Fichte, Robby, Die Begründung des Militärdienstverhältnisses (1648-1806). Ein Beitrag zur Frühgeschichte des öffentlich-rechtlichen Vertrages (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 13). Nomos, Baden-Baden 2010. 247 S. Besprochen von Markus Engert.

 

Fichte untersucht in seiner Bonner Dissertation das Zustandekommen militärischer Dienstverhältnisse in der Zeit zwischen dem Abschluss des Westfälischen Friedens im Jahr 1648 und dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation im Jahr 1806. Dazu wertet er insbesondere die zeitgenössische rechtswissenschaftliche Literatur umfassend aus, die vielfach von Praktikern verfasst wurde und auch häufig für den Gebrauch in der Praxis bestimmt war. Dadurch wird die Gefahr einer reinen Aufarbeitung theoretischer Erwägungen vermieden. An vielen Stellen werden die Befunde aus der Literatur exemplarisch ergänzt und abgesichert durch Archivbestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, somit überwiegend aus dem Territorium Brandenburg-Preußen oder mit Bezug zu diesem. Die Beschränkung auf brandenburgisch-preußische ungedruckte Quellen wird nachvollziehbar mit der weitgehenden Übereinstimmung der Rechtsanschauungen in den verschiedenen Territorien des Reiches begründet, wie sie aus Formularbüchern und Literatur zum Thema ersichtlich ist. Die dennoch bestehenden Unterschiede in der rechtlichen Bewertung wurden zumindest nicht mit territorialen Eigenheiten begründet, sondern mit verschiedenen dogmatischen Ansätzen der jeweiligen Autoren.

 

Die Untersuchung beginnt mit einer ausführlichen Einleitung, in der die Fragestellung und die sinnvolle zeitliche Eingrenzung der Arbeit vor dem historischen Hintergrund sowie der Forschungs- und Quellenlage herausgearbeitet wird. Die Einleitung schließt mit einem Überblick über den weiteren Gang der Untersuchung und einer Darlegung der Thesen.

 

Die folgenden vier Kapitel befassen sich mit: der Militärhoheit im Reich und den Territorien (I.), der Annahme der Offiziere (II.), der Werbung der Soldaten (III.) sowie abschließend mit der Einordnung des Militärdienstverhältnisses in das Rechtssystem und seinem Bezug zum sonstigen Staatsdienstverhältnis (IV.).

 

Untersucht werden die Militärdienstverhältnisse in den Territorien. Zwar stand Kaiser, Reich und den Reichskreisen ebenfalls die Militärgewalt (oder Kriegsherrlichkeit) zu, stehende Heere unterhielten sie im Untersuchungszeitraum jedoch nicht. Ihre Armeen wurden nur in Kriegszeiten durch landesfürstliche Truppen gebildet, so dass Reichsmilitärdienstverhältnisse die absolute Ausnahme darstellten.

 

Für die Offiziere wurde das Dienstverhältnis nach damals allgemeiner Anschauung mit Vertrag begründet. Wesentliche Merkmale der Rechtsbeziehung waren die Freiwilligkeit und das beiderseitige Kündigungsrecht.

 

Das dritte Kapitel behandelt den freiwilligen wie den erzwungenen Militärdienst der Soldaten, ausgehend vom Begriff der Soldatenwerbung, der beide Varianten umfasst. Es bildet mit einem Umfang von hundert Seiten den Hauptteil der Untersuchung. Interessant ist vor allem, wie der Autor überzeugend herausarbeitet, dass auch der Zwangsdienst nahezu im gesamten Untersuchungszeitraum (bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts) gemäß der zeitgenössischen Ansicht auf einer vertraglichen Grundlage beruhte und noch nicht auf einem einseitigen hoheitlichen Akt. Die Rechtmäßigkeit des Zwangsdienstes war allgemein anerkannt, wurde juristisch aber sehr unterschiedlich begründet. Überwiegend dienten jedoch Freiwillige in den stehenden Heeren, wobei die Motivation (oft Entkommen von Hunger, Armut und Leibeigenschaft) die freie Entscheidung relativierte. Die Werbung der Soldaten erfolgte durch Offiziere (in geringem Umfang teilweise durch fürstliche Beamte) mittels eines Werbecontracts. Als ausreichend für den Vertragsschluss wurde eine schlüssige Handlung anerkannt, wie etwa das Anziehen von Uniformteilen. In diesem Abschnitt behandelt der Autor auch umfassend die rechtliche Einordnung des Handgeldes.

 

Im letzten Kapitel wird das Militärdienstverhältnis hinsichtlich seiner Zuordnung zum privaten oder öffentlichen Recht untersucht, wobei eine auch dogmatisch eindeutige Antwort schon aufgrund der damals noch nicht sehr ausgeprägten Trennung der Rechtsgebiete nicht erwartet werden kann. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit der rechtlichen Begründung des Beamtenverhältnisses. Bei beiden Dienstverhältnissen wurde die vertragliche Grundlage von den zeitgenössischen Autoren in der Regel dem Privatrecht zugeordnet. Fichte kommt dabei mit guten Argumenten zu dem Schluss, der öffentlich-rechtliche Vertrag habe sich – zumindest auch – als Kompromissposition zwischen der damaligen privatrechtlichen Begründung des Staatsdienstverhältnisses und der späteren einseitig-hoheitlichen Begründung durch Verwaltungsakt entwickelt.

 

Die Arbeit ist überaus gut lesbar und durch viele konkrete Beispiele aus Akten, trotz des abstrakten Themas, sehr anschaulich, ohne dabei das hohe wissenschaftliche Niveau zu verlassen. Neben einer Vielzahl von bereits existierenden sozialgeschichtlich ausgerichteten Untersuchungen des Militärwesens in Deutschland bietet die hier besprochene Dissertation mit ihrem klaren rechtlichen Ansatz eine Reihe von neuen Erkenntnissen.

 

Schon der von Fichte ursprünglich geplante Untersuchungszeitraum bis zum Jahr 1914 zeigt, dass rechtshistorisch noch ein weites Forschungsfeld offen ist. Auch die aktuelle Bedeutung der Begründung des Dienstverhältnisses von Soldaten in Deutschland im Hinblick auf die derzeitige Umgestaltung der Bundeswehr sollte nicht unterschätzt werden. Insbesondere die öffentlich wenig bekannte, aber vielfach praktizierte Verwendung von zivilen Mitarbeitern aus dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist ein rechtlich noch kaum untersuchtes Gebiet. Dabei stellt sich beispielsweise die Frage, aufgrund welcher dienst- oder arbeitsrechtlichen Verpflichtung diese Beamten und Arbeitnehmer dort – vorübergehend im Soldatenstatus – ihren Dienst leisten. Es wäre erfreulich, wenn die vorliegende Arbeit einen Anstoß zur weiteren Aufarbeitung dieses Themas bis in die Gegenwart mit vergleichbarer inhaltlicher Vertiefung und Qualität geben würde.

 

Bietigheim-Bissingen                                                                           Markus Engert