Der Oberrheinische Revolutionär. Das buchli der hundert capiteln mit xxxx statuten, bearb. v. Lauterbach, Klaus H. (= Monumenta Germaniae Historica, Staatsschriften des späteren Mittelalters 7). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2009. LXI und 854 S. 8 Abb. Besprochen von Christof Paulus.

 

Hermann Wiesflecker nannte ihn einen „recht zudringlichen Spinner“, einen „Fanatiker“, einen „Weltverbesserer“, der mit seinem evangelisierten Gerechtigkeitsverständnis König/Kaiser Maximilian I. doch recht zugesetzt habe. Bis heute ist die Identität des Oberrheiners nicht gelüftet. Klaus H. Lauterbach hatte selbst in einem Aufsatz des Jahres 1989 Mathias Wurm von Geudertheim als möglichen Verfasser ins Spiel gebracht. Aus dem Text selbst lässt sich ein fachlich, vor allen Dingen juristisch gebildeter, hofnaher und erfahrener Reformer erschließen, dessen Sprache – Oberdeutsch mit alemannischem Grundton – einen Entstehungsort zwischen Basel und Straßburg wahrscheinlich macht.

 

Seit rund einem Vierteljahrhundert verfolgte Lauterbach das Editionsprojekt der durch Herman Haupt entdeckten Schrift, das er nun in einer Maßstäbe setzenden, kritischen und kommentierten Ausgabe vorgelegt hat. Das Manuskript findet sich heute in einem Sammelband der Bibliothèque de la Ville de Colmar (Ms 50, cod. 438). Die rund 1700 zusammenfassenden wie sinnerweiternden Randnotate wurden mitediert. 3300 Fußnoten verorten den geistes-, sozial-, politik- und rechtsgeschichtlich bedeutsamen Text in ein intellektuelles Netz. Lauterbach unterscheidet hierbei zwischen sicheren und wahrscheinlichen Vorlagen, die letztlich einen belesenen Autor zeigen, der die fränkischen Kapitularien ebenso kennt wie Fredegar, Alexander von Roes oder Jakob Unrest.

 

Ist es nit klegelich, daß das schwert der gerechtikeit so gar styl litt? So fragt anklagend der Oberrheiner in seiner dem „buchli“ vorgestellten Offenbarung des Erzengels Michael, mit der er die Schrift in die Tradition der spätmittelalterlichen prognostischen Reformliteratur einordnet (S. 76). Im Kapitelbuch wird eine dem Reformanliegen dienende Weltgeschichte ausgebreitet, das Statutenbuch bietet 19 geistliche und 21 weltliche, aus der „Vernunft der Natur“ abgeleitete Gebote und Gesetze. Wie Lauterbach in seiner Einführung überzeugend darlegt, scheint der Oberrheiner, der zwar betont, es sei besser bäuerlich die Wahrheit denn poetisch das Falsche zu sagen, letztlich dem alten rhetorischen Ideal des aptum verpflichtet zu sein.

 

Die weitgehend zwischen 1498 und 1510 entstandene Schrift eröffnet dem Leser ein breites Panorama einer vermeintlichen Schwellenzeit. Er erfährt nicht nur, weshalb das österreichische Wappen weiß und rot ist (blutiger weißer Rock König Rudolfs, S. 346), sondern die Schrift, welche nun in einer grundlegenden modernen, durch ein Stellen-, Namen- und Wortregister zu erschließenden Ausgabe vorliegt, bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschungen, sei es zur Reform- oder zur Rechtsgeschichte. Kaum ist das eingangs zitierte tischwischende Urteil des Maximiliansbiographen Wiesflecker nach dieser gewichtigen Edition aufrecht zu halten.

 

Seehausen am Staffelsee                                                                                 Christof Paulus