Rüping, Hinrich, Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (= Juristische Zeitgeschichte 7, Beiträge zur Anwaltsgeschichte2). BWV Berliner Wissenschaftsverlag. 2007. XIX, 293 S. Besprochen von Klaus Luig.

 

Neben einer erfreulicherweise zunehmenden Zahl von Arbeiten über das unter dem Nationalsozialismus erlittene Schicksal jüdischer Juristen in einzelnen Städten und Gerichtsbezirken Deutschlands, - Arbeiten, die inzwischen teilweise auch zu einem Buch zusammengefasst worden sind (Anwalt ohne Recht – Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933 hg. v. der Bundesrechtsanwaltskammer, Berlin 2007. Liste der einschlägigen Werke bei Rüping S. 84 Note 25), verdienen auch Untersuchungen Beachtung, die sich nicht nur der Verfolgung jüdischer Rechtsanwälte durch die Nationalsozialisten widmen, sondern die Geschichte der Rechtsanwaltschaft insgesamt im Dritten Reich zum Objekt haben. Eine solche Untersuchung hat Hinrich Rüping, ein bewährter Experte auf dem Gebiete der Erforschung der Geschichte der Rechtsanwälte in Deutschland, für den Bezirk des Oberlandesgerichts Celle vorgelegt.

 

Einzuordnen ist die Untersuchung in das große Feld der dem Verfasser besonders am Herzen liegenden Forschungen zur Frage der Freiheit oder staatlichen Lenkung der Anwaltschaft. Der große Vorteil einer solchen die gesamte Rechtsanwaltschaft erfassenden Darstellung im Vergleich zu einer speziell den jüdischen Anwälten gewidmeten Studie liegt darin, dass man, soweit es um die Opfer geht, neben der am schwersten betroffenen Gruppe, nämlich den jüdischen, halbjüdischen und vierteljüdischen Anwälten, auch das Schicksal weiterer Verfolgter in den Blick bekommt, etwa auch das Schicksal der jüdisch Versippten (mit einer Jüdin verheirateten nichtjüdischen Anwälte) oder auch derer, die, ohne selbst betroffen zu sein, versucht haben zu helfen, und sogar derjenigen, die es schlicht an der zur damaligen Zeit nötigen Distanz gegenüber Juden hatten fehlen gelassen und sich vorwerfen lassen mussten, sich wie ein „Judenfreund“ benommen zu haben. Dazu kommt die Geschichte von anderen verfolgten Gruppen wie Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten und bekennende Christen. In einer solchen alle Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft umfassenden Schilderung, wie der hier anzuzeigenden, dürfen auch die Nichtopfer nicht übergangen werden. Da sind selbstverständlich die Täter im engeren Sinne, aber auch deren Helfer, die Denunzianten, ferner die Nutznießer der Entrechtung der Opfer und weiter die teilnahmslosen Beobachter. Bei einem so weit gezogenen Kreis von Opfern und Tätern darf aber nicht übersehen werden, dass es auch in Rechtspflege und Verwaltung stets Bereiche gab, die unberührt blieben von nationalsozialistischen Eingriffen, in denen also die Geschäfte auch nach 1933 weitgehend normal abgewickelt wurden, obwohl das dem nationalsozialistischen Totalitätsanspruch zuwider lief. Auch muss man berücksichtigen, dass Rüping in hohem Maße auf der Grundlage der Entnazifizierungsverfahren urteilen muss, die er insgesamt als zu milde kritisiert.

 

Anliegen Rüpings ist es, mit seiner „Detailuntersuchung“ des Falles Celle zu zeigen, dass die Behauptung keineswegs zutreffend ist, die Anwaltschaft habe „die Probe der großen Versuchung der Jahre 1933 – 1945 bestanden“. Das hatte aber das erste Heft der 1947 gegründeten Neuen Juristischen Wochenschrift damals stolz verkündet. Um diese Behauptung zu widerlegen, schildert Rüping die Geschichte der Anwaltschaft im Bezirk Celle, zwar zeitlich mit Begrenzung auf die Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus, aber in der Sache ohne Beschränkung auf die Auswirkungen, die die Herrschaft der Nationalsozialisten speziell auf die Anwaltschaft gehabt hat. Mit dieser Maßgabe sind vier Aspekte für Rüping wichtig: 1. die Erfassung der „ganzen Geschichte“ von Tätern und Opfern, 2. ein historischer Zugang, der auch die Mentalitäten erfasst, 3. die Auswertung von „Massenakten“ statt  Beschränkung auf „ausgewählte Biographien“, 4. die Einbeziehung der Vorgeschichte des 18. bis 20.Jahrhunderts.

 

Zur Bewältigung dieses großen Programms setzt das Buch in Teil 1 mit einer Anzahl von „Einzelbiographien“ ein, und zwar von den Präsidenten der Standesorganisationen der Anwälte und Notare, sodann von drei – besonders üblen – Denunzianten und schließlich von drei Verfolgten, die nicht jüdischer Herkunft waren, sondern ein „jüdisch Versippter“, ein „Judenfreund“ und ein „Sozialdemokrat“.

 

Teil 2 der insgesamt fünf Hauptteile gilt der Vorgeschichte seit der Gründung des Oberappellationsgerichts Celle im Jahre 1711 – mit einem Ausblick auf Österreich. In diesem Teil ist auch sinnvollerweise vom Antisemitismus in der Zeit vor 1933 die Rede.

 

Unter der lapidaren Überschrift „Nationalsozialismus“ werden im dritten und längsten Teil des Buches in bunter Folge Ausbildung und Stellung der Anwälte, Notare und Steuerberater sowie deren Mitarbeit in der Partei und anderen nationalsozialistischen Verbänden sowie in der die Ehrengerichtsbarkeit behandelt. Es folgen als vierter Teil „Entnazifizierung und Neuanfang“ sowie als Teil 5 ein Ausblick auf die Anwaltschaft als „Stand im Staat“ mit einer kurzen Darstellung von Forschungsansätzen zur Geschichte der Anwaltschaft und Beobachtungen über das Thema „freie Anwaltschaft und staatliche Intervention“.

 

Köln                                                                                                  Klaus Luig