PaulusSteigerdieordnungderwelt20100725 Nr. 13224 ZRG GA 128 (2011) 24

 

 

Steiger, Heinhard, Die Ordnung der Welt. Eine Völkerrechtsgeschichte des karolingischen Zeitalters (741 bis 840). Böhlau, Köln 2010. XXXI, 806, Ill. Besprochen von Christof Paulus.

 

Das Werk des emeritierten Professors für Völkerrecht und Europarecht an der Universität Gießen weist eine Fülle interessanter Beobachtungen und Thesen auf und ist Ergebnis einer nahezu ein Vierteljahrhundert umfassenden Beschäftigung mit der Materie.

 

Um das Herantragen anachronistischer Begrifflichkeiten an eine letztlich fremde Epoche zu vermeiden, verwendet der Autor die von ihm so genannte geschichtsoffene Methode, was konkret einen Quellenzugriff über Wortfelder bedeutet. So untersucht Steiger etwa die Begriffe ius, regnum (dort die Goetz-Friedsche Kontroverse bezüglich der kategoriellen Füllung von regnum durch die Perspektive der Außenbeziehung erweiternd), territorium, foedus, pax, societas oder deditio. Hierbei arbeitet er hierarchische oder wechselseitige Zusammenhänge heraus, so etwa die Verbindung zwischen caritas, dilectio, concordia, unanimitas, pactum, pax und amicitia, wobei letztere als zweidimensional rechtlich-religiöses Herrscherverhältnis definiert wird. Mehrfach wird, was nicht sonderlich überrascht, die Bedeutung der Religion als einheitsstiftende Kraft für eine Epoche der pluralen Ordnungen betont. Steiger spricht von einer „gemeinsamen religiösen Normativität“ (vgl. S. 705), welche die konkreten Denk- und Handlungsweisen der Zeit überwölbte. Zudem ging „der Zugang der Karolinger zur „großen Welt“ (…) durch die Tür der Kirche und des Papsttums“ (S. 107).

 

Dies wiederum führte zu religiös-weltlichen Ordnungsvorstellungen, die Steiger in Entlehnung eines Begriffs von Miloš Vec als multinormativ charakterisiert, das heißt: Recht, Religion und Moral waren vielschichtig miteinander verknüpft und gemischt. So attestiert der Autor seinem Untersuchungszeitraum zwar ein mangelndes, für weitgehende Deutungen zudem methodisch schwieriges Interesse an theoretischer Reflexion, doch insgesamt wohl „das Bewußtsein bzw. die Vorstellung von einer gemeinsamen rechtlichen Ordnung“ (S. 293). Unter dem inhaltlichen Kerngedanken des Völkerrechts, der (retrospektiv erschlossenen) Friedensherstellung und -sicherung, hätten die Karolinger, vor allem Karl der Große als Schlüsselgestalt, die Grundlagen einer neuen europäischen Ordnung gelegt.

 

So habe der Frankenherrscher den Wandel der Welt „von väterlicher Hierarchie zu brüderlicher Parität“ (S. 700) vorangetrieben, der die Ordnungsstrukturen fundamental verändert habe. Durch die Etablierung des Frankenreichs habe Europa zu Beginn des 9. Jahrhunderts „allmählich eine auch rechtlich gefaßte Ordnung“ erhalten (S. 523). Gerade an diesen Ausführungen zeigt sich eine grundsätzliche Problematik: Wird nicht doch letztlich – bei allem Bemühen, der Epoche nicht durch moderne Begrifflichkeiten Gewalt anzutun, und dafür etwas sperrige Ausdrücke wie „Zwischen-Mächte-Beziehungen“ einzuführen – eine moderne Perspektive, ein frühneuzeitlicher völkerrechtlicher Fluchtpunkt gesetzt? Wird der Karolingerzeit demnach ein juristisches, logisch und hierarchisch gegliedertes Verständnis unterstellt?

 

Aus Einzelformulierungen und Einzelerscheinungen müssen normative Aussagen abgeleitet werden. Im umgekehrten Fall werden konkrete Fälle als Konstituierung einer Normativität gewertet, wie dies etwa bei zeremoniellen Formen glaubhaft gemacht werden kann. Steiger betont zwar mehrfach die Dynamik und Offenheit der Epoche, die konsensualen und personalen Strukturen der Karolingerzeit, ob man aber von einem subjektiven frühmittelalterlichen Völkerrechtssystem (im Gegensatz zu einem unter Einfluss des Naturrechts und des ius gentium stehenden Völkerrecht späterer Zeiten) sprechen kann, hängt wohl doch auch von der Perspektive ab.

 

Steiger hat sein großes Werk, dem er eine Inhaltsübersicht wie ein detailliertes Inhaltsverzeichnis vorangestellt hat, sehr stark untergliedert. Eingefügt sind stets nützliche Abschnitte mit Zwischenergebnissen. Im ersten Teil wird auf Basis der nicht immer neuesten, zudem sehr disparaten Literatur das Frankenreich in seiner politischen Umwelt verortet. Hier gleicht die Arbeit in Teilen Arnold Angenendts „Frühmittelalter“. Zu Ostrom, Papst oder Langobarden und England schließen sich charakterisierende Ausführungen an. Der zweite Hauptabschnitt untersucht nun in chronologischer Vorgehensweise die Beziehungen des Frankenreichs zu diesen Mächten, wobei das Verhältnis zum Papsttum quellenbedingt besonders breit behandelt werden kann.

 

Die beiden letzten Teile des Buches verlassen die chronologisch-deskriptive Ebene und versuchen die Zwischen-Mächte-Beziehungen systematisch durch ein leitbegriffliches Raster zu analysieren. Hier kommt es notgedrungen zu Wiederholungen. Abgeschlossen wird das Werk durch eine Zusammenfassung, in der Steiger die Karolingerzeit im Spannungsfeld zwischen Pluralität und Einheit sieht und nochmals sein methodisches Vorgehen rechtfertigt. Es folgt ein Anhang mit von Dennis Pausch angefertigten Quellenübersetzungen, so etwa der für Steigers Ausführungen zentrale Brief Karls des Großen an König Offa oder der des Karolingers an Kaiser Nicephoros I.

 

Leider stören auffällige formale Schwächen den guten Gesamteindruck.

 

Seehausen am Staffelsee                                                                     Christof Paulus