Maihold, Harald, Strafe für fremde Schuld?. Die Systematisierung des Strafbegriffs in der Spanischen Spätscholastik und Naturrechtslehre (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas. Symposien und Synthesen 9). Böhlau, Köln 2005. XVI, 393 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Viele irdische Güter sind bekanntlich in der bunten Wirklichkeit des menschlichen Lebens ungleich verteilt. Deswegen findet auch nicht jedes Werk stets die ihm gebührende Aufmerksamkeit der besten Sachkundigen. Dann kann oder muss ein Herausgeber gelegentlich ohne gleichwertige Sachkunde und mit ungewollter zeitlicher Verzögerung mit einem allgemeineren kurzen Hinweis aushelfen.

 

Die deswegen anzuzeigende Untersuchung ist die von Kurt Seelmann mit viel Geduld und Vertrauen begleitete, in zehnjähriger Arbeit entstandene und im Dezember 2003 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg angenommene Dissertation des Verfassers. Sie spricht eine bedeutsame Frage des Strafrechts an. Sie geht von Friedrich Schillers Bürgschaft aus, der die freiwillige Übernahme der „Strafe“ für einen anderen als Beweis moralischer Größe und die Forderung einer solchen „Strafe“ als Ausdruck tyrannischer Gewalt verstand.

 

Demgegenüber sieht der Verfasser zutreffend eine Übertragung der „Strafe“ auf andere als den „Täter“ nicht mehr als außerhalb jeder Denkmöglichkeit liegend an. Deswegen erscheint ihm der Blick auf ein „vormodernes Strafrecht“ sinnvoll. Auf dieser Grundlage versucht er in seiner Arbeit, die Systematisierungsleistungen der spanischen Spätscholastik und der Naturrechtslehre wahrzunehmen.

 

Zu diesem Zweck geht er von der Prinzipienkrise der aktuellen Zurechnungslehre aus, betont die Notwendigkeit geschichtlicher Untersuchung, schildert die Wiederentdeckung der spanischen Spätscholastik und legt die methodischen Probleme dar, um seine einleuchtende Einführung mit einem eigenen Programm abzuschließen. Die dem folgende Untersuchung gliedert er danach in fünf Teile Verortung der Lehre von der „Strafe für einen anderen“ in der strafrechtlichen Literatur des 16. Jahrhunderts, Straflehre der älteren Legistik und Kanonistik samt Infragestellung durch Thomas von Aquin, Entwicklung der Straflehre in der Theologie, Kanonistik und Legistik  des 16. Jahrhunderts, verwandte moraltheologische Fragestellungen und Metamorphose der Lehre von der „Strafe für einen anderen“.

 

Am Ende seiner beeindruckenden Leistung fasst er seine auf breiter Literaturgrundlage interdisziplinär gewonnenen neuen Erkenntnisse übersichtlich zusammen. Demnach kann der große Einfluss der Theologie auf das „moderne“ Strafrecht besonders deutlich an der auf theologische Unterscheidungen zurückgehenden Trennung von „Strafen“ und „Maßregeln“ aufgezeigt werden. Auf dieser Grundlage hält er ein neues Überdenken der Rechtfertigung von „Strafen“ und „Maßnahmen“ in der säkularisierten Gesellschaft der Gegenwart für durchaus berechtigt, sieht aber das Schuldprinzip als geschichtlich gewordenen Teil der Rechtskultur an, dessen Preisgabe ein Opfer an Rechtskultur bedeuten würde.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler