Böhmen und das deutsche Reich. Ideen- und Kulturtransfer im Vergleich (13.-16. Jahrhundert), hg. v. Schlotheuber, Eva/Seibert, Hubertus (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 116). Oldenbourg, München 2009. VIII, 362 S. 81 Abb. Besprochen von Christoph Paulus.

 

Im zweiten Buch seiner „Historia Austrialis“ überliefert Enea Silvio Piccolomini, späterer Papst Pius II., unter dem böhmischen Adel habe es viele gegeben, die es sich sehnlichst gewünscht hätten, fremde Gebräuche, in diesem Fall Italiens, kennen zu lernen. Der anzuzeigende, durch ein Personenregister erschlossene Tagungsband, der auf ein Münchner Symposion im September 2007 zurückgeht, spürt solchen kulturhistorischen Pfaden zwischen Böhmen und dem Reich nach und sucht in insgesamt 15 Beiträgen mit interdisziplinärem Ansatz, Vermitteltes und Vermittler aufzuzeigen.

 

So profiliert Jan Royt den Prager Bischof Johann IV. von Draschitz als Schlüsselgestalt für vor allen Dingen südfranzösische Kunsteinflüsse, während Magdaléna Hamsíková den Einfluss Lucas Cranachs des Älteren auf die böhmische Malerei besonders am Monogrammisten I. W., einem Schüler des 1553 in Weimar verstorbenen Meisters, festmacht. Ebenfalls im Themenblock „Architektur und Wandmalerei“ stehen die Aufsätze von František Záruba und Josef Záruba-Pfeffermann. Letzterer interpretiert die Chormalereien der Jakobuskirche zu Slavětín als bedeutendes heraldisches und kulturhistorisches Zeugnis. Ersterer gibt eine alphabetische Aufstellung der Burgenbauten König Wenzels IV., hauptsächlich in den 1380er Jahre errichtet.

 

Inhaltlich eng verbunden sind vier Aufsätze, welche unter dem Rubrum „Herrschaft und kultureller Austausch“ zusammengefasst sind. Seth Adam Hindin gibt eine ethnische Deutung architektonischer Unterschiede in der sakralen Baukunst, zumal der so genannten tschechischen Kapellen (Brünn, Iglau, Königgrätz, Prager Bethlehemskapelle). Im Gegensatz zu deutschen Bauten kennzeichne diese eine architektonische Reduktion. Mit herrschaftslegitimatorischen Aspekten der Kunst unter Karl IV. beschäftigen sich die Beiträge von Bernd Carqué und Richard Němec. Němec sieht etwa in der Burganlage von Lauf an der Pegnitz eine „bildhafte Visualisierung der landesherrlichen Autorität“ (99).

 

Carqué hingegen unterstreicht nach methodischer Dekonstruktion der Selektivität gängiger Vergleichsparameter, welche vor allem französische Vorbilder namhaft zu machen versuchen, die jeweils neue Kontextualisierung eines Kunsttypus, welcher im Falle Karls zur Durchsetzung seiner Herrscherheiligkeit eingesetzt worden sei. Lenka Mráčková analysiert anhand zweier Musikhandschriften (Codex Strahov und Codex Speciálník) die Kontrafaktur von Kompositionen des auch am friderizianischen Hof tätigen flämischen Tonsetzers Johannes Tourout durch böhmische Utraquisten, welche die deutschen oder französischen Lieder durch eigene lateinische Texte in einen neuen Gebrauchskontext stellten.

 

Die meisten Aufsätze sind Untersuchungen zur oralen und schriftlichen Tradition gewidmet, vorzüglich in ihrer repräsentativen Ausprägung. So geben Franz-Albrecht Bornschlegel und Jiří Roháček einen komparatistischen, epigraphischen Überblick, wobei die Seltenheit deutscher Inschriften in Böhmen vor allem aus einer Dominanz des Lateinischen erklärt wird. Georg Vogeler bereichert seine Studien zu den Steuerbüchern durch eine Untersuchung der böhmischen Berna-Register, bei denen er die eigenständige Verwaltungstradition und den großen landständischen Einfluss betont. Roman Lavička kommt bei seiner Untersuchung zu Jahreszahlen an mittelalterlichen Baudenkmälern zu einer Neudatierung des Chors der spätgotischen Pfarrkirche von Blatna.

 

Den zwischen mehreren Herrschaften stehenden Grafen von Schlick gilt die Untersuchung von Uwe Tresp, der die Bemühungen der unter König Sigismund aus dem Tuchhändlermilieu rasant emporgestiegenen Familie nachzeichnet, sich um 1500 durch Hinwendung zum König von Böhmen oder auch zu den Wettinern dem Integrationsdruck der böhmischen Stände zu widersetzen. Der These eines vermeintlichen Pfarreienverfalls in und nach hussitischer Zeit stellt Eva Doležalová die Ansicht einer angemessenen Einpendelung nach vorherigem „Geistlichenüberschuss“ entgegen.

 

Predigt als Verbreitungsmittel wie als legitimatorisches Instrument in der Nachfolge Christi profiliert Pavel Soukup als Kennzeichen der (vor-)hussitischen Bewegung. Robert Šimůnek zieht zahlreiche Annahmen gängiger, vor allem am bürgerlichen Milieu erprobter Testamentsinterpretation für die böhmischen Adelstestamente in Frage. Er betont die Uneinheitlichkeit des Textcorpus, für das quantifizierende Methoden wenig Erfolg brächten, und deutet exemplarisch den ausführlichen letzten Willen des 1453 hingerichteten Jan Smiřickýs von Smiřice als beeindruckendes geistesgeschichtliches Denkmal.

 

Die zweite Abteilung der Bayerischen Landesausstellung des Jahres 2007 in Zwiesel „Bayern und Böhmen. 1500 Jahre Nachbarschaft“ war überschrieben mit „Begegnungen im Mittelalter“. Der vorliegende Sammelband beweist eindrucksvoll, dass es nicht nur Begegnungen waren, sondern vielmehr befruchtende Wechselwirkungen. Wenngleich nicht alle Arbeiten dem Forschungskonzept des Kulturtransfers im gleichen Maß verpflichtet sind, so führt der Sammelband anregend die Vieldimensionalität eines Austausches vor, der bisher gängigerweise auf wirtschaftlicher Ebene dargestellt worden war. Allerdings entsteht bei der Lektüre zuweilen der Eindruck, der Austausch habe vor allem in West-Ost-Richtung stattgefunden. Ergänzt werden hätte können etwa ein Beitrag zu geistes- oder religionsgeschichtlichen Einflüssen aus Böhmen, so zum Hussitismus in Bayern.

 

Seehausen am Staffelsee                                                                                 Christof Paulus