Hellwege, Phillip, Allgemeine Geschäftsbedingungen, einseitig gestellte Vertragsbedingungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre (= Ius Privatum). Mohr (Siebeck), Tübingen 2010. XXVIII, 677 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der 1971 geborene Verfasser fand bereits während seines Studiums der Rechtswissenschaft in Regensburg und Aberdeen (1992-1997) Anschluss als studentische Hilfskraft an Reinhard Zimmermann, wechselte nach der ersten juristischen Staatsprüfung zum Erwerb des Magister juris in European and Comparative Law an das Balliol College in Oxford, kehrte danach als wissenschaftliche Hilfskraft nach Regensburg zurück, wurde bald aber wissenschaftliche Hilfskraft bzw. wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Klaus Luig bzw. Hans-Peter Haferkamp in Köln und 2003 wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg (Reinhard Zimmermann). Seine 2003/2004 in Regensburg angenommene Dissertation erschien 2004 unter dem Titel „Die Rückabwicklung gegenseitiger Verträge als einheitliches Problem - deutsches, englisches und schottisches Recht in historisch-vergleichender Perspektive“, seine Auslegung und Systematisierung der §§ 280ff. BGB im Jahre 2005. Auf Grund seiner im Sommersemester 2009 der juristischen Fakultät der Universität Regensburg vorgelegten, von Reinhard Zimmermann betreuten, dem ehemaligen Lateinlehrer gewidmeten Habilitationsschrift erhielt er die Lehrbefähigung für bürgerliches Recht, römisches Recht, europäische Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung und wurde nach einer Lehrstuhlvertretung in Marburg 2010 für bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Rechtsgeschichte nach Augsburg berufen.

 

Die Habilitationsschrift widmet sich einer interessanten, wichtigen, außerhalb gesetzlicher Regelung in der Rechtspraxis erwachsenen Einrichtung, die nach vorherrschender Überzeugung rechtsdogmatisch lange zu sehr vernachlässigt wurde. Der Verfasser nimmt sich ihrer in geschichtlicher Entwicklung an. Dementsprechend gliedert er einfach und einleuchtend in 19., 20. und 21. Jahrhundert.

 

Dennoch setzt er es sich in der Einleitung zum Ziel, das herkömmliche Bild der Geschichte des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen, die als Begriff bereits 1875 bei Hinrichs nachgewiesen werden, auf den Prüfstand zu stellen und die sich aus der historischen Analyse ergebenden Folgen für das Verständnis des geltenden Rechts und dessen Fortentwicklung aufzuzeigen. Dabei geht er zu Recht davon aus, dass bei Einbeziehung von Formularen unter die allgemeinen Geschäftsbedingungen schon Altertum und Mittelalter vergleichbare Erscheinungen kannten. Angesichts unzureichender Vorarbeiten entscheidet er sich aber für die Beschränkung auf die unmittelbare Vergangenheit und grenzt daher die Fragestellung geschichtlich darauf ein, ob das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts ist.

 

Im ersten seiner drei Kapitel befasst er sich auf breiter Literaturgrundlage mit Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen, mit Auslegung, Inhaltskontrolle und mit den  Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit der allgemeinen Geschäftsbedingungen. Dabei geht er besonders auf die in der Pandektenliteratur diskutierten römischen Rechtsquellen, die Reglements der Transportanstalten, die Aushänge der Gastwirte und die allgemeinen Versicherungsbedingungen ein. Als Ergebnis ermittelt er, dass sich Theorie und Praxis bereits im 19. Jahrhundert bewusst waren, dass es sich bei den Reglements der Eisenbahnen, bei den Aushängen der Gastwirte und den allgemeinen Versicherungsbedingungen um eine einheitliche Erscheinung handelte und dass alle Fragen nach Rechtsnatur, Geltungsgrund, Geltungsvoraussetzungen, Auslegung und Inhaltskontrolle im deutschen Recht ähnlich, wenn nicht gar identisch in anderen europäischen Rechten beantwortet wurden.

 

Dennoch versteht er diesen Befund, dass die Wurzeln des modernen Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen zumindest im 19. Jahrhundert liegen, zunächst nur als These, weil bloße Übereinstimmung noch keine Kontinuität beweise. Deshalb betrachtet er im zweiten Teil in übereinstimmender Gliederung die Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Dabei ermittelt er, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts offen auf Literatur und Rechtsprechung aus der Zeit vor 1900 zurückgegriffen wurde. Überzeugend erkennt er darin eine kodifikationsübergreifende Kontinuität.

 

Die besondere Bedeutung Ludwig Raisers sieht er darin, dass es ihm 1935 erstmals gelang, die aus dem 19. Jahrhundert übernommenen Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre heraus zu erklären. Außerdem konnte er die Besonderheiten bei der Auslegung in ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügen. Schließlich stieß er die offene richterliche Inhaltskontrolle entscheidend an, so dass insgesamt im 20. Jahrhundert das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen im heutigen Sinn entstehen konnte.

 

Im Anschluss hieran erörtert der Verfasser in seinem dritten Kapitel das geltende Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und dessen Überwindung im 21. Jahrhundert. Dabei gelangt er zu der einleuchtenden Ansicht, dass ein besonderes Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen eigentlich nicht zu rechtfertigen ist. Die Einbeziehungsvoraussetzungen und die Auslegungsregel zu Ungunsten des Erstellers lassen sich aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ableiten und die übrigen Besonderheiten bei der Auslegung können nicht aufrechterhalten werden, so dass der Verfasser der überzeugend strukturierten, gut verständlich geschriebenen Arbeit eine Auflösung des besonderen Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen vorhersagt.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler