Begert, Alexander, Die Entstehung und Entwicklung des Kurkollegs. Von den Anfängen bis zum frühen 15. Jahrhundert (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 81). Duncker & Humblot, Berlin 2010. 229 S. Besprochen von Adolf Laufs.

 

Die von den Quellen nur unzulänglich dokumentierte Entwicklung des exklusiven Königswahlrechts der sieben Kurfürsten im alten Reich, ein „Fundamentalrätsel der deutschen Verfassungsgeschichte“ (Hugo Stehkämper), hat Historiker seit langem herausgefordert, ohne dass Thesen und Erklärungsversuche zu einem Abschluss gelangt wären. Die schmale und diffizile Quellenlage erlaubt wohl auch nicht mehr als die angestrengte Suche nach größeren Plausibilitäten, nach einem noch besseren historischen Deuten und Verstehen. Die Erklärungsmodelle hat Franz-Reiner Erkens (ZRG GA 122, 2005, 327-351, 335) scharfsinnig zusammengefasst und einander plakativ gegenübergestellt: „Es steht Monokausalität gegen Multikausalität, Dauerhaftigkeit gegen Wandel, Satzung gegen Genese.“

 

Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. und des Reiches von 1356 markiert mit ihren verhältnismäßig eindeutigen und umfassenden Regeln den Abschluss der Ausbildung des Kurkollegs, während das Landrecht des Sachsenspiegel aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts die Verhältnisse noch im Fluss zeigt. Der Sachsenspiegel spricht vom Wahlrecht der Deutschen (III, 52 § 1). Im Kurfürstenparagraphen (III, 57 § 2) ist von der Reihenfolge der Kurrufe die Rede, und den Kurrufern wird untersagt, den rechtsdeklaratorischen Akt ohne Rücksicht auf den Willen der übrigen, von der Kur noch gar nicht ausgeschlossenen Fürsten vorzunehmen. Die „Kurfürsten“ sollten also nur einen Vorrang bei der Kur und nicht bei der Wahl besitzen. Den Vorrang der Laienfürsten begründet das Rechtsbuch mit den Erzämtern. Aber die „Erzämtertheorie“ lässt, wie die kritische Literatur zeigt, ebenso Fragen offen wie die von Armin Wolf beharrlich verfochtene erbrechtliche Theorie über die genealogische Abstammung der weltlichen Kurfürsten von den Ottonen und Saliern in kognatischer Linie.

 

Der Autor der vorliegenden Monographie, der bereits mit Studien zur böhmischen Kur und zum Kurkolleg als Schiedsgremium hervorgetreten ist, sieht selbstverständlich die historischen Ereignisse und Gestalten im Ablauf der Zeit. In Quellen des 12. Jahrhunderts bereits erkennt er den Gedanken an einen Wahlausschuss, und während des welfisch-staufischen Thronstreits erschien das Projekt eines bevorrechtigten Vierergremiums mit den Erzbischöfen von Mainz und Köln sowie dem Herzog von Sachsen und dem Pfalzgrafen bei Rhein, parteipolitischen Umständen folgend. Im frühen 13. Jahrhundert erweiterte sich, so der Verfasser, „das paritätische Wahlschiedsgremium“ um je einen geistlichen (Trier) und weltlichen Fürsten (Brandenburg).

 

Vieles spricht dafür, dass sich zwischen der Aufzeichnung des durchaus wirkmächtigen Sachsenspiegels um 1230 und der Doppelwahl von 1257 durch – wie fortan – allein noch die Kurfürsten die Verengung auf diese sieben Berechtigten vollzogen hat: vor dem Hintergrund des Rückzugs ehedem Wahlberechtigter und dem Aussterben von lange wahlaktiven Fürstenfamilien. In seinem Hauptteil fügt sich die Darstellung in diesen Rahmen, um die Reduktion der Königswählerschaft schließlich an einem Ereignis festzumachen: „Diese Reduktion fand in Form eines reichsrechtlich relevanten Beschlusses auf dem Hoftag Wilhelms von Holland in Braunschweig im Jahre 1252 statt, der von der überwältigenden Mehrheit der Reichsfürsten getragen wurde“ (S. 102.). Der Braunschweiger Hoftag brachte dem 1247 von den drei rheinischen Erzbischöfen gewählten Wilhelm in einer Nachwahl die Stimmen des Herzogs von Sachsen und des Markgrafen von Brandenburg. Der Böhme zollte Anerkennung, das Wahlrecht des gebannten Pfälzers ruhte. Der Braunschweiger Akt sollte das Königtum Wilhelms absichern. „Genau diese Problematik, die Frage der Anerkennung und Durchsetzbarkeit des Königtums, dürfte der entscheidende Anstoß zur Wahlrechtsreduktion gewesen sein“ (S. 99). Dahinter standen das Bedürfnis nach Vereinfachung und Effektivierung der Wahl, gleichsam der Wunsch nach deren personeller und zeitlicher Verdichtung, nicht zuletzt wirkten auch geistliche Vorbilder und Gebräuche.

 

So will die These des Autors als überaus plausibel einleuchten. Aus den Quellen eindeutig beweisen freilich kann er sie nicht, mag der Braunschweiger Tag auch ein Weistum, einen „Rechtsspruch der Fürsten“ (Karl Zeumer), hervorgebracht haben, wonach ein König, ex quo electus est in concordia, dieselbe Macht habe wie ein Kaiser, und mögen die Braunschweiger Vorgänge ihren Niederschlag in einer Glosse diesen Inhalts gefunden haben, die der päpstliche Gesandte und Dekretist Heinrich von Segusio (Hostiensis) als Augenzeuge verfasste und die möglicherweise auch eine Verfahrensregelung enthielt. Zeumer hat in seiner tiefgründigen Studie zum „Reichsweisthum über die Wirkungen der Königswahl aus dem Jahre 1252“ bereits von der „grösseren Wahrscheinlichkeit“ geschrieben, „dass gegen Ende 1256 durch ein … nicht erhaltenes Weisthum der Kreis der Kurfürsten als der ausschliesslichen Wähler des Königs, auf Grundlage der sogenannten Erzämtertheorie, … festgestellt sei“.

 

Es leuchtet ein, dass die Ausbildung des Alleinwählergremiums mit dem numerus clausus von sieben Kuren deren Vermehrung durch Teilungen der bevorrechtigten weltlichen Fürstentümer nicht zulassen konnte. Hatten mehrere Fürsten einen legitimierenden territorialen Titel gemeinsam inne, „partizipierten sie folgerichtig alle an der einen Kur“ (S. 145). Der Autor verfolgt weiter die „Metamorphose vom Gremium zum Kollegium“ in verschiedenen Etappen und erkennt den größten Teil dieses Prozesses mit der Wende zum 14. Jahrhundert als abgeschlossen.

 

„Die Ursprünge des Kurkollegs lagen in dem Bedürfnis, bei der Königswahl eindeutige und allgemein anerkannte Entscheidungen zu gewährleisten“ (S. 172). Diesem Ziel diente auch „die Hinzunahme des Königs von Böhmen in das Alleinwählergremium 1252“ (ebenda). Das Majoritätsprinzip erfuhr, wie sich zeigt, auch in der Phase der Doppel- und Gegenkönigswahlen (1298-1349) keine Negation. Das Buch führt den Leser bis zur Goldenen Bulle von 1356, wobei die nach 2008 erschienene Literatur unberücksichtigt bleibt (vgl. dazu das Verzeichnis von A. Laufs, Goldene Bulle, HRG 10. Lief. 2009, Sp. 448-457). Nur knapp skizzierte Exkurse zum Kirchenbann, zur „angeblichen“ zweiten Wahl Karls IV. und zur Translation von Kurwürden beschließen den anregenden Band.

 

Der Autor bietet beides: eine Genese und eine in sie eingeschlossene maßgebende Festlegung von 1252 in Gestalt einer Satzung oder eines Weistums („reichsrechtlich relevanter Beschluß“; „Reichsgesetze“; „Kodifizierung“, S. 102ff.). Die von verschiedenen Kräften, Ideen und Motiven geförderte Entwicklung führte zu einem weithin anerkannten Zwischenergebnis, das sich in der Folge behauptete und ausreifte. Damit hat der Autor eine lange und gedankenreiche Debatte neuerlich auf verdienstvolle Weise wieder ein Stück vorangebracht.

 

Heidelberg                                                                                                              Adolf Laufs