Vogel, Stefan, Josef Esser -Brückenbauer zwischen Theorie und Praxis (= Schriften zur Rechtswissenschaft 126). wvb, Berlin 2009. XI, 241 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Dieter Simon betreute, im Dezember 2008 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität in Berlin angenommene Dissertation des Verfassers. Ihr Ziel ist es, das weitverstreute rechtstheoretische Werk des bedeutenden Zivilrechtslehrers zusammenzuführen, in seinen rechtstheoretischen Kontext zu stellen und auf diese Weise erneut ins Bewusstsein zu rufen. Dies hat Josef Esser zweifellos verdient.

 

Gegliedert ist die an eher entlegener Stelle veröffentlichte Schrift in insgesamt 10 Abschnitte. Zu Beginn widmet sich der Verfasser dabei naheliegenderweise dem Lebenslauf. Danach geht er ausführlich auf das rechtstheoretische Werk ein, demgegenüber die Dogmatik gegen Ende behandelt wird.

 

Der in Schwanheim südwestlich Frankfurts am Main am 12. 3. 1910 als Sohn des Gemeindevorstehers geborene, in drei Jahren die örtliche Volksschule und danach das humanistische Kaiser-Friedrich-Gymnasium  in Frankfurt durchlaufende Josef (Egidius) Esser wurde nach dem Studium der Rechtswissenschaft in Lausanne, Paris und Frankfurt am Main und nach der am 28. 2. 1932 mit gut bestandenen ersten juristischen Staatsprüfung Assistent Hugo Sinzheimers und nach dessen Emigration in die Niederlande (1933) Arthur Baumgartens. 1935 auf Grund einer von Fritz von Hippel betreuten Dissertation über Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen promoviert, wurde er aus politischen Gründen seiner Assistentenstelle entsetzt. Da ihm auch die Habilitation verweigert wurde und ihm der Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt trotz fachlicher Qualifikation die aktive Bewährung absprach und damit eine weitere Tätigkeit in der Justiz verwehrte, wechselte er 1936 als Syndikus in den Dienst der Stadt Mönchen-Gladbach (Mönchengladbach).

 

1940 erfolgte wegen des kriegsbedingten Mangels an Lehrenden unter der Auflage, keinen Lehrstuhl in Frankfurt anzustreben, die Habilitation auf Grund einer erweiterten Fassung der Dissertation unter der Betreuung Fritz Hippels. Danach erhielt Esser mit der Vorlage seiner beeindruckenden Untersuchung über Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung eine Lehrstuhlvertretung an der Universität Freiburg im Breisgau und eine außerordentliche Professur für bürgerliches Recht und Handelsrecht in Greifswald, 1943 eine ordentliche Professur für bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht, später auch für Rechtsphilosophie und Zivilprozessrecht in Innsbruck. Dort erlangte er zwar im Gegensatz zu den meisten Reichsdeutschen nach Kriegsende die Staatsbürgerschaft Österreichs und behielt auch (trotz Enthebung von 1946 bis 1948) seine Professur, wechselte aber nach der Entnazifizierung 1949 nach Mainz und nach Erscheinen seines Lehrbuchs des Schuldrechts (1949) und nach einer Forschungsreise an 12 ausgewählte Universitäten der Vereinigten Staaten von Amerika (1955) im Jahre 1961 nach Tübingen, wo er 1977 emeritiert wurde und 1999 im Alter von fast 90 Jahren verstarb.

 

Nach dieser nicht wirklich in die Einzelheiten vordringenden Beschreibung des Lebenslaufes schildert der Verfasser das rechtstheoretische Umfeld vom Formalismus bis zur Wertungsjurisprudenz, den erkenntnistheoretischen Aspekt und den methodentheoretischen Aspekt der Rechtsfiktionen, die Befassung mit den Grundbegriffen Recht, Gerechtigkeit und Staat sowie mit der Rechtsverwirklichung, das von Esser 1956 aufgegriffene Verhältnis von Grundsatz und Norm einschließlich der Prinzipien im Richterrecht und im supranationalen Recht, die von Esser 1970 problematisierte Beziehung von Vorverständnis und Methodenwahl, die dazu laut gewordenen kritischen Stimmen sowie Essers vielfältige und immer wieder anregende Beiträge zu Richterrecht, Rechtssicherheit als Ideologie und im Übrigen auch zur Dogmatik. Insgesamt kann er erweisen, dass Esser vielfach seiner Zeit voraus entscheidende Anstöße zu neuen und nachhaltigen Entwicklungen in der Methodenlehre gegeben hat und damit für die deutsche Methodenlehre mehr geleistet hat als mancher eigentlicher Methodenlehrer. Verschiedene Anhänge schließen die interessante Untersuchung, die einen wichtigen Beitrag zu einer umfassenden Gesamtbiographie Essers bilden kann, nutzbringend ab.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler