Štefanová, Dana, Erbschaftspraxis, Besitztransfer und Handlungsspielräume der Untertanen in der Gutsherrschaft. Die Herrschaft Frýdlant in Nordböhmen, 1558-1750 (= Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 34). Oldenbourg, München 2008. 341 S. Besprochen von Adrian Schmidt-Recla.

 

Die Arbeit der Wiener Historikerin Dana Štefanová besteht aus einer mikrohistorischen Auswertung von Katastern, Grund-, Schöffen-, Stadt- und Gerichtsbüchern, Zins- und Steuerregistern, Urbaren und Kirchenregistern in der nordböhmischen Gutsherrschaft Frýdlant im Isergebirge, die in den Archiven von Děčin (Tetschen), Liberec (Reichenbach), Litomeřice (Leitmeritz), Zámrsk (Samrsk), Zittau, Wrocław (Breslau), Dresden und Prag vorgenommen wurde. Diese für drei exemplarisch ausgewählte Dörfer erhobenen Quellen liefern der Autorin Aussagen über die wechselseitigen Beziehungen zwischen der Gutsherrschaft, den Untertanen und den Gemeinden in einem frühneuzeitlichen Territorium, das von der historischen Forschung der sogenannten „ostelbischen Gutsherrschaft“ zugerechnet wird. Štefanová untersucht den in drei ausgewählten Dörfern von 1558 bis 1750 vorgenommenen Besitztransfer in einem Zweihundertjahreszeitraum und leitet aus der erkennbaren Personage (deren Familien- und Sozialstruktur deutlich gemacht wird), den gutsherrlichen Einflussnahmen und der Beteiligung der Gemeinden der Untertanen Aussagen über die Periodisierung der Agrarentwicklung (bei der das Jahr 1620 und die Schlacht am Weißen Berg nach bisher herrschender Auffassung die Zäsur für die Einteilung in die Periode vor und die nach dem Weißen Berg abgibt, wobei letztere als Epoche der sogenannten „zweite Leibeigenschaft“ bezeichnet wird) in Mitteleuropa ab.

 

Štefanová kommt zu dem Ergebnis, dass die bisher überwiegend geteilte Meinung, wonach die Ergebnisse der Schlacht am Weißen Berg zur ungebremsten Konfiskation des Bodens für die herrschaftlichen Meierhöfe und zur Entrechtung der Untertanen geführt hätten, in den untersuchten Quellen keine Stütze finde. Sowohl die einzelnen Untertanen (Bauern und Häusler) als auch deren Gemeinden hätten der Gutsherrschaft keinesfalls rechtlos gegenüber gestanden. Vielmehr seien sie sich als Individuen oder als Vertreter einer Gemeinde einer „Rechtspraxis“ bewusst gewesen und seien durch ihr Handeln bemüht gewesen, „Konfliktfälle mittels rechtlicher Schritte“ zu lösen. Der Begriff der „zweiten Leibeigenschaft“ habe in den analysierten Verhältnissen keine Entsprechung. Eher empfehle sich der Begriff einer „Verschärfung der Erbuntertänigkeit“, wobei aber beachtet werden müsse, dass die Gemeinde als funktionierende Institution der Untertanen gewahrt blieb. Nebenbei fallen wichtige Erkenntnisse über die Rolle der Frau bei Verfügungsgeschäften ab (Frauen konnten über einen längeren Zeitraum untertänige Anwesen führen, ohne auf Widerstand der Herrschaft oder der Gemeinde zu stoßen; Witwen verfügten über bedeutende Handlungsspielräume bei der Weiterführung eines Anwesens oder über Einfluss beim Verkauf; die Obrigkeit habe sich nicht restriktiv in von Frauen abgeschlossene Kaufverträge oder deren Wirtschaftsführung eingemischt).

 

Das alles geschieht gründlich, ausführlich belegt, nachvollziehbar gegliedert und mit den erforderlichen, aussagekräftigen Registern versehen. Der Jurist vermisst freilich den einen oder anderen Hinweis auf die normativen Bezugsgrößen für den Immobiliarverkehr. Štefanová liefert nur wenige überblicksartige Hinweise auf das im Untersuchungszeitraum in Nordböhmen geltende Privatrecht und seine einzelnen Institute. Unter der Überschrift „Gewohnheitsrecht, Rechtskodifizierung“ werden einige als gewohnheitsrechtlich bezeichnete Grundstrukturen („Vererbungsmuster“, „Gleichteilung“, „Anerbenrecht“, „Witwendrittel“) namhaft gemacht und wird kurz darauf hingewiesen, dass einzelne regionale Besonderheiten dem in Nordböhmen seit dem Mittelalter maßgeblichen Magdeburger Recht widersprochen hätten. Das wird aber, ebenso wie das oft beobachtete „Ausgedinge“, nicht weiter ausgearbeitet, auf schriftliche Normen wird nicht Bezug genommen. Štefanová gibt an, für die Herrschaft Frýdlant eine schriftliche Kodifizierung für den Ablauf des Besitztransfers oder der Erbschaftspraxis nicht gefunden zu haben. Das mag sein – der Jurist würde hier jedoch einige weitere Schritte machen. Der historischen müsste also die juristische Einzelarbeit noch folgen.

 

Insgesamt ist die Studie ein sehr lesenswertes und (auch) die Geschichte des Immobiliarsachenrechts in empirischer Hinsicht sehr bereicherndes Buch. Sie beweist (wie viele Mikrostudien) nachdrücklich, auf wie tönernen Füßen herrschende Meinungen (hier die von der „ostelbischen Gutsherrschaft“) mitunter stehen.

 

Leipzig                                                Adrian Schmidt-Recla