Wenzel, Rüdiger, Die große Verschiebung? Das Ringen um den Lastenausgleich im Nachkriegsdeutschland von den ersten Vorarbeiten bis zur Verabschiedung des Gesetzes 1952 (= Historische Mitteilungen 70). Steiner, Stuttgart 2008. 262 S., 15 Tab. Besprochen von Werner Schubert.

 

Das Gesetz über den Lastenausgleich vom 14.8.1952 (LAG) war – so Wenzel – der „zentrale Baustein, auf dem die soziale und politische Integration der Vertriebenen ruhte“. Aus diesem Grunde ist die Monographie von Wenzel (Dezernent der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein und Verfasser zahlreicher Schriften zur neueren und neusten Geschichte Schleswig-Holsteins und Dänemarks) über die Entstehung des LAG, seiner Vorläufer und seiner Nebengesetze zu begrüßen. Die Darstellung beruht auf der erstmaligen detaillierten Auswertung der umfassenden Bestände des Bundesarchivs Koblenz (Bundesministerien der Finanzen, der Justiz; Vertriebenenministerium; Bundeskanzleramt), der 139 Protokolle des 17. Ausschusses des Bundestages für den Lastenausgleich, der Protokolle von acht Unterausschüssen, der Materialien der Bundesratsverhandlungen und der Bestände der Länderarchive, der Akten der Parteien und der wichtigsten Verbände. Die nur knapp behandelten Anfänge der kodifizierten Ersatzpflicht für Kriegsschäden sind zu finden im ALR, im Kriegsleistungsgesetz von 1873, in der umfangreichen Kriegsentschädigungsgesetzgebung der Weimarer Zeit (abgeschlossen mit dem Kriegsschädenschlussgesetz von 1928) und der Kriegssachschäden-VO von 1940 (S. 29f.): Der sog. Homburger Plan von 1948, ausgearbeitet von einer Sonderstelle des Wirtschaftsrats der Bizone, sah eine einheitliche Währungsreform unter Einbeziehung eines weitgehenden Lastenausgleichs mit starker sozialer Komponente vor (S. 36ff.). Diese Kopplung wurde von den Alliierten abgelehnt; lediglich in der Präambel zum Währungsgesetz vom 20. 6. 1948 wurde den deutschen Stellen die Regelung des Lastenausgleichs als vordringliche, bis Ende Dezember 1948 zu lösende Aufgabe übertragen. Am 14. 12. 1948 legte der Wirtschaftsrat das „Erste Gesetz zum Ausgleich von Kriegs- und Kriegsfolgeschäden“ der amerikanischen und britischen Militärregierung vor, die jedoch eine grundlegende Änderung des Gesetzes dahin verlangte, dass dieses nur eine Übergangsregelung enthalten (Verwendung der Abgaben ausschließlich für die Sozialhilfe) und das Vermögen der Angehörigen der Vereinten Nationen von den Abgaben ausnehmen sollte. Da der Begriff „Lastenausgleich“ nicht verwandt werden durfte, erging im August 1949 das Gesetz als „Gesetz zur Milderung dringender sozialer Missstände (Soforthilfegesetz)“.

 

Mit dem fast gleichzeitig erlassenen Gesetz zur Förderung der Eingliederung von Heimatvertriebenen in die Landwirtschaft (Flüchtlingssiedlungsgesetz) vom 10. 8. 1949 wurde vertriebenen Landwirten der Erwerb oder die Pachtung landwirtschaftlicher Betriebe ermöglicht. Bereits am 2. 9. 1948 war für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet das Gesetz zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich ergangen, das Währungsgewinne bei grundpfandrechtlich gesicherten Schuldverhältnissen erfasste. Wenzel behandelt in drei umfangreichen Abschnitten (S. 71ff., 105ff., 157ff.) die Entstehung des LAG von 1952, ohne dass er näher auf die Biographie der vornehmlich mit der Lastenausgleichsgesetzgebung befassten Minister, Ministerialbeamten und Parlamentarier eingeht. Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Politikgeschichte des LAG während der einzelnen Entstehungsphasen. Hier beschränkt sich Wenzel im Interesse der Übersichtlichkeit der Darstellung mit Recht auf die Grundlinien, die noch durch ein Sachregister hätten detaillierter erschlossen werden können. Nur wenige Gesetzgebungsvorhaben der Bundesrepublik waren so umstritten und schwierig wie das LAG, dessen endgültige Fassung - nach umfangreichen Beratungen zuletzt im Vermittlungsausschuss - der Bundestag mit 208 gegen 139 Stimmen (bei 12 Enthaltungen) annahm. Hauptstreitpunkte waren der Umfang der Ausgleichsabgaben und der Ausgleichsleistungen, bei denen es darum ging, ob sie sozial ausgestaltet werden oder ob sie sich quotal nach dem Verlust richten sollten. Die Verfechter der quotalen Regelung wollten nach Wenzel Leistungen auf die Entschädigung nachgewiesener Verluste abstellen, die Verfechter einer sozialen Ausgestaltung dagegen wollten für die „Geschädigten Wohnraum beschaffen, Hausrat gewähren und insbesondere für Rentenzahlungen sorgen, um die Vertriebenen nicht zu Fürsorgeempfängern zu degradieren“ (S. 207). Der Kompromiss, mit dem die Vertriebenen unter dem CDU-Abgeordneten und Präsidenten des Bundes der vertriebenen Deutschen Linus Kather ihre Hauptforderungen in der 3. Lesung im Bundestag hatten durchsetzen können, wurde vom Bundesrat in Frage gestellt, dessen Vorschläge zu einer Aufkommensminderung von knapp 800 Millionen DM geführt hätten. Die im Vermittlungsausschuss gefundene Lösung veränderte die Aufbringungssumme für den Lastenausgleichsfonds nicht, weitete jedoch einige Entschädigungsregelungen erheblich aus. Im Ergebnis war der Lastenausgleich teils quotal, teils sozial ausgestaltet.

 

Die Abgaben für den Lastenausgleich betrafen die Hälfte des Vermögens nach dem Stand vom 21. 6. 1948 in auf 30 Jahre verteilten Raten zusätzlich zu der bereits 1948 eingeführten Hypotheken- und Kreditgewinnabgabe. Die vererbliche Hauptentschädigung in Geld diente dem Ausgleich für Vertreibungs-, Kriegssach-, Ost- und Sparerschäden (§ 12 LAG) und war nach sozialen Gesichtspunkten quotenmäßig gestaffelt. Rechtsansprüche bestanden weiterhin auf die Kriegsschadenrente, die Hausratsentschädigung und die Entschädigung für Wohnraumhilfe. Ohne Rechtsanspruch wurden gewährt: Eingliederungsdarlehen, Wohnraumhilfe, Leistungen aus dem Härtefonds und weitere Förderungsmaßnahmen wie die Ausbildungshilfe. Zu den Nebengesetzen gehört das wichtige und äußerst umstrittene Feststellungsgesetz vom 21. 4. 1952, für dessen Zustandekommen sich insbesondere die FDP und die Geschädigtenorganisationen einsetzten, das Altsparergesetz vom 14. 7. 1953 und das Gesetz vom 27. 3. 1952 über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener, die bei der Währungsumstellung 1948 nicht berücksichtigt worden waren. Ferner behandelt Wenzel noch die Auswirkungen des Vertriebenengesetzes vom 19. 5. 1953 auf das LAG, den Sonderfall Berlin, das Saarland, wo besondere Ausgleichsabgaben nicht erhoben wurden, und das Bundesausgleichsamt sowie die Lastenausgleichsbank (später: Bank für Vertriebene). Das Werk wird abgeschlossen mit einer Darstellung der Grundzüge des Lastenausgleichs in Finnland, einer umfangreichen Zeittafel zur Entstehung des LAG und mit „Zahlen zum Lastenausgleich“. Bis 2001 erfolgten Auszahlungen aus dem Ausgleichs- und Soforthilfefonds in Höhe von 143 Milliarden DM; die Einnahmen, mit denen auch der Schuldendienst bedient wurde, beliefen sich ebenfalls auf 143 Milliarden DM, zu denen auch erhebliche Zuschüsse der öffentlichen Kassen beitrugen (S. 210f.). Insgesamt lässt sich mit dem Finanzwissenschaftler und Finanzpolitiker Robert Nöll von der Nahmer feststellen, dass durch das LAG ein „wirklicher ,Ausgleich’ innerhalb der Lastenverteilung des verlorenen Krieges“ nicht erzielt worden sei. Man werde lediglich „von einer ,Milderung’ der Kriegs-, Vertreibungs- und Währungsreform-Schäden durch die einschlägigen Gesetze sprechen können“ (zitiert nach Wenzel, S. 210). Auf der anderen Seite war der Lastenausgleich nach Karl-Heinz Schaefer (Präsident des Bundesausgleichsamtes) „nach Größenordnung, Zielsetzung, Heranziehung erhaltener Vermögen, vielfältigen Methoden und politischem Erfolg aus historischer Sicht und auch im zeitgeschichtlichen internationalen Vergleich ein herausragendes, einmaliges und unverwechselbares Werk“ (S. 212).

 

Insgesamt hat Wenzel die Materialfülle zum LAG in bewundernswerter Knappheit, aber auch Gründlichkeit bewältigt und auf diese Weise eine gut lesbare, teilweise spannend geschriebene Monographie zu den Grundlagen des Lastenausgleichsrechts vorgelegt. Mit seiner Darstellung liegt ein wichtiges Werk zur Politik- und Gesetzgebungsgeschichte der frühen Bundesrepublik vor, dem unter Berücksichtigung der zitierten Feststellungen von Schaefer weitere Untersuchungen zur Durchführung des LAG (unter Heranziehung auch unveröffentlichter Quellen) und dessen gesellschaftliche Wirkungen folgen sollten.

 

Kiel

Werner Schubert