Behrends, Okko/Berger, Elisabeth/Brauneder Wilhelm u. a., Die Kodifikation und die Juristen - ein rechtshistorisches Seminar in Stockholm 2. bis 4. Mai 2003 (= Skrifter 2, Rättshistoriska studier 23). Institutet för Rättshistorisk Forskning, Stockholm 2008. 267 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wie Claes Peterson im kurzen Vorwort mitteilt, organisierte die Olin-Stiftung für rechtshistorische Forschung in Stockholm im Mai 2003 ein rechtshistorisches Seminar, dessen Zweck es war, in einem begrenzten Kreis von Rechtshistorikern aus Estland, Deutschland, Italien, Spanien, Österreich und Schweden zu untersuchen und zu besprechen, wie das Vorhandensein einer Kodifikation die Rechtsquellenlehre prägt. Es ging vor allem um die Frage, welche Bedeutung Rechtsquellen wie Praxis, Rechtswissenschaft und Gewohnheitsrecht in Rechtsbildung und Rechtsanwendung zukommt, wenn das Recht vollständig kodifiziert ist. Kontrollierend wurde die Frage behandelt, ob sich das Zusammenspiel der Rechtsquellen in Rechtsordnungen, die keine Kodifikation aufweisen, anders entwickelt hat.

 

In diesem Rahmen wurden insgesamt acht Referate gehalten. Von den Referenten behandelte Okko Behrends einführend die europäische Privatrechtskodifikation einschließlich der Gefährdung ihrer Systemmitte. Dabei ging er von der ausführlich dargelegten Kodifikation als Rechtsorganismus (corpus iuris) personaler Freiheit und deren geistigen Vorbedingungen aus und stellte ihr die Gefährdung der individuellen Person durch den wirtschaftlichen Funktionsträger in der letzten Kodifikationsschicht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert gegenüber.

 

Elisabeth Berger verfolgte den Transfer des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs Österreich nach Liechtenstein. Wilhelm Brauneder fragte sich, ob Österreichs Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch nicht von der ursprünglichen Mitte des Privatrechts an den Rand der Privatrechtsordnung gedrängt worden sei. Sehr umsichtig legt er dabei die Gründe für die zahlreichen wichtigen Nebengesetze und ihre Wirkungen dar.

 

Paolo Cappellini (Florenz) betrachtete den napoleonischen Code civil Frankreichs vor allem im Hinblick auf Säkularisierung und politische Form. Marju Luts sah die neue estnische Privatrechtskodifikation zwischen Geschichte und Zukunft Europas und fürchtete dabei ein vorwärts ins Mittelalter. Insbesondere problematisierte sie die Stellung Deutschlands als pars pro toto für Europa oder historischer big brother der Rechtsordnung in Estland.

 

Die restlichen Beiträge befassten sich mit dem Gegenmodell der Länder ohne Kodifikation, wobei Richard Nordquist sich besonders der Methodologie des Code civil im Vergleich zum schwedischen Rechtsquellenbegriff des 19. Jahrhunderts zuwandte. Claes Peterson schilderte vertiefend den Kampf um ein schwedisches Zivilgesetzbuch im 19. Jahrhundert, der ohne Kodifikation endete. Marie Sandström bewegte die Frage, was wir tun sollen, wo keine Gesetzbücher sind, der sie an Hand Schwedens die Antwort gab, dass die Rechtswissenschaft als lebendiges Gewohnheitsrecht durchaus ausreichende Lösungen biete.

 

Insgesamt erbrachte die Zusammenkunft einen zur weiteren Diskussion anregenden Gedankenaustausch. Vielleicht lohnte es sich bei der Fortführung auch den angloamerikanischen Rechtskreis und weitere Rechtsordnungen einzubeziehen. In jedem Fall hat das Nebeneinander von Kodifikation und Nichtkodifikation des Privatrechts den Betroffenen bisher jedenfalls nicht erkennbar geschadet.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler