Riegler, Thomas, Terrorismus. Akteure, Strukturen, Entwicklungslinien. StudienVerlag, Innsbruck 2009. 636 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Terrorismus ist heutzutage wieder in aller Munde, und der Begriff wird besonders gerne bemüht, wenn es um vorgeblich unvermeidbare Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten geht. Umso notwendiger angesichts solch inflationären Gebrauchs sind phänomenologische Analysen, die darzulegen vermögen, worin nun denn eigentlich das Wesen dessen besteht, worüber man sich so gern und so leichtfertig verbreitert.

 

Es ist Thomas Riegler zu danken, dass er sich dieser nicht einfachen Aufgabe stellt; fast 600 Textseiten geben Zeugnis von den Bemühungen dieses in einem eigenen „Netzwerk Terrorismusforschung“ engagierten, noch jungen Wiener Historikers und Publizisten. Die Ergebnisse seiner in drei thematische Blöcke untergliederten Studie können sich durchaus sehen lassen.

 

Der erste Teil der Arbeit verfolgt die Absicht, Grundlagenwissen zur Verfügung zu stellen. Darin begibt sich der Verfasser auf die Suche nach einer Definition und stellt die historische Entwicklung des modernen, mit dem Anarchismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden Terrorismus bis in die unmittelbare Gegenwart dar, gefolgt von Überlegungen zu dessen Methoden, Strategien, zu soziologischen Fragen, Ursachenkomplexen und den als „Acting Out“ bezeichneten Identifikationsmustern.

 

Sprachlich abgeleitet von der terreur der Französischen Revolution, entzieht sich der Terrorismusbegriff bis dato einer griffigen, allgemein verbindlichen Definition. Als wichtiges konstituierendes Element benennt der Autor die Qualität „minoritärer“ Gruppen, deren „revolutionäre Projekte … selbstreferentielle Angelegenheiten“ ohne Massengefolgschaft blieben, im Unterschied etwa zu den „legitimen“ Guerilla- und Befreiungskämpfern mit völkerrechtlich zuerkanntem Kombattantenstatus (S. 52). Historisch ließen sich bislang auf dieser Grundlage fünf „Wellen“ des Terrorismus festmachen: eine anarchistische (1880er Jahre bis Erster Weltkrieg), eine nationalistisch-separatistische (Ende Zweiter Weltkrieg bis Ende der 1970er Jahre, mit Übergängen zum islamistischen Terror), eine linksterroristische (1968 bis 1989), eine rechtsterroristische (Zwischenkriegszeit und Ende des kalten Krieges) und eine radikal-islamistische (frühe 1990er Jahre bis zur Gegenwart).

 

Die grundlegende konzeptionelle Idee einer „Propaganda der Tat“ habe sich bei der Aufgabe, mittels Terror revolutionäre soziale und politische Veränderungen zu initiieren, im Ergebnis zumeist nicht als zielführend erwiesen, weil „kein ausreichendes Segment der Bevölkerung bereit war, die ideologische Begründung eines terroristischen Angriffes gegen die bestehende Ordnung als triftig und legitim nachzuvollziehen“, weshalb „keine mobilisierende Wirkung von den Gewalttaten ausgeh(e)“ (S.134). Hingegen sei die Methodik der asymmetrischen Kriegsführung, anknüpfend an die Traditionen des Guerilla- und Partisanenkrieges und erzwungen durch die Notwendigkeit, die konventionelle Überlegenheit des zu bekämpfenden Gegners adäquat zu kompensieren, „durch höchst flexible Adaption“ verselbständigt und laufend verfeinert worden, sodass heute ein „hohe(s) Ausmaß an strategisch-rationaler Überlegung hinter Terrorstrategien und deren Wirksamkeit“ stehe (S. 170). Die Ursachen des Terrorismus seien besonders vielfältig und nur durch einen multikausalen Ansatz – der Verfasser unterscheidet zwischen persönlich-individuellen Motiven (Mikroebene), Gruppen- bzw. organisatorischen Dynamiken (Mesoebene) und politischen, ökonomischen und sozialen Großzusammenhängen (Makroebene) – fassbar zu machen, wobei eine Korrelation zwischen rascher Modernisierung und Wellen vermehrter terroristischer Aktivität ins Auge falle. Für den Schritt hin zur konkreten Tat bedürfe es dann stets noch einer „historisch, ideell, symbolisch oder religiös“ orientierten „Aufladung“ (S. 261).

 

Sein zweites Großkapitel widmet der Verfasser den Aspekten der „Interpretation, Konstruktion und Bebilderung von Terrorismus“. Er kommt zum Ergebnis, dass die Medien, ungeachtet ihrer Pflicht zur Berichterstattung gerade auch über terroristische Aktionen, sich keineswegs als Propagandaapparate im Dienste der Extremisten missbrauchen ließen. Bei Anschlägen konzentriere sich ihre Arbeit in erster Linie auf Opfer und Schäden sowie auf Verlautbarungen der Behörden und der politischen Verantwortungsträger, kaum jedoch auf Ziele und Absichten der Terroristen. Durch nüchterne Reaktionen würde der öffentlichen Wirkung des Terrorismus am ehesten die Spitze genommen, doch gehe zur Zeit die Haupttendenz genau in die Gegenrichtung, indem im Zuge der weltweiten Popularisierung des „War on Terror“  Bedrohungen  „gehypt“ und übertrieben dargestellt würden, auch wenn man „damit dem Kalkül des Gegners in die Hände spielt“ (S. 338).

 

Die – in höchstem Maß bedenklichen - Reaktionsmuster des Staates bilden den Inhalt des wichtigen dritten und zugleich letzten Abschnitts des Bandes. Riegler geht darin den „staatsterroristischen“ und extralegalen Methoden der Terrorismusbekämpfung nach, in deren Rahmen sich die Staatsgewalt die „schmutzigen“ Kampfpraktiken des Gegners aneignet und diese gleichsam nachahmt. Das gilt für die als „Counterinsurgency“ bezeichnete Doktrin der Aufstandsbekämpfung durch den Versuch, „die Strategie und die Prinzipien des Guerillakrieges gegen den Feind zu wenden, ihn mit seinen eigenen Waffen auf eigenem Terrain zu besiegen“ (S. 366) ebenso wie für die „Imitation“ – das Bestreben, hinderliche rechtsstaatliche Begrenzungen für Antiterrormaßnahmen außer Kraft zu setzen, um Sicherheitskräften die Möglichkeit zu eröffnen, mit Mordanschlägen, Entführungen und Folter gegen Verdächtige vorzugehen. Die Zahl der überzeugenden, vom Verfasser zur Illustration angeführten Fallbeispiele, die auch Einblick in die aktuellen politischen „Counterterrorstrategien“ geben, ist Legion und verteilt sich über den gesamten Erdball: Algerien, Lateinamerika, Italien, Frankreich, Nordirland, Spanien, Israel, die Vereinigten Staaten, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland und Kanada.

 

Riegler zieht ein verheerendes Fazit: Praktisch alle Staaten seien dem strategischen Kalkül der „Propaganda der Tat“, den „übermächtigen Gegner zu einer Überreaktion zu verleiten, um so eine Entfremdung zwischen ‚System’ und Allgemeinheit herbeizuführen“, auf den Leim gegangen, es gebe „praktisch kein Beispiel für eine Antiterrorismusstrategie, die bewusst auf Deeskalation und Nicht-‚Hochschaukeln’ gesetzt hätte“. Eine Bilanz der ergriffenen Maßnahmen decouvriere jene als weitgehend wirkungslos, ja sogar als kontraproduktiv, und der „War on Terror“ habe „das Terrorrisiko nicht vermindert, sondern wesentlich vermehrt“; an den eigenen Ansprüchen gemessen sei „dieser Ansatz somit bislang vollkommen gescheitert“ (S. 526f.). Anders lautenden Lippenbekenntnissen zum Trotz, welche die Notwendigkeit einer politischen Lösung des Problems durch eine konsequente Demokratisierung einfordern, seien in der realpolitischen Praxis noch keinerlei Anzeichen für einen solchen Richtungswandel auszumachen.

 

Ungeachtet dieser pessimistischen Perspektive und einiger Flüchtigkeitsfehler ist das Buch Thomas Rieglers für den Leser ein Gewinn, indem es versucht, das Phänomen Terrorismus in globaler Perspektive zu umreißen und einem tieferen, komplexe Zusammenhänge berücksichtigenden Verständnis aufzuschließen. Vielleicht wird man dem Verfasser vorwerfen, den schwierigen Bedingungen der sicherheitsbehördlichen Arbeit zu wenig Beachtung zu schenken und zugleich die terroristische Primärbedrohung zu sehr zu verharmlosen, doch legen die vor allem auf US-amerikanischen Druck hin und ohne Rücksicht auf Datenschutzeinwände vorgenommenen, immer massiveren Eingriffe in die Privatsphäre unbescholtener Menschen – die allgemeine Rufdatenspeicherung und der Bankdatenaustausch im Zuge des umstrittenen Swift-Abkommens sind die jüngsten Schritte in diese Richtung – nahe, dass die größere Gefahr tatsächlich von diesen einer irrationalen Terrorhysterie geschuldeten, so überzogenen wie ineffektiven Präventivmaßnahmen ausgeht.

 

Dem mit 2395 Fußnoten – allesamt reine Literaturnachweise – versehenen Text ist ein differenziertes, aber gerade dadurch etwas unübersichtliches Schriftenverzeichnis angeschlossen, das zeigt, dass der Verfasser in seiner Arbeit vor allem auf eine beeindruckende Fülle in- und ausländischer Periodika zurückgegriffen hat, und das zusätzlich auf eine erhebliche Anzahl online zugänglicher Dokumentationen verweist.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic