Spring, Claudia Andrea, Zwischen Krieg und Euthanasie. Zwangssterilisationen in Wien 1940-1945. Böhlau, Wien 2009. 336 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die im April 2008 am Institut für Geschichte der Universität Wien angenommene Dissertation der Verfasserin, die nach dem Vorwort Edith Saurers wusste, dass sie dieses Buch schreiben musste, und in dreijähriger Spurensuche 1697 bzw. rund 1700 Akten ermittelte, auf deren Grundlage sie ihre Untersuchung anfertigte. In der Einleitung befasst sie sich zunächst mit den Fragestellungen und Forschungszusammenhängen und verweist bei den verwendeten Begriffen nachdrücklich darauf, dass keine Unschuld der Wörter bestehe. Danach schildert sie die Bestandsgeschichte der Akten des Erbgesundheitsgerichts Wien unter Zahlenangeben und beschreibt den Aktenbestand.

 

Die Untersuchung selbst gliedert sich in fünf Teile. Am Beginn steht dabei das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses als nationalsozialistisches Unrechtsgesetz einschließlich der vorangehenden Diskurse und Gesetze. Die Einführung des Gesetzes in der Ostmark erfolgte im Januar 1940.

 

Einen Schwerpunkt der Untersuchung bildet danach der Vollzug des Gesetzes durch das Erbgesundheitsgericht Wien zwischen 1940 und 1945. Hier stellt die Verfasserin zunächst die Richter (vor allem Anton Rolleder und Alfred Tomanetz, daneben Ekkehard Hämmerle und Eugen Hufnagl) und die etwa 40 ärztlichen Beisitzer vor und betrachtet danach das Verfahren. Im Ergebnis stehen 72 Prozenten Bejahung der Zwangssterilisation 17 Prozent Verneinungen gegenüber.

 

Etwas knapper behandelt sie das seltenere Beschwerdeverfahren am Erbgesundheitsobergericht Wien zwischen 1941 und 1944. Als Richter in den insgesamt 266 Beschwerdeverfahren amtierte Viktor Zenker und in geringerem Umfang Franz Hais. 154 Beschwerdeverfahren endeten mit dem Beschluss zur Zwangssterilisation und 91 mit deren Ablehnung.

 

Dem Verfahren folgt im vierten Teil die Betrachtung der Durchführung von Zwangssterilisationen und Schwangerschaftsabbrüchen in Wien. Sorgfältig geht die Verfasserin auf Operationstechniken, medizinische Komplikationen und Todesfälle ein. Neben den indirekten, aber deutlich vernehmbaren Stimmen der Betroffenen schildert sie auch die Nachkriegskarrieren von Chirurgen und Gynäkologen.

 

Der im fünften Teil gegebene Ausblick stellt Kontinuitäten, Karrieren und Ausgrenzungen nach Kriegsende dar. Dabei stehen auf der Seite der Richter und Ärzte Straffreiheit, Karriere und Orden, auf der Seite der Opfer ein Knick in der Lebenslinie und die Nichtanerkennung zwangssterilisierter Menschen im Opferfürsorgegesetz bis 1995. Insofern ist erhebliches Unrecht wohl für viele Opfer zu spät und im Übrigen auch nur entschädigungsweise durch etwas Recht ersetzt worden, worauf die überzeugende Arbeit mit großem Nachdruck besonders hinweist.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler