Konfession im Recht. Auf der Suche nach konfessionell geprägten Denkmustern und Argumentationsstrategien in Recht und Rechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. v. Cancik, Pascale/Henne, Thomas/Simon, Thomas/Ruppert, Stefan/Vec, Miloš (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 247). Klostermann, Frankfurt am Main 2009. XIV, 190 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im Alter von 52 Jahren gründete Helmut Coing (Celle 28. 2. 1912-Kronberg im Taunus 15. 8. 2000), 1935 in Göttingen promoviert, 1938 in Frankfurt am Main habilitiert, 1941 Professor für römisches und bürgerliches Recht in Frankfurt am Main, während der Zeit des Nationalsozialismus unbelastet, 1948 ordentlicher Professor für bürgerliches und römisches Recht, 1955-1957 Rektor der Universität, 1956-1947 Vorsitzender der westdeutschen Rektorenkonferenz, 1958-1960 Vorsitzender des Wissenschaftsrats das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, dessen einer Leiter er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1980 blieb. Naheliegenderweise war für ihn europäische Rechtsgeschichte vorrangig Geschichte des Fortwirkens des römischen Rechts in Mittelalter und Neuzeit und damit in erster Linie Privatrechtsgeschichte. Es war deshalb Wagnis und Gefahr zugleich, als Dieter Simon, Otto Gerhard Oexle, Dietmar Willoweit sich 1991/1992 für die Besetzung der Stelle mit einem 1974 nach Frankfurt am Main berufenen Öffentlichrechtler aussprachen, der sich selbst durch Leidenschaft für die Rechtsgeschichte, treuhänderisches Verständnis für das Haus und Ungeduld kennzeichnete.

 

Von 1991/1992 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2006 war Michael Stolleis danach nicht nur Professor an der Universität Frankfurt am Main, sondern auch Direktor am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, das er danach seit September 2007 kommissarisch leitete. Spielerisch vereinfachend und überlegen untertreibend beschrieb er diese Stellung als die eines Wirtes, der von Tisch zu Tisch geht und die vielen inländischen und ausländischen Gäste nach Befinden und Wünschen befragt. Tatsächlich ist die hervorragende Bewältigung dieser Aufgabe ein großes Verdienst, das am voraussichtlichen Ende gebührenden Dank selbverständlich macht.

 

Dementsprechend wurde der 65. Geburtstag von Michael Stolleis vom 20. Juli 2006 froh und dankbar begangen. Mehr als 50 Festgäste von Helsinki bis Padua und von Tübingen bis Wien trafen sich zu einer wissenschaftlichen Tagung. Wie und wann es genau zu dem ansprechenden Thema kam, vermochte der Jubilar selbst nicht genau zu sagen, jedenfalls sollte sein altes, in die Münchener Zeit der Habilitation zurückreichendes Interesse am Kirchenrecht, an konfessionellen Prägungen, an den außerrechtlichen Fundierungen von Staat und Gesellschaft verbunden werden mit der Geschichte des Rechts im 19. und 20. Jahrhundert.

 

Dieser anregenden Fragestellung sind die fünf Herausgeber nachgegangen. Sie haben nicht nur die Suche nach konfessionellen Denkmustern und Argumentationsstrategien in Recht und Rechtswissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts umsichtig eingeleitet, sondern auch den organisatorischen Rahmen für das interdisziplinäre Gespräch von Juristen, Soziologen, Theologen und Historikern eindrucksvoll geschaffen. In ihm wurden insgesamt acht Referate vorgetragen, die einer losen chronologischen Reihung folgen und sich zugleich in sachliche Themenkreise bündeln lassen.

 

Zu Beginn sollten als erstes die methodischen Probleme der aufgeworfenen Forschungsfrage reflektiert werden. Deswegen betrachtete Olaf Blaschke die Juristen im zweiten konfessionellen Zeitalter und ermittelte eine in zahlreichen Graphiken dargestellte Überproportionalität der Protestanten unter den (bedeutenden) Juristen. Volkhard Krech untersuchte die konfessionellen Prägungen in der Religionsforschung ideengeschichtlich und wissenschaftsgeschichtlich und verband seine überzeugenden Ergebnisse mit einem Ausblick auf das gegenwärtige Religionsrecht.

 

Joachim Rückert ermittelte in seinem Beitrag zu Symphilosophie und höherer Geselligkeit Religiöses und Unreligiöses bei Savigny, für den sich von konfessionell kaum sprechen lässt. Dementsprechend konnte er bei Savigny zwar religiöse Denkmuster durchaus feststellen, nicht aber konfessionelle, wobei den überkonfessionellen, religiösen Denkmustern strukturelle Bedeutung zukam. Hans-Peter Haferkamp verfolgte die Einflüsse der Erweckungsbewegung auf die historisch-christliche Rechtsschule zwischen 1815 und 1848 und konnte vor allem an Hand Puchtas zeigen, dass Religion im Recht Juristen, die den Tag mit Bibellektüre begannen, zu wichtig war, um im heutigen Rückblick als Scheinargument abgetan zu werden.

 

Danach betrachtete Merio Scattola die Geburt des katholischen Natur- und Völkerrechts aus dem Geist des Protestantismus im 19. Jahrhundert, Stefan Korioth evangelisch-theologische Staatsethik und juristische Staatslehre in der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik. Peter Derleder erforschte konfessionelle Prägungen des Familienrechts im 20. Jahrhundert, Dieter Schwab konfessionelle Denkmuster und Argumentationsstrategien. Im Ergebnis wies Dieter Grimm zusammenfassend darauf hin, dass sich der Einfluss von Religion sicherer nachweisen lasse als der Einfluss von Konfession, und vermutete im Anschluss hieran, dass auch eine verstärkte Suche nach konfessionellen Einflüssen und einer dadurch bewirkten Veränderung des Bildes der Rechtsentwicklung kaum sichere Erkenntnisse zeitigen werde, was für das - von Michael Stolleis stets geradlinig und unbeirrt verfolgte - Recht nicht das Schlechteste wäre.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler