Diehl, Thomas, Adelsherrschaft im Werraraum. Das Gericht Boyneburg im Prozess der Grundlegung frühmoderner Staatlichkeit (Ende des 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts) (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 159). Selbstverlag der Hessischen historischen Kommission Darmstadt und der Historischen Kommission für Hessen, Marburg 2010. 482 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die stattliche, von Heide Wunder angeregte und von Werner Troßbach betreute Arbeit ist die bereits während des Studiums in Angriff genommene, von der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Gerda Henkel Stiftung geförderte, am 27. 10. 2009 am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel angenommene Dissertation des Verfassers. Sie betrifft die 1107 nach einer Zerstörung durch den Kaiser erstmals erwähnte, das Gebiet an der Werra beherrschende, an der höchsten Stelle der Ringgauer Hochebene errichtete, vom Kaiser als Reichslehen an die Grafen von Northeim gegebene Burg Boyneburg bei Eschwege, nach der sich (seit 1123) Nachkommen Ottos von Northeim benannten. Sie kam 1144 bei dem Aussterben der Grafen als erledigtes Lehen an das Reich zurück und wurde durch Ministeriale verwaltet, aber 1292 von König Adolf von Nassau mit Eschwege als Reichslehen an den Landgrafen von Hessen gegeben.

 

Der Verfasser gliedert seine Untersuchung nach einer kurzen Einleitung, in der er das Fehlen erforderlicher Forschung zur neuzeitlichen Geschichte seiner Herrschaft darlegt, in sieben Abschnitte. Sie betreffen die Geschichte der in die drei Geschlechter Hohenstein, Bischhausen und Laudenbach sowie Stedtfeld geteilten Familie(n?), das Gericht Boyneburg mit seinen Dörfern (Rittmannshausen, Netra, Röhrda, Grandenborn, Wichmannshausen, Hoheneiche, Thurnhosbach, Rechtebach, Kirchhosbach, Bischhausen, Oetmannshausen, Reichensachsen, Langenhain, Dünzebach, Jestädt, Motzenrode und Neuerode), die Struktur der Herrschaft, die beiden Polizeiordnungen von 1591 und 1604, mit denen die Herrschaft intensiviert wird, das Verhältnis zur Landgrafschaft Hessen einschließlich des Grundlagenvertrags mit dem Landgrafen von 1602 und der im Kern missglückten calvinistischen Konfessionspolitik des Landgrafen Moritz, die Akteure, Konstellationen und Strategien der Herrschaftskonkurrenz sowie den Dreißigjährigen Krieg und seine für die Adelsherrschaft nachteiligen Folgen. Im Ergebnis unterliegt Boyneburg allmählich, aber unaufhaltsam dem Prozess der Grundlegung frühmoderner Staatlichkeit Hessens.

 

Der Verfasser geht in seiner überzeugenden Studie von den spätmittelalterlichen Gegebenheiten aus. Unter ansprechender Verwertung seiner zahlreichen Quellen verfolgt er das diffizile Beziehungsgeflecht zwischen der Fürstenherrschaft, der ungleich kleineren und auch schwächeren, kein Zentrum ausbildenden, aber doch lange territorialen Adelsherrschaft und den betroffenen Untertanen (Hausgenossen). Mit dem Dreißigjährigen Krieg, in dem die Herren ihre Hausgenossen nicht mehr schützen konnten, war die Zeit adeliger Eigenmacht vorbei, so dass selbst die Kriegsschäden der ursprünglich als Ausgangspunkt und Legitimation der adeligen Herrschaft und als Garant und Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls dienenden, aber schon vorher verlassenen Stammburg nicht mehr beseitigt wurden und Boyneburg allmählich dem Verfall zur Ruine überlassen wurde, deren Grund freilich trotz Untergangs der Herrschaft noch immer der Familie von Boyneburg gehört.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler