Bühler, Theodor, Schweizerische Rechtsquellen und Schweizerische Verfassungsgeschichte nach einer Vorlesung von Ulrich Stutz (1868-1932 [!]). Nach einer Nachschrift von Dr. Adolf Im Hof. Dike/Nomos, Zürich/Baden-Baden 2010. LIII, 604 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Ulrich Stutz (Zürich 5. 5. 1868-Berlin 6. 7. 1938), der von 1894 bis kurz vor seinem einem Schlaganfall folgenden Tode 44 Jahre für die Zeitschrift für Rechtsgeschichte wirkte, davon 41 Jahre als geschäftsführendes Mitglied, war, womit der Herausgeber sein kurzes Vorwort beginnt, ein bedeutender Kanonist. Weniger bekannt ist er nach den Worten des Herausgebers als Schweizer Rechtshistoriker der germanistischen Richtung, obwohl sich Stutz selbst in erster Linie als Züricherischer und Schweizer Rechtshistoriker bekannte. Im Rückgriff auf diese Verortung veröffentlicht der Herausgeber dankenswerterweise Stutzs umfassendste Arbeit auf dem Gebiet der Schweizer Rechtsgeschichte auf der Grundlage einer Nachschrift des späteren Basler Regierungsrats Adolf Im Hof (18. 9. 1876-21. 11. 1952) zu einer nur einmal in Basel im Wintersemester 1895/1896 von dem damals 27jährigen außerordentlichen Professor gehaltenen Vorlesung.

 

Dabei fragt der Herausgeber selbst nach der wissenschaftlichen Sinnhaftigkeit der Edition einer Vorlesungsnachschrift. Er verneint sie überzeugend für den Fall, dass der Dozierende selbst über das gleiche Thema eine Monographie veröffentlicht hat. Er bejaht sie jedoch zutreffend für seinen Fall, in dem Stutz zwar 1920 einen Akademievortrag über die Schweiz in der deutschen Rechtsgeschichte gehalten hat, aber die Vorlesung bei weitem ausführlicher ist und zudem persönliche Meinungen und Auffassungen ausweist, die im Vortrag fehlen.

 

Zu Recht entscheidet sich der Herausgeber bei der Edition um größtmögliche Werktreue. Deshalb behält er Gliederung, Struktur, Gestaltung und Stil bei und gibt alle Abkürzungen, Schreibweisen und auch Schreibfehler wieder. Zugleich schafft er aber dadurch ein umfassendes neues Werk, dass er jedem Paragraphen der Vorlesung einen Kommentar anfügt, in dem die von Stutz benutzten Grundlagen genannt und erläutert sowie die zeitgenössischen Auffassungen und Kontroversen, die Weiterentwicklung und der heutige Stand ausgeführt werden.

 

In dieser Weise will der Herausgeber eine aktualisierte Geschichte der schweizerischen Rechtsquellen und der schweizerischen Rechtsgeschichte bieten. Die entsprechenden Kommentare sieht er selbst mehrheitlich als Kompilationen und Auszüge aus der außerordentlich aufgesplitterten, vielfach nur an abgelegenen Orten auffindbaren Literatur an. Wegen der Notwendigkeit der Beschränkung zitiert er dabei vorzugsweise die Monographien und Aufsätze, die ein vollständiges weiterführendes Literaturverzeichnis aufweisen.

 

Gegliedert ist das gesamte umfangreiche Werk nach einer kurzen Einleitung zu Ulrich Stutz als Dozenten in Basel und seiner Vorlesung sowie deren wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung in insgesamt 41 Paragraphen. Dabei folgen der Beschreibung von Aufgabe und Plan drei Bücher. Das erste Buch betrifft Das R(echt) & seine Quellen. Das zweite Buch behandelt das Land & seine Verfassung, das dritte Buch die Stadt.

 

Im ersten Buch untersucht Stutz nacheinander die R(echts)-Q(uellen) des Mittelalters (Stammesrechte, Landrecht, Hof- und Dienstmannenrechte, Stadtrecht, 18 einzelne Stadtrechte und Stadtrechtsfamilien sowie wohl 16 einzelne Landbücher & Talrechte), die R(echts)-Q(uellen) der neueren Zeit (R[echt]sbildung im Allg[emeinen], das Recht der Staedte und der Stadtgebiete, die R[echt]e der Länder) sowie schließlich die Moderne Rechtsbildung (im allgemeinen, Civilrechtscodifikationen, Strafrechtsbücher). Das zweite Buch untersucht das Land & seine Verfassung und gliedert sich in die vier Kapitel Grundlegung, Geschichte der schweiz(erischen) Landgemeinden, die Verfass(un)g der Landsgemeinde-Cantone, das dritte Buch Stadt & ihre Verfassung (die Verfassungsgeschichte der bischoeflichen Staedte, insbes[ondere] Basels, die Verfassung der Koenigl[ichen] Staedte insbes[ondere] Zürichs. Bluntschli: Staats- & R[echt]gesch[ichte] der Stadt & Landschaft Zürich, Verfassung der urspr[ünglich] territorialen Staedte insbes[ondere] Berns, sowie Verfassung & Verwaltung der Staedtischen Territorien).

 

Der dem Text mit Kommentar folgende Anhang  behandelt in 14 Schritten von 1291 bis zum westfälischen Friedensvertrag des Jahres 1648 die Verfassungsgeschichte der „alten Eidgenossenschaft“. Danach bietet der Herausgeber auf der Grundlage seiner aufopfernden Bemühungen abschließende verfassungsgeschichtliche Bemerkungen. Umfangreiche Register runden das beeindruckende Werk, über das sich vermutlich auch Ulrich Stutz besonders freuen würde, angenehm ab.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler