Das älteste Urbar der Abtei des gotzhuses zu Ellwangen von 1337, bearb. v. Häfele, Hubert (= Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe A Quellen 52). Kohlhammer, Stuttgart 2008. LXXXII, 352 S. Besprochen von David von Mayenburg.

 

 „Vnd wisse, daz alliu diu vorgescribenne ampt vnd guelte in der stat Elwangen mag ain appt oder daz gotzhuose an iren guelten meren oder minnern, ob es im gevellet. Daz ist, daz er gewalt vnd reht hat, diu vorgenanten ampt vnd guelte hoeher ze lihenne oder neher, wanne er will…“

 

Ganz prominent am Ende des ersten Blatts des vorzustellenden Urbars reklamiert der Fürstabt von Ellwangen seinen Anspruch auf uneingeschränkte Verfügungsbefugnis hinsichtlich der Organisation und Besteuerung seiner Güter im Bereich der Stadt Ellwangen (S. 3 unter Nr. 13). Dabei wird nicht nur das Selbstverständnis des Abts als uneingeschränkter Herr in seiner Klosterherrschaft deutlich, der die niedergelegten Steuern und Abgaben jederzeit und ohne Angabe von Gründen herauf- oder herabsetzen durfte. Der Gebrauch des Worts „wisse“ verweist gleichzeitig auf die Funktion des Urbars, das nicht allein ein Instrument der verwaltungsinternen Bestandsdokumentation war, sondern ganz dezidiert auch eine kommunikative Funktion im Diskurs zwischen dem Fürstabt, seinen Beamten und den Untertanen der Abtei hatte (vgl. Sablonier, Roger: Verschriftlichung und Herrschaftspraxis. Urbariales Schriftgut im spätmittelalterlichen Gebrauch, in: Meier, Christel et al. (Hg.), Pragmatische Dimensionen mittelalterlicher Schriftkultur (Akten des Internationalen Kolloquiums 26.-29. Mai 1999), München 2002, 91-120.)

 

Es ist das Verdienst des Bearbeiters Hubert Häfele, diesen wichtigen, als Unikat im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Signatur H 222 Bd. 169) aufbewahrten, leider nicht ganz vollständig überlieferten Codex durch eine moderne kritische Edition einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Entgegen der Bezeichnung im Titel der Edition ist der Begriff „Urbar“ allerdings nicht historisch, sondern wurde dem Dokument erst in jüngster Zeit beigelegt. Sehr viel deutlicher verweist die früher geläufige Benennung als „Gült- und Rechtsbuch“ darauf, daß diese Quelle nicht nur als reines Bestandsverzeichnis für die Sprach-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sondern auch als Niederschrift rechtlicher Zusammenhänge von besonderem Interesse ist.

 

Die Einleitung des Bearbeiters (XXI-LXXVIII) geht nach äußerst knapper und etwas unübersichtlicher Einordnung in die rechtlichen und politischen Gesamtzusammenhänge sofort zu einer äußerst kleinteiligen Schilderung der Besitzverhältnisse im Fürstbistum Ellwangen über. Für den regionalgeschichtlich weniger bewanderten Leser wird immerhin klar, dass die Anlage des Urbars an einem Wendepunkt erfolgt (XXXVII-XXXIX): Während die Abtei noch zu Beginn des 13. Jahrhunderts Gefahr lief, in die oettingische Landsässigkeit herabzusinken, wurde ihre Parteinahme für Ludwig den Bayern gegen Friedrich den Schönen im Vorfeld der Schlacht bei Mühldorf 1322 mit der Bestätigung der Reichsunmittelbarkeit belohnt. Das Urbar hatte in diesem Kontext vor allem den Zweck, den nunmehr konsolidierten Besitz der Abtei zu dokumentieren und darüber hinaus die entsprechenden Abgaben und sonstigen Herrschaftsansprüche erkennbar für den Abt zu reklamieren. Besonders sorgfältig erörtert der Bearbeiter die Textgrundlage. So besteht das hauptsächlich in deutscher, teilweise auch in lateinischer Sprache verfasste Urbar aus einem 1337 abgeschlossenen Pergamentkodex und zwei eingebundenen Papierheften teilweise späteren Datums. Dessen Verfasser kann Häfele mit dem Schreiber Sifridus Birkenzeller sogar namentlich identifizieren (LVIII). Eine tabellarische Übersicht über Lagen, Blätter, Bogenbezeichnung und Foliierung des Codex (LXVII-LXXV) macht die unterschiedlichen Textschichten erkennbar und erleichtert durch seine übersichtliche Präsentation gleichzeitig den Zugriff auf den Inhalt. Weitergehende (rechts-)historische und sprachgeschichtliche Informationen sucht man in der Einleitung allerdings vergeblich.

 

Die sorgfältige Edition der Quelle selbst (1-264), deren Sprache behutsam den heutigen Lesegewohnheiten angepasst wurde, erleichtert die Lektüre ebenso wie das ausführliche Personen- und Ortsregister und das, allerdings sehr knappe Sachregister, welches gleichzeitig der Übertragung einzelner Schlüsselbegriffe aus dem Mittelhochdeutschen dient. Der umfangreiche Anmerkungsapparat enthält eine Vielzahl interner Verweisungen, die beim Aufspüren von Zusammenhängen sehr hilfreich sind. Eher sparsam ist der Bearbeiter bei seinen Anmerkungen inhaltlicher Art, die hauptsächlich der Erläuterung regionalgeschichtlicher Bezüge dienen. Einige ausgewählte Faksimiles der Quelle und eine praktische herausnehmbare Karte zu den Ortsangaben runden eine Edition ab, die mit 34 € durchaus erschwinglich ist.

 

Betrachtet man den Inhalt des Urbars unter rechtshistorischer Perspektive, so interessieren zunächst vor allem diejenigen Passagen, welche Herrschaftsrechte des Abts betreffen. Gerade in diesen Abschnitten wird durch die regelmäßig wiederkehrende Formel „Wisse, daß…“ der Charakter des Dokuments als „Rechtsbuch“ deutlich, das offenbar auch eine praktische Bedeutung in der Kommunikation mit den Untertanen hatte (vgl. z. B. Nr. 290, S.39, Nr. 1408, S.246). Ausführlich werden beispielsweise die Rechte des Abts in der zur Abtei gehörenden Stadt Ellwangen beschrieben, darunter das Recht auf Besetzung des Stadtgerichts und die Vereinnahmung sämtlicher dort verhängter Strafzahlungen bei kleineren Delikten, sowie solche Bußgelder, die bei Totschlag, Hausfriedensbruch, Fälschung und Vergewaltigung anfielen (S.17, Nr. 206). Interessant für die Entwicklung der Strafrechtsgeschichte ist hier ein Vergleich mit der auf 1466 datierten sog. Ellwangener Halsgerichtsordnung, die für die zuletzt genannten Verbrechen keine Geldbußen mehr, sondern durchwegs Körper- und Lebensstrafen vorsah (vgl. Müller, Karl Otto, Zur Geschichte des peinlichen Prozesses in Schwaben im späten Mittelalter. Ellwanger Halsgerichtsordnung von 1466, in: Tübinger Studien für Schwäbische und Deutsche Rechtsgeschichte 2 [1910], 22-79).

 

Der weit überwiegende Teil der Einträge betrifft die bis auf die einzelnen Hofstätten heruntergebrochenen Ansprüche des Klosters auf Natural- und Geldabgaben. Obwohl diese, wie in der neueren Urbarforschung betont wird, nur als punktuelle Momentaufnahmen innerhalb der stets im Wandel begriffenen agrarischen Besitzverhältnisse gesehen werden dürfen und vor allem für den Lokal- und Regionalhistoriker von Interesse sein werden, so werden dennoch bereits bei einer ersten Durchsicht auch rechtshistorisch interessante Strukturen erkennbar. Nicht nur an dem oben zitierten Rechtssetzungsanspruch des Abts wird das Bemühen des Fürstbistums deutlich, durch die Zusammenstellung und Systematisierung von Herrschaftsrechten unterschiedlicher Provenienz (z. B. großer und kleiner Zehnt, Abgaben aus Grundherrschaft ebenso wie das Hauptrecht als Element der Leibherrschaft) einen einheitlichen Herrschaftsverband zu schaffen. Auffällig ist dabei zum einen der vor Beginn der frühneuzeitlichen Geldentwertung aus Sicht der Abtei noch zweckmäßige Versuch, Sachleistungen und Dienste in Geldleistungen umzuwandeln. Hier scheint übrigens Häfele die Übersetzung der eigentümlichen Rechte auf „bette, snitter, recher“ nicht gelungen zu sein: Nicht Betten (i. S. von Schlafstätten) waren zur Erntezeit auf die Burg zu liefern (vgl. im Glossar, S. 343), sondern es wird sich wohl vor dem Hintergrund der Zusammenstellung mit den „Schnittern“ und „Rechern“ um Geldabgaben handeln, die auf die ursprünglich zu leistenden Dienste in den Beeten zurückzuführen sind. Zum anderen wird erkennbar, wie umfassend die Abtei bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Abgabenpflicht ihrer Grundholden ausgedehnt hat. Das zeigt sich etwa an der Inanspruchnahme der kleinen und Heuzehnten, die weitgehend nicht mehr der Pfarrei zustanden, sondern zu Laienzehnten geworden waren. Besteuert wurde dabei alles bis herab zu Weißkohlsetzlingen, Zwiebeln und Möhren.

 

Daß diese Versuche der Herrschaftsintensivierung nicht ohne Widerstand abliefen, wird erst unter Einbeziehung des (rechts-)historischen Kontexts klar: Im Jahr 1525 lag Ellwangen im Epizentrum des Bauernkriegs. Man berief sich auf die 12 Artikel der oberschwäbischen Bauern, forderte die Abschaffung von Leibeigenschaft, Todfall und der als unbiblisch betrachteten Kleinzehnten und damit genau jener Abgaben, die die Abtei bereits im Jahr 1337 ganz besonders unmissverständlich für sich reklamiert hatte.

 

Bonn                                                                                                  David von Mayenburg