Diewald-Kerkmann, Gisela, Frauen, Terrorismus und Justiz. Prozesse gegen weibliche Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni (= Schriften des Bundesarchivs 71). Droste, Düsseldorf 2009. VII, 363 S., 8 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Wer während der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Europa bereist hat, dem werden an den Grenzübergängen und in den Polizeistationen jene mit Kopfbildern bestückten, im Anhang des hier zu besprechenden Werkes in Farbdruck reproduzierten  Plakate in Erinnerung geblieben sein, auf denen Mitglieder der zunächst als „Baader-Meinhof-Bande“, später als Rote Armee Fraktion (RAF) bzw. Bewegung 2. Juni bekannten linksterroristischen Organisation zur Fahndung ausgeschrieben waren. 113 Namen - 65 Männer und 48 Frauen -  hat die Autorin zusammengetragen, die bis ins beginnende neue Jahrtausend hinein mit Masse unterschiedlicher Straftaten überführt und von den Gerichten abgeurteilt werden konnten. In einer Zeittafel, die Jahre von 1968 bis 2001 umfassend, finden sich die wesentlichen Ereignisse in gebotener Kürze vereinigt.

 

Gisela Diewald-Kerkmann wurde mit der vorliegenden Schrift 2008 als Historikerin habilitiert und lehrt als Privatdozentin an der Universität Bielefeld, wobei ihr die Erforschung der Geschichte des Terrorismus und dessen weiblicher Dimension ein besonderes Anliegen ist. Mit viel Mühe musste sie sich „vor dem Hintergrund der politischen Brisanz des Themas Terrorismus […], die sich in politischen Grabenkämpfen, kaum überbrückbaren Polarisierungen oder in wechselseitigen Ressentiments widerspiegelt“ (S. 17f.), den Zugang zu ihrem beeindruckenden Quellenmaterial erkämpfen: zu Anklageschriften, Strafurteilen, Beweisanträgen, Gutachten, offiziellen Protokollen der öffentlichen Hauptverhandlungen, Korrespondenzen zwischen Beschuldigten, Verteidigern und juristischen Instanzen, Observationsberichten, Polizeianalysen, Haftprüfungsunterlagen, Beurteilungen durch Justizvollzugsanstalten, beschlagnahmten Briefen der Angeklagten, Unterlagen von Ermittlungsbehörden, insbesondere des Bundeskriminalamtes, Ermittlungs- und Abschlussberichten mit Personaldaten und polizeilichen Angaben über den Ablauf der Straftaten, einzusehen bei dem Generalbundesanwalt in Karlsruhe, dem Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht Berlin, dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Bochum und bei den Staatsanwaltschaften Hamburg und Heidelberg. Kontrastierend dazu hat sie aber auch Selbstzeugnisse der Angeklagten ausgewertet und zahlreiche Interviews geführt, definiert doch die Verfasserin das Ziel ihrer Arbeit nicht juristisch im Sinne einer Orientierung am Rahmen des Strafgesetzbuches, sondern historisch als  „Erforschung historischer Wirklichkeiten“ im Wege der „Kontextualisierung und Auseinandersetzung mit Bedingungsfaktoren für geschichtliche Entwicklungen“ (S. 19).

 

Folgerichtig kommt sie von der Darstellung des zeithistorischen Rahmens über die Strategiekonzepte der RAF und die Selbstdeutungen der Mitglieder im ersten Abschnitt im folgenden zweiten Block zur Auswertung konkreter Strafverfahren gegen weibliche Angehörige der Szene (die bekanntesten unter ihnen Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Brigitte Mohnhaupt), um zu erkunden, welche Erklärungsmuster Strafverfolgungsbehörden und Gerichte für den Weg in die Illegalität namhaft machen zu können glaubten, wobei letzten Endes vor allem eine unzulässig verkürzte, die zweifellos vorhandenen gegenseitigen Affinitäten überbewertende „unmittelbare Verknüpfung zwischen Studentenbewegung und RAF konstruiert wurde, die im Ergebnis auf Anstiftung und Ausführung hinauslief“. Und: „Geschlechtsspezifische Erklärungen scheinen eine geringere Bedeutung gehabt zu haben als zu Beginn der Untersuchung angenommen“, entscheidender für die Prozessdynamik sei jedenfalls „die Orientierung an der Gefährlichkeit der Angeklagten“ gewesen (S. 139).

 

In den beiden folgenden, die zweite Hälfte des Bandes einnehmenden Kapiteln kommt die Reaktion des Staatsapparats auf die mit  dem politisch-ideologischen Anspruch eines Staatsfeinds auftretende terroristische Herausforderung zur Sprache. In diesem Zusammenhang zeigt die Verfasserin nicht nur die problematische Position der Justiz im Spannungsfeld zwischen politischer Beeinflussung und medialer Öffentlichkeit auf, sondern nimmt auch die wesentlichen Akteure ins Visier: die Richter, die Verteidiger, die Kronzeugen sowie das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt. Während die Richterschaft „dem Zugriff kriminalpolitischer und administrativer Interessen ausgesetzt“ war, mit der schwerwiegenden Folge des „Verlust(es) an einer effektiven Kontrolle von staatlicher und gesellschaftlicher Macht“, standen die Verteidiger im zweifelhaften Ruf , „Helfershelfer von Rechtsbrechern zu sein“ (S. 290f.), und neben Konflikten um die Akteneinsicht, gepaart mit dem Vorwurf der Aktenmanipulation, ergab sich im Laufe der Zeit eine immer stärkere Einschränkung ihrer Rechte. Kronzeugen spielten wegen der schwierigen Beweislage trotz des Einwands, dass damit eine Rechtsbeugung, ein „Handelsgeschäft zwischen einem Mörder und einem Bundesanwalt“ verbunden sei, „mit dem die Strafjustiz ausgehebelt wurde“ (S. 295), eine zentrale Rolle in den Prozessen. Hauptprofiteur der problematischen Sicherheitslage jener Jahre sei aber das Bundeskriminalamt gewesen, das sich nach Meinung des damaligen Bundesinnenministers Gerhart Baum unter der Führung von Horst Herold zur „entscheidenden, teilweise nicht mehr kontrollierbaren Instanz“ (S. 302) aufschwingen konnte und dabei einen engen Kontakt mit der Bundesanwaltschaft pflegte.

 

Trotz dieser vielfältigen aufschlussreichen Perspektiven kommt die Verfasserin zum Schluss, dass die zeitgeschichtliche Erforschung des Phänomens Terrorismus noch am Anfang stehe und internationale und historische Vergleiche notwendig wären, um affektiv besetzten Polarisierungen entgegenzuwirken. Diesen breiten Ansatz liefert mittlerweile Thomas Riegler mit seiner 2009 publizierten phänomenologischen Monografie.

 

Hinsichtlich ihres Anliegens der Identifizierung frauenspezifischer Charakteristika des Terrorismus bleiben die Ergebnisse der Untersuchung vage. Es scheint, als ließen sich vorerst keine primär dem Geschlecht zuzuschreibenden signifikanten Unterschiede in Motivation und Verhalten von männlichen und weiblichen Extremisten ausmachen. Diewald-Kerkmann resümiert: „Die Frauen unterschieden sich weder in den inneren Bedingungen, die sie in den Terrorismus führten, noch in den äußeren Lebensumständen von den Männern“, und „es scheint für die meisten Frauen in den terroristischen Gruppen bedeutungslos gewesen zu sein, dass sie Frauen waren“ (S. 278 f.). Von ihr unabhängig kommt Riegler in seinem Exkurs zum Thema Terroristinnen fast wortwörtlich zum selben Schluss, wenn er festhält, dass „die Motivlagen von Männern und Frauen nicht allzu weit auseinander zu liegen“ scheinen. Der Amazonen-Mythos ist also auf diesem Feld ziemlich offensichtlich ein Produkt der Medien und der allgemeinen Empörung, die der kulturell-gesellschaftliche Tabubruch der zerstörenden, tötenden Frau zwangsläufig provoziert.

 

Kapfenberg                                                                Werner Augustinovic