Neumann, Friederike, Öffentliche Sünder in der Kirche des späten Mittelalters. Verfahren - Sanktionen - Rituale (= Norm und Struktur 28). Böhlau, Köln 2008. 200 S. Besprochen von Harald Maihold.

 

Die Trennung zwischen kirchlicher Buße und kirchlicher Strafe ab etwa 1150 und ihre Ausdifferenzierung im 13. Jahrhundert haben dazu geführt, dass diese Bereiche auch in der Geschichtsschreibung lange Zeit getrennt betrachtet wurden. Die kanonistische Rechtsgeschichte und die historische Kriminalitätsforschung haben sich auf die Strafe, die Theologiegeschichte auf das Bußsakrament konzentriert, kirchliche Verfahren gegen Sünder entweder der einen oder der anderen Kategorie zugeordnet und dazu nicht Passendes ausgeblendet.[1] Bereits vor einigen Jahren hat die u.s.-amerikanische Historikerin Mary C. Mansfield für das mittelalterliche Nordfrankreich[2] diese Sichtweise revidiert, indem sie zeigte, dass es neben der Buße, wie sie in der Beichte ausgesprochen wurde, und der durch die kirchliche Gerichtsbarkeit verhängten Strafe noch weitere Formen öffentlicher Buße gab, die das Interesse der kirchlichen Instanzen belegen, öffentliche Sünder bloßzustellen und zu beschämen. Diesen Forschungsansatz entwickelt Friederike Neumann in einer Bielefelder Dissertation weiter, indem sie am Beispiel des Bistums Konstanz den von Mansfield entdeckten „Graubereich“ zwischen privater Buße und öffentlicher Strafsanktion genauer beleuchtet und zeigt, dass die öffentliche Buße auch noch im 15. und frühen 16. Jahrhundert bestehen blieb.

 

Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert: Nach einem Forschungsbericht (S. 13-25) behandelt Neumann ausführlich die kirchlichen Verfahren gegen öffentliche Sünder im Bistum Konstanz im 15. Jahrhundert, wobei sie sich auf umfangreiche Archivalien vor allem des Erzbischöflichen Archivs Freiburg stützt. Im Vordergrund der Untersuchung stehen die an den Verfahren beteiligten kirchlichen Instanzen und ihre Rollen sowie die Ausgestaltung des öffentlichen Bußrituals (S. 26-148). Die Ergebnisse vergleicht Neumann anschließend mit den Verfahren im Bistum Bamberg (S. 149-168).

 

Neumann geht vom Begriff des öffentlichen Sünders aus, der auf eine Reihe von Sünden verweist, deren Behandlung dem Bischof bzw. seinem Stellvertreter, dem Generalvikar, vorbehalten war. Doch die Quellen, die Neumann untersucht, zeigen, dass das bischöfliche Monopol auf diese Fälle durch ein dynamisch sich entwickelndes Netz kirchlicher Instanzen durchbrochen wurde, die im ausgehenden Mittelalter öffentlichen Sündern Angebote zur Bewältigung ihrer Vergehen unterbreiteten. Der Versuch der Konstanzer Bischöfe, die Kompetenzen für die Behandlung öffentlicher Sünder bei ihrem Stellvertreter, dem Generalvikar, zu bündeln, gelang nur bedingt. Die ortsnäheren Klöster und Stiftungen, Städte und Landgemeinden boten ebenfalls Absolution bei öffentlichen Sünden an. Die Bischöfe haben diese Praxis schließlich durch besondere Vollmachten legalisiert, konnten sich dabei aber das Monopol für die Umwandlung öffentlicher in geheime Bußen bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts sichern und sich damit als oberste Ordnungsinstanz im Bistum behaupten. Den großen päpstlichen Ablasskampagnen an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert gegenüber, die den Sündern ebenfalls Absolution für öffentliche Sünden versprachen, waren die Bischöfe hingegen machtlos.

 

Die öffentlichen Bußrituale, die oft in der Anonymität großer Büßergruppen und mit spezieller dramatischer Erlösungsliturgie durchgeführt wurden und in der Absolution mündeten, verfolgten Neumann zufolge in Konstanz weniger das Ziel, den Sünder zu brandmarken oder zu beschämen, als vielmehr die Unannehmlichkeiten eines öffentlichen Bekenntnisses so gering wie möglich zu halten, das Bußverfahren dadurch für den Sünder akzeptabel zu gestalten und ihn mit der kirchlichen Gemeinschaft zu versöhnen. Dieses Bemühen, das Verfahren für die Gläubigen attraktiv zu gestalten und zu erleichtern, setzt sich in den bischöflichen Vollmachten für die ortsnäheren Seelsorger, der Praxis der Umwandlung öffentlicher in geheime Bußen und den Ablasskampagnen konsequent fort, führte aber auch zu einer „Gnadeninflation“, die das öffentliche Bußritual letztlich unattraktiv machte und damit zu seinem Niedergang beitrug. Dadurch aber verlor das kirchliche Verfahren an öffentlicher Sichtbarkeit. Diese Lücke wurde, wie Neumann anschaulich belegt, in der Folgezeit von der erstarkenden weltlichen Gerichtsbarkeit ausgefüllt, die das kirchliche Verfahren aber weniger konkurrenzierte als ergänzte. Das weltliche Verfahren lehnte sich dabei in der Durchführung stark an die ehemals kirchliche öffentliche Buße an. Inwieweit die Durchführung bußähnlicher Rituale im weltlichen Gericht Auswirkungen auf die kirchliche Buße hatten, ist jedoch unklar.

 

Der Vergleich mit dem Bistum Bamberg zeigt, dass die Behandlung öffentlicher Sünder in der Kirche bei anderen konstitutionellen Voraussetzungen durchaus eine andere Entwicklung nehmen konnte als in Konstanz. In Bamberg war die Situation durch die konkurrierende Gerichtsbarkeit des Domdekans geprägt. Die Reaktionen gegen öffentliche Sünder hatten in Bamberg stärker strafenden Charakter, die Rufschädigung und finanzielle Interessen standen im Vordergrund und haben früh eine konkurrierende weltliche Gerichtsbarkeit auf den Plan gerufen. Der Reintegration des Sünders durch Absolution im Bußwesen kam hier keine zentrale Bedeutung zu. Erst relativ spät wurde ein Katalog von bischöflichen Reservatsfällen formuliert, der die Kompetenzen des Domkapitels einschränkte und im ausgehenden 15. Jahrhundert die Verhältnisse denen in Konstanz annäherte. Unklar ist jedoch, inwieweit diese Entwicklung noch zu einer zentral kontrollierten Reaktion auf offenkundige Normverstöße führen konnte.

 

Neumanns Buch zeigt, dass sich auch auf 200 Seiten ein wissenschaftlicher Forschungsansatz entwickeln lässt und sich damit gewinnbringende Ergebnisse einfahren lassen. Indem sie nicht von fertigen Begriffen wie „Buße“ und „Strafe“ ausgeht, sondern allgemein nach den kirchlichen Reaktionen auf öffentliche Sünden fragt, befreit sie die bisherige Forschung von ihrem Schubladendenken und lässt ein plastischeres Bild der Verfahren durch die verschiedensten kirchlichen Instanzen entstehen. Dabei ist sich die Autorin auch der Grenzen ihrer Arbeit bewusst, die angesichts der z. T. mageren, interpretationsbedürftigen Quellen unvermeidbar sind. Lücken und ungeklärte Fragen werden klar benannt (z. B. S. 146, 168, 176) und laden zu weiterer Forschungstätigkeit ein. Neumann hat gezeigt, dass zwischen Konstanz und Bamberg erhebliche Unterschiede in der Behandlung öffentlicher Sünder bestanden. Um die ganze Komplexität der Entwicklungsgeschichte zwischen Bußsakrament und öffentlichem Strafrecht zu erfassen, sind weitere regionale Untersuchungen erforderlich.

Basel                                                                                                  Harald Maihold



[1]  Zu Lotte Kéry, Gottesfurcht und irdische Strafe. Der Beitrag des mittelalterlichen Kirchenrechts zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts, 2006, vgl. Neumann, Öffentliche Sünder, S. 9 Fn. 11 sowie die Rezension in diesem Band.

[2]  Mary C. Mansfield, The Humilation of Sinners. Public Penance in Thirteenth-Century France, 1995.