Willsch, Natalie, Hellmuth Mayer (1895-1980). Vom Verteidiger im Hitler-Prozess 1924 zum liberal-konservativen Strafrechtswissenschaftler. Das vielgestaltige Leben und Werk des Kieler Strafrechtslehrers (= Kieler rechtswissenschaftliche Abhandlungen N. F: 55). Nomos 2008. 376 S. Besprochen von Arno Buschmann.

 

Mit der vorliegenden Studie, einer von Heribert Ostendorf betreuten Kieler juristischen Dissertation, werden Leben, Lehre und Werk eines der profiliertesten Mitglieder der Kieler juristischen Fakultät der Nachkriegszeit gewürdigt, das ganze Generationen von Kieler Studenten nachhaltig geprägt hat, manche von ihnen nicht nur zu erfolgreichen und umworbenen akademischen Lehrern herangebildet, sondern auch in höchste Ämter der Justiz in der Bundesrepublik geführt hat. Historisch interessierte Studenten erinnern sich gern an seine rechtshistorischen Ausführungen in den Vorlesungen über das geltende Strafrecht, andere haben von seinen ebenso scharfsinnigen wie präzisen Erörterungen zur Strafrechtsdogmatik vielfach profitiert. Umso erfreulicher ist es, dass Mayers vielseitige Persönlichkeit jetzt endlich ihre verdiente biographische und historische Würdigung erfährt.

 

Mayer stammte aus Würzburg, war der jüngere Sohn des bekannten Würzburger Rechthistorikers Ernst Mayer, studierte in Würzburg Rechts- und Staatswissenschaften und promovierte 1921 bei Friedrich Oetker mit einer Arbeit über „Zuchtgewalt und Strafrechtspflege“, deren Gegenstand das Verhältnis von Strafrecht und Disziplinarrecht, vor allem des militärischen Disziplinarrechts, war und in der er sich im Sinne der klassischen Strafrechtstheorie, richtungweisend für seine späteren strafrechtlichen Schriften, zum Vergeltungsgedanken als Grundlage des Strafrechts bekannte. Nach dem ersten juristischen Staatsexamen, der Ableistung des juristischen Vorbereitungsdienstes in Bayern und dem zweiten juristischen Staatsexamen betätigte sich Mayer zunächst als Anwalt, um sich 1928 mit einer Arbeit über den amtsrichterlichen Strafbefehl in Erlangen für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie, wenig später auch für Kriminologie, Zivilprozessrecht und Deutsche Rechtgeschichte zu habilitieren. 1930 wurde Mayer an die Universität Rostock, 1944 an die Universität Kiel berufen, der er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1963 treu blieb. 1980 ist er in München gestorben.

 

Bemerkenswert für Mayers Leben und Wirken ist nicht nur sein Engagement für die akademische Lehre, für die Universität als Institution und für die Weiterentwicklung des Strafrechts und der Strafrechtswissenschaft, sondern auch seine konsequent patriotische Haltung in politicis und deren Wandlungen im Verlauf seines Lebens. Das Engagement für die akademische Lehre äußerte sich vor allem in Breite, Vielfalt seiner Lehrveranstaltungen, sein Einsatz für die Weiterentwicklung von Strafrecht und Strafrechtswissenschaft in seiner Beteiligung an den Bestrebungen zur Strafrechtsreform, an der Diskussion drängender strafrechtlicher Probleme, wie etwa der Frage nach der Berechtigung der strafrechtlichen Sicherungsverwahrung, die Mayer stets ablehnte, wie in Stellungnahmen zu aktuellen Strafrechtsfällen, namentlich aber solchen von politischer Relevanz, und nicht zuletzt in zahlreichen größeren und kleineren Abhandlungen aus den verschiedenen Gebieten des Strafrechts, des Strafprozessrechts, der Kriminologie, der Rechtsphilosophie, aber auch des Völkerrechts. Sein „Strafrecht des deutschen Volkes“ aus dem Jahre 1936 war der Versuch, rechtsstaatliche Grundlagen des Strafrechts in der nationalsozialistischen Zeit herauszuarbeiten und der Darstellung zugrunde zu legen, während das nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte Lehr- bzw. das Studienbuch des Allgemeinen Teils des Strafrechts von Bemühen bestimmt war, ein geschlossenes System des Strafrechts auf rechtsphilosophischer Grundlage zu präsentieren - beides Richtungen, von denen insgesamt auch Mayers Abhandlungen, Aufsätze, Urteilsanmerkungen und sonstige wissenschaftliche Äußerungen gekennzeichnet sind. Politisch war Mayer bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges national-konservativ, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg, engagiertes Mitglied etlicher konservativer Vereinigungen nach dem Ersten Weltkrieg, Mitglied einiger nationalsozialistischer Organisationen, nicht jedoch der NSDAP, Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand eine allmähliche Wandlung zu einem liberalen Konservativismus christlicher Prägung statt, dem er bis zu seinem Tode verpflichtet blieb. Diese politische Grundeinstellung prägte auch seine Haltung in Fragen des Strafrechts, ohne dass man behaupten könnte, dass seine strafrechtlichen Lehren unmittelbare Emanationen seiner politischen Überzeugung gewesen wären.

 

Mit großer Akribie und unter Verwendung aller erreichbaren Materialien, auch solcher aus etlichen Archiven, hat die Verfasserin das facettenreiche Leben und Wirken dieses bedeutenden Kieler Strafrechtslehrers nachgezeichnet und auch die Resonanz seiner oftmals eigenwilligen, aber wohlbegründeten Ansichten in der Strafrechtswissenschaft zutreffend dargestellt. Mayer blieb bis zuletzt - freilich mit Varianten - ein Vertreter der klassischen, von Karl Binding begründeten Schule des Strafrechts und stand der neueren soziologischen Richtung eher skeptisch gegenüber, was von der Verfasserin mit Recht hervorgehoben wird. Ausführlich werden von den Verfasserin die Entwicklung von Mayers wissenschaftlichen Ansichten wie auch die seiner politischen Haltung, gelegentlich etwas abundant, dokumentiert, so dass insgesamt ein umfassendes und zugleich detailreiches Bild eines Gelehrten entworfen wird, für das Strafrechtswissenschaft wie Strafrechtsgeschichte der Verfasserin zu großem Dank verpflichtet sind.

 

Salzburg                                                                                 Arno Buschmann