; Hübner, H., Jurisprudenz
als Wissenschaft im Zeitalter des Humanismus, FS K. Larenz, 1973, 41; Schröder,
J., Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz“, 1979;
Backhaus, R., Casus perplexus, 1981; Herberger, M., Dogmatik, 1981; Rückert,
J., Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny, 1984; Haft,
F., Aus der Waagschale der Jurisprudenz, 1986, 4. A. 2009; Liebs, D., Die
Jurisprudenz im spätantiken Italien, 1987; Radding, C., The Origins of Medieval
Jurisprudence, 1988; Liebs, D., Römische Jurisprudenz in Afrika, 1993; Kiesow,
R., Das Naturgesetz des Rechts, 1997; Liebs, D., Römische Jurisprudenz in
Gallien (2. bis 8. Jashrhundert), 2002; Jenseits von Bologna, hg. v. Kilian,
M., 2013; Keppeler, L., Oswald Spengler und die Jurisprudenz 2013
Jurist ist
der planmäßig rechtswissenschaftlich ausgebildete Rechtsgelehrte.
Rechtskundige kennt bereits das römische Altertum, in dem die öffentliche
Ausübung einer weltlichen Rechtsunterweisung anscheinend zuerst durch den
ersten plebejischen (lat.) pontifex (M.) maximus (Oberpriester) Tiberius
Coruncanius (254 v. Chr.) erfolgt. Im Hochmittelalter beginnt die Ausbildung
von Juristen wohl mit →Irnerius und seinen Schülern am Anfang des 12.
Jh.s. 1267 begegnet der erste gelehrte Jurist des Erzbistums Salzburg, danach
des Erzbistums Trier. Kurz vor 1300 erscheint der erste, in Bologna noch ohne
Grad ausgebildete J. am Hof des Erzbischofs von Mainz, dem bis 1440 49 weitere,
dann meist in Heidelberg oder Erfurt geschulte Juristen folgen (Bremen 1328,
Riga 1360). Insgesamt finden sich zwischen 1250 und 1440 etwa 700 rechtsgelehrte
Personen in 55 geistlichen und 29 weltlichen Herrschaftsgebieten (König von
Böhmen 72, Herzog von Österreich 60, Erzbischof von Köln 56, Erzbischof von
Mainz 49, Herzog von Bayern 34, Bischof von Konstanz 32). Aus Bologna sind
zwischen 1265 und 1425 3601 deutsche Studierende des Rechtes (21 neue Namen
jährlich, 0,7 Graduierungen im Jahr) bekannt, aus Prag zwischen 1372 und 1418
3563 (jährlich 78 neue Namen und 7 Graduierungen), aus Köln seit etwa 1400 30
(juristische) Neuimmatrikulierte jährlich, aus Wien seit 1402 vielleicht 20,
aus Heidelberg deutlich weniger. Gegen 1300 verwendet Hugo von Trimberg im
Deutschen das Wort J. Kanonisten begegnen am deutschen Königshof erstmals unter
Rudolf von Habsburg († 1291), Legisten unter Karl IV. († 1378, in Frankreich
unter Ludwig IX., † 1270). Unter Kaiser Friedrich III. (1452–1493) dient dem
Königtum die Hälfte der mehr als 250 aus dem gesamten Spätmittelalter
bekannten gelehrten deutschen Juristen des Königs und damit ebenso viele wie in
der Zeit zwischen 1300 und 1450 und mehr als an irgendeinem landesherrlichen
Hof. Die Zahl der vor allem dem niederen Adel und dem städtischen Großbürgertum
entstammenden Juristen, die zeitweise als dem Adel gleichwertig gelten,
steigt anfangs langsam, im 15. Jh. bereits deutlich, seit dem 20. Jh. immer
stärker (um 1995 ca. 150000 Juristen in Deutschland). Im Dritten Reich wenden
sich auch Juristen dem Nationalsozialismus zu (u. a. Kieler Schule, von Karl
August Eckhardt vom 26. 5.-1. 1935 einberufenes Kitzeberger Lager junger
Rechtslehrer mit Wieacker, Larenz, Heinrich Lange, Eckhardt, Thieme, Maunz, Höhn,
Dahm, Ernst Rudolf Huber, Michaelis, Schaffstein, Siebert, Busse, Ritterbusch,
Würdinger und Heinrich Henkel in Kitzeberg bei Kiel 1936, neue Studienordnung,
neue Literatur). Die 150 berühmtesten (deutschen) Juristen studierten im
Durchschnitt an 1,88 Universitäten und lehrten durchschnittlich an 2,26
Universitäten, wechseln also (zur Vermehrung ihrer Fähigkeiten und geistigen
Unabhängigkeit) einmal im Studium und einmal im Beruf ganz selbverständlich und
bleiben nicht lebenslang einer einzigen Umgebung (mit Hausberufung) verhaftet.
Lit.: Söllner §§ 11, 15, 16; Köbler, DRG 8, 100, 114, 151,
154, 188, 262; Dahl, F., Juridiske Profiler, 1920; Schultheß, H., Schweizer
Juristen, 1945; Kunkel, W., Die römischen Juristen, 1952, 2. A. 1967, Neudruck
2001, Neudruck 2001Genzmer, E., Hugo von Trimberg und die Juristen, Studi P.
Koschaker, Bd. 1 1954, 289; Ellinger, W., Die Juristen der Reichsstadt
Nürnberg, (in) Genealogica, Heraldica, Juridica, 1954; Wieacker, F., Textstufen
klassischer Juristen, 1960; Boockmann, H., Laurentius Blumenau, 1965; Becker,
G., Deutsche Juristen und ihre Schriften auf den römischen Indices, 1970;
Laufs, A., Rechtsentwicklungen in Deutschland, 1973, 5. A. 1996; Fried, J., Die
Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert, 1974; Deutsche Juristen aus
fünf Jahrhunderten, hg. v. Kleinheyer, G. u. a. 1976; Juristinnen in
Deutschland, hg. v. Binder, G., 1984; Deutsche und europäische Juristen aus
neun Jahrhunderten, hg. v. Kleinheyer, G. u. a., 4. A. 1996, 5. A. 2008;
Kolbeck, T., Juristenschwemmen, 1978; Das Profil des Juristen in der
europäischen Tradition, 1980 (Festband f. Franz Wieacker); Jessen, J., Die
Selbstzeugnisse der deutschen Juristen, 1983; Die Rolle des Juristen bei der
Entstehung des modernen Staates, hg. v. Schnur, R., 1986; Schulen und Studium,
hg. v. Fried, J., 1986; Männl, I., Die gelehrten Juristen, Diss. phil. Gießen
1986; Rechtswissenschaft in Göttingen, hg. v. Loos, F., 1987; Juristen in
Österreich (1200-1980), hg. v. Brauneder, W., 1987; Biographisches Repertorium
der Juristen im Alten Reich (A-E und Katalog der Sammlung Lehnemann), hg. v.
Ranieri, F., Bd. 1ff. 1987ff. (CD-ROM 1997); Juristen im Portrait, 1988;
Streitbare Juristen, hg. v. Kritische Justiz, 1988; Köbler, G., Wie werde ich
Jurist?, 4. A. 1988; Wirth, T., Adelbert Düringer, 1989; Göppinger, H.,
Juristen jüdischer Abstammung, 1990; Stiefel, E. u. a., Deutsche Juristen im
amerikanischen Exil, 1991; Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hg. v.
Heinrichs, H. u. a., 1993; Dölemeyer, B., Frankfurter Juristen im 17. und 18.
Jahrhundert, 1993 (737 Juristen); Juristen, hg. v. Stolleis, M., 1995; Ebert,
I., Die Normierung der juristischen Staatsexamina, 1995; Beneduce, P., Il corpo
eloquente, 1996; Internationaler biographischer Index des Rechts und der
Rechtswissenschaft, Bd. 1ff., 1996; Dilcher, G., Der deutsche Juristenstand, FS
K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Liebs, D., Römische Juristen der
Merowinger, FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Juristinnen in
Deutschland, hg. v. Deutschen Juristinnenbund, 4. A. 2003; Recht und
Verfassung, hg. v. Boockmann, H. u. a., 1998; Schmutz, J., Juristen für das
Reich, 2000; Langer, S., Rechtswissenschaftliche Itinerarien, 2000; Frassek,
R., Steter Tropfen höhlt den Stein – Juristenbildung im Nationalsozialismus,
ZRG GA 117 (2000), 294; Juristen, hg. v. Stolleis, M., 2001
(Taschenbuchausgabe); Zivilrechtliche Entdecker, hg. v. Hoeren, T., 2001;
Österreichische Rechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, hg. v. Jabloner, C.
u. a., 2003; Jurists uprooted – German speaking émigré lawyers in
twentieth-century Britain, hg. v. Beatson, J. u. a., 2004; Wegerich, C., Die
Flucht in die Grenzenlosigkeit. Justus Wilhelm Hedemann (1878-1963), 2004;
Diccionario crítico de juristas españoles, hg. v. Peáez, M. Bd. 1f. 2005ff.;
Juristische Argumentation – Argumente der Juristen, hg. v. Cordes, A., 2005;
Zwischen Rechtsstaat und Diktatur – Deutsche Juristen im 20. Jahrhundert, 2006;
Juristenausbildung in Europa, hg. v. Baldus, C. u. a., 2008; Brundage, J., The Medieval
Origins of the Legal Profession, 2008; Röwekamp, M., Die ersten
deutschen Juristinnen, 2011; Fischer, S., Juristen in Westfalen im 19. Jahrhundert, 2012; Gelebtes Recht, hg.
v. Strejcek, G., 2012; Daniels, T., Diplomatie, politische Rede und juristische
Praxis im 15. Jahrhundert, 2013; Senn, M., Rechtswissenschaft und
Juristenausbildung, 2013; Gordley, J., The Jurists, 2013
Juristenausbildung ist die universitäre oder praktische Ausbildung zu einem →Juristen
(→Rechtsunterricht). Sie beginnt im Mittelalter nach vorrechtswissenschaftlichen
Anfängen im 12. Jh. Ausbildungsort ist hauptsächlich die →Universität, in
England aber auch die Juristenzunft (engl. inn of court). An der Universität
ist die juristische Fakultät eine der drei über der artistischen Fakultät
stehenden oberen Fakultäten. Lehrbefugt ist am Beginn der (lat. [M.]) doctor,
seit dem 19. Jh. der Habilitierte. Studierberechtigt ist anfangs der Lateinkundige,
seit dem 18. Jh. der (lateinkundige) Abiturient (Preußen 1788) bzw. Maturant.
Frauen werden erst zu Beginn des 20. Jh.s zugelassen. Die Dauer des Studiums
ist zunächst (6-8 Jahre) unbestimmt, wird im 19. Jh. aber auf eine Mindestzeit
von 6, später 7 Semestern festgelegt. Wichtigste Lehrveranstaltung ist die
Vorlesung (lat. [F.] praelectio). Lehrgegenstand sind ursprünglich die
römischen Texte Justinians und die kirchlichen Sammlungen, seit dem 16. Jh.
einzelne Fachgebiete. Seit dem 18. Jh. (Preußen 1710, 1713) wird (für den
Staatsdienst) eine der Universitätsausbildung folgende (praktische Ausbildung
mit anschließender) Prüfung (zum Volljuristen) vorausgesetzt. In der zweiten
Hälfte des 20. Jh.s wird an einzelnen Universitäten (z. B. Augsburg, Konstanz,
Bielefled, Hamburg II) zeitweise eine einstufige J. versucht, aber nach Ausbleiben
durchschlagender Erfolge wieder aufgegeben.
Lit.: Savigny, F. v., Geschichte des römischen Rechtes im
Mittelalter, Bd. 3 2. A. 1834; Muther, T., Zur Geschichte der Rechtswissenschaft
und der Universitäten in Deutschland, 1867; Weimar, P., Die legistische
Literatur und die Methode des Rechtsunterrichts der Glossatorenzeit, Ius
commune 2 (1969), 43; Köbler, G., Zur Geschichte der juristischen Ausbildung in
Deutschland, JZ 1971, 768; Bake, U., Die Entstehung des dualistischen Systems
der Juristenausbildung in Preußen, Diss. jur. Kiel 1971; Handbuch der Quellen
und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1ff.
1972ff.; Burmeister, K., Das Studium der Rechte, 1974; Köbler, G., Vorstufen
der Rechtswissenschaft, ZRG GA 100 (1983), 75; Hagemann, H., Rechtsunterricht
im 16. Jahrhundert, ZNR 14 (1992), 162; Frassek, R., Weltanschaulich begründete
Reformbestrebungen für das juristische Studium in den 30er und 40er Jahren, ZRG
GA 111 (1994), 564; Ebert, I., Die Normierung der juristischen Staatsexamina,
1995; Landau, P., Die deutschen Juristen, 1996; Lührig, N., Die Diskussion über
die Reform der Juristenausbildung, 1997; Juristenausbildung in Osteuropa bis
zum ersten Weltkrieg, hg. v. Pokrovac, Z., 2007; Juristenausbildung in Europa
zwischen Tradition und Reform, hg. v. Baldus, C. u. a., 2008; Sörgel, D., Die
Implementation der Grundlagenfächer in der Jurstenausbildung nach 1945, 2013;
Senn, M., Rechtswissenschaft und Juristenausbildung, 2013
Juristen, böse Christen ist eine wohl ansatzweise im Spätmittelalter entstandene
Redewendung (überliefert in vier Handschriften von Hugo von Trimbergs
Lehrgedicht „Der Renner“ [um 1300]). Sie hat ihren Grund in den Vermutungen,
dass der gelehrte Rechtskundige auf der Seite der Mächtigen steht, die Wahrheit
verdunkelt und die Verfahren verlängert.
Lit.: Stintzing, R. v., Das Sprichwort „Juristen, böse
Christen“, 1875; Riezler, E., Die Abneigung gegen den Juristen, 1925
Juristenfakultät ist die den Rechtsunterricht ausführende Fakultät der
Universität. Sie entsteht seit dem 13. Jh. in Oberitalien und Frankreich
(Paris), seit dem 14. Jh. auch im deutschen Sprachraum. Die J. ist
Verbandsperson, gerät aber in der Neuzeit unter staatlichen Einfluss
(Wittenberg 1508, einzelne →Universitäten). Im 20. Jh. nimmt die
zahlenmäßige Größe sehr stark zu.
Lit.: Kaufmann, G., Geschichte der deutschen Universitäten,
Bd. 1f. 1888ff., Neudruck 1958; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.;
Willoweit, D., Das juristische Studium in Heidelberg und die Lizentiaten der
Juristenfakultät von 1386 bis 1436, (in) Semper aperta, FS Universität
Heidelberg, Bd. 1 1985, 85
Juristenrecht ist das von Juristen (statt vom Volk oder vom Gesetzgeber) geschaffene
Recht. Es spielt in der rechtswissenschaftlichen Diskussion des frühen 19.
Jh.s (→Puchta) eine gewisse Rolle. →Richterrecht
Lit.: Kaser § 2 II; Söllner §§ 11, 15, 16; Köbler, DRG 4;
Thöl, H., Volksrecht, Juristenrecht, Genossenschaften, Stände, Gemeines Recht,
1846; Brauneder, W., Privatrechtsfortbildung durch Juristenrecht, ZNR 1983, 22;
Hofer, S., Zwischen Gesetzestreue und Juristenrecht – Die Zivilrechtslehre
Friedrich Endemanns (1857-1936), 1993
Juristenstand →Jurist
Juristentag ist
eine freiwillige, periodisch stattfindende Versammlung von Juristen (in
Deutschland seit 1860). Zielsetzung ist die öffentliche Erörterung von
allgemeinen Rechtsfragen.
Lit.: Conrad, H., Der deutsche Juristentag 1860-1960, (in)
Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, FS zum hundertjährigen Bestehen des
deutschen Juristentages, Bd. 1 1960, 1; Dilcher, G., Der deutsche Juristentag
1960-1980, 1980; Landau, P., Die deutschen Juristen, 1996; Festschrift 50 Jahre
österreichischer Juristentag, hg. v. österreichischer Juristentag, 2009
Juristische Person (Hugo
1799) ist die durch die Rechtsordnung geschaffene Person. Dem Altertum
ist der Gedanke, dass ein Personenverband mit selbständiger Rechtsfähigkeit
ausgestattet sein kann, noch fremd. Die Römer sehen z. B. beim Staat oder
Verein die Gesamtheit der jeweiligen Mitglieder als Rechtsträger an. Wohl als
Folge der zunehmenden Verdichtung der Gesellschaft und der sich hieraus
ergebenden Verstärkung der Verbandsbildung (Stadt, Gemeinde, Staat, Universität,
Orden, Zunft, Markgenossenschaft u. s.
w.) spricht Papst Innozenz IV. 1245 erstmals von einer (lat.) persona (F.)
ficta (erdachten Person). Im 19. Jh. wird auf der Grundlage naturrechtlicher
Ansätze der moralischen Person oder juristischen Person eigene Rechtsfähigkeit
zuerkannt. Streitig ist nur, ob die j. P. eine Fiktion (→Savigny) oder
ein sozialer Organismus (→Gierke) sei. Juristische Personen sind vor
allem →Verein (u. a. →Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit
beschränkter Haftung) und →Stiftung sowie Körperschaft und Anstalt. Seit
dem ausgehenden 20. Jh. ist auch die Einmanngesellschaft als j. P. möglich.
Die j. P. des Privatrechts entsteht durch Rechtsgeschäft, die j. P. des
öffentlichen Rechtes durch Hoheitsakt. Sie handelt nach der Fiktionstheorie
durch Vertreter, nach der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit durch
Organe.
Lit.: Kaser § 17 I; Köbler, DRG 207; Zitelmann, E., Begriff
und Wesen der sogenannten juristischen Personen, 1873; Henkel, W., Zur Theorie
der juristischen Person im 19. Jahrhundert, 1973; Huussen-de Groot, F.,
Rechtspersonen in de 19 eeuw, 1976; Dießelhorst, M., Zur Theorie der
juristischen Person bei Savigny, Quaderni Fiorentini 9 (1980); Brauneder, W.,
Von der moralischen Person des ABGB zur juristischen Person der
Privatrechtswissenschaft, Quaderni Fiorentini 11/12 (1982/3), 263; Ebihara, A.,
Was ist juristisch an der juristischen Methode des Staatsrechts, ZNR 1996, 66;
Pohlmann, J., Entstehung, Rechtsträgerschaft und Auflösung der juristischen
Person, 2007; Munsonius, H., Die juristische Person des evangelischen Kirchenrechts,
2009; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Jury ist
das mit Laien besetzte Geschworenengericht. Die J. entwickelt sich in England
und Frankreich aus dem vorwissenschaftlichen Gericht. Im 19. Jh. fordert der
Liberalismus im Kampf gegen den Staat und dessen Berufsrichter die J. auch in
Deutschland. Nach 1848 wird die J. als →Schwurgericht eingerichtet.
Lit.: Kroeschell, DRG 3; Kern, E., Geschichte des
Gerichtsverfassungrechts, 1954; Willock, J., The origins and development of the
jury in Scotland, 1966; The trial jury in England, France, Germany 1700-1900,
hg. v. Padoa Schioppa, A., 1987; Padoa Schioppa, A., La giuria penale in
Francia, 1994; Cairns, J./Mc Leod, G., The Dearest Birthright of the People of
England, 2002; Pense, T., Das spanische Schwurgericht, 2006; Masschaele, J.,
Jury, State and Society in Medieval England, 2008; Lieber, N., Schöffengericht
und Trial by Jury, 2010
Justi,
Johann Heinrich Gottlob von (Brücken 28. 12. 1717-Küstrin 21. 7. 1771) wird
nach dem Rechtsstudium in Wittenberg (Leyser) 1750 Professor für Kameralistik
in Wien und nach 1755 Praktiker und Publizist mit Vorlesungen in Göttingen
(1755-1757). Sein Hauptwerk ist die Grundfeste zu der Macht und Glückseligkeit
der Staaten (1760f., Neudruck 1965). Hierzu stellt er die wirtschaftlichen
Interessen der Allgemeinheit dem fiskalischen Interesse des nur durch Grundgesetze
gebundenen absoluten Monarchen voran. Die Polizei beschränkt er auf die Gewährleistung
der Rahmenbedingungen für privates wirtschaftliches Handeln. Die
systematische Bearbeitung des Polizeibegriffs legt dabei die Grundlage für das
Verwaltungsrecht des 19. Jh.s.
Lit.: Frensdorff, F., Über das Leben und die Schriften des
Nationalökonomen Johann Heinrich Gottlob von Justi, 1903, Neudruck 1970;
Ebihara, A., Justis Staatslehre und Wolffs Naturrechtslehre, ZRG GA 102 (1985),
239; Stolleis, M., Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1 1988; Adam, U.,
The Political Economy of J. H. G. Justi, 2006
Justinian (Tauresium
[Taor in Mazedonien] 482-Konstantinopel 14. 11. 565), Bauernsohn und
Kaiserneffe, verheiratet mit Theodora, der Tochter eines Bärendompteurs am
Zirkus in Konstantinopel, wird 527 Kaiser des oströmischen Reiches. Er
veranlasst die Schaffung der →Institutionen (533), der →Digesten
oder →Pandekten (530/533) und des →Codex (534) und erlässt danach
noch Einzelgesetze (→Novellen). Anfangs tatkräftig, wird er später vom
Gedanken göttlicher Berufung beseelt.
Lit.: Söllner §§ 19, 21; Dulckeit/Schwarz/Waldstein § 43;
Köbler, DRG 50, 53; Schindler, K., Justinians Haltung zur Klassik, 1966;
Browning, R., Justinian and Theodora, 1971; Mazal, O., Justinian I. und seine
Zeit, 2001; Meier, M., Das andere Zeitalter Justinians, 2003; Meier, M.,
Justinian, 2004; Cesaretti, P., Theodora, 2004; Leppin, H., (K)ein Zeitalter
Justinians, HZ 284 (2007), 659; Pratsch, T., Theodora von Byzanz, 2009;
Justinian, hg. v. Meier, M., 2010; Leppin, H., Justinian, 2011
Justiz (zu
lat. iustitia [F.] Gerechtigkeit) ist die Rechtspflege (vielfach nur der ordentlichen
Gerichtsbarkeit).
Lit.: Springer, M., Die Coccejische Justizreform, 1914;
Liebermann, F., Zur Teilung des Justizertrags zwischen Herrscher und
Gerichtshalter, ZRG GA 46 (1926), 365; 200 Jahre Dienst am Recht, hg. v.
Gürtner, F., 1938; Hannover, H./Hannover, E., Politische Justiz, 1966, Neudruck
1987; Wenzlau, J., Der Wiederaufbau der Justiz in Nordwestdeutschland 1945 bis
1948, 1979; Kuhn, Robert, Die Vertrauenskrise der Justiz (1926-1928), 1983;
Fieberg, G., Justiz im nationalsozialistischen Deutschland, 1984; Justiz in
alter Zeit, hg. v. Hinckeldey, C. u. a., 1984, 2. A. 1989, 3. A. 1989; Jasper,
G., Justiz und Nationalsozialismus, 1985; Just-Dahlmann, B. u. a., Die
Gehilfen, 1988; Justizalltag im Dritten Reich, hg. v. Diestelkamp, B. u. a.,
1988; Gruchmann, L., Justiz im Dritten Reich 1933-1940, 1988, 3. A. 2003; Recht
und Justiz im Dritten Reich, hg. v. Dreier, R. u. a., 1989; Justiz in alter
Zeit, 3. neubearb. A., hg. v. Hinckeldey, C. u. a., 1989; Judicial Records, hg.
v. Baker, J., 1989; Vorträge zur Justizforschung, hg. v. Mohnhaupt, H. u. a.,
1992f.; Justiz im Dritten Reich, NS-Sondergerichtsverfahren in Rheinland-Pfalz,
1994; Wrobel, Verurteilt zur Demokratie, 1998; Royer, J., Histoire de la
justice en France, 1995; Dölemeyer, B., Justizforschung in Frankreich und
Deutschland, ZNR 18 (1996); Error iudicis, hg. v. Gouron, A. u. a., 1998;
Schulte-Nölke, H., Rheinische Judikatur im frühen 19. Jahrhundert, ZNR 20
(1998); Justiz und Gerechtigkeit, hg. v. Griesebner, A., 2002; Justiz im
Nationalsozialismus. Katalog zur Ausstellung, hg. v. Benzler, S. u. a., 2002;
Seif, U., Recht und Justizhoheit, 2003; Justiz = Justice = Justicia? Rahmenbedingungen
von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa, hg. v. Rudolph, H. u. a., 2003;
Wiedemann, A., Preußische Justizreformen, 2003; Justiz und Nationalsozialismus,
hg. v. Pauli, G. u. a., 2003; Kißener, M., Zwischen Diktatur und Demokratie,
2003; Schmelz, C., Die Entwicklung des Rechtswegestaates, 2004; Messerschmidt,
M., Die Wehrmachtjustiz, 2005; Book, A., Die Justizreform in der Frühzeit der
Bundesrepublik, 2005; Groß, J., Die deutsche Justiz unter französischer
Besatzung 1945-1949, 2007; Scheib, K., Justiz unterm Hakenkreuz, 2012; Justiz
und Justizverfassung, hg. v. Schubert, W. u. a., 2013 (Ostseeraum)
Justizgesetzsammlung ist eine 1780 in Österreich angelegte Sammlung der Justizgesetze.
Lit.: Baltl/Kocher
Justizsache ist
im 18. Jh. die gerichtlich überprüfbare Angelegenheit.
Lit.: Kroeschell, K., Justizsachen und Polizeisachen, FS H.
Thieme, 1983
Justizstelle →oberste
Justizstelle
Justizverwaltung ist die Verwaltung der von der allgemeinen Verwaltung
getrennten Gerichtsbarkeit.
Lit.: Hamann, U., Das Oberlandesgericht Celle im Dritten
Reich, (in) FS zum 250jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle, 1986; Justizverwaltung,
Rechtsprechung und Strafvollzug auf dem Gebiet des heutigen Landes
Rheinland-Pfalz, 1995
Jütisches Recht →Jyske
Lov
Lit.: Das jütsche Recht, übers. v. See, K. v., 1960;
Wagner, W., Jütlands Verfassung im Mittelalter, 1992
Jütland ist
der festländische Teil Dänemarks zwischen Nordsee und Ostsee. Teile seiner
germanischen Bewohner ziehen im 5. Jh. in das heutige Belgien und von dort 449
nach Britannien bzw. England. 1241 erlässt König Waldemar von Dänemark das →Jyske
Lov.
Lit.: Nordisk kultur, Bd. 2 1938, 1ff.
Jyske Lov,
Jydske Lov, ist ein im März 1241 von König Waldemar II. (1202-1241) von
Dänemark als verbessertes Landschaftsrecht für Jütland erlassenes Gesetz in
dänischer Sprache. Es ist in 14 Handschriften des 14. Jh.s überliefert. Es
gliedert sich in drei Bücher gemischten Inhalts. Es ist kirchlich und königlich
geprägt. Es gilt bis 1683, in Schleswig bis 1900.
Lit.: Das Jyske Recht, hg. v. See, K. v., 1960; Amira, K.,
v./Eckhardt, K., Germanisches Recht, Bd. 1 4. A. 1960, 91, 96; Jutisch Lowbok.
Lübeck 1486, (Faksimiledruck) 1976
K
Kabbala (F.)
mystisch-spekulative Strömung des Judentums in Südfrankreich und Spanien
(13./14. Jh.)
Lit.: Scholem, G., Ursprung und Anfänge der Kabbala, 1962;
Reichstein, H., Praktisches Lehrbuch der Kabbala, 1984; Scholem, G., Mystik, 3.
A. 1988
Kabel (F.)
ist im mittelalterlichen Norddeutschland das Los und der durch das Los
bestimmte Anteil (z. B. an einem Deich).
Lit.: Hübner § 114
Kabinett ist
ursprünglich das kleine Gemach, in dem der neuzeitliche Fürst seine besonderen
Angelegenheiten besorgt. Hieraus entwickelt sich eine beratende beamtete
Organisation. In der Gegenwart ist K. die Regierung.
Lit.: Köbler, DRG 151; Dürichen, J., Geheimes Kabinett und
Geheimer Rat unter der Regierung Augusts des Starken, Neues Archiv f. Gesch. 51
(1930), 68; Heiss, U., Geheimer Rat und Kabinett in den ernestinischen Staaten
Thüringens, 1962; Leinert, B., Geheimer Rat und Kabinett in Baden, 1973
Kabinettsjustiz ist die Gesamtheit der Eingriffe des Landesherrn in einen
geschäftlichen Ablauf im Einzelfall. Im →Absolutismus ist der Machtspruch
erlaubt. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jh.s wird er als Verstoß gegen die →Gewaltenteilung
bekämpft und im Gefolge der französischen Revolution (1789) und der
Verfassungsgebung Frankreichs (1791, Kapitel V, Art. 1) im 19. Jh.
ausgeschlossen.
Lit.: Köbler, DRG 154, 200; Bussi, E., Zur
Geschichte der Machtsprüche, FS E. Hellbling, 1971, 51; Ogris, W., Maria
Theresia iudex, Anzeiger der phil.-hist. Kl. d. österreichischen Ak. d. Wiss.
110 (1973), 232; Ogris, W., De sententiis ex plenitudine potestatis, FS H.
Krause, 1975, 171; Regge, J., Kabinettsjustiz in Brandenburg-Preußen, 1977;
Olechowski, T., Iustitia regnorum fundamentum, RZ 78 (2000), 132
Kadijurisprudenz ist die Streitentscheidung durch den Kadi (Richter in
arabischen Ländern) im Gegensatz zur rechtsstaatlichen Rechtsprechung.
Lit.: Luig, K., Richterkönigtum und Kadijurisprudenz, (in)
Das Profil des Juristen, 1980, 295; Müller, C., Der Kadi und seine Zeugen, 2013
Kahn-Freund,
Otto (Frankfurt am Main 1900-England 1979) wird nach dem Studium von Geschichte
und Recht in Heidelberg, Leipzig und Frankfurt (Sinzheimer) Richter. 1933
wandert er wegen seiner jüdischen Herkunft nach England aus und wird 1951
Professor in London, 1964 in Oxford. Er gehört zu den führenden
Arbeitsrechtlern des 20. Jh.s.
Lit.: Kahn-Freund, O., Autobiographische Erinnerungen an
die Weimarer Republik, Kritische Justiz 1981, 183
Kaiser ist
der Träger der höchsten weltlichen Würde. In der Nachfolge Gaius Iulius Caesars
(† 44 v. Chr.) nennen sich nach Augustus (27 v. Chr.-14 n. Chr.) schon die
römischen Herrscher (lat. [M.]) caesar. Dabei hängt die Nachfolge im
Wesentlichen von den jeweiligen Machtverhältnissen ab (z. B. Soldatenkaiser).
Bei Teilung des römischen Reiches stehen mehrere K. nebeneinander. In Westrom
endet das Kaisertum 476 n. Chr. Im Osten tritt im 7. Jh. die Bezeichnung
basileus an die Stelle von Caesar. An Weihnachten 800 krönt Papst Leo III. Karl
den Großen zum K. (lat. imperator [M.] Romanorum). In der Folge erlangen viele
deutsche Könige vom Papst die Krönung zum K. (lat. [M.] imperator Romanorum
semper augustus), nämlich Karl III. der Dicke 881, Arnulf von Kärnten 896, Otto
I. 962, Otto II. 973, Otto III. 996, Heinrich II. 1014, Konrad II. 1027,
Heinrich III. 1046, Heinrich IV. 1084, Heinrich V. 1111, Lothar III. 1133,
Friedrich I. 1155, Heinrich VI. 1191, Otto IV. 1209, Friedrich II. 1220,
Heinrich VII. 1312, Ludwig IV. der Bayer 1328, Karl IV. 1355, Sigismund 1433,
Friedrich III. 1452, Maximilian 1508, Karl V. [1520 Selbstbenennung als
erwählter Kaiser des Heiligen römischen Reiches, erwählter römischer Kaiser]
Bologna 1530) Die damit verbundenen Rechte sind gering. 1453 endet das
oströmische Kaisertum unter dem Ansturm der Türken, deren Sultan den Rang eines
Kaisers beansprucht. Der Herrscher Russlands nennt sich nach dem Untergang
Ostroms ab 1478 Zar (1547 Krönung Iwans IV., des Schrecklichen, 1721 imperator,
1917 Zarenfamilie gestürzt). Nach 1530 wird der K. des Heiligen römischen
Reiches von den Kurfürsten gewählt bzw. gekrönt (z. B. Ferdinand I. 1556 u.
a.). 1804 nehmen die Herrscher von Frankreich (mit Unterbrechungen bis 1870)
und Österreich den Titel K. an. 1806 endet das Kaisertum des Heiligen römischen
Reiches . 1871 wird der König von Preußen zum K. des Deutschen Reiches
proklamiert. 1918 endet das europäische Kaisertum (Deutschland, Österreich).
Daneben gibt es auch K. von Indien (1876-1947), China, Äthiopien und Japan sowie
anderen Ländern.
Lit.: Köbler, DRG 76, 83, 109, 132, 147,
194, 195; Tophoff, H., Die Rechte des deutschen Kaisers, 1902; Srbik, H. v.,
Das österreichische Kaisertum, 1927; Heldmann, K., Das Kaisertum Karls des
Großen, 1928; Holtzmann, R., Der Kaiser als Marschall des Papstes, 1928;
Schramm, P., Kaiser, Rom und Renovatio, 1929, 2. A. 1957; Tiedemann, H., Der
deutsche Kaisergedanke vor und nach dem Wiener Kongress, 1932; Schneider, F.,
Neuere Anschauungen der deutschen Historiker zur Beurteilung der deutschen
Kaiserpolitik des Mittelalters, 1934, 2. A. 1936, 3. A. 1938; Stengel, E.,
Kaisertitel und Souveränitätsidee, DA 3 (1939); Ohnsorge, W., Das
Zweikaiserproblem im früheren Mittelalter, 1947; Ohnsorge, W., Das Mitkaisertum
in der abendländischen Geschichte des früheren Mittelalters, ZRG GA 67 (1950),
309; Andreae, F., Das Kaisertum in der juristischen Staatslehre des 15.
Jahrhunderts, Diss. phil. Göttingen 1951; Drögereit, R., Kaiseridee und
Kaisertitel bei den Angelsachsen, ZRG GA 69 (1952), 24; Uhlirz, M., Die
rechtliche Stellung der Kaiserinwitwe Adelheid, ZRG GA 74 (1957), 84; Pratje,
J., Die kaiserlichen Reservatrechte, 1958; Stengel, E., Abhandlungen und
Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter, 1965; Appelt,
H., Die Kaiserideee Friedrich Barbarossas, 1967; Kleinheyer, G., Die
kaiserlichen Wahlkapitulationen, 1968; Fehrenbach, E., Wandlungen des
deutschen Kaisergedankens 1871-1918, 1969; Wehler, H., Das Deutsche Kaiserreich
1871-1918, 1973, 5. A. 1983, 7. A. 1994; Das byzantinische Herrscherbild, hg.
v. Hunger, H., 1975; Veh, O., Lexikon römischer Kaiser, 1976, 2. A. 1985, 3. A.
1990; Duchhardt, H., Et Germani eligunt et Germanus eligendus, ZRG GA 97
(1980), 232; Schramm, P., Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer
Zeit, 2. A. 1983; Kaiser und Reich, hg. v. Buschmann, A., 1984, 2. A. 1994; Kaisergestalten
des Mittelalters, hg. v. Beumann, H., 1984, 2. A. 1985, 3. A. 1991; Wefers, S.,
Das politische System Kaiser Sigmunds, 1989; Die Kaiser der Neuzeit, hg. v.
Schindling, A. u. a., 1990; Kienast, D., Römische Kaisertabelle, 1990, 2. A.
1996, 3. unv. A. 2004, 4. unv. A. 2010, 5. unv. A. 2011; Pabst, A., Comitia
imperii, 1997; Die römischen Kaiser, hg. v. Clauss, M., 2. A. 2001; Clauss, M.,
Kaiser und Gott, 1999; Winterling, A., Aula Caesaris, 1999; Reichsständische
Libertät und habsburgisches Kaisertum, hg. v. Duchhardt, H. u. a. 1999; Wagner, N., Der deutsche Kaiser und König von Preußen, ZRG
GA 117 (2000), 450; Die Kaiserinnen Roms, hg. v. Temporini-Gräfin Vitzthum, H.,
2002; Röhl, J., Kaiser, Hof und Staat – Wilhelm II., 2002; Sommer, M., Die
Soldatenkaiser, 2004, 2. A. 2010, 3. A. 2014; Schneidmüller, B., Die Kaiser des
Mittelalters, 2006; Demandt, A., Das Privatleben der römischen Kaiser, 2007;
Stollberg-Rilinger, B., Des Kaisers alte Kleider, 2008; Ostermann, T., Die verfassungsrechtliche
Stellung des deutschen Kaisers nach der Reichsverfassung von 1871, 2009; Kaisertum
im ersten Jahrtausend, hg. v. Leppin, H. u. a., 2012; Szidat, J., Usurpator
tanti nominis, 2010
Kaisergericht ist die vom →Kaiser verwaltete Gerichtsbarkeit (z. B. in Rom).
Lit.: Kaser §§ 80 II 5, 87 I 1, II; Bleicken, J.,
Senatsgericht und Kaisergericht, 1962
Kaiserkonstitution ist die (lat.) →constitutio (F.) des Kaisers vor
allem im spätantiken Rom.
Kaiserkrönung ist die Krönung eines Menschen zum Kaiser, wie sie im Abendland seit dem
Jahre 800 stattfindet. Für die damit verbundenen Handlungen entwickelt sich ein
besonderer Krönungsordo (seit 960 überliefert). Danach folgen auf den
Krönungseid Salbung, Übergabe der Herrschaftszeichen, Messe, Steigbügelhalten,
Krönungszug und Festmahl.
Lit.: Eichmann, E., Die Kaiserkrönung im Abendland, Bd. 1f.
1942; Die Ordines für die Weihe und Krönung, hg. v. Elze, R., 1960; Hageneder,
O., Das crimen maiestatis, FS F. Kempf, 1983
Kaiserproklamation in Versailles am 18. 1. 1871 ist die feierliche
Amtsübernahme des Kaisers des Deutschen Reiches.
Lit.: Die Reichsgründung 1870/71, hg. v. Schieder, T. u.
a., 1970
Kaiserrecht ist
das auf den →Kaiser bezogene →Recht. Im römischen Altertum lassen
sich die Konstitutionen der (lat. [M.Pl.]) principes als K. verstehen. Das 13.
bis 16. Jh. meint mit K. alles Recht, dessen Quelle der Kaiser ist oder sein
soll. Damit kann deutsches Recht wie römisches Recht erfasst sein. Als K. wird
beispielsweise in den meisten Handschriften der später sog. Schwabenspiegel
bezeichnet, als kleines Kaiserrecht ein wenig jüngeres Rechtsbuch (sog.
Frankenspiegel). Im Laufe des 14. Jh.s sind K. etwa die Goldene Bulle, die
Landfrieden, die Rechtsbücher, das Recht der Reichsstädte, das in der
kaiserlichen Gerichtsbarkeit gesprochene Urteil oder das römische Recht (z. B.
Sachsenspiegelglosse). Im 15. Jh. ist K. meist das aufgenommene römische
Recht. Den Gegensatz bildet häufig das kirchliche Recht.
Lit.: Schaafs, G., Ein Kaiserrechtbruchstück, ZRG GA 26
(1905), 280; Krause, H., Kaiserrecht und Rezeption, 1952; Munzel, O., Die
Innsbrucker Handschrift des Kleinen Kaiserrechts, 1974; Trusen, W., Die
Rechtsspiegel und das Kaiserrecht, ZRG GA 102 (1985), 12; Munzel-Everling, D.,
Dez keisers recht. Das kleine Kaiserrecht, 2003
Kaiserslautern
Lit.: Urkundenbuch der Stadt
Kaiserslautern, Teil 1ff., hg. v. Dolch, M. u. a., 1994ff.; Das Lauterer
Gericht und sein Speyerer Oberhof, hg. v. Dolch, M., 1996; Ratsprotokolle der
Stadt Kaiserslautern 1566-1571, hg. v. Dolch, M. u. a., 2002; Keddigkeit, J.,
Kleine Geschichte der Stadt Kaiserslautern, 2008
Kalabrien ist
bis ins 7. Jh. die südöstliche, später die südwestliche Halbinsel der Halbinsel
Italien. K. kommt über die Punier, Römer, Byzantiner und Langobarden in der
Mitte des 11. Jh.s an die →Normannen.
Lit.: Kamp, N., Kirche und Monarchie im staufischen
Königreich Sizilien, 1975; Leo, P. de, Mezzogiorno medioevale, 1984
Kalender ist
das wichtigste Mittel zur Einteilung der Dimension Zeit (nach Tagen, Monaten
und Jahren) mit Hilfe astronomisch bestimmter Gegebenheiten (von Sonne und
Mond). Der nach lat. calendae (Monatsanfang) benannte, bereits vielen Völkern
des Altertums bekannte K., für den sich in Rom schon im 5. Jh. v. Chr. der
Übergang zum Sonnenjahr andeutet, wird von Caesar (100-44 v. Chr.) neu bestimmt
(julianischer K. mit einer Ungenauigkeit von rund 12 Sekunden pro Jahr). 325
wird der Frühjahrsanfang auf den 21. März festgesetzt. Ohne dass das
Geburtsjahr Jesus Christus’ (kurz vor 4 v. Chr.?) feststeht, setzt sich die von
Dionysius Exiguus (475?-545) eingeführte Zählung nach Christi Geburt durch. Im
Frühmittelalter verbessern Beda und vielleicht Karl der Große (Lorsch 789?) die
Kalenderführung durch Aufnahme von Ereignissen auch der gewöhnlichen
Lebenswelt. 1582 wird der zu Verschiebungen führende julianische K. unter Papst
Gregor XIII. durch den genaueren, zehn Tage auslassenden gregorianischen K.
ersetzt, dem sich die reformierten Landesherren im Heiligen römischen Reich am
23. 9. 1699 anschließen (England 1752, Russland 1917). Ein an der französischen
Revolution ausgerichteter neuer Kalender Frankreichs des Jahres 1792 scheitert
bereits 1805.
Lit.: Wislicenus, F., Der Kalender, 1905; Meinzer, M., Der
französische Revolutionskalender (1792-1805), 1992; Graf, F., Der Lauf des
rollenden Jahres, 1997; Borst, A., Die karolingische Kalenderreform, 1998; Der
karolingische Reichskalender, hg. v. Borst, A., 2001; Der Streit um die Zeit,
hg. v. Herzog, M., 2002; Der Kalender, hg. v. Geerlings, W., 2002; Borst, A.,
Der Streit um den karolingischen Kalender, 2004; Rüpke, J., Zeit und Fest, 2006
Kalif (M.)
Stellvertreter (des islamischen Propheten Mohammed)
Lit.: Halm, H., Die Kalifen von Kairo,
2003
Kalligas,
Pavlos (1814-1896) wird nach dem Rechtsstudium in Berlin (Gans, Savigny) und
Heidelberg 1843 Professor in Athen und Politiker. Er fördert die Aufnahme
deutscher und römischrechtlicher Gedanken in Griechenland. Er wirkt an der
Schaffung eines Entwurfes eines griechischen Zivilgesetzbuchs mit.
Lit.: Kairophylas, K., Pavlos Kalligás,
1937
Kalumnieneid (Gefährdeeid,
Schikaneeid, lat. iuramentum [N.] calumniae) ist der im römischen
Zivilprozessrecht (Formularverfahren) sichtbare Eid der Parteien und ihrer Advokaten,
das Verfahren nicht rechtsmissbräuchlich zu führen. Justinian (527-565) macht
ihn zur Prozessvoraussetzung. Der K. wird nach einer frühen Erwähnung im Jahre
1186 mit dem römisch-kanonischen Verfahren am Ende des Spätmittelalters in
Deutschland übernommen, wobei das Verhältnis zum Voreid des deutschen Rechtes
(Gefährdeeid) streitig ist. Später geht der Sinn des Kalumnieneids verloren.
Ihm entsprechen in der Gegenwart die Notwendigkeit des Rechtsschutzinteresses
und die Strafbarkeit wegen falscher Anschuldigung.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Zimmermann, E., Der Glaubenseid,
1863, 62; Kaser, M., Das römische Zivilprozessrecht, 1966, 214; Schlosser, H.,
Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971, 349
Kalvinismus →Calvin
Lit.: Calvinism and Religious Toleration in the Dutch
Golden Age, hg. v. Hsia, R. u. a., 2002
Kameralismus (Kameralwissenschaft)
ist die Wissenschaft von den wirtschaftlichen Verhältnissen und Aufgaben des
frühneuzeitlichen Staates (Finanzwissenschaft und Polizeiwissenschaft). Der K.
ist eine Sonderform des →Merkantilismus. Wichtige Vertreter sind →Justi,
→Seckendorff und →Sonnenfels (Wien 1763). Seit 1727 werden in
Deutschland besondere Lehrstühle für diese Wissenschaft eingerichtet.
Lit.: Köbler, DRG 134, 152; Nielsen, A., Die Entstehung der
deutschen Kameralwissenschaft im 17. Jahrhundert, 1911; Gerloff, A.,
Staatspraxis und Staatstheorie des kameralistischen Verwaltungsstaates, 1937;
Kunze, K., Ernst Ludwig Carl, 1966; Schiera, P., Dall’arte di governo alle
scienze di stato, 1968; Brückner, J., Staatswissenschaft, Kameralismus und
Naturrecht, 1977; Jenetzky, J., System und Entwicklung des materiellen
Steuerrechts, 1978; Schulz, H., Das System und die Prinzipien der Einkünfte im
werdenden Staat der Neuzeit, 1982; Sandl, M., Ökonomie des Raumes, 1999
Kameralistik (Kameraljurisprudenz)
ist die wissenschaftlich-literarische Tätigkeit von Richtern am
Reichskammergericht (bzw. auch die Kameralwissenschaft). Als Beisitzer des
Gerichts veröffentlichen Johann →Mynsinger von Frundeck (1517-1588,
[lat.] Singularium observationum iudicii imperialis camerae centuriae [F.Pl.]
quattor, 1565, Vierhundert Einzelbeobachtungen des kaiserlichen Kammergerichts)
und Andreas →Gaill (1526-1587, [lat.] Practicarum observationum …. libri
[M.Pl.] duo, 1578, Zwei Bücher … praktischer Beobachtungen) Urteile.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 144; Wieacker, F.,
Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1952, 2. A. 1967; Dick, B., Die Entwicklung
des Kameralprozesses, 1981
Kameralprozess →Reichskammergericht
Kameralwissenschaft →Kameralismus
Kammer ist
ursprünglich die gewölbte Decke, danach der von daher benannte Raum und die
darin beherbergte fürstliche Behörde. Nach dem schon im Frühmittelalter
sichtbaren →Kämmerer entstehen bereits im späten 15. Jh. in einzelnen
habsburgischen Ländern ständische Raitkammern. 1498 richtet König Maximilian I.
eine Hofkammer als zentrale, kollegial organisierte Finanzbehörde des Reiches
und der habsburgischen Erbländer ein. In Brandenburg erscheinen im 16. Jh.
Amtskammern und 1689 eine geheime Hofkammer. Seit dem 18. bzw. 19. Jh. ist K.
ein Haus eines mehrteiligen Gesetzgebungsorgans, ein kollegialer Spruchkörper
eines Gerichts oder eine berufliche Standesvertretung.
Lit.: Mensi, F. v., Die Finanzen Österreichs, 1890; Storch,
A., Der brandenburg-preußische Kammerstaat, Diss. jur. Göttingen 1912; Thimme,
H., Das Kammeramt in Straßburg, Worms und Trier, 1913; Richardson, W., Tudor
Chamber Administration, 1952; Die Kontrolle der Staatsfinanzen, hg. v.
Zavelberg, H., 1989
Kämmerer (lat.
[M.] camerarius) ist der für die Einkünfte zuständige Verwaltungsamtsträger
bereits des frühmittelalterlichen Könighofs (882). 936 erscheint der Herzog
von Schwaben als K. (Erzkämmerer), seit dem 12. Jh. der Markgraf von
Brandenburg. Das seit dem 13. Jh. erbliche Hofamt des Kämmerers haben zunächst
die Grafen von Bolanden-Falkenstein, danach die von Weinsberg und seit dem 16.
Jh. die Grafen bzw. Fürsten von Hohenzollern inne, doch verliert es seit der
Neuzeit an Bedeutung. In England verdrängt in der normannischen Zeit der
Schatzmeister den königlichen K., in Frankreich im 13. Jh. der (frz.)
Grand-chambellan bzw. im 14. Jh. der (frz.) trésorier. K. amtieren auch in den
einzelnen Städten und Ländern.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Köbler, DRG 83, 112; Schubert,
P., Die Reichshofämter, MIÖG 34 (1913), 427; Rösener, W., Hofämter, DA 45
(1989), 485
Kammergericht im Heiligen römischen Reich ist ein seit 1415 urkundlich nachweisbares,
neben dem königlichen Hofgericht bestehendes königliches Gericht. Es entsteht
vielleicht bereits im 14. Jh. aus dem königlichen Rat. Es ist mit (gelehrten)
Räten des Königs besetzt. Es ist zuständig für Angelegenheiten des Königs und
Reiches, später auch für weitere Gegenstände. Nach Verschwinden des den neuen
Anforderungen (Appellation) nicht mehr gerecht werdenden Hofgerichts (zwischen)
1451 (und 1456) wird es als Hof- und Kammergericht bezeichnet. Von 1455 ist ein
Sitzungsprotokollbuch überliefert, seit 1467 ein Urteilsbuch, von 1471 der Entwurf
einer Kammergerichtsordnung, nach der die Juristen die Hälfte der Urteiler
bilden sollen. Tatsächlich sind von fast 350 Beisitzern der Herrschaftszeit
Kaiser Friedrichs III. (1452-1493) fast 100 Juristen. Das K. wird vor allem von
süddeutschen Ständen häufig angerufen, gelangt aber vielfach nur sehr langsam
zu Entscheidungen und vermag nur selten diese in der Wirklichkeit umzusetzen.
Seit 1461 wird es verpachtet, seit 1475 tritt es nur noch selten zusammen. Am
9. 7. 1490 ernennt Kaiser Friedrich III. nochmals einen Kammerrichter (1494 20
Prozessrubra, 1495 35 Prozessrubra genannt). Dem K. folgt 1495 das →Reichskammergericht.
Lit.: Köbler, DRG 114; Tomaschek, J., Die höchste
Gerichtsbarkeit, 1865; Franklin, O., Das königliche Kammergericht vor dem Jahre
1495, 1871; Neumann, G., Zwei Lübecker Hausbesitzer vor dem Kammergericht, ZRG
GA 96 (1979), 209; Diestelkamp, B., Vom königlichen Hofgericht zum Reichskammergericht,
FS A. Erler, 1986, 44; Jahns, S., Das Kammergericht und seine Richter, 1996;
Recht und Verfassung, hg. v. Boockmann, H. u. a., 1998; Die Protokoll- und
Urteilsbücher des königlichen Kammergerichts aus den Jahren 1465 bis 1480, hg.
v. Battenberg, F. u. a., 2004
Kammergericht in Brandenburg bzw. Preußen ist das (oberste) Gericht des
Reichskämmerers (Markgrafen von Brandenburg) für die Mark →Brandenburg
(14. Jh. des kemerers kamere tu tangermünde, 1392 kammerrecht, 17. 3. 1468 K.).
Von 1516 stammen der Entwurf einer Kammergerichtsordnung, von 1540 (Cölln an
der Spree) und 1709 in Kraft getretene Kammergerichtsordnungen. 1748 wird das
K. auch für Strafsachen zuständig. 1782 wird es Mittelinstanz. 1877/1879 wird
es Oberlandesgericht mit Sitz in Berlin, behält aber seinen besonderen Namen
und erhält 1913 einen Neubau.
Lit.: Holtze, F., Geschichte des Kammergerichts in
Brandenburg-Preußen, Bd. 1ff. 1890ff.; Hassenpflug, R., Die erste
Kammergerichtsordnung Kurbrandenburgs, 1895; Fünfhundert Jahre Kammergericht,
1913; Schmidt, E., Kammergericht und Rechtsstaat, 1968; Werner, F., Zur
Geschichte des Kammergerichts in Berlin, 1968; Scholz, F., Berlin und seine
Justiz, 1982; Weichbrodt, S., Die Geschichte des Kammergerichts von 1913-1945,
2009; Kipp, J., Einhundert Jahre. Zur Geschichte eines Gebäudes 1913-2013, 2013
Kammergut (Tafelgut,
Domänen) ist in der frühen Neuzeit die Gesamtheit der Einkünfte der →Kammer.
Streitig ist im 17. Jh. und 18. Jh., ob das K. dem Staat oder dem Landesherrn
gehört.
Lit.: Baltl/Kocher; Zachariae, H., Das Eigentumsrecht am
deutschen Kammergut, 1864; Breysig, K., Geschichte der brandenburgischen
Finanzen, 1895
Kammerrichter →Reichskammergericht
Kammerzieler ist
in der Neuzeit (1548-1806) die Gesamtheit der von den Reichständen für das →Reichskammergericht
aufzubringenden Geldleistungen. Der K. beläuft sich meistens auf weniger als
1% der Ausgaben des schuldenden Reichsstands, wird aber vielfach gleichwohl
nicht ordentlich oder überhaupt nicht geleistet.
Lit.: Köbler, DRG 150; Gothein, E., Der gemeine Pfennig,
1877; Smend, R., Das Reichskammergericht, 1911
Kampanien ist
die um Neapel liegende süditalienische Landschaft, die über die Römer, Goten
und Oströmer um 570 an das langobardische Herzogtum Benevent gelangt.
Lit.: Storia arte e cultura della
Campania, 1976
Kanada ist
der nördlich der Vereinigten Staten von Amerika gelegene, aus Kolonien Englands
und Frankreichs entstandene Staat.
Lit.: Vachon, A.,
Histoire du notariat canadien 1621-1960, 1962; Sautter, U., Geschichte Kanadas,
2000; Handschug, S., Einführung in das kanadische Recht, 2003
Kanon (lat.
[M.] canon) ist die Regel oder Vorschrift des richtigen Glaubens und Handelns
sowie des kirchlichen (kanonischen) Rechtes (325). Die in (lat. [M.Pl.])
canones formulierten Synodalbeschlüsse werden seit der Mitte des 4. Jh.s (bis
zu →Gratian, um 1140, und danach) in Kanonessammlungen, von denen allein
zwischen 1000 und 1400 außerhalb Italiens mehr als 27 verschiedene entstehen,
zusammengefasst.
Lit.: Wenger, L., Über canon und regula in den römischen Rechtsquellen,
ZRG KA 63 (1943), 495; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983; Fransen, G., Les
collections canoniques, 1985; Landau, P., Erweiterte Fassungen der
Kanonessammlung des Anselm von Lucca, (in) Sant’ Anselmo, 1987, 383; Gaudemet,
J., Droit de l’Eglise, 1989; Fowler-Magerl, L., Ausgewählte Kanonessammlungen
zwischen 1000 und 1400 außerhalb Italiens, 1998 (CD-ROM); Kéry, L., Canonical
Collections of the Early Middle Ages (ca. 400-1140), History of Medieval Canon
Law 1, hg. v. Hartmann, W. u. a., 1999, 3 2008; Landau, P., Die Quellen der
mittelitalienischen Kanonessammlung in sieben Büchern (MS Vat. lat. 1346), (in) Ritual,
Text and Law, 2003, 255; Stadelmaier, M., Die Collectio Sangermanensis XXI
titulorum, 2004
Kanoniker (535
lat. [M.] canonicus) ist ein Mitglied eines Stiftskapitels oder Domkapitels
(Domkapitular, Domherr).
Lit.: Semmler, J., Mönche und Kanoniker, 1980; Istituzioni
monastiche e istituzioni canonicali, 1980
Kanonisches Recht
(lat. →ius [N.] canonicum) ist das kirchliche Recht im Gegensatz zum
weltlichen Recht. Im engeren Sinn ist es im Gegensatz zum neueren kirchlichen
Recht nur das im (lat.) →corpus (N.) iuris canonicum enthaltene Recht
bzw. das innere katholische Kirchenrecht im Gegensatz zum staatlichen
Kirchenrecht (Staatskirchenrecht). Seit der Mitte des 4. Jh.s wird es in
Kanonessammlungen zusammengefasst. In Nov. 131, 1 (545) ordnet Kaiser
Justinian (Ostrom) an, dass 54 Kanones der ersten vier allgemeinen Konzilien
wie Gesetze zu beachten sind. Große Bedeutung hat das kaonische Recht lange für
Ehe, Verfahren, Testament, Eid, Wucher und Schule.
Lit.: Friedberg, E., Das kanonische und das Kirchenrecht,
Dt. Z. f. Kirchenrecht 8 (1898), 1; Landau, P., Der Einfluss des kanonischen
Rechtes auf die europäische Rechtskultur, (in) Europäische Rechts- und
Verfassungsgeschichte, 1991, 39; Die Bedeutung des kanonischen Rechtes für die
Entwicklung einheitlicher Rechtsprinzipien, hg. v. Scholler, H., 1996; Lange,
H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1, 1997; Aymans, W./Mörsdorf, K.,
Kanonisches Recht, 13. A. Bd. 2 1997; Martínez-Torron, J., Anglo-American Law
and Canon Law, 1998; Erdö, P., Geschichte der Wissenschaft vom kanonischen
Recht, 2003; Fowler-Magerl, L., Clavis canonum. Selected Canon Law Collections
before 1140, 2005; The History of Medieval Canon Law in the Classical Period
1140-1234, hg. v. Hartmann, W./Pennington, K., 2008; Austin, G., Shaping Church
Law around the Year 1000, 2009; Rüfner, T., Die gesetzesgleiche Geltung des kanonischen
Rechtes in der Spätantike, ZRG KA 122 (2010), 1; Landau, P., Europäische
Rechtsgeschichte und kanonisches Recht im Mittelalter, 2013 (40 Aufsätze der 40
Jahre von 1967 bis 2006)
Kanonisches Zinsverbot
ist das auf Lukas 6,35 (Tut Gutes und gebt ein Darlehen, ohne davon etwas zu
erhoffen) gegründete kirchliche Verbot, für Darlehen Zinsen zu nehmen. Es setzt
sich im Mittelalter allgemein durch. Die wirtschaftlichen Ziele des
verzinslichen Darlehens werden aber mit Hilfe zahlreicher Umgehungsgeschäfte
erreicht. Im Übrigen dürfen →Juden verzinsliche Darlehen geben und
werden infolgedessen vielfach zu Gläubigern christlicher Schuldner. 1654 wird
im Heiligen römischen Reich das
kanonische Zinsverbot durch einen Höchstzinssatz von 6% ersetzt, im 19. Jh.
schwindet auch der Höchstzinssatz.
Lit.: Köbler, DRG 127, 166; Endemann, W., Studien in der
romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre, Bd. 1f. 1874ff.,
Neudruck 1962; Ruth, R., Das kanonische Zinsverbot, FS E. Heymann, 1931, 316
Kanonistik (F). Wissenschaft des kanonischen Rechtes oder des →Kirchenrechts
Lit.:
Berman, H., Law and Revolution, 1983 (Recht und Revolution, 2. A. 1991); Brundage, J., The Medieval
Origins of the Legal Profession, 2008; Austin, G., Shaping Church Law around the year 1000,
2009; Der Einfluss der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur, hg. v.
Schmoeckel, M. u. a., Bd. 1 Zivil- und Zivilprozessrecht, 2009, Bd. 2 Öffentliches Recht, 2011,
Bd. 3 Straf- und
Strafprozessrecht, 2012, Bd. 4 Prozessrecht, 2014
Kant,
Immanuel (Königsberg 22. 4. 1724-12. 2. 1804), Sattlerssohn (Riemerssohn), wird
nach dem Studium von Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie 1746
Hauslehrer, 1765 Bibliothekar und 1770 (zunehmend introvertierter)
ordentlicher Professor für Metaphysik und Logik (1781 Kritik der reinen
Vernunft). Nach ihm ist Recht der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die
Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der
Freiheit zusammen vereinigt werden kann (Metaphysik der Sitten, 1797/1798).
Hierauf bauen alle Einzelausführungen zum Recht auf. In erheblichem Maße von
Kants Freiheitsethik beeinflusst wird →Savigny.
Lit.: Köbler, DRG 147, 178, 187; Cassirer, E., Kants Leben
und Lehre, 1918; Swoboda, E., Das ABGB im Lichte Kants, 1926; Haensel, W.,
Kants Lehre vom Widerstandsrecht, 1926; Buchda, G., Das Privatrecht Immanuel
Kants, 1929; Dulckeit, G., Naturrecht und positives Recht bei Kant, 1932,
Neudruck 1973, 1987; Naucke, W., Kant und die psychologische Zwangstheorie
Feuerbachs, 1962; Kiefner, H., Der Einfluss Kants auf Theorie und Praxis des
Zivilrechts, (in) Philosophie und Rechtswissenschaft, 1969, 3; Naucke, W., Die
Dogmatisierung von Rechtsproblemen bei Kant, ZNR 1 (1969); Ritter, C., Der
Rechtsgedanke Kants nach den frühen Quellen, 1971; Saage, R., Eigentum, Staat
und Gesellschaft bei Immanuel Kant, 1973, 2. A. 1994; Höffe, O., Immanuel Kant,
1983, 5. A. 2000, 7. A. 2007; Kants Rechtsphilosohpie, hg. v. Küsters, G.,
1988; Dießelhorst, M., Naturzustand und Sozialvertrag bei Hobbes und Kant, 1988;
Kersting, W., Wohlgeordnete Freiheit, 1993, 3. A. 2007; Zotta, F., Immanuel
Kant. Legitimität und Recht, 1998; 200 Jahre Kants Metaphysik der Sitten, hg.
v. Sharon Byrd, B., 1998; Recht, Staat und Völkerrecht bei Immanuel Kant, hg.
v. Hüning, D. u. a., 1998; Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtsgeschichte,
hg. v. Höffe, O., 1999; Falkenburg, B., Kants Kosmologie, 1999; Küper, W.,
Immanuel Kant und das Brett des Karneades, 1999; Kater, T., Politik, Recht,
Geschichte, 1999; May, S., Kants Theorie des Staatsrechts, 2002; Höffe, O.,
Kants Kritik der reinen Vernunft, 2003; Kühn, M., Kant, 2003, 5. A. 2004;
Dietzsch, S., Immanuel Kant, 2003; Sala, G., Kants Kritik der praktischen
Vernunft, 2004; Baumanns, P., Kant und die Bioethik, 2004; Römpp, G., Kant
leicht gemacht, 2005; Birken-Bertsch, H., Subreption und Dialektik bei Kant,
2006; Recht und Sittlichkeit bei Kant, Jb. f. Recht und Ethik 14 (2006)
Kanton ist
vor allem das Mitglied (Verwaltungseinheit bzw. Bundesstaat) der
Eidgenossenschaft der Schweiz seit der Einrichtung der Helvetischen Republik im
Jahre 1798. Die 24 (bzw. mit Halbkantonen 26) Kantone sind Aargau, Appenzell,
(Appenzell-Außerrhoden, Appenzell-Innerrhoden), Basel (Basel-Stadt,
Basel-Landschaft), Bern, Freiburg, Genf, Glarus, Graubünden, Jura, Luzern,
Neuenburg, Sankt Gallen, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Tessin, Thurgau,
Unterwalden (Unterwalden nid dem Wald, Unterwalden ob dem Wald), Uri, Waadt,
Wallis, Zug und Zürich.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; His, E., Geschichte des
neueren Schweizer Staatsrechts, Bd. 1ff. 1920ff.; Adler, B., Die Entstehung der
direkten Demokratie, 2006
Kantonssystem ist ein 1733/5 in Brandenburg-Preußen eingeführtes Aushebungssystem,
bei dem der Staat in Bezirke (Kantone) aufgeteilt wird, die je einem Regiment
zur Aushebung zugeordnet sind. Das K. wird 1771 von Österreich, 1804 von Baden
und 1804/1805 von Bayern übernommen, später (Preußen 1804) aber wieder aufgegeben.
Lit.: Büsch, O., Militärsystem und Sozialleben im alten
Preußen 1713-1807, 1962
Kantorowicz,
Hermann Ulrich (Posen 1877-Cambridge 1940), Kaufmannssohn, wird nach dem
Studium von Rechtswissenschaft, Philosophie und Nationalökonomie in Berlin
(Liszt) und München (Brentano) und der Habilitation in Freiburg (Schmidt,
Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik [1908]) 1929 Professor in
Kiel. Nach der Entlassung aus dem Staatsdienst (1933) wechselt er nach New York
und Cambridge. Mit seiner frühen Schrift (Gnaeus Flavius) Der Kampf um die
Rechtswissenschaft wird er einer der Begründer der →freien Rechtsschule.
Lit.: Muscheler, K., Hermann Ulrich Kantorowicz, 1984;
Muscheler, K., Relativismus und Freirecht, 1984; Deutsche Juristen jüdischer
Herkunft, hg. v. Heinrichs, H. u. a., 1993, 631
Kanzlei ist
die für die Herstellung von Schriftstücken zuständige Behörde. Sie entsteht
bereits im römischen Altertum unter Kaiser Claudius (41-54 n. Chr.). Hieran
knüpfen die merowingischen Könige an, deren K. sich aus weltlichen Hofbeamten
(lat. [M.Pl.] referendarii) und diesen untergeordneten Schreibern zusammensetzt.
Wenig später treten Geistliche an ihre Stelle. Die Leitung übernimmt 870 bzw.
965 der Erzbischof von Mainz. Zur gleichen Zeit festigt sich auch eine K. des
Papstes. Seit dem 12. Jh. wird die K. eine nach festen Regeln eingerichtete
Behörde zur Herstellung von Schriftstücken. Im 13. und 14. Jh. bilden sich auch
in den Ländern und Städten besondere Kanzleien.
Lit.: Dulckeit/Schwarz/Waldstein; Wilkinson, B., The
Chancery under Edward III, 1929; Merkel, W., Das Aufkommen der deutschen
Sprache in den städtischen Kanzleien, 1930; Groß, L., Die Geschichte der
deutschen Reichshofkanzlei, 1933; Vogelgesang, G., Kanzlei der pfälzischen
Kurfürsten, 1939; Hofmann, S., Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der
Herzoge von Bayern und Pfalzgrafen bei Rhein von 1180/1214 bis 1255/1294, 1967;
Battenberg, F., Gerichtsschreiberamt und Kanzlei des Reichshofgerichtes,
1974; Csendes, P., Die Kanzlei Kaiser Heinrichs VI., 1981; Kölzer, T., Urkunden
und die Kanzlei von Kaiserin Konstanze, 1983; Petke, W., Kamzlei, Kapelle und
königliche Kurie unter Lothar III. (1125-1137), 1985; Sprinkart, P., Kanzlei,
Rat und Urkundenwesen der Pfalzgrafen bei Rhein, 1986; Frenz, T., Die Kanzlei
der Päpste, 1986; Stadt, Kanzlei und Kultur im Übergang zur frühen Neuzeit, hg.
v. Suntrup, R., 2004; Gleixner, S., Sprachrohr kaiserlichen Willens, 2006;
Kanzleisprachenforschung, hg. v. Greule, A. u. a., 2012
Kanzler ist
der Angehörige oder Leiter einer →Kanzlei. Der (lat. [M.]) cancellarius
(4. Jh.) ist in Rom die an den die Richter von der Allgemeinheit trennenden
Schranken (lat. [M.Pl.] cancelli) Dienste verrichtende Hilfsperson, im
Frühmittelalter der Schreiber, seit dem 10. Jh. der Leiter einer Beurkundungsstelle
(Reich 953, Frankreich 12. Jh.). Seit dem 12. Jh. erscheint der K. an Schulen
und Universitäten als bedeutsamer Amtsträger. Auch nach dem Ende des Heiligen
römischen Reiches bleibt der K.
bedeutsam (1810 Preußen Staatskanzler, 1866 Norddeutscher Bund Bundeskanzler,
1871 Reichskanzler, 1949 Bundeskanzler[, Österreich 1920]).
Lit.: Köbler, DRG 83, 112, 113; Rosenberg, W., Die
staatsrechtliche Stellung des Reichskanzlers, 1889; Bresslau, H., Handbuch der
Urkundenlehre, Bd. 1 2. A. 1912; Hantsch, H., Reichsvizekanzler Friedrich Karl
Graf von Schönborn (1674-1746), 1929; Rashdall, H., The Universities of Europe,
2. A. 1936
Kapelle ist
in Ableitung von (lat. [F.]) capa (Mantel [des heiligen Martin, 316-400]) die
kleine Kirche, deren Rechtsstellung gegenüber der Kirche zeitweise in
verschiedener Hinsicht gemindert ist.
Lit.: Fleckenstein, J., Die Hofkapelle der deutschen
Könige, 1959
Kaperei ist
die Aufbringung feindlicher Schiffe durch bewaffnete, staatlich dazu
ermächtigte Privatschiffe seit dem 17. Jh. Ihre Wurzeln liegen bereits im
Mittelalter. Im 19. Jh. wird die K. durch Staatsverträge und die Pariser
Seerechtsdeklaration von 1856 beseitigt.
Lit.: Böhringer, K., Recht der Prise, Diss. jur. Frankfurt
am Main 1970; Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte 1994, 2. A. 2007, §§ 30, 35,
36
Kapetinger, Capetinger ist der Angehörige eines (rheinfränkischen?,) mit dem 866
gefallenen Robert sichtbaren Geschlechts, das mit Hugo Capet 987/988 das
Königtum im westfränkischen Reich erlangt. Bei dem Erlöschen der Kapetinger
(1328) folgen die Nebenlinien Valois (bis 1589), Bourbon (bis 1792, 1814-1830)
und Orléans (1830-1848). Weitere Nebenlinien (Anjou, Borgonha, Bragança u. a.)
herrschen zeitweise in Portugal (1093-1580, 1640-1853), Byzanz (1217-1261),
Neapel-Sizilien (1266-1282/1422, 1735-1860), Ungarn (1308-1385), Polen
(1370-1382), Parma (1748-1802, 1847-1860) oder Brasilien (1822-1789). Als
Familienbezeichnung erscheint das Wort K. spät (17. Jh.).
Lit.: Lohrmann, K., Die Titel der Kapetinger (987-1200).
Diss. phil. Wien 1976 (masch.schr.); Actes du colloque Hugues Capet, 1987;
Ehlers, J., Die Kapetinger, 1999; Krause, I., Konflikt und Ritual im
Herrschaftsbereich der frühen Capetinger, 2006
Kapital (N.)
ist die verzinsliche Geldsumme bzw. die Gesamtheit der in ein Unternehmen
eingebrachten Mittel
Lit.: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3 1982, 399; Weber,
A., Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit, 1954; Peyer, H., Könige, Stadt und
Kapital, 1982; Nyikos, E., Das Kapital als Prozess, 2010
Kapitalgesellschaft ist die →Gesellschaft, bei der die bloße Beteiligung
von →Kapital im Vordergrund steht und es nicht wesentlich auf die
Persönlichkeit des einzelnen Gesellschafters ankommt. Die K. entsteht nach dem
Frühkapitalismus mit der Entwicklung des risikoreichen, kapitalbedürftigen
Welthandels (→Aktiengesellschaft) zu Beginn des 17. Jh.s. Ihre Bedeutung
wächst noch immer.
Lit.: Rehme, P., Geschichte des Handelsrechts, 1913;
Fleckner, A., Antike Kapitalvereinigungen, 2010
Kapitalismus ist
die Wirtschaftsform, in der das →Kapital prägende Bedeutung hat. Auf der
Grundlage der Anerkennung des Privateigentums strebt der Einzelne im freien
Wettbewerb mit anderen am Markt den größtmöglichen Gewinn durch maximalen
Einsatz verfügbaren Kapitals an. Als Frühform des K. (Frühkapitalismus) gilt
die Wirtschaftsweise z. B. der →Fugger am Beginn der Neuzeit.
Eigentlich setzt sich der K. erst im Liberalismus des 19. Jh.s durch, bewirkt
dort aber auch die Trennung der Gesellschaft in Kapitalisten (besitzende
Bürger) und Proletarier (besitzlose Arbeiter).
Lit.: Söllner § 18; Köbler, DRG 177; Strieder, J., Zur
Genesis des modernen Kapitalismus, 1904; Hinze, Die Arbeiterfrage zu Beginn des
modernen Kapitalismus, 2. A. 1963; Turner, H., Faschismus und Kapitalismus,
1972; Koslowski, P., Ethik des Kapitalismus, 2. A. 1984; Duplessis, R.,
Transitions to Capitalism, 1997; Kurz, R., Schwarzbuch Kapitalismus, 1999;
Pelz, W., Against Capitalism, 2007; Leidinger, H., Kapitalismus, 2008; Miles,
K., The Origins of International Investment Law, 2013
Kapitän ist der Führer eines Schiffes. Er bedarf
eines Patents (Zulassung).
Lit.:
Hanses, D., Die rechtliche Stellung des Kapitäns auf deutschen Seeschiffen,
1983
Kapitel (N.)
„Häuptlein“, Teil, Gemeinschaft
Kapitular (N.)
ist im frühmittelalterlichen fränkischen Recht die in Kapitel eingeteilte Anordnung
des Königs. Das unter verschiedenen Namen verschiedenste Gegenstände
behandelnde K. setzt der Herrscher oft mit Zustimmung der Großen und des
Volkes, meist für das ganze Reich. Kapitularien begegnen, in rund 275
Handschriften überliefert, von etwa 500 bis etwa 900, am häufigsten zwischen
802 und 830. Lat. [N.] capitulare erscheint erstmals 779 (773).
Lit.: Köbler, DRG 81; Boretius,
A./Krause, V., Capitularia regum Francorum, Bd. 1f 1883ff. , Neudruck 1960,
http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BoretiusAlfredCapitulariaRegumFrancorum1883.pdf;
Seeliger, G., Die Kapitularien der Karolinger, 1893; Eckhardt, W.,
Die Kapitulariensammlung Bischof Ghaerbalds von Lüttich, 1955; Ganshof, F.,
Wat waren de Capitularia?, 1955; Ganshof, F., Was
waren die Kapitularien, 1961; Eckhardt, W., Was waren die Kapitularien?, ZRG GA
79 (1962), 237; Schneider, R., Zur rechtlichen Bedeutung der Kapitularientexte,
DA 23 (1967), 273; Capitula episcoporum, Bd. 1ff. 1984ff.; Überlieferung und
Geltung normativer Texte des frühen und hohen Mittelalters, 1986; Schmitz, G.,
Die Kapitulariengesetzgebung Ludwigs des Frommen, DA 42 (1986), 471; Sousa
Costa, A. de, Studien zu volkssprachlichen Wörtern in karolingischen
Kapitularien, 1993; Woll, I., Untersuchungen zur Überlieferung und Eigenart der
merowingischen Frühkapitularien, 1995; Mordek, H., Bibliotheca capitularium
regum Francorum manuscripta, 1995 (sieben neue Stücke); Schriftkultur und
Reichsverwaltung unter den Karolingern, hg. v. Schieffer, R., 1996; Buck, T.,
Admonitio und praedicatio, 1997; Mordek, H., Studien zur fränkischen
Herrschergesetzgebung, 2000; Koal, V., Studien zur Nachwirkung der Kapitularien
in den Kanonessammlungen, 2001; Geiselhart, M., Die Kapitulariengesetzgebung
Lothars I. in Italien, 2002; Schneider, H., Karolingische Kapitularien und ihre
bischöfliche Vermittlung, DA 63 (2007), 469
Kapitulation (17. Jh.) ist der in Kapitel eingeteilte Vertrag (z. B. Wahlkapitulation),
insbesondere der Vertrag über die Übergabe von eigenen Truppen oder sonstigen
kriegerischen Mitteln.
Lit.: Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, hg. v.
Becker, J. u. a., 1979; Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A. 2007
Kaplan (M.) Hofgeistlicher,
Hilfspriester
Kapras, Jan
(1880-1947) wird nach dem Rechtsstudium in Innsbruck und Prag 1910
außerordentlicher Professor und 1917 ordentlicher Professor in Prag. Sein
Hauptwerk ist die Rechtsgeschichte der Länder der böhmischen Krone (Právní
dejiny zemí Koruny ceské, 1913ff.).
Lit.: Antologie ceské právní vedy, 1993,
44
Karantanien (7.
Jh.) →Kärnten
Kardinal ist
im katholischen Kirchenrecht der vom Papst ernannte höchste kirchliche
Würdenträger nach dem Papst. Mit dem Adjektiv (lat.) cardinalis werden seit
etwa 500 n. Chr. zur Bischofskirche oder zur bischöflichen Priesterschaft
gehörende Kleriker bezeichnet, seit dem Anfang des 8. Jh.s die jeweils
ranghöchsten Priester einer Titelkirche in Rom. Am Beginn des Frühmittelalters
wird (lat.) cardinalis zum Titel. Um 1100 findet sich ein Kardinalskollegium
mit Bischöfen von 53 Kardinälen, das im 15. Jh. auf 24 Kardinäle beschränkt
wird. Am Ende des 16. Jh.s wird die Zahl auf 70 und 1958 nochmals erweitert.
Der K. wird vom Papst frei ernannt. Seit dem Ende des 11. Jh.s wirken die
Kardinäle (Kardinalbischof, Kardinalpriester, Kardinaldiakon) an der Herrschaft
der Gesamtkirche mit, seit 1179 wählen sie den Papst. (Altersgrenze 80 Jahre)
Lit.: Fürst, C., Cardinalis, 1967; Feine, H., Kirchliche
Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Hüls, R., Kardinäle, 1977; Weber, C.,
Senatus divinus, 1996; Jagd nach dem roten Hut, hg. v. Karsten, A., 2004;
Geschichte des Kardinalates im Mittelalter, hg. v. Dendorfer, J. u. a., 2011
Karl der Große
(frz. Charlemagne) (Westfranken 2. 4. 748 [?]-Aachen 28. 1. 814), aus der
Familie der Arnulfinger bzw. Pippiniden bzw. Karolinger, wird 768 König der
Franken (bis 771 mit seinem Bruder Karlmann) und 800 von Papst Leo III. zum
Kaiser gekrönt. Durch zahlreiche Kriegszüge dehnt er das Reich der Franken aus
(→Langobarden, →Sachsen). In →Kapitularien setzt er Recht. Im
Übrigen veranlasst er die Aufzeichnung von →Volksrechten. Wahrscheinlich
um 770 führt er →Schöffen in der Gerichtsbarkeit ein. Er kann, wo und
wann er will, Bischöfe einsetzen, macht davon aber nur im Kernraum zwischen
Rhein, Loire und Rhone Gebrauch. Er fördert die deutsche Sprache durch
einheimische Monatsnamen und Windnamen. Seine Körpergröße wird auf 1,84 Meter
berechnet (gegenüber einem Durchschnitt von 1,69 Metern), sein Gewicht auf 78
Kilogramm, sein Körperbau als grazil angesehen.
Lit.: Köbler, DRG 81; Siegel, H., Die deutschen Rechtsbücher
und die Kaiser-Karls-Sage, 1899; Gundlach, W., Karl der Große im
Sachsenspiegel, 1899; Heldmann, K., Das Kaisertum Karls des Großen, 1928;
Brandenburg, E., Die Nachkommen Karls des Großen, 1935, Neudruck 1964;
Pirenne, H., Mahomet und Karl der Große, 1935 (1963); Seiler, K., Der
Erziehungsstaat Karls des Großen, 1937; Folz, R., Le souvenir et la légende de
Charlemagne, 1950; Folz, R., Études sur le culte liturgique de Charlemagne,
1951; The coronation of Charlemagne, hg. v. Sullivan, R., 1959; Sprigade, K.,
Zur Frage der Verfälschung von Karls d. Gr. divisio regnorum, ZRG GA 81 (1964),
305; Fleckenstein, J., Karl der Große, 1962; Karl der Große, hg. v. Braunfels,
W. u. a., Bd. 1ff. 1966ff.; Das Paderborner Epos von 799, 1967; Wolf, G., Die
Königssöhne Karl und Karlmann und ihr Thronfolgerecht, ZRG GA 108 (1991), 282;
Wolf, G., Die Qualität der fränkisch-langobardischen Verbindung 770/71 und die
sonstigen Verbindungen Karls des Großen, ZRG GA 113 (1996), 397; Classen, P.,
Karl der Große, 1985; Becher, M., Karl der Große, 1999; Kerner, M., Karl der
Große, 2000; Hägermann, D., Karl der Große, 2000; Epperlein, S., Leben am Hofe
Karls des Großen, 2000; Karl der Große und das Erbe der Kulturen, hg. v.
Erkens, F., 2001; Kerner, M., Karl der Große, 2001; Tischler, M., Einharts Vita
Karoli, 2001; Karl der Große und sein Nachleben, hg. v. Kraus, T. u. a., 2003;
Karl der Große in den europäischen Literaturen des Mittelalters, hg. v.
Bastert, B., 2004; Kintzinger, M., Die Erben Karls des Großen, 2005;
Charlemagne, hg. v. Story, J., 2005; McKitterick, R., Karl der Große, 2008; Pauler,
R., Karl der Große, 2009; Hartmann, W., Karl der Große, 2010; Karl der Große, hg.
in Zusammenarbeit mit Damals, 2011; Schneider-Ferber, K., Karl der Große, 2013;
Fried, J., Karl der Große, 2013
Karl IV.
(Wenzel) (Prag 14. 5. 1316-29. 11. 1378), aus der Familie der Grafen von Luxemburg,
wird 1346 deutscher König und 1355 Kaiser. Er macht Prag zum Mittelpunkt des
Reiches (1344 Erzbistum, 1348 Universität) und veranlasst für Böhmen die sog. (lat.)
→Maiestas (F.]) Carolina und für das Reich die →Goldene Bulle.
Lit.: Die Goldene Bulle des Kaisers Karl IV. 1356, bearb.
v. Müller, K., 1970; Seibt, F., Karl IV., 1978; Kaiser Karl IV. Staatsmann und
Mäzen, 1978; Karl IV., hg. v. Engel, E., 1982; Kavka, F., Am Hofe Karls IV.,
1990; Widders, E., Itinerar und Politik, 1993; Pauler, R., Die Auseinandersetzungen
zwischen Kaiser Karl IV. und den Päpsten, 1996; Schlotheuber, E., Die
Autobiographie Karls IV., HZ 281 (2005), 561; Paravicini, A., Die Vita Karls
IV., DA 63 (2007), 101
Karl V. (Gent
24. 2. 1500-Estremadura/Spanien 21. 9. 1558), aus der Familie der Habsburger
(Enkel Maximilians), wird 1515 Herzog Burgunds, 1516 König Spaniens, 1519
deutscher König und 1530 Kaiser. 1521/1522 überlässt er seinem Bruder Ferdinand
die Herrschaft in den österreichischen Erblanden und die Stellvertretung im
Reich (9 Reisen nach Deutschland, zehn Reisen in die Niederlande, 40 Reisen
insgesamt). 1521 entscheidet er sich gegen die Reformation. Unter seiner Herrschaft
wird 1532 die (lat.) →Constitutio (F.) Criminalis Carolina erlassen. 1555/1556
verzichtet K. auf die Regentschaft in Burgund/Spanien zu Gunsten Philipps II., 1556
auf die Kaiserwürde zu Gunsten Ferdinands I.
Lit.: Die Reichsregisterbücher Kaiser Karls V., 1913ff.;
Kalkoff, P., Die Kaiserwahl Friedrichs IV. und Karls V., 1925; Die
Reichsregisterbücher Kaiser Karls V., hg. v. Gross, L., 1930; Zippel, W.,
Nationale und nationalitätenrechtliche Gedanken bei der Wahl und in der
Wahlkapitulation Karls V., 1950; Boom, G. de, Les voyages de Charles Quint,
1957; Weber, H., Die peinliche Halsgerichtsordnung Karls V., ZRG 77 (1960),
288; Rabe, H., Reichsbund und Interim, 1971; Press, V., Kaiser Karl V., 1976;
Spěvaček, J., Karl IV., 1978; Das römisch-deutsche Reich im
politischen System Karls V., hg. v. Lutz, H., 1982; Brandi, K., Kaiser Karl V.,
8. A. 1986; Kaiser Karl V. und die Zunftverfassung, hg. v. Naujoks, E., 1985;
Burkert, G., Landesfürst und Stände, 1987; Karl V., hg. v. Rabe, H., 1996;
Kohler, A., Karl V., 3. A. 2001; Größing, S., Karl V., 1999; Schulin, E.,
Kaiser Karl V., 1999; Schorn-Schütte, L., Karl V., 2000; Kodek, I., Der Großkanzler
Kaiser Karls V. zieht Bilanz, 2004; Kohler, A., Karl V. 1500-1558, 2005;
Pelizaeus, L., Dynamik der Macht, 2007; Schlegelmilch, A., Die Jugendjahre
Karls V., 2010
Karlsbader Beschlüsse
sind die unter dem maßgeblichen Einfluss Metternichs vom 6.-31. 8. 1819 in
Karlsbad (nordwestlich Prags) von den Ministern von 10 deutschen Staaten
getroffenen, den einzelnen Untertanen unter Einschränkung der Souveränität der beteiligten
Staaten bindenden Beschlüsse zur strengen Überwachung der Universitäten durch
Regierungsbevollmächtigte (Universitätsgesetz), zur Einschränkung der Pressefreiheit
(Pressgesetz), zur Einsetzung einer Kommission zur Aufdeckung revolutionärer
Bestrebungen und zur Herstellung einer Exekutionsordnung. Ihr äußerer Anlass
ist die Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue durch den Studenten
Karl Ludwig Sand. Am 20. 9. 1819 verabschiedet der Bundestag
(Bundesversammlung) des →Deutschen Bundes die in den Karlsbader
Beschlüssen enthaltenen Gesetzesentwürfe. Eine dauerhafte Unterdrückung demokratischer
Bestrebungen gelingt nicht.
Lit.: Ilse, L., Geschichte der politischen Untersuchungen,
1860; Brümmer, M., Staat kontra Universität, 1991; Willoweit, D., Deutsche
Verfassungsgeschichte, 5. A. 2005, § 30 III; Schermaul, S., Die Umsetzung der
Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig, 2013
Karlsruhe ist die von Markgraf Karl-Wilhelm von Baden-Durlach um ein
neues Schloss seit 17. 6. 1715 sonnenförmig gegründete Stadt, die sich nach
1945 und der Zerschlagung Preußens wegen des Sitzes des Bundesgerichtshofs
(1950) und des Bundesverfassungsgerichts (1951) der Bundesrepublik
Deutschland zur deutschen Residenz des Rechtes entwickelt hat.
Lit.: Schiller,
C., Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich, 1997; Fischer, D.,
Rechtshistorische Rundgänge durch Karlsruhe, 2005, 2. A. 2011;Die Bestände des
Generallandesarchivs Karlsruhe Teil 5, bearb. v. Krimm-Beumann, J., 2010
Karlstadt
Lit.: Riedenauer, E., Karlstadt,
1963
Kärnten ist
ein im keltisch-römischen Norikum enthaltenes, nach der Karanta (Ulrichsberg,
Karnburg, Karnberg) benanntes, ab dem 6. Jh. von slawischen Einwanderern
besetztes, seit 740/750 (Karantanien) unter die Herrschaft der Bayern und dann
der Franken geratenes Gebiet an der mittleren Drau, das unter Einschluss der
Steiermark und weiterer Gebiete im Süden 976 von →Bayern getrenntes
Herzogtum wird und 1335 durch Kaiser Ludwig den Bayern von den Grafen von
Görz/Tirol an die Grafen von Habsburg gelangt (1809-1813 in den illyrischen
Provinzen Frankreichs, 1816-1849 Teil des Königreichs Illyrien Österreichs, 1849-1918
eigenes Kronland). Im 16. Jh. entsteht aus dem →Landlauf von Steyr ein
Kärntner Rechtsbuch. K. ist seit 1920 Bundesland →Österreichs (1945-1955
Besatzungsgebiet Großbritanniens).
Lit.: Köbler, DRG 220; Köbler, Historisches Lexikon;
Baltl/Kocher; Puntschart, P., Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten, 1899;
Goldmann, E., Die Einführung der deutschen Herzogsgeschlechter in den
slovenischen Stammesverband, 1903; Unterluggauer, J., Sankt Leonhard und das
obere Lavanttal, 1925; Torggler, K., Darstellung des Kärntner Rechts und
Rechtsganges, Archiv f. vaterländ. G. u. T. 24/25 (1936), 127; Torggler, K.,
Stadtrecht und Stadtgericht in Klagenfurt, 1937; Torggler, K., Die Arbeiten
Ludmil Hauptmanns, Carinthia 1 (1938); Rauch, K., Die Kärntner Herzogseinsetzung,
FS Adolf Zycha, 1941, 173; Graber, G., Schwabenspiegel und Einritt am
Fürstenstein, 1942; Puntschart, P., Einige Ergänzugen zur kritischen Literatur
über die bäuerliche Herzogseinsetzung in Kärnten, ZRG GA 65 (1947), 337;
Braunmüller, H., Geschichte Kärntens, Bd. 1ff. 1949ff.; Fräss-Ehrfeld, C.,
Geschichte Kärntens, Bd. 1 1984; Kärnten, hg. v. Rumpler, H. u. a., 1998;
Gleirscher, P., Karantanien, 2000; Die Kärntner Volksabstimmung 1920, 2002;
Kahl, H., Der Staat der Karantanen, 2002
Kärntner Rechtsbuch
→Landlauf von Steyr
Karo, Josef
(1488-Sated 1575) ist ein jüdischer Rechtsgelehrter aus Spanien, der lange auf
dem Balkan und in Galiläa lebt. Er kommentiert umfassend die Arba ’at ha-Turim
des →Jakob Ben Ascher (Bet Josef, Kurzform Sulchan ’Arukh). In
erweiterter Form gewinnt das Werk in Mitteleuropa und Osteuropa bis ins 19. Jh.
allgemeine Anerkennung in den jüdischen Gemeinden.
Lit.: Elon, M., Ha-Mischpat ha-’ibri, Bd. 2 3. A. 1988,
1087
Karolinger ist
der (seit dem 10. Jh. so bezeichnete) Angehörige eines (vielleicht mit den
Merowingern verwandten,) von Bischof Arnulf von Metz (Arnulfinger, 7. Jh.)
hergeleiteten, als →Hausmeier 751 zum fränkischen Königtum (Pippiniden)
aufgestiegenen Geschlechts, das später nach →Karl dem Großen als K.
bezeichnet wird. Die K. sterben nach der Reichsteilung von 843 (Vertrag von
Verdun) bzw. 877 im Ostteil des fränkischen Reiches 911 und im Westteil 987
aus.
Lit.: Köbler, DRG 76; Vaccari, P., Studi sull’Europa
precarolingia e carolingia, 1955; Haselbach, I., Aufstieg und Herrschaft der
Karolinger, 1970; Ullmann, W., The Carolingian renaissance, 1969; Diplomata
Karolinorum, Faksimileausgabe, hg. v. Bruckner, A., 1970; Haselbach, I.,
Aufstieg und Herrschaft der Karolinger, 1970; Borgolte, M., Der
Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden, 1976; Riché, P., Les
Carolingiens, 1983; Mc Kitterick, R., The Frankish Kingdoms, 1983; Schulze, H.,
Vom Reich der Franken zum Land der Deutschen Merowinger und Karolinger, 1987;
Schieffer, R., Die Karolinger, 1992, 3. A. 2000, 4. A. 2006, 5. A: 2013; Karl
Martell in seiner Zeit, hg. v. Jarnut, J. u. a., 1994; Joch, W., Legitimität
und Integration, 1999; Semmler, J., Der Dynastiewechsel, 2003; Grahn-Hoek, H.,
Gundulfus subregulus, DA 59 (2003), 1; MacLean, S., Kingship and Politics in
the Late Ninth Century, 2004; Schieffer, R., Die Zeit des karolingischen
Großreichs, 2005; Koch, A., Kaiserin Judith, 2005; Laudage, J. u. a., Die Zeit
der Karolinger, 2006; Kaschke, S., Die karolingischen Reichsteilungen bis 831,
2006; Becher, M., Merowinger und Karolinger, 2008; Keller, H./Althoff, G., Die
Zeit der späten Karolinger und der Ottonen 888-1024, 2008; Drews, W., Die
Karlinger und die Abbasiden von Bagdad, 2009; Hack, A., Alter, Krankheit, Tod
und Herrschaft, 2009 (35 Karolinger mit 57 Frauen und 133 Kindern); Fischer,
A., Karl Martell, 2011; Busch, J., Die Herrschaften der Karolinger 714-911,
2011; Fischer, A., Karl Martell, 2012
Karolus de Tocco
(Tocco bei Benevent 2. H. 12. Jh.-nach 1215), adliger Sohn eines
Rechtskundigen, wird nach dem Rechtsstudium in Bologna (Placentinus, Johannes
Bassianus) Rechtslehrer in Bologna (?) und Benevent sowie Gerichtsbeisitzer in
Sizilien. Von ihm stammt vor allem wohl eine um 1215 entstandene umfangreiche
Glossierung der gegen Ende des 11. Jh.s entstandenen systematischen Sammlung
langobardischer Gesetze (→Lombarda). Sie wirkt in Oberitalien bis in das
14. Jh., in Süditalien bis in das 18. Jh.
Lit.: Savigny, F., Geschichte des römischen Rechtes im
Mittelalter, Bd. 5 2. A. 1850, 174; Leicht, P., Le glosse di Carlo di Tocco,
(in) Studi e memorie per la storia dell’università di Bologna 4 (1920), 157;
Lange, H., Römisches Recht im Mittelalter, Bd. 1 1997, 305; Lange, H., Zum
Lombarda-Kommentar, FS D. Medicus, 1999, 317
Karrenstrafe ist
in der Neuzeit eine im (Beladen und) Ziehen eines Karrens bestehende
Freiheitsstrafe oder Ehrenstrafe.
Lit.: Wächter, C., Die Strafarten und Strafanstalten des
Königreichs Württemberg, 1832, 253
Karte ist das beschriebene Blatt bzw. das
verkleinerte Abbild von Land.
Lit.:
Ortelius, A., Theatrum orbis terrarum, 2006; Oehme, R., Die Geschichte der
Kartographie des deutschen Südwestens, 1961; Schumm, K., Inventar der
handschriftlichen Karten im Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein, 1961; Großer
historischer Weltatlas, hg. v. bayerischen Schulbuch-Verlag, Teil 1ff. 1953ff.;
Putzger, F., Atlas und Chronik zur Weltgeschichte, 2002; Schneider, U., Die
Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute,
2004, 3. A. 2011; Recker, G., Gemalt, gezeichnet und kopiert – Karten in den
Akten des Reichskammergerichts, 2004; Kartenwelten, hg. v. Dipper, C. u. a.,
2006; Iwańczak, W., Die Kartenmacher, 2009; Schramm, M., Digitale
Landschaften, 2009; Horst, T., Die älteren Manuskriptkarten Altbayerns, 2009
(300 Karten); Schröder, I., Das Wissen von der ganzen Welt, 2011; Christoph,
A., Die Ökonomisierung des Naturwissens um 1800, 2011; Die Werkstatt des
Kartographen, hg. v. Siegel, S. u. a., 2011; Kupčik, I., Alte Landkarten,
2011; Sonnabend, H., Antike Geographie, 2012
Kartell ist
die Abrede selbständiger Unternehmer zwecks bestimmten gemeinsamen Verhaltens
am Markt. Wie schon die →Zunft den Wettbewerb beeinflusst und seit dem
Spätmittelalter bewusst Unternehmer sich zur Wettbewerbsgestaltung zusammenschließen,
so finden sich am Ende des 19. Jh.s auch in der Großindustrie Kartelle. 1897
werden sie vom deutschen Reichsgericht zugelassen (RGZ 38, 155). Da sie bald
überhandnehmen, werden sie am 2. 11. 1923 verboten, ohne dass das Verbot
Wirkungen zeigt. Am 27. 7. 1957 ergeht in der Bundesrepublik Deutschland zum 1.
1. 1958 ein Gesetz gegen die Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz), das
später noch verschärft wird (3. 8. 1973 vorbeugende Fusionskontrolle, Beseitigung
der vertikalen Preisbindung für Markenartikel, Verstärkung der Missbrauchsaufsicht)
und neben dem seit diesem Zeitpunkt auch europäisches Kartellrecht gilt. Im Mai
2004 wird das europäische Kartellrecht inhaltlich umgestellt auf das
Anmeldeprinzip und kann außer von der Europäischen Kommission von allen
nationalen Kartellbehörden und Kartellgerichten der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union angewendet werden.
Lit.: Köbler, DRG 176, 218, 243, 272; Mickwitz, G., Die
Kartellfunktionen der Zünfte, 1936; Handbuch der Quellen und Literatur der
neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff.
1973ff., 3,3,3852; Großfeld, B., Zur Kartellrechtsdiskussion vor dem ersten
Weltkrieg, (in) Wissenschaft und Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 4
1979, 255; Kartelle und Kartellgesetzgebung, hg. v. Pohl, H., 1985; Schwab, D.,
Kartelle im Mittelalter, (in) Wege europäischer Rechtsgeschichte, hg. v.
Köbler, G., 1987, 442; Schröder, R., Die Entwicklung des Kartellrechts, 1988;
Baums, T., Kartellrecht in Preußen, 1990; Schröcksnadl, T., Die Entstehung des
österreichischen Kartellgesetzes von 1972, Diss. jur. Münster 1992; Nörr, K.,
Die Leiden des Privatrechts, 1994; Gith, R., Die Entstehungsgeschichte des
europäischen Kartellrechts, 2003; Murach-Brand, L., Antitrust auf deutsch,
2004; Richter, K., Die Wirkungsgeschichte des deutschen Kartellrechts vor 1914,
2007; Schmoeckel, M., Rechtsgeschichte der Wirtschaft, 2008; Maetschke, M.,
Ursprünge der Zwangskartellgesetzgebung, 2008
Karthager ist
der Angehörige des um die phönizische Kolonie Karthago am Golf von Tunis
gegründeten, bis nach Spanien ausgreifenden, jedoch seit dem 3. Jh. v. Chr. von
Rom (in drei punischen Kriegen) bekämpften und 146 v. Chr. von den Römern
endgültig unterworfenen Reiches (Feldherr Hannibal 247-183 v. Chr.).
Lit.: Lancel, S., Carthage, 1992;
Geus, K., Prosopographie der literarisch bezeugten Karthager, 1994; Moscati,
S., Die Karthager, 1996; Gerhold, M., Rom und Karthago zwischen Krieg und
Frieden, 2002; Zimmermann, K., Rom und Karthago, 2005, 2. A. 2009, 3. A. 2014;
Christ, K., Hannibal, 2003; Huss, W., Die Karthager, 3. A. 2004
Karthäuser,
Kartäuser, ist der Angehörige des von Bruno von Köln (um 1030-1101) 1084 in La
Chartreuse bei Grenoble als Eremitengemeinschaft in die Wege geleiteten christlichen
Ordens.
Lit.: Gruys, A., Cartusiana, 1976; Mursell, S., The
Theology of the Carthusian Life, 1988; Schilling, B., Zur Vorgeschichte der Kartäuser,
DA 68 (2012), 53
Kartular (N.)
Urkundensammlung
Kaser, Max
(Wien 21. 4. 1906 – Ainring bei Salzburg 13. 1. 1997), Geschichtsprofessorensohn,
wird nach der Promotion in Graz und der Habilitation in Gießen (1931) Professor
für römisches Recht in Münster (1933) und Hamburg (1959). Von ihm stammt die
führende Darstellung des römischen Privatrechts (1955ff., in drei zeitliche
Epochen gegliedert) und Zivilprozessrechts (1966). Zusammengefasst sind seine
synthetisierenden Arbeitsergebnisse in einem zeitlebens aktualisierten
Kurzlehrbuch.
Lit.: Knüttel, R., Max Kaser, NJW 1997, 1492; Giaro, T.,
Max Kaser, Rechtshist. Journal 16 (1997), 231
Kassation ist
die Aufhebung eines Urteils (wegen Nichtigkeit). Während das römische Recht ein
unter Verletzung der Gesetze zustandegekommenes Urteil ohne weiteres als
nichtig ansieht, verlangt das frühmittelalterliche langobardische Recht ein
besonderes Verfahren (lat. reclamatio [F.] ad regem, Beschwerde an den König).
Seit der Mitte des 12. Jh.s wird zwischen Verletzung des Verfahrensrechts (→Nichtigkeitsbeschwerde)
und Verletzung des materiellen Rechtes (→Appellation) unterschieden,
später aber unter dem Einfluss des kanonischen Rechtes die Nichtigkeitsbeschwerde
auch auf große erhebliche Rechtsfehler erstreckt. Die Nichtigkeitsbeschwerde
hat zunächst devolutive und seit der Mitte des 14. Jh.s auch aufschiebende
Wirkung. Für sie werden unter Ausdehnung auf alle Rechtsfehler im 19. Jh. in
Italien Kassationsgerichtshöfe zuständig, die 1888/1923 zusammengefasst werden.
In Frankreich entwickelt sich die K. (einer Abteilung des Staatsrats) als ein
auf Rechtsfragen beschränkter Rekurs außerhalb des eigentlichen Instanzenzugs
im Lauf des 18. Jh.s und wird 1790 einer mit den Garantien einer unabhängigen
Rechtsprechung ausgestatteten Einrichtung (Kassationsgerichtshof)
übertragen, welche die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und die genaue
Auslegung der Gesetze gewährleisten soll und zwingend an die Instanzgerichte
zurückverweisen muss.
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Skedl, F., Die
Nichtigkeitsbeschwerde, 1886; Montazel, L., Entre fait et droit, 1998;
Seynsche, G., Der rheinische Revisions- und Kassationshof in Berlin
(1819-1852), 2002; Fiedler, B., Der rheinbayerische Kassationsgerichtshof, 2004
Kasse ist
ein Behältnis für Geld. Mit der Entwicklung der Geldwirtschaft werden bei (Unternehmern
und bei allen) Behörden besondere Kassen gebildet.
Kassel („HAus an einer Mulde“?an der Fulda ist eine aus einem 913 erstmals bezeugten
fränkischen Königshof erwachsene Stadt (1632-1652 Universität), die 1807-1813
Hauptstadt des Königreichs Westphalen ist und in der Bundesrepublik Deutschland
das Bundessozialgericht und von 1954 bis 1999 auch das 1993/1996 gesetzlich
nach Erfurt verlegte Bundesarbeitsgericht beherbergt.
Lit.: Stölzel, A., Ein Karolinger Königshof, 1919;
Eisenträger, M. u. a., Territorialgeschichte der Kasseler Landschaft, 1935;
Nehls, A., Alte Gewohnheit und Stadtrecht zu Kassel in Erbfällen, 1967;
Heinemeyer, K., Königshöfe und Königsgut im Raum Kassel, 1969; Die Handschriften
der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel, bearb. v. Kremer, M., Bd. 2 1969;
Kassel als Stadt der Juristen, 1990
Kassenarzt ist
der auf Grund eines von der deutschen Reichsregierung geforderten Abkommens
zwischen Krankenkassenverbänden und Arztverbänden abgeschlossenen Abkommens
(1914) bzw. einer Verordnung (1923) bzw. eines Gesetzes (1955) von der
Krankenkasse (→Krankenversicherung) für die Behandlung Kranker
zugelassene und deshalb in ein Arztregister eingetragene Arzt (1914 ein K. auf
1350 Versicherte, bzw. bei Familienbehandlung ein K. auf 1000 Versicherte).
Lit.: Jörg, M., Das neue Kassenarztrecht, 1993; Maaß, R.,
Das Kassenarztrecht der Reichsversicherungsordnung, 1990
Kassiergesetz ist das zwecks Einschränkung der Rechtsliteratur die Anwendung der
Anmerkungen Paulus‘ und Ulpians zu den Werken Papinians verbietende Gesetz
Kaiser Konstantins I. von 321 n. Chr. (Codex Theodosianus 1. 4. 2).
Kaste (F.)
Stand in Indien
Lit.: Zilm, A., Das Kastensystem in der Rechtsordnung
Indiens, 1997
Kastilien ist
das nach (lat. [N.Pl.]) castella benannte Gebiet am oberen Ebro, das im späten
8. Jh. als Grafschaft des Königreichs Asturien-León mit dem Hauptort Burgos
erscheint. K. gelangt 1029 erbweise an den König von Navarra, dessen Sohn 1035
König von K. wird. Von 1037 bis 1065 und 1230 wird León mit K. vereinigt. 1085
wird K. um Toledo erweitert, 1236 um Córdoba, 1243 um Murcia und 1248 um
Sevilla. 1412 wird der König von K. auch Herrscher in Aragonien. Wenig später
werden K. und A. in Personalunion (1474) verbunden.
Lit.: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff,
2,2,230; Martínez Gijón, J., La compañía mercantil en Castilla, 1979; Las
Cortes de Castilla y León, 1988; Büschgens, A., Die politischen Verträge
Alfons’ VIII. von Kastilien, 1995; Czeguhn, I., Die kastilische
Höchstgerichtsbarkeit 1250-1520, 2002; Meyer, B., Kastilien, die Staufer und
das Imperium, 2002
Kastration (F.)
→Entmannung
Lit.: Schneider, C., Die
Verstaatlichung des Leibes, 2000; Huonker, T., Diagnose Moralisch defekt, 2003;
Czeguhn, I., Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933
und die Erbgesundheitsgerichte, TRG 72 (2004), 359; Einhaus, C.,
Zwangssterilisation in Bonn (1933-1945), 2006; Justiz und Erbgesundheit, hg. v.
Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, 2009
Kasuistik (F.)
Einzelfallbetrachtung (vor allem in Rechtsgutachten römischer Rechtskundiger
mit Respondierrecht im Namen des Kaisers seit Kaiser Augustus)
Katalonien (12.
Jh.) im Nordosten Spaniens gelangt über Iberer und Punier seit dem Ende des 3.
Jh.s v. Chr. allmählich an die Römer, seit 409 an die Alanen und 415 an die
Goten (Kata-lanen), um 800 an die Franken. 1137 fällt die dort entstehende
Grafschaft Barcelona, deren Gewohnheitsrecht in dem seit etwa 1060 entstehenden
Rechtsbuch Usatges de Barcelona (Usatici Barchinonae) überliefert wird, an →Aragonien,
behält aber Selbständigkeit. 1714 verliert K. die bestehenden Sonderrechte,
erhält aber von 1932 bis 1939 und 1979 Autonomie.
Lit.: Lalinde Abadía, J., La institución virreinal en
Cataluña (1471-1716), 1964; Handbuch der Quellen und Literatur der neueren
europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
2,2,264; Iglesia Ferreirós, A., La creación del derecho en Cataluña, Anuario de
historia del derecho Español 47 (1977), 99; Allemann, F./Bahder, X. v.,
Katalonien und Andorra, 3. A. 1985; Costums de Tortosa, hg. vom Centre Associat
de Tortosa, 1979; Font Ruis, J., Cartas de poblacion y franquicia, Bd. 2 1983;
Massip, J., La gestació de les costums de Tortosa, 1984; Brocá, G. de, Historia
del derecho de Cataluña, 1985; Zimmermann, M., En les orígens de Catalunya,
1989; El dret comú i Catalunya, hg. v. Ferreirós Aquilino, 2000; Bowman, J.,
Shifting landmarks. Property, proof and dispute in Catalonia around the year
1000, 2004, Ryder, A., The Wreck of Catalonia, 2007; Iglesia Ferreirós, A.,
Cataluña Medieval, 2008
Kataster ist
ein Verzeichnis von Personen oder Gegenständen, insbesondere ein Verzeichnis
der Grundstücke eines Gebiets mit genauen Angaben über die tatsächlichen
Verhältnisse des Grundstücks. Im 15. Jh. erscheinen erste Vorläufer (Florenz
1427). Der neuzeitliche Staat legt seit dem 18. Jh. zwecks Sicherung der
Grundsteueraufkommen K. an (Neapel 1740, Lombardei 1750, Österreich unter
Maria Theresia und Joseph II., Preußen 1822 für Rheinland und Westfalen). Das
K. liefert auch dem →Grundbuch die notwendigen technischen Angaben.Lit.: Köbler, DRG 152; Grävell, M., Die Grundsteuer
und deren Kataster, 1821; Strippel, K., Die Währschafts- und Hypothekenbücher
Kurhessens, 1914; Heider, J., Der bayerische Kataster, 1954; Lego, K., Geschichte
des österreichischen Grundkatasters, 1968; Atlante storico, hg. v. Bocchi, F.
u. a., 1986ff.; Kataster und moderner Staat, hg. v. Mannori, L., 2001; De
l’estime au cadastre en Europe, hg. v. Rigaudière, A., 2006 Katharer (erstmals
um 1143 in Köln) →Ketzer
Lit.: Rottenwöhrer, G., Der
Katharismus, Bd. 1ff. 1982ff.; Lambert, M., Geschichte der Katharer, 2001;
Hoécker, C., Disputatio inter Catholicum et Paterinum hereticum, 2001:
Auffarth, C., Die Ketzer, Katharer, Waldenser und andere, 2005
Kathedersozialist (1871) ist der im späteren 19. Jh. sozialpolitische Anliegen (Wirtschaftsgesetzgebung,
Tarifverträge, Wirtschaftsethik) verfolgende, von Sozialisten bekämpfte
Wirtschaftswissenschaftler (z. B. Gustav von Schmoller 1838-1917, Lujo
Brentano 1844-1931, Werner Sombart).
Lit.:
Oppenheim, H., Kathedersozialismus, 1872
Kathedrale ist
die Hauptkirche am Sitz des Erzbischofs oder Bischofs.
Lit.: Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A.
1972; La cathédrale, 1995; Binding, G., Als die Kathedralen in den Himmel
wuchsen, 2006
katholisch (allumfassend,
seit dem 4. Jh. Bischofstitel)
Lit.: Katholizismus
und Reichsgründung, hg. v. Real, W., 1988; Georg von
Hertling 1843-1919, hg. v. Becker, W., 1993; Kirche und Katholizismus seit
1945, hg. v. Gatz, E., 1998; Arnold, C., Katholizismus als Kulturmacht, 1999; Schwendenwein,
H., Die katholische Kirche, 2003; Hollerbach, A., Katholizismus und
Jurisprudenz, 2004
Katzenelnbogen ist eine mittelalterliche, 1479 an Hessen gelangte
Grafschaft. 1591 wird von Johannes Kleinschmidt der Entwurf einer Landesordnung
geschaffen, der nach Aufnahme in der Praxis bis zum Ende des 19. Jh.s Bedeutung
hat.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Schmidt, A., Die
geschichtlichen Grundlagen des bürgerlichen Rechts im Großherzogtum Hessen,
1893, 67; Demandt, K., Regesten der Grafen von Katzenelnbogen, Bd. 1ff.
1953ff.; Diestelkamp, B., Das Lehnrecht der Grafschaft Katzenelnbogen, 1969;
Maulhardt, H., Die wirtschaftlichen Grundlagen der Grafschaft Katzenelnbogen,
1980
Kauf (Wort bereits für das
Germanische zu erschließen) ist ein
gegenseitiger, grundsätzlich formloser Vertrag, durch den der eine Teil
(Verkäufer) sich zur endgültigen Übertragung eines Gegenstands (verkehrsfähiger
körperlicher, möglicherweise erst noch herzustellender Gegenstand, Recht einschließlich
einer [lat.] spes [F.], Hoffnung, Chance) und der andere Teil (Käufer) sich zur
Zahlung eines bestimmten, ernst gemeinten Kaufpreises verpflichtet. Der K. ist
dem römischen Recht als (lat.) →emptio (F.) venditio vertraut (auf
[lat.] bona fides, guter Treue beruhender Konsensualkontrakt). Er kann mit
verschiedenen Nebenabreden versehen werden (z. B. aufschiebende oder
auflösende Abrede des Rücktrittsrechts des Verkäufers bei besserem Angebot
eines anderen Kaufinteressenten innerhalb einer bestimmten Frist). Er führt
als solcher (noch) nicht zum Eigentumserwerb. Möglich sind Gattungskauf und
Stückkauf. Der Käufer hat die (lat.) actio empti auf Lieferung, der Verkäufer
die (lat.) actio venditi auf Zahlung. Zu den Germanen kommt er über den namengebenden
römischen Schankwirt an der Grenze (lat. [M.] caupo). Bedeutung erlangt er mit
der Durchsetzung der Geldwirtschaft in der hochmittelalterlichen Stadt. Seit
dem Spätmittelalter wird die römischrechtliche Gestaltung einschließlich der
Sachmangelhaftung im Heiligen römischen Reich aufgenommen. Für den K. von Grundstücken wird
das (aus den um 1130 sichtbaren hochmittelalterlichen Schreinskarten Kölns
hervorgehende) →Grundbuch bedeutsam. Im 19. Jh. wird in Deutschland der
Handelskauf ausgesondert und das Verpflichtungsgeschäft vom Erfüllungsgeschäft
streng getrennt. Seit dem Ende des 19. Jh.s wird der sozial schwache Käufer
(Verbraucher) besonders geschützt (Abzahlungsgesetz). Am 11. 10. 2011
veröffentlicht die Europäische Kommission einen Vorschlag für ein gemeinsames
europäisches Kaufrecht. →Marktkauf
Lit.: Kaser § 41; Söllner §§ 9, 15; Hübner; Köbler, DRG 45,
63, 67, 91, 127, 165, 215, 270; Conze, F., Kauf nach hanseatischen Quellen,
1889; Amira, K., Nordgermanisches Obligationenrecht, 1892ff.; Mitteis, H.,
Rechtsfolgen des Leistungsverzugs, 1913; Peterka, O., Der Kauf im Altstadt
Prager und Brünner Recht, ZRG GA 58 (1938), 421; Planitz, H., Handelsverkehr
und Kaufmannsrecht im fränkischen Reich, FS E. Heymann, Bd. 1 1940, 175; Ebel,
W., Lübisches Kaufmannsrecht, 1950; Bauer, F., Die Entwicklung des Kaufrechts
in Deutschland seit der Rezeption des römischen Rechtes, Diss. jur. Bonn 1953;
Levy, E., Weströmisches Vulgarrecht, 1956; Müller, H., Das Kaufrecht in
süddeutschen Stadtrechtsreformationen, Diss. jur. Kiel 1961; Greiser, P., Der
Kauf nach deutschen Landrechten der Rezeptionszeit, Diss. jur. Kiel 1965;
Scherner, K., Rücktrittsrecht wegen Nichterfüllung, 1965; Scherner, K.,
Salmannschaft, Servusgeschäft und venditio iusta, 1971; Wesener, G., Der Kauf
nach österreichischem Privatrecht, FS H. Hämmerle, 1972, 433; Oeckinghaus, A.,
Kaufvertrag und Übereignung, 1973; Gelke, W., Kauf und Tausch in Babenhausen,
Diss. jur. Mainz 1981; Wolfgang, E., Das klassische römische Recht der
Gefahrtragung beim Kauf, Diss. jur. Bonn 1981; Knellwolf, M., Zur Konstruktion
des Kaufes auf Probe, 1987; Cortesi, O., Die Kaufpreisgefahr, 1996; Knütel, R.,
Hoffnungskauf und Eviktionshaftung, ZRG RA 117 (2000), 445; Michaels, R.,
Sachzuordnung durch Kaufvertrag, 2002; Kaufen nach römischem Recht, hg. v.
Jakab, E. u. a., 2007; Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010; CISG vs. Regional Sales Law Unification, hg.
v. Magnus, U., 2012; Sondertagung der Zivilrechtslehrervereinigung zum
Vorschlag für ein Common European Sales Law in Bonn im April 2012, hg. v.
Wagner, G./Zimmermann, R., (in) AcP 212 (2012), 467; Gemeinsames europäisches
Kaufrecht, hg. v. Gebauer, M., 2013
Kauf auf Probe ist der Kauf, bei dem der Käufer auf Grund einer Vereinbarung im
Kaufvertrag den Kaufgegenstand bei Nichtgefallen innerhalb einer bestimmten
Frist zurückgeben kann.
Kauf bricht nicht die Miete ist ein Rechtssprichwort, das besagt, dass im Gegensatz
zum römischen Recht (Kauf bricht Miete, Gewährleistungsanspruch des
vertriebenen Mieters gegen seinen Vermieter) in (vielen) deutschen Rechten seit
dem Hochmittelalter die Veräußerung eines Grundstücks durch den Eigentümer
das Mietverhältnis eines Mieters nicht beendet (Veräußerung vertreibt den
Mieter nicht).
Lit.: Kaser § 42 II 4; Kroeschell, DRG 3; Gilissen, J.,
Huur gaat voor koop, TRG 16, 281; Jüttner, B., Zur Geschichte des Grundsatzes
„Kauf bricht nicht Miete“, Diss. jur. Münster 1960
Kauf einer erhofften Sache (lat. emptio [F.] rei speratae) ist der Kauf einer erst noch entstehenden
Gegenstands (z. B. eines Tierjungen), der durch die Entstehung aufschiebend
bedingt ist.
Kaufgut ist
das durch →Kauf erworbene Gut. Es wird im Mittelalter teilweise anders
behandelt als das durch Erbschaft erlangte Gut (Erbgut).
Lit.: Heusler, A., Institutionen des deutschen
Privatrechts, Bd. 2 1886, 58, 199
Kaufhaus ist das großbetriebliche Unternehmen für
den Kleinhandel mit Waren verschiedenster Art in einheitlichen Verkaufshäusern.
In Deutschland werden die ersten Kaufhäuser oder Warenhäuser von jüdischen
Kaufleuten im letzten Viertel des 19. Jh.s errichtet (Wertheim Stralsund 1876,
Karstadt Wismar 1881, Tietz Gera 1882). Gegen sie wenden sich ohne großen
Erfolg die kleineren Handelsunternehmen und Kaufleute. Im 21. Jh. wird das K.
durch das Telekommunikationsgeschäft gefhährdet.
Lit.: Spiekermann, U.,
Warenhaussteuer in Deutschland, 1994
Kaufmann (812) ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt. In Rom von eher
untergeordneter rechtlicher Bedeutung, erscheinen im Frühmittelalter Syrer,
Juden, Griechen und Friesen als vereinzelte Wanderhändler. Mit dem
Hochmittelalter lässt sich der K. in der Stadt nieder und bildet Gilden oder
Zünfte. Im 19. Jh. wird der Begriff des Kaufmanns gesetzlich festgelegt, 1998
vereinheitlicht und vereinfacht. Österreich ersetzt 2007 den Kaufmann des
Handelsgesetzbuchs durch das Unternehmen und den Unternehmer des Unternehmensgesetzbuchs.
Lit.: Köbler, DRG 67, 95, 111, 167, 217; Gross, C., The
Gild Merchant, 1890; Stoeven, M., Der Gewandschnitt in den deutschen Städten
des Mittelalters, 1915; Die Korporation der Kaufmannschaft von Berlin, 1920;
Weider, M., Das Recht der deutschen Kaufmannsgilden, 1931; Planitz, H.,
Handelsverkehr und Kaufmannsrecht im fränkischen Reich, FS E. Heymann, Bd. 1
1940, 175; Planitz, H., Kaufmannsgilde und städtische Eidgenossenschaft, ZRG
GA 60 (1940), 1; Ebel, W., Lübisches Kaufmannsrecht, 1950; Sapori, A., Le
marchand italien, 1952; Bergfeld, C., Einzelkaufmann und Unternehmer, (in)
Wissenschaft und Kodifikation, hg. v. Coing, H. u. a., Bd. 6 1982, 126;
Kroeschell, K., Ius omnium mercatorum, FS B. Schwineköper, 1982; Köbler, G.,
Mercatores personati, FS L. Carlen, 1989, 157; I mercanti italiani, hg. v.
Frangioni, L., 1990; Müller-Boysen, C., Kaufmannsschutz und Handelsrecht, 1990;
Ars mercatoria. Handbücher und Traktate für den Gebrauch des Kaufmanns
1470-1820, hg. v. Hoock, J. u. a., Bd. 1ff. 1991ff.; Ebert-Weidengeller, A.,
Hamburgisches Kaufmannsrecht, 1992; Kaufmannsbücher und Handelspraktiken, hg.
v. Denzel, M. u. a., 2002; Rösch, G., Kaufmannsbildung und Kaufmannsethik im
Mittelalter, 2004; Becker, A., Die Entwicklung des Kaufmannsbegriffes, 2004;
Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010; Kaufleute, Seefahrer und Piraten, hg. v. Schwara, D. u. a., 2011
Kaufmannseigenschaft →Kaufmann
Kaufvertrag (1574) ist der über einen →Kauf
geschlossene →Vertrag. Er begründet nach deutschem Recht nur zwei
Verpflichtungen des Verkäufers und des Käufers. Erst mit der Erfüllung ändert
sich auch die sachenrechtliche Lage (Eigentum)..
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes,
2010
Kausalität ([F.]
Ursächlichkeit) ist das Verhältnis zwischen einer Ursache und einer Folge
dieser Ursache. K. eines Verhaltens für einen Erfolg ist gegeben, wenn das Verhalten
nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt bzw. ein
gebotenes, aber unterlassenes Verhalten nicht hinzugedacht werden kann, ohne
dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Im
Schadensersatzrecht kann die K, durch die Adäquanz eingeschränkt sein. K. bei
einem Eigentumserwerb bedeutet, dass ohne rechtmäßigen Erwerbsgrund (z. B.
Kaufvertrag) die Erwerbsart (z. B. Übergabe) keinen Eigentumsübergang
bewirken kann (vgl. § 380 ABGB). Seit Savigny (1779-1861) gibt das deutsche
Recht die K. zwischen Kaufvertrag und Eigentumsübergang allmählich auf und
verlangt für den Eigentumserwerb eine sachenrechtliche Einigung.
Lit.: Ling, M., Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges,
1996
Kautelarjurisprudenz ist die im Verhüten von Rechtsstreitigkeiten bestehende
Tätigkeit des Rechtskundigen, die schon dem römischen Recht bekannt ist und
seit dem Mittelalter vor allem von →Notaren durch Erstellung
einwandfreier Urkunden ausgeübt wird. Von hier aus kommt es zu eigenen
Sammlungen von Cautelen und seit dem 18. Jh. auch besonderen Standesregeln.
Lit.: Söllner § 11; Weißler, A., Geschichte der
Rechtsanwaltschaft, 1905, 247
Kaution (F.) Sicherheitsleistung (Wort 1511)
Lit.: Köbler, U., Werden, Wandel und Wesen des deutschen
Privatrechtswortschatzes, 2010
Kawerze (M.)
Einwohner von Cahors, Südfranzose, Geldhändler (13. Jh.)
Lit.: Kredit, hg. v. North, M., 1991
Kebsehe ist
die (dauerhafte) Geschlechtsverbindung eines Mannes mit einer Unfreien (als
Nebenfrau). Sie wird von der Kirche bekämpft.
Lit.: Hübner; Kroeschell, DRG 3
Keilschrift ist die durch Zeichen oder Elemente in Keilform gebildete Schrift des
vorchristlichen Zweistromlands.
Keilschriftrecht (Paul Koschaker) ist das in Keilschrift aufgezeichnete Recht (der Sumerer,
Akkader, Assyrer, Babylonier und Hethiter).
Lit.: Haase, R., Einführung in das Studium keilschriftlicher
Rechtsquellen, 1965; Die keilschriftlichen Rechtssammlungen in deutscher
Fassung, 2. A. 1979; Wesel, U., Geschichte des Rechts, 3. A. 2006
Keine Antwort ist auch eine Antwort.
Lit.: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 34 (Franck 1541)
Keine Regel ohne Ausnahme.
Lit.: Deutsche Rechtssprichwörter und Rechtsregeln, hg. v.
Schmidt-Wiegand, R., 1996, 276 (Körte 1837, lat. nulla regula sine exceptione)
Keller oder
Kellner ist im Mittelalter der für die Verwaltung der Vorräte zuständige
Amsträger der Grundherrschaft oder der Landesherrschaft.
Lit.: Lamprecht, K., Deutsches Wirtschaftsleben im
Mittelalter, Bd. 1 1886, 1410; Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, hg.
v. Patze, H., 1983
Kelloggpakt (Briand-Kellogg-Pakt)
ist ein nach dem (französischen Ministerpräsidenten Aristide Briand [Nantes
28. 3. 1862-Paris 7. 3. 1932 und dem) amerikanischen Außenminister Frank
Billings Kellogg (Potsdam 22. 12. 1856-Saint Paul 21. 12. 1937) benannter, am
27. 8. 1928 von verschiedenen Staaten vereinbarter Vertrag zur Ächtung des
Krieges.
Lit.: Ziegler, K., Völkerrechtsgeschichte, 1994, 2. A.
2007; Buchheit, E., Der Briand-Kellogg-Pakt, 1998
Kelsen,
Hans (Prag 11. 10. 1881-Orinda bei Berkeley 19. 4. 1973), aus
kleinbürgerlicher, aus Ostgalizien kommender Familie, wird nach dem
Rechtsstudium in Wien, der Taufe (1905), der Promotion (1906) und der Habilitation
(1911) während des Kriegsdiensts als Wissenschaftsoffizier im Kriegsministerium
1917 außerordentlicher Professor, 1918 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der
Staatskanzlei, 1919 als Nachfolger seines Lehrers Edmund Bernatzik ordentlicher
Professor in Wien und (1919-1930) Mitglied des Verfassungsgerichtshofs. 1920
wirkt er unter Karl Renner bei der Ausarbeitung des Bundesverfassungsgesetzes →Österreichs
mit (vor allem Verfassungsgerichtsbarkeit). 1930 wird er seiner
Mitgliedschaft im Verfassungsgerichtshof kraft Gesetzes enthoben. 1930
wechselt er nach Köln, wo er am 13. 4. 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft
beurlaubt wird. 1934 veröffentlicht er sein Hauptwerk (Die reine Rechtslehre),
dem es um die reine Lehre des positiven Rechtes geht. Auf der Voraussetzung
einer angenommenen Grundnorm baut er eine wertfreie normative Ordnung auf,
deren Einzelgestaltung er auch während seiner späteren Tätigkeiten in Genf
(1933-1935), Prag (1936-1938), New York (1940-1942) und Kalifornien (Berkeley
1945-1952) weiter ausgestaltet. Bekämpft wird er von Neuhegelianern (Kaufmann,
Heller, Carl Schmitt, Smend, Schwind, Hold-Ferneck u. a.), Antipositivisten und
Anhängern der Staatsautorität.
Lit.: Kelsen, H., Reine Rechtslehre, 1934, Neudruck 2009; Kelsen,
H., Vergeltung und Kausalität, 1940; Walter, R., Hans Kelsen, 1985; Dreier, H.,
Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 1986;
Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hg. v. Heinrichs, H. u. a., 1993, 705;
Rub, A., Hans Kelsens Völkerrechtslehre, 1995; Heidemann, C., Die Norm als
Tatsache, 1997; Carrino, A., Die Normenordnung, 1998; Normativity and Norms,
hg. v. Paulson, S. u. a., 1998; Hans Kelsen und Carl Schmitt, hg. v. Diner, D.
u. a., 1999; Walter, R., Hans Kelsens Rechtslehre, 1999; Nogueira Dias, G.,
Rechtspositivismus und Rechtstheorien, 2004; Hans Kelsen, hg. v. Paulson, S. u.
a., 2005; Walter, R., Hans Kelsen als Verfassungsrichter, 2005; Hans Kelsen,
Werke, Bd. 1ff. hg. v. Jestaedt, M u. a., 2007ff. (30 Bände); Der Kreis um Hans
Kelsen, hg. v. Walter, R. 2008; Ogris, W., Hans Kelsen redivivus?, Nova &
Varia 1 (2009), 7; Korb, A., Kelsens Kritiker, 2010; Merlino, A., Kelsen im
Spiegel der italienischen Rechtslehre, 2013; Hans Kelsen und die deutsche
Staatsrechtslehre, hg. v. Jestaedt, M., 2013
Kelte ist
der Angehörige der keltisch sprechenden, von den Indogermanen abstammenden
Völker. Die Kelten siedeln zuerst zwischen Main und Donau, werden dann aber
nach Süden (386 v. Chr. vor Rom) und Westen (Galicien, Bretagne, Wales, Irland)
und Osten (Galater) abgedrängt. Aus ihrer Frühzeit sind eigene schriftliche
Zeugnisse nicht überliefert. In der Gegenwart bestehen noch die (auf ein anscheinend
recht einheitliches Keltisch zurückgehenden) Nachfolgesprachen Bretonisch
in der Bretagne, Walisisch in Wales, Irisch in Irland und Gälisch in
Schottland, während Gallisch (in Frankreich und Südwestdeutschland),
Lepontisch (in Oberitalien) und Iberokeltisch (in Westspanien) ausgestorben
sind.
Lit.: Köbler, DRG 66; Roessingh, D., Het gebruik en besit
van de grond, 1915; Liebermann, F., Die Fabeln von urältesten Gesetzen der
Kymren, ZRG GA 46 (1926), 365; Thurneysen, R., Das keltische Recht, ZRG GA 55
(1935), 81; Moreau, J., Die Welt der Kelten, 1958; Die Kelten in Mitteleuropa,
3. A. 1980; McCone, K., Pagan past, 1990; Wernicke, I., Die Kelten in Italien,
1991; Spindler, K., Die frühen Kelten, 1996; James, S., Das Zeitalter der
Kelten, 1996; Birkhan, H., Kelten, 2. A. 1997; 3. A. 1999; Strobel, K., Die
Galater, 1998; Mees, B., Celtic Influence in the Vocabulary of Hierarchy, ZRG
GA 115 (1998), 361; Demandt, A., Die Kelten, 1998, 4. A. 2002, 7. A. 2011; Birkhan,
H., Kelten - Bilder ihrer Kultur, 1999; Maier, B., Die Kelten, 2. A. 2003; Maier,
B., Die Religion der Kelten, 2001; Fries-Knoblach, J., Die Kelten, 2002;
Sievers, S., Manching, 2003; Maier, B., Kleines Lexikon der Namen und Wörter
keltischen Ursprungs, 2003; Kuckenburg, M., Die Kelten in Mitteleuropa, 2004;
Pilch, H., Die keltischen Sprachen und Kulturen, Bd. 1f. 2007; Die Kelten, hg.
v. Zimmer, S., 2009; Gvozdanovic, J., Celtic and Slavic in the Great
Migrations, 2009; Kuckenburg, M., Die Kelten, 2010; Rieckhoff, S. u. a., Die
Keltenstädte aus der Luft, 2011; Maier, B., Geschichte und Kultur der Kelten,
2012; Lexikon zur keltischen Archäologie, hg. v. Sievers, S. u. 1., 2012
Kemnath
Lit.: Sturm, H., Kemnath,
Landrichteramt Waldeck-Kemnath mit Unteramt Pressath, 1975
Kent, James
(1763-1843), Rechtsanwalt, Professor am Columbia College und Richter, gibt mit
seinen (engl.) Commentaries on American Law (1826ff., Kommentare zum
amerikanischen Recht) die erste systematische Darlegung des durch Anpassung des
→englischen Rechtes an amerikanische Bedürfnisse geschaffenen
amerikanischen Rechtes.
Lit.: Horton, J., James Kent, 1939
Kerbholz ist
ein vor allem im Mittelalter zum Einkerben von Beweiszeichen für Dienste,
Schulden oder Abgaben verwendetes Holzstück.
Lit.: Künßberg, E. Frhr. v., Rechtliche Volkskunde, 1936,
139
Kerker (lat. [M.] carcer) ist eine Art von
Gefängnis. Zeitweise wird der K. für eine verschärfte Haftstrafe verwendet.
Lit.: Quanter, R., Deutsches Zuchthaus- und Gefängniswesen,
1905, Neudruck 1970; Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss der Strafrechtsgeschichte,
5. A. 2007
Kerze ist
eine aus Docht und umgebendem Wachs gebildete Lichterzeugungsquelle, die auch
im Recht als Symbol Verwendung findet.
Lit.: Wohlhaupter, E., Die Kerze im
Recht, 1940
Kesselfang ist
im Mittelalter das Eintauchen des Armes in siedendes Wasser eines Kessels im
Rahmen des →Gottesurteils (belegt bei Gregor von Tours).
Lit.: Nottarp, H., Gottesurteilsstudien,
1956, 255
Ketzer (13.
Jh., Häretiker) ist im katholischen Kirchenrecht jeder bewusste Leugner eines
kirchlichen Grundsatzes. Ketzerische Lehren erscheinen bereits kurz nach der
Begründung des Christentums. Die Abgrenzung zwischen Glauben und Irrglauben ist
dabei objektiv kaum möglich und der Vorwurf der Ketzerei ist vielfach mit
anderen Überlegungen (z. B. menschliche Ablehnung, wirtschaftlicher Wettbewerb,
Machtstreben) verbunden. Die Kirche bekämpft die K. mit Exkommunikation, seit
Gratian (um 1140) mit Verbannung, Gütereinziehung und gegebenenfalls
kriegerischem Vorgehen, der Staat mit Verbannung, Beschlagnahme und
Todesstrafe. Im Mittelalter werden die Katharer (in Konstantinopel aus dem
älteren Bogomilismus entstanden, erstmals um 1143 in Köln, von Anfang 13. Jh.
bis etwa 1460 vernichtet) namengebend. Auch die Protestanten (1517) sind K.
1697 wendet sich Christian Thomasius dagegen, den K. als Verbrecher zu behandeln.
Seitdem setzt sich allmählich eine aufgeklärtere Betrachtungsweise durch.
Lit.: Köbler, DRG 119; Theloe, H., Die Ketzerverfolgungen
im 11. und 12. Jahrhundert, 1913; Grundmann, H., Religiöse Bewegungen im
Mittelalter, 1935, Neudruck 1961; Nigg, W., Das Buch der Ketzer, 1949; Blauert,
A., Frühe Hexenverfolgungen, 1989; Borst, A., Die Katharer, 1991; Opitz,
C./Wehrli-Johns, M., Die frommen Ketzerinnen, 1998; Lambert, M., Geschichte der
Katharer, 2001; Auffarth, C., Die Ketzer, Katharer, Waldenser und andere, 2005;
Ragg, S., Ketzer und Recht, 2006; Rottenwöhrer, G., Lexikon der
mittelalterlichen „Ketzer“, 2009; Kirche und Ketzer, hg. v. Hägg, T., 2010;
Räisänen, P., Ketzer im Dorf, 2010
Kiburg
Lit.: Rieger,
E., Das Urkundenwesen der Grafen von Kiburg und Habsburg, 1986
Kiel nahe
der Ostsee (1773-1866 dänisch) ist seit 1665 Sitz einer Universität. 1933
werden dorthin zahlreiche junge dem Nationalsozialismus zugeneigte Rechtslehrer
berufen (Kieler Schule Ernst Rudolf Huber, Karl Michaelis, Friedrich Schaffstein,
[Franz Wieacker,] Martin Busse, Georg Dahm, Karl August Eckhardt,. Karl
Larenz, Wolfgang Siebert, Paul Ritterbusch).
Lit.: Kroeschell, 20. Jh.; Das Kieler Erbebuch (1411-1604),
hg. v. Reuter, C., 1887; Wolff, O., Das lübsche Recht in der Stadt Kiel, 1898;
Das Kieler Varbuch 1465-1546, hg. v. Luppe, H., 1899; Schröder, R., Das
Eigentum am Kieler Hafen, ZRG GA 26 (1905), 34; Stern, M., Das zweite Kieler
Rentebuch (1487-1586), 1904; Das Kieler Denkelbok, hg. v. Gundlach, F., 1908;
Trautmann, P., Kiels Ratsverfassung und Ratswirtschaft, 1909; Rehme, P., Über
die Kieler Stadtbücher des Mittelalters, ZRG GA 38 (1917), 164; Wohlhaupter,
E., Die Spruchtätigkeit der Kieler juristischen Fakultät, ZRG GA 58 (1938),
752; Festschrift zum 275-jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität
Kiel, hg. v. Ritterbusch, P. u. a., 1940 (S. 48-108 Wohlhaupter, E., Geschichte
der juristischen Fakultät); Döhring, E., Geschichte der juristischen Fakultät
1665-1965, 1965; Willert, H., Anfänge und frühe Entwicklung, 1990; Recht und
Rechtslehre im Nationalsozialismus, hg. v. Säcker, F., 1992; Wiener, C.,
Kieler Fakultät und „Kieler Schule“, 2013; ichow, S., Die Universität Kiel in
den ^960er Jahren, 2013
kiesen (wählen)
Kietz (M.)
slawisch-mittelalterliche Fischersiedlung in Brandenburg (mindestens 74
bereits vor 1700 bezeugt)
Lit.: Ludat, H., Die ostdeutschen Kietze, 1936; Krüger, B.,
Die Kietzsiedlungen, 1962
Kimber ist
der Angehörige eines (wohl) aus Jütland stammenden germanischen Volkes, das 101
v. Chr. bei Vercellae in Oberitalien von den Römern vernichtet wird.
Lit.: Köbler, DRG 28, 66
Kind (Wort bereits für das
Germanische zu erschließen) ist der
Abkömmling ersten Grades eines Menschen (bis zum Erwachsensein [Mündigkeit]).
In Rom steht das K. (lat. [M.] infans) grundsätzlich unter der Hausgewalt des
freien römischen Bürgers in seiner Eigenschaft als Hausvater bzw. hilfsweise
unter der Personalgewalt eines Vormunds (lat. [M.] tutor). Bei den Germanen
untersteht es der Hausgewalt (ahd. munt) des Vaters bzw. der Personalgewalt
eines Vormunds. Aus ihr löst es sich durch Abschichtung oder Verheiratung bzw.
Mündigkeit. Die Unterscheidung nach Ehelichkeit und Nichtehelichkeit wird von
der christlichen Kirche gefördert. Schon seit dem Frühmittelalter nehmen König
und Kirche Einfluss auf die Rechtsstellung des Kindes. Ehelich ist nur das in
rechter Ehe zu rechter Zeit geborene K. Seit dem Hochmittelalter wird die
Bildung außerhalb des Hauses in Schule, Lehre oder Universität für das K. immer
wichtiger. Seit dem Spätmittelalter wird römisches Recht aufgenommen und die
Volljährigkeit als Zeitpunkt der rechtlichen Verselbständigung auf die
Vollendung des 25. Lebensjahrs gelegt. Das K. unter sieben Jahren ist
grundsätzlich handlungsunfähig. Im 19. Jh. wird das K. vielfach über die
häusliche Mithilfe hinaus zur Kinderarbeit gezwungen. Aus
verteidigungspolitischen bzw. gesundheitspolitischen Gründen wird dann die
Kinderarbeit beschränkt (Österreich 1859, 1918). Im Bürgerlichen Gesetzbuch
von 1900 sind die Eltern gesetzliche Vertreter des Kindes, kann der unehelichen
Mutter auf Antrag die Vormundschaft übertragen werden und kann die Mutter das
uneheliche Kind adoptieren. Seit 1921 hat sie das Recht auf religiöse Erziehung
des unehelichen Kindes. Im Übrigen greift der Staat auf die Kindererziehung
durch Förderung und Schaffung von Kinderbewahranstalten und Kindergärten zu. Seit
1961 (Familienrechtsänderungsgesetz) kann die uneheliche Mutter die
Verleihung der elterlichen Gewalt beantragen, nach dem Nichtehelichengesetz
von 1969 steht ihr das Sorgerecht, ergänzt durch eine Amtspflegschaft, kraft
Gesetzes zu. Der Wohlfahrtsstaat des späteren 20. Jh.s versucht die immer
wenigeren Kinder (Empfängnisverhütung) durch Verrechtlichung der Beziehung zu
den Eltern zu schützen und zu fördern (Kindergeld, elterliche Sorge statt
elterlicher Gewalt beider Elternteile [Gesetz zur Neuregelung des Rechtes der
elterlichen Sorge vom 18. 7. 1979], Gleichstellung unehelicher bzw. nichtehelicher
Kinder, Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. 12. 1997 zum 1. 7. 1998,
Kindeswohl, Anerkennung des Kindes als Rechtsträger, Gesetz vom 16. 4. 2013 rur
Reform der elterlichen Sorge). Dem entspricht auch die Verabschiedung einer
Kinderrechtskonvention durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im
Jahre 1989, die alle Mitgliedstaaten unterzeichnet und alle mit bisheriger
Ausnahme der Vereingten Staaten von Amerika und Somalias auch ratifiziert
haben.
Lit.: Kaser § 14 II 1; Hübner 64, 697; Köbler, DRG 88, 120,
160, 210, 267; Köbler, WAS; Fehr, H., Die Rechtsstellung der Frau, 1912;
Bückling, G., Die Rechtsstellung der unehelichen Kinder, 1920; Jankowiak, K.,
Die Rechtsstellung der Kinder nach dem Magdeburger Recht des Mittelalters,
Diss. jur. Marburg 1923; Fiez, M., Das Eltern- und Kindesverhältnis, 1932;
Bischof, I., Die Rechtsstellung der außerehelichen Kinder, 1931; Etzensperger,
C., Die Rechtsstellung des außerehelichen Kindes nach den schaffhauserischen
Rechtsquellen, Diss. jur. Zürich 1931; Heck, F., Die Stellungnahme Erzbischofs
Wichmann von Magdeburg zu der Kindesfolge, ZRG GA 60 (1940), 257; Das Kind, hg.
v. Behler, W., 1971, 279; Wiesner, I., Über die Rechtsstellung der ehelichen
Kinder im Landrecht des Sachsenspiegels, Diss. jur. Kiel 1973; Leineweber, A.,
Die rechtliche Beziehung des nichtehelichen Kindes, 1978; Kinderarbeit und
Kinderschutz in Deutschland, 1837-1976, hg. v. Quandt, S., 1978; Mayer-Maly,
T., Vom Kinderschutz zum Arbeitsrecht, FS G. Schmelzeisen, 1980, 227; Krause,
E., Die gegenseitigen Unterhaltsansprüche, 1982; Haus und Familie in der
spätmittelalterlichen Stadt, hg. v. Haverkamp, A., 1984; Zur Sozialgeschichte
der Kindheit, hg. v. Martin, J. u. a., 1986; Shahar, A., Childhood in the
Middle Ages, 1990 (deutsch 1991); Meumann, M., Findelkinder, Waisenhäuser,
Kindsmord, 1995; Schumacher, S., Das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und
Kindern, 1999; Torp, S., Das Rechtsverhältnis zwischen den Eltern und ihren
Kindern, 2000; Schulze, N., Das Umgangsrecht, 2001; Wesener, G., Peculia – bona
adventicia – freies und unfreies Kindesgut, (in) Iuris vincula - Studi in onore
di M. Talamanca, 2002, 393; Brokamp, I., Die Verrechtlichung der
Eltern-Kind-Beziehung, 2002; Ohlbaum, I., Kind sein, 2003; Jütte, R., Lust ohne
Last, 2003; Krah, J., Das Haager Kinderschutzübereinkommen, 2004; Boentert,
A., Kinderarbeit im deutschen Reich 1871-1914, 2006; Winkler, S., Kindserdrücken, 2007; Ritzmann, I., Sorgenkinder,
2008; Ostermann, S., Das Klärungsverfahren, 2009; Köbler, U., Werden, Wandel
und Wesen des deutschen Privatrechtswortschatzes, 2010; 1989-2009 - 20 Jahre
UN-Kinderrechtskonvention, hg. v. Schorlemer, S. v. u. a., 2010; Child Labour’s
Global Past 1650-2000, hg. v. Lieten, K. u. a., 2011; Berg, T., Die Entwicklung
des Sorgerechts der Mütter nichtehelicher Kinder, 2012; Rao, S., International
Law on Trafficking of Children for Sexual Exploitation in Prostitution
(1864-1950), 2013; Lange, C., Öffentliche Kleinkinderziehung in Bayern, 2013
Kindererziehung, religiöse →religiöse Kindererziehung
Kindergeld ist
eine staatliche Leistung an Menschen mit Kindern zur Verminderung ihrer
Belastung, die in Deutschland nach dem Vorbild Frankreichs 1954 durch Gesetz
(Kindergeldgesetz) in Höhe von (zunächst) 25 DM ab dem dritten Kind gewährt
wird.
Lit.: Köbler, DRG 261; Igl, G., Kindergeld und
Erziehungsgeld, 1986; Nelleßen-Strauch, D., Der Kampf ums Kindergeld, 2003
Kindesmissbrauch ist der sexuelle Missbrauch eines →Kindes, der
strafrechtlich bewehrt ist.
Lit.: Rüping, H./Jerouschek, G., Grundriss der
Strafrechtsgeschichte, 5. A. 2007
Kindestötung (Kindsmord)
ist die Tötung eines Kindes (durch die Eltern). Ursprünglich hat im römischen
und germanischen Recht der Gewalthaber das Recht über Leben und Tod des Kindes.
Dieses Recht wird aber sowohl im römischen Recht wie auch im mittelalterlichen
Recht allmählich verdrängt. Als K. in einem engeren Sinn erscheint am Ende des
18. Jh.s (1772 Susanna Margarethe Brandt in Frankfurt als Anregung zu Gretchen
in Goethes Faust) die Tötung eines neugeborenen, außerehelichen Kindes während
oder gleich nach der Geburt durch die Mutter. Sie ist ein privilegierter
Tötungstatbestand, der die ältere Mordqualifizierung ablöst. Am Ende des 20.
Jh.s wird er in Deutschland aufgegeben.
Lit.: Jordan, L., Über den Begriff und die Strafe des
Kindesmordes, 1844; Wächtershäuser, W., Das Verbrechen des Kindesmordes, 1973;
Weber, B., Die Kindsmörderin im deutschen Schrifttum von 1770-1795, 1974; Dülmen,
R. van, Frauen vor Gericht, 1991; Hammer, E., Kindsmord, 1997; Meumann, M.,
Findelkinder, Waisenhäuser, Kindsmord, 1995; Habermas, R., Susanna Brandt, NJW
1999, 1936; Das Frankfurter Gretchen, hg. v. Habermas, R., 1999; Das Kind in
meinem Leib, hg. v. Wahl, V. u. a., 2004; Czelk, A., Privilegierung und
Vorurteil, 2005
Kindsmord →Kindestötung
Kipper und Wipper
sind seit dem 17. Jh. (1621) Geldwechsler, die vollwertiges Silbergeld gegen
unterwertiges Kleingeld eintauschen.
Lit.: Gaettens, R., Inflationen, 2. A. 1955; Redlich, F.,
Die deutsche Inflation des frühen 17. Jahrhunderts, 1972
Kirche (zu griech. kyriake oikos Haus des Herrn) ist die in eigenen
Verfassungs
formen geordnete, im
christlichen Bekenntnis vereinigte Gemeinde und Glaubensgemeinschaft. Sie
entsteht im Anschluss an das Leben des Religionsstifters Jesus Christus im 1.
Jh. n. Chr. Im Wettbewerb mit zahlreichen anderen fremdländischen Heilslehren
im römischen Weltreich setzt sich die christliche K., die ihre Schriften gegen
180 n. Chr. kanonisiert und schon früh eine hierarchische Verfassung von
Bischöfen, Klerus und Laien annimmt, als eine revolutionäre, die unteren
Schichten gegen ihre Obrigkeit einnehmende Massenbewegung durch. Nach
anfänglicher Verfolgung wegen der Lehre von der Unterordnung des irdischen
Reiches unter das himmlische Reich Gottes wird die christliche K. 313 im
Mailänder Toleranzedikt von Kaiser Konstantin anerkannt und in seiner im
Glaubensstreit zwischen Athanasius und Arius von Athanasius vertretenen Form
391 Staatskirche. Ihre geistige Verfeinerung und lateinische Durchdringung
erfolgt vor allem durch Hieronymus (345-420), Ambrosius und Augustinus.
Organisatorisch setzt sich unter dem Primat Roms die Bischofskirche mit
Erzbischöfen und Bischöfen in den (lat. [F.Pl.]) civitates (Städten) durch.
Spätestens seit dem 4. Jh. werden auch germanische Völker christianisiert. Seit
dem Frühmittelalter durchdringt die K. das gesamte Europa in vielfältiger
Hinsicht. Nach der Verbindung zwischen Papst und fränkischem Herrscher (751,
800) kommt es allerdings unter den Saliern (Heinrich IV. 1075) zum →Investiturstreit
mit der durch das Schisma von 1054 entstandenen, Reformen anstrebenden römisch-katholischen
K. Danach gewinnt die K. als Folge der →ottonisch-salischen Reichskirchenpolitik
weltliche Macht in der Form der geistlichen Fürstentümer. 1517 verursacht
Martin →Luther mit seinen gegen kirchliche Missstände gerichteten 95
Reformationsthesen die Abspaltung der Protestanten. Seit der Aufklärung sieht
sich die als Körperschaft des öffentlichen Rechtes organisierte K. einer
ständigen Säkularisierung aller Verhältnisse ausgesetzt. Gefordert und in
erheblichem Umfang verwirklicht wird die Trennung von Staat und Kirche (1797
Vereinigte Staaten von Amerika, Revolution in Frankreich, →Kulturkampf).
Am Ende des 20. Jh.s ziehen sich immer mehr Christen zwar noch nicht formal,
aber doch tatsächlich aus der K. zurück. Neben der K. als Gemeinschaft steht
die K. als Gebäude (älteste erhaltene K. 3. Jh. n. Chr.).
Lit.: Köbler, DRG 77, 79, 82, 88, 108, 115, 119, 121, 159,
205, 265; Hauck, A., Kirchengeschichte Deutschlands, Bd. 1ff. 1887, 8. unv. A.
1954; Makower, F., Die Verfassung der Kirche von England, 1894; Schulte, A.,
Der Adel und die deutsche Kirche, 1910; Sehling, E., Geschichte der protestantischen
Kirchenverfassung, 2. A. 1914; Schulte, A., Der Adel und die deutsche Kirche im
Mittelalter, 2. A. 1922; Tomek, E., Kirchengeschichte Österreichs, Bd. 1ff.
1935ff.; Tellenbach, G., Libertas, 1936; Schubert, G., Der Einfluss des kirchlichen
Rechtes auf das weltliche Strafrecht der Frankenzeit, 1937; Gampl, I., Staat
und evangelische Kirche in Österreich, ZRG KA 52 (1966), 299; Feine, H., Reich
und Kirche, hg. v. Merzbacher, F., 1966; Feine, H., Kirchliche
Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Huber, E./Huber, W., Staat und Kirche im
19. Jahrhundert, Bd. 1ff. 1973ff.; Wallmann, J., Kirchengeschichte Deutschlands
seit der Reformation, 1973, 5. A. 2000, 6. A: 2006, 7. A: 2012; Becker, J., Liberaler
Staat und Kirche, 1975; Scholder, K., Die Kirche und das Dritte Reich, Bd. 1f.
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in England, hg. v. O’Day, R. u. a., 1977; Oakley, F., The Western Church, 1979;
Buchholz, S., Eherecht zwischen Staat und Kirche, 1981; Hausberger, K., Staat
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Smolinsky, H., 2001; Besier, G., Die Kirchen und das Dritte Reich, 2001; Prinz,
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in Geschichte und Gegenwart - Heiliges Römisches Reich - Deutschsprachige
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Hinkel, S., Adolf Kardinal Bertram - Kirchenpolitik im Kaiserreich und in der
Weimarer Republik, 2010; Pragmatische Quellen der kirchlichen Rechtsgeschichte,
2011; Hergemüller, B., Promptuarium ecclesiasticum medii aevi, 2011; Mueller,
H., Die kirchliche Krise des Spätmittelalters, 2012; Hahn, T., Staat und Kirche
im deutschen Naturrecht, 2012; Schmal, B., Das staatliche
Kirchenaustrittsrecht, 2013; Lehmann, R., Die Transformation des
Kirchenbegriffs in der Frühaufklärung, 2013; Großbölting, T., Der verlorene
Himmel, 2013
Kirchenasyl →Asyl,
→Kirche
Kirchenbann →Kirche,
→Bann
Kirchenbaulast ist die Belastung einer Gruppe von Menschen, eines
einzelnen Menschen oder eines Vermögens mit den Kosten (des Baues,) der
Unterhaltung und des Wiederaufbaues einer →Kirche (→Eigenkirche).
Sie ist mit dem →Patronat verbunden. Wo eine K. in das Eigentum des
Staates übergegangen ist, trägt infolge des Vermögensübergangs der Staat die K.
Lit.: Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983; Beyme, B. v.,
Die Baulast für das Freiburger Münster, 2003
Kirchenbuch ist
ein von der →Kirche geführtes Buch über kirchliche Angelegenheiten (z.
B. Mitglieder, Taufen, Eheschließungen, Begräbnisse). Nach Mitgliederlisten
des Altertums und Totengedenkbüchern des Frühmittelalters erscheinen
Taufmatrikeln in Italien und Südfrankreich im 14. Jh. Im Heiligen römischen
Reich tritt das K. um 1490 auf (z. B.
Tübingen 1553 Ehebuch). In der Neuzeit verwendet auch die weltliche Gewalt das
K. für ihre Zwecke. 1875 tritt neben das K. das Personenstandsbuch des
Staates. Die Zahl der Kirchenbücher des Deutschen Reichs wird auf 400000 mit
rund einer Milliarde Einzeleinträgen geschätzt.
Lit.: Köbler, DRG 105; Lampe, W., Die Kirchenbuchführung in
Vergangenheit und Gegenwart, 1936; Schmitz, H., Die pfarrlichen Kirchenbücher,
1992; Das älteste Tübinger Ehebuch, hg. v. Schieck, S. u. a., 2000; Neininger,
F., Brandenburgische Kirchenbuchduplikate 1794-1874, 2008; Das renovierte Kirchenbuch
von Zimmersrode, Gilsa und Dorheim aus dem Jahre 1663, hg. v. Gräf, H. u. a.,
2010
Kirchenbuße →Kirche,
→Buße
Kirchenfabrik (lat. fabrica [F.] ecclesiae) ist die mit der Errichtung einer Kirche
(Gebäude) entstehende Verbandsperson („juristische Person“). Die Hauptlast der
K. ist die →Kirchenbaulast. Das Vermögen der K. kann nur in einem besonderen
Verfahren veräußert werden. →Kirchengut
Kirchengut ist
die Gesamtheit der geldwerten Rechte einer →Kirche. Das K. entsteht
anfangs vor allem durch Gaben, dann aber auch Abgaben (→Zehnt), die
gemeinsam verwaltet und später nach bestimmten Regeln verteilt werden (z. B.
Vierteilung unter Bischof, Klerus, Armen und →Kirchenfabrik, 5. Jh.). Im
Frühmittelalter, in dem auch K. säkularisiert wird, können Klöster bis zu 15000
Hufen K. haben. Das K. gliedert sich dann in mehrere selbständige Untereinheiten.
Im 13. Jh. wird aus dem K. teilweise Landesherrschaft. Seit der frühen Neuzeit
wird K. in erheblichem Umfang säkularisiert (u. a. im Reichsdeputationshauptschluss
vom 28. 2. 1803).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Stutz, U., Die Verwaltung und
Nutzung des kirchlichen Vermögens, Diss. jur. Berlin 1892; Buchholzer, J., Die
Säkularisation katholischen Kirchenguts im 18. und 19. Jahrhundert, 1921; Feine,
H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972; Mempel, H., Die
Vermögenssäkularisation 1803/10, 1979
Kirchenordnungen sind ordnende Gestaltungen des kirchlichen Lebens durch
vorschreibende Regeln, wie sie sich bereits im Altertum und dann insbesondere
als Folge der Reformation Martin →Luthers im 16. Jh. zwecks Ablösung des kanonischen
Rechtes finden (z. B. Hessen 1526, Schwäbisch Hall 1526, Hadeln 1526,
Braunschweig 1528, Hamburg 1529, Lübeck 1531, Lüneburg 1531,
Brandenburg-Nürnberg 1533, Pommern 1534, Hannover 1536 u. s. w.).
Lit.: Schwanhäuser, G., Das Gesetzgebungsrecht der
evangelischen Kirche, 1967; Sehling, E., Die evangelischen Kirchenordnungen des
16. Jahrhunderts, Bd. 1ff. 1902ff., Neudruck 1980 (z. B. Bd. 18 2006, Bd. 17,
4, 2 2009); Wolf, E., Ordnung der Kirche, 1961; Brecht, M., Kirchenordnung und
Kirchenzucht in Württemberg, 1967; Sprengler-Ruppenthal, A., Zu den
Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, 2004
Kirchenrecht ist
die Gesamtheit der Rechtssätze, die entweder das Leben innerhalb der Kirche
ordnen (inneres K. bzw. in der katholischen Kirche auch kanonisches Recht) oder
das Verhältnis des Staates zur Religion und zu den Religionsgemeinschaften
regeln (äußeres K., Staatskirchenrecht). K. entsteht unter Beachtung vieler
jüdischer Sätze bereits im 1. Jh. n. Chr. Die Kirche des Altertums bedient sich
dabei in weitem Umfang des römischen Rechtes, gestaltet durch Konzilien und
päpstlich-bischöfliche Einzelreskripte (Dekretalen) K. aber auch vielfach neu
([lat.] →ius divinum, →ius ecclesiasticum, →ius naturale).
Bereits seit dem 4. Jh. wird das K. gesammelt (u. a. von →Dionysius
Exiguus). Dem schließen sich frühmittelalterliche Sammlungen an (600 Vetus
Gallica, 633 Hispana, 774 von Papst Hadrian an Karl den Großen übermittelte
Dionysio-Hadriana, 850 „Benedictus Levita“, 906 [lat.] libri [M.Pl.] duo de
causis synodalibus [zwei Bücher Synodalsachen] des Regino von Prüm, 1007-1022
[lat., N.] Decretum Bischof Burchards von Worms, das mit dem Ziel einer in sich
konsistenten, widerspruchsfreien Sammlung autoritativer Texte für die Praxis bereits
die Schwelle zu wissenschaftlicher Kanonistik erreicht). Um 1140 fasst in
Bologna →Gratian Konzilscanones, päpstliche Dekretalen und Texte von
Kirchenvätern zu seinem (lat. [N.]) →Decretum zusammen. Daran schließen
sich Sammlungen von Dekretalen an (1234 [lat.] →Liber [M.] extra, 1298
[lat.] Liber sextus, 1317 →Clementinen), so dass allmählich das (lat.) →corpus
(N.) iuris canonici entsteht. Dessen Inhalt wird von den protestantischen
Kirchen seit der frühen Neuzeit zunächst grundsätzlich anerkannt, danach aber
vor allem durch →Kirchenordnungen abgewandelt. 1917/1918 und 1983 wird
das katholische K. neu gestaltet (lat. →Codex [M.] iuris canonici). →Staatskirchenrecht
im eigentlichen Sinn entsteht seit der Reformation Martin →Luthers
(1517). Dabei setzt sich seit dem ausgehenden 18. Jh. der Gedanke der Toleranz
durch. Das 20. Jh. trennt zwar Staat und Kirche grundsätzlich, sichert der
Kirche aber noch wichtige Teile ihrer hergebrachten Rechtsstellung (→Körperschaft
des öffentlichen Rechtes, →Kirchensteuer, Art. 137 WRV, 140 GG).
Lit.: Köbler, DRG 1, 8, 81, 106, 126,
205, 266; Eichhorn, K., Grundsätze des Kirchenrechts der katholischen und
evangelischen Religionspartei in Deutschland, 1831ff.; Richter, A., Lehrbuch
des katholischen und evangelischen Kirchenrechts 1842, 8. A. 1886; Bickell, J.,
Geschichte des Kirchenrechts, 1843; Friedberg, E., Lehrbuch des katholischen
und evangelischen Kirchenrechts, 1879, 6. A. 1909, Neudruck 1965; Rothenbücher,
K., Die Trennung von Staat und Kirche, 1908; Ebers, G., Staat und Kirche im
neuen Deutschland, 1930; Barion, H., Rudolph Sohm und die Grundlegung des
Kirchenrechts, 1931; Liermann, H., Deutsches evangelisches Kirchenrecht, 1933;
Heckel, J., Das Decretum Gratiani und das evangelische Kirchenrecht, (in)
Studia Gratiana 3 (1955), 483; Plöchl, W., Geschichte des Kirchenrechts, Bd.
1ff. 2. A. 1960ff.; (Eichmann, E./)Mörsdorf, K., Lehrbuch des Kirchenrechts,
Bd. 1ff. 11. A. 1964; Benn, E., Entwicklungslinien des evangelischen
Kirchenrechts im 19. Jahrhundert, Z. f. ev. Kirchenrecht 15 (1970), 2; Köbler,
G., Das Recht im frühen Mittelalter, 1971; Feine H., Kirchliche
Rechtsgeschichte, 5. A. 1972; Winter, J., Die Wissenschaft vom
Staatskirchenrecht im Dritten Reich, 1979; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983;
Berman, H., Law and Revolution, 1983
(Recht und Revolution 2. A. 1991); Gaudemet, J., Droit de l’Eglise et vie
sociale, 1989; Campenhausen, A. v., Staatskirchenrecht, 3. A. 1996; Stumpf, C.,
Kirchenrecht als Bekenntnisrecht, 1999; Lexikon für Kirchen- und
Staatskirchenrecht, hg. v. Campenhausen, A. Frhr. v., Bd. 1ff. 1999ff.; Erdö,
P., Die Quellen des Kirchenrechts, 2002; Landau, P., Evangelische
Kirchenrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, Zs. f. ev. Kirchenrecht 48
(2003), 1; Brundage, J., The Profession and Practice of Medieval Canon Law,
2004; Stagnation oder Fortbildung, hg. v. Bertram, M., 2005; Recht und Gericht
in Kirche und Welt um 900, hg. v. Hartmann, W., 2007; Austin, G., Shaping
Church Law around the year 1000, 2008; Link, C:, Kirchliche Rechtsgeschichte,
2009; Alltag reformierter Kirchenleitung. hg. v. Arnold, M. u. a., 2009; Der
Einfluss der Kanonistik auf die deutsche Rechtskultur, hg. v. Condorelli, O. u.
a., Bd. 1ff. 2009ff.; Siems, H., Die Collectio Sangermanensis XXI titulorum,
DA 65 (2009), 1; Austin, G., Shaping Church Law around the year 1000, 2009;
Konrad, D., Der Rang und die grundlegende Bedeutung des Kirchenrechts, 2009; Landau,
P., Grundlagen und Geschichte des evangelischen Kirchenrechts und des
Staatskirchenrechts, 2008 (Aufsätze); Richter, M., Kirchenrecht im Sozialismus,
2011; The History of Byzantine and Eastern Canon Law, hg. v. Hartmann, W. u.
a., 2012
Kirchenregiment ist
die am Ende des 15. Jh.s einsetzende Herrschaft (z. B. eines Landesherrn) über
die Kirche, die in protestantischen Ländern (Territorien) bis 1918 anhält.
Lit.:
Heckel, J., Cura religionis, FS U. Stutz, 1938, 224
Kirchenstaat ist der (weltliche) →Staat der katholischen Kirche.
Er nimmt seinen Ausgang vom Mailänder Toleranzedikt des römischen Kaisers
Konstantin (313), das die christlichen Gemeinden als rechtsfähige
Vermögensträger anerkennt. Hinzu kommt die sog. →konstantinische
Schenkung, nach der Kaiser Konstantin an Papst Silvester die politische
Autorität im weströmischen Reich verliehen haben soll. Danach erhält die Kirche
zahlreiche Grundstücke als Gaben, die in ihrer Gesamtheit seit dem 6. Jh.
(lat.) patrimonium (N.) Petri heißen. Seit dem 7. Jh. gilt der Papst als
Schutzherr und Herrscher des Gebiets um Rom bzw. zwischen Venedig und Benevent.
Am 14. 4. 754 gibt der fränkische König Pippin Papst Stephan die ehemals
oströmischen, von den Langobarden besetzten Güter in Italien um Ravenna und Rom
(zurück, →pippinische Schenkung). Der Sicherung der Herrschaft dient
wenig später der K. um die Romagna und Tuszien (sowie um Venaissin [1274] und
Avignon [1378], bis 1797), im 16. und 17. Jh. um Ferrara (1598), Urbino (1630)
und Castro (1649). 1798 ersetzt Frankreich den K. durch die Römische Republik,
doch gelingt 1814/1815 die Wiederherstellung. Am 20. 9. 1870 zieht die
italienische Einigungsbewegung den K. bis auf geringe Reste an sich bzw. das
neue Königreich →Italien. 1929 kommt es in Lateranverträgen zu einem
Ausgleich. Das weltliche Gebiet der römischen Kirche beschränkt sich auf die
Vatikanstadt. Der Vatikan hat Souveränität.
Lit.: Nürnberger, A., Papsttum und Kirchenstaat, Bd. 1ff.
1897ff.; Gundlach, W., Die Entstehung des Kirchenstaates, 1899, Neudruck 1969;
Hayward, F., Le dernier siècle de la Rome pontificale 1769-1870, Bd. 1ff.
1927f.; Ermini, G., La libertà comunale nello stato della chiesa, 1926f.;
Ermini, G., I parlamenti dello Stato della Chiesa, 1930; Kölmel, W., Rom und
der Kirchenstaat im 10. und 11. Jahrhundert, 1935; Waley, D., The Papal State
in the Thirteenth Century, 1961; Quellen zur Geschichte des Kirchenstaates, hg.
v., Fuhrmann, H., 1968; Partner, P., The Lands of St. Peter, 1968; Noble, T.,
The Republic of St. Peter, 1984; Arnaldi, G., Le origini dello Stato della
Chiesa, 1987; Marazzi, D., I Patrimonia sanctae Romanae ecclesiae nel Lazio,
1998; Modell Rom?, hg. v. Büchel, D. u. a., 2003
Kirchensteuer ist die durch die öffentlichrechtlichen Religionsgesellschaften erhobene,
vom Staat (durch seine Behörde für die Kirche) eingezogene Steuer. Sie ersetzt
den älteren Kirchenzehnt (Preußen 20. 6. 1875, vgl. auch das Allgemeine
Landrecht von 1794). Rechtliche Grundlagen werden Art. 137 VI der Weimarer
Reichsverfassung und Art. 140 GG.
Lit.:
Köbler, DRG 198; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983; Fischer, G., Finanzierung
der kirchlichen Sendung, 2005
Kirchenvertrag ist der Vertrag eines Staates mit einer (evangelischen)
Kirche über kirchliche Angelegenheiten. →Konkordat
Lit.: Die Konkordate und Kirchenverträge in der
Bundesrepublik Deutschland, hg. v. Listl, J., Bd. 1f. 1987
Kirchenvogtei ist die Ausübung weltlicher →Herrschaft für eine →Kirche
durch einen →Vogt.
Lit.: Otto, E., Die Entstehung der deutschen Kirchenvogtei
im 10. Jahrhundert, 1933
Kirchenzehnt ist
(meist) der zehnte Teil (von Erträgnissen und Früchten von Grundstücken und
Vieh). Er erscheint im 5. Jh. n. Chr. auf der Grundlage von 4. Moses 18,21-32.
Wenig später wird er von der Kirche gefordert und vom fränkischen König als
Ausgleich für eingezogenes Kirchengut zugestanden. Seit der französischen
Revolution (1789) und den Unruhen der Jahre 1848ff. verschwindet er und wird in
deutschen Staaten durch die →Kirchensteuer ersetzt.
Lit.: Perels, E., Die kirchlichen Zehnten im karolingischen
Reich, 1904; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A. 1972
Kirchliches Recht
ist das auf die →Kirche bezogene →Recht (→Kirchenrecht).
Einen wichtigen Gegensatz zum kirchlichen Recht bildet das weltliche Recht.
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2
Kirchmann, Julius Hermann von (1802-1884)
Lit.: Julius Hermann von
Kirchmann, hg. v. Bast, R., 1993
Kirchspiel (Kirchenbezirk)
→Kirche
Lit.: Liebe, G., Die kommunale Bedeutung der Kirchspiele,
Diss. phil. Berlin 1885; Oberdörfer, K., Das alte Kirchspiel Much, 1923; Haff,
K., Das Großkirchspiel, ZRG KA 63 (1943), 1, 64 (1944), 1, 65 (1947), 1, 253;
Kern, H., Das Kirchspiel Altensteig, 1966
Kistenpfand (N.)
Pfand an leblosen beweglichen (in Kisten aufbewahrbaren) Sachen
Lit.: Hübner 470
k. k. (kaiserlich-königlich, Österreich 1867, nicht pragmatische
Angelegenheiten) →k. u. k.
Klage ist
im rechtlichen Sinn das Begehren des Klägers an das Gericht auf Rechtsschutz
gegenüber dem Beklagten. Im römischen Recht ist K. die (lat.) →actio (F.),
für die der Verletzte bei dem Gerichtsmagistrat die Einsetzung eines Gerichts (meist
lat. [N.] iudex) und einer Anweisung einer Entscheidung verlangt. Von K. wird
wohl unter kirchlichem Einfluss erst seit dem Frühmittelalter gesprochen, in
dem sich der Verletzte nicht mehr unmittelbar gegen einen möglichen Verletzer,
sondern hauptsächlich an einen Herrschaftsträger mit der Bitte um Unterstützung
bei der Verfolgung des Rechtes wendet. Im Hochmittelalter werden verschiedene
Arten der K. unterschieden (um Eigen und Erbe, um Gut, um Schuld, später
bürgerliche K., peinliche K. und gemischte K.) und anscheinend genaue
Formulierungen oder auch bestimmte Wörter verlangt (→Prozessgefahr), so
dass Vertreter im Wort (→Fürsprecher) erscheinen. Mit dem im
Spätmittelalter aus Oberitalien kommenden gelehrten Verfahrensrecht wird die K.
vielfach schriftlich und durch Vertreter in der Sache (→Anwalt) geformt.
Lit.: Kaser § 82 II; Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 86,
116, 117, 156, 202; Laband, P., Die vermögensrechtlichen Klagen, 1869; Planck,
J., Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, Bd. 1 1878/9, Neudruck 1973,
357, 757; Turner, V., The King and his Courts, 1968; Schlosser, H.,
Spätmittelalterlicher Zivilprozess, 1971; Gudian, G., Zur Klage mit
Schadensformel, ZRG GA 90 (1973), 121; Handbuch der Quellen und Literatur der
neueren euopäischen Privatrechtsgeschichte, hg. v. Coing, H., Bd. 1ff. 1973ff.,
383,467; Köbler, G., Klage, klagen, Kläger, ZRG GA 92 (1975), 1; Apathy, P.,
Die publizianische Klage, 1981; Litewski, W., Mündliche Klage und Klageschrift,
FS K. Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997; Bieresbom, D., Klage und
Klageerwiderung im deutschen und englischen Zivilprozess, 1999; Artner, M.,
Agere praescriptis verbis, 2002; Halfmeier, A., Popularklagen im Privatrecht,
2006
Klage gegen den toten Mann ist eine wissenschaftliche Bezeichnung des Verfahrens
gegen den auf handhafter Tat erschlagenen Täter. Sie ist vor allem im
altnordischen Recht verbreitet. Seit dem 13. Jh. wird die K. g. d. t. M. durch
die anerkannte Berufung auf Notwehr verdrängt.
Lit.: Scherer, Die Klage gegen den toten Mann, 1909;
Fischer, P., Strafen und sichernde Maßnahmen gegen Tote, 1936; Wallén, P., Die
Klage gegen den Toten, 1958
Klage mit dem toten Mann ist im norddeutschen Recht des Mittelalters ein Verfahren
gegen den auf handhafter Tat erschlagenen, vor Gericht gebrachten Täter.
Lit.: Brunner, H., Die Klage mit dem toten Mann, ZRG GA 31
(1910), 235; Frommhold, G., Zur Klage mit dem toten Mann und mit der toten
Hand, ZRG GA 36 (1915), 458
Klageformel ist im römischen Formularprozess die Anweisung und die Ermächtigung des
Gerichtsmagistrats an einen (lat.) iudex (M.), den Beklagten unter bestimmten
Bedingungen zu verurteilen oder freizusprechen. Die K. enthält üblicherweise
eine Sachverhaltsbeschreibung (lat. demonstratio), ein Begehren (lat. intentio)
und einen Verurteilungsbefehl (lat. condemnatio).
Klagengewere ist
im mittelalterlichen sächsischen Prozess die Zusicherung des Klägers gegenüber
dem Beklagten, dass er zur →Klage befugt sei. Macht ein zweiter
Beteiligter gegen den Beklagten das Recht geltend, muss der Kläger die
Ansprüche vom Beklagten abwehren. Gelingt dies nicht, muss er die eigene Klage
aufgeben und →Gewette zahlen. Im 18. Jh. verschwindet die K. Sie wird von
der Litiskontestation und der Einrede der Rechtskraft verdrängt.
Lit.: Ebeling, K., Die Klagengewere, Diss. jur. Frankfurt
am Main 1958
Klagenkonkurrenz ist im klassischen römischen Recht die mehrfache
Geltendmachung einer Klage (gegen mehrere Beteiligte, kumulative K.). Geht es
um (lat.) eadem res (denselben Gegenstand), besteht grundsätzlich strenge
Alternativität und wird mit der ersten (lat.) litis contestatio (F.) die Klage
verbraucht.
Lit.: Kaser § 82 III; Köbler, DRG 48; Liebs, D., Die Klagenkonkurrenz
im römischen Recht, 1972
Klagenkonsumtion ist im altrömischen Recht der Ausschluss eines zweiten
Streites über das geltend gemachte Recht durch die Streiteinsetzung (lat. [F.] →litiscontestatio)
bzw. bei einer auf den Sachverhalt hin ausgerichteten Klage und einer sachverfolgenden
Klage durch die Einrede der beurteilten Angelegenheit (lat. [F.] exceptio rei
iudicatae).
Lit.: Kaser § 80 II, 82 III, 87 II;
Köbler, DRG 19
Kläger ist,
wer durch eine →Klage vom Gericht Rechtsschutz begehrt. Wo kein K. (ist),
da kein Richter (vgl. Codex 3, 7, 1 [lat.] invitus agere vel accusare nemo
cogitur, gegen seinen Willen wird niemand zum Klagen oder Anklagen gezwungen).
Lit.: Söllner § 9; Köbler, G., Klage, klagen, Kläger, ZRG
GA 92 (1975), 1
Klageschrift ist
im gelehrten Prozessrecht seit dem Spätmittelalter der Schriftsatz, durch den
der →Kläger →Klage erhebt bzw. Rechtsschutz begehrt. Der Kläger
überreicht die K. dem Beklagten im Termin. Später reicht er sie bei Gericht
ein.
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Köbler, DRG 117; Bethmann Hollweg,
M. v., Der germanisch-römische Zivilprozess im Mittelalter, Bd. 1 1868ff.,
Neudruck 1959; Litewski, W., Mündliche Klage und Klageschrift, FS K.
Kroeschell, hg. v. Köbler, G. u. a., 1997
Klagspiegel ist
die 1516 von Sebastian →Brant unter dem Titel Richterlich Clagspiegel neu
aufgelegte, vermutlich von einem Stadtschreiber (Conrad Heyden, aus Schwäbisch
Hall oder der Umgebung, ab 1403 Studium in Erfurt als pauper, ohne Abschluss,
1413 Stadtschreiber Schwäbisch Hall, 1436 entlassen, † 1444) in Schwäbisch
Hall um 1436 verfasste, zwei Teile umfassende Schrift über Verfahrensfragen.
Der erste Teil will, hauptsächlich nach Roffredus, De libellis iuris civilis
(Von Büchlein des weltlichen Rechtes), ein Handbuch des geschriebenen Rechtes
bieten. Der zweite Teil stellt Strafrecht und Strafverfahren nach römischen Rechtsgrundsätzen
(Digesten, Codex, Durantis, Speculum iudiciale u. a.) dar. Insgesamt ist der K.
die älteste und umfassendste Wiedergabe des römischen Rechtes in deutscher
Sprache und unter Zuschnitt auf die einheimischen zeitgenössischen
Bedürfnisse. Er wird von 1460-1470 bis über die Mitte des 16. Jh.s in 24
Auflagen gedruckt und bildet eine wichtige Quelle der Stadtrechtsreformation
von →Worms, der (lat.) →Constitutio (F.) Criminalis Bambergensis
(1507), für (Tenglers →Laienspiegel 1509/1511 [streitg, vielleicht nur
gemeinsame Vorlagen],) Justin Goblers Der Rechten Spiegel (1550) und Heinrich
Rauchdorns Practica und Proceß peinlicher Halsgerichtsordnung (1564).
Lit.: Kroeschell, DRG 2; Stintzing, R., Geschichte der
populären Literatur, 1867, Neudruck 1959, 335; Deutsch, A., Der Klagspiegel,
2004
Klammer,
Balthasar (Kaufbeuren um 1504-Celle 6.(?) 2. 1578), Bürgermeisterssohn, wird
nach dem Studium von Theologie und Recht in Ingolstadt und Leipzig 1529 Notar,
1530 Professor in Marburg und 1540 Kanzler der Herzöge von
Braunschweig-Lüneburg. Neben der Mitwirkung an wichtigen Landesgesetzen
(Hofgerichtsordnung, Kanzleiordnung, Polizeiordnung) verfasst er 1565 ein
posthum vielfach gedrucktes, deutsches (lat.) Compendium (N.) iuris (Lehnrecht
und Landrecht) mit lateinischen Erläuterungen.
Lit.: Eckhardt, A., Der Lüneburger Kanzler Balthasar
Klammer und sein Compendium juris, 1964; Theuerkauf, G., Lex, Speculum,
Compendium iuris, 1968
Klasse (F.)
Gruppe
Lit.: Gall, L., Vom Staat zur Klasse, HZ 261 (1995), 1;
Meyer, T., Stand und Klasse, 1997
Klassenjustiz ist die Ausübung des Richteramtes durch Angehörige der gesellschaftlich
herrschenden →Klasse (Liebknecht 1907) bzw. nach Klassen unterscheidende,
im Dienste einer herrschenden Klasse stehende Rechtspflege.
Lit.: Kroeschell, 20 Jh.; Engels, F.,
Die Lage der arbeitenden Klasse in England, 1845; Döhring, E., Geschichte der deutschen
Rechtspflege, 1953, 46; Kocka, J., Lohnarbeit und Klassenbildung, 1983; Rohrßen, B., Von der Anreizung zum Klassenkampf zur
Volksverhetzung (§ 130 StGB), 2009
Klassisches römisches Recht (vgl. Hugo 1790 Lehrbuch und Chrestomathie des classischen
Pandectenrechts) →römisches Recht
Kleid ist
eine dem Schutz und Schmuck dienende, durch Tätigkeit geschaffene Umhüllung
des Menschen. Das Kleid kann durch Rechtssätze festgelegt werden (Kleiderordnung).
Es kann als Metapher oder Kennzeichen für rechtliche Vorgänge und Zustände
Verwendung finden (→Gewere, →Investitur, Robe, Uniform).
Lit.: Grimm, J., Deutsche
Rechtsaltertümer, 1828, 4. A. 1899, Neudruck 1922, 1989, 1994; Kania, K., Kleidung im Mittelalter, 2010
Kleiderordnung ist eine →Ordnung über die Verwendung von →Kleidern.
Vielleicht unter dem Einfluss der Kirche, in der die Bekleidung der Geistlichen
von erheblicher Bedeutung ist, werden im Spätmittelalter zum Schutz vor Verschwendung
an vielen Orten Kleiderordnungen erlassen (Spanien 1234/1256, Frankreich
1279/1294, Hannover 1312, England 1336, Göttingen 1340). Dabei gehen die Städte
den Ländern anscheinend voran.
Lit.: Köbler, DRG 139;
Hampel-Kallbrunner, G., Beiträge zur Geschichte der Kleiderordnungen, 1962;
Eisenbart, L., Kleiderordnungen, 1962; Schädler, K., Die Lederhose in Bayern
und Tirol, 1962; Baur, V., Kleiderordnungen in Bayern, 1975; Jarrett, L.,
Striptease, 1999; Reich, A., Kleidung als Spiegelbild sozialer Differenzierung,
2005 Klein, Ernst Ferdinand (Breslau 3. 9. 1744-Berlin 18. 3. 1810),
Kaufmannssohn, wird nach dem Rechtsstudium in Halle (Nettelbladt) Anwalt, 1781
Mitarbeiter am Allgemeinen Landrecht Preußens (Strafrecht), 1791 Professor in
Halle und 1800 Richter in Berlin. In seinen Merkwürdigen Rechtssprüchen der
Hallischen Juristenfakultät erarbeitet er Ansätze für sichernde Maßnahmen.
Lit.: Mumme, H., Ernst Ferdinand Kleins Auffassung von der
Strafe und den sichernden Maßnahmen, 1936; Hoffmann, U., Ernst Ferdinand Kleins
Lehre vom Verhältnis von Strafen und sichernden Maßnahmen, Diss. jur. Breslau,
1938; Brünker, H., Der Kriminalist Ernst Ferdinand Klein, Diss. jur. Bonn 1973;
Kleensang, M., Das Konzept der bürgerlichen Gesellschaft bei E. F. Klein, 1998
Klein,
Franz (Wien 24. 4. 1854-6. 4. 1926), Goldschmiedssohn, wird nach dem
Rechtsstudium in Wien 1885 Kanzleidirektor, 1891 außerordentlicher Professor
und 1895 ordentlicher Universitätsprofessor. Auf Grund der Schrift (lat.) Pro
futuro (Für die Zukunft) wird er Beamter des Justizministeriums in →Österreich
und arbeitet die Zivilprozessordnung (1895), die Exekutionsordnung und das
Gerichtsorganisationsgesetz aus, in denen die Stellung des Richters gestärkt
wird.
Lit.: Festschrift Franz Klein, 1914; Forschungsband Franz
Klein, hg. v. Hofmeister, H., 1988
kleindeutsch (Adj.) deutsch ohne Österreich
Kleines Kaiserrecht ist ein wohl zwischen 1328 und 1350 zwischen Frankfurt am Main und der
Wetterau nach dem später sog. →Schwabenspiegel (Kaiserrecht) abgefasstes
Rechtsbuch eines fränkischen Anhängers Kaiser Ludwigs des Bayern. Es enthält
Prozessrecht und Gerichtsverfassungsrecht, Privatrecht und Strafrecht,
Lehnrecht (besonders der Reichsdienstmannen) und Recht der Reichsstädte.
Lit.: Das Keyserrecht, hg. v. Endemann, H., 1846; Gosen, J.
v., Das Privatrecht nach dem kleinen Kaiserrecht, 1866; Schröder, E., Ein
altertümliches Bruchstück, ZRG GA 17 (1896), 120; Isay, H., Zur Geschichte des
kleinen Kaiserrechts, ZRG GA 19 (1998), 145; Munzel, D., Die Innsbrucker
Handschrift des Kleinen Kaiserrechts, 1974; Munzel, D., (in) Oppitz, U.,
Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Bd. 1 1990, 42; Munzel-Everling, D.,
Des keisers recht, 2003
Klenkok,
Johannes (Brücken 1. Viertel 14. Jh.-Avignon 15. 6. 1374), Professor der
Theologie, stellt in Magdeburg 1369 zehn (später 21) Artikel des →Sachsenspiegels
zusammen, die nach seiner Ansicht gegen kirchliches Recht verstoßen (lat.
[M.Pl.] →articuli reprobati).
Lit.: Böhlau, H., Zur Chronologie, ZRG GA 4 (1883), 118;
Kullmann, J., Klenkok und die „articuli reprobati“ des Sachsenspiegels, Diss.
jur. Frankfurt am Main 1959; Oppitz, U., Deutsche Rechtsbücher des
Mittelalters, Bd. 1 1990, 28
Kleriker ist
der Angehörige des →Klerus. Für ihn gilt das kirchliche Recht. Da vor
allem im Frühmittelalter fast nur K. schreiben können, sind sie gleichzeitig
Träger wichtiger weltlicher Aufgaben (vgl. engl. clerk).
Lit.: Kroeschell, DRG 1, 2; Poncet, P., Les privilèges des
clercs au moyen-âge, 1901; Moeller, B., Kleriker als Bürger, FS H. Heimpel, Bd.
2 1972, 195
Klerus ist
im katholischen Kirchenrecht der geistliche Stand im Gegensatz vor allem zu den
Laien. Der K. hat zahlreiche Standespflichten. Umgekehrt genießt er zumindest
zeitweise erhöhten Schutz gegen Ehrverletzungen (lat. privilegium [N.] canonis,
vgl. C. 1, 3, 10), Befreiung von der weltlichen Gerichtsbarkeit (lat.
privilegium [N.] fori, vgl. Nov. 79 u. Ä.), Befreiung von weltlichen Pflichten
wie Kriegsdienst, Schöffenamt u. s. w.
(lat. privilegium [N.] immunitatis, vgl. Codex Theodosianus 16, 2) und Schutz
vor Zwangsvollstreckung (lat. beneficium [N.] competentiae, vgl. Liber extra 3,
23, 3). Während des Heiligen römischen Reiches ist der K. sowohl in den Reichsständen wie
auch in den Landständen ansehnlich vertreten.
Lit.: Schulte, A., Der Adel und die deutsche Kirche im
Mittelalter, 3. A. 1958; Feine, H., Kirchliche Rechtsgeschichte, 1950, 5. A.
1972; Erler, A., Kirchenrecht, 5. A. 1983; Johag, H., Die Beziehungen zwischen
Klerus und Bürgerschaft, 1977; Schulte-Umberg, T., Profession und Charisma,
1999
Klettgau
Lit.: Peter, A., Das Landgericht
Klettgau, 1966
Kleve,
Cleve, ist eine im 11. Jh. entstandene Grafschaft, die 1417 zum Herzogtum
erhoben wird und 1614 an Brandenburg (bzw. 1701 Preußen) fällt.
Lit.: Köbler, Historisches Lexikon; Scotti, J., Sammlung
der Gesetze und Verordnungen, 1821; Scotti, J., Sammlung der Gesetze und
Verordnungen, 1826; Schottmüller, K., Die Organisation der Centralverwaltung
in Kleve-Mark, 1896; Wollenhaupt, L., Die Cleve-Märkischen Stände im 18.
Jahrhundert, 1924; Ilgen, T., Quellen zur inneren Geschichte der rheinischen
Territorien – Herzogtum Kleve, 1921; Rüthning, G., Ein bisher unbekanntes
Stadtrecht von Kleve, ZRG GA 55 (1935), 239; Köbler, G., Gericht und Recht in
der Provinz Westfalen (1815-1945), FS G. Schmelzeisen, 1980, 176; Klevische
Städteprivilegien, hg. v. Fink, K., 1989; Die ältesten Klever
Stadtrechtshandschriften, bearb. v. Schleidgen, W., 1990; Das Stadtrecht von
Cleve, hg. v. Fink, K., 1991; Die ältesten Klever Stadtrechtshandschriften,
bearb. v. Schleidgen, W., 1994; Der Oberhof Kleve und seine Schöffensprüche,
hg. v. Diestelkamp, B. u. a., 1994; Die klevischen Hofordnungen, hg. v. Flink,
K., 1997; Lieven, J., Adel, Herrschaft und Memoria, 2008
Klöntrup,
Johann Aegidius (Glane 30. 3. 1754-Lechterke 25. 4. 1830), Prokuratorssohn,
wird nach dem Rechtsstudium in Göttingen Anwalt in Osnabrück. Er verfasst
mehrere Werke zum bäuerlichen Recht (u. a. Alphabetisches Handbuch der
besonderen Rechte und Gewohnheiten des Hochstifts Osnabrück, 1798).