Deutsche Reichstagsakten. Reichsversammlungen 1556-1662. Der Reichsdeputationstag zu Worms 1564, bearb. v. Knorring, Marc von. Oldenbourg, München 2010. 555 S. Besprochen von J. Friedrich Battenberg.

 

Zur neuen Reihe der Reichsversammlungen der Jahre 1556 bis 1662 liegen nun inzwischen sieben Bände aus der Zeit von 1559 bis 1586 vor, davon einige in zwei Teilbänden. Es sind dies nicht immer bedeutende Reichstage, die hier angesprochen sind; auch weniger wichtige Versammlungen, Reichsdeputationstage und Reichskreisversammlungen sind von der Serie betroffen. Erst durch einen Gesamtüberblick über alle Zusammenkünfte maßgebender Stände des Reichs lässt sich die Geschichte des Heiligen Römischen Reichs seit dem Augsburger Religionsfrieden bis zu seiner anderthalb Jahrhunderte währenden Endphase rekonstruieren. Bis zu dieser Phase, in dem das Reich eigentlich nur noch ein Bund unabhängiger „Staaten“ und Herrschaften war, der sich auf dem Regensburger Reichstag durch seine Gesandten vertreten ließ, war die Reichsverfassung in ständiger Bewegung; der Religionsfrieden von 1555 hatte zwar einen modus vivendi geschaffen, der das Nebeneinander der Konfessionen zuließ und eine Weiterentwicklung der Verfassung vorzeichnete. Die wechselnden Kräfte-Verhältnisse provozierten jedoch politische und kriegerische Auseinandersetzungen, zumal dann, wenn sich Staaten außerhalb des Reiches aus etwaigen Erb- und Schutzansprüchen heraus Vorteile aus einem Eingreifen in die „inneren Verhältnisse“ versprachen.

 

Nach den zuletzt (2007) in dieser Reihe erschienenen Editionen der Reichsversammlungen von 1567 in Regensburg und Erfurt (Rezension ZRG 125, S. 726f.) und von 1582 in Augsburg (Rezension ZRG  126, S. 602f.) ist mit dem Wormser Reichsdeputationstag eine Versammlung zur editorischen Bearbeitung ausgewählt worden, weil dies die erste Zusammenkunft auf Reichsebene war, die der Reichsexekutionsordnung von 1555 entsprach. Mit dem Treffen wurde „ein genuiner, in der Reichsgeschichte neuartiger Versammlungstyp begründet, der sich durch einen eigenen Modus der Einberufung, der Kurienbildung, des Verfahrens und der Entscheidungsfindung auszeichnete“ (Maximilian Lanzinner im Vorwort). Alle späteren Reichsdeputationstage orientierten sich an dem in diesem Band angesprochenen Wormser Tag. Der Kaiser übernahm überdies in Worms Aufgaben wie bei einem Reichstag, was eigentlich dem Wortlaut und der Intention der Ordnung von 1555 zuwiderlief. Er wurde durch eine kaiserliche Proposition am 14. Februar des Jahres eröffnet und mit einem Abschied am 18. März 1564 beendet. So bildete diese Versammlung zugleich ein Musterbeispiel dafür, wie einerseits Verfassungsordnung und Verfassungswirklichkeit auseinander klafften, wie aber andererseits auch die Friedensordnung des Reiches durch neue Instrumente der Verfassung gesichert wurde.

 

Die Edition folgt im Übrigen den gewohnten und bewährten Grundsätzen. Der Bearbeiter bietet im Rahmen seiner Einleitung zunächst Informationen zum Zustandekommen des Deputationstages (ausgelöst durch den Überfall Herzog Erichs II. von Braunschweig-Calenberg auf das Hochstift Münster und die Besetzung Würzburgs durch den Reichsritter Wilhelm von Grumbach, wodurch der Frieden des Reichs erheblich bedroht war) sowie zu den Verhandlungsgegenständen des Tages. Er geht danach in einem zweiten Kapitel näher auf die Anlässe und auch das Verfahren der Einberufung ein, um dann über die Diskussionen im Vorfeld des Tages und die Vorbereitungen der Deputierten zu informieren (Erarbeitung der Propositionen und Instruktionen). Im folgenden vierten Kapitel beschäftigt sich der Bearbeiter mit dem Eintreffen der Gesandten und den Konsultationen bis zur Verhandlungsaufnahme, um abschließend einige Bemerkungen zur Edition zu machen, insbesondere über die Kriterien für die Auswahl der Texte. Er betont ausdrücklich, dass in diesem Band nicht nur Texte des üblichen Kanons der Reichstagsakten 1556 bis 1662 aufgenommen wurden, sondern im Hinblick auf die noch ungesicherten Verfahrensprinzipien auch Korrespondenzen der Fürsten mit Diskussionen über alternative Lösungsansätze.

 

Im eigentlichen Textteil werden - jeweils nach Vorbemerkungen – die Ausschreiben (Texte Nr. 1 – 3), die Proposition (Text Nr. 4), die Protokolle des Kurfürstenrats (Texte Nr. 5 – 33), die Protokolle des Fürstenrats (Texte Nr. 34 – 53), weitere Verhandlungsakten (Nr. 54 – 56), Resolutionen und Gutachten (Nr. 57 – 62), Supplikationen (Nr. 63 – 71), Mandate (Nr. 72 – 74), die umfängliche Fürstenkorrespondenz (Nr. 75 – 118), die Gesandtenberichte (Nr. 119 – 136) und der Reichsdeputationsabschied mit Nebenurkunden (Nr. 137 – 139) im Volltext (allerdings mit vielen Auslassungen und inhaltlichen Zusammenfassungen, wo die wörtliche Wiedergabe zu aufwändig erschien) abgedruckt. Die Gegenstände des bedeutsamen Abschieds wurden vom Autor in einem ausführlichen Kopfregest zur Edition zusammen gefasst. Angesprochen wurden der Vollzug der Exekutionsordnung in den Reichskreisen, das Verfahren bei Zusammenrottungen von Kriegsvolk, die Befugnisse des Kreisobersten bei Gefahr im Verzug, das Kreisaufgebot und der Beitrag des Kaisers dazu, die Qualität der Kreistruppen sowie Voraussetzungen der Musterung, die Sicherheitsmaßregeln für inländische Werbungen, die Durchsetzung der Exekutionsordnung gegenüber den Landständen, den Untertanen und den Reichsfreien, Sicherheitsmaßregeln bei ausländischen Werbungen, kaiserliche Mandate zum Kriegsgewerbe, die Anwerbung von Reitern und Befugnisse des Kaisers im Ernstfall, die Dauer der Bestallung, das Verfahren bei Verlängerung, die Verteilung der Truppe im Reich und die Vorfinanzierung der Kriegszüge durch den Kaiser sowie schließlich die Umlage und Erlegung der Reichshilfe. Mit seinen 53 Artikeln ordnet sich so dieser Beschluss in die Reihe der Reichsabschiede ein, die zur Sicherung des Friedens Präzisierungen der Militärverfassung in den Reichskreisen brachten.

 

Wie bei den anderen Bänden dieser Reihe der Reichstagsakten üblich, ist auch diesem Band ein recht ausführliches Register beigegeben, in dem neben den im Textteil erwähnten Orten und Personen den jeweiligen geographischen Stichworten (auch zu einzelnen Personen wie Wilhelm von Grumbach) detaillierte Sachbegriffe aufgelistet sind. So erhält auch der Rechts- und Verfassungshistoriker leichten Zugriff zu den Texten. Dies gilt insbesondere für den Begriff „Reich“ bzw. entsprechende Komposita wie z. B. „Reichsgesetze“, Reichsjustiz“, „Reichskreise“, „Reichsmatrikel“ und „Reichsritterschaft“, denen jeweils eine Fülle von Nachweisen zugeordnet werden. So bildet auch dieser Band wieder eine Fülle vorzüglich edierter und erschlossener Texte, die gerade für die Verfassungsgeschichte der Zeit des späteren 16. Jahrhunderts, als die Grundzüge der Reichsverfassung zwar festgelegt waren, vieles aber noch wenig und im Fluss war, von großer Bedeutung sind.

 

Darmstadt                                                                                          J. Friedrich Battenberg