Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, hg. v. Basedow, Jürgen/Hopt, Klaus J./Zimmermann, Reinhard unter Mitwirkung v. Illmer, Martin, Band 1 Abschlussprüfer-Kartellverfahrensrecht, Band 2 Kauf-zwingendes Recht. Mohr (Siebeck), Tübingen 2009. XXXVIII, 964 Seiten; XXXVI, 965-1991 S. Besprochen von Tilman Repgen.

 

„Eine Generation geht, eine andere kommt …, kein Mensch kann alles ausdrücken … Alles hat seine Stunde.“ – Diese Versstücke aus dem Buch Kohelet (1,4; 1,8; 3,1), entstanden im 3. Jahrhundert v. Chr., enthalten einigermaßen zeitlose Wahrheiten.

 

Seit gut einer Generation beherrscht das europäische Gemeinschaftsrecht auch die Rechtsentwicklung auf dem Gebiete des Privatrechts. Das ist eine gute Gelegenheit, um Bilanz zu ziehen. Nicht nur für das Europäische Privatrecht, auch für viele andere Wissenschaften und Wissenschaftszweige ist offenbar die „Stunde“ der Lexika und Hand(wörter)bücher gekommen. Die Enzyklopädie der Neuzeit (seit 2005), The Oxford Encyclopedia of Legal History (2009), die Neuauflage des Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte (seit 2005), das Handbuch der Grundrechte (seit 2003), das Handbuch des Staatsrechts (in 3. Auflage seit 2003) sind nur einige der bemerkenswert zahl- und umfangreichen Produktionen in dieser Literaturgattung. Sie alle erscheinen trotz des rasanten Aufstiegs internetbasierter Publikationsformen als Printmedien. Großprojekte wie die Stanford Encyclopedia of Philosophy (http://plato.stanford.edu/), die von vorneherein für eine online-Publikation geplant werden, sind im geisteswissenschaftlichen Bereich noch die Ausnahme. Das neue Handwörterbuch zum Europäischen Privatrecht kommt also in ganz traditioneller Form auf den Markt. Als Gemeinschaftswerk haben es die (damaligen) Direktoren des Hamburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Jürgen Basedow, Klaus J. Hopt und Reinhard Zimmermann, geplant und mit tatkräftiger Hilfe des Wissenschaftlichen Referenten am Institut Martin Illmer umgesetzt. Etwas mehr als 130 Fachleute haben 472 Stichworte zum Europäischen Privatrecht dargestellt. „Jedenfalls handelt es sich bei dem Europäischen Privatrecht aber weniger um eine voll entwickelte Rechtsordnung als um ein politisches und wissenschaftliches Projekt. Die Rede von einem Europäischen Privatrecht kann daher einstweilen nicht bloß deskriptiv sein, sondern steht jeweils für ein bestimmtes rechts- und wissenschaftspolitisches Programm“, so schreibt Nils Jansen zum betreffenden Lemma (I, 549). Dem ist völlig zuzustimmen. Wenn es gelingen wird, wie es die Europäische Kommission im Aktionsplan zum Stockholmer Programm zur Schaffung eines europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts angekündigt hat, durch einen Legislativakt einen „Gemeinsamen Referenzrahmen“ für ein europäisches Vertragsrecht zu schaffen (vgl. Mitteilung KOM (2010), 171 [26]), wird damit eine europäische, vom nationalstaatlichen Privatrecht unabhängige Rechtsquelle entstehen, die wenigstens auf einem größeren Teilgebiet des Privatrechts eine gemeinsame normative Ordnung darstellt, die man dann „europäisch“ nennen kann. Bis dahin ist jedenfalls das Gemeinschaftsprivatrecht eine eher erratische Masse. Im Verbraucherrecht, Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Wettbewerbsrecht, Kollisionsrecht und beim geistigen Eigentum sowie selbstverständlich auch auf dem Gebiet des Verfahrensrechts findet man eine Menge europäischer Rechtsakte, die weder als ganze noch auch nur in sich selbst durchweg kohärent und systematisch erscheinen.

 

Bis zur Schaffung eines europäischen Vertragsrechts, eventuell sogar eines europäischen Zivilgesetzbuchs (vgl. Martin Schmidt-Kessel, I, 551ff.), bleibt das europäische Privatrecht in der Tat mehr ein Programm. Einige der Akteure knüpfen dabei ganz bewusst an die Tradition des ius commune an (zum Begriff vgl. Nils Jansen, I, 916ff.; außerdem sind im selben Jahr 2009 im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte der Artikel „gemeines Recht“ [Klaus Luig, II, 60ff. sowie in The Oxford Encyclopedia of Legal History der Artikel „civil law“ [Tilman Repgen, II, 4ff.; zuvor in erweiterter deutscher Fassung unter dem Titel „Ius commune“ in: Usus modernus pandectarum. Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der Frühen Neuzeit, hg. v. Hans-Peter Haferkamp und Tilman Repgen, Köln 2007, 157ff.] erschienen). Angesichts der auf das Mittelalter zurückreichenden gemeinsamen Traditionen auf dem Gebiet des Privatrechts, die sich auf die beiden Corpora iuris civilis et canonici gründete, ist es auch einigermaßen naheliegend, diesen Anknüpfungsversuch zu machen, zu dessen wichtigsten Pionieren vor allem Helmut Coing zählt. Fragt man nach den Inhalten eines europäischen Privatrechts, dann wird man wegen der genetischen Wurzeln im ius commune Gemeinsamkeiten in vielen nationalstaatlichen Rechtsordnungen Europas finden, wenn man sie nur ausgräbt unter dem „Geröll von zweihundert Jahren jeweils nationaler Rechtsfortbildung“ (Reinhard Zimmermann, „Heard melodies are sweet, but those unheard are sweeter …“ Condicio tacita, implied condition und die Fortbildung des europäischen Vertragsrechts, in: AcP 193 [1993], S. 121-173, hier S. 172). In dem von den Herausgebern des Handwörterbuchs verfolgten Programm soll nach einer Zeit unsystematischer Normenbildung in Reaktion auf jeweils spezifische politische Anliegen und Ziele der Gemeinschaft und einer Phase rechtswissenschaftlicher Studien zu Einzelfragen des Gemeinschaftsrechts auf einer dritten Stufe die Synthese geleistet werden. Gerade weil das Gemeinschaftsrecht bisher wie unzusammenhängende Inseln in dem großen Meer nationaler Rechtsordnungen wirkt, ist die Synthese für die wissenschaftliche Durchdringung eines europäischen Privatrechts unerlässlich. Das Handwörterbuch leistet dazu einen äußerst wertvollen Beitrag. Es lag nahe, dabei nicht sogleich ein „Handbuch“ zu erstellen, sondern im Stile eines Lexikons Begriffsklärungen zu liefern. So ließ sich eine vorschnelle Systematisierung des Stoffes vermeiden.

 

Nach alledem gehört zum wissenschaftlichen Programm eines Europäischen Privatrechts ganz notwendig das rechtsgeschichtliche Fundament. Diesem Fundament widmet das Handwörterbuch größte Aufmerksamkeit, was es auch für die Leser dieser Zeitschrift zu einer willkommenen Arbeitshilfe machen wird. Nicht überall ganz gleichmäßig, aber doch sehr verbreitet findet man in den Artikeln zu einzelnen Rechtsinstituten oder dogmatischen Begriffen geschichtliche Informationen. Ganz konsequent werden die Regelungsprobleme aus einer entwicklungsgeschichtlichen, dabei durchaus europäischen Perspektive beschrieben. Als Beispiele mögen dienen „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ (Phillip Hellwege, I, 28ff.), „Deliktsrecht: Allgemeines und Lex Aquilia“ (Nils Jansen, I, 305ff.) oder „Treu und Glauben“ (Filippo Ranieri, II, 1496ff.). Eine einsame Ausnahme bildet die Bürgschaft, deren Ausbildung im gemeinen Recht ein eigenständiger Artikel gewidmet ist (Sonja Meier, I, 238ff.), dem ein weiterer Artikel zum modernen Recht folgt (Ulrich Drobnig, I, 241ff.). Die Gegenstände des Handwörterbuchs reichen aber weit über die privatrechtlichen Rechtsinstitute hinaus. Mitbehandelt werden zahlreiche Grundbegriffe systematischer, historischer oder auch rechtstheoretischer Art. Hierzu einige Beispiele: Allgemeine Rechtsgrundsätze (Axel Metzger, I, 33ff.), Allgemeiner Teil (Jan Peter Schmidt, I, 38ff.), Anspruchskonkurrenz (Ulrich Magnus, I, 71ff.), Anwaltschaft (Martin Henssler, I, 79ff.), EG-Vertrag (Ninon Colneric, I, 341ff.), Europäische Gemeinschaft (Ninon Colneric, I, 458ff.), Europäische Rechtspolitik (Norbert Reich, I, 472ff.), Europäische Verfassung (Ninon Colneric, I, 482ff.), Grund- und Menschenrechte (Patrick Kinsch, I, 779ff. – leider ohne die gerade hier doch eher wichtige historische Perspektive), Naturrecht (Johannes Liebrecht, II, 1099ff.), Rechtskultur (Ralf Michaels, II, 1255 ff., mit Recht sehr kritisch), Rechtswissenschaft (Stefan Vogenauer, II, 1274ff.), Scholastik (Andreas Thier, II, 1370ff.), Vertragsfreiheit (Hannes Unberath, II, 1692ff.).

 

Natürlich könnte man sich noch sehr viel mehr oder auch andere Begriffe denken, die hier hätten Platz finden können. Symptomatisch scheint mir das Fehlen eines Lemmas „Privatautonomie“. Diese wird zwar unter „Vertragsfreiheit“ mitverhandelt, aber sie hat es trotz ihrer starken europäischen Tradition offenbar auch auf der dritten Stufe der Entwicklung eines europäischen Privatrechts noch nicht zu einem Zentralbegriff geschafft, obgleich sie auch im Handwörterbuch gelegentlich als „Leitprinzip des Vertragsrechts“ bezeichnet wird (Jan D. Lüttringhaus, I, 320). Lüttringhaus konstatiert zwar den Konflikt dieses privatrechtlichen Grundprinzips mit den verschiedenen Maßnahmen der Antidiskriminierungspolitik im Bereich des Privatrechts, erörtert aber nicht die naheliegende Frage, ob diese Politik nicht eher auf eine Abschaffung der Privatrechtsidee selbst hinausläuft (dazu Tilman Repgen, Antidiskriminierung – die Totenglocke des Privatrechts läutet, in: Josef Isensee (Hrsg.), Vertragsfreiheit und Diskriminierung, Berlin 2007, 11ff. m. w. N.).

 

Das Handwörterbuch enthält ferner eine große Zahl allgemein rechtshistorisch informierender Artikel, eine Art rechtshistorisches Grundlagenwissen, das für das Verständnis des Phänomens „Europäisches Privatrecht“ unerlässlich erscheint. Insbesondere sind hier die Überblicksartikel über zentrale Rechtsquellen zu nennen, die zum Teil trotz ihres erheblichen Alters noch in Kraft sind, zum Teil aber von neueren Kodifikationen überholt wurden, ohne dadurch ihre historische Relevanz eingebüßt zu haben, wie etwa das „Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch“ (Andreas M. Fleckner, I, 45ff.), das „Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten“ (Phillip Hellwege, I, 50ff.) oder – nur aus alphabetischen Gründen nicht an erster Stelle genannt – das „Corpus Juris Civilis“ (Reinhard Zimmermann, I, 286ff.). Aber auch die „Germanenrechte“ (Andreas Thier, I, 693ff.) oder – weniger handlich – „Sozialistisches Recht“ (Knut B. Pißler, II, 1421ff.) werden nicht vergessen. „Hanse und vormodernes Wirtschaftsrecht“ (Johannes Liebrecht, I, 812ff.), „Heiliges Römisches Reich“ (Hans-Peter Haferkamp, I, 822ff.), „Historische Rechtsschule“ (Thomas Rüfner, I, 829ff.), „Humanismus“ (Klaus Luig, I, 833ff.), „Reichskammergericht“ (Filippo Ranieri, II, 1279ff.) und „Usus modernus“ (Klaus Luig, II, 1591ff.) sind Begriffe, die das rechtshistorische Programm des Handwörterbuchs abrunden und gerade für die Nicht-Rechtshistoriker an diesem Ort sehr nützlich sein werden.

 

Für das Interesse juristischer Zeitgeschichte sind hingegen ganz besonders wertvoll die zahlreichen Artikel über die verschiedenen halb- oder auch nichtamtlichen Bemühungen um europäische Normensammlungen wie die „Acquis Principles“ (Hans Christoph Grigoleit/Lovro Tomasić, I, 12ff.), „Code Européen des Contrats (Avant-projet)“ (Kurt Siehr, I, 260ff.), „Common Frame of Reference“ (Reinhard Zimmermann, I, 276ff.), „Principles of European Contract Law“ (Reinhard Zimmermann I, 1177ff.), „Principles of European Family Law“ (Walter Pintens, I, 1180ff.), „Principles of European Insurance Contract Law“ (Helmut Heiss, I, 1183ff,), „Principles of European Tort Law“ (Ulrich Magnus, I, 1186ff.), „Study Group on a European Civil Code“ (Martin Schmidt-Kessel, I, 1453ff.), „UNIDROIT“ (Herbert Kronke, II, 1542ff.) und „UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts“ (Jan Kleinheisterkamp, II, 1547ff.). Auf diese Weise findet man für diese zahlreichen Initiativen sehr nützliche Informationen über ihre Geschichte, Zielsetzungen und Ergebnisse, greifbar in dem überschaubaren Rahmen des Handwörterbuchs. Es ist unverkennbar, dass gerade auf diesem Gebiet politische Interessen aller Akteure eine große Rolle spielen. Die Entwicklung bleibt nicht stehen (vgl. nur etwa den nachdenklichen Aufsatz von Hans Christoph Grigoleit, Der Verbraucheracquis und die Entwicklung des Europäischen Privatrechts, in: AcP 210 [2010], S. 354-423), aber die Handbuchartikel leisten immerhin eine gute Bestandsaufnahme bis zum Jahr 2009.

 

Gerade auch wegen des bewusst historisch orientierten Programms wird das Handwörterbuch bleibenden Wert für die beginnende Systematisierung des europäischen Privatrechts haben. Es geht bei der Europäisierung des Privatrechts um eine Aufgabe, die in vielerlei Hinsicht zwar materiellrechtlich Erinnerungen an das ius commune hervorruft, von seinen Voraussetzungen her aber vielleicht doch noch mehr an das Projekt des „Deutschen Privatrechts“ (dazu: Tilman Repgen, Offene Fragen – Partikulares deutsches Privatrecht in der inneren Rechtsgeschichte, in: Frank Eichler (Hrsg.), Die Langenbeck’sche Glosse zum Hamburger Stadtrecht von 1497, Hamburg 2008, 26ff. sowie Klaus Luig, Deutsches Privatrecht, in: HRG² I, 993ff.) erinnert. Denn wie gerade die zahlreichen Bemühungen um die Schaffung systematischer europäischer Normensammlungen zeigt, fehlt dem heutigen europäischen Privatrecht anders als dem ius commune ein anerkannter, gemeinsamer Referenztext, eine gemeinsame Rechtsquelle. Das Scheitern des Projekts eines deutschen Privatrechts könnte für das wissenschaftliche Programm des europäischen Privatrechts lehrreich sein.

 

„… kein Mensch kann alles ausdrücken“ (Kohelet 1,8). Auch kein Handwörterbuch kann alles zum Thema mitteilen. Gerade der äußerst lebendige Stoff des Gemeinschaftsrechts entwickelt sich fort. Die nächsten Richtlinien und richtungsweisenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs werden nicht lange auf sich warten lassen. Und dennoch leistet das Handwörterbuch etwas sehr wichtiges und bleibendes: Es bietet verlässliche Orientierung in der unruhigen Bewegung des europäischen Privatrechts. Erkennt man, dass das Recht mehr ist als eine „positive“ durch Gesetzgeber und Gerichte festgelegte Norm, wird man gelassener, aber auch kritischer die vielen normativen Vorgaben betrachten können. Gerade das gehört zu den vornehmsten Aufgaben der Rechtsgeschichte. Hierzu gibt das Handwörterbuch wertvolle Hilfe.

 

Hamburg                                                         Tilman Repgen