Straumann, Benjamin, Hugo Grotius und die Antike. Römisches Recht und römische Ethik im frühneuzeitlichen Naturrecht (= Kleine Schriften zur Geschichte des europäischen Völkerrechts 14). Nomos, Baden-Baden 2007. VIII, 221 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Arbeit ist die von Beat Näf betreute, im Wintersemester 2005/2006 von der philosophischen Fakultät der Universität Zürich angenommene Dissertation des Verfassers. Sie geht davon aus, dass Hugo Grotius (1583-1645) als mit 16 Jahren zugelassener Haager Anwalt 1604 im Alter von 21 Jahren die Beschlagnahme eines portugiesischen Schiffes durch die niederländische Handelsgesellschaft Vereinigte Ostindische Kompagnie (VOC) in den Meerengen von Singapur zu verteidigen hatte. In diesem Zusammenhang stellt sie die Hypothese auf, dass Grotius seine dazu entwickelte Vorstellung eines konfessionell neutralen Naturrechts maßgeblich auf römische Rechtsquellen stützte, die er nicht nur als gelehrten Zierrat verwendete.

 

In der kurzen Einleitung stellt der Verfasser dar, dass die Wirkung, welche die klassische Antike auf das naturrechtliche Werk Hugo Grotius’ ausgeübt hat, bisher unzureichend untersucht wurde. Diese Forschungslücke will er schließen. Dazu geht er in seiner in zwei Teile gegliederten Studie hauptsächlich auf De iure praedae commentarius (1604/1606), Mare liberum (1609), die von ihm in das zweite Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts datierten Theses sive quaestiones LVI, Defensio capitis quinti maris liberi oppugnati a Guilielmo Welwodo (nach 1613) und De iure belli ac pacis liberi tres (1625ff.) ein.

 

Der erste Teil behandelt die älteren Werke. Dazu untersucht der Verfasser sorgfältig die formalen Quellen des Naturrechts und Grotius’ Methode, Grotius’ Konzeption des Naturzustands, welche die Weltmeere zu seiner Zeit im Naturzustand sieht und die Handelsfreiheit durch römische Klagen und Interdikte schützen lässt, sowie gerechte Kriegsgründe und natürliche subjektive Rechte. Im Ergebnis ordnet er die grotianische Naturzustandskonzeption einer römischen Tradition zu, die mit der den Institutionen des römischen Rechts und dem Privateigentum verpflichteten Ethik Ciceros große Ähnlichkeit aufweist.

 

Der zweite Teil wendet sich De iure belli ac pacis libri tres zu und stellt hier Grotius’ systematische Rechtsquellenlehre als wichtige Neuerung heraus. Die antike Rhetorik beeinflusst die grotianische Methode, wobei römisch-stoische Argumente für das Naturrecht und Ciceros Ethik besondere Bedeutung haben. Hierauf werden dann Selbstverteidigungsrecht, Eigentum, Widerstandsrecht und Bestrafungsrecht gegründet.

 

Im Ergebnis konnte damit auf Grund der römischen Rechtsquellen und der praktischen Ethik Ciceros den portugiesischen Ansprüchen in Ostindien, die sich auf Entdeckung, Besitz, päpstliche Schenkung und Gewohnheitsrecht beriefen, ein Naturzustand entgegengestellt werden, auf den römische Bestimmungen für anwendbar erklärt werden konnten. Dementsprechend ordnet der eindrucksvoll und klar argumentierende Verfasser Grotius als einen juristischen Humanisten ein, der mittels römischen Rechts, römischer Ethik und antiker Rhetorik zur Lösung eines aktuellen, ökonomisch bedeutsamen Konflikts eine Rechtslehre für einen behaupteten Naturzustand entwarf. Die dabei gewonnene Doktrin der Meeresfreiheit setzte sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im positiven Völkerrecht durch.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler