Wirtschaftsgeschichte der mittelalterlichen Juden. Fragen und Einschätzungen, hg. v. Toch, Michael unter Mitarbeit v. Müller-Luckner, Elisabeth (= Schriften des historischen Kollegs 71). Oldenbourg, München 2008. VIII, 218 S., 1 Abb. Besprochen von Stuart Jenks.

 

Die Beiträge in diesem Band befassen sich mit der Wirtschaftstätigkeit der Juden im europäischen Mittelalter, wobei Byzanz in einem Aufsatz gestreift wird. Ein Beitrag betrifft die Rechtsgeschichte und soll deshalb vorangestellt werden. Hans-Georg von Mutius, Taking Interest from Non-Jews – Main Problems in Tradition Jewish Law (S. 17-24), untersucht die Interpretation von Deut. 23,21 ('Von dem Fremden magst du Zinsen nehmen, aber nicht von deinem Bruder, auf dass dich der Herr, dein Gott, segne in allem, was du vornimmst') durch die jüdischen Rechtsgelehrten der Antike und des Mittelalters und konstatiert, dass es zwei Schulen gegeben hat. Die Midrasch versteht den Vers als Gebot, Zinsen von einem Nichtjuden zu verlangen, während die Mischna die Stelle als Option auslegt, wonach man als Jude Darlehenszinsen von einem Nichtjuden verlangen kann, aber nicht muss. In der mittelalterlichen Diskussion schloss sich Maimonides der Interpretation der Midrasch an, während die meisten europäischen Kommentatoren die Optionalauslegung favorisierten, vermutlich weil es die Möglichkeit eröffnete, Nichtjuden unverzinste Darlehen als Zeichen der Freundschaft zu gewähren (S. 22). Die restlichen Beiträge sollen nur kurz angezeigt werden, da sie die Rechtsgeschichte nicht berühren. Auf den allgemeinen Aufsatz Giacomo Todeschinis, Christian Perceptions of Jewish Economic Activity in the Middle Ages (S. 1-16), der die hoch- und spätmittelalterliche Verunglimpfung von Juden als Wucherer mit der Kommerziellen Revolution des Mittelalters in Verbindung bringt, welche die Stellung der Kirche (nicht nur als Grundbesitzerin) – und obendrein die herkömmliche Sozialordnung – ins Wanken brachte, jedoch kirchlichen Institutionen die Gelegenheit bot, ihre Liegenschaften und Einkünfte zu kapitalisieren. Die religionsfeindlichen Auswirkungen der Kommerziellen Revolution bekämpften die Kanonisten und Theologen, indem sie die Juden stigmatisierten, was die Entstehung einer christlichen Wirtschaft und die Beteiligung von Kirchen und Klöstern am Wirtschaftswachstum erlaubte.

 

Die nächsten drei Beiträge befassen sich mit den Geschicken der Juden im Mittelmeerraum. David Jacoby, The Jews in Byzantium and the Eastern Mediterranean: Economic Activities from the Thirteenth to the Mid-Fifteenth Century (S. 25-48) sichtet die Belege für jüdische Wirtschaftstätigkeit im Raum des östlichen Kaisertums und der lateinischen Romania und findet einen beachtlichen Grad wirtschaftlicher Integration der Juden in Handel und Gewerbe, auch wenn er daneben einen glaubensinternen Wirtschaftskreislauf (koscherer Wein, Käse) und die Beschränkung jüdischer Händler auf der regionalen und lokalen Ebene konstatiert. David Abulafia, The Jews of Sicily and Southern Italy: Economic Activity (S. 49-62) stellt einen Kontrast zwischen den international tätigen jüdischen Fernhändlern Siziliens und den eher handwerklich tätigen Juden des sizilischen Festlands fest. Geldgeschäfte sind erst im späten 14. Jahrhundert für das jüdische Geschäftsleben prägend, während in früherer Zeit das Handwerk dominierte (Schlachten, Weinbau, Seidenweberei, Tuchfärberei, Metallhandwerk). Insgesamt waren die Juden im gesamten regnum Sicilie wirtschaftlich integriert. Reinhold C. Mueller, The Status and Economic Activity of Jews in the Venetian Dominions during the Fifteenth Century (S. 63-92) konstatiert ebenfalls einen Kontrast hinsichtlich des Rechtsstatus sowie der Wirtschaftstätigkeit der Juden in Venedig selbst und in den venezianischen Herrschaftsgebieten der terra firma und in Übersee. Während die Serenissima sich konsequent gegen die Aufnahme von Juden als Bürger stellte, kam dies vereinzelt auf der terra firma (Treviso) sowie in Übersee (Corfu) vor. In der Regel waren die Juden dem venezianischen Staat unmittelbar unterstellt, was die direkte Erhebung von Steuern und Zwangsdarlehen erklärt. Die Finanzkraft der Juden war allerdings für die Kriegführung des Senats sowie für die Steuerzahlung durch die unterstellten Kommunen unerlässlich. Auch wirtschaftlich gab es Unterschiede. Während auf der terra firma die Bankiers die führenden Mitglieder der kleinen, aufenthaltsrechtlich unsicheren und endogamen Gemeinden waren, ermöglichte das Fortleben der byzantinischen Tradition den Juden eine wesentlich breitere Beteiligung am Handels- und Gewerbsleben in der überseeischen Territorien sowie (wie das Beispiel Corfu zeigt) das volle Bürgerrecht und die Tätigkeit als Stadtrat.

 

Die restlichen Beiträge befassen sich im wesentlichen mit den deutschsprachigen Raum. Joseph Shatzmiller, Church Articles: Pawns in the Hands of Jewish Moneylenders (S. 93-102) befasst sich mit den Auseinandersetzungen jüdischer Gelehrter mit der Frage, ob es gestattet ist, bei der Gewährung eines Darlehens sakrale Gegenstände als Pfand zu nehmen, was zwar im 12. Jahrhundert von einer Rabbinersynode verboten wurde, aber in der Praxis geschah, insbesondere weil man eine Unterscheidung zwischen Kultgegenständen, die man nicht zur Pfand nehmen dürfe, und persönlichen Gegenständen des Priesters traf. Annegret Holtmann, Medieval "Pigeonholes". The Jewish Account books from Vesoul and Medieval Bookkeeping Practices (S. 103-120) stellt beachtliche Übereinstimmungen zwischen der christlichen und der jüdischen Buchhaltungspraxis fest. Markus J. Wenninger, Juden als Münzmeister, Zollpächter und fürstliche Finanzbeamte im mittelalterlichen Aschkenas (S. 121-138) findet eine bedeutende Zahl von Belegen für die Tätigkeit der Juden in fürstlichen Verwaltungen in ganz Deutschland und Nebenländern (wenn auch mit einer gewissen Konzentration im österreichischen Raum) bis ca. 1400. Danach verwalteten die Fürsten ihre Einkünfte selbst, anstatt sie (u. a. an Juden) zu verpachten. Rainer Barzen, „Was der Arme benötigt, bist Du verpflichtet zu geben“. Forschungsansätze zur Armenfürsorge in Aschkenas im hohen und späten Mittelalter (S. 139-152) stellt frappierende Parallelen zwischen der jüdischen und der christlichen Armenfürsorge fest, die er nicht als Anpassung, sondern als gleichartige Lösungen für ähnliche Probleme wertet. Martha Keil, Mobilität und Sittsamkeit: Jüdische Frauen im Wirtschaftsleben des spätmittelalterlichen Aschkenas (S. 153-180) sichtet die Zeugnisse für die wirtschaftliche Tätigkeit (im wesentlichen: Geldverleih) von Jüdinnen im deutschen und englischen Raum (allerdings in Unkenntnis der Calendar of the Plea Rolls of the Exchequer of the Jews (6 Bände bis 1281) und der Curia Regis Rolls (20 Bände bis 1250)) und ihrer sich daraus ergebenden Machtposition in der Gemeinde. Die dazu erforderlichen, mehrtägigen Reisen und Übernachtungen bei Nichtjuden verstießen nach Ansicht vieler Rabbiner gegen die Sittsamkeit, waren aber geschäftlich notwendig und kaum zu verbieten, wie die Rabbiner resignierend konstatierten. Michael Toch, Economic Activities of German Jews in the Middle Ages (S. 181-210) gibt einen ebenso grandiosen wie materialreichen, jedem Wirtschaftshistoriker zu empfehlenden Überblick über die Wirtschaftstätigkeit der Juden im deutschsprachigen Raum im Hoch- und Spätmittelalter, wobei er ein allmähliches Schwinden sozial Hochgestellter (Könige, Adel, Prälaten) aus dem Klientel der Juden und ihre Enturbanisierung feststellt.

 

Fürth                                                                                                    Stuart Jenks