Will, Martin, Selbstverwaltung der Wirtschaft. Recht und Geschichte der Selbstverwaltung in den Industrie- und Handelskammern, Handwerksinnungen, Kreishandwerkerschaften, Handwerkskammern und Landwirtschaftskammern (= Ius Publicum 199). Mohr (Siebeck), Tübingen 2010. XLII, 977 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der 1967 geborene, nach dem Studium von Rechtswissenschaft, Gesellschaftswissenschaft und Sinologie in Marburg und den beiden rechtswissenschaftlichen Staatsprüfungen 1997 in Cambridge zum Master of Law graduierte, 1999 in Mannheim auf Grund seiner Arbeit über Solar power satellites und Völkerrecht - völkerrechtliche Aspekte von Großprojekten zur Energiegewinnung aus Weltraumressourcen zum Doktor der Rechte promovierte, 2007 auf Grund der vorliegenden Untersuchung der Selbstverwaltung der Wirtschaft in Marburg habilitierte Verfasser ist den Lesern bereits durch sein gewichtiges Werk über die Entstehung der Verfassung des Landes Hessen von 1946 bekannt, mit dem er in Marburg 2008 den Doktorgrad der Philosophie erwarb. Die Veröffentlichung seiner umfangreichen Habilitationsschrift verzögerte sich infolge der Vertretung verschiedener Lehrstühle, der Berufung an die Universität Köln und der Fertigstellung seiner geschichtswissenschaftlichen Dissertation geringfügig, doch ist dies durch das Gewicht der Pflichten einsichtig begründet. Aufmerksam gemacht auf die Lücke im bisherigen Schrifttum wurde der inzwischen von Köln an die EBS Law School gewanderte Verfasser von Steffen Detterbeck, dessen Person und Lehrstuhl er wegen steter Gesprächsbereitschaft, idealer Arbeitsbedingungen und der aktiven Verwirklichung des mens sana in corpore sano-Gedankens im legendären Marburger Dozentenfußball sowie in zahlreichen Badmintonmatches in bester Erinnerung hat.

 

Gegliedert ist die die auf einem 50 Seiten umfassenden Quellen- und Literaturverzeichnis ruhende Untersuchung in zwei Teile mit insgesamt neun Kapiteln. Im ersten Teil befasst sich der Autor mit dem Begriff der Selbstverwaltung in der Wirtschaft. Der zweite Teil hat das Recht der Selbstverwaltung in den einzelnen Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft zum Gegenstand.

 

Vorangestellt ist die Einleitung, in welcher der Verfasser die Selbstverwaltung der Wirtschaft als juristischen Forschungsgegenstand erörtert. Zu Recht weist er auf die Strittigkeit der Selbstverwaltung der Wirtschaft hin und stellt die Selbstverwaltung dem Kammerrecht gegenüber. Danach behandelt er als wesentliche Monographien die Arbeiten Friedrich Glums (1925), Kurt Münchs (1936) und Ernst Rudolf Hubers (1958) und beschreibt kurz die sonstige Literatur zum Thema Selbstverwaltung der Wirtschaft, ehe er Gegenstand und Ziel seiner eigenen Untersuchung umreißt.

 

Der erste Teil widmet sich im zweiten Kapitel dem Begriff und den Kategorien der Selbstverwaltung, wobei sich der Verfasser insbesondere mit den Vorstellungen Ernst Rudolf Hubers, Wilhelm Henkes, Ulrich K. Preuß’ und Gunnar Folke Schupperts und in der Folge sehr ausführlich und gründlich mit vielen vom Freiherrn vom Stein bis zu Winfried Kluth vertretenen Positionen auseinandersetzt, um am Ende Kategorien der Selbstverwaltung darzulegen. Das dritte Kapitel untersucht danach Begriff und Erscheinungsformen der Selbstverwaltung der Wirtschaft, durchmisst die geschichtliche Entwicklung von Rudolf von Gneist  wieder bis zu Winfried Kluth und wendet sich daraufhin den Erscheinungsformen der Selbstverwaltung der Wirtschaft zu. Als solche stehen Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Handwerksinnungen, Kreishandwerkerschaften und Landwirtschaftskammern im Mittelpunkt, wobei der Verfasser bei Bedarf nach den einzelnen Bundesländern differenziert.

 

Damit hat er sich selbst Rahmen und Grundstruktur des zweiten Teiles geschaffen. Auf dieser Grundlage räumt er der historischen Entwicklung des Rechts der Industrie- und Handelskammern ein eigenes viertes Kapitel ein. Es beginnt fragend bei den mittelalterlichen Kaufmannsgilden und greift für die Gegenwart auf die internationale und europäische Dimension des Kammerwesens aus.

 

Das fünfte Kapitel legt auf dieser geschichtlichen Grundlage das Recht der Industrie- und Handelskammern dar. Sehr detailliert werden etwa Rechtsform und Rechtsfähigkeit, Verwirklichung der Selbstverwaltung in der mitgliedschaftlichen Struktur, Organe, Aufgaben, Aufsicht und Finanzierung dargelegt. Am Ende bietet der Verfasser eine überzeugende Beurteilung der Industrie- und Handelskammer als Selbstverwaltungskörperschaft der Wirtschaft.

 

Das sechste Kapitel ist wieder historisch ausgerichtet und beschäftigt sich mit der historischen Entwicklung des Rechts der Selbstverwaltung des Handwerks. Auch hier setzt der Verfasser im Mittelalter ein und greift bis zur europäischen Dimension der Gegenwart aus. Am Ende fasst er die Entstehung des heutigen rechtlichen Systems der Selbstveraltungskörperschaften des Handwerks (Handwerksinnung, Kreishandwerkerschaft und Handwerkskammer) knapp und übersichtlich zusammen.

 

Im siebten Kapitel untersucht der Verfasser das Recht der Selbstverwaltungskörperschaften des Handwerks im Detail. Im achten Kapitel verbindet er die die historische Entwicklung des Rechts der Landwirtschaftskammern  seit Vorläufern des 18. Jahrhunderts mit dem aktuellen Recht. Im Anschluss hieran fasst das neunte Kapitel die Ergebnisse  hinsichtlich des Rechts der Selbstverwaltung der Wirtschaft kurz und klar zusammen.

 

Insgesamt hat die Selbstverwaltung der Wirtschaft eine lange Entwicklung hinter sich. Die Idee hat sich aber bis zur Gegenwart einleuchtend verwirklicht. Freilich bleibt nach Ansicht des Verfassers als Optimierungsaufgabe der Übergang von der partizipativen zur demokratischen Selbstverwaltung der Wirtschaft bestehen.

 

Zusammengefasst sieht der Verfasser die Selbstverwaltung der Wirtschaft mit ihrer im Mittelalter wurzelnden Geschichte als traditionsreichste Form der Selbstverwaltung, in der in der Gegenwart Millionen von Berufsträgern und Unternehmen in 80 Industrie- und Handelskammern, 53 Handwerkskammern, 320 Kreishandwerkerschaften, rund 5500 Handwerksinnungen und sieben Landwirtschaftskammern einen umfangreichen wirtschaftlichen Aufgabenkreis verwalten. Auch wenn dem nicht jedermann unbedenklich folgen wird, verdient die grundlegende Leistung des Verfassers doch hohe Anerkennung. Die klare Struktur erschließt das Werk ebenso vorteilhaft wie das benutzerfreundlich angefügte Sachverzeichnis von Aachen bis Zwischenprüfungsausschuss.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler