Olschewski, Boris, Herrschaftswechsel - Legitimitätswechsel - Die Mediatisierungen Biberachs und Friedbergs im europäischen Kontext (1802-1806) (= Trierer historische Forschungen 63). Kliomedia, Trier 2009. 268 S. Besprochen von Gerold Neusser.

 

Mit dem vor nahezu zwei Jahrzehnten erschienenen voluminösen Band „Das alte Reich und seine Städte“ Klaus Peter Schroeders über die Mediatisierung der oberdeutschen Reichsstädte im Gefolge des Reichsdeputationshauptschlusses1802/03 schien die Thematik von „Untergang und Neubeginn“ der alten Reichsstädte quasi endgültig abgehandelt, jedenfalls von rechtshistorischer Seite. Nun ist sie durch eine neue Studie von historischer Seite ergänzt worden: unter dem Gesichtspunkt von „Herrschaftswechsel – Legitimitätswechsel“ hat Boris Olschewski mit seiner von Helga Schnabel-Schüle betreuten Trierer Dissertation die „Mediatisierungen Biberachs und Friedbergs im europäischen Kontext (1802-1806)“ paradigmatisch untersucht. Dabei ist zu erkennen, dass die beiden Leitbegriffe der übergreifenden Arbeit am Sonderforschungsbereich 600 „Fremdheit und Armut. Wandel von Inklusions- und Exklusionsfiguren von der Antike bis zur Gegenwart“ entstammen und der Herrschaftswechsel dabei „als übergeordnete Kategorie des historischen Vergleichs verstanden“ (S.12) wird, dessen Legitimität nicht aus moralischer, sondern „aus obrigkeitlicher Perspektive behandelt“ (S.12f. Anm.6) wird. Zur Klärung dieser Begriffe sowie desjenigen der Mediatisierung greift der Verfasser auf die begriffsgeschichtlichen Grundlagen (S. 29ff.) zurück und widmet eine vertiefende Seiten-Betrachtung dem Legitimitätsbegriff Max Webers und seinen methodischen Grundüberlegungen zur Herrschaftssoziologie. An der „Begriffsklärung“ zur „Mediatisierung“ (S. 26ff.) fällt die weiter bestehende Kontroverse zu Willoweit auf, gegenüber dessen Definition von der „Ereignishaftigkeit des Phänomens“ Olschewski die „Prozeßhaftigkeit des Begriffes“ (S. 29) betont. Seinen Topos „Herrschaftswechsel“ macht der Verfasser systematisch „räumlich und zeitlich vergleichend“ (S. 17) an den Vorgängen fest, die sich im Zusammenhang mit dem Niedergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im (militärischen) Konflikt mit Frankreich – freilich nicht ohne Zutun der massiven Egoismen deutscher Reichsfürsten – in der napoleonischen Ära ereigneten. Für seine Untersuchung hat er Unterschiedliches ausgewählt, einerseits die Reichsstadt Biberach und andererseits die Reichsstadt und die (frühere Reichs-)Burg Friedberg – die letztere hätte übrigens einmal eine eigene Untersuchung verdient. Auf der Grundlage ihrer Herrschaftsstrukturen und ihrer Besitzverhältnisse vor 1802 vergleicht er zunächst die Rahmenbedingungen der beiden Reichsstädte mit denen der später aufnehmenden Territorien bis 1803, der Landgrafschaft Hessen, der Markgrafschaft Baden und des Herzogtums Württemberg. Sodann werden die mehrfachen Herrschaftswechsel ereignisgeschichtlich und analytisch dargestellt: 1802 wird Friedberg von Hessen-Darmstadt, Biberach von Baden besetzt, 1804 auch die Burg Friedberg vorübergehend militärisch okkupiert und 1806 endgültig in Besitz genommen. Schließlich musste Biberach einen weiteren Herrschaftswechsel hinnehmen; auf Grund des Tauschvertrages mit Baden sowie der Rheinbund-Akte von 1806 fiel es an Württemberg und wurde dem neuwüttembergischen Staatsteil einverleibt.

 

Die Darlegungen Olschewskis machen den „europäischen Kontext (1802-1806)“ eindringlich deutlich mit dem Geflecht zwischen Reichspolitik, einzelstaatlicher Interessenpolitik und französischer Machtpolitik, wie sie in den vielen vertraglichen Vereinbarungen und Friedensschlüssen, vor allem dem Reichsdeputationshauptschluss, der Auflösung des Reiches  sowie der Rheinbundakte, zum Ausdruck kommen. Geradezu konträr dazu der eindrucksvolle Hinweis auf den (neu)württembergischen Oberamtmann Carl Friedrich Dizinger als Musterbeispiel vernünftiger Verwaltungsarbeit in den vielgestaltigen neu erworbenen Gebieten. War der Herrschaftswechsel bloß Ausfluss des Austausches (objektiver) staatlicher Hoheit über Gebiete, so brachte die dadurch gewonnene Hoheit über Untertanen neue (subjektive) Begründungszwänge. Der Verfasser hat dabei nicht die „Vorstellung …, politische (Neu-)Ordnungen auf ihren legalen oder moralisch-positiven Gehalt hin zu untersuchen“ (S. 170), sondern versteht „Legitimität als ein politischer Kommunikationsprozeß .., in dem der Legitimitätsanspruch eine Selbstzuschreibung seitens der Obrigkeit darstellt“ (S. 170), der freilich doch „auf die Notwendigkeit der Rechtfertigung des Herrschaftsanspruches rekurriert“ (S. 170). Daraufhin werden die „Rechtsakte in Form von Publikationen von Besitzergreifungspatenten“ (S. 171) – die, soweit einschlägig, im Anhang abgedruckt sind – differenziert untersucht, weitgehend angelehnt an Niklas Luhmann und seine „historische Semantik“ (S. 172). Dabei wird auch deutlich, dass die Patente in der Bezugnahme auf ihre jeweiligen Rechtsgrundlagen ihrerseits legitimitätsstiftende Kraft entfalteten. Freilich war die nach der Auflösung des Reichs ab 1806 verwendete Bezugnahme auf die von deutschen Territorialfürsten erlangte Souveränität eine solche von Napoleons Gnaden, häufig auch erlangt durch Bestechungsgelder. In seinem Grundansatz stellt sich das Buch dar als ein Versuch, in der Geschichtswissenschaft quasi übergreifend unter Zuhilfenahme soziologischer Topoi – Max Weber, Niklas Luhmann – zu arbeiten, ich habe aber einige Zweifel am Erfolg solcher Verfahrensweise. Dennoch bringt die Lektüre Gewinn. Erfreulich ist die gute Zusammenfassung (S. 217-221). Schade nur, dass sich in den Apparat einige Fehler eingeschlichen haben, aber auch sinnstörende Flüchtigkeit schadet, besonders ärgerlich  „Biberbach“ statt Biberach (S. 9) gerade im Vorwort! 

 

Bremen                                                                       Gerold Neusser