Haase, Gudrun/Struger, Karin, Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa (= Schriften zur Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht 2). Verlag Österreich, Wien 2009. 319 S., Tab. Besprochen von Christian Neschwara.

 

Der vorliegende Band behandelt die Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa zwar mit Fokus auf das geltende Recht, er steht aber doch soweit auch in Bezug zur Rechtsgeschichte, dass der Kreis der an Fragen der jüngeren und neuesten Verfassungsgeschichte interessierten Leser auf diese Publikation aufmerksam gemacht werden soll.

 

In einem Allgemeinen Teil (15–36) finden sich knappe Ausführungen zu Begriff und Wesen sowie zur Entwicklung der bestehenden Systeme der Verfassungsgerichtsbarkeit und ihrer Kernkompetenz, der Normprüfung. Der Bogen spannt sich von ihren Wurzeln in der nordamerikanischen Union über die Diskussion um das gerichtliche Normprüfungsrecht in Europa im Verlauf des 19. Jahrhunderts bis zu ihrem Durchbruch nach dem Ersten Weltkrieg in der Verfassungsordnung der Republik (Deutsch-)Österreich, wo seit Anfang des Jahres 1919 erstmals eine ausdrücklich als Verfassungsgerichtshof bezeichnete Einrichtung der Verfassungskontrolle bestand. Sie knüpfte an die Funktionen des Reichsgerichts der österreichischen Monarchie an und wurde Schritt für Schritt bis Ende 1920 mit der Kontrolle von nahezu allen Aspekten der Verfassungsordnung ausgestattet. Seitdem hat dieses Modell der konzentrierten Verfassungsgerichtsbarkeit in mehreren Wellen seinen Siegeszug in Europa angetreten, zum Teil hat es sogar auf einzelne Staaten in Übersee ausgestrahlt, wo es in Konkurrenz zum US-amerikanischen Modell der diffusen Verfassungsgerichtsbarkeit stand, das alle ordentlichen Gerichte zur Normprüfung beruft. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat dieses Modell weltweit an Attraktivität gewonnen, es wurde aber nach dem Zerfall der sozialistischen Regime in den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas seit 1989 sowie in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien nicht berücksichtigt.

 

Der Besondere Teil (S. 43–227) erfasst – differenziert nach den beiden Modellen der Verfassungsgerichtsbarkeit – sämtliche Staaten Europas in einem einheitlichen Gliederungsschema. Der Großteil gehört zum Block der Staaten mit konzentrierter Verfassungsgerichtsbarkeit und wird in chronologischer Reihung erfasst; es schließen die Ausnahmen an: Staaten, welche dem diffusen System der Verfassungsgerichtsbarkeit folgen (die skandinavischen Staaten und Irland) oder in welchen speziell konstruierte Verfassungsgerichte etabliert sind (Schweiz, Griechenland und Estland), und schließlich diejenigen Staaten, in welchen keine eigenen Einrichtungen für die Handhabung der Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit bestehen (Niederlande, Großbritannien). In kurzen Abrissen enthalten die einzelnen Länderberichte auch mehr oder weniger ausführliche Hinweise auf die historischen Grundlagen für die Etablierung der Verfassungsgerichtsbarkeit.

 

Die kompakte, übersichtliche und leicht fassbare Abhandlung wird ergänzt durch eine tabellarische Darstellung (S. 273–300) von Organisation und Verfahrensarten der in Europa für die Verfassungsgerichtsbarkeit bestehenden Einrichtungen. Sie bietet dem Leser nicht nur einen raschen Überblick über die Situation der Verfassungsgerichtsbarkeit in einem einzelnen Land, sondern auch die Möglichkeit, rasch Konkordanzen und Differenzen im Vergleich von mehreren Ländern festzustellen.

 

Wien                                                                                                  Christian Neschwara