Strafjustiz und DDR-Unrecht. Dokumentation, hg. v. Marxen, Klaus/Werle, Gerhard, Band 5, 1, 2 Rechtsbeugung, unter Mitarbeit von Burghardt, Boris/Hohoff, Ute/Schäfter, Petra, Band 6 MfS-Straftaten, unter Mitarbeit von Schißau, Roland/Schäfter, Petra. De Gruyter Recht, Berlin 2007. LV, 568, VII, 573-1172, XV, 585 S. Besprochen von Thomas Vormbaum.

 

 

Die Edition mit den Erträgen des von den Herausgebern betriebenen Forschungsprojekts „Strafjustiz und DDR-Vergangenheit“ steht mit den hier angezeigten Bänden kurz vor dem Abschluss.

 

Band 5 der Dokumentation behandelt den Komplex „Rechtsbeugung“. Die betreffenden Verfahren bilden innerhalb der wegen DDR-Unrechts erhobenen Anklagen die größte Gruppe (S. XXIX). Dies erklärt, warum dieser Komplex zwei Teilbände der Edition ausmacht. Noch weitaus größer dürfte die Zahl der eingeleiteten, aber nicht zur Anklage gebrachten Ermittlungsverfahren gegen Richter und Staatsanwälte sowie in einigen Fällen auch gegen justizexterne Personen (wegen Anstiftung zur Rechtsbeugung) gewesen sein; sie sind jedoch nach den gut begründeten Editionsprinzipien der Herausgeber nicht berücksichtigt werden.

 

Gegenstand der Untersuchung waren vor allem Strafverfahren, daneben einige zivil- und arbeitsgerichtliche Verfahren der DDR-Justiz. Vor allem ging es um rechtswidrige strafrechtliche Verfolgung und um systembedingte Nichtverfolgung (vor allem Nichtverfolgung auf Anzeigen wegen Fälschung der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989).

 

Die Verfahren endeten lediglich für 48% der Angeschuldigten mit einem Urteil. Die Verurteilungsquote lag bei nur 24% (S. XXXVII). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die zunächst die vielfach erhobenen rechtlichen Einwände gegen die Verfolgbarkeit der betreffenden Handlungen beiseite schob, sodann aber für die Erfüllung des Merkmals „Beugung des Rechts“ anstelle der früheren erhöhten subjektiven Schwelle eine fast eben so schwer zu überwindende objektive Schwelle errichtete, dürfte an der hohen Schwundquote maßgeblichen Anteil gehabt haben.

 

Band 6 der Dokumentation behandelt die Straftaten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Anders als die in den vorherigen Bänden, einschließlich der Teilbände über Rechtsbeugung, behandelten Tatkomplexe ist der Komplex „MfS-Straftaten“ kein juristisch kompakter Komplex, sondern setzt sich aus verstreuten Straftatgruppen zusammen. Der Grund dafür zeigt sich schon in der Benennung, denn die bisher dokumentierten Bereiche waren durch klar definierte Straftatbestände oder Tatbestandsgruppen bezeichnet, während der Bereich „MfS-Straftaten“ auf den behördenorganisatorischen Zusammenhang der Straftaten abstellt. Zum besagten Komplex gehören daher Straftaten, in denen mindestens einer der Angeklagten entweder als hauptamtlicher oder als inoffizieller Mitarbeiter in enger Verbindung zum MfS stand (S. XXVIII). Die Herausgeber haben Fallgruppen gebildet, denen auch die Dokumentation folgt. Einen Teil bilden sog. standardisierte Maßnahmen: Abhören von Telefongesprächen; Öffnen von Briefsendungen zwecks Kenntnisnahme vom Inhalt; Entnahme von Geld und von Wertgegenständen aus Postsendungen; Heimliches Betreten fremder Räumlichkeiten; Preisgabe von Informationen aus Mandats- und Patientenverhältnissen. Daneben gab es Einzelmaßnahmen wie Mordanschläge und Verschleppungen aus der Bundesrepublik in die DDR (vor allem in der Frühzeit des Kalten Krieges), Verrat und Denunziation (vor allem von Fluchtplänen), unerlaubte Festnahmen, Repressalien gegenüber Ausreisewilligen.

 

Sieht man von den „nicht standardisierten“ Einzelfällen ab, handelt es sich nicht um Fälle der Hochkriminalität, weshalb sich hier besonders das Problem der Verjährung stellte, auf das die Herausgeber daher auch in diesem Band in ihrer Einleitung besonders eingehen (S. XXXIff.), obwohl es prinzipiell alle Fallkomplexe betrifft. Die mehrfache Verlängerung von (noch laufenden) Verjährungsfristen durch den Bundesgesetzgeber dürfte allerdings weniger in den standardisierten Fällen Auswirkungen gehabt haben (weil hier die Staatsanwaltschaften häufig einstellten) als in den häufig weit zurückliegenden Fällen der Einzelmaßnahmen (S. XXXIf.).

 

Sieht man von der Spionage-Tätigkeit des MfS ab, die bereits Gegenstand eines früheren Bandes der Dokumentation ist[1], so steht die öffentliche Aufmerksamkeit, welche das Thema „Stasi“ – nicht zuletzt durch die Tätigkeit der zur Aufbewahrung ihrer Unterlagen ins Leben gerufenen Behörde – bis heute in der Öffentlichkeit erfährt, in deutlichem Kontrast zur Anzahl der einschlägigen Strafverfahren. Mehr als in anderen Bereichen ist hier die Strafverfolgung nur ein kleiner Ausschnitt der rechtlichen Bewältigung der Vergangenheit; Fragen der Rehabilitation spielen eine erheblich wichtigere Rolle.

 

Dass die Dokumentation aus einem Forschungsprojekt hervorgegangen ist, bietet neben manchem anderen Vorteil auch den, dass mehrere Mitarbeiter der Herausgeber die Arbeit an diesem Werk mit einer einschlägigen Dissertation verbinden konnten. Für die hier angezeigten Bände sind dies Ute Hohoff (Rechtsbeugung) und Roland Schißau (MfS-Straftaten), deren parallel entstandene Arbeiten in der von der Berliner Fakultät herausgegebenen Schriftenreihe erschienen sind[2]. Demjenigen, der neben den in der Dokumentation versammelten Quellen die rechtlichen und rechtspolitischen Diskussionen um die Aufarbeitung der DDR-Regierungskriminalität in den betreffenden Bereichen verfolgen und vertiefen will, seien beide Arbeiten empfohlen.

 

Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Herausgeber inzwischen in einer schmalen, im Eigenverlag erschienenen Broschüre eine statistische Bilanz ihres Forschungsprojekts vorgelegt haben[3].

 

Hagen /Westfalen                                                                               Thomas Vormbaum



[1] Band 4 der Dokumentation; s. dazu Rezension von Thomas Vormbaum ZRG GA 2007, 861-863.

[2] Ute Hohoff, An den Grenzen des Rechtsbeugungstatbestandes. Eine Studie zu den Strafverfahren gegen DDR-Juristen (Berliner Juristische Universitätsschriften. Strafrecht. 9). Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2000 (Rez. durch Friedrich Christian Schroeder ZRG GA 119 [2002]), Roland Schißau, Strafverfahren wegen MfS-Unrechts. Die Strafprozesse bundesdeutscher Gerichte gegen ehemalige Mitarbeiter der Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin, 2006.

[3]          Marxen, Klaus/Werle, Gerhard/Schäfter, Petra, Die Strafverfolgung von DDR-Unrecht. Fakten und Zahlen. Institut für Kriminalwissenschaften der Humboldt-Universität, Berlin, und Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Berlin 2007.