Zur Sozial- und Kulturgeschichte der mittelalterlichen Burg. Archäologie und Geschichte, hg. v. Clemens, Lukas/Schmitt, Sigrid (= Interdisziplinärer Dialog zwischen Archäologie und Geschichte 1). Kliomedia, Trier 2010. 232 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Lange Zeit, so klagen die Herausgeber, erfolgte die Beschäftigung mit Burgen überwiegend in den Einzeldisziplinen Geschichtswissenschaft, Archäologie, Architekturgeschichte oder Kunstgeschichte oder blieb jedenfalls die mittelalterliche Geschichte in interdisziplinärer Burgenforschung ausgespart. Gerade die Mittelalterarchäologie habe aber in den letzten beiden Jahrzehnten zahlreiche neue Erkenntnisse über Burgen gewonnen, die bislang nur ansatzweise von der historischen Forschung zur Kenntnis genommen worden seien. Deswegen sei der in Schloss Dhaun vom 22. bis 24. September 2005 neu aufgenommene interdisziplinäre Dialog zwischen Archäologie und Geschichte notwendig, auch wenn sich die Drucklegung aus verschiedenen Gründen verzögert habe und Beiträge von Horst Wolfgang Böhme über die Anfänge des mittelalterlichen Burgenbaus und Bernhard Metz über den Straßburger Adel und seine Burg (von der Stadt aufs Land) überhaupt fehlten.

 

Der mit vielen Bildern ausgestattete, auf gediegenem Papier gedruckte, glanzvolle schmale Band beginnt mit Starigard/Oldenburg im 10. Jahrhundert (Wolf-Rüdiger Tergen/Michael Schultz), dessen 178-280 Tote (bei etwa 40 gleichzeitig lebenden Bewohnern) überwiegend ältere Männer (, 173,6 cm, Fürsten) mit jüngeren Frauen (163 cm) waren, die zahlreiche Erkrankungen innerhalb einer gewalttätigen, von Männern dominierten Gesellschaft aufwiesen (16 Fälle von Karies). Danach beantwortet Norbert Gossler die Frage der Gleichsetzung von sozialer Stellung und materieller Kultur in der Form einer nichtlinearen Gleichung mit mehreren Variablen, die unterschiedliche Gewichtungen haben können. Reinhard Friedrich behandelt die Burgen im Mittelrheingebiet unter siedlungsgeschichtlichen Aspekten.

 

Sigrid Schmitt beobachtet den Burgenbau von Ministerialen im Hochmittealter unter der Fragestellung von Symbolen der Macht. Lukas Clemens ermittelt 20 Wohntürme in Trier im 11./12. Jahrhundert (darunter den auf dem Umschlag vorgestellten fünfgeschossigen, rekonstruierten Turm Jerusalem), die teils römische Monumente nutzen, teils antike Bauweise bewusst nachvollziehen. Kurt Andermann befasst sich mit dem Haus mit einem steinernen Fuß und einem hohen Ziegeldach.

 

Volker Rödel widmet sich den Burgmannen und Ganerben, Cordula Nolte den Frauen in der Burg, Friedhelm Burgard der teilweise nichtadeligen  Herkunft der 100 Amtleute in Kurtrier (48 Ritter, 16 Edelknechte). Regina Schäfer spürt Burgen in Dörfern Rheinhessens auf, während Michel Margue die Bedeutung des Burgfriedens untersucht. Ein Register von Abenheim bis Zwingenberg erschließt den vielfältige neue Erkenntnisse vermittelnden Band, der eine Fortsetzung des angestoßenen Gesprächs verdiente.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler