Polkowski, Adam, Die polnische Zivilprozessordnung von 1930/33 - unter Berücksichtigung des deutschen, österreichischen, russischen und französischen Rechts (= Rechtshistorische Reihe 396). Lang, Frankfurt am Main 2009. 362 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Werner Schubert angeregte und betreute, im Wintersemester 2008/2009 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel angenommene Dissertation des in Danzig 1980 geborenen, in Kiel ausgebildeten Verfassers. Sie gliedert sich in eine kurze Einleitung und insgesamt vier Teile. Dabei geht die Einleitung überzeugend auf die besondere Rechtslage Polens ein, die dadurch entstand, dass das Land am Ende des 18. Jahrhunderts aufgeteilt wurde, der nach dem ersten Weltkrieg entstandene Staat aber als Fortführung des seinerzeit aufgeteilten Polen verstanden werden wollte, obwohl auf seinem Gebiet bis zu fünf verschiedene Rechtsordnungen Anwendung fanden.

 

Auf dieser Grundlage behandelt der erste Teil zunächst die historischen und gesellschaftlichen Ursachen für die Unifizierung und Kodifizierung des Rechtes der zweiten Republik Polen. Dabei sondert er zutreffend ehemals preußisches Teilungsgebiet, ehemals österreichisches Teilungsgebiet, ehemals ungarisches Teilungsgebiet und ehemals russisches Teilungsgebiet (Kongresspolen, Ostgebiete). Danach schildert er die Vereinheitlichungsbestrebungen bis 1918, die Gründung des polnischen Staates und die Einführung einer Verfassung.

 

Der zweite Teil befasst sich mit der Kodifikationskommission des neuen Staates unter besonderer Berücksichtigung der Zivilprozessordnung. Dabei schildert der Verfasser die Einsetzung, die Struktur, die fachlichen Ressourcen sowie die Arbeitsweise und Zusammensetzung der Kommission. Von den 44 Mitgliedern der Kommission hebt der Verfasser 8 besonders hervor (darunter den Strafrechtler Emil Stanisław Rappaport, 1877-1965).

 

Den Mittelpunkt der Arbeit bildet die Zivilprozessordnung vom 29. November 1930. Für sie behandelt der Verfasser nacheinander die Gerichtsordnung, den Anwaltszwang, Fragen der Prozesskosten, das Verfahren vor der ersten Instanz (Klageerhebung, Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, Güteverfahren, mündliche Verhandlung, Parteierscheinen, Zurückweisung verspätet vorgebrachter Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie nachträglich vorgebrachter Beweise, Einzelrichter), Beseitigung der Parteiherrschaft über die Termine, ruhendes Verfahren, Versäumnisverfahren, Berufung und Revision bzw. Kassation. Vielfach vergleicht er dabei sorgfältig deutsches, österreichisches, russisches und polnisches sowie französisches und ungarisches Recht.

 

Insgesamt beurteilt er die polnische Zivilprozessordnung als eine selbständige, vor allem an die deutsche und österreichische Gesetzgebung anknüpfende Fortbildung einer geschichtlich im römisch-kanonischen und im germanischen Recht wurzelnden Entwicklung. Die Leistung der Kodifikationskommission stuft er insbesondere unter Berücksichtigung der mangelnden finanziellen Unterstützung als beachtlich ein. Erfreulicherweise verfolgt er auch die Veränderungen von 1945 bis 2008, so dass seine durch Anhänge abgerundete Untersuchung für jeden an der polnischen und europäischen Zivilprozessrechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts Interessierten eine wertvolle Bereicherung darstellt.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler