Hardenberg, Simone Gräfin von, Eberhard Schmidt (1891-1977). Ein Beitrag zur Geschichte unseres Rechtsstaats (= Schriften zur Rechtsgeschichte 140). Duncker & Humblot, Berlin 2009. 618 S., Frontispiz. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Bernd-Rüdiger Kern angeregte und betreute, im Sommersemester 2007 von der Juristenfakultät der Universität Leipzig angenommene Dissertation der Verfasserin. Sie beruht außer auf der allgemein zugänglichen Literatur insbesondere auch auf dem privaten Familienarchiv der Nachkommen Eberhard Schmidts mit unveröffentlichten persönlichen und wissenschaftlichen Aufzeichnungen und weiteren archivalischen Quellen. Außerdem führte die Verfasserin auch zahlreiche Gespräche mit den Zeitzeugen Gisela Friederich, Kerstin Schmidt, Karl Kroeschell, Karl Lackner, Adolf Laufs, Fritz Loos, Olaf Miehe, Kurt Wilhelm Noell, Ruth Schwalm und Elmar Wadle, die wertvolle Einzelheiten aus persönlichen Begegnungen mit Eberhard Schmidt zu ihrem umfassenden Lebensbild beisteuern konnten.

 

Gegliedert ist die gewichtige, mit dem Bildnis eines freundlich abwägend blickenden Gelehrten geschmückte Studie nach einer die bisherige gewichtige Lücke nachweisenden Einführung in insgesamt fünf Teile. Davon verfolgen die ersten vier Teile das Leben und Wirken Schmidts chronologisch. Am Ende ermittelt die Verfasserin die Bedeutung von Schmidts Lebenswerk für den Rechtsstaat.

 

Eigentlich wollte der in Jüterbog am 16. März 1891 als jüngstes Kind eines Arztes geborene Ludwig Ferdinand Eberhard Schmidt Seeoffizier werden. Nachdem den das Melanchthon-Gymnasium in Wittenberg ausgezeichnet abschließenden Seekadetten der Marineschule Kiel aber eine Herzattacke im Maschinenraum am 14. Juni 1910 als seedienstunfähig und zu einem Drittel auch erwerbsunfähig erwiesen hatte, begann er in Berlin das Studium der Rechtswissenschaft und kam schon im Herbst 1912 über den Assistenten Ernst Delaquis in das kriminalistische Institut Franz von Liszts, in dem er nach der mit gut bestandenen ersten juristischen Staatsprüfung vom 24. November 1913 und der mit magna cum laude absolvierten Promotion bei Franz von Liszts erstem Assistenten Robert von Hippel in Göttingen im Juli 1914 in der Nachfolge von Ernst Delaquis mit 23 Jahren Assistent wurde. Zwar brachte dann der Erste Weltkrieg den Lauf der Dinge etwas durcheinander und konnte die Verfasserin das Bestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung nicht sichern, doch war Schmidt kurz nach dem Tod Franz von Liszts im Frühjahr 1920 für Strafrecht, Strafprozessrecht und preußische Rechtsgeschichte habilitierter Privatdozent.

 

Nach kurzer Zeit wurde er in der Nachfolge Heilborn nach Breslau und wenig später in der Nachfolge Georg Kleinfellner nach Kiel berufen. Sorgfältig und ausführlich schildert die Verfasserin jeweils die Berufung, das Universitätsleben, die Lehre, das Werk und das Privatleben. Besondere Bekanntheit erlangte Schmidt durch die Fortführung des berühmten Lehrbuchs seines Lehrers, doch beschritt er auch vielfältige neue Wege und machte sich dabei besonders um die preußische Rechtsgeschichte verdient.

 

Im Mittelpunkt des Werkes steht dann der Jurist im Nationalsozialismus zwischen Anpassung und Widerstand. Nach dem 1929 erfolgten Wechsel nach Hamburg wurde Schmidt am 1. Oktober 1933 nach dem sein Amt aus Widerstand niederlegenden Leo Raape Rektor, trat aber niemals der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei bei und wirkte in der Akademie für deutsches Recht und in anderen nationalsozialistischen Organisationen eher nur am Rande mit. Immerhin wurde er nach dem Wechsel nach Leipzig (1935) Kriegsgerichtsrat und bestätigte in seinen Rechtsgutachten mehr als 40 Todesurteile, schlug öfter eine Verschärfung der Strafe vor und lehnte vielfach einen Gnadenerweis ab.

 

In der Mitte des Monats April 1945 geriet er in Leipzig in die Kriegsgefangenschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, in der er rasch von einem aus dem Deutschen Reich emigrierten Juristen als Bearbeiter des Lehrbuches Liszts erkannt und für den Wiederaufbau des Strafrechts in Nachkriegsdeutschland empfohlen wurde. Unterstützt von Rudolf Smend und Hans Welzel konnte er schon am 13. 10. 1945 in Ersetzung des bisherigen, am 19. Juli 1945 entlassenen Stelleninhabers Karl Siegert in Göttingen Vorlesungen wieder aufnehmen. Das Entnazifizierungsverfahren erbrachte keine Bedenken und wurde am 29. Januar 1949 eingestellt.

 

Am 2. November 1948 siedelte Schmidt nach Heidelberg um, wo er 1952 nochmals Rektor wurde. Besonders setzte er sich nunmehr für die rechtstaatliche Strafrechtspflege und den Rechtsstaat ein, wobei er das Strafprozessrecht als Gradmesser für die Rechtsstaatlichkeit ansah. Außerdem verstärkte er seine bereits in Leipzig begonnenen Bemühungen um das Arztrecht und bereicherte auch die Rechtsgeschichte um weitere grundlegende Beiträge.

 

Insgesamt gelingt der Verfasserin eine überzeugende Leistung. Sie ermittelt nicht nur etwa 450 von Schmidt verfasste Arbeiten, sondern ordnet sie auch ansprechend in die Rechtswissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts ein. Vielleicht hätten allerdings die wichtigsten Ergebnisse gegenüber der Vielzahl der Einzelheiten noch stärker in den Vordergrund gestellt werden können.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler