Iseli, Andrea, Gute Policey. Öffentliche Ordnung in der frühen Neuzeit (= UTB 3271). UTB, Stuttgart 2009. 162 S., 12 Abb. Besprochen von Michael Stolleis.

 

Es war an der Zeit. Nach fast 20 Jahren intensiver Hinwendung von Rechts- und Sozialgeschichte zu den Fragen der „guten Policey“ schien eine Zwischensumme überfällig. Andrea Iseli, eine Schülerin Peter Blickles, die 2003 eine Dissertation über die „bonne police“ im Frankreich der frühen Neuzeit vorgelegt hat, bilanziert nun den Forschungsstand, erklärt kurz das Auftauchen der „guten Policey“ als Derivat der Aristoteles-Rezeption des 13. und 14. Jahrhunderts und geht dann die wichtigsten Felder obrigkeitlicher Sozialgestaltung durch (Fluchen und Schwören, Sexualität und Ehe, Luxus und Spiel, Armen- und Gesundheitspolicey, Märkte und Preise, die saubere und wohnliche Stadt, Straßenbau und „das Wirtshaus“ als zentraler Ort der Kommunikation). Ein wichtiges Kapitel ist dem Rechtscharakter der Policeyordnungen und dem Verfahren bei ihrem Erlass gewidmet. Frau Iseli unterstreicht dabei die in den letzten Jahren immer wieder gemachte Beobachtung, dass die Initiative auch von den Untertanen selbst und von den Ständen kam, ebenso wie die Obrigkeiten selbst ihre Informationen verbesserten und eigenständig handelten. Von einer einseitigen Sozialdisziplinierung von oben nach unten, wie man öfter Gerhard Oestreichs Thesen vereinfacht hat, ist keine Rede mehr. Dargestellt werden weiter die vielfältigen Gerichtsinstanzen (Rügegerichte, Vogt- und Frevelgerichte, Gogerichte, städtische Räte, in Frankreich die Intendanten der Provinzen etc.), das Vigilantenwesen und die vielfach ungeklärte Frage der Normdurchsetzung. Die Autorin beschließt ihr kleines, aber handbuchartig angelegtes und solide gearbeitetes Buch mit einem Kapitel über die wechselnden Interpretationsmuster, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt und einander abgelöst haben.

 

Die Forschungsgeschichte beginnt mit der Pionierarbeit von Hans Maier (1966, nunmehr 4. Aufl. 2009), durch die erstmals die theoretische Seite frühmoderner obrigkeitlicher Innenpolitik erschlossen wurde. Eine Generation später begann das Erschließungsprojekt des Rezensenten (begonnen 1992, Publikationen 1996ff.), das sich großen Zuspruchs von Seiten der Historiker, in etwas geringerem Maße aber der Rechtshistoriker zu erfreuen scheint, weil letztere der Verwaltungsgeschichte meist ferner stehen. Gleichzeitig setzten vielfache Spezialstudien der Sozial- und Kriminalhistoriker ein, etwa von Blickle, Dinges, Holstein, Kissling, Landwehr, Schwerhoff, Schuster, Simon, Weber und vor allem von Karl Härter, der auch das Erschließungsprojekt vorantrieb. Frau Iseli arbeitet den Ertrag der zahlreichen Monographien und Aufsätze mit knappen, aber treffenden Worten heraus. Sie favorisiert mit Recht differenziertere Konzepte als es die Schlagworte „Absolutismus“ und „Sozialdisziplinierung“ nahelegen und betont den kommunikativen Charakter der Normbildung und Normdurchsetzung. Überschätzt wird dabei m. E. die Bedeutung von Foucaults Arbeiten zur „Gouvernementalität“, zumal sich dieser wenig in die Arbeit an den Quellen versenkte und keine wirklich vergleichenden Studien betrieb. Hat er wirklich mehr gesagt als aufmerksame Historiker vor ihm? Oder hat er es nur ein wenig anders gesagt? Überhaupt gewinnt man den Eindruck, dass die theoretischen Anstrengungen kaum mehr zutage fördern als die unzweifelhaft wichtigen Einsichten, dass bei der Entstehung und Durchsetzung der Policeynormen viele interessierte Kräfte mitwirkten, von den sich beschwerenden Betroffenen selbst und ihren Fürsprechern über Theologen, Ökonomen und Juristen, und dass die Obrigkeiten oft selbst in verschiedenen Rollen agierten, etwa beim Kampf gegen Alkoholismus und Verschwendung, an denen sie aber gleichzeitig massiv interessiert waren. Auch dass die Berufung auf das gemeine Wohl ein wesentliches Element der Legitimierung und gleichzeitig der Begrenzung der obrigkeitlichen Gebote darstellte, ist seit langem bekannt. Das bonum commune war der seit der Antike vertraute Argumentationstopos der Herrschenden, um alle möglichen Eingriffe zu rechtfertigen, gleichzeitig aber auch der kritische Ruf der Betroffenen gegen Selbstbegünstigung und Korruption. Freilich kam dieser kritische Ruf nicht vom „gemeinen Mann“ selbst, sondern von seinen theologisch und philosophisch gebildeten Sprechern, die gezielt eine aus Fürstenspiegeln und Predigten bekannte ältere Redeweise aktualisierten.

 

Bei einer sehr erwünschten künftigen Fortführung der hier besprochenen Übersicht würde man hoffen, etwas mehr über die Konjunkturen und Regelungsdichte der Policeynormen in den einzelnen Territorien zu erfahren, vielleicht auch über die (im Sinne heutiger „konfessioneller political correctness“) etwas vernachlässigten konfessionellen Unterschiede, über die Entstehung von Abschöpfungssteuern im Zuge ökonomischer Einsichten in die protoindustrielle Produktivkraft des Luxus, sowie schließlich über die Armenpolicey, deren intensive Erforschung (Sachße-Tennstedt, Jütte, Ammerer u. a.) hier nur relativ kurz behandelt wurde. Gleichwohl ist das Buch als Einstieg in diese immer breiter gewordene Forschungslandschaft ungemein nützlich. Es weist die wichtigste Literatur nach, liefert auch ein kleines Quellenverzeichnis (die vollständige Fassung muss im Internet eingesehen werden), verdichtet aber vor allem die Materie und ihre Problematik geschickt und in klarer Sprache. Wer hier forschen will, findet nun ein übersichtliches, aber immer noch urbar zu machendes Feld vor sich.

 

Frankfurt am Main                                                                  Michael Stolleis