Biermann, Marc, Das Staatseigentum an öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - Die Theorie des reinen Hoheitsrechts an den öffentlichen Sachen von Rudolph von Jhering und Friedrich Ludwig Keller im Zusammenhang mit dem Baseler Schanzenstreit von 1859/62 (= Rechtshistorische Reihe 394). Lang, Frankfurt am Main 2009. XXVI, 147 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Besitz und Eigentum haben sich in der Geschichte des Menschen erst allmählich entwickelt. Auch die Trennung eines allgemeinen Bereichs von den Bereichen der vielen einzelnen Menschen ist nur langsam entstanden. Deswegen kann es nicht eigentlich überraschen, dass noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Rechtsnatur des Eigentums an öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch Gegenstand rechtswissenschaftlicher Erörterung sein konnte, mit der sich der Verfasser in seiner von Martin Lipp betreuten, im Wintersemester 2007/2008 von der „rechtswissenschaftlichen Fakultät“ der Universität Gießen angenommenen Dissertation auseinandersetzt.

 

Der Verfasser beginnt seine Einleitung mit der Darstellung der öffentlichen Sachen im geltenden Recht. Nach der Theorie des modifizierten Privatrechts unterstehen auch die öffentlichen Sachen der einheitlichen rechtlichen Eigentumsordnung, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896/1900 festgesetzt wurde. Allerdings führt die Widmung zu einem öffentlichen Zweck zu bestimmten öffentlichrechtlichen Nutzungsbefugnissen des Berechtigten und damit zu einer Einschränkung (Überlagerung) der privatrechtlichen Eigentümerbefugnisse, wobei es sich bei dem der Allgemeinheit überlassenen Gemeingebrauch um ein beschränktes subjektiv-öffentliches Recht des Einzelnen auf Benutzung (Mitbenutzung) der öffentlichen Sache handelt.

 

Als Ansatz seiner Dissertation erklärt der Verfasser die Beschäftigung mit dem Begriff des Staatseigentums an den öffentlichen Sachen im Gemeingebrauch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seiner damaligen Interpretation im gemeinen Recht und in den unterschiedlichen Kodifikationen. Ausgangspunkt ist ein Rechtsstreit aus dem Jahre 1862, der das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den öffentlichen Sachen für die folgenden Jahrzehnte maßgeblich beeinflusst hat und seinen Ursprung in der unübersichtlichen Rechtslage in der vorhergehenden Zeit hat, weil das Rechtsgebiet der öffentlichen Sachen bereits damals einen juristischen Bereich dargestellt habe, der sich seit jeher im Grenzbereich zwischen öffentlichem Recht und privatem Recht befunden habe, wobei die Ungewissheit sich bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und zum Teil sogar noch darüber hinaus gehalten habe.

 

In dem als Ausgangspunkt gewählten Rechtsstreit zwischen Basel-Stadt und Basel-Land ging es im Wesentlichen um die Frage, ob sich öffentliche Sachen (wie etwa eine Schanze auf dem Gebiet von Basel-Stadt) im privatrechtlichen Eigentum des Staates befinden (und deshalb nach der Ansicht von Basel-Land geteilt werden können) oder ob der Staat ausschließlich hoheitliche Befugnisse über sie hat (und deshalb nach Ansicht von Basel-Stadt eine Teilung ausscheidet). Von den durch die Parteien beigezogenen Gutachtern sprachen sich Heinrich Dernburg und Jakob Rüttimann für das privatrechtliche Eigentum aus, Friedrich Ludwig Keller und Rudolph von Jhering dagegen für die Ausschließlichkeit hoheitlicher Befugnisse. Nach Ansicht des Verfassers verfolgten dabei alle Rechtsgutachten einzig und allein das Ziel, die Interessen ihrer Auftraggeber zu wahren und dadurch einen (1833 mit 1,6 Millionen Schweizer Franken bezifferten) Zahlungsanspruch (für Basel-Land) zu begründen oder (gegen Basel-Stadt) abzuwehren.

 

Im Anschluss an diese Grundlegung behandelt der Verfasser den durch die Aufteilung des Kantons Basel in Basel-Stadt und Basel-Land (ehemalige Untertanenlande) 1833 entstandenen Schanzenstreit einschließlich des schiedsgerichtlichen Urteils vom 19. November 1833, die öffentlichen Sachen unter der Theorie des Hoheitsrechts, das Verhältnis der Theorie des Hoheitsrechts mit dem gemeinen Recht vor dem Streit, die öffentlichen Sachen im preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 und die öffentlichen Sachen im Code civil. Dabei gelangt er zu dem ansprechenden Ergebnis, dass das frühe 19. Jahrhundert eine genaue dogmatische Einordnung des Staatseigentums an öffentlichen Sachen nicht vornehmen konnte oder wollte, obwohl sich unbewusste Gemeinsamkeiten mit Jherings Ansicht finden. Im Anhang gibt der Verfasser erfreulicherweise das Urteil des Schiedsgerichts vom 19. November 1833 und das die Klage Basel-Lands gegen Basel-Stadt auf Realteilung der Basler Festungswerke abweisende, aber Ansprüche Basel-Lands auf 64 Prozent des Wertes der Basler Festungswerke anerkennende Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 29. Oktober 1862 wieder.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler