The Old Library of the Supreme Court of the Netherlands, hg. v. Pikkemaat, J. G. B., Verloren, Hilversum 2008. 116 S., CD-ROM. Besprochen von Christian Neschwara.

 

 

Der anzuzeigende Band vereinigt eine Reihe englischsprachiger Beiträge, welche ihre Ausgangsbasis jeweils in den Beständen der Bibliothek des Obersten Gerichtshofs der Niederlande, des Hogen Raads zu Den Haag, haben. Die heutige Bibliothek dieses Höchstgerichts ist aus der 1795 erfolgten Vereinigung der damaligen Buchbestände der höheren Gerichte von Holland und Seeland (Hof und Großer Rat) hervorgegangen, wovon später eine größere Zahl von handschriftlichen Manuskripten und nichtjuristischen Bänden an das niederländische Nationalarchiv abgestellt wurde.

 

Das vorliegende Buch befasst sich zum einen mit der Geschichte und Provenienz dieser Buchbestände (Joost Pikkemaat, The old library now. Jurisprudential Tendencies Reflected in a Collection of Books: 11-20), in welchen sich die reiche Rechtskultur der historischen Niederlande widerspiegelt, die seit dem 17. Jahrhundert auf ein Gebiet ausstrahlte, das damals den gesamten heutigen Be-Ne-Lux-Raum umspannte. Dem Buch beigefügt ist eine CD-ROM mit zwei Katalogen der historischen Bestände der Bibliothek. Mit den zahlreichen Abbildungen von kunstvollen Titelblättern und Titelkupfern dient der vorliegende Band auch als Spiegelbild einer bemerkenswerten Bibliothek (Tom de Smidt, An elderly, noble lady. The old books collection in the library of the Supreme Court of the Netherlands: 39-68), welche in Bezug auf ihre historischen Bestände ohne weiters mit mancher Universitätsbibliothek konkurrieren kann.

 

Neben buchgeschichtlichen Aspekten behandelt der vorliegende Band in einer Reihe von Beiträgen aber auch rechtshistorische Fragen, welche sich mit diesen Buchbeständen auseinandersetzen; und zwar zum einen allgemein, aus wissenschafts- und wirkungsgeschichtlicher Perspektive (Alain Wijffels, Legal books and Legal Practice: 21-38), sowie andererseits in speziellen Fallstudien, welche veranschaulichen, wie diese Literatur in der zeitgenössischen Praxis zur Lösung von Rechtsproblemen herangezogen worden ist – und zwar aus der Sicht von gegenwärtig am Obersten Gerichtshof der Niederlande aktiv tätigen Richtern: Peter Kop beschäftigt sich in seiner Untersuchung (The duty of judges in Holland and West-Friesland to pass judgement solely according to the content of the laws: 69-82) mit der Analyse einer populärjuristischen Abhandlung des Amsterdamer Advokaten Bernhardus Albertus van Houten über die Pflichten der Richter in West-Friesland, welche 1794 in den Niederlanden entstanden ist und sich mit der damals aktuell diskutierten Frage der Notwendigkeit und Reichweite der Geltung von Kodifikationen auseinandersetzte; als van Houten seine Broschüre veröffentliche, war sie freilich bald inaktuell geworden: 1795 vollzog sich der Übergang der Republik der Vereinigten Niederlande zum Staatenbund der Batavischen Republik, sodass für Einheitsgesetze – zunächst jedenfalls – kein Bedarf mehr bestand.

 

Ton Pos (The Hoge Raad of Holland and Zeeland in the 18th century and chattel mortgages, transfer of ownership as security for a debt: 83-103) betrachtet die Funktion des (Mobiliar-)Pfandrechts als Instrument der Schuldsicherung aus der Perspektive von Kaufleuten und Juristen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Ausgangspunkt seiner Analyse sind kritische Bemerkungen von Cornelius van Bynkershoek, des damaligen Präsidenten des Großen Rates, über die formalen Bedingungen, unter denen er solche Konstruktionen als wirksam erachtete. Pos konzentriert seine Untersuchung insbesondere auch auf die Frage, inwieweit die Bestände der Bibliothek des Großen Rates bei der Beurteilung dieser Frage in dessen Rechtsprechung einen Niederschlag gefunden hat.

 

Dan Asser schließlich setzt sich mit der Reichweite des gemeinrechtlichen Rechtsschutzes von Frauen bei der Annahme von Wechseln auseinander (Complex and difficult questions. Two decisions of the Hoge Raad van Holland, Zeeland en West-Friesland on the protection of women accepting bills of exchange: 105-116). Er skizziert zunächst die Entwicklung des Wechsels als Handels- und Finanzierungsinstrument im Spannungsfeld von mittelalterlichem Rechtsleben und neuzeitlichem ius commune sowie seine Integration in die niederländische Rechtskultur durch den Usus modernus. Auch Asser zieht bei seiner Abhandlung insbesondere in Betracht, inwiefern die den Richtern bei den höheren niederländischen Gerichten zur Verfügung stehenden Bibliotheksbestände einen Niederschlag in ihren Entscheidungen gefunden haben. Anhand von zwei Fallbeispielen wird auch augenfällig, welche komplexen und schwierigen Rechtsfragen sie in Wechselprozessen zu klären hatten.

 

Es ist der vorliegenden Beitragssammlung zu wünschen, dass sie – ungeachtet der englischsprachigen Fassung – mit ihrer anregenden interdiszplinären Mélange zahlreiche Leser aus den Kreisen der an der Geschichte des Buch- und Bibliothekswesens sowie an der Wissenschafts-, Wirkungs- und Dogmengeschichte des Privatrechts im deutschen Rechtskreis Interessierten gewinnen kann. Mit seiner gediegenen Aufmachung sowie dem kunstvoll gestalteten Einband und den zahlreichen Abbildungen aus den historischen Bibliotheksbeständen könnte das Buch aber wahrscheinlich bloß bibliophil geneigte Interessenten ansprechen!

 

Wien                                                                                                  Christian Neschwara