Westermann, Stefanie, Verschwiegenes Leid. Der Umgang mit den NS-Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik Deutschland (= Menschen und Kulturen 7). Böhlau, Köln 2010. 336 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Rainer Eisfeld betreute, im Sommer2009 vom Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt angenommene Dissertation der in der Bearbeitungszeit an den medizinhistorischen und medizinethischen Instituten der Universitäten Tübingen und Aachen beschäftigten Verfasserin. Bereits im Vorwort zeigt sie den Stand des Jahres 2010 auf, nach dem die von nationalsozialistischen Zwangssterilisationen Betroffenen zumindest geringe Entschädigungen erhalten können, die betreffenden Verbrechen vom Bundestag geächtet und die Urteile der nationalsozialistischen Erbgesundheitsgerichte aufgehoben sind. Der Weg dahin war freilich lang, weil bis in das Ende des 20. Jahrhunderts eine von Juristen und Medizinern behauptete Definitionshoheit herrschte.

 

Ihn verfolgt die Verfasserin nach einer Forschungsstand, Quellen und Methodik behandelnden Einleitung aufmerksam und kritisch in drei Teilen, von denen der erste die Theorie und Praxis der Wertigkeit betrifft. Auf dieser Grundlage wendet sie sich den Wiederaufnahmeverfahren von Erbgesundheitsgerichtsprozessen nach 1945 zu, geht dabei auf einzelne Gerichte ein und setzt die Wiederaufnahmeverfahren in Bezug zur politischen Kultur der Bundesrepublik. Im dritten Teil legt sie die Perspektiven der Betroffenen dar.

 

Insgesamt wurden weit mehr als 300000 Menschen zwischen 1934 und 1945 im nationalsozialistisch beherrschten Deutschen Reich zwangsweise sterilisiert. Dies bedeutete grundsätzlich Zerstörung menschlicher Lebensperspektiven. Die Verfasserin sieht darin zu Recht auch eine Folge der ambivalent wirkenden, vor 1933 beginnenden und nach 1945 andauernden Aufklärung, auf deren menschenunwürdige Auswirkungen sie engagiert und nachdrücklich hinweist.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler