Spieß, Karl-Heinz, Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, 2. Aufl. unter Mitarbeit von Willich, Thomas. Steiner, Stuttgart 2009. 205 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Lehnswesen ist ein hervorragendes Beispiel für die Geschichtlichkeit von Recht. Mittelalter und frühe Neuzeit hat es in Mitteleuropa und wohl auch weit darüber hinaus maßgeblich geprägt. Gleichwohl ist es spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Geschichte geworden und nur noch in sehr eingeschränktem Umfang Gegenstand wissenschaftlicher Aufmerksamkeit geblieben.

 

Das - nach dem kurzen Vorwort des Verfassers zur zweiten Auflage - im Jahre 2002 als Band 13 der Reihe Historisches Seminar - Neue Folge im Schulz-Kirchner Verlag erschienene Studienbuch war gleichwohl bald vergriffen. Kurz nach dem Erscheinen stellte der Verlag die Reihe ein und gab dem Autor die Rechte an dem Werk zurück. Die positiven Rezensionen und die häufigen Nachfragen bewogen den Verfasser zu einer Veröffentlichung im Steiner-Verlag, in die er die seit 2002 vorgelegte Literatur einschließlich neuerer Tagungsergebnisse einarbeiten konnte.

 

Gegliedert ist die Studie in fünf Teile. Zunächst erörtert der Verfasser das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter. Danach fügt er 67 Quellen vom 28. Mai 1037 bis zum 23. Juli 1494, elf Thesen  von Heinrich Mitteis (Lehnsrecht als Teil der Verfassungsgeschichte) über Marc Bloch, Wilhelm Ebel, Werner Goez, Karl-Friedrich Krieger, Wolf-Rüdiger Berns, Susan Reynolds, Steffen Schlinker und Bernhard Diestelkamp bis zu Karl-Heinz Spieß (Das Lehnszeremoniell als konstitutives Element der Reichsverfassung) sowie ein Verzeichnis der Abkürzungen und eine Bibliografie an.

 

Nach seinen sachkundigen Erkenntnissen sind Funktion und Bedeutung der Lehnsbindung zwischen Herrn und Vasall im Mittelalter entgegen vielen anderen Darstellungen nur schwer einschätzbar. Deswegen will er das Lehnswesen durch Darstellung und Quellenauswahl zwar systematisch erfassen, aber zugleich seinen Eindruck vermitteln, dass jedes Lehnsverhältnis in einem allgemeinen Rahmen durchaus sehr individuell gestaltet werden konnte. Zu diesem Zweck betrachtet er nacheinander Forschungsgeschichte (19. Jahrhundert, Heinrich Mitteis 1933, Marc Bloch 1939, François Louis Ganshof 1944, Werner Goez 1962, Karl-Friedrich Krieger 1979, Walther Kienast posthum 1990, Susan Reynolds 1994 [die in den Quellen vor 1100 auftauchenden Benefizien seien etwas anderes gewesen als die Lehen des späteren Mittelalters], Brigitte Kasten 2006 und Roman Deutinger 2007), Quellen, Lehnspraxis, den König als Lehnsherren, das Lehnswesen in den Territorien und das Verhältnis von Adelsgesellschaft und Lehnswesen.

 

Danach sind im Reich im 12. Jahrhundert die Durchsetzung des Begriffs feudum für das vieldeutige beneficium und die Zunahme lehnsrechtlicher Sachverhalte in den Herrscherdiplomen im späteren 12. Jahrhundert erkennbar, doch gibt es noch immer Vasallen ohne Lehen. Dementsprechend dient das 12. Jahrhundert als Ausgangspunkt, zumal in dieser Zeit Lehnsakte zunehmend nicht mehr nur mündlich verhandelt, sondern auch in urkundlicher Form dokumentiert werden. Statt wie bei Mitteils, Bloch, Ganshof und Goez bildet aber nicht mehr die Zeit um 1300 eine Zäsur, sondern, wie dies auch der Titel des vorsichtig bilanzierenden Werkes zum Ausdruck bringt, das Ende des 15. Jahrhunderts, obwohl Reich und Länder bis weit in das 18. Jahrhundert vom Lehnswesen geprägt werden.

 

Innsbruck                                                                                                                  Gerhard Köbler