Heusinger, Sabine von, Die Zunft im Mittelalter. Zur Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Straßburg (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 206). Steiner, Stuttgart 2009. 662 S., 5 Abb., 9 Graf., 30 Tab. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit basiert auf der von Annette Kehnel unterstützten, im Sommersemester 2006 von der philosophischen Fakultät der Universität Mannheim angenommenen Habilitationsschrift der Verfasserin. Sie betrifft einen klassischen Gegenstand auch der Rechtsgeschichte. Sie gelangt zu weiterführenden Ergebnissen, indem sie das von Max Weber geprägte statische Bild korrigiert und ergänzt.

 

Als Untersuchungsraum wählt sie Straßburg beispielhaft aus, weil die Stadt günstige Voraussetzungen bietet. Der Quellenbestand ist reich und liegt zu einem erheblichen Teil in gedruckter Form vor. Die Quellen zur Geschichte der Zünfte befinden sich überwiegend im Stadtarchiv, wenn auch etwa das Gerichtsarchiv 1870 zerstört wurde.

 

Gegliedert ist die detaillierte, von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis 1482 reichende Untersuchung außer in Einleitung (Quellenlage, Forschungsstand, Fragestellung, Methode und Aufbau sowie Einführung in Straßburg im Spätmittelalter) in fünf Abschnitte. Nacheinander behandelt die Verfasserin den Aufbau der (knapp 30 Straßburger) Zünfte, wobei sie gewerbliche Zunft, Bruderschaft, politische Zunft und militärische Einheiten darstellt, Funktionen der Zünfte (berufsständische Vertretung, religiös-karitative Aufgaben, politische Partizipation, Verteidigung), Zeiten des Wandels (1332. 1349, 1362, 1385, 1419-1422 und 1482) und soziale Mobilität. Danach vergleicht sie Straßburg mit Zürich, Nürnberg und Frankfurt am Main.

 

Kern der Untersuchung ist eine Personendatei mit 4055 von Aberhart bis Zwölfer alphabetisch geordneten Einträgen im Umfang von durchschnittlich vielleicht 3 Zeilen aus der gesamten Untersuchungszeit, die im achten Teil abgedruckt ist. Auf der Grundlage dieser Daten ermittelt sie neue Erkenntnisse zu den gewerblichen Einungen, Bruderschaften, politischen Zünften und militärischen Einheiten. Dabei vereint sie überzeugend historische Personenforschung mit Netzwerkanalysen.

 

Im Ergebnis ordnet sie die Zunft als soziale Gruppe ein. Sie findet ein beachtliches Maß an Mobilitätsspielräumen und stellt etwa fest, dass 32 Prozent der Söhne ein Gewerbe außerhalb der Zunft der Väter wählten und 56 Prozent der Töchter außerhalb der väterlichen Zunft heirateten. Auch wenn die vier verglichenen Städte nicht in jeder Hinsicht übereinstimmen, kann die Verfasserin gleichwohl die Zunft als exemplarisches Beispiel für soziale Mobilität der mittelalterlichen Gesellschaft erweisen, das jahrhundertelang ein erfolgreiches Modell für das Zusammenleben von Menschen bot, ehe der Liberalismus ein größeres Maß an Freiheit einforderte.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler