Schroeder, Klaus-Peter, Eine Universität für Juristen und von Juristen. Die Heidelberger juristische Fakultät Mohr (Siebeck), Tübingen 2010. XX, 744 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Geschichte der Heidelberger Juristischen Fakultät reicht bis zur Gründung der Heidelberger Universität im Jahre 1386 zurück. Eine erste wissenschaftliche Blüte erlebte die Juristenfakultät im 16. und 17. Jahrhundert mit Gelehrten wie François Balduinus (Baudouin), Hugo Donellus, Dionysius Gothofredus und Samuel von Pufendorf. Im 18. Jahrhundert verfiel die Universität und mit ihr auch die Juristenfakultät so stark, dass 1803 nur noch 50 Studenten an der Universität immatrikuliert waren. Die Darstellung Schroeders setzt mit dem Übergang von Teilen der Kurpfalz (Mannheim, Heidelberg) an Baden durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ein. Alsbald erfolgte die Reorganisation der Universität und auch der Juristenfakultät durch den Markgrafen und späteren Großherzog Karl Friedrich (gest. 1811) und die Karlsruher Ministerialbürokratie unter dem Freiherrn Sigismund von Reitzenstein (S. 3ff.). 1804 waren von den statutenmäßig vorgesehenen sieben Lehrstühlen nur vier besetzt (S. 14). Nach dem 13. Badischen Organisationsedikt entfielen auf die „staatsrechtliche Sektion“ der Universität nur noch fünf Professoren. Diese Lehrstühle wurden bis 1814 neu besetzt durch Arnold Heise, Anton Friedrich Justus Thibaut, Christoph Georg Martin, Carl Salomo Zachariae von Lingenthal und Johann Ludwig Klüber (S. 19ff.). Schroeder widmet im ersten Kapitel diesen fünf Rechtslehrern Biographien, bei denen die Heidelberger Zeit im Vordergrund steht. Die weiteren acht Kapital des Werkes befassen sich mit der Geschichte der Heidelberger Juristenfakultät in der Zeit bis 1830, in der Epoche des Biedermeier, in der Revolutions- und Nachmärzzeit, in der Kaiserzeit, in der Zeit von 1914-1932, von 1933-1945, von 1945 bis 1950 sowie von 1950 bis 1969. Einen wichtigen Teil der einzelnen Kapitel bilden die Professorenbiographien, die vor allem eingehen auf die Berufungsgeschichte, die Lehrerfolge und im Überblick auch auf das wissenschaftliche Werk, dessen detailliertere Darstellung eine weitere Monographie erfordert hätte.

 

Vor den jeweiligen biographischen Abschnitten geht Schroeder zunächst auf die allgemeinen politischen Entwicklungen in Deutschland und speziell in Baden ein. Besonderes Augenmerk richtet er ferner auf die Ausgestaltung des juristischen Studiums und der Examina. Zwischen 1810 und 1823 bestanden für Badener Staatsbürger Zulassungsbeschränkungen (S. 63ff.). Nach einem dreieinhalbjährigen Studium konnte sich der Student zum Staatsexamen melden, zu dem er nach Absolvierung einer Prüfung (Hausarbeit; Referat über zwei Aktenstücke; mündliche Prüfung) zugelassen wurde. An der justizpolitisch ausgestalteten Prüfung war bis 1897 die Professorenschaft nicht beteiligt. Die schriftliche Prüfung umfasste die Beantwortung mehrerer Dutzend Fragen (1880 waren es 45 Fragen; S. 67, 71). 1853 wurde eine weitere Prüfung eingeführt, die nach dem Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes als Assessorprüfung ausgestaltet wurde (S. 234ff.). Erst eine Verordnung von 1907 verlangte für das erste Examen statt der Beantwortung von Fragen die Bearbeitung von zwölf zweistündigen Klausuren (S. 380ff., 392). Die reichseinheitliche Justizausbildungsordnung von 1934 verringerte zwar die Anzahl der Klausuren, verpflichtete jedoch den Studenten auch zur Bearbeitung einer Hausarbeit (S. 515ff.), die nach 1945 alsbald wegfiel. Während das badische erste Staatsexamen als „ausgesprochen schwer“ (S. 71) galt, wurden Promotionen zunächst „sehr großzügig gehandhabt“ (S. 87). Die vier bzw. fünf Lehrstühle bildeten bis 1870 die sog. Promotionsfakultät, d. h. nur die Inhaber der regulären Lehrstühle waren zur Promotionsprüfung und damit zum Gebührenbezug berechtigt (S. 87f.). Schroeder unterrichtet den Leser auch fortlaufend über die Anzahl der Jurastudenten, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nahezu die Hälfte, mitunter bis zu zwei Drittel der gesamten Studentenschaft stellten (S. 43, 230). Die Studenten hatten auch noch nach 1945 Hörergelder zu entrichten (vgl. S. 626). Ausführlich geht Schroeder auch auf die erstmals 1805 im Universitätsstatut geregelte Habilitation ein (S. 90ff.). Die – zunächst geringen – Anforderungen an die wissenschaftliche Schrift wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich verschärft (S. 323ff.). Nach der Reichshabilitationsordnung von 1934/39 war mit der Habilitation nicht mehr die Erteilung der Venia legendi verbunden; die Privatdozentur wurde abgeschafft (S. 508ff.). Ausführlich kommen auch die äußeren Lebensbedingungen insbesondere der Studenten und das Verbindungswesen zur Sprache (S. 52ff.; S. 629ff. für die Zeit nach 1945).

 

Die über 120 Biographien vermitteln ein anschauliches Bild über Habilitationsgutachten, die Aufstellung der Berufungslisten und deren Begründung, die Verhandlungen der Fakultät mit den zu Berufenden und mit dem Karlsruher Kultusministerium sowie über den „beschwerlichen Weg zur außerordentlichen Professur“ (S. 202ff.). Schroeder spricht in diesem Zusammenhang von dem „Purgatorium“ der Privatdozenten und auch der außerordentlichen Professoren (S. 323ff.). Hervorzuheben ist, dass wiederholt Schweizer Hochschullehrer auf Heidelberger Lehrstühle berufen wurden (u. a. Bluntschli, Renaud, His, Fehr und Gutzwiller). 1913 verfügte die Fakultät über sieben Lehrstühle; der Versuch, ein etatmäßiges Extraordinariat zu erhalten, war fehlgeschlagen (S. 231). Zu Beginn des Wintersemesters 1932/33 lehrten an der Fakultät acht Ordinarien und zwei planmäßige außerordentliche Professuren (S. 498). Die Zahl der ordentlichen Professuren erhöhte sich nach 1945 bis 1970 auf 16 (S. 701).

 

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte Heidelberg zu den führenden deutschen Juristenfakultäten. Mit Thibaut und Heise verfügte Heidelberg über zwei attraktive Pandektenrechtslehrer. Zu den bedeutendsten, in der Biedermeierzeit berufenen Professoren gehören Carl Theodor Welcker, Conrad Eugen Franz Rosshirt, Carl Joseph Anton Mittermaier, Heinrich Zöpfl, Robert von Mohl und vor allem Karl Adolph von Vangerow, dessen Pandektenvorlesung und – heute allerdings veralteten – Lehrbücher über eine „überragende Aufteilungskraft“ verfügten (S. 146). Nicht vergessen hat Schroeder die „Schwierigkeiten des Habilitierens“ und des weiteren Fortkommens, was er am Beispiel von sechs Rechtslehrern näher beschreibt (C. J. Guyēt, K. D. A. Röder, R. Sachsse, C. E. Zachariae von Lingenthal, W. Deurer und Theodor Brackenhoeft). Ein Großteil der Professoren, so vor allem Mittermaier, Vangerow und von Mohl war gegenüber den liberalen Ideen insbesondere seit der Revolution von 1848/49, sehr aufgeschlossen. (S. 200f.), In der Nachmärzzeit erlangte Levin Goldschmidt in Heidelberg 1866 als erster Dozent jüdischer Konfession die ordentliche Professur an einer deutschen rechtswissenschaftlichen Fakultät (zunächst ohne Prüfungsberechtigung, die ihm 1869 bewilligt wurde; S. 180ff.). Auf Goldschmidt, der 1870 an das Bundesoberhandelsgericht (seit 1871 Reichsoberhandelsgericht) in Leipzig kam, geht im Wesentlichen das Gutachten der BGB-Vorkommission von 1874 zurück.

 

Eine zweite Glanzzeit erlebte die Heidelberger juristische Fakultät während der Kaiserzeit mit Otto Karlowa, Ernst Immanuel Bekker, dem Germanisten Richard Schroeder, Georg Meyer, Karl von Lilienthal, Georg Jellinek, Friedrich Endemann und Otto Gradenwitz sowie mit Gierke (von 1884 bis 1887 in Heidelberg) und Bernhard Windscheid, der ab dem Sommersemester 1871 in Heidelberg lehrte und das höchste Gehalt seit der Reorganisation der Universität bezog. Noch bevor er 1874 nach Leipzig ging, hatte ihn Baden für die Mitgliedschaft in der 1. BGB-Kommission benannt. Mit Jellinek (gest. 1911), Sohn eines Leipziger Rabbiners, verfügte Heidelberg über den vielleicht bedeutendsten Staatsrechtslehrer seiner Zeit. S. 328ff. bringt Schroeder Lebensbeschreibungen von 19 in der Kaiserzeit zum Extraordinarius beförderten Professoren. Hervorzuheben ist das Schicksal von Leopold Perels (1912 ao. Prof.; 1928 ordentlicher Honorarprofessor), dem im April 1933 aus rassischen Gründen die Lehrbefugnis entzogen wurde, der jedoch bis 1940 an zwei Instituten aus Mitteln jüdischer Stiftungen weiterbeschäftigt werden konnte (1954 in Frankreich verstorben unter für Deutschland beschämenden Umständen – eine Wiedergutmachung war abschlägig beschieden worden). Während der sog. „goldenen“ Zwanziger Jahre kamen u. a. an die Juristenfakultät (S. 393 ff.): Eberhard Freiherr von Künßberg, Gerhard Anschütz, Richard Thoma, Hans Fehr, Heinrich Mitteis, Alexander Graf zu Dohna-Schlodien und Eugen Ulmer. Künßberg (1929 ord. Honorarprofessor) konnte als „einziger der ,jüdisch versippten’ Professoren innerhalb des gesamten Lehrkörpers der Universität Heidelberg“ (S. 397) bis zu seinem Tod 1941 die Arbeiten an dem von Richard Schroeder begründeten Deutschen Rechtswörterbuch fortsetzen. Anschütz, Thoma (ab 1929 in Bonn) und Walter Jellinek gehörten zu den herausragenden Staats- bzw. Verwaltungsrechtslehrern der Weimarer Zeit. Anschütz ließ sich bereits im April mit 67 Jahren vorzeitig emeritieren. Jellinek konnte aufgrund des rechtlichen Status einer „,privilegierten Mischehe’ mit einer ,Arierin’“ (S. 461) die NS-Zeit überleben. Bereits im Januar 1946 nahm er seine Lehrtätigkeit wieder auf. Ernst Levy hielt noch bis Mai 1935 Lehrveranstaltungen ab und reiste, nachdem man ihn mit Ablauf des 31. 12. 1935 in den Ruhestand versetzt hatte, im März 1936 in die USA aus (S. 451ff.).

 

Aus dem breiten darstellenden Teil über die juristische Fakultät in der NS-Zeit (S. 497-536) geht hervor, dass keiner der aktiven Heidelberger Hochschullehrer das „berühmt-berüchtigte, am 11. November 1933 abgelegte, hundertfach unterzeichnete, von Leipzig ausgehende ,Bekenntnis der Professoren zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat’“ (S. 498) unterzeichnet hatte. Insgesamt demonstrierte, so Schroeder S. 532, die Juristenfakultät „Zurückhaltung und vermied Zugeständnisse an die neuen Machthaber“ (S. 532). Gegenüber dem Wunsch des badischen Kultusministeriums, die Fakultät zu einer Stoßtruppfakultät auszubauen, enthielt sich die Fakultät „jeglicher Unterstützung“ (S. 531). Während der NS-Zeit wurden u. a. folgende Professoren berufen bzw. ernannt: Karl Engisch, Reinhard Höhn, Eduard Bötticher, Hermann Krause, Carl Bilfinger, Herbert Krüger, Eduard Wahl, Ernst Forsthoff, Gerhard Dulckeit, Wolfgang Kunkel und der Wirtschaftsrechtler Karl Geiler. Letzterer, seit 1928 ordentlicher, nichtbeamteter Honorarprofessor, verlor 1939 im Hinblick auf seine jüdische Ehefrau die Lehrbefugnis und die Honorarprofessur (S. 594ff.). Nach dem Krieg war Geiler 1946 Ministerpräsident des Landes Hessen; 1947 wurde er zum nichtbeamteten persönlichen Ordinarius ernannt und für 1948/49 zum Rektor der Heidelberger Universität gewählt. Nach dem Kriegsende fanden bereits Anfang 1946 wieder rechtswissenschaftliche Vorlesungen statt. Entlassen wurden Engisch, Krause, Ulmer und Forsthoff, der erst 1952 auf seinen früheren Lehrstuhl zurückkehren konnte (S. 571). Für die Zeit bis 1950 geht Schroeder auf die Berufungen von Eberhard Schmidt, Siegfried Reicke, Otto Gönnenwein und Wilhelm Gallas ein (S. 636ff.). Für die folgenden zwei Jahrzehnte bringt Schroeder Biographien u. a. von Hans Schneider, Hubert Niederländer, Rolf Serick, Paul Bockelmann, Wolfgang Hefermehl, Hermann Weitnauer sowie von Wolfgang Siebert, dessen schriftstellerisches Werk aus der NS-Zeit noch einer detaillierten Analyse bedarf. Berücksichtigt wurden mit einer Ausnahme nur bereits verstorbene Hochschullehrer.

 

Am Ende des Werkes findet sich ein ausführliches Personenregister. Hilfreich wäre auch ein Sachregister insbesondere für die nicht biographischen Teile des Werks gewesen. Auch (Zahlen-)Übersichten über die Entwicklung der Studentenzahl und die Anzahl der Promotionen sowie eine Liste der Dekane ab 1803 wären zweckmäßig gewesen. Etwas zusammenhängender und detaillierter hätte vielleicht der Einfluss der Karlsruher Hochschulreferenten auf die Fakultätsbesetzung dargestellt werden sollen. Gleiches gilt für das Spruchkollegium sowie für die Ausstattung der Seminare (Institute) und Lehrstühle mit Hilfskräften und Assistenten. Insgesamt hat Schröder mit seinem Werk, das nahezu alle Aspekte der Heidelberger Juristischen Fakultät erschließt, seine detaillierten Kenntnisse der Fakultätsgeschichte mit seiner glänzenden Erzählkunst verbunden, so dass die Lektüre seines Werkes überaus fesselnd ist.

 

Kiel

Werner Schubert