Ditt, Thomas, „Stoßtruppfakultät Breslau“. Rechtswissenschaft im „Grenzland Schlesien“ 1933-1945 (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 67). Mohr (Siebeck), Tübingen 2011. XIV, 318 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Universität Breslau (gegründet 1811) war 1909 noch die drittgrößte preußische Universität, nahm jedoch in der Weimarer Zeit nur noch den fünften Platz ein. Hinsichtlich der Zahl der Jurastudenten belegte die Jurafakultät 1936 den dritten Platz. Nach den Richtlinien für das Studium der Rechtswissenschaft vom Januar 1935 sollten beim Neuaufbau der Universitäten „zunächst die rechtswissenschaftlichen Fakultäten in Kiel, Berlin und Königsberg“ bevorzugt werden, „die als politischer Stoßtrupp ausersehen sind“ (S. 1, 84). Mit seinen Untersuchungen, die von dem Begriff „Stoßtruppfakultät“ ausgehen, verfolgt Ditt weder eine Chronik der Breslauer Fakultät noch eine „Aufarbeitung“ der NS-Verstrickung der Breslauer Juristen (S. 2). Vielmehr ging es Ditt darum zu klären, „inwieweit die Breslauer Rechtsfakultät im Dritten Reich eine wie auch immer geartete Sonderrolle eingenommen hat“, nicht zuletzt auch unter dem Schlagwort „Grenzland-Universität“, als die sich die Breslauer Universität sah. In einem ersten, als „Prolog“ (S. 6-51) bezeichneten Abschnitt behandelt Ditt die Fakultät während der Weimarer Zeit und kennzeichnet in diesem Zusammenhang die politische Stellung der Professoren Axel Frhr. von Freytagh-Loringhoven, Hans Helfritz, Arthur Wegner und Ludwig Waldecker. Der Staatsrechtler Helfritz lehnte zwar die Weimarer Republik ab, nahm aber auch gegenüber dem NS-Regime eine kritische Haltung ein (S. 20ff., 31ff., 276ff.). Der aus dem Baltikum stammende Völkerrechtlicher Freytagh-Loringhoven wurde erst 1934 in die Fakultät als Ordinarius integriert, trat aber nicht der NSDAP bei. Gegen den Rechtslehrer jüdischer Abstammung Ernst Cohn, der am 5. 7. 1932 zum Professor ernannt worden war, wandte sich schon im August 1932 die Studentenschaft und behinderte ab November 1932 dessen Vorlesungen (S. 35ff.). Nach dem „Prolog“ geht es im ersten Kapitel um „Konzepte und Personalpolitik“ (S. 52ff.). Aufgrund des Berufsbeamtengesetzes vom April 1933 wurden entlassen bzw. zunächst versetzt die Professoren Cohn, Stefan, Riesenfeld, Eugen Rosenstock-Huessy, Friedrich Schöndorf, Otto Prausnitz und Ludwig Waldecker (S. 43). Ohne ein formelles Berufungsverfahren kam 1933 der Staats- und Völkerrechtler Gustav Adolf Walz (seit 1931 Mitglied der NSDAP) an die Universität Breslau, der er von Ende 1933 bis 1937 als Rektor vorstand. Seine Pläne, die Breslauer Universität zur Grenzland-Universität und „Reichsuniversität“ auszubauen, konnte Walz nur zum Teil verwirklichen. Dekan der Juristenfakultät von November 1935 bis Herbst 1937 war (als Nachfolger Naglers) Heinrich Lange, der zum Sommersemester 1934 als „engagierter Nationalsozialist“ nach Breslau kam und bereits auf dem Leipziger Juristentag im Oktober 1933 hervorgetreten und als nationalsozialistische Bekenntnisschrift: „Liberalismus, Nationalsozialismus und Bürgerliches Recht“ (beruhend auf einem Vortrag im Mai 1933 vor der BNSDJ-Bezirksgruppe Leipzig; S. 94) veröffentlicht hatte. Das von Lange begründete Institut zur „Erneuerung des Bürgerlichen Rechts Institut des Rechts“ (S. 222 ff.) unterstützte seine Tätigkeit als Vorsitzender des Erbrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht. Weniger stark als Lange und Walz traten die neu berufenen Professoren Heinrich Henkel (für Strafrecht; 1935-1945) und Hans Würdinger (1935-1938) ein. Der Rechtshistoriker Hans Thieme (ab 1934 in Breslau) positionierte sich kaum im nationalsozialistischen Sinn (S. 105ff., 195ff.). Als Nachfolger Langes kam Wilhelm Felgentraeger 1940, für Würdinger der Arbeitsrechter Rolf Dietz nach Breslau.

 

Im zweiten Kapitel: „Recht im Grenzland“ beschäftigt sich Ditt mit der Arbeit der rechtswissenschaftlichen Abteilung des Osteuropa-Instituts (S. 138ff.), der Neuausrichtung des Instituts auf Polen (1934-1939) und den Publikationsorganen der Rechtsabteilung des Instituts (Zeitschrift für Ostrecht; ab 1934: Zeitschrift für osteuropäisches Recht), in denen Reinhard Maurach bis 1973 zahlreiche Aufsätze zum sowjetischen Recht veröffentlichte, von denen derjenige über die neue sowjetische Verfassung zu seiner Entlassung führte (S. 150ff.). Den Ostbezug der Fakultät für das Völker- und Nationalitätenrecht stellten die Veröffentlichungen von Walz und von Freytagh-Loringhoven sowie für die Rechtsgeschichte von Schlesien und das im Osten verbreitete Magdeburger Stadtrecht Theodor Goerlitz her (S. 162 ff., 182 ff.). Im dritten Kapitel: „Gemeinschaftsdenken in der Stoßtrupp-Fakultät“ (S. 203ff.) stellt Ditt heraus, dass im Unterschied zur Kieler Fakultät die Breslauer Juristen „kein einheitliches Fundament“ gehabt hätten. Nach einer kurzen Phase der Zusammenarbeit im Kitzeberger „Wissenschaftslager“ (S. 212ff.) positionierten sich alsbald Würdinger und Lange ablehnend gegenüber den Autoren der Kieler Schule und verteidigten ungeachtet der von ihnen befürworteten und geplanten Neukodifikation des Zivilrechts teilweise die Errungenschaften der Kodifikationen des 19. Jahrhunderts (S. 249ff.). Eine von den Kieler Juristen abweichende Meinung vertrat Lange auch hinsichtlich der juristischen Studienordnung (S. 257ff.). Zur Begründung einer „Breslauer Schule“, die Lange Ende 1942 für den Fall einer Rückberufung nach Breslau erwog (S. 226ff.), kam es nicht mehr. Hingewiesen sei noch auf den Strafrechtler Nagler, der zwar die nationalsozialistische Strafrechtserneuerung befürwortete (S. 242ff.), jedoch „unbeschadet der neuen Geisteshaltung bei den zeitbedingten Neubildungen die brauchbaren Überlieferungen“ bewahren wollte (so Nagler 1938; S. 249).

 

Für seine Arbeiten konnte Ditt insbesondere auf die fast vollständig erhalten gebliebenen Akten der Breslauer Fakultät zurückgreifen (S. 3), so dass er außer für die Breslauer Fakultätsgeschichte auch für die Biographien der Breslauer Hochschullehrer wichtige neue Details ermitteln konnte, insbesondere für Helfritz, Walz, Heinrich Lange, Heinrich Henkel, Thieme, Nagler und Felgentraeger, dessen Positionen insbesondere für seine Dekanatszeit Ditt nicht näher herausgearbeitet hat. Trotz der eingangs erwähnten Zielsetzung liegt mit der Darstellung Ditts eine hinreichend detaillierte Geschichte der Breslauer Juristenfakultät für die NS-Zeit vor, zumal Ditt auch auf die Inhalte der Veröffentlichungen der dortigen Hochschullehrer eingeht (vgl. S. 3). Es wäre wünschenswert gewesen, wenn dies in noch breiterem Umfang geschehen wäre. Weitgehend offen geblieben ist das Verhältnis der staats- bzw. (ab 1941) wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung zur rechtswissenschaftlichen Abteilung der Gesamtfakultät. Insbesondere über den Finanzwissenschaftler und zeitweiligen Dekan Günter Schmölders hätte man gerne mehr erfahren. Das Gleiche gilt für die Kriegszeit und das Ende der Breslauer staats- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Das Werk wird abgeschlossen mit einem umfangreichen Personenregister. Nützlich wären noch zusammenfassende Kurzbiographien für die Breslauer Hochschullehrer, welche die Orientierung des Lesers erleichtert hätten. Gesamtübersichten über die Lehrveranstaltungen zwischen 1933-1945 sowie über die Anzahl der Studenten und Promotionen für diese Zeit fehlen.

 

Insgesamt liegt mit dem Werk Ditts erstmals eine Geschichte der Rechtswissenschaftlichen Abteilung der Breslauer rechts- und volkswirtschaftlichen Fakultät für die NS-Zeit vor. Es ist zu hoffen, dass es nicht bei dieser Darstellung verbleibt, sondern dass weitere Arbeiten zur Geschichte der Breslauer Juristenfakultät insbesondere im 19. Jahrhundert, wo von Bar, Otto von Gierke und Ernst Beling lehrten, wie auch zur Justizgeschichte Schlesiens und in diesem Zusammenhang auch zum Schicksal der jüdischen, vor allem Breslauer Anwälte ab 1933 in Angriff genommen werden.

 

Kiel

Werner Schubert