Transfer of Title Concerning Movables - Eigentumsübertragung an beweglichen Sachen in Europa, hg. v. Rainer, Johannes Michael (= Salzburger Studien zum europäischen Privatrecht 18-21) Part I Introduction, Estonia, Italy, Poland, Portugal, Scotland, Slovenia, Spain -Teil 1 Einführung, Estland, Italien, Polen, Portugal, Schottland, Slowenien, Spanien, hg. v. Rainer, Johannes Michael/Filip-Fröschl, Johanna, Part II - Teil 2 McGuire, Mary-Rose, National Report Germany, Part III - Teil 3 Martinson, Claes, National Report Sweden, Salomons, Arthur, Part IV - Teil 4 National Report The Netherlands. Lang, Frankfurt am Main 2006. 210, 144, 97, 102 S. Besprochen von Christian Baldus.

 

1. Zu den prägenden Merkmalen, anhand derer man Rechtssysteme zu klassifizieren und zu gruppieren pflegt, gehört die Regelung des Eigentumsübergangs, namentlich in ihrem Verhältnis zu entsprechenden schuldrechtlichen Geschäften. Das ist ein altes Thema der Rechtsvergleichung, und auch Vereinheitlichungsprojekte kümmern sich darum. Zwar ist derzeit das Sachenrecht nur in Teilen unionsrechtlich berührt (vgl. Schmidt-Kessel, Martin Sachenrecht im Gemeinschaftsprivatrecht - eine Skizze -, in: Deutsches Sachenrecht in polnischer Gerichtspraxis. Das BGB-Sachenrecht in der polnischen höchstrichterlichen Rechtsprechung in den Jahren 1920-1939: Tradition und Europäische Perspektive, hg. v. Dajczak, Wojciech /Knothe, Hans-Georg, Berlin 2005, 341-367). Aber was nicht ist, das kann noch werden, ausgehend von den Sicherungsrechten oder (aktuell) von der Erbrechtsvereinheitlichung (mahnend Buschbaum, Markus/Kohler, Marius, Vereinheitlichung des Erbkollisionsrechts in Europa. Eine kritische Würdigung des Kommissionsvorschlags zur Erbrechtsverordnung. Erster Teil, in: GPR 2010, 106-113, 108ff.). Dann muss die historische Rechtsvergleichung vorbereitet sein. In diesem Zusammenhang stehen die vier hier anzuzeigenden Bände, genauer: im Zusammenhang der Study Group on a European Civil Code. Die Salzburger Arbeitsgruppe von Johannes Michael Rainer und Johanna Filip-Fröschl hat sie hervorgebracht. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Rezension – ohne Willen des Verfassers oder der Redaktion lange verzögert – kann man auch Buch VIII des Draft Common Frame of Reference (hg. v. Bar, Christian von/Clive, Eric/Schulte-Nölke, Hans, München 2009) vor dem Hintergrund dieses rechtsvergleichenden Panoramas lesen (s. weiterhin Bücher IX, X DCFR).

 

2. Dass gerade aus rechtshistorischer Sicht das Modell des DCFR nicht das einzig denkbare ist, versteht sich. Was bleibt von der eigenständigen Funktion der Sachvindikation, was ist „better possession“, was hat die „protection order“ im materiellen Recht zu suchen? Dazu gibt die Rechtsgeschichte keine zwingenden Antworten vor, sie liefert aber Fragezeichen, die der reine Dogmatiker vielleicht nicht sieht. Die gegenwärtige politische Lage lässt freilich eine baldige Harmonisierung des Sachenrechts nicht als aktuelle Frage erscheinen: Der blue button, die „28. Vertragsrechtsordnung“ (oder die zweite für jedes einzelne Land), dürfte in nächster Zeit im Vordergrund stehen. Vielleicht, so möchte man sagen, richtigerweise. Denn zumindest Akzeptanzprobleme lägen im Sachenrecht nahe, schon wegen der Verwurzelung der bestehenden Systeme (zusammenfassend Johannes Michael Rainer in seinem Einleitungsaufsatz: I 13-53, 52f.). Hinzu kommt die von Land zu Land keineswegs identische Vernetzung und Abgrenzung des Sachenrechts im Verhältnis zu anderen Rechtsgebieten: Schuldrecht, wie diese Bände eindrücklich belegen; aber auch Ehegüterrecht und Erbrecht. Systemfragen sind keine pure Theorie. Nur ergänzend sei gesagt: Das Feld des Immobiliarsachenrechts ist noch verminter als das der Mobilien, wegen der genannten Vernetzungen und wegen der Registerfragen; Länder (oder Regionen, vgl. die ehemals österreichischen Gebiete in Norditalien und Alsace-Moselle) mit Grundbuchsystem werden ihr jeweiliges System mit Zähnen und Klauen gegen alles verteidigen, was die Rechtssicherheit gefährden könnte. Freilich wäre es grob fahrlässig, den indirekten Einfluss des DCFR zu verkennen oder darauf zu vertrauen, dass nur gelungene Normierungsvorschläge solchen indirekten Einfluss erlangen könnten: So funktioniert Rechtspolitik und damit Rechtsgeschichte nicht.

 

3. Die vier Bände sind unterschiedlich strukturiert und angelegt, damit auch von unterschiedlichem Interesse für den Rechtshistoriker. Rainer erscheint als Verfasser der konzisen und klar konturierten Einführung sowie als Herausgeber in allen Bänden, im ersten mit Johanna Filip-Fröschl als Mitherausgeberin und sechs weiteren Autoren von Länderberichten (teils deutsch, teils englisch). In den Bänden 2-4 wird jeweils ein weiterer Länderbericht geboten (alle in englischer Sprache). Deutschland, die Niederlande und Schweden sind damit in besonderer Breite behandelt. Über die anderen, ebenfalls wichtigen Rechtsordnungen bekommt man in Teil 1 (Part I) hilfreiche Überblicke von meist 20-30 Seiten.

 

4. Geltendrechtliche Details sind hier nicht zu erörtern (vgl. Wilke, Bastian, Rez., in GPR 2007, 176ff.). Rechtshistorisches erscheint im Einleitungsaufsatz von Teil I, mit Tendenz zum Konsensprinzip ( vgl. dazu auch die Kontroverse zwischen Andreas Wacke, Eigentumserwerb des Käufers durch schlichten Konsens oder erst mit Übergabe? Unterschiede im Rezeptionsprozeß und ihre mögliche Überwindung, in: ZEuP 8 [2000] 254-262, und Hans Wieling, Das Abstraktionsprinzip für Europa!, in: ZEuP 9 [2001], S. 301-307). Der Rezensent meint, dass das Prinzip von titulus und modus seine Vorzüge habe. Bis auf weitere Forschung ist dies auch eine Art Glaubensfrage, in der zumeist bevorzugt wird, was man aus der eigenen Rechtsordnung kennt, vor allem, wenn man reiner Dogmatiker ist; der Rechtsgeschichte kommt hier ebenso wie der Rechtsvergleichung eine Aufklärungsaufgabe zu. Weiterhin finden sich geschichtliche Spurenelemente in einzelnen Länderberichten (Schweden, Spanien).

 

5. Ob es sinnvoll war, deutsche und englische Texte zu mischen, darf bezweifelt werden: Im deutschen Sprachraum liest zwar jeder Englisch (und meint zumeist, es auch schreiben zu können); umgekehrt führt im Englischen Deutsch kaum weiter, und eine Einsprachigkeit Europas scheint Ziel der britischen Bildungs- wie Europapolitik zu sein, was man nicht fördern muss. Überdies ist die terminologische Eignung des Englischen für eine so kontinentale, dogmatische und präzise Materie wie das Sachenrecht einigermaßen zweifelhaft. (Das zeigt wiederum der DCFR deutlich; und er zeigt auch, dass eine muttersprachlich durchgesehene Terminologie immer noch keine Akzeptanz auf den Inseln schafft: Es gibt genug englische Kollegen, die das ganze Unterfangen dennoch oder gerade deswegen für einen Anschlag auf ihre Rechtskultur halten oder erklären, ähnlich jenen englischen Rechtshistorikern, die von Gemeinsamkeiten mit dem Kontinent aus Prinzip nichts wissen wollen. (Vgl. statt aller das Zitat von Adrian Briggs in: ZEuP 2010, 476.) Welche Rolle das Vereinigte Königreich in einer denkbaren Sachenrechtsintegration spielen wird, fragt sich – derzeit stehen die Zeichen eher auf Distanz von weiterer Beteiligung in Kernbereichen des Privatrechts, sodass eher an eine differenzierte Integration unter kontinentalen Rechtsordungen zu denken ist (dazu Differenzierte Integration im Gemeinschaftsprivatrecht, hg. v. Baldus, Christian/Jung, Peter, München 2007; Nachfolgeband – München 2011 – in Vorbereitung). Man hätte also gleich alles auf Deutsch veröffentlichen können; vermutlich war es so aber einfacher, einige der ausländischen Autoren zu gewinnen. (Von anderen weiß der Rezensent positiv, dass sie Deutsch mindestens so gut sprechen wie Englisch.)

 

6.In der Summe: Man findet wichtige Rechtsordnungen klar, oft auch in paralleler Struktur dargestellt. So kann man leicht herausfinden, welche Auswirkungen bestimmte historische Prozesse im Ergebnis gehabt haben. Rezeptionswege im Einzelnen zu beschreiben, war nicht das Ziel dieser Bände. Dass eine generelle Vereinheitlichung des Sachenrechts und namentlich des Eigentumsübergangs derzeit Zukunftsmusik ist, bedeutet eine große Chance gerade für eine spätere Harmonisierung, differenziert oder für die ganze Union: Wir haben Zeit, gerade als Rechtshistoriker, die Erfahrungen der Vergangenheit weiter aufzuarbeiten. Daran ist trotz aller Vorarbeiten noch viel zu tun. Zu den hilfreichen Vorarbeiten aber gehören diese vier Bände. Sie kann auch sinnvoll nutzen, wer Grund- oder Einzelentscheidungen des DCFR für problematisch hält. Wenn weitere Länderberichte hinzu kommen sollten (namentlich England und Frankreich, vgl. bereits Wilke, wie vor, 178), würde das Gesamtpaket noch wertvoller. Denn es ist eine politische Frage, ob jede große Tradition bei einer denkbaren Harmonisierung dabei sein wird, aber eine wissenschaftliche, dass man sich mit jeder dieser Traditionen auseinander zu setzen hat, wenn man denn an funktionalen Erkenntnisgewinn glaubt. Und die Study Group sagt, sie glaube daran.

 

Heidelberg                                                                              Christian Baldus